Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Klage in der höfischen Welt des Mittelalters
3. Gründe der Trauer in der höfischen Literatur
4. Das Trauerverhalten im Mittelalter
5. Trauer-undKlagegebärdenin dermittelalterlichenLiteratur
5.1 Kopfsenken und Versagen der Sprache
5.2 Selbstverletzung
5.3 Weinen und Schreien
5.4 Händeringen und Krachen des Herzens
5.5 Weitere Klage- und Trauergebärden
6. Beispiele von Trauer- und Klagegebärden in der mittelalterlichen Literatur
6.1 Konrad von Würzburg: Partonopier undMeliur
6.2 Heinrich von Veldeke: Eneasroman
6.3 Das Rolandslied des Pfaffen Konrad
6.4 Gottfried vonStraßburg: Tristan
7. Der Tod
8. Fazit
9. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Menschen des deutschen Mittelalters bedienten sich stets einer ausgelassenen Mimik und Gestik, die einen großen Teil der höfischen Kommunikation ausmachte und auch die literarischen Werke dieser Zeit entscheidend prägte. Aus heutiger Sicht ist diese oft heftige Gebärdensprache nicht nachvollziehbar und wirkt auf den heutigen Leser möglicherweise entfremdend oder sogar haltlos und unehrenhaft.1 Doch im Mittelalter sendeten die Menschen mit bestimmten Gebaren und Zeichen Botschaften an ihren Nächsten aus. Die öffentliche Kommunikation wurde demnach von festgelegten Handlungen bestimmt,2 die zudem für das Zeremoniell und die Dramatik aufgebauscht wurden und daher für den modernen Leser nur schwer verständlich sind. Für den mittelalterlichen Zuhörer jedoch waren diese Gebärden, ebenso wie die dabei herausbrechenden Emotionen, verständliche Zeichen.3
Die Emotionen werden hierbei sowohl verbal als auch nonverbal ausgedrückt. Jedoch sind die in der narrativen Literatur dargestellten Gefühle immer auch inszeniert.4 Hierbei ist vor allem die Trauer eine Emotion, die auf vielschichtige Art und Weise mit der Darstellung des Körpers verknüpft ist.5 In der mittelalterlichen Literatur finden sich zahlreiche solcher Klagegebärden, die körperliche Reaktionen der trauernden Personen darstellen und auf diese Weise nicht nur fühlbar sondern auch sichtbar werden. Die komplette Dimension der mittelalterlichen Klagegebärden kann jedoch nur in der Epik gefunden werden, da die Lyrik zwar anschauliche, jedoch nur lückenhafte Einblicke liefert. Die Gesten der Figuren, ihre Mimik und ihr Handeln können nicht in der wörtlichen Rede Ausdruck finden und treten maßgeblich in der mittelalterlichen Epik in Erscheinung.6
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Klagegebärden der mittelalterlichen Literatur und beschränkt sich hierbei auf die epischen Werke. Anhand einiger Beispiele der höfischen Epik werden die Gebärden der Trauer sowie ihr Hintergrund und ihre Bedeutung für den mittelalterlichen Hörer aufgezeigt. Zudem wird erläutert, welche Hintergründe und Ursachen zu der Trauer der Personen führen und welchen Unterschied es in der Darstellung von männlicher und weiblicher Klage gibt. Darüber hinaus soll anhand einiger beispielhafter Werke aus der epischen Literatur verdeutlicht werden, dass intensives Klageverhalten der Figuren letztendlich auch deren Tod herbeifuhren kann.
2. Die Klage in der höfischen Welt des Mittelalters
In der höfischen Welt des späten 12. Jahrhunderts bestimmen Fröhlichkeit und Lebensfreude die Einstellung der Menschen. Es ist die Zeit des hohen mutes. Nach der Definition von Hans Naumann handelt es sich bei diesem Hohen Mut um „das erhöhte Lebensgefühl, das Gefühl glückhaften, heiteren und schönen Daseins, die zu allem Großen und Guten beflügelnde Erhöhung der Stimmung“.7
Doch obwohl Freude und Glück die bestimmenden Empfindungen dieser Epoche sind, finden gerade die Trauer sowie die Klage und der Schmerz den Einzug in die höfische Dichtung und kommen in vielseitiger Darstellung zum Ausdruck. Vor allem in der Epik sind zahlreiche Klagegebärden zu finden, die zudem detailreich geschildert sind und nicht selten die einzigen aufkommenden Gestiken in den Werken sind. Dabei gehen die Dichter auf unterschiedliche Art und Weise an die Präsentation der Gebärden heran. Viele Dichter bewerten den Schmerz, der den Helden der höfischen Dichtung zugefügt wird, als Grund für die Loslösung vom hohen Mut. Durch ihr Leid sind die Figuren schlichtweg nicht mehr in der Lage, ihre Lebenslust weiter zu fühlen. Der Schmerz unterdrückt die positive Einstellung der Helden.8
Daher unterscheidet sich die Darstellung der Klage von Dichter zu Dichter. Einerseits führt die Trauer der Figuren in einigen Werken zum Verschwinden dieser höfischen Lebensfreude, andererseits kann in anderen Werken die Klage dieses positive Lebensgefühl nicht durchdringen und aufgrund der höfischen Einstellung der Helden gar nicht entstehen. Andere Dichter dagegen schaffen eine Balance zwischen der Klage und dem höfischen Lebensgefühl, die mäze, eine Form der Selbstkontrolle der Figuren, die deren Trauergebärden zügeln kann. Für die Darbietung der Klagegebärden in der mittelalterlichen Literatur ist es daher von großer Bedeutung, dass die höfische Lebenseinstellung der klagenden Figuren durch den Schmerz belastet und sogar beseitigt werden kann. Auf diesem Weg wird die Grundlage dafür geschaffen, dass der hohe Mut, das Glück und die Freude in den Hintergrund treten und der Schmerz die Oberhand über die Helden gewinnt. Hiermit wird auch der Klagetod verständlich, der einige der trauernden Figuren in der höfischen Literatur nach dem Hinscheiden einer geliebten Person ereilt. Zudem wird die für das Mittelalter charakteristische höfische Einbindung des Göttlichen und Religiösen in der Klage fassbar.9
3. Die Gründe fur die Trauer in der höfischen Literatur
Einer der wohl am häufigsten auftretenden Gründe für die Klage in der mittelalterlichen Literatur ist die Trauer um den Verlust eines geliebten Menschen. Die Art der Trauer der betroffenen Person in dieser Situation macht deutlich, wie stark sie mit dem Verstorbenen verbunden war.10 Vor allem die Frauen beklagen häufig den Tod ihres Gatten, wobei hierfür zahlreiche Beispiele im höfischen Roman existieren. Je intensiver die Totenklage der Figuren ausgestaltet ist, desto mehr fühlen sie sich mit dem Toten verbunden und empfinden den durch den Todesfall entstandenen Schmerz und Verlust umso intensiver. Ein extremes Beispiel hierfür ist Kriemhilt im Nibelungenlied. Als diese den ermordeten Siegfried entdeckt, äußert sich die Trauer von Kriemhilt nicht nur in einer Klagerede, sondern sie blutet letztendlich aus ihren Augen und ihrem Mund, was verdeutlicht, dass sie über den Tod ihres Gatten zutiefst erschüttert ist.11
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten12
der edelen frouwen jàmer do erschrê si nàch unkrefte, Dô sprach daz gesinde: daz bluot ir ûzem mundeDie Klage kann sich über die Klagerede hinaus zum lauten Schreien, wilden Gestikulieren und schließlich auch bis in die Selbstzerstörung und -verletzung steigern.13
Doch die Trauer in der mittelalterlichen Literatur resultiert nicht nur aus dem Tod eines Verwandten, Freunden, Geliebten oder der Trennung von diesen Personen.14 Auch die Verletzung der Ehre eines agierenden Helden kann Anlass zur Klage geben. Ebenso die Angst, dass beispielsweise einer geliebten Person im Kampf Schaden zugefügt werden könnte, führt in vielen Fällen zu intensiven Klagereden und -gebärden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Klage der Figuren in der höfischen Literatur durch Situationen oder Geschehnisse herbeigeführt wird, denen die Charaktere machtlos gegenüber stehen, die sie tief in ihren Empfindungen erschüttern oder deren Resultat ausweglos ist beziehungsweise die Konsequenz von diesen tief greifenden Ereignissen nicht mehr aufgehalten oder rückgängig gemacht werden kann. Die Helden sind der Handlung hilflos ausgeliefert und bringen den Schock und die Bestürzung, die sie in diesem Moment empfinden, über die Klage zum Ausdruck.
4. Das Trauerverhalten im Mittelalter
Beklagten die Menschen im Mittelalter den Tod eines Verstorbenen, währte die Trauer - zumindest bei wohlhabenden Personen - ein ganzes Jahr, während bei den ärmeren Schichten lediglich 30 Tage zum Trauern zur Verfügung standen. Auch die Kleidung der Reichen gab Auskunft darüber, dass sie sich in der Trauerzeit befanden.15 Männer ließen sich zudem ihre Bärte wachsen, die Haare der Frauen wurden, als Haaropfer, geschoren und schwarze Kleidung anstatt der Alltagskleidung angelegt.16
Philippe Ariès beschreibt ausführlich, wie in der ersten Hälfte des Mittelalters ein bestimmtes Todesritual Einzug hält.17 Danach zeugten Trauerbekundungen nach dem Verlust von dem Schmerz, den die Angehörigen empfanden. Andere Anwesende zerrissen sich zudem ihre Kleidung und die Trauernden zerrauften sich Bart und Haare, was als Mäßigung des bis dahin üblichen Haaropfers angesehen werden kann.18 Die Frauen schlugen sich darüber hinaus auf ihre Wangen, küssten den Leichnam oder wurden sogar ohnmächtig.19
5. Die Trauer- und Klagegebärden in der mittelalterlichen Literatur 5.1 Kopfsenken und Versagen der Sprache
Die Traurigkeit der Figuren in der mittelalterlichen Literatur wird häufig durch Seufzen verdeutlicht, zudem kann die Bewegungsfähigkeit durch die Trauer teilweise stark eingeschränkt sein. Dies zeigt sich daran, dass die Charaktere ihren Kopf sinken lassen und sich kaum noch bewegen können.20 Es handelt sich hierbei um einen wortlosen Gefühlsausdruck und zeigt vermutlich das Anliegen der Betroffenen, sich von der Außenwelt abzugrenzen und sich stattdessen ihrem Inneren zuzuwenden.21 Wenn die Menschen zudem im Moment der Trauer der Sprache nicht mehr mächtig sind, zeugt dies von ihrer tiefen Erschütterung und ihrem Unvermögen, an der Situation etwas ändern zu können. Es handelt sich um eine Art von Identitätsverlust, die Gefühle können schlichtweg nicht mehr in Worte gefasst werden.
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1 Vgl.: Wilhelm Frenzen: Klagebilder und Klagegebärden in der deutschen Dichtung des höfischen Mittelalters, Würzburg 1936, S. 2.
2 Vgl.: Gerd Althoff: Gefühle in der öffentlichen Kommunikation des Mittelalters. In: Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle, hg. von Claudia Benthien, Anne Fleig und Ingrid Kasten, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 83.
3 Vgl.: ebd., S. 85.
4 Vgl.: Elke Koch: Trauer und Identität. Inszenierung von Emotionen in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin/New York2006, S. 48f.
5 Vgl.: Wolfgang Iser: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie, Frankfurt/Main 1991, S. 504f
6 Vgl.: Frenzen: Klagebilder und Klagegebärden in der deutschen Dichtung des höfischen Mittelalters, S. 4.
7 Hans Naumann: Höfische Liebe. In: DVjs 17 (1929), S.15-34, hier S. 29.
8 Vgl.: Frenzen: Klagebilder und Klagegebärden in der deutschen Dichtung des höfischen Mittelalters, S. 15.
9 Vgl.: ebd., S. 15-18.
10 Vgl.: Koch: Trauerundidentität, S. 50.
11 Vgl.: Heinz Sieburg: Literatur des Mittelalters, Berlin 2010, S. 184.
12 Versangaben zitiertnach: Karl Bartsch/Helmut de Boor/Siegfried Grosse (Hgg.): Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch.Neuhochdeutsch, Stuttgart 1997, V. 1007-1022.
13 Vgl.: Sieburg: Literatur desMittelalters, S. 184.
14 Vgl.: Koch: Trauerundidentität, S. 50.
15 Vgl.: Hannes Stubbe: Formender Trauer. EinekulturanthropologischeUntersuchung, Berlin 1985, S. 195.
16 Vgl.: ebd., S. 73.
17 Vgl.: ebd., S. 195.
18 Vgl.: ebd., S. 92.
19 Vgl.: ebd., S. 195.
20 Vgl.: Martin J. Schubert: Zur Theorie des Gebarens im Mittelalter. Analyse von nichtsprachlicher Äußerung in mittelhochdeutscher Epik. Rolandslied, Eneasroman, Tristan. In: Kölner Germanistische Studien. Begründet von Paul Böckmann, hg. von Walter Hinck, Hans Dietrich Irmscher, Werner Keller u.a., Bd. 31, Köln/Wien 1991, S. 165.
21 Vgl.: Eva Maria Woelker: Menschengestaltung in vorhöfischen Epen des 12. Jahrhunderts: Chanson de Roland, Rolandslied des Pfaffen Konrad, König Rother, Berlin 1940, S. 112.