Selbsterfahrung zwischen Künstler- und Bürgertum in Thomas Manns „Tonio Kröger“ und „Der Tod in Venedig“


Trabajo Escrito, 2011

15 Páginas, Calificación: 2,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Gustav von Aschenbach
Ansätze von Künstler- und Bürgertum in Gustav von Aschenbach
Gustav von Aschenbach als `Künstler´
Aschenbachs Wandlung von apollinischen Prinzipien zu dionysischer Begierde

Tonio Kröger
Tonio Kröger als Komposition aus Bürger- und Künstlertum
Die Loslösung vom Bürgertum
Tonios Ansichten über das Künstlertum

Gustav von Aschenbach und Tonio Kröger: Der `Künstler´ und der `verirrte Bürger´

Abschließende Bemerkung

Literaturverzeichnis

Einleitung

„Denn freilich ist es ein Leben von mannichfacher Qual und Scham in einer Welt unstät und unheimisch zu sein und doch zu ihr reden, von ihr fordern zu müssen, sie verachten und doch die Verachtete nicht entbehren zu können, - es ist die eigentliche Noth des Künstlers der Zukunft.“[1]

Diese Darstellung des Verhältnisses von Künstler und Leben könnte als direkte Beschreibung der Situation Tonio Krögers aus der gleichnamigen Erzählung Thomas Manns gesehen werden. Jener sieht sich in einer Position zwischen dem Bürger- und dem Künstlertum, in denen er ständig versucht sich zu positionieren. Es wird jedoch zu einer Lebensaufgabe, da sich ihm stetig Widerstände entgegenstellen.

Die Diskrepanz zwischen dem Bürger- und Künstlertum ist ein wiederkehrendes Leitmotiv in den Werken Thomas Manns, der den Umgang mit diesen zwei Welten in verschiedenen Werken verschiedenartig darstellt und somit anhand seiner Figuren divergente Darstellungen der Selbsterfahrung in andersartigen Umwelten liefert.

Im Folgenden werde ich mich unter Berücksichtigung relevanter Fachliteratur mit der Selbstbestimmung des Protagonisten der Erzählung „Der Tod in Venedig“, ebenfalls von Thomas Mann verfasst, Gustav von Aschenbach, und mit dem oben bereits erwähnten Tonio Kröger auseinandersetzen. Beide sind bereits ihrer Herkunft halber sowohl mit Merkmalen des Künstlertums geprägt, als auch durch Wurzeln im Bürgertum verankert und stehen somit vor der Aufgabe sich in selbigen Geflechten zu integrieren. Es stellen sich die Fragen, ob eine genaue Einordnung in eines der Umfelder möglich ist und welche Probleme sich den Protagonisten als Künstler, die vom Bürgertum beeinflusst werden, eröffnen. Weiterhin wird zu beachten sein, auf welche Weisen die Figuren mit den zwei Welten, und den in ihnen enthaltenen Möglichkeiten, umgehen.

Gustav von Aschenbach

Ansätze von Künstler- und Bürgertum in Gustav von Aschenbach

Die Figur Gustav von Aschenbach, welcher der Protagonist der Erzählung „Der Tod in Venedig“ ist, verkörpert bereits in seiner Herkunftslinie das Zusammenkommen von Künstler- und Bürgertum. Während sein Vater, ein Justizbeamter, das geordnete und gewissenhafte Bürgertum in Aschenbachs Herkunftslinie darstellt, vererbt Aschenbachs Mutter, die Tochter eines böhmischen Kapellmeisters, ihm „rascheres, sinnlicheres Blut“[2], das verantwortlich ist für ausländische Züge im Aussehen des Jungen.

Auf Aschenbach wirkt sich dieses Zusammenspiel andersartiger Gene jedoch positiv aus: „Die Vermählung dienstlich nüchterner Gewissenhaftigkeit mit dunkleren, feurigeren Impulsen ließ einen Künstler und diesen besonderen Künstler erstehen.“(ME, S.442). Er schafft es bereits früh sich der Öffentlichkeit vorteilhaft zu präsentieren und gelangt, sehr auf die eigenen Leistungen bedacht, schnell zu Ruhm. Bereits in seiner Jugend entscheidet sich Gustav von Aschenbach für das Künstlertum und lernt durch seinen eigenen Antrieb niemals den `Müßiggang der Jugend´(Vgl. ME, S.443) kennen. Anders als Tonio Kröger, auf den ich zu einem späteren Zeitpunkt detaillierter eingehen werde, erlebt der junge Aschenbach keine innere Zerrissenheit zwischen bürgerlichen Werten und dem Künstlertum, was unter anderem daran liegen könnte, dass Aschenbach aufgrund seines Gesundheitszustandes nie auf eine öffentliche Schule gehen kann und somit nicht mit anderen Kindern seines Alters und deren bürgerlichen Ansichten konfrontiert wird.

Dennoch finden sich auch bürgerliche Verhaltensweisen in Aschenbachs Charakter wieder: „Zucht war ja zum Glücke sein eingeborenes Erbteil von väterlicher Seite“ (ME, S.444). Er lebt sein Leben nach ganz genauen Vorschriften, angefangen von der Art, wie er seinen Tag beginnt (Vgl. ME, S.444), bis hin zu seinem Lieblingswort „Durchhalten“ (ME, S.443), welches er in einem seiner Romane verherrlicht als „Inbegriff leidend-tätiger Tugend“ (ME, S.443). Erst diese Verschmelzung seiner aus dem Bürgertum erfolgenden, perfektionistischen Arbeitshaltung und seiner künstlerischen Andersartigkeit macht ihn zu einem fähigen Künstler.

Gustav von Aschenbach als `Künstler´

Wie bereits vorangegangen beschrieben entscheidet sich Gustav von Aschenbach früh für das Künstlertum und erreicht schnell einen gewissen Bekanntheitsgrad: „Beinahe noch Gymnasiast, besaß er einen Namen.“ (ME, S.442). Er schafft es ein breites Publikum zu begeistern, welches auch wählerische Leser mit einschließt. In diesem Fall kann Richard Wagner als künstlerisches Beispiel für Thomas Manns Protagonisten gesehen werden, da Mann die „Kunst des Theaters und der Massenerschütterung“[3] Wagners imponierte. Doch um den Erwartungen des Publikums, sowie seinen eigenen Anforderungen, gerecht zu werden, muss Aschenbach stets ein hohes Maß an Disziplin und Pflichtbewusstsein an den Tag legen. Damit seine „zarten Schultern“ (ME, S.443) dem Druck, der somit aufgrund seiner Begabung auf ihm lastet, standhalten können, stärkt Aschenbach seinen Körper: Er beginnt den Tag damit, seinen Oberkörper mit kaltem Wasser zu überschütten, bevor er sich seiner Kunst in „zwei oder drei inbrünstig gewissenhaften Morgenstunden“ (ME, S.444) widmet. Er kommt zu der Erkenntnis, dass ein Werk dann vom Publikum als gut angesehen wird, wenn es Sympathie auslöst. Dies sieht Aschenbach als „Schlüssel zu seinem Werk“ (ME, S.445) an. Aschenbach entwickelt sich zum Verfechter von Moral und Zucht was seine Arbeit betrifft und wird zu einem formvollendeten Literaten: Er schafft es zum Schulbuchautor und Staatsdichter, der zu seinem fünfzigsten Geburtstag den persönlichen Adel verliehen bekommt. Gleichermaßen sorgt seine Moralität dafür, dass er eine tiefe Abneigung gegen den „unanständigen Psychologismus der Zeit“ (ME, S. 446) empfindet.

Aschenbachs Arbeitshaltung als Künstler lässt sich am besten mit der Aussage eines Beobachters aus der Erzählung beschreiben: „`Sehen Sie, Aschenbach hat von jeher nur so gelebt´ - und der Sprecher schloß die Finger seiner Linken fest zur Faust-; `niemals so´- und er ließ die geöffnete Hand bequem von der Lehne des Sessels hängen.“ (ME, S.443)

Aschenbachs Wandlung von apollinischen Prinzipien zu dionysischer Begierde

Eine richtungsweisende Begegnung veranlasst Gustav von Aschenbach dazu, spontan seine Heimatstadt zu verlassen. Der sonst so gefasste und ordnungsliebende Aschenbach muss seinen gewohnten Tages- und Arbeitsablauf zurücklassen und findet, geleitet von den zufälligen Treffen auf seiner Reise, den Weg nach Venedig. Dort denkt er einige Tage der Entspannung erleben zu können, welche er am Meer sucht. Aschenbachs Affinität für das Meer begründet er selbst mit einem „verbotenen, seiner Aufgabe gerade entgegengesetzten und ebendarum verführerischen Hange zum Ungegliederten, Maßlosen, Ewigen, zum Nichts.“ (ME, S.467). Diese von Aschenbach selbst gemachte Aussage zeigt, dass die Leidenschaft, die ihn zu einem späteren Zeitpunkt ergreift und seine Selbstbeherrschung schwinden lässt, durchaus nicht schlagartig eintritt, sondern unterbewusst bereits geraume Zeit gegenwärtig ist.

Der endgültige Auslöser für den Wandel in Aschenbach ist das Auftauchen des vierzehnjährigen Jungen Tadzio, einem Polen, der ihm in Venedig begegnet. Gustav von Aschenbach, der es sich als Künstler zum Ziel gemacht hat, nach Vollendung zu streben, sieht in Tadzio den Prototypen der Schönheit. Er beschreibt den Jungen als vollendet und anziehend und beschwört, dass er niemals etwas Vollkommeneres gesehen hat.

Bis zu diesem Zeitpunkt der Erzählung sieht Aschenbach Selbstdisziplin, Fleiß und die bürgerlichen Werte in seinem Leben als am Wichtigsten an, was durch seinen Lieblingsbegriff „Durchhalten“ (ME, S. 443) hervorgehoben wird. Diese Art der Lebensführung kann als Darstellung des von Nietzsche geprägten Begriffs des `Apollinischen´ gesehen werden. Apollo, der Gott der bildenden Kräfte, steht laut Nietzsche für Ordnung und das rechte Maß. Zudem ist dieser der Herrscher des Traumes, durch den er zur „höheren Wahrheit“ und zum „höchsten Leben der Traumwirklichkeit“[4] gelangt. Wildere Empfindungen werden in diesem Falle durch eine „zarte Linie [als] maßvolle Begrenzung“[5] abgetrennt. Dies ist auch in Aschenbachs künstlerischen Idealen zu erkennen: Form, Maß und Klassizität müssen in seinen Werken stimmen und ein ordentliches Gesamtbild ergeben – es darf keine Unruhe geben. Zudem ist er selbst bereits in jungen Jahren dafür zuständig, seinen eigenen Ruhm zu verwalten. (Vgl. ME, S.442)

Gegensätzlich hierzu verhält sich Aschenbach nun aber, nachdem er auf Tadzio getroffen ist. Obwohl Gustav von Aschenbach den Jungen anfänglich nur als Kunstwerk ansieht und es während der gesamten Erzählung zu keinem Gespräch zwischen den beiden kommt, nimmt er doch immer mehr Platz in seinen Gedanken ein. Nachdem Venedig den Gesundheitszustand Aschenbachs mehr und mehr verschlechtert, fasst dieser den Entschluss, abzureisen. Beim Versuch Tadzio vor seiner Abreise noch ein letztes Mal zu sehen, kommt es zu einem Missverständnis mit dem Portier, was dazu führt, dass Aschenbach doch in Venedig verweilen muss. Später erst gesteht er sich ein, dass Tadzio der eigentliche Grund war, der ihn in der ihn krank machenden Stadt hielt. ,,[Aschenbach] fühlte die Begeisterung seines Blutes, die Freude, den Schmerz seiner Seele und erkannte, daß ihm um Tadzios willen der Abschied so schwer geworden war." (ME, S.478). Während Aschenbach Tadzios Anziehung auf ihn zunächst schlicht als Begegnung seines Geistes mit dem wahrhaft Schönen abtut und somit eine Distanz zwischen sich und dem Jungen aufbaut, kann er dies nicht lange aufrechterhalten. Am Ende des vierten Kapitels gesteht er sich seine Liebe zu Tadzio ein und löst daraufhin jeden Abstand zwischen ihnen. Aschenbach beginnt den Jungen regelrecht zu verfolgen und wechselt so langsam von seiner apollinischen zu einer dionysischen Seite.

Das Dionysische kann bei Nietzsche als das Eintauschen der Individualität gegen Selbstvergessenheit gesehen werden. Dionysos ist der Gott des Rausches und verführt den Menschen dazu, Affekte auszuleben.

„Der Mensch ist nicht mehr Künstler, er ist Kunstwerk geworden: die Kunstgewalt der ganzen Natur, zur höchsten Wonnebefriedigung des Ur-Einen, offenbart sich hier unter den Schauern des Rausches.“[6]

Aschenbach, der Unheil in der „erkrankten Stadt“ (ME, S.493) spürt, begibt sich auf die Suche nach dem Geheimnis der Stadt. Dieses verschmilzt alsbald mit seinem eigenen Geheimnis und als er herausfindet, dass die todbringende Krankheit, die in Venedig ausgebrochen ist, die indische Cholera ist, unterlässt es Aschenbach eine „reinigende und anständige Handlung“ (ME, S.506) zu tun und Tadzios Familie vor der Seuche zu warnen. Kurz vor seinem Ende tritt dann die definitive Wandlung des Künstlers zum Dionysischen ein: In einem Traum befindet sich Aschenbach in kaum zu steigernder Ekstase. Der Traum sprengt die Grenzen von allem, was Aschenbach zuvor als anständig angesehen hat und Aschenbach wendet sich einem Gott zu, der mit Fremdartigkeit, Rausch und Ekstase einhergeht (Vgl. ME, S.507-509), welches Sinnbilder des Gottes Dionysos sind. Aschenbach fühlt, dass er nun „[…] dem fremden Gotte gehörig“ (ME, S.509) ist. Diese dionysische Seite Aschenbachs manifestiert sich daraufhin in seinem Versuch, jünger zu wirken, indem er sich schminken lässt. Eine mögliche Interpretation dieser Verkleidung ist, dass Aschenbach fortan unter einer dionysischen Maske agiert, unter der ihm beispielsweise die öffentliche Meinung gleichgültig ist.

Nietzsche beschreibt zudem, dass eine „Versöhnung beider Götter [Apollo und Dionysos] nur periodisch“[7] auftritt. Dies kann im Falle Aschenbachs in einer kurzen Synthese seiner beiden charakterlichen Züge ausgelegt werden, wenn er die „anderthalb Seiten erlesener Prosa“ erschafft, die er selbst mit den Worten „Seltsam zeugender Verkehr des Geistes mit einem Körper“ (ME, S.484) zusammenfasst.

Thomas Mann selbst beschreibt Aschenbachs Lebenswandel als einen „verwüstende[n] Einbruch der Leidenschaft, die Zerstörung eines geformten, scheinbar endgültig gemeisterten Lebens, […] das durch Eros-Dionysos entwürdigt und ins Absurde gestoßen wird.“[8]

Tonio Kröger

Tonio Kröger als Komposition aus Bürger- und Künstlertum

Wie bereits Gustav von Aschenbach, so vereint Tonio Kröger, der Protagonist der gleichnamigen Erzählung Thomas Manns, ebenfalls Aspekte von Künstler- und Bürgertum in sich. Schon sein Name ist geradezu ein Gegensatz dieser beiden Welten: Er besteht aus einem südländischen Vornamen und einem nordisch-bürgerlichen Nachnamen.

[...]


[1] Nietzsche, Gesammelte Schriften, S.322

[2] Mann, Die Erzählungen, S.442. Das Werk wird im Folgenden unter der Sigle ME gekennzeichnet.

[3] Mann, Richard Wagner, S.458.

[4] Vogel , Nietzsche und Wagner, S.25

[5] Nietzsche, Geburt der Tragödie, S.30

[6] Ebd., S. 32

[7] Ebd., S. 27.

[8] Mann, On Myself , S.72.

Final del extracto de 15 páginas

Detalles

Título
Selbsterfahrung zwischen Künstler- und Bürgertum in Thomas Manns „Tonio Kröger“ und „Der Tod in Venedig“
Universidad
University of Cologne  (Institut für Deutsche Sprache und Literatur)
Curso
Thomas Mann Erzählungen
Calificación
2,0
Autor
Año
2011
Páginas
15
No. de catálogo
V302777
ISBN (Ebook)
9783668010000
ISBN (Libro)
9783668010017
Tamaño de fichero
494 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Thomas Mann, Tonio Kröger, Tod in Venedig
Citar trabajo
Mirja Quix (Autor), 2011, Selbsterfahrung zwischen Künstler- und Bürgertum in Thomas Manns „Tonio Kröger“ und „Der Tod in Venedig“, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/302777

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