Biographisch-narrative Gesprächsführung. Die Bedeutung des Narrativen und dessen Nutzung im Kontext von Beratung und Therapie


Dossier / Travail, 2014

12 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Biographiearbeit
2.1 Biographie und Lebenslauf
2.2 Biographiearbeit, Biographieforschung

3. Narratives Interview
3.1 Das Narrative
3.2 Methodisches Vorgehen

4. Biographisch- narrative Gesprächsführung im Kontext von Beratung und Therapie

5. Fazit

6. Literatur

1. Einleitung

„Reden hilft!“

Diese Aussage ist im Volksmund bekannt und trifft auch zu. Über ein Ereignis zu erzählen kann Erleichterung schaffen und die Stimmung bessern. Andere Redensarten wie z. B. „sich die Sorgen von der Seele reden“ bestätigen dies. Warum aber das Erzählen über die Vergangenheit hilfreich und heilsam sein kann wird hieraus leider nicht deutlich. Das Erzählen der eigenen Lebensgeschichte ist nicht nur für die Hörer interessant, sondern löst auch Prozesse bei den Erzählenden aus. In dieser Arbeit wird es um die Bedeutung unbewusster Lernprozesse in biographisch-narrativen Gesprächen gehen. Außerdem wird der Unterschied zwischen einem biographisch-narrativen Interview im Forschungskontext und der biographisch-narrativen Gesprächsführung im therapeutischen Kontext erläutert. Zunächst werden deshalb die einzelnen Begriffe definiert und differenziert. Insbesondere das Narrativ wird genauer erläutert und in seiner Bedeutung und Funktion analysiert. Daraufhin wird die Forschungsmethode des narrativen Interviews im Zusammenhang mit der Biographieforschung dargestellt. Schließlich wird darauf aufbauend die biographisch- narrative Gesprächsführung hinsichtlich ihrer Anwendungsbereiche und Grenzen untersucht.

2. Biographiearbeit

Die Auseinandersetzung mit einer Biographie kann z. B. unter Verwendung von Tagebucheinträgen, Briefen, Fotos oder Interviews geschehen. Das Datenmaterial lässt sich am besten qualitativ auswerten, da so der Zugang zu einer fremden Lebenswelt besser gelingt (Hussy et al, 2010). In dieser Arbeit wird der Fokus auf der erzählten Biographie und der Einzelfallanalyse liegen.

2.1 Biographie und Lebenslauf

Im alltäglichen Gebrauch wird zwischen den Begriffen Biographie und Lebenslauf nicht so genau unterschieden, wie es in der Forschung geschieht. Während der Lebenslauf die Abfolge faktischer Lebensereignisse darstellt, handelt es sich bei der Biographie um eine subjektive Konstruktion dieser. Der Lebenslauf wird in der standardisierten Forschung häufig mithilfe einer Sozialstrukturanaylse ausgewertet und gilt dort als gesellschaftliche Institution. Dem entgegen stehen die qualitativen Forschungsmethoden, die sich für die Biographiearbeit am besten eignen. Hier geht es darum, mithilfe einer Fragestellung aber ohne eine konkrete Theorie Datenmaterial zu sammeln und erst daraus Zusammenhänge zu erschließen (Scherr, 2006). Diese Zusammenhänge bilden sich z. B. in der Gegensätzlichkeit zwischen Individuum und Gesellschaft oder zwischen Handlung und Struktur ab (Tiefel, 2004). Die eigene Biographie spiegelt die individuelle Sicht auf die Wirklichkeit wider und gibt Einblick in sozialisierte Strukturen und deren subjektive Bedeutsamkeit. Die Beschäftigung mit der eigenen Biographie, also mit Ereignissen und Gefühlen in der Vergangenheit ist wichtig und dient der Identitätssicherung (Schlüter, 2003). Auf die Auseinandersetzung mit der Biographie wird später noch weiter eingegangen (4.).

2.2 Biographiearbeit, Biographieforschung

In der Biographiearbeit werden lebensgeschichtliche Erzählungen mithilfe qualitativer Forschungsmethoden, wie z. B. das narrative Interview oder das Leitfadeninterview rekonstruiert. Dies bedeutet, dass es keine vorab überlegten Kategorien oder Theorien gibt, die im Datenmaterial überprüft werden. Vielmehr werden einzelne Sequenzen und deren Sinn und Relevanz aus dem Gesamtzusammenhang der Erzählung geschlossen (Rosenthal et al, 2006). Diese Einzelfallanalyse zeigt nicht die wirklichen Lebensfakten des/der Biographieträgers/Biographieträgerin auf, sondern stellt den individuellen Sinn und die Bedeutsamkeit einzelner Ereignisse heraus (Hussy et al, 2010). Es ist nicht von Interesse welche Handlung wann erfolgt ist und welche Personen daran beteiligt waren, sondern wie der/die Biographieträger/in diese einordnet, welchen Sinn er/sie ihnen verleiht und welche Motive dahinter stehen. Durch das Verhältnis der subjektiven Wahrnehmung zur Wirklichkeit gelingt der Zugang zur individuellen Lebenswelt.

In der Biographieforschung geht es nun darum, Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Biographien herzustellen (Bauer, 2009). Diese können bspw. historische und kulturelle Besonderheiten, Unterschiede gesellschaftlicher Gruppen und auch Ursachen für Krankheiten, Störungen etc. aufzeigen. Im erziehungswissenschaftlichen Feld geht es z. B. auch um lern- und bildungstheoretische Auswirkungen des sozialen Wandels (Tiefel, 2004).

3. Narratives Interview

In der Biographiearbeit wird häufig das narrative Interview als Erhebungsinstrument genutzt, welches im Folgenden dargestellt wird (Hussy et al, 2010). Hierbei geht es nicht um eine ausführliche Beschreibung der Methode, sondern vielmehr um eine Erläuterung und die Auseinandersetzung mit dem Vorgehen hinsichtlich Vorteilen und Anwendungsbereichen.

3.1 Das Narrative

Eine Narration (lat.: Erzählung) gilt als „Sinn-Träger“ und „Erfahrungsöffner“ für die Einsicht in die soziale Realität eines Individuums (Kraimer, 2010). Erzählen bedeutet, sich das Vergangene zu vergegenwärtigen, sich zu erinnern. Die Erzählung wird so konstruiert, wie die Person den jeweiligen Handlungen, Personen und Gefühlen einen Sinn zuschreibt und sich selbst in sozialen Strukturen wahrnimmt. Durch diesen Prozess entsteht die narrative Identität (Boothe, 2011). Da es für das Erzählen wichtig ist eine geschlossene Geschichte zu konstruieren, können Erinnerungslücken dazu führen, dass die Erzählung stark von dem wirklichen Geschehen abweicht (Pokora, 2012). Eigene Erinnerungen können sich außerdem mit anderen Erzählungen oder medialen Berichten vermischen (Küsters, 2009). Das Speichern von Inhalten erfolgt hauptsächlich über Emotionen, die jedoch auch durch sozial, kulturell oder religiös geprägte Interpretationen und Bewertungen beeinflusst sein können (Pokora, 2012).

Erzählen ist dynamisch. Der/Die Erzähler/in beginnt zu erzählen, es entwickelt sich eine Geschichte und es folgt ein Ende. Durch den gewählten Anfang der Geschichte entsteht ein Erwartungshorizont, sowohl bei dem/der Hörer/in als auch bei dem/der Erzähler/in. Diese/r durchlebt das Geschehene während des Erzählens neu und reflektiert gleichzeitig die Ereignisse und die damit verbundenen Gefühle. Die subjektive Darstellung der Ereignisse ist immer auch eine Bewertung der beteiligten Personen, Beziehungen und Handlungen (Boothe, 2011).

3.2 Methodisches Vorgehen

Das narrative Interview wurde 1983 von Fritz Schütze entworfen und dient noch heute als Basis für die biografisch-narrative Gesprächsführung. Diese gilt als Unterform des narrativen Interviews und wird besonders in der Psychoanalyse angewandt. Das methodische Vorgehen lässt sich in drei Phasen mit vorangegangener Einleitung einteilen: Zunächst gibt der/die Interviewer/in eine Erzählaufforderung, die den/die Biographieträger/in ohne Wertungen oder Vorgaben zum Erzählen anleiten soll (Hussy et al, 2010). Dabei kann es entweder darum gehen, die ganze Lebensgeschichte zu erzählen oder einen bestimmten Bereich hieraus. Dieser Fokus kann z. B. auf dem Berufsweg des/der Biographieträgers/in liegen (Tiefel, 2011).

Es folgt die Erzählung des/der Biographieträgers/in, die nicht durch Zwischenfragen oder Kommentare des/der Interviewers/Interviewerin unterbrochen werden soll. Durch die freie Erzählung ist die Strukturierung dem/der Biographieträger/in nach seinen/ihren eigenen Relevanzkriterien überlassen. Es kommt jedoch relativ häufig vor, dass der/die Biographieträger/in nur sehr knapp berichtet und es ihm/ihr nicht gelingt vollständig über sein/ihr Leben zu erzählen. Dies kann bspw. daran liegen, dass er/sie sich unsicher fühlt und nicht weiß ob und für was genau sich der/die Interviewer/in interessiert. Dieser/Diese muss nun durch einfühlsame Kommentare oder Aufforderungen Vertrauen schaffen um den/die Biographieträger/in zum Erzählen anzuregen.

Erst im nächsten Schritt werden gezielte Nachfragen zu dem Erzählten gestellt. Diese beziehen sich auf Bereiche, die der/die Biographieträger/in nicht detailliert genug beschrieben oder nur knapp erwähnt hat, jedoch nicht auf Bereiche die gar nicht erzählt wurden (Bauer, 2009). Es lassen sich fünf Fragetypen unterscheiden:

1. Eine Lebensphase ansteuern (z. B. Aufenthalt bei den Großeltern)
2. Einen zeitlichen Rahmen geben (z. B. Kennenlernen eines Freundes)
3. Eine bereits erwähnte Situation ansteuern (z. B. Streit mit der Mutter)
4. Eine argumentative Erzählsequenz ansteuern (z. B. Gefühl der Wut)
5. Eine fremderlebte Erzählsequenz ansteuern (z. B. Erzählung über den Krieg)

Für diese zusätzlichen Informationen kann auch auf das Nachfragen verzichtet und auf andere Forschungsmethoden (z. B. Leitfadeninterview) zurückgegriffen werden (Rosenthal et al, 2006).

In der letzten Phase geht es um eine Bewertung des Erzählten bzw. um erzählexterne Fragen. Diese Phase muss jedoch nicht notwendigerweise durchgeführt werden und richtet sich nach dem Forschungsinteresse (Bauer, 2009).

Das Interview wird mit einem Tonbandgerät aufgenommen, um es für die Auswertung zu transkribieren. Mit diesem Datenmaterial kann nun eine Kategorisierung oder Kodierung vorgenommen werden. Mögliche Kategorien sind z. B. Beziehungen, Selbstbild oder Werte und Normen. Diese stehen jedoch nie für sich, da sie ineinanderfließen. Für die Auswertung ist es nicht wichtig das gesamte Material zu analysieren, sondern vielmehr an einer Sequenz genau zu untersuchen. „Denn biografisches Verstehen vollzieht sich anhand einer Momentaufnahme eines kleinen erzählten Ausschnittes der Biografie des Anderen.“ (Bauer, 2009)

Im ersten Schritt der Auswertung wird deshalb eine formale Textanalyse durchgeführt. Als nächstes folgt eine strukturelle, inhaltliche Beschreibung der einzelnen Prozessabschnitte um die Struktur der Lebenssituationen herauszuarbeiten. Diese wird im nächsten Schritt analytisch abstrahiert, d. h. die detaillierten Ergebnisse werden in einen biographischen Gesamtzusammenhang gebracht. In der folgenden Wissensanalyse kann nun die eigentliche Interpretation erfolgen. Der nächste Schritt, der kontrastive Vergleich, wird in der Biographieforschung eingesetzt, wenn es darum geht mehrere Biographien miteinander zu vergleichen und die gewonnen Kategorien und Ergebnisse zu überprüfen. Im letzten Schritt, der Konstruktion eines theoretischen Modells, werden diese Unterschiedlichkeiten aufeinander bezogen (Schütze, 1983).

Die Prozesshaftigkeit der Methode entsteht durch den qualitativen Zugang; das Forschungsdesign entwickelt sich und ist nicht vorgegeben (Küsters, 2009). Deshalb ist das Deutungsvermögen des/der Forschers/Forscherin von großer Bedeutung. Er/Sie muss nicht nur zwischen berichtenden, erzählenden und argumentativen Sequenzen unterscheiden können, sondern diese auch interpretieren. Eine berichtende Sequenz kann bspw. auf Teilnahmslosigkeit während der vergangenen Handlung, auf eine traumatische Erfahrung oder auf eine mangelnde Perspektiveinnahme hinweisen. Während hinter einer argumentativen Sequenz eine Rechtfertigung oder das Bedürfnis nach Anerkennung stehen kann. Besonders schwierig ist es, nicht Erzähltes zu deuten bzw. es überhaupt zu erkennen. Denn obwohl ein/e Erzähler/in eine große und evtl. bedeutsame Phase seines/ihres Lebens ausgelassen hat, ist seine/ihre Geschichte schlüssig. Wichtig ist es, den Erzählanfang genauer zu betrachten, da sich hier der Erzählraum in Form einer Rahmung abbildet und eine erste Prozessstruktur erkennbar wird. Eine weitere Schwierigkeit stellt sich dar, wenn der/die Biographieträger/in in seiner/ihrer Vergangenheit therapeutisch oder pädagogisch beraten wurde, da hier die subjektiven Bewertungen neu konstruiert wurden (Schlüter, 2008).

4. Biographisch- narrative Gesprächsführung im Kontext von Beratung und Therapie

In der biographisch-narrativen Gesprächsführung wird die Forschungsmethode des narrativen Interviews auf Bereiche der pädagogischen, beraterischen und sozialen Arbeit übertragen. Der Aufbau in drei Phasen bleibt dabei bestehen, wobei es in der Gesprächsführung mehr auf die Haltung des/der Therapeuten/in ankommt, als auf die genaue Einhaltung der Regeln (Rosenthal, 2002).

[...]

Fin de l'extrait de 12 pages

Résumé des informations

Titre
Biographisch-narrative Gesprächsführung. Die Bedeutung des Narrativen und dessen Nutzung im Kontext von Beratung und Therapie
Université
University of Hamburg
Cours
Komplexe Methoden qualitativer empirischer Untersuchung
Note
1,7
Auteur
Année
2014
Pages
12
N° de catalogue
V300707
ISBN (ebook)
9783656969068
ISBN (Livre)
9783656969075
Taille d'un fichier
569 KB
Langue
allemand
Mots clés
Biographiarbeit, Lebenslauf, Biographieforschung, Narratives Interview, Beratung, Therapie
Citation du texte
Liza Springub (Auteur), 2014, Biographisch-narrative Gesprächsführung. Die Bedeutung des Narrativen und dessen Nutzung im Kontext von Beratung und Therapie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/300707

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