Wird die Geschichte des griechischen Königssohns in der Regel als Geschichte einer Wandlung aufgefasst, in der ein allzu ambitioniertes Herrscherepos in eine Ethik der kollektiven Verantwortung überführt wird, so ist der Weg des ruhmgierigen Herrschers zugleich an eine komplexe Semantik von Natur und Kultur gebunden, die nicht in individuelle Zivilisierung aufgeht. Alexander gilt als ein hybrides Mischwesen, in dem sich die grausamsten Kriegskünste und nicht zuletzt die Intelligenz eines cleveren Strategen mit den Tugenden eines idealen Herrschers vereinen.
Vor allem der Aspekt der Gewalt zeichnet Alexanders Herrscherrolle aus. „Die Opposition von Wildheit und Höfisierung, Gewalt und Maß“ bringt nicht nur eine neue symbolische Ordnung des Herrschers hervor. Vielmehr wird deutlich, dass hier die Ambivalenz von Geist einerseits und Triebhaftigkeit andererseits thematisiert wird. Dieser animalische Charakterzug ist aber neben den notwendigen Pflichten eines Königs gleichzeitig auch identitätsstiftend für den jungen Griechen. So macht Alexander sich durch seine ausgeübte Gewalt gegenüber adliger Konkurrenz handlungsfähig, bedroht damit aber auch eine Gemeinschaftsbildung mit dem Volk oder anderen Königen.
Gewalt und Zorn scheinen etwas Natürliches zu sein und keinen Gegensatz mit den adligen Tugenden und ihrer Kultur zu bilden. Vielmehr geht es um ein sich ergänzendes Paar von Eigenschaften, die einen guten Herrscher auszeichnen. Denkbar wäre allerdings auch, dass dieser triebhafte Zorn nicht als „Wunder der göttlichen Weltordnung“ anzusehen ist, sondern ebenso eine Art Strafe (mit fast schon pädagogischem Hintergrund) darstellt, die einen Abtrünnigen wieder auf den rechten Pfad geleiten soll.
Möglicherweise muss Alexander also viele Verluste und schreckliches Leid erfahren, um sich auf seine adlige und königliche Kultur zu besinnen und die wunderliche, jugendliche und triebhafte Natur in sich bändigen. In meiner Arbeit soll nun die Frage geklärt werden, inwieweit sich die kulturellen und natürlichen, also animalischen Aspekte in Alexanders Wesen vereinen. Unterscheiden sich Alexanders innere und äußere Natur? Ich möchte prüfen, ob eine häufige Lesart von der Bekehrung eines Sünders, vom grausamen Krieger zum bescheidenen und gläubigen König, ausreichend ist, um die Entwicklung Alexanders zu deuten.
Inhaltsverzeichnis
- Übereinstimmung der inneren und äußeren Natur Alexanders
- Das Pferd als Spiegelung der inneren Natur Alexanders
- Der Kampf von Kultur und Natur in Meroves
- Alexanders Bekehrung am Ende der Welt
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text analysiert die Darstellung des historischen Alexanders des Großen im mittelhochdeutschen Epos „Straßburger Alexander“. Er beleuchtet, wie die Figur in der Literatur zum Synonym für die Ambivalenz von Kultur und Natur wird und wie diese Ambivalenz in der Darstellung Alexanders Gestalt und Handeln zum Ausdruck kommt.
- Die Verbindung von menschlicher und tierischer Natur bei Alexander
- Die Rolle des Pferdes als Spiegel der inneren Natur Alexanders
- Der Kampf von Kultur und Natur in Meroves
- Alexanders Bekehrung am Ende der Welt
- Die Bedeutung der mittelalterlichen Identitätsproblematik für die Interpretation der Figur
Zusammenfassung der Kapitel
2. Übereinstimmung der inneren und äußeren Natur Alexanders
Dieses Kapitel untersucht die Verbindung von Alexanders innerer und äußerer Natur, wie sie im „Straßburger Alexander“ dargestellt wird. Die Analyse konzentriert sich auf die körperlichen Besonderheiten Alexanders, wie z. B. sein rotes Haar und seine Heterochromie, und ihre symbolische Bedeutung. Es wird argumentiert, dass diese Merkmale auf die ambivalente Natur Alexanders hinweisen: Einerseits ist er ein mächtiger Herrscher, andererseits zeigt er Züge der Wildheit und Unberechenbarkeit.
3. Das Pferd als Spiegelung der inneren Natur Alexanders
In diesem Kapitel wird die Begegnung von Alexander mit seinem Pferd Bucival analysiert. Die Beschreibung des Pferdes und seine Symbolik spiegeln die charakterlichen Eigenschaften Alexanders wider: Stärke, Gewaltpotenzial und eine gewisse Wildheit. Der Akt der Unterwerfung von Bucival wird als metaphorische Darstellung von Alexanders Herrschaft interpretiert.
4. Der Kampf von Kultur und Natur in Meroves
Dieser Abschnitt betrachtet die Rolle des mythischen Landes Meroves in der Alexanderdichtung. Meroves dient als Schauplatz des Kampfes zwischen Kultur und Natur, die Alexander bewältigen muss. Der Kampf wird als symbolische Darstellung der Herausforderungen angesehen, denen sich ein Herrscher gegenübersieht, um seine Macht zu etablieren und zu erhalten.
5. Alexanders Bekehrung am Ende der Welt
Dieses Kapitel konzentriert sich auf Alexanders Bekehrung am Ende der Welt. Es wird untersucht, wie die Begegnung mit dem „Ende der Welt“ Alexanders Weltbild verändert und zu einem Wandel in seiner Einstellung und seinem Handeln führt. Die Bekehrung wird als ein entscheidender Moment in Alexanders Entwicklung und ein symbolischer Ausdruck der Suche nach Sinn und Transzendenz interpretiert.
Schlüsselwörter
Der Text thematisiert den „Straßburger Alexander“, die ambivalente Natur der Figur, die Verbindung von Mensch und Tier, den Kampf von Kultur und Natur, die mittelalterliche Identitätsproblematik und die Symbolik des Pferdes.
- Quote paper
- Cathrin Utesch (Author), 2015, Reflexionsformen von Alexander dem Großen im "Straßburger Alexander". Zwischen Kultur und Natur, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301565