Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Der Niedriglohnsektor in Deutschland
3. Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland
3.1 Aktuelle Diskussion um den Mindestlohn
3.2 Verschiedene Formen von Mindestlöhnen
3.3 Wissenschaftliche Meinungen zu Mindestlöhnen
3.3.1 Jahresgutachten des Sachverständigenrats 2006/
3.3.2 Empirische Ansätze zur Analyse von Mindestlöhnen
3.3.3 Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung
3.3.4 Studie von Klaus Bartsch Econometrics
4. Mindestlohneffekte am Beispiel von Frankreich und England
4.1 Ausgestaltung der Mindestlöhne
4.2 Einfluss auf die Verteilung des Erwerbseinkommens
4.3 Auswirkungen auf das Beschäftigungsniveau
5. Schluss
Literaturverzeichnis und weiterführende Literatur
1. Einleitung
Das Thema Mindestlohn, welches seit Jahren zur Debatte steht, spaltet nicht nur die Politik, sondern auch die Wissenschaft. Die vorgetragenen Argumente, sind in den meisten Fällen die Gleichen. Die Befürworter betonen vorwiegend arbeitnehmerschutzrelevante und sozialpolitische Gründe, während die Gegner stets betonen, dass genau diese Ziele durch einen Mindestlohn verfehlt werden und zusätzlich die Arbeitslosigkeit gesteigert wird.[1] Die empirischen Studien die zum Thema Mindestlohn in Auftrag gegeben wurden, kommen ebenfalls zu keinem eindeutigen Ergebnis. Doch selbst wenn es wissenschaftlich bewiesen wäre, dass durch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns Arbeitsplätze verloren gingen, wäre dies kein Grund das Thema Mindestlohn zu begraben. Denn in diesem Fall geht es nicht nur um die Arbeitsmarktpolitik, sondern auch um die Lohnpolitik. Robert Reich hat sich in einem Interview der Berliner Zeitung zum Thema Mindestlohn in Deutschland geäußert. Reich war Arbeitsminister unter Bill Clinton und Hochschullehrer in Harvard. Er sagte damals der Berliner Zeitung: „Von einem engen ökonomischen Standpunkt aus gesehen macht ein zu hoher Mindestlohn Arbeit teurer und das kann zu Entlassungen führen. Aber ist das das Ende der Diskussion? Nein! Denn auch wenn ein Mindestlohn Jobs vernichtet, so dient er doch anderen Zielen, zum Beispiel das weitere Sinken des Lohnniveaus zu verhindern. Arbeitsplätze sind nicht alles…“[2]
Diese Arbeit soll einen Überblick über das Thema Mindestlohn in Deutschland bieten und aufzeigen welche Risiken, aber auch welche Chancen eine Einführung mit sich bringt. Es wird zunächst die aktuelle Entwicklung des Niedriglohnsektors in Deutschland analysiert, welche dazu führt, dass das Thema Mindestlohn immer stärker in den Fokus der Politik rückt. Hiernach werden aktuelle Studien in Deutschland und dem Ausland aufgezeigt und überprüft. Abschließend werden Erfahrungen aufgezeigt, welche bereits in Europa mit der Einführung eines Mindestlohns gemacht wurden und ein Ausblick gegeben, wie sich das Thema gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland entwickeln könnte.
2. Der Niedriglohnsektor in Deutschland
Ein Grund für die Forderung nach einem Mindestlohn ist die aktuelle Entwicklung des Niedriglohnsektors in Deutschland, insbesondere in den neuen Bundesländern. Es gibt keine allgemeingültige Definition von Arbeitsverhältnissen die in den Niedriglohnsektor fallen, aber es wird von einer Beschäftigung im Niedriglohnsektor gesprochen, wenn der Beschäftigte weniger als zwei Drittel des Medianlohns erhält.
Abbildung 1: Zahl der Niedriglohnbeschäftigten in Deutschland
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: SOEP/IAQ
In Abbildung 1 ist die Entwicklung des Niedriglohnsektors zwischen den Jahren 1995 und 2008 zu sehen. Die Zahl der Niedriglohnbeschäftigten hat sich in diesen Jahren von 4.42 Millionen auf 6.55 Millionen erhöht. Ein Grund hierfür ist die Schaffung von atypischen Beschäftigungsverhältnissen, welche sich in letzter Zeit immer mehr ausbreiten.[3] Unter atypischer Arbeit wird jedes Arbeitsverhältnis verstanden, das nicht unter den Begriff des sogenannten Normalarbeitsverhältnisses fällt. Das bedeutet, jedes Arbeitsverhältnis das nicht unbefristet und keine Vollzeitarbeit ist.[4]
Da deswegen sehr viele verschiedene Formen von Arbeitsverhältnissen unter den Begriff atypisch fallen, muss hier auch eine Unterscheidung getroffen werden. Die Ausbreitung der Teilzeitarbeit hat eine große Zahl von neuen Arbeitsplätzen geschaffen, welche vor allem Frauen besetzten, die auch nur halbtags arbeiten wollen und keine Ganztagesstelle suchen. Es gibt allerdings auch prekäre Beschäftigung, welche meist mit atypischer Beschäftigung gleichgesetzt wird. Welche Arbeitsverhältnisse prekär sind, ist in der Literatur nicht genau definiert. Es ist aber verbreitet, dass ein Arbeitsverhältnis als prekär gilt, wenn ein vergleichsweise geringer Grad an Arbeitsplatzsicherheit herrscht, es eingeschränkten Schutz bzw. Absicherung durch einen Tarifvertrag gibt und es keinen Zugang zu sozialen Sicherungssystemen gibt.[5]
Diese prekären Arbeitsverhältnisse haben in letzter Zeit immer mehr zugenommen. Einige Beispiel hierfür werden nun kurz erläutert.
Zum einen wäre hier die Scheinselbstständigkeit zu nennen. Unter dem Druck der Kostensenkungen, welche immer wieder von Unternehmen durchgeführt wurden, haben zum Beispiel LKW-Fahrer gelitten. Die Arbeitgeber haben die LKW-Fahrer mehr oder weniger genötigt sich selbstständig zu machen um sie von den Gehaltslisten streichen zu können. Gleichzeitig haben die LKW-Fahrer aber keine anderen Auftragsgeber als den früheren Arbeitgeber, der nun die Preise diktieren kann. Diese Gruppe von Scheinselbständigen wird auf mehrere Hunderttausend geschätzt.[6]
Ähnlich sieht es bei den sogenannten Ein-Euro-Jobs aus. Durch die Hartz-IV Regelungen kann die Arbeitsverwaltung einem Arbeitslosen einen solchen Job zuweisen, welchen dieser annehmen muss, um keine Kürzung oder sogar komplette Streichung der Arbeitslosenbezüge zu riskieren. Diese Arbeit ist aber nicht von Dauer, sondern zeitlich begrenzt. Erste Evaluierungen zeigen, dass solche Ein-Euro-Jobs nur sehr selten eine Brücke in den normalen Arbeitsmarkt sind.[7]
Auch das in Deutschland weit verbreitete Praktikum hat sich sehr verändert. Früher wurden Praktika vor allem während der Schul- oder Studienzeit für mehrere Wochen oder Monate abgeleistet, um erste Einblicke in die Arbeitswelt zu erhalten. Heutzutage arbeiten Praktikanten oft nach einer kurzen Einarbeitung schon das Pensum eines Vollzeitbeschäftigten, ohne dafür eine gerechte Bezahlung zu erhalten und oft sogar umsonst, da sie auf einen Job im ersten Arbeitsmarkt hoffen.[8]
Einen wahren Boom haben in letzter Zeit die sogenannten Mini-Jobs erfahren. Diesen Namen haben sie erhalten, weil sie auf 400 Euro im Monat und maximal 15 Wochenstunden begrenzt waren. Die Begrenzung der Arbeitszeit ist in der Zwischenzeit aufgehoben. Für den Arbeitgeber haben diese Jobs den Vorteil, dass er deutlich reduzierte Sozialabgaben bezahlen muss, sowie eine pauschalisierte Lohnsteuer. Diese Subventionierung der Arbeitgeber hat dazu geführt, dass oft ein Vollzeitbeschäftigter durch zwei 400 Euro-Jobber ersetzt wurde, da das Unternehmen so große Einsparung vornehmen kann.[9]
Eine Verbindung zwischen den reduzierten Sozialabgaben der Mini-Jobs und dem normalen Abgabensatz bilden die Midi-Jobs, welche von 400 Euro bis 800 Euro Monatsverdienst reichen. Auch diese Erwerbsquelle bleibt im Normalfall nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben unter dem Arbeitslosengeld, welches die Person zusätzlich zum Wohnungsgeld erhalten würde.[10]
Doch auch in der Vollzeitarbeit gibt es zahlreiche und wachsende Niedriglohnbereiche, insbesondere in Ostdeutschland. Besonders in der Dienstleistungsbranche sind diese Jobs zu finden. Dies sind insbesondere Verkäufer(innen), Friseure und Reinigungspersonal.[11] In diesen Berufen ist es heutzutage nicht, oder nur schwer möglich, eine Familie zu gründen oder als Alleinstehender seine Miete zu bezahlen und vernünftig leben zu können, obwohl in einer Vollzeitstelle gearbeitet wird.
Besonders betroffen von diesen niedrigen Löhnen ist das Hotel- und Gaststättengewerbe. Hier verdienen die Mitarbeiter im untersten Tarifgebiet in Sachsen-Anhalt nur 4.61 Euro die Stunde und damit 798 Euro im Monat. Aber auch in Baden-Württemberg kam die unterste Tarifgruppe mit 7.49 Euro die Stunde und 1265 Euro im Monat, nicht an ein Monatsentgelt von 1300 Euro heran. Doch nicht nur die unterste Tarifgruppe ist schlecht bezahlt, sondern auch das Hotel- und Gaststättengewerbe allgemein, weshalb auch so geringe Entgelte für die unterste Tarifgruppe möglich sind. Insgesamt müssen mehr als 70 Prozent der Beschäftigten mit einem Niedriglohn auskommen[12]
Doch warum wurde der Niedriglohnsektor in Deutschland durch die Politik künstlich vergrößert und hat die Politik ihre gesetzten Ziele damit erreicht?
Ausgangspunkt für die Schaffung des Niedriglohnsektors waren vor allem die hohen Arbeitslosenzahlen Anfang der 90er Jahre. Circa 40 Prozent aller Arbeitslosen waren zu dieser Zeit gering Qualifizierte und Deutschland lag weit über dem Durchschnitt der OECD. Außerdem hatte Deutschland im Vergleich zu den USA vermeintlich zu geringe Lohnunterschiede, also eine zu geringe Lohnspreizung. Das amerikanische Jobwunder diente zu dieser Zeit als Vorbild und somit wurde die geringe Lohnspreizung als Ursache für die hohe Arbeitslosigkeit gesehen.[13]
Das Ziel war es vor allem gering qualifizierte Arbeitslose wieder an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Doch wenn mehrere Studien und eine Ausarbeitung des SOEP betrachtet werden, wird deutlich, dass in Deutschland circa 64 Prozent der im Niedriglohnbeschäftigten eine abgeschlossene Berufsausbildung besitzen und sogar 9 Prozent einen akademischen Abschluss.[14] Somit konkurrieren gering Qualifizierte bei einer möglichen Einstellung in einem Niedriglohnberuf nicht nur mit anderen gering Qualifizierten, sondern auch mit Bewerbern mit Berufsausbildung, der stillen Reserve und auch mit Personen mit begrenztem Erwerbsinteresse, wie zum Beispiel Schüler, Studenten sowie Personen die einen Nebenjob suchen. Es kann deswegen nicht davon ausgegangen werden, dass neu geschaffene Niedriglohnjobs den geringqualifizierten Arbeitslosen helfen wieder in Arbeit zu kommen. Es sollten daher andere Maßnahmen unternommen werden, wie zum Beispiel eine bessere Qualifizierung, da diese noch am besten gegen Arbeitslosigkeit schützt, vor allem beim immer stärker werdenden Fachkräftemangel.[15]
Doch was sind die Folgen des immer weiter wachsenden Niedriglohnsektors? Eine der Folgen ist die stetig steigende Armut in Deutschland. Für den Begriff Armut gibt es in der Literatur viele verschieden Definitionen. Für diese Arbeit wird nur eine Definition verwendet. Eine Person gilt als arm, wenn sie in einem Haushalt lebt, der weniger als 50 Prozent des durchschnittlichen bedarfsgewichteten Pro-Kopf-Einkommens zur Verfügung hat. Bedarfsgewichtet bedeutet, dass zusätzliche Personen im Haushalt nur einen zusätzlichen Bedarf von 70 Prozent haben, da Kostenersparnisse durch gemeinsames wirtschaften entstehen. Kinder unter 15 Jahren haben einen zusätzlichen Bedarf von 50 Prozent.[16] Betrachtet man die Entwicklung von 1991 bis 2006, sieht man, dass sowohl die Zahl der Haushalte unter der Armutsgrenze von 50 Prozent, als auch die Zahl der Haushalte mit Niedrigeinkommen, das in diesem Fall mit 75 Prozent des Medianeinkommens definiert ist, deutlich gestiegen ist. In den neuen Bundesländern hat sich die Armutsquote sogar mehr als verdoppelt und die Quote der Haushalte mit Niedriglohneinkommen ist um 8 Prozentpunkte gestiegen. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich diese Entwicklung bis heute nicht drastisch geändert hat. Abbildung 2 stellt diesen Sachverhalt nochmals grafisch dar. Werden dazu noch relativ aktuelle Zahlen von 2006 betrachtet, zeigt sich, dass die Armutsquote von Arbeitslosen bei etwa 25 Prozent liegt und somit die Arbeitslosen die höchste Quote aufweisen. Die Armutsquote der Erwerbstätigen sieht im Vergleich mit 5.4 Prozent gering aus. Doch darf man sich von den Prozentzahlen nicht täuschen lassen, da 25 Prozent der Arbeitslosen etwa eine Million Menschen sind und 5.4 Prozent von knapp 40 Millionen Erwerbstätigen etwa 2 Millionen.[17]
Abbildung 2: Bevölkerung in Armut und Niedrigeinkommen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
Doch nicht alle 2 Millionen Erwerbstätige leben aus denselben Gründen unter der Armutsgrenze. Nur etwa 40 Prozent der Erwerbstätigen unter der Armutsgrenze sind aufgrund eines niedrigen Bruttolohns arm. Bei circa 15 Prozent liegt es an Steuern und Sozialabgaben, dass sie unter die Armutsgrenze rutschen und bei 55 Prozent liegt es am Haushaltskontext. Haushaltskontext bedeutet, dass eine Person die im Haushalt lebt zwar einen Lohn über der Armutsgrenze erhält, aber durch weitere Familienmitglieder, die entweder keinen oder nur geringen Lohn erhalten, der Haushalt in Armut gerät.
Doch wie sehen die Lösungen für das Problem der steigenden Armut in Deutschland aus?
Die nächstliegende Antwort, welche auch am meisten vorgeschlagen wird, ist die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Der Mindestlohn sorgt dafür, dass die Einkommen der Arbeitnehmer über der Armutsgrenze liegen. Außerdem bietet der Mindestlohn noch weitere Vorteile, zum Beispiel bietet der Mindestlohn Anreize für Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich besser zu qualifizieren. Der Arbeitgeber versucht seine Arbeitnehmer weiterzubilden um dafür zu sorgen, dass ihre Grenzproduktivität über dem Mindestlohn liegt. Der Arbeitnehmer hat selber auch Anreize sich weiterzubilden, da die Chance auf einen Job gering ist, wenn seine persönliche Grenzproduktivität unter dem Mindestlohn liegt.[18]
[...]
[1] Vgl. Schmid (2001)
[2] Löwisch (2008), Seite 1
[3] Vgl. Schäfer (2006), Seite 38
[4] Vgl. Eichhorst/Marx/Thode (2010), Seite 5
[5] Vgl. Brehmer/Seifert (2007), Seite 5
[6] Vgl. Schäfer (2006), Seite 38
[7] Vgl. Schäfer (2006), Seite 39
[8] Vgl. Schäfer (2006), Seite 39
[9] Vgl. Schäfer (2006), Seite 40
[10] Vgl. Schäfer (2006), Seite 40
[11] Vgl. Schäfer (2006), Seite 42
[12] Vgl. Peter (2006), Seite 174
[13] Vgl. Zimmermann (2003), Seite 11
[14] Vgl. Weinkopf (2008), Seite 91
[15] Vgl. Weinkopf (2008), Seite 98
[16] Vgl. Strengmann-Kuhn (2004), Seite 1
[17] Vgl. Strengmann-Kuhn (2004), Seite 3
[18] Vgl. Strengmann-Kuhn (2004), Seite 14