Die Rezeption der lutherischen Theologie durch Nonnen der Reformationszeit: Ursula von Münsterberg


Hausarbeit, 2012

32 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. „Ursach und Antwort, daß Jungfrauen Klöster göttlich verlassen mögen“
2.1. Geschichtliche Hintergründe
2.2. Kurze Inhaltsangabe

3. „Christliche Ursachen des verlassenen Klosters zu Freyberg“
3.1. Zur Biographie der Ursula von Münsterberg
3.2. Zum damaligen Leben in den Nonnenklöstern
3.3. Ursulas Agitation im Kloster
3.2.1. Schriftenschmuggel
3.2.2. Lutherische Prediger
3.3.3 Appell an die Fürsten
3.4. Auswirkungen auf das Klosterleben
3.5. Entstehung der Schrift
3.6. Der Text
3.6.1. Einleitung
3.6.2 Freiwilligkeit
3.6.3 „Erdichtetes Menschenwerk“
3.6.4 Berufung auf die Schrift
3.6.5. Öffentliches Bekenntnis
3.6.6 Nächstenliebe
3.6.7 Endzeiterwartungen
3.6.8 Unterschiede zwischen Luthers „Ursach und Antwort“ und Ursulas Text

5. Ursulas persönliche Situation: Anfechtungen und Erkenntnisse

6. Schluss

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Im April 1523 erscheint Martin Luthers Schrift „Ursach und Antwort, daß Jungfrauen Klöster göttlich verlassen mögen“, im November 1528 gibt er die Schrift „Christliche Ursachen des verlassenen Klosters zu Freyberg“ von Ursula von Münsterberg, einer geflüchteten Nonne, in den Druck. Beide Texte setzen sich mit der Frage auseinander, wann und inwiefern es für Nonnen gerechtfertigt sei, ihre Gelübde zu brechen und das Kloster zu verlassen. Die Schrift der Ursula von Münsterberg wurde in der Sekundärliteratur bis jetzt noch nicht sehr ausführlich behandelt1. Interessant an Ursulas Text ist, dass sie, die eine offensichtlich sehr gebildete Nonne war, sich mit Luthers neuer Lehre, soweit sie ihr bekannt war, scheinbar über einen längeren Zeitraum und sehr intensiv beschäftigt hat. Die Entscheidung zur Flucht aus dem Kloster traf sie nicht spontan, sondern erst nach langwierigen Überlegungen und inneren Kämpfen, was man unter anderem daran sieht, dass sie ihre auf Luthers Schriften und ihren eigenen Überlegungen basierende, mit 38 Seiten sehr ausführliche, Rechtfertigungsschrift noch im Kloster, also vor der eigentlichen Flucht, verfasste. Ich möchte in dieser Hausarbeit der Frage nachgehen, wie und auf welche Art und Weise Ursula von Münsterberg ihre Klosterflucht mit der lutherischen Theologie begründet. Desweiteren möchte ich kurz darauf eingehen, in welchen praktischen Handlungen sich Ursulas neue Überzeugung niederschlug, denn ihr Text berichtet von konkreten Versuchen Ursulas, ihre Mitschwestern mit der neuen Lehre bekannt zu machen und Dinge im Kloster zu verändern und auch darüber, welche Auswirkungen das auf die anderen Nonnen und ihr Zusammenleben im Kloster hatte.2

Dafür werde ich zuerst, um einen kurzen Einblick in Luthers theologische Begründung der Klosterflucht zu erhalten, auf dessen kurze Flugschrift „Ursach und Antwort, daß Jungfrauen Klöster göttlich verlassen mögen“ eingehen, indem ich kurz die geschichtlichen bzw. biographischen Hintergründe erläutere und eine inhaltliche Zusammenfassung des Textes gebe. Danach wende ich mich dann Ursulas Schrift zu. Neben einer kurzen Zusammenfassung der Biographie der Ursula von Münsterberg werde ich auch allgemein auf das Leben der Nonnen damals und auf die speziellen Umstände in Ursulas Kloster eingehen. Anschließend befasse ich mich konkret mit ihrem Text und versuche darzulegen, wie dieser von Luthers theologischem Denken geprägt ist und wo sich Unterschiede finden. Abschließend möchte ich noch auf Ursulas Persönlichkeit schauen, d.h. ihre aus dem Text herauslesbaren psychischen und körperlichen Voraussetzungen, besondere Anfechtungs- und Lebenserfahrungen und versuchen der Frage nachzugehen, inwiefern diese eine Rolle gespielt haben könnten bei ihrer Entwicklung hin zum lutherischen Glauben bzw. ihrer Entscheidung zur Flucht aus dem Kloster (was natürlich sehr spekulativ bleiben muss).

2. „Ursach und Antwort, daß Jungfrauen Klöster göttlich verlassen mögen“

2.1. Geschichtliche Hintergründe

Am 27. Juli 1519 begann in Leipzig die „Leipziger Disputation“ zwischen Martin Luther, Johannes Eck und Karlstadt, die Luther mit Konsequenzen seines eigenen Denkens konfrontierte, die er erst hier, getrieben durch seinen Gegner Eck, so klar ausformulierte: die Leugnung der Heilsrelevanz innerweltlicher menschlicher Instanzen und damit die Leugnung der Autorität der Kirche. Diese Erkenntnis gipfelte in der Aussage, ein Konzil könne irren, da es nicht in der Lage sei göttliches Recht zu schaffen und führte so zum Bann (Wormser Edikt) gegen Luther3. Ermöglicht hatte das Leipziger Streitgespräch Herzog Georg der Bärtige, Herzog von Sachsen4, ein überzeugter Anhänger des alten Glaubens und entschiedener Gegner von Hus und Luther, der sich im Jahr 1925 mit anderen katholischen Fürsten im Dessauer Bund zusammentat, um die Weiterverbreitung der lutherischen Lehre zu verhindern. Ebendieser Herzog Georg von Sachsen war der Cousin von Ursula von Münsterberg, die, da ihre Eltern früh verstorben waren, zusammen mit ihm und seinem Bruder Heinrich aufgewachsen war5. Kurz darauf begann Luther mit der Formulierung eines reformatorischen Programms, 1520 erschienen seine reformatorischen Hauptschriften. Im Mai 1521 wurde er zu seinem Schutz auf Anweisung von Friedrich dem Weisen auf die Wartburg gebracht. Hier reflektierte „der Mönch […] über das, was sein Leben seit 17 Jahren prägte: die mönchische Existenz.“6 Dazu gehörten natürlich die Mönchsgelübde. Karlstadt hatte sich als erster im Juni 1521 zur Priester- und Mönchsehe geäußert und sich grundsätzlich dafür ausgesprochen diese frei zu geben. Es folgte eine rege Korrespondenz zwischen Wartburg und Wittenberg über dieses Thema, die noch von einer großen Unsicherheit geprägt war.7 Doch vor dem Hintergrund seiner Rechtfertigungslehre kam Luther schließlich zu dem Schluss, dass alles, was nicht aus dem Glauben sei, Sünde sei8. Daraus folgend verurteilte er jede Werkgerechtigkeit, die bestimmte Handlungen („gute Werke“) nur deshalb ausführt, weil sie meint, dadurch vor Gott Gerechtigkeit zu erlangen, nicht aber aus einer inneren Haltung des Glaubens heraus. Das galt auch für die Mönchsgelübde, zu denen Luther in seiner 1521/22 erscheinenden Schrift über die Klostergelübde Stellung nahm.9 So heißt es hier in These 39: „So beten sie durch ihre Gelübde das Werk ihrer Hände an und verehren es als einen Gott.“10 Daher, und weil das Gelübde ein Gesetz sei, „welches natürlicherweise das Gewissen gefangennimmt“ (These 29)11, sei „das Gelübde der Jungfrauschaft, der Keuschheit, des geistlichen Lebens usw. ohne Glauben (These 32)12, führe von „Christus und dem Glauben weg“ (These 89)13 und sei von daher Teufelswerk (These 17)14. Wenn man dieses erkenne, solle man „nicht wegen der Gewalt des Papstes oder der Beschimpfung des Pöbels zögern, sondern seine Seligkeit vor alles stellen und das Gelobte samt dem Gelübde fahren lassen“ (These 51/52)15. Die Klöster bezeichnet er hier als „des Teufels Schlammpfützen und Hurenhäuser“16 und ruft zu deren Zerstörung auf, (wobei er immer wieder in seinen Texten betont, dass ein Leben als Mönch durchaus sinnvoll und seligmachend sein kann, wenn es freiwillig und im echten Glauben geschieht). Im Jahr darauf erschien ein weiteres einflussreiches Werk Luthers: „Vom ehelichen Leben“. Luther propagierte hier, im Gegensatz zum mittelalterlichen Weltbild, die Gleichwertigkeit von Mann und Frau als Geschöpfen des einen Gottes, nahm vor diesem Hintergrund auch eine positive Neubewertung der Sexualität als gottgewolltem Teil des menschlichen Lebens vor und wertete Tätigkeiten wie Hausarbeit und Kindererziehung auf.

Seinen Gedanken über die Gelübde und das Kloster ließ Luther bald Taten folgen: Im April 1523 schmiedete er zusammen mit seinem Vertrauten Leonhard Koppen den Plan, zwölf Nonnen aus dem Kloster Nimbschen zu befreien, was ihnen auch gelang. Am Nachmittag der Ankunft der geflüchteten Nonnen in Wittenberg, wo sie vorläufig Zuflucht in Luthers Haus fanden, hielt Luther eine Predigt, deren Gedanken wohl schon den Entwurf zu dem kurz darauf folgenden Brief an Leonhard Koppen verrieten17. Diesen Brief, der wohl von vornherein für die Veröffentlichung bestimmt war18, schrieb er drei Tage später. Anfang Juni war er unter dem Titel „Ursach und Antwort, daß Jungfrauen Klöster göttlich verlassen mögen“ schon als Druck in Straßburg bekannt, wenig später auch schon eine Gegenschrift von altgläubiger Seite vorhanden („Antwurt, das / Junckfrawe die kloester / un klosterliche glübd / nümmer goetlich / vlassen moege“)19.20

2.2. Kurze Inhaltsangabe

Luther stellt in der Einleitung (S. 394-395) die geglückte Flucht der Nonnen als von Gott gewollt dar, da diese ohne dessen Hilfe nicht hätte gelingen können. Da er also wisse, dass Gott mit ihnen sei, wolle er sich jetzt öffentlich als Verantwortlicher bekennen. Zum einen wolle er durch diese Schrift die Ehre der geflüchteten Nonnen retten, damit die Leute nicht erzählten, diese seien wegen „loser Buben“ geflohen, zum anderen hoffe er, dadurch andere Adelige zu motivieren, ihre Töchter aus den Klöstern herauszunehmen. Im Folgenden nennt er verschiedene Gründe, die die Flucht der Nonnen rechtfertigten: Erstens hätte jede der befreiten Nonnen schon vor der Flucht mehrfach Eltern und Freunde gebeten, sie aus dem Kloster herauszuholen. Diese Bitte sei ihnen aber abgeschlagen worden, was ihre Gewissen in höchste Not gebracht habe (S. 396). Zweitens würden junge Mädchen unfreiwillig ins Kloster gestoßen. Dabei sei es eine der höchsten, anspruchsvollsten Aufgaben, die viel Mühe und Anfechtungen mit sich bringe, seine Jungfrauenschaft zu erhalten. Dies sei nur zu leisten, wenn man mit Gottes Wort gerüstet sei und in ihm Unterstützung und Beistand erfahre. In Nonnenklöstern hätten die Nonnen aber kaum Zugang zu Gottes Wort, es werde nicht täglich und manchmal sogar nie studiert, stattdessen spielten nur Menschengesetze und -werke eine Rolle. Es sei aber „gewisß, das man on gottis wort teglich fur gott nicht leben kan. Und keyn gelubd fur Gott gellten odder halten kan, da mit man sich an den ortt verbindet, da keyn gottis wort gehet“ (S. 397). Drittens betont Luther vehement, dass es vor Gott und beim Dienst für Gott keinen Zwang geben darf, auch Paulus habe betont, dass die edle Jungfrauenschaft nicht erzwungen und unwillig geschehen solle (S. 397). Unter tausend Nonnen, so Luther, täte wohl kaum eine mit Lust und ungezwungen ihren Gottesdienst. Denn solche fröhliche Lust zum Gottesdienst gebe „widder kloster noch kappen, widder gelubd noch werck, sondern alleyn der heylige geyst.“ Sei dieser Geist nicht vorhanden, solle „keyn gelubd weytter gellten noch geschehen noch gehallten werden“ (S. 397). Wobei Luther gleich im ersten Satz betont, dass dies nur für die Dienste für Gott gelte, für die Welt könne ein Mensch „wol getzwungen“ werden, „zu thun, das er nicht gerne thut“, was ihn zu der Schlussfolgerung veranlasst: „Were es nicht besser, wenn sie ja etwas ungerne und mit unlust thun soll, sie were ehlich und thet solche muhe und unlust ym ehlichen standt euserlich gegen die menschen, als yhr man, kind, gesind und nachbar?“ (S. 397) Solche Einwände scheinen die Feststellung zu untermauern, dass Luther zwar das Frauenbild positiv aufwertete, indem er die Frau als vor Gott gleichwertig mit dem Mann sah, wie die meisten anderen Reformatoren an einer Emanzipation der Frau, also einer Änderung ihrer Rolle im Alltag, aber keinerlei Interesse hatte.21 Hauptsache eine Frau kam ihren ehelichen und haushälterischen Pflichten nach, dass das mit Unlust geschah war durchaus in Ordnung. Viertens führt Luther an, dass in der Schöpfungsgeschichte eindeutig nachzulesen sei, dass Gott die Frau dazu geschaffen habe, Kinder zu bekommen. So habe er den Menschen den Auftrag gegeben „Seid fruchtbar und mehret euch.“ Deshalb sollten diese ihrer ihnen von Gott gegebenen Aufgabe nachkommen und nicht versuchen es „besser [zu] machen denn ers gemacht hatt“ (S. 398). Im letzten Teil geht Luther auf eventuelle Argumente seiner Gegner ein und versucht diese zu entkräften. Auf den Einwand man müsse seine Gelübde halten entgegnet er, das gelte nur, insofern das Gelübde aus eigenem Willen abgelegt werde für etwas, was in der eigenen Macht stehe (S. 398). Auf den Einwand man könne aber auch Dinge, die unmöglich seien mit Beten erreichen, erwidert er, man könne wohl mit Beten alles von Gott erlangen, aber Gott wolle nicht mutwillig versucht sein. Er helfe nur da, wo „sonst keyn hulff und mittel durch yhn tzuvor geschaffen ist“ (S. 399). Die Jungfrauenschaft sei aber nicht von Nöten (außer Gott berufe einen dazu), da doch „eyn ander gottlich standt da ist, da ich der ferlichkeit und versuchung nicht bedarff“ (S. 399). Luthers klare Antwort auf den dritten Einwand, eine Flucht aus dem Kloster sei ärgerlich, wider die alte Lehre und man solle das Gewissen der Schwachen schonen, lautet: „Ergernis hyn, Ergernis her. Nott bricht eyßen und hatt keyn ergernis. Ich soll der schwachen gewissen schonen, szo fern es on fahr meyner seelen geschehen mag,. Wo nicht, szo soll ich meyner seelen radten, es erger sich dran die gantze odder halbe welt.“ (S. 400) Diejenigen aber, so schließt er seinen Brief, die gern und mit Geist im Kloster seien, sollten auch dort gelassen werden. (S. 400)

3. „Christliche Ursachen des verlassenen Klosters zu Freyberg“

3.1. Zur Biographie der Ursula von Münsterberg

Ursula von Münsterberg wurde zwischen 1491 und 1495 als Tochter Viktorins, des Herzogs von Troppau und Enkelin Georg Podiebrads, des Königs von Böhmen, geboren. Kurz darauf starb ihre Mutter, 1500 auch ihr Vater. Daraufhin kam sie zur Schwester ihres Vaters, der Gemahlin des Herzogs Albrecht von Sachsen mit seinen Söhnen Georg und Heinrich.22 Dass einer der Söhne, Georg der Bärtige, zu einem vehementen Gegner Luthers wurde, habe ich oben schon einmal erwähnt. Ursulas Bildung wird vermutlich der höfischen Bildung dieser Zeit entsprochen haben.23 Vermutlich kam sie im Alter zwischen 9 und 15 Jahren24 auf Veranlassung ihrer Tante25 in das Jungfrauenkloster des Ordens der heiligen Maria Magdalena von der Buße in Freiberg, wo sie nach dem Wunsch ihrer Tante „gehalten werden“ sollte „wie eine gewöhnliche Nonne“26 Das Klosterleben machte Ursula, die wohl eine schwache körperliche Konstitution hatte und schnell krank wurde, allerdings viele Probleme27. Am 6. Oktober 1528 flüchtete Ursula gemeinsam mit zwei anderen Nonnen aus dem Kloster und fand vorübergehend Unterkunft bei Luther in Wittenberg, der die von ihr angefertigte Rechtfertigungsschrift drucken ließ. Im Dezember machte sie sich auf den Weg zu ihrer verheirateten Schwester nach Marienwerder28, die allerdings kurz darauf starb29. 1530 hielt sie sich bei ihrem Vetter Herzog Friedrich II. in Liegnitz auf, an den auch ein Brief vom Februar 1534 gerichtet war, ihr letztes bekanntes Lebenszeichen.30 Danach verliert sich ihre Spur, Todesjahr, -ort oder -umstände sind unbekannt.31

3.2. Zum damaligen Leben in den Nonnenklöstern

Nikolaus von Kues prägte die Ansicht, dass eine Schau Gottes von Angesicht zu Angesicht nur dem Intellekt, als von den sinnlichen und körperlichen Bestandteilen des Menschen „abgetrennter Seele“, möglich war. Frauen war dies nach der damaligen Sichtweise nicht möglich, da ihre intellektuellen Fähigkeiten als von Natur aus geringer eingeschätzt wurden. Da ihnen aufgrund dieser Annahmen also die Gotteserkenntnis über die Ratio verwehrt war, „bildete sich als weibliche Entsprechung der auf anderen Voraussetzungen beruhende Gotteszugang geistlich lebender Frauen deutlicher heraus: Der Annäherung der Männer an die göttliche Sphäre über die ratio entsprach bei ihnen eine Angleichung über ihre unberührte Körperlichkeit. Ihre Jungfräulichkeit prädestinierte sie in besonderem Maße für die Gnade Gottes und sicherte ihnen auf der Basis der Vorstellung der Nonne als Braut Christi eine hohe Stellung vor Gott.“32 Bei der Nonnenkrönung oder Jungfrauenweihe, der Letzten der Aufnahmezeremonien, wurde durch die geweihte Nonnenkrone „die himmlische Krönung vorweggenommen, die den Jungfrauen nach der Auferstehung Christi als Lohn für ihre Jungfräulichkeit, das unblutige Martyrium, zustand.“33 Die hohe Stellung als „Bräute Christi“ „innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaft wurde den Nonnen eben nicht durch persönliche Frömmigkeit oder Gnadeneinwirkung an Einzelne zuteil, sondern sie resultierte gleichsam als Rechtsstellung der ganzen Gemeinschaft aus ihrer Vermählung mit Christus.“34 Das Bewusstsein der eigenen Auserwähltheit war also sehr präsent. Das bestätigt auch Ursula von Münsterberg wenn sie schreibt, ihnen wäre stark „eingebildet“ worden, „daß wir das edle theure Blut Christi, welchs eine gewisse Versicherung und Pfand ist des ewigen Testaments, […] der Gunst Gottes“35. Als Bräute Christi hätten sie sich „noch wohl dazu dürfen uberheben uber ander Christen, welche wir deß unwürdig geschatzt haben, welches unser Wort und Werk klar an Tag geben.“36 Da die Erhaltung der Jungfräulichkeit im Mittelpunkt stand, gewann auch die Einhaltung der Klausur eine große Bedeutung. Die Mädchen wurden im Kloster eingeschlossen, weitgehend von der laikalen Gesellschaft getrennt. Von daher war das deutlich überhöhte Selbstverständnis der Nonnen, wie Schlotheuber vermutet, auch eine Kompensation dieses enormen, gesellschaftlich sanktionierten Zwanges und den damit verbundenen Einschränkungen.37 Vor allem waren die Klöster damals aber auch „Versorgungsinstitutionen“ für Töchter der Oberschicht. Hier spielte das weibliche Erbrecht eine wichtige Rolle. Denn die Töchter brachten im Gegensatz zu den erbenden Söhnen den Familienbesitz im Erbfall in andere Hände bzw. die Vergabe einer standesgemäßen Mitgift an mehrere Töchter konnte den Besitz ernsthaft gefährden.38 Von daher war die Einweisung einer oder mehrerer Töchter in ein Kloster aus Sicht der Familien sinnvoll, wollte man den Besitz zusammenhalten, denn mit der Oblation, d.h. der verbindlichen Übergabe der Kinder durch die Eltern an ein Kloster, ging ein offizieller Erbverzicht einher.39 Den Familien war an einer möglichst frühen Regelung der Erbverhältnisse gelegen, den Nonnenklöstern kam es entgegen möglichst junge Mädchen aufzunehmen. So wurden die Mädchen oft schon mit vier oder fünf Jahren dem Kloster übergeben. „Das von den Eltern bei der Oblation für ihre unmündigen Kinder geleistete Gelübde war kirchenrechtlich verbindlich, so daß eine Rückkehr der Kinder in den weltlichen Stand nicht mehr möglich war.“40 Zwar forderte das kanonische Recht seit dem zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts, dass die Kinder im Alter der Mündigkeit das elterliche Gelübde bestätigen sollten und so eine Möglichkeit hätten, das Oblationsgelübde der Eltern aufzuheben, das wurde den Mädchen allerdings nicht mitgeteilt, so dass sich in der Praxis so gut wie nichts änderte.41 „Die Oblation der Kinder war somit fest in die gesellschaftlichen Strukturen eingebunden: sowohl die Familien als auch die Klöster trugen in gleichem Maße dazu bei, daß diese Beziehungen weiter funktionierten.“42 Festzuhalten bleibt also, dass die Mädchen in einem Alter ans Kloster gebunden wurden, in dem sie zu einer selbstbestimmten Entscheidung noch in keiner Weise in der Lage waren. Darauf spielt Luther wahrscheinlich auch in „Ursach und Antwort“ an, wenn er einwirft, es gebe wohl unter tausend Nonnen kaum eine, die ihren Dienst freiwillig und mit Lust verrichte, und schreibt, dass ein Gelübde, das nicht aus eigener Überzeugung und wohlüberlegt geleistet worden sei, keine Gültigkeit habe. Immerhin erhielten die meisten Nonnen wohl eine gute Ausbildung. Zumindest führt Eva Schlotheuber an, dass sich die Ausbildung der zukünftigen Nonnen wohl nicht nur auf rudimentäre Schreib- und Lesefähigkeiten beschränkte, dagegen spreche schon alleine die lange Schulzeit von fünf bis sechs Jahren. In dem von ihr näher untersuchten Ebstorfer Kloster lernten die Schülerinnen z.B. „nicht nur, lateinische Texte korrekt zu lesen und selbst zu verfassen, sondern übten gleichzeitig auch deren richtiges Verständnis und theologisch anerkannte Interpretation ein.“43 Man kann vermuten, dass das bei Ursula ähnlich war, deren Text von einer sehr guten Bildung und umfassenden theologischen Kenntnissen zeugt. Allerdings kam Ursula mit frühestens 9, vielleicht aber auch erst 14 Jahren ja auch relativ spät ins Kloster und hatte vielleicht vorher schon eine dem Hochadel entsprechende Bildung genossen. Ansonsten war das Leben der Nonnen geprägt vom Singen und Beten, Lesungen mittelalterlicher theologischer Werke, vielen Fastenzeiten und den nächtlichen Vigilien.

3.3. Ursulas Agitation im Kloster

Man weiß nicht, wann und durch wen Ursula mit den reformatorischen Lehren Luthers in Berührung kam, kann es aber erahnen. Herzog Georgs jüngerer Bruder Heinrich verwaltete in untergeordneter Position die Stadt Freiberg und die angrenzenden Klöster44. Seine Frau Herzogin Katharina war eine treue und verlässliche Anhängerin des lutherischen Glaubens. Nach Georgs Tod 1539 führte Heinrich, der ihm in der Regierung nachfolgte, auf Veranlassung seiner Frau in seinem Land die reformatorische Lehre ein.45 Durch Katharinas Einfluss gewann Luthers Lehre vermutlich in Freiberg an Boden und drang auch in die dortigen Klöster ein.46 Nachweislich stand Katharina mit Ursula in Briefkontakt. In einem Brief von 1528 gibt sie zu, mit dem Konvent in Briefwechsel gestanden zu haben und gemeinsam mit ihrem Mann alles getan zu haben, um verschiedene Bitten der Schwestern zu erfüllen.47 In den folgenden Jahren versuchte Ursula recht offensiv sich intensiver mit Luthers Lehre zu befassen und diese auch den anderen Nonnen näher zu bringen, was ihre im Folgenden aufgeführten Handlungen zeigen:

3.2.1. Schriftenschmuggel

Ursula bat Herzogin Katharina anscheinend, Schriften Luthers in Freiberg binden zu lassen, was diese vermutlich auch tat.48 Diese wurden durch das Chorfenster ins Kloster eingeschleust. Dort nahm die Subpriorin, die wohl auch eine Sympathisantin der neuen Lehre war, sie entgegen, ließ sie von einigen Schwestern abschreiben und machte sie so mit dem Inhalt bekannt. Ursula selbst hat die verbotenen Schriften wohl während einer Visitation einmal sicherheitshalber von einer Mitschwester in einem Kornsack verscharren lassen.49

3.2.2. Lutherische Prediger

Eine weitere Bitte, die Ursula an Katharina richtete, war die um einen lutherischen Prediger. In ihrem Text erzählt sie, dass sie, da sie nicht in die Stadt gehen dürften, um dort die Predigt zu hören, es mit viel Mühe und Arbeit dahin gebracht hätten einen Prediger zu bekommen der Gottes Wort „recht verkündige[n]“, damit die Unwissenden, die das göttliche Wort bisher „verdünkelt“ hätten, etwas lernen würden.50 Tatsächlich wird dem Konvent 1526 ein solcher Prediger zugewiesen, Andreas Bodenschatz aus Leipzig. Dieser war ohne das Wissen Herzog Georgs ernannt worden, nur mit Einverständnis und Wissen seines jüngeren Bruders Heinrich, Katharinas Mann, der das Nonnenkloster zwar verwaltete, Georg aber eigentlich nachgeordnet war. Herzog Georg protestierte zwar im Nachhinein und drohte Schwierigkeiten an, widerrief die Ernennung aber nicht, weil er die Neigung des Predigers vermutlich nicht beweisen konnte.51 Als dieser Prediger nach zwei Jahren starb, folgte ihm, durch Vermittlung der Herzogin Katharina,52 direkt ein Neuer mit ähnlicher Gesinnung. Eine Nonne des Freiberger Klosters erzählte später einer Gruppe Visitatoren über dessen Predigten: Er „heiße die Werke Heuchelei und preise allzu sehr den Glauben. (…) der Prediger steche immer auf die Bischöfe und rede schimpflich von ihnen. (…) (er) verachte die Heiligen. (…) er achte das klösterliche Leben für nichts und schriebe alles dem Glauben zu und (sage,) daß die Werke nur Zeichen des Glaubens seien und nicht verdienstlich.“53 Ursula und die Subpriorin führten wohl öfters längere Gespräche mit diesem Prediger durch das Fenster des Chores oder ließen ihn sogar ins Kloster ein.54 Ursula erhoffte sich von der „Unterrichtung der christlichen Freiheit“ durch die Prediger eine Befriedung des Gewissens und dass mehr Toleranz im Kloster entstehen würde, damit die „armen Gewissen nicht also kläglich belästiget würden“55

[...]


1 Der vollständige Text ist nur in der Erlanger Ausgabe (EA Bd 65, S. 131-169) nachzulesen. Daneben gibt es eine zweisprachige (deutsch/englisch) Edition von Merry Wiesner-Hanks, die allerdings stark gekürzt ist. Die geschichtlichen Hintergründe, d.h. die Reaktion von Ursulas Verwandten, den Herzögen Georg und Heinrich von Sachsen und die Zustände im Kloster erläutert Bainton in „Frauen der Reformation“ sehr präzise, geht auf Ursulas Text selber aber nur sehr kurz ein. Auch Monika Rössing-Hager nutzt Ursulas Text in ihrem Vortrag „Reformatorische Nonnen rechtfertigen ihre Kloster-Flucht. Florentina von Oberweimar und Ursula von Münsterberg“ eher als Vergleichsfolie für den Text von Florentina von Oberweimar und geht auf ihn sehr viel kürzer ein.

2 Wobei hier erhellend eine zeitgenössische Quelle hinzukommt, die die Gespräche einer Visitation des Klosters kurz nach Ursulas Flucht aufzeichnet, bei der Ursulas Mitschwestern die Auswirkungen auf die Nonnen schildern und die von Roland H. Bainton in seinem Kapitel zu Ursula von Münsterberg ausführlich zitiert wird. (Siehe Roland H. Bainton, „Frauen der Reformation. Von Katharina von Bora bis Anna Zwingli. Zehn Porträts“, dt. Erstausgabe, Gütersloh, 1996, S. 40-55)

3 Vgl. Leppin (2010), S. 146

4 Ebd., S. 144

5 WA Bd 26, S. 623

6 Leppin (2010), S. 182

7 Vgl. Ebd., S. 182

8 Dies war die 1. These seiner Abhandlung „Themata des votis“, vgl. Leppin (2010), S. 184

9 Siehe Martin Luther, „Ein Urteil Luthers über die Klostergelübde“ (1521), in: „Luther Deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart.“, Bd. 2 / Kurt Aland (Hrsg.), Stuttgart/Göttingen, 1962, S. 313-322

10 Ebd, S. 315

11 Ebd.

12 Ebd.

13 Ebd., S. 319

14 Ebd., S. 314

15 Ebd., S. 316

16 Ebd., S. 316

17 Siehe WA Bd 11, S. 388

18 Siehe WA Bd 11, S. 388

19 Siehe WA Bd 11, S. 388

20 Alle folgenden Seitenangaben beziehen sich auf WA Bd 11, S. 394-400

21 Vgl. z.B. Jung (2002), S. 14

22 Vgl. WA Bd 26, S. 623 oder Bainton (1996), S. 40

23 Stupperich (1955), S. 231

24 Siehe Bainton (1996), S. 40

25 Siehe WA Bd 26, S. 623

26 Ebd.

27 Vgl. Bainton (1996), S. 41

28 Siehe WA Bd 26, S. 625

29 Stupperich (1955), S. 232

30 Siehe WA Bd 26, S. 625

31 Vgl. WA Bd 26, S. 625 oder Bainton (1996), S. 54

32 Schlotheuber (2004), S. 108

33 Ebd., S. 165

34 Ebd., S. 167

35 EA Bd 65, S. 140

36 Ebd. S. 140/41

37 Siehe Schlotheuber (2004), S. 309

38 Ebd., S. 307

39 Siehe Schlotheuber (2004), S. 303

40 Ebd., S. 305

41 Siehe ebd. S. 305 ff.

42 Ebd., S. 307

43 Ebd, S. 310/11

44 Siehe Bainton (1996), S. 41

45 Ebd., S. 42

46 WA, Bd 26, S. 623

47 Siehe Urkundenbuch der Stadt Freiberg in Sachsen, in: Hubert Ermisch (Hrsg.), Codex Diplomaticus Saxoniae Regiae, Leipzig 1883, Nr. 715, S. 495, zit. in: Bainton (1996), S. 43

48 Siehe Bainton (1996), S. 42/43

49 Urkundenbuch (s.o.), Nr. 714, sec. 6, S. 488f., zit. in: Bainton (1996), S. 44

50 EA Bd. 65, S. 144

51 Siehe Bainton (1996), S. 41

52 Urkundenbuch der Stadt Freiberg (s.o.), Nr. 714, S. 490, zit. in: Bainton (1996), S. 42

53 Urkundenbuch (s.o.), Nr. 714, sec. 8, S. 490, zit. in: Bainton (1996), S. 43

54 Ebd.

55 EA Bd. 65, S. 144

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Die Rezeption der lutherischen Theologie durch Nonnen der Reformationszeit: Ursula von Münsterberg
Hochschule
Universität Osnabrück
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
32
Katalognummer
V301519
ISBN (eBook)
9783956870620
ISBN (Buch)
9783668003279
Dateigröße
465 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
rezeption, theologie, nonnen, reformationszeit, beispiel, ursula, münsterberg
Arbeit zitieren
Ines Bethge-Bonk (Autor:in), 2012, Die Rezeption der lutherischen Theologie durch Nonnen der Reformationszeit: Ursula von Münsterberg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301519

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