„Die Welt schaut nur zu“ titelte Spiegel-Online Ende Mai dieses Jahres: „Syriens Diktator Assad lässt die eigene Bevölkerung liquidieren, die Weltgemeinschaft sieht tatenlos zu. Ein
militärisches Eingreifen des Westens ist im Uno-Sicherheitsrat gegen Russlands Widerstand nicht durchsetzbar.“ Gut ein Jahr nach dem „arabischen Frühling“ und dem militärischen Eingreifen in Libyen hat sich die Lage auch in Syrien derart verschärft, dass abermals abzuwägen ist, wie einer innerstaatlichen Gewalteskalation Einhalt geboten werden könnte. Nahezu selbstverständlich erscheint ein militärisches Eingreifen als denkbare Option. Mehr als zehn Jahre zuvor hatte man eben diese Option schon im Zuge der Kosovo-Krise gegen den Widerstand Russlands, auch ohne Zustimmung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (VN), gewählt. Der hierdurch (erneut) forcierte, bis dato anhaltende Grundsatzdiskurs um solch vermeintlich „gute“ Gewaltanwendungen wird in seiner fortlaufenden, immensen Relevanz durch die Ereignisse in Syrien leider nochmals
unterstrichen wird.
Gleich ob als (gerechter) Krieg, humanitäre Intervention, militärische Intervention oder neuerdings als Erfüllung einer Handlungspflicht unter dem Diktum der Schutzverantwortung,
militärische Gewaltanwendungen von Staaten gegen bzw. innerhalb eines anderen Staates sind nicht erst seit dem Ende des Ost-West-Konflikts beständiger Teil der internationalen Staatenpraxis. Ihre (normative) Rechtfertigung lässt sich prinzipiell bis in die Antike zurückverfolgen. In der post-bipolaren Ära seit Beginn der 1990er Jahre erfolgten
sie als „Interventionen“ jedoch unter scheinbar anderen Voraussetzungen, was mit Hilfe der attributiven Ergänzung „humanitär“ sprachlich auf den Punkt zu bringen versucht
wurde. Unter den veränderten Vorzeichen einer neuen Weltordnung keimten neue Friedenshoffnungen, welche sogleich durch nunmehr offen zu Tage tretende innerstaatliche
Krisen und Konflikte konterkariert wurden. Die in diesem Zusammenhang bis heute beständig erfolgten Interventionen bzw. die dahinter stehenden Interventionskonzepte sind ihrem „humanitären“ Anspruch nach auf die Beseitigung eines Übels gerichtet. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Ein integrativer Ansatz
- Intervention und humanitäre Krise
- Ethische Antinomik und die Antinomik von Interventionen
- Eine Alternative zur absolutiven Ethik (Boges Konzept)
- Habermas' Theorie des kommunikativen Handelns und die Diskursethik
- Kommunikatives Handeln
- Recht an der Schnittstelle von System und Lebenswelt
- Kommunikatives Handeln und Diskursethik
- Die Legitimierung von Gewalt zur Limitierung von Gewalt
- Interventionen als Nothilfe
- Nothilfe und die Struktur der internationalen Staatenordnung
- Die Bedeutung der Menschenrechte
- Konzeptionelle und empirische Entwicklungslinien
- Sicherheitsratspraxis und Erfahrungswerte bisheriger Interventionen
- Von der humanitären Intervention zur Responsibility to Protect
- Die Libyen-Intervention und die Krise in Syrien
- Problemperspektiven
- Zur Verortung des Politischen – Eine Schwellenbestimmung
- Herausforderungen einer Verrechtlichung
- Zu den Bedingungen der Legitimität von Interventionen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht die Legitimität von Interventionen in institutionellen Kontexten. Sie setzt sich zum Ziel, die ethischen Antinomien, die mit der Anwendung von Gewalt zur Lösung humanitärer Krisen verbunden sind, zu analysieren. Die Arbeit befasst sich mit der Frage, unter welchen Bedingungen Interventionen moralisch vertretbar sind und wie sich die Legitimität von Interventionen in der Praxis gestalten lässt.
- Ethische Antinomien von Interventionen
- Theorie des kommunikativen Handelns und Diskursethik
- Legitimität von Gewalt zur Limitierung von Gewalt
- Responsibility to Protect (R2P)
- Problemperspektiven der Verrechtlichung von Interventionen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein und beleuchtet die aktuelle Debatte um Interventionen im Kontext der Syrien-Krise. Das erste Kapitel beleuchtet den integrativen Ansatz der Arbeit, der den normativen und den empirischen Aspekt von Interventionen gleichermaßen berücksichtigt. Es werden die verschiedenen Begriffsverständnisse von Interventionen, insbesondere im Kontext humanitärer Krisen, diskutiert.
Das zweite Kapitel widmet sich der ethischen Antinomik von Interventionen. Es werden verschiedene theoretische Ansätze zur Legitimierung von Gewaltanwendung vorgestellt, darunter Boges Konzept einer Alternative zur absolutiven Ethik und Habermas' Theorie des kommunikativen Handelns.
Das dritte Kapitel analysiert die konzeptionellen und empirischen Entwicklungslinien des Interventionismus. Hierbei werden die Praxis des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, die Entwicklung des Responsibility-to-Protect-Konzepts sowie die Interventionen in Libyen und Syrien beleuchtet.
Das vierte Kapitel befasst sich mit den Problemperspektiven von Interventionen. Es werden die Herausforderungen einer Verrechtlichung von Interventionen sowie die Frage nach der Verortung des Politischen in diesem Kontext diskutiert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit zentralen Begriffen und Themen, die im Kontext von Interventionen und ihrer Legitimität relevant sind. Hierzu zählen unter anderem: ethische Antinomien, humanitäre Intervention, Responsibility to Protect, Theorie des kommunikativen Handelns, Diskursethik, Verrechtlichung, Gewaltanwendung, internationale Staatenordnung und Menschenrechte.
- Citar trabajo
- Tino Gierke (Autor), 2012, Zur Legitimität von Interventionen. Ethische Antinomik in institutionellen Kontexten, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/299824