Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Forschungsstand
3. Forschungsdesign
4. Begriffe
5. EU-Partnerschaft mit der Ukraine
5.1 Das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der unabhängigen Ukraine
5.2 Die Europäische Nachbarschaftspolitik
5.3 Das Europäische Nachbarschaftsinstrument als Finanzierungsinstrument der ENP-Maßnahmen
5.4 Die Östliche Partnerschaft als Sonderform der ENP
6. Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine
7. EU-Maßnahmen zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine
7.1 Die Umsetzung des TAIEX-Programms
7.2 EU-Unterstützung bei der Reform des Justizsektors
8. Die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in empirischer Betrachtung
8.1 Demokratiebarometer als Anhalt von Demokratiequalität
8.2 Vertrauen in die ukrainischen Polizeibehörden
8.3 Vertrauen in das ukrainische Rechtssystem
9. Zusammenhänge zwischen der Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine und darauf bezogenen EU-Politik
10. Intervenierende Variablen
10.1 Die Ukraine als „nahes Ausland“ der Russischen Föderation
10.2 Die multivektorale Ausrichtung der ukrainischen Außenpolitik
11. Zusammenfassung
12. Literaturverzeichnis
13. Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
„The 2004 Orange Revolution marked Ukraine’s departure from authoritarianism rather than advent of liberal democracy.” (Riabchuk, 2009, S. 273)
Die Orangene Revolution stellt aus Riabchuks optimistischer Perspektive den Beginn des Verfalls der autoritären Herrschaft in der Ukraine dar. Riabchuk relativiert zugleich jedoch die Aussichten auf eine zügige Demokratisierung des postsowjetischen Landes. Diese Beurteilung deckt sich mit der bis heute aktuellen Einschätzung der Situation in der Ukraine, wie sie zum Beispiel in einer Agenturmeldung der Deutschen Presse-Agentur vom 27. April 2015 verbreitet wurde. Der EU-Ratspräsident Donald Tusk rief demzufolge die „krisengeschüttelte Ukraine zu dringend benötigten Reformen“ (dpa, 2015) auf. Jean-Claude Juncker betonte als Präsident der EU-Kommission, dass die Reformen schmerzhaft sein würden, aber insbesondere im Bereich der Korruptionsbekämpfung vorangetrieben werden müssten (vgl. ebd.). Auch zehn Jahre nach der Orangenen Revolution rangiert die Ukraine auf Platz 142 des Corruption Perception Indexes der nichtstaatlichen Organisation Transparency International – von 175 betrachteten Ländern (vgl. Transparency International, 2015).
Trotz dieser offenbar stagnierenden Demokratisierungsentwicklung der Ukraine, schreibt Gerhard Simon der europäischen und nordamerikanischen Demokratieförderung dagegen eine gewisse positive Wirkung zu (vgl. Simon, 2009, S. 311).
Vor diesem Hintergrund erscheint die Analyse der tatsächlichen Wirkung von durch externen Akteuren initiierten Maßnahmen zur Demokratisierung der Ukraine als wissenschaftlich relevant. Die Europäische Union (EU) ist einer der wesentlichen externen Akteure, die eine Demokratisierung der Ukraine unterstützen. Insbesondere die Förderung der Rechtsstaatlichkeit stellt dabei einen häufig betonten Schwerpunkt der EU-Maßnahmen zur Demokratieförderung in der Ukraine dar.
In theoretische Hinsicht ergibt sich die Relevanz der Arbeit aus der mangelnden Verfügbarkeit von Studien zum Einfluss externer Demokratisierungsfaktoren in Bezug auf die Rechtsstaatsentwicklung in der Ukraine. In praktischer Hinsicht ergibt sich zudem die Möglichkeit einer Wirkungsanalyse der von der EU grundsätzlich umgesetzten Demokratisierungspolitik in EU-Nachbarstaaten, speziell bezogen auf den Erfolg der Maßnahmen in der Ukraine. Dabei ist es von Interesse in welcher Hinsicht erfolgreiche Ansätze zu erkennen sind beziehungsweise welche anderen Entwicklungen in Zusammenhang mit den EU-Maßnahmen gebracht werden können.
Zuerst wird dabei der aktuelle Forschungsstand vorgestellt, einerseits hinsichtlich der politikwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Ansatz der externen Demokratisierung innerhalb der Transformationsforschung und andererseits in Bezug auf die Erforschung der Entwicklung der Demokratisierung der Ukraine und diese Entwicklung beeinflussende externe Einflussfaktoren (vgl. Kapitel 2). Anschließend erfolgt die Vorstellung des Forschungsdesigns, aufbauend auf einen Ansatz von Michael McFaul zum Einfluss externer Faktoren auf die Demokratisierung der Ukraine (vgl. Kapitel 3). Der Fokus ist hierbei auf den Einfluss der EU-Maßnahmen zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine ausgerichtet. Die wesentlichen Begriffe, die als Grundlage der Arbeit dienen und die zum Verständnis relevant sind, werden danach vorgestellt (vgl. Kapitel 4). Im folgenden Abschnitt erfolgt die Einführung in die Rahmenbedingungen der Partnerschaft zwischen der EU und der Ukraine und die Entwicklung dieser Partnerschaft seit der Implosion des Kommunismus (vgl. Kapitel 5). Die wesentlichen Phasen werden dabei anhand des grundlegenden Partnerschafts- und Kooperationsabkommens aus den 1990er (vgl. Kapitel 5.1), der von der EU angestrebten Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) aus der Zeit nach der Orangenen Revolution (vgl. Kapitel 5.2) und der weiterführenden Östlichen Partnerschaft als Spezialform der Europäischen Nachbarschaftspolitik identifiziert und näher erläutert (vgl. Kapitel 5.3). Das folgende Kapitel stellt die Entwicklung und Probleme der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine vor (vgl. Kapitel 6). Die von der EU initiierten Maßnahmen zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine sollen im folgenden Abschnitt exemplarisch anhand von zwei Maßnahmen näher beschrieben werden (vgl. Kapitel 7). Zuerst erfolgt die Erläuterung des TAIEX-Programms, bezogen auf die Tätigkeit in der Ukraine (vgl. Kapitel 7.1). Als zweites Beispiel wird die EU-Unterstützung der Ukraine bei der Reform des Justizsektors aus dem Jahr 2010 näher betrachtet (vgl. Kapitel 7.2). Im nächsten Kapitel wird die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine empirisch anhand von Daten des Demokratiebarometers und Vergleichsergebnissen des Razumkov-Centres dargestellt (vgl. Kapitel 8). Nach einer kurzen Einführung in die theoretische Ausrichtung des Demokratiebarometers (vgl. Kapitel 8.1), konzentrieren sich die folgenden zwei Abschnitte auf die Entwicklung des Vertrauens in die ukrainischen Polizeibehörden (vgl. Kapitel 8.2) und des Vertrauens in das ukrainische Rechtssystem (vgl. Kapitel 8.3). Im daran anschließenden Abschnitt sollen die empirischen Ergebnisse mit den Politikenphasen und den dargestellten Beispielen der EU zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit zusammengeführt werden, um mögliche Zusammenhänge feststellen zu können (vgl. Kapitel 9). Danach werden die für die Arbeit im Wesentlichen relevanten intervenierenden Variablen berücksichtigt, die umgesetzte EU-Maßnahmen beeinflussen können (vgl. Kapitel 10). Dieses Kapitel umfasst die für die EU-Maßnahmen kontraproduktiven Einflüsse Russlands auf die Ukraine (vgl. Kapitel 10.1) und die innenpolitischen Gegebenheiten, die zur Verfolgung einer multivektoralen Außenpolitik führen (vgl. Kapitel 10.2). Abgeschlossen wird die Arbeit mit einer Zusammenfassung, in der die wesentlichen Erkenntnisse und ein Ausblick für die weitere Erforschung der Fragestellung dargelegt werden (vgl. Kapitel 11).
2. Forschungsstand
„Die akademische Auseinandersetzung mit dem Komplex der Demokratieförderung ist noch jung. Eine allgemeine Theorie der Demokratieförderung liegt nicht vor. Erfahrungen, vergleichende Evaluationen von Strategien, Verläufen und Wirkungen externer Demokratieförderung gibt es nur wenige. Und wenn es sie gibt, sind sie theoretisch kaum generalisiert und empirisch unzureichend gesättigt.“ (Merkel, 2010, S. 437)
Entsprechend dieses Ausspruches Merkels stellt die Erforschung des Einflusses externer Akteure auf die Transformation von autoritären politischen Systemen zu demokratischen politischen Systemen keinen Schwerpunkt in der Politikwissenschaft dar. Die Literatur zur Evaluation externer Demokratisierung ist entsprechend begrenzt (vgl. McFaul, 2007, S. 46). Erst mit der Erhöhung der US-amerikanischen Demokratisierungshilfen in den 1990er Jahren und der von Antje Kästner als positiv erachteten Rolle der EU bei der Demokratisierung postkommunistischer Staaten in Osteuropa, habe sich die politikwissenschaftliche Aufmerksamkeit bezüglich externer Einflüsse zur Demokratieförderung erhöht (vgl. Kästner, 2015, S. 494). Auch Thomas Ambrosio konstatiert eine ausschlaggebende Rolle der EU beim Ausbau und der Verstärkung der demokratischen Entwicklung in Osteuropa (vgl. Ambrosio, 2009, S. 12). Noch 1991 erachtete Geoffrey Pridham den Einfluss auf die Demokratisierung durch externe Akteure als “the forgotten dimension in the study of democratic transition“ (Pridham, 1991, S. 1). Grundsätzlich sei jedoch unproblematisch, die internationale Dimension als relevant für die erfolgreiche Umsetzung der Demokratisierung zu betrachten (vgl. ebd., S. 21). Die Identifizierung explizierter Verbindungen zwischen internationalen Akteuren und der Transformationsstaaten lässt sich ebenso einfach bewerkstelligen (vgl. ebd.). Allerdings stellt sich die hauptsächliche Herausforderung bei der Analyse von kausalen Wirkungsmechanismen zwischen interagierenden internationalen Einflussfaktoren und nationalen Prozessen. Dies stellt in der Gesamtheit einen komplexen und dynamischen Prozess dar, der sich folglich nur schwer analysieren lässt (ebd.). Im Hinblick auf den Einfluss externer Akteure müssten die betrachteten Länderbeispiele daher dahingehend differenziert werden, wie die internationalen Akteure, die Einflussintensitäten und die unterschiedlichen zeitlichen Kontexte sowie Transitionsphasen variieren (vgl. ebd., S. 26).
3. Forschungsdesign
Die zentrale Fragestellung der Arbeit lautet vor dem Hintergrund: Inwiefern konnten EU-Maßnahmen zur Förderung von Rechtsstaatlichkeit eine positive Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine bewirken?
Die unabhängige Variable stellen die von der EU im Rahmen der Partnerschaft mit der Ukraine angestrebten Maßnahmen zur Förderung des Rechtsstaats in der Ukraine dar. Die unabhängige Variable ist in den unterschiedlichen Phasen der externen Förderung durch die EU zu unterscheiden.
Als abhängige Variable wird die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine angesehen. Dabei wird einerseits zwischen der Entwicklung des Vertrauens in die ukrainischen Polizeibehörden und der Entwicklung des Vertrauens in das ukrainische Rechtssystem unterschieden.
Bei der Betrachtung möglicher kausaler Wirkungsmechanismen zwischen abhängiger und unabhängiger Variabel sind jedoch auch intervenierende Variablen zu berücksichtigen, die Kausalitäten verstärken oder konterkarieren können. In Bezug auf die externe Demokratieförderung in der Ukraine fallen neben der EU als externe Einflussfaktoren insbesondere die Russische Föderation, die USA oder auch die Weltbank ins Gewicht. Im Rahmen dieser Arbeit fließt aber nur der als negativ angenommene Einfluss der Russischen Föderation in die Betrachtung ein. Zusätzlich müssen innere Einflussfaktoren wie die innenpolitischen Rahmenbedingungen als intervenierende Variable betrachtet werden. Denn hinsichtlich des Erfolgs externer Maßnahmen zur Demokratisierung muss von der notwendigen Compliance des Zielstaates ausgegangen werden.
Von Beginn an muss daher die von McFaul beschriebene Gefahr möglicher Scheinkausalitäten berücksichtigt werden (vgl. McFaul, 2007, S. 46). McFaul verweist auf die Schwierigkeit, einen Politikbereich, der einer Demokratisierungsstrategie externer Akteure unterliegt, von anderen Politikbereichen zu isolieren. Seiner Ansicht nach würde dies die Bewertung von Fortschritten der Demokratisierung auf nationaler Ebene verhindern (vgl. ebd.). Zur Berücksichtigung dieser Kritik muss von Vornherein davon ausgegangen werden, dass die Ergebnisse einer solchen, auf eine Policy konzentrierten Analyse, nur Rückschlüsse über die demokratische Entwicklung genau dieses Teilbereiches des betroffenen politischen Systems zulassen.
Die Nullhypothese der Forschungsarbeit ist demzufolge, dass die EU-Maßnahmen zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine keine positive Entwicklung haben oder kein Einfluss zu erkennen ist. Die Alternativhypothese lautet im Umkehrschluss, dass es einen erkennbar positiven Einfluss der von der EU finanzierten Maßnahmen zur Förderung des Rechtsstaats in der Ukraine gibt.
Die Fallauswahl dieser Arbeit beschränkt sich auf die Ukraine. Dies liegt zum einen an der nach wie vor geringen Verfügbarkeit empirischer Daten in postkommunistischen Staaten1, ist aber auch dem Umfang der Arbeit geschuldet.
Zudem kann hier auch der Einschätzung von Gerhard Simon gefolgt werden, der die Ukraine als ein Land beschreibt, das über viele Grenzen hinweg existiert und dadurch eine Sonderstellung hinsichtlich der Transformation darstellt (vgl. Simon, 2009, S. 306).2 Angesprochen seien an dieser Stelle nur die historischen Grenzen zwischen dem lateinischen Westen und dem griechischen Osten sowie die kulturellen Unterschiede aus westlich-polnischer und östlich-russischer Prägung (vgl. ebd.). Simon konstatiert, ein Vergleich mit anderen postkommunistischen Staaten in Osteuropa sei daher nicht möglich (vgl. ebd.). Als ehemalige Sowjetrepublik hat die Ukraine nach der Unabhängigkeitserklärung 1991 demzufolge einen individuellen Transformationsprozess vorzuweisen, der keiner einheitlichen Tendenz folgt und sich daher sowohl durch Fortschritte als auch Rückschritte hinsichtlich der Demokratisierung auszeichnet. Umgeben von Polen, der Slowakei, Ungarn, Rumänien und der Republik Moldau sowie Russland, liegt die Ukraine zwischen der EU und Russland. Als Nicht-Mitgliedsstaat der EU ist die Ukraine Zielobjekt der Europäischen Nachbarschaftspolitik, die eine Angleichung der Nachbarstaaten an den acquis der EU anstrebt.
Der Rahmen des Untersuchungszeitraumes der Arbeit beginnt mit der Etablierung der Europäischen Nachbarschaftspolitik. Der Fokus der Untersuchung liegt daher insbesondere auf dem Zeitraum nach 2004, als die ENP-Strategie verabschiedet wurde. Um mögliche Veränderungen infolge der Etablierung der ENP auch in empirischer Hinsicht zu verdeutlichen, beginnt der Untersuchungszeitraum bereits 2002. Damit lassen sich auch mögliche Veränderungen infolge der Orangenen Revolution im Jahr 2004 veranschaulichen. Das Ende des Untersuchungszeitraumes ist auf 2012 ausgerichtet und umfasst damit auch die Neuausrichtung der ENP vom Mai 2011 (vgl. Auswärtiges Amt, 2014).
Als Erklärungsansätze für die Beeinflussung der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine durch externe Akteure sind im Wesentlichen folgende Muster zu berücksichtigen.
Erstens erscheint es für möglich, dass die EU bei einem geringen Mitteleinsatz, auch nur einen geringen Erfolg der Maßnahmen erzielen kann. Zweitens ist es denkbar, dass nur bestimmte Bereiche zielgerichtet unterstützt werden, andere demnach keiner Förderung unterliegen. Dies würde die Wirkung ebenso beeinflussen. Darüber hinaus ist die Compliance des Zielstaates von Relevanz, denn nur ein kooperativer Ansatz kann zu einer nachhaltigen Wirkung der Maßnahmen führen. Letztlich ist es nicht auszuschließen, dass die EU-Maßnahmen zur Förderung der Demokratie, im Speziellen der Rechtsstaatlichkeit, von weiteren externen Akteuren positiv oder negativ beeinflusst wird, wodurch die Erkenntnisse verfälscht werden können.
Die Untersuchungseinheit der Arbeit stellt grundsätzlich die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der Ukraine dar. Dabei wird einerseits die Polizei im Rechtsstaat betrachtet und zum anderen das Rechtssystem inklusive der Gerichte und Staatsanwaltschaft in die Betrachtung einbezogen.
Die Untersuchungskategorien umfassen dagegen die erkennbaren Phasen der Bestrebungen der EU zur externen Demokratisierung der Ukraine. Die Phasen werden anhand der von der EU veränderten Policies identifiziert, um gegebenenfalls Auswirkungen dieser Veränderungen erkennen zu können. Im Wesentlichen können hierbei diese Phasen identifiziert werden:
2002-2004 – autoritäre Phase
2004-2006 – ENP ohne Europäisches Nachbarschaftsinstrument (ENI)
2007-2008 – ENP mit ENI
2009-2010 – ENP mit ENI und Östlicher Partnerschaft
2011-2012 – ENP 2.0
Die Synthese von Untersuchungseinheiten und Untersuchungskategorien ergibt eine Matrixdarstellung, mit der für die unterschiedlichen Phasen der externen Demokratisierungsmaßnahmen, bezogen auf die jeweilige Untersuchungseinheit, bestimmte Wirkungen herausgestellt werden können. Positive, konstante oder negative Entwicklungen sind damit phasengenau darstellbar.
4. Begriffe
Als Grundlage für das weitere Verständnis der Arbeit müssen grundlegende Begriffe definiert werden. Dabei sollen die im Hinblick auf die von der EU umgesetzte externe Demokratisierungspolitik relevanten Begriffe im Mittelpunkt stehen.
Hierbei handelt es sich um das Verständnis der externen Demokratisierung, der Rechtsstaatlichkeit, die im Mittelpunkt der Wirkungsanalyse steht, sowie der von der EU umgesetzten Konditionierungspolitik. In Bezug auf die spezifischen Maßnahmen der EU sollen zudem die in der Europäischen Nachbarschaftspolitik umgesetzten Twinning-Projekte kurz definiert werden.
Während es weitgehend unstrittig ist, dass die innerstaatlichen Rahmenbedingungen von primärer Bedeutung für die Entwicklungsrichtung eines autoritären Regimes sind, bleibt die Frage ungeklärt, welche Gewichtung inneren und externen Faktoren zukommt (vgl. Ambrosio, 2009, S. 11). Externe Demokratisierungsfaktoren sind dabei ein aktiver Wirkungsfaktor zum verstärken interner Kräfte, die eine Demokratisierung anstreben (vgl. ebd.).
Amichai Magen und Michael McFaul identifizieren vier institutionelle Einflussfaktoren, mit denen externe Akteure zur Förderung eines demokratischen Wandels im politischen System eines Ziellandes beitragen (vgl. Magen & McFaul, 2009, S. 11ff.):
1. Kontrolle, im Sinne einer Aufhebung der Souveränität des Zielstaates und der herrschenden Regierungsinstitutionen durch einen externen Akteur, der eine Transformation einleitet (z.B. Besetzung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg);
2. Materielle Anreize, die ohne den Einsatz militärischer Mittel einen Druck zu demokratischen Reformen im Zielstaat ausüben, der durch negative Anreize in Form von Sanktionen und positive Anreize im Sinne von Belohnungen erreicht wird (z.B. osteuropäische Staaten nach dem Ende des Kalten Krieges);
3. Normative Überzeugung, die auf staatliche oder nichtstaatliche Akteure im Zielstaat gerichtet ist, welche demokratische Normen internalisieren und dadurch zu deren Verbreitung beitragen. Im Gegensatz zu materiellen Anreizen werden vorbestimmte nicht-materielle Interessen im Zielstaat fokussiert, die ein Produkt sozialer Strukturen und sozialer Interaktionen darstellen (z.B. „name and shame“-Instrumente im Falle von Zuwiderhandlungen gegen demokratische Normen);
4. Hilfe zur Selbsthilfe, bei der eine Compliance mit demokratischen Normen durch die Weitergabe von Fachwissen und die Verstärkung der Kapazitäten im Zielstaat erreicht werden soll (z.B. Assistenz- und Beratungsnetzwerke).
Thomas Carothers und Nicole Wichmann gehen davon aus, dass bezüglich der Rechtsstaatlichkeit keine eindeutige Definition existiert (vgl. Carothers, 2001, S. 4; vgl. Wichmann, 2010, S. 52).
Das Konzept der Rechtsstaatlichkeit ist so breit angelegt, dass es vielerlei Aktivitäten einschließt (vgl. Carothers, 2001, S. 4). Entsprechend der Ausführungen von Carothers können Programme zur Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit als Bestandteil von Demokratieförderung betrachtet werden (vgl. ebd., S. 6).
Die grundlegende Annahme ist dabei, dass ein unabhängig und effektiv agierendes Justizsystem einen essentiellen Bestandteil einer demokratischen Ordnung darstellt (vgl. ebd.). Zudem sei eine Verbesserung der justiziellen Amtsführung fundamental pro-demokratisch (vgl. ebd.). Dies schließt auch das Strafjustizsystem mit Maßnahmen zur Reform des Strafrechts und Trainingsmaßnahmen für Staatsanwälte, Anwälte und Polizeikräfte ein (vgl. ebd.).
Rache Kleinfeld bezieht sich in neueren Ausführungen auf verbreitete Annahmen innerhalb der modernen Erforschung der Rechtsstaatlichkeit, die einen auf Institutionen gerichteten Ansatz verfolgen (vgl. Kleinfeld, 2006, S. 47). Demzufolge müsse die Rechtsstaatlichkeit als Zustand betrachtet werden, der drei primäre Institutionen einbindet (vgl. ebd.):
1. Gesetze, die in der Öffentlichkeit verbreitet sind und relativ stabil verankert sind;
2. Justizorgane, die in der rechtlichen Argumentation geschult sind, über fundierte Kenntnisse der Gesetze verfügen, und dabei effizient und unabhängig von politischer Manipulation und genereller Korruption an der Rechtsfindung mitwirken;
3. Exekutivorgane, die Urteile durchsetzen und den öffentlichen Frieden und die öffentliche Sicherheit erhalten.
In Bezug auf die externe Demokratisierung umfasst die Konditionierungslogik eine Politik, die zur Beeinflussung der Kosten-Nutzen-Rechnung von autoritären Regimen führt und dabei das Ziel verfolgt, die Umsetzung demokratischer Reformen zu beschleunigen (vgl. Ambrosio, 2009, S. 13). Die an einer Demokratisierung interessierten Staaten setzen dabei eine Mischung von Belohnungen und Bestrafungen ein, um einen demokratischen Regimewandel zu erreichen (vgl. ebd.). Die Belohnungen und Bestrafungen müssen dabei nicht konkret fixiert werden, sondern auch die bloße Möglichkeit der Umsetzung positiver und negativer Anreize kann eine Wirkung erzielen (vgl. ebd.). Die Effektivität der Konditionierung ist dabei von der zusammenhängenden Ausrichtung der Bestrafungen sowie von der Abhängigkeit des Zielstaates von dem demokratiefördernden Staat abhängig (vgl. ebd., S. 14). Außerdem spielt der auf den Zielstaat wirkende Anreiz der Belohnungen eine Rolle bezüglich der Effektivität der Konditionierung (vgl. ebd.).
[...]
1 Die Datensätze des Demokratiebarometers erfassen beispielsweise keine Daten für Georgien und Belarus.
2 Die Bezeichnung Ukraine steht in Verbindung mit dem altrussischen Wort „окраина“, dem Außenbezirk eines Herrschaftsgebietes (Фундаментальная Электронная Библиотека. Русская Литература и Фольклор, 2015). Die Ukraine wird daher häufig als Grenzland bezeichnet.