Analyse des Buches 'Gute Nacht, Zuckerpüppchen' von Heidi Hassenmüller zum Thema sexuelle Gewalt in Kinder- und Jugendbüchern


Dossier / Travail de Séminaire, 2004

50 Pages, Note: 1,5


Extrait


Inhalt

0. Einleitung

1. Zur Thematik des sexuellen Missbrauchs
1.1. Was ist sexueller Missbrauch?
1.2. Formen und Ausmaß sexueller Gewalt an Mädchen und Jungen
1.3. Die Täter
1.3.1. Daten und Fakten zu den Tätern
1.3.2. Täterstrategien
1.4. Ursachen des sexuellen Missbrauchs
1.4.1. Feministische Ursachenanalyse
1.4.2. Familiendynamischer Ansatz
1.5. Daten und Fakten zu den Opfern
1.6. Die Folgen von sexuellem Missbrauch an Mädchen und Jungen
1.6.1. Physische Folgen des Missbrauchs
1.6.2. Psychische Folgen des Missbrauchs
1.7 Prävention
1.7.1 Zum Begriff „Prävention“
1.7.2 Themen für die präventive Erziehung

2. Buchanalyse: Heidi Hassenmüller: „Gute Nacht Zuckepüppchen“
2.1. Inhaltsangabe
2.2. Inhaltliche Analyse
2.2.1 Aspekte des Themas ,Gewalt gegen Kinder’ in „Gute Nacht, Zuckerpüppchen“
2.2.2 Vergleich der Täter und Opferdarstellung mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen
2.2.3 Darstellung der familiären Situation
2.2.4 Folgen und Auswirkungen
2.2.5 Ursachen und Hintergründe
2.2.6 Lösungsmöglichkeiten und Perspektiven
2.3. Stilanalyse
2.3.1 Äußere Aufmachung
2.3.2 Struktur/Aufbau des Buches
2.3.3 Sprache/ästhetische Elemente
2.3.4 AdressatInnenbezug/Rezeptionsanalyse
2.4. Didaktisch-methodische Fragestellungen
2.5. Schluss
2.6. Literaturverzeichnis

0. Einleitung

Gewaltanwendung gegen Kinder hat es wohlmöglich schon immer gegeben und wird sich nach wie vor auch nicht gänzlich unterdrücken lassen. Eine Form davon ist die sexuelle Gewalt, über die erst Anfang der 80er Jahre gesprochen wurde. Diese Tatsache ist erschreckend im Hinblick darauf, dass sexuelle Ausbeutung von Mädchen und Jungen heute fast täglich Thema der Medien ist. Trotz dieser Entwicklung herrschen noch viele Vorurteile in der öffentlichen Meinung. So stellen sich viele den Täter als alten, triebhaften, fremden Mann vor, der im Park auf kleine Mädchen lauert. Über Mädchen als potenzielle Opfer wird häufig gesagt, dass sie als kleine „Lolitas“ ihre sexuellen Reize an älteren Männern ausprobieren wollen. Diese Vorurteile gilt es zu widerlegen, was allein durch Aufklärung und Information über sexuellen Missbrauch gelingt. Das Buch „Gute Nacht, Zuckerpüppchen“ von Heidi Hassenmüller trägt dazu bei, dass die Information weitergetragen wird und sich Opfer nicht mehr mit ihrem Problem alleingelassen fühlen.

Der autobiografische Roman, der im Laufe der Arbeit analysiert wird, zeigt den jahrelangen Missbrauch eines Mädchens durch ihren Stiefvater. Um die Aufmerksamkeit dabei auf die Darstellungsweise dieser Thematik zu lenken, ist es notwendig einen theoretischen Teil über dieses komplexe Thema voranzustellen.

In diesem ersten Teil sollen Hintergrundinformationen gegeben werden, was man unter dem Begriff versteht, welche Formen er beinhaltet und wie groß das Ausmaß einzuschätzen ist. Weiterhin sollen die Täterstrategien und das Opferbild genauer betrachtet werden. Außerdem wird über Erklärungsansätze zu den möglichen Ursachen sexueller Gewalt informiert. Um das Verhalten der Protagonistin besser nachvollziehen zu können, wird auch auf die Folgen und Auswirkungen durch den sexuellen Missbrauch eingegangen.

Um die Thematik abzurunden, werden kurz Aspekte zur Prävention dargestellt, die in der didaktischen Analyse wieder aufgegriffen werden.

Der zweite Teil der Arbeit besteht schließlich aus der inhaltlichen und stilistischen Analyse des Buches „Gute Nacht, Zuckerpüppchen“ und wird sich auf die Darstellungsaspekte zum sexuellen Missbrauch konzentrieren.

1. Zur Thematik des sexuellen Missbrauchs

1.1 Was ist sexueller Missbrauch?

Der Begriff sexueller Missbrauch wird sehr bedeutungsvielfältig verwendet. In den seit Mitte der 80er Jahre veröffentlichen Publikationen zu dem Thema finden sich viele Definitionsversuche, die jedoch keine allgemein anerkannte gesellschaftliche oder wissenschaftliche Definition enthalten. Schwierigkeiten hinsichtlich der Definierung treten durch unterschiedliche historische und kulturelle Einstellungen zu sexuellen Kontakten von Erwachsenen bzw. Jugendlichen zu Kindern auf. Ebenfalls existieren unterschiedliche Forschungs- und Erklärungsansätze, die eine allgemein gültige Definition erschweren. Das Problem liegt darin, eine Grenze zwischen lebensnotwendigen körperlichen Zärtlichkeiten eines Kindes und dem Missbrauch solcher Bedürfnisse zugunsten der Befriedigung eines Erwachsenen bzw. Jugendlichen zu ziehen. Es besteht jedoch Einigkeit darüber, dass die Grenze nicht fließend ist, sondern ein bewusster Prozess des Täters zu seiner Bedürfnisbefriedung dahinter steht (Steinhage 1991:16).

Darüber hinaus sind Definitionen „immer von den verschiedenen theoretischen, wissenschaftlichen, ethischen und weltanschaulichen Orientierungen der jeweiligen AutorInnen geprägt“ (Koch/Kruck 2000:3).

Zur Bestimmung des Begriffs „sexueller Missbrauch“ gibt es unterschiedliche Kriterien, welche von den AutorInnen als Schwerpunkte verwendet werden: die Art und Dauer der sexuellen Handlung, der Altersunterschied zwischen Täter und Opfer, das Machtungleichgewicht, die Absicht des Täters, die Folgen der sexuellen Handlung, der Gewaltaspekt und der kulturelle Hintergrund.

B. Besten stellt folgende maßgebliche Faktoren für den sexuellen Missbrauch aus einer Vielfalt unterschiedlicher Definitionen zusammen:

1. „Sexeueller“ Mißbrauch (Ausbeutung) ist immer eine Form von körperlicher und/oder seelischer Gewalt, das heißt, die Kinder haben nicht die Möglichkeit, ihre Zustimmung oder Ablehnung anzubringen.
2. Sexueller Mißbrauch ist zwar nicht unbedingt auf die Konstellation Mann-Mädchen festgelegt, in den meisten Fällen ist dies aber doch der Fall.
3. In den meisten Fällen stammt der Täter aus dem sozialen Nahbereich des Kindes und ist nicht, wie häufig angenommen wird, ein völlig Fremder.
4. Sexueller Mißbrauch hat immer eine Entwicklungshemmung zur Folge. Die betroffenen Kinder werden sowohl körperlich als auch seelisch verletzt, wobei die seelischen Schäden nur schwer zu erkennen sind und oft erst nach langer Zeit zum Tragen kommen.
5. Sexueller Mißbrauch findet in der Regel nicht als Einzeltat statt, sondern dauert teilweise sogar über Jahre hinweg an.
6. Wo die Grenzen von lebensnotwendiger körperlicher Zärtlichkeit zu sexuellem Mißbrauch liegen, ist schwer zu klären- fast immer spüren die Kinder selbst jedoch genau, wo eine Ausbeutung ihres Körpers anfängt.
7. Sexueller Mißbrauch entsteht durch Ausnutzen des Zusammenspiels der Autorität Erwachsener mit der Abhängigkeit von Kindern. Hierbei spielt neben dem Machtgefälle zwischen Erwachsenem und Kind auch das zwischen Mann und Frau eine Rolle. Der Mißbrauch dient in erster Linie der bewußten oder unbewußten Bedürfnisbefriedigung der Erwachsenen“ (1991:12-13).

Unter der Vielzahl von vorhandenen Definitionen unterscheidet man zwischen den so genannten „engen“ und „weiten“ Definitionen. Enge Definitionen betrachten nur den Körperkontakt als sexuelle Ausbeutung und grenzen diese Handlungen deutlich von anderen ab. Weite Definitionen zählen neben dem Körperkontakt auch Non-Kontakt-Handlungen dazu wie das Spannen, verletzende Redensarten etc. (Koch/Kruck 2000:5). Im Folgenden werde ich zwei weite Definitionen zitieren, die meines Erachtens einen passenden Schwerpunkt setzen.

U. Enders formuliert speziell auf den Aspekt des Machtmissbrauches bezogen folgende weite Definition:

„Sexueller Missbrauch ist immer dann gegeben, wenn ein Mädchen oder Junge von einem Erwachsenen oder älteren Jugendlichen als Objekt der eigenen, sexuellen Bedürfnisse benutzt wird. Kinder und Jugendliche sind aufgrund ihrer kognitiven und emotionalen Entwicklung nicht in der Lage, sexuellen Beziehungen zu Erwachsenen wissentlich zuzustimmen. Fast immer nutzt der Täter ein Macht- und Abhängigkeitsverhältnis aus“ (Enders 1990:21).

Rijnaarts zitiert Draijer, der noch einmal unterstreicht, dass bei sexuellen Kontakten zwischen Erwachsenen und Kindern niemals ein Einverständnis des Kindes für die sexuellen Handlungen möglich ist. Dies ist darin begründet, dass das Kind durch seine emotionale, kognitive und sprachliche Entwicklung noch nicht auf dem Informationsstand eines Erwachsenen ist.

„In Anbetracht dieses Wissens- und Machtgefälles scheint wirkliches Einverständnis eines Kindes gegenüber einem Erwachsenen nicht möglich“ (Draijer 1985:13).

Verantwortlich für den sexuellen Missbrauch ist also immer der Täter.

R. Steinhage zitiert eine weitere nicht zu eng gefasste Definition von G. Stanzel:

„Sexueller Mißbrauch an Mädchen ist körperliche und psychische Gewaltanwendung und Machtausübung mittels sexueller Handlungen am Körper und an der Seele eines Mädchens“ (1991:18).

Stanzel betont in seiner Definition, dass es dem Täter beim sexuellen Missbrauch hauptsächlich auf die Befriedigung seiner Macht- und Autoritätswünsche ankommt.

Offiziellere Definitionen finden sich in der bundesdeutschen Rechtsprechung. Hier wird der sexuelle Missbrauch von Kindern den „Straftaten gegen sexuelle Selbstbestimmung“ (13. Abschnitt des Strafgesetzbuches, §§ 174-184b) zugeordnet.

In dem internationalen „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“ von 1989, welches 1992 auch von der BRD unterzeichnet wurde, heißt es in Artikel 34:

„Die Vertragsstaaten verpflichten sich, das Kind vor allen Formen sexuellen Mißbrauchs zu schützen. Zu diesem Zweck treffen die Vertragsstaaten insbesondere alle geeigneten innerstaatlichen, zweiseitigen oder mehrseitigen Maßnahmen, um zu verhindern, daß Kinder

a) zur Beteiligung an rechtswidrigen sexuellen Handlungen verleitet oder gezwungen werden;
b) für die Prostitutionen oder andere rechtswidrige sexuelle Praktiken ausgebeutet werden;
c) für pornographische Darbietungen und Darstellungen ausgebeutet werden“ (Eichholz 1993:59).

Die dargestellten Definitionen zeigen, wie groß die Vielfalt zur Bestimmung des Begriffs „sexueller Missbrauch“ ist, abhängig von den Beurteilungskriterien, die die AutorInnen auswählen. Aus diesem Grund ist es nicht möglich, alle Fälle sexueller Gewalt in einer Definition zusammenzufassen. Mit dieser kurzen Darstellung können lediglich Einblicke in das komplexe Thema „sexueller Missbrauch“ gegeben werden.

1.2 Formen und Ausmaß sexueller Gewalt an Mädchen und Jungen

In diesem Punkt geht es darum herauszustellen, welche Handlungen grundsätzlich dem Begriff „sexueller Missbrauch“ oder allgemeiner, der „sexuellen Ausbeutung“, zuzuordnen sind.

Da in der öffentlichen Diskussion unter diesem Begriff hauptsächlich der vaginale Geschlechtsverkehr verstanden wird, gilt es die unterschiedlichen Formen sexuellen Missbrauchs genauer zu untersuchen.

Nach U. Enders geht sexuelle Gewalt an Mädchen und Jungen von Berührungen, verletzenden Blicken und Redensarten bis hin zu oralen, vaginalen oder analen Vergewaltigungen (Enders 2003:29). Gerade bei innerfamiliärem Missbrauch ist es schwer eine Grenze zwischen liebevoller Zärtlichkeit und einem sexuellen Übergriff zu ziehen. Zwei Kriterien spielen hierbei eine entscheidende Rolle; zum einen die Intention des Täters, zum anderen die in der Familie gängigen Verhaltensweisen.

In einer Familie mit „freieren“ Regeln ist es normal sich nackt voreinander zu zeigen, sich gemeinsam im Badezimmer aufzuhalten etc. Solche und andere freizügige Verhaltensweisen können in diesem Fall nicht zum sexuellen Missbrauch gezählt werden.

Anders ist es hingegen in einer Familie mit strengen Regeln bezüglich Nacktheit und Sexualität. Hier kann man schon von sexuellem Missbrauch sprechen, wenn sich der Vater beispielsweise nackt vor seinen Kindern zeigt (Besten 1991:18). Weiterhin ist zu beachten, dass allein das Kind entscheidet welche Situation grenzüberschreitend ist und welche nicht, denn Kinder merken schnell, ob die Verhaltensweisen ihnen gegenüber normal sind oder ob etwas nicht stimmt. Eine von vielen Kindern als grenzüberschreitend empfundene Handlung ist der Begrüßungs- und Abschiedskuss, der nicht als sexueller Missbrauch gewertet werden kann, da keine sexuelle Bedürfnisbefriedigung mit dieser Handlung einhergeht. Trotzdem ist es wichtig, dass das Kind sein mögliches Unbehagen äußert, denn nur, wenn das Kind lernt, in solchen 'harmlosen' Situationen sein Recht auf Selbstbestimmung in Anspruch zu nehmen, kann es dies auch in schwerwiegenden Missbrauchssituationen (Besten 1991:20). H. Saller unterscheidet drei große Bereiche sexueller Ausbeutung:

1.Formen sexuellen Missbrauchs, die unmissverständlich sind, wie:

Ein Erwachsener zwingt ein Kind zum oralen oder genitalen Sexualverkehr

(Cunnilingus, Fellatio). Das Eindringen in den After oder die Vagina des Kindes mit

Finger(n), Penis oder Fremdkörpern.

2. Ausbeutende Formen sexueller Handlungen an einem Kind,

wie:

Ein Erwachsener fordert ein Kind direkt dazu auf, an ihm sexuelle Handlungen

auszuführen oder das Berühren der Genitalien des Kindes. Die Masturbation bei

Anwesenheit des Kindes, die Veranlassung des Kindes im Beisein des Erwachsenen

zu masturbieren oder das Reiben des Penis am Körper des Kindes. Ebenso das Zeigen

von pornographischen Abbildungen.

3. Grenzwertige Verhaltensweisen, die oft zu Beginn eines sexuellen Missbrauchs

auftreten, wie:

Ein Erwachsener zeigt sich nackt vor einem Kind, zeigt dem Kind seine Genitalien

oder möchte den Körper des Kindes „begutachten“. Das Beobachten des Kindes beim

Ausziehen, Baden oder auf der Toilette, das Küssen des Kindes auf intime Weise und

die Altersunangemessene Aufklärung des Kindes über Sexualität, die nicht dem

kindlichen Interesse entspricht, sondern dem exhibitionistischen und/oder

voyeuristischen Bedürfnis des Erwachsenen dient (1987:29).

In den meisten Fällen findet eine Steigerung über einen längeren Zeitraum hinweg statt, die von weniger intimen Formen (Punkt 3) über intimere Formen (Punkt 2) bis hin zu intimsten Formen (Punkt 1) führt. Typisch für den sexuellen Missbrauch ist die Verpflichtung zur Geheimhaltung, die mit dem Missbrauch einhergeht. Je schwerwiegender der Missbrauch wird, desto wichtiger ist es dem Täter das Kind zum Schweigen zu verpflichten.

Zu den Opfern sexueller Gewalt gehören nicht nur diejenigen, an denen die Tat aktiv ausgeübt wird sondern ebenso Kinder und Jugendliche, die die sexuelle Ausbeutung eines Anderen miterleben müssen.

Die Darstellung von H. Saller zeigt, wie breit das Spektrum von sexuell ausbeutenden Handlungen ist und widerlegt, die in der Öffentlichkeit vorherrschenden Vorstellungen zu diesem Thema.

Das genaue Ausmaß des sexuellen Missbrauchs an Kindern ist schwer zu ermitteln, da die existierende Dunkelziffer sehr hoch geschätzt wird. Schwankungen der Untersuchungsergebnisse sind ebenfalls durch unterschiedliche Definitionen, die Stichprobenauswahl und die Befragungsperspektiven und – methoden bedingt.

Die zwei folgenden Untersuchungen spiegeln das ungefähre jährliche Ausmaß sexuellen Missbrauchs wider:

1. „Von der Bundesregierung wurde 1985 genannt, dass jährlich 150.000

Kinder von sexueller Ausbeutung betroffen sind“ (Saller 1987:27).

2. Der Deutsche Kinderschutzbund gab die Zahl der Kinder, „die im

Bundesgebiet im Jahr 1991 voraussichtlich von Eltern, Bekannten,

Freunden oder Fremden sexuell bedrängt oder genötigt werden, mit

geschätzten 80.000 an“ (Rutschky 1992:36).

Es besteht in allen Untersuchungen Einigkeit darüber, dass „auch unter Berücksichtigung ausländischer Untersuchungen davon ausgegangen werden [muss], daß etwa jedes vierte bis fünfte Mädchen und jeder zwölfte bis vierzehnte Junge in der BRD sexuelle Mißhandlungen erlebt“ (Deegener 1997:53).

1.3 Die Täter

1.3.1 Daten und Fakten zu den Tätern

Sexuelle Gewalt gegen Kinder wird in den meisten Fällen von Männern ausgeübt. Nach deutschen Untersuchungen beträgt der Anteil der männlichen Täter bei Mädchen zwischen 94 und 100 %, bei den Jungen zwischen 83 und 92 % (Bange 1995:37).

Das Wissen über Täterinnen ist noch sehr gering, da mit der Forschung zur Thematik erst vor relativ kurzer Zeit begonnen worden ist. Untersuchungen zufolge liegt der Anteil der weiblichen Täter, die Jungen missbrauchen bei ca. 28 % und bei Mädchen zwischen 6 und 15 % (Deegener 1997:56).

Das Durchschnittsalter der Täter liegt bei den Frauen bei 30 bzw. 31 Jahren, bei Männern bei 27 bzw. 24 Jahren (Deegener 1997:57). Dieses Ergebnis widerlegt die in der Bevölkerung vorherrschende Vorstellung des bösen, alten Mannes als Täter. Viele Sexualstraftäter sind sogar selbst noch Jugendliche (etwa ein Drittel) und vergehen sich an Jüngeren und Schwächeren (Deegener 1997:57).

Weiterhin ist es wichtig festzustellen, dass sexueller Missbrauch in allen sozialen Schichten vorkommt und nicht auf das sozial schwächere Milieu beschränkt ist. Die Täter sind meist unauffällige und in ihrem Bekanntenkreis beliebte Menschen, die ihre Opfer bereits vor dem Missbrauch kennen. Dabei ist zu beachten, dass nicht, wie häufig angenommen, der Hauptanteil der Täter aus der Familie stammt. Bei den weiblichen Opfern sind etwa 25 % der Täter Angehörige, 50 % Bekannte und 25 % Fremde. Bei den Jungen beträgt der Täteranteil aus der Familie 15 %, im Bekanntenkreis 50 % und bei den Fremdtätern 35 % (Deegener 1997:63).

Sexueller Missbrauch ist kein zufälliges Geschehen. Die meisten Täter missbrauchen in ihrem Leben viele Kinder, was darauf schließen lässt, dass die Männer und Frauen bei ihrer Tat einen genauen Plan verfolgen. Diese Strategien werde ich im folgenden Abschnitt erläutern.

1.3.2 Täterstrategien

Täter, die Kinder sexuell ausbeuten, verfolgen oft eine bestimmte Strategie um sich deren Vertrauen zu erschleichen. Sie versuchen auf unterschiedliche Weise gezielt Kontakt zu den Kindern aufzunehmen, indem sie sich z.B. Berufe suchen, in denen sie leicht mit Mädchen und Jungen in Kontakt kommen. So gehen sie einer pädagogischen, medizinischen oder therapeutischen Tätigkeit nach oder werden ehrenamtliche Mitarbeiter in Jugendeinrichtungen. Weiterhin besuchen sie Orte, an denen sich Kinder aufhalten wie Schulen, Einkaufszentren, Spielplätze oder Freizeitparks. Durch die neuen Medien ist es den Tätern auch möglich sich das Vertrauen der Kinder über das Internet zu erschleichen (Enders 2003:57-58). Besonders gefährdet sind Kinder, die bereits sexuell ausgebeutet wurden, denn sie verfügen nur über eine geringe Widerstandskraft und werden daher leicht erneut Opfer, ebenso wie Kinder mit einem Defizit an Wärme, Sicherheit, Zuneigung, Liebe und Anerkennung (Enders 2003:63).

Die Täter versuchen eine enge Vertrauensbindung zu dem Opfer aufzubauen, indem sie ihnen Geschenke machen und das Gefühl geben wichtig und einzigartig für sie zu sein. Ist das Vertrauen erst einmal aufgebaut, beginnt der sexuelle Missbrauch häufig mit „zufälligen“ sexuellen Berührungen, die vom Täter als Spiel getarnt oder als Ausdruck besonders großer Zuneigung beschrieben werden.

Ältere Mädchen fühlen sich zunächst in ihrer „Weiblichkeit“ bestätigt und in ihrer Rolle als „Geliebte“ gegenüber der Partnerin aufgewertet. Kleinere Kinder empfinden die sexuellen Übergriffe als beängstigend, verwirrend, beschämend oder ekelhaft, aber trauen sich in der Regel nicht auf Grund ihrer emotionalen Abhängigkeit vom Täter, das Geschehen aufzudecken. Im Laufe der Zeit steigert sich die Intensität der Handlungen mit dem Ziel der Penetration.

Der Täter kennt in den meisten Fällen den Alltag des Opfers ganz genau und hat kein Problem, Tag und Ort des Verbrechens zu bestimmen. Der manchmal nur zaghafte passive oder aktive Widerstand des Kindes wird vom Täter und der Umwelt ignoriert. Dies erreicht er dadurch, dass er versucht die Wahrnehmung des Kindes zu „vernebeln“ und die sexuellen Übergriffe als Ausdruck der Zuneigung, Zärtlichkeit, Pflege oder Sorge um die körperliche Entwicklung des Kindes rechtfertigt (Enders 2003:79-80). Darüber hinaus versuchen die Täter ihre Opfer systematisch von deren Bezugspersonen zu isolieren, um die absolute Kontrolle über das Verbrechen zu behalten (Enders 2003:84-84). Sie erklären den Missbrauch als ihr „gemeinsames Geheimnis“, wobei sie damit das Kind mitverantwortlich für das Geschehen machen. Dadurch lösen sie beim Opfer Scham- und Schuldgefühle aus, die oftmals ausreichen, das Geschehen unentdeckt zu lassen. In einigen Fällen wird das Schweigen durch extreme Gewalt und psychischen Druck erpresst.

1.4 Ursachen des sexuellen Missbrauchs

Es gibt unterschiedliche Erklärungsansätze hinsichtlich der Ursachen für sexuelle Gewalt. Im Folgenden werde ich die zwei gängigsten Ansätze, die sich in der neueren Diskussion zunehmend behaupten, vorstellen.

1.4.1 Feministische Ursachenanalyse

Dieser Erklärungsansatz hatte seinen Ursprung Anfang der 70er Jahre in den USA und wird seit dem ständig weiterentwickelt. Er ist der erste Ansatz, der sexuellen Missbrauch nicht als unvorhersehbares Ereignis darstellt, sondern das Verbrechen in einen engen Zusammenhang mit gesellschaftlichen Strukturen stellt.

Aus feministischer Sicht liegt die Wurzel des sexuellen Missbrauchs im bestehenden patriarchalen Gesellschaftssystem, wonach die Männer die obersten Plätze der Rangordnung einnehmen und die Frauen und Kinder auf den unteren Positionen zu finden sind. Dort, wo die Machtunterschiede am gravierendsten sind, setzen sich Machtmissbrauch und Gewalt am einfachsten durch. Dieser Machtmissbrauch findet häufig Ausdruck in sexuellem Missbrauch.

Nach Vorstellung der Frauenrechtlerinnen ist der Mann dem Mädchen in doppelter Hinsicht überlegen. Zum einen durch den bestehenden Altersunterschied und zum anderen durch das gesellschaftlich existierende Machtgefälle zwischen Mann und Frau (Born 1994:31). Bei diesem Ansatz ist der Missbrauch kein sexuelles Problem, sondern ein Machtproblem. Männer beabsichtigen ihre Überlegenheit und Dominanz zu präsentieren, wobei es ihnen hierbei in erster Linie um Machtbefriedigung geht und nicht um die Befriedigung sexueller Bedürfnisse.

An diesem Erklärungsansatz ist zu kritisieren, dass dieser nicht den sexuellen Missbrauch an Jungen in Betracht zieht und auch weibliche Täter ausschließt. Es werden hauptsächlich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erläutert, die sexuelle Gewalt verursachen; die Motivation des Täters wird nicht untersucht. Bei diesem Erklärungsansatz ist festzustellen, dass durch die starke Beschränkung auf die gesellschaftlichen Bedingungen eine umfassende Ursachenanalyse verhindert wird (Born 1994:31).

1.4.2 Familiendynamischer Ansatz

Nach dem familiendynamischen Ansatz wird die Ursache des sexuellen Missbrauchs einer familiären Dysfunktion, die mit einem vorherrschenden Sexualkonflikt zwischen den Ehepartnern einer Familie einhergeht, zugesprochen (Born 1994:29).

„Die Diffusität äußert sich sowohl in der intrafamiliären Rollenverteilung als auch bezüglich der Generationsgrenzen“ (Koch/Kruck 2000:17).

Der Vater ist emotional stark von seiner Frau abhängig und nicht fähig eine Sexualbeziehung außerhalb der Familie zu führen. Wenn die Partnerin seinen sexuellen Bedürfnissen nicht genügt und sie ihre Rolle innerhalb der Familie nicht angemessen erfüllt, vergeht er sich an der eigenen Tochter. Diese gefühlsmäßige Abhängigkeit des Vaters von der Partnerin wird als ein missbrauchsbegünstigender Faktor beschrieben. Treten ungelöste Sexualkonflikte zwischen den Ehepartnern auf, führt diese Abhängigkeit sekundär zum Missbrauch (Koch/Kruck 2000:17).

Weiterhin wird eine schlechte Mutter-Tochter-Beziehung als ein missbrauchsbegünstigender Faktor beschrieben (Koch/Kruck 2000:17).

Der Missbrauch kann, der Theorie zufolge, zwei Funktionen innerhalb eines Familiensystems erfüllen. Er erhält zum einen die Funktion der Konfliktvermeidung in Familien, in denen Sexualität ein Tabuthema ist. Die Konflikte der Eltern in ihrer sexuellen Beziehung werden auf die Tochter übertragen, die dann die Rolle der Sexualpartnerin übernehmen muss. Zum anderen kann der Missbrauch als Konfliktregulierung für gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den Eltern dienen. Die Tochter wird von der Mutter „geopfert“, um dem aggressiven Verhalten des Ehemannes zu entfliehen (Gutjahr/Schrader 1990:25). Der sexuelle Missbrauch wird somit als Überlebensmechanismus beschrieben, der dazu dient die familiären Strukturen aufrechtzuerhalten (Brockhaus/Kolshorn 1993:212).

Da dieser Ansatz sehr umstritten ist, sind hier nur die häufigsten Kritikpunkte bezüglich dieser Theorie zusammengefasst. Die Ursache des sexuellen Missbrauchs beschränkt sich bei der Erklärung lediglich auf den innerfamiliären Sexualkonflikt und gesellschaftliche Hintergründe bleiben unberücksichtigt. Dem außerfamiliären Missbrauch werden somit automatisch andere Ursachen zugesprochen.

Weiterhin wird nur der innerfamiliäre Missbrauch beachtet, der sich ausschließlich auf weibliche Opfer und männliche Täter beschränkt. Das Familienväter auch zusätzlich Kinder außerhalb der Familie missbrauchen können wird ebenfalls außer acht gelassen. Darüber hinaus wird dem Täter der Opferstatus zugesprochen, der willensschwach und abhängig von seiner Frau, gar nicht anders handeln kann, als die eigene Tochter zu missbrauchen. Das Missbrauchsverhalten wird also als Lösungsversuch für seine Partnerschaftsprobleme entschuldigt. Der Mutter hingegen wird vorgeworfen den sexuellen Erwartungen des Mannes nicht zu genügen und somit das Kind in die Missbrauchssituation zu drängen. Weiterhin wird eine schlechte Mutter-Kind- Beziehung als Auslöser für den sexuellen Missbrauch genannt, wobei in diesem Zusammenhang nicht hinterfragt wird, ob nicht wohlmöglich der Täter durch Intrigen diese Spannungen verursacht (Enders 2003:37).

Darüber hinaus kritisiert der feministische Ansatz an der familiendynamischen Theorie, dass eher die Folgen als die Ursachen dargestellt werden. Die Feministin Rijnaarts erklärt:

„Was ist zuerst da – der sexuelle Missbrauch oder die Probleme der Familie? Die familiendynamische Theorie versteht sich als Theorie über die Ursachen des Vater-Tochter-Inzests, vermittelt in Wirklichkeit aber Einsicht in dessen Folgen“ (Rijnaarts 1991:158).

[...]

Fin de l'extrait de 50 pages

Résumé des informations

Titre
Analyse des Buches 'Gute Nacht, Zuckerpüppchen' von Heidi Hassenmüller zum Thema sexuelle Gewalt in Kinder- und Jugendbüchern
Université
University of Münster  (Institut für Deutsche Sprache,Literatur und ihre Didaktik)
Cours
Gewalt gegen Kinder/Hauptseminar
Note
1,5
Auteur
Année
2004
Pages
50
N° de catalogue
V29996
ISBN (ebook)
9783638313667
Taille d'un fichier
640 KB
Langue
allemand
Mots clés
Analyse, Buches, Gute, Nacht, Zuckerpüppchen, Heidi, Hassenmüller, Thema, Gewalt, Kinder-, Jugendbüchern, Gewalt, Kinder/Hauptseminar
Citation du texte
Maraike Sittartz (Auteur), 2004, Analyse des Buches 'Gute Nacht, Zuckerpüppchen' von Heidi Hassenmüller zum Thema sexuelle Gewalt in Kinder- und Jugendbüchern, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29996

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