Zum Minnebegriff bei Hartmann von Aue im "Erec" und im "armen Heinrich"


Masterarbeit, 2012

65 Seiten, Note: 1,6


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Zum Ritterleben und zum Begriff ‘Minne’ in der höfischen 5 Gesellschaft
2.1 Artusepik
2.2 Minnedichtung

3. Zum Begriff ‘Minne’ in der Dichtung Hartmanns von Aue
3.1 Ansichten zur Dichterpersönlichkeit und Biographie Hartmanns von Aue
3.2 Zur Minnedichtung Hartmanns

4. Zum Minneaspekt im Erec
4.1 Zur Vorlage und zum Aufbau
4.2 Zur Darstellung der Frau und zum Minnebegriff im Erec

5. Zum Minneaspekt in Der arme Heinrich
5.1 Zur Vorlage und zum Aufbau
5.2 Zur Darstellung der Frau und zum Minnebegriff im armen Heinrich

6. Zu den Frauengestalten bei Hartmann von Aue: Ein Vergleich zwischen Enite und der Meierstochter

7. Schlussfolgerung

Siglenverzeichnis

Literaturnachweis

Vorwort

Als ich mich vor zwanzig Jahren während des Studiums MO-B Deutsch (zum Erlangen der Unterrichtsbefugnis 1. Grades) mit der Literatur des Mittelalters befasste, wurden in den Kursen verschiedene Dichter besprochen. So auch Hartmann von Aue, dessen vielseitiges Werk immer noch beeindruckend ist. Zur damaligen Zeit galt bei dem Kurs Mediävistik die Überzeugung, dass Hartmann von Aue sich in seiner Dichtkunst von einem überzeugten Minnedichter zu einem Gegner des Minnedienstes entwickelt habe – er sagte letztendlich nicht nur dem Minnedienst ab, sondern dichtete eine Art ‘Anti-Minne’.

In der Orientierung an einem Thema für meine Masterarbeit kam ich wieder auf Hartmann von Aue, dessen Werke ich sehr schätze. In der neueren Forschungsliteratur zu den Werken Hartmanns stieß ich auch auf neue Ansichten zu der Interpretation dieser Dichtung: nicht die Entwicklung Hartmanns von einer Minnedichtung zu einer Dichtung der Anti-Minne wurde betont, sondern seine künstlerische Disziplin, sich in unterschiedlichen Gattungen zu diversen Themen, wobei das der Minne ein sehr wichtiges ist, zu äußern.

Die Tatsache, dass sich zu der Interpretation der mittelalterlichen Dichtung in der Literaturforschung über zwanzig Jahre neue bzw. andere Erkenntnisse entwickelt haben, brachten mich auf den Gedanken, das Thema ‘Minne’ bei Hartmann nochmals zu beleuchten – dieses Mal in einem Vergleich des Minneaspektes zwischen zwei Genres.

Die vorliegende Arbeit ist ein Versuch, die Minne im Erec mit der Minne in der Dichtung Der arme Heinrich zu vergleichen, wobei die Bedeutung und die Funktion der Minne in den beiden Genres erörtert werden.

An dieser Stelle möchte ich meiner Dozentin und Begleiterin, Frau Dr. A. Bollmann, für ihre Anregungen, Verbesserungsvorschläge und geduldig geleistete Hilfe ganz herzlich danken.

Dank gilt auch meinen eigenen ‘Rittern’, Egbert und Florian, die mir die Zeit für meine Arbeit mit Geduld gegönnt haben.

August 2012

1. Einleitung

Die Dichtkunst Hartmanns von Aue ist als verschiedenartig zu bewerten, da sein Repertoire sowohl Werke umfasst, die der Artusepik zugeordnet werden können, als auch Werke im Bereich der Minnelyrik, der Legendenlyrik und der Kreuzzugslyrik.

Ob und inwiefern bestimmte Themen trotz dieser Diversität wiederholt in seinen Werken vorkommen und in welcher Form, ist eine interessante Frage. Eines der Themen, das von verschiedenen Literaturwissenschaftlern analysiert worden ist, ist der Minneaspekt im Werk Hartmanns von Aue. Dies hat zu unterschiedlichen Ansichten zu der Frage geführt, wie das Thema ‘Minne’ im Werk Hartmanns von Aue zu bewerten ist. Ist seine Auffassung zur Minne am Ende seines Lebens, wie einige Literaturforscher meinen, einer Absage an die Minne gleichzusetzen? Macht Hartmann in seinem Dichterleben diesbezüglich eine Entwicklung durch? Ändert sich seine gesellschaftliche und literarische Ansicht zur Minnethematik in der Dichtkunst mit den Erfahrungen, die er in seinem Leben macht?

In dieser Arbeit soll untersucht werden, ob es in seinem Werk Indizien gibt, die die Schlussfolgerung zulassen, dass der anfängliche Minnebegriff bei Hartmann sich allmählich in eine der Minne entgegengesetzten Auffassung und schließlich in eine Absage an den Minnedienst, oder gar einen Widerstand gegen die Minne, ändert, oder ob Minne vielmehr eine gattungsspezifische Funktion hat.

Die Fragestellung ist demnach:

Inwiefern ist der Minnebegriff bei Hartmann von Aue als gattungsspezifisch oder als Folge seiner persönlichen Entwicklung zu betrachten?

Dazu wird zuerst auf den Begriff ‘Minne’ eingegangen: dabei wird der Stellenwert der Minne und der Minnedichtung in der höfischen Gesellschaft und Literatur näher erläutert. Um den gattungsspezifischen Aspekt der Minne zu beleuchten, werden anhand zweier Werke unterschiedlichen Genres (des Artusromans Erec und der Verserzählung Der arme Heinrich) in Anbetracht seiner gesellschaftlichen Position, seines Lebenslaufs und Biographie die Auffassung Hartmanns bezüglich Minne und Minnedienst analysiert. Dabei wird vor allem untersucht, inwiefern Minne in diesen beiden Gattungen der Dichtung Hartmanns eine zur höfischen Prinzipien gehörende Rolle spielt, oder vom Dichter auf andere Weise eingesetzt wird.

Die im Vergleich der Werke und durch Analyse der Sekundärliteratur erlangten Einsichten werden zuletzt in der Schlussfolgerung zusammengebracht, um eine Antwort auf die These zu bekommen.

2. Zum Ritterleben und zum Begriff ‘Minne’ in der höfischen Gesellschaft

Die adlige Gesellschaft im Mittelalter ist uns größtenteils durch die Literatur und ferner aus Quellen der Bilddarstellung und der materiellen Hinterlassenschaft bekannt[1]. Die höfische Dichtung ist jedoch keine Abspiegelung der tatsächlichen Alltagsrealität, die wesentlich härter, grausamer und elender war als sie in der Epik und Lyrik dargestellt wird. Die damaligen Dichter haben ein Gegengewicht zur düsteren Wirklichkeit geschaffen, indem die höfische Welt voller Ritterlichkeit, Tugenden und Rechtschaffenheit beschrieben wird, und zudem Hoffeste in ihren Werken eher die Regel als die Ausnahme sind. Letztgenannte Feste waren, trotz der Tatsache, dass es weniger Feste gegeben hat als die Dichtung vermuten lässt, für die adlige Gesellschaft wichtige Anlässe um Reichtum, Prunk, Ritterlichkeit, zeremonielle Umgangsformen und Aufwand zu zeigen[2].

In der höfischen Dichtung gehört es anfangs nicht - zumal die Dichter von Mäzenen leben – zu den Gepflogenheiten, Schattenseiten zu beleuchten oder allzu kritisch der Gesellschaft und der Politik gegenüberzustehen. Einige Ausnahmen sind jedoch zu finden: Hartmann von Aue beschreibt im Erec ohne Zurückhaltung die verarmte Position des Grafen Koralus[3], und im Iwein die wirtschaftlichen Sorgen eines Adligen[4]. Auch andere Dichter, wie Wolfram von Eschenbach, schreiben über Not von Mitgliedern der höfischen Gesellschaft[5].

Um 1200 herum gibt es unter Dichtern mehrere kritische Betrachtungen der höfischen Kultur, die in einer Art ‘Lob der vergangenen Zeit’ (laudatio temporis acti) vermittelt werden: Gesellschaftskritik wird so im Rahmen der Erinnerung an ‘die gute alte Zeit’ geäußert. Beispielhaft dafür sind Anmerkungen oder Betrachtungen, wie sie der alte Meier Helmbrecht, Hartmann von Aue, Heinrich von Veldeke, und noch andere Dichter machen[6].

Großen Einfluss auf die deutsche höfische Gesellschaft hatte Frankreich: verschiedene Quellen belegen die Übernahme der französischen Umgangsformen[7], und somit auch die kulturelle Prägung. Die Dichtung richtete sich nach den französischen Hauptgattungen: Minnelied und höfischer Roman.

Die Dichtkunst, die sich nach 1150 in Deutschland entwickelte, bildete in dem Sinne einen Wandel in der herkömmlichen Dichtertradition, dass erstmals nicht nur Kleriker, sondern auch Laien sich der Dichtung widmeten, was ebenfalls Folgen für die Thematik hatte.

De Boor[8] spricht von einer “ritterlichen” Dichtung, da diese “vom Ritterstand als Träger der Literatur” verfasst wurde. Weddige[9] setzt dieser Auffassung entgegen, dass es nach Ansicht der neueren Literaturforschung zu der Zeit noch keinen herausgebildeten Ritterstand gab; dieser ging erst im späteren Mittelalter aus dem niederen Adel hervor.

Bumke[10] erklärt in diesem Zusammenhang, dass die damaligen Dichter eine ideale Welt, die in der höfischen Vollkommenheit begründet ist und eher dazu diente, der harten Wirklichkeit etwas gegenüber zu stellen, vorgestellt haben. Dieses Idealbild hatte einen großen Einfluss auf die adlige Gesellschaft: es setzte zur Nachahmung des Verhaltens der höfischen Ritter und höfischen Damen an, sowie es vor allem in der Artusepik beschrieben wird. Die Schilderung des höfischen Lebens wurde vom adligen Publikum als schmeichelhaft empfunden, und als Rechtfertigung der eigenen Ansprüche benutzt[11]. Man könnte somit von einer Art Umkehrung sprechen: nicht die gesellschaftliche Lage prägt die Dichtung, sondern die Dichtung dient als Leitbild für die Gesellschaft.

Weddige weist ferner darauf hin, dass nicht der Ritterstand, sondern der Hof Träger der neuen Literatur geworden ist, und dass der Begriff ‘höfisch’ in der ursprünglichen Bedeutung zwar die sozial- und rechtsgeschichtliche Institution des Hofes beinhaltet, jedoch allmählich die Hofgesellschaft an sich, mit ihrer Auffassung bezüglich der Minne- und Ritterwerte, andeutet[12].

Wer demnach zur höfischen Gesellschaft gehört, hat auch eine entsprechende Erziehung hinter sich. Er/Sie erfüllt die von der Gesellschaft geforderten Bedingungen und besitzt die ästhetische Bildung, die er/sie sich in der Gesellschaft und zum Zwecke dieser Gesellschaft eigen gemacht hat. In dem mittelhochdeutschen Wort hövescheit sind eben diese Merkmale, die man mit ‘höfische Erziehung’, ‘höfisches Wesen’ oder ‘höfische Tugend’ bezeichnen kann, erfasst[13].

Das Idealbild des Rittertums wird anhand einer Art höfischer Tugendlehre dargestellt, die nur in der Dichtung vorgetragen wird und keinen Bezug zur realen Wirklichkeit hat[14]. Gemäß dieser Morallehre haben Ritter sich Tugenden wie êre (Würde, Ansehen), zuht (Anstand, Wohlerzogenheit), mâze (Mäßigkeit, Bezügelung der Leidenschaften), milte (Betreuung), staete (Zuversicht, Beständigkeit), (hôher) muot (Mut, vorbildliche seelische Verfassung), triuwe (Treue, Ehrbarkeit) und diemüete (Demut) anzunehmen, und üben sie sich in angemessenem Dienst an Gott.In der Legendendichtung ist das wichtigste Thema das Eingreifen Gottes in weltliches Handeln oder in weltliche Probleme, so dass eine Art Läuterung stattfinden kann.

Eine Sonderstelle nimmt die ‘Minne’ oder der ‘Minnedienst’ ein, der/dem sich jeder Ritter oder Ministeriale annimmt, die jedoch in der Dichtkunst unterschiedliche Interpretationen erfahren[15]. ‘Minne’ als Begriff ist laut Schweikle[16] zurückzuführen auf das althochdeutsche Wort minna, das ‘freundliches Gedenken’ bedeutet. In dieser Bedeutung findet man den erwähnten Minnedienst: den Dienst eines Ritters an eine ihm in gesellschaftlicher Stellung überlegene Dame, der er ehrerbietig Dienst leistet und wofür er von der Dame ohne jegliche sonstige Erwiderung ausschließlich huld und gruoz als Belohnung empfängt[17].

Die damalige hierarchische Gesellschaftsstruktur bildet sich nach der Grundlage des Lehnswesens, dessen Rechtsgrund Dienst und Treue ist, sowohl vom Dienstherrn als vom Lehnsmann[18].

Die Gesellschaft der Ritter gilt als heterogen; sowohl Angehörige des Hochadels als auch des niederen Adels gehören dieser Schicht an. Ist ursprünglich die Herkunft der Bezeichnung Ritter zurückzuführen auf das lateinische miles in der Bedeutung von Soldat oder Krieger, im 10. und 11. Jahrhundert wird diese Bezeichnung auch für adlige Vasallen angewendet und von dem 12. Jahrhundert an gibt es kaum noch Unterschiede in der Andeutung zwischen Ritter und Ministeriale(aus dem Herrendienst aufgestiegene Unfreie, die seit dem 13. Jh. zum niederen Adel zählen[19] ). Die Lebensmoral der Ritter lässt sich am deutlichsten zusammenfassen in dem Wort êre, das sowohl das äußere Geltungsbewusstsein als auch die innere Gesinnung beinhaltet.

Hartmann von Aue war, als Angehöriger einer Feudalgesellschaft, vermutlich ein Ministeriale; er war kein Berufsdichter, sondern ein Laie, der seine Ausbildung am Hof, und nicht im Kloster erhalten hat[20].

Zur gesellschaftlichen Stellung der höfischen Dichter ist nicht viel bekannt.

Der Grund, dass Dichter der höfischen Zeit sich in ihren epischen Werken (meist in den Prologen) vorstellen, im Gegensatz zu den früheren anonymen Dichtern, ist in der Steigerung des Selbstbewusstseins und dem Hang nach Anerkennung gelegen: im 12. und 13. Jh. wird Dichtung an den Höfen sehr geschätzt[21]. Aussagen über die Position der Dichter sind nicht urkundlich nachweisbar, wohl aber ist die Abhängigkeit von Gönnern – gemessen an der Tatsache, dass die Verfassung epischer Dichtungen mehrere Jahre umfasste, und an den Aussagen der Dichter selber über den Fortgang ihrer Werke – bewiesen. Nur einigen wenigen Dichtern (z.B. Heinrich von Veldeke und Hartmann von Aue) sind sowohl epische als auch lyrische Werke zuzuschreiben: normalerweise gehören Dichter entweder zum Autorenkreis der Epiker oder zu dem der Lyriker. Laut Bumke[22] bedeuten Gattungsgrenzen oft auch Standesgrenzen.

Die Stellung der Frau ist in der höfischen Dichtung von größter Wichtigkeit. Sie ist der Mittelpunkt der Gesellschaft; erst durch ihre Anwesenheit ist die Gesellschaft wirklich höfisch. Sie ist die Quelle der Freude, wird als reines, vollkommenes Wesen dargestellt und ist somit berufen, den Mann zu höfischer Vollkommenheit zu erziehen. Diese Stellung der Frau ist nichts anderes als ein poetisches Ideal und steht mit der wirklichen Position der Frau in keinem Zusammenhang. Sie ist in der Realität der damaligen Gesellschaft dem Manne untergeordnet: Wesen und Wert der Frau wird im Mittelalter am Mann gemessen[23]. Die Frau gilt als minderwertig und für Sünde anfällig. Kellermann-Haaf[24] weist in diesem Zusammenhang darauf-hin, dass diese untergebene Stellung in der Dichtung ebenfalls erkennbar ist: die Frau erhält ihr Existenzrecht durch Minnebindung an den Ritter. Die Eigenschaften und Werte, die eine Frau dazu benötigt, findet man in dem Minnedienst als eine der Tugenden der Ritter wieder.Die schon erwähnte huld und der gruoz werden dem Ritter gewährt, indem er sich dem Minnedienst mit Begeisterung, Ausdauer und Originalität widmet. Eine wechselseitige Beziehung ist nicht üblich und auch nicht erwünscht; der Minnedienst hat nur die Erfüllung ritterlicher Tugenden zum Ziel, und keine Erwartungen an die Dame.Die äußerliche Schönheit der Frau steht der innerlichen Tugendhaftigkeit gleich: der schönen, höfischen Frau wird eine moralische Vollkommenheit zugedichtet, mit der sie von einer gesellschaftlichen Funktion aus dem Mann Werte vermittelt[25].

Die Frage, wie höfische Liebe zu deuten sei, hat bis heute viele Forschungsdiskussionen entfacht. Man ist sich im Grunde nur in Bezug auf die Diversität einig: es gibt einen Unterschied zwischen Epik und Lyrik, und innerhalb der Genres haben Autoren jeweils eigene Akzente gesetzt. Diese Akzente äußern sich darin, dass die Minne mal als eine unerfüllte Liebe dargestellt wird, mal jedoch auch als gegenseitige, wobei sie einerseits der adligen Dame, andererseits auch der Frau eines niederen Standes gilt. Zu dem Begriff der ‘höfischen Liebe’ gehören laut dem Romanisten Gaston Paris[26] einige Merkmale: so ist diese ungesetzlich, und damit zur Heimlichkeit bestimmt. Ferner ist der Mann in der höfischen Minne der Frau untergeordnet und werden Anforderungen an dessen Bemühen, sich zur Vollkommenheit zu entwickeln, gestellt. Schließlich ist sie auch eine Kunst, bzw. eine Wissenschaft und Tugend, deren Spielregeln die Liebenden beherrschen müssen. Thesen wie diese haben zu neuen Diskussionen geführt, die die Auffassung, dass eine einheitliche Anschauung über höfische Liebe durch die unterschiedlichen Darstellungsweisen und die gattungsspezifischen Besonderheiten in der Dichtung nicht möglich ist, bestätigt haben.[27]

Auf die für diese Arbeit wichtigen Aspekte der höfischen Liebe in der Artusepik und in der Minnedichtung wird nachfolgend näher eingegangen.

2.1 Artusepik

In der Entstehunsgeschichte des deutschen Artusromans sind die Werke des Chrétien de Troyes aus Frankreich von großer Wichtigkeit. Er wird als der eigentliche Begründer der Artusepik, die dem deutschen Publikum zum ersten Mal von Hartmann von Aue mit der Übersetzung und Bearbeitung des Erec vermittelt wird, betrachtet[28]. Die Erzählungen des Chrétien bedeuten eine neue Auffassung von der Literatur in der höfischen Zeit. Um 1170 entstanden nach der französischen Vorlage Werke wie das Rolandslied, Eneit und der Trierer Florys. Dabei ist nicht die Erfindung neuer Stoffe wichtig; eine Bearbeitung des Inhalts oder höchstens eine Umdeutung gewisser Geschehnisse genügen, damit im Wahrheitsgehalt und somit in der Glaubwürdigkeit die Quelle als Legitimation dienen kann[29].

Der Anfang jeder Artusgeschichte wird von einer Verstörung der höfischen Ordnung markiert. Dabei handelt es sich oftmals um eine Schändung der Ehre, die von einem auserwählten Ritter durch âventiure wiederhergestellt werden muss. Die Verletzung der Ehre ist nicht nur eine persönliche Kränkung, sondern auch eine Beleidigung des gesamten Artushofes[30].

Während der âventiure gerät der Ritter in Situationen, in denen er tugend zeigen kann: Hilfe leisten, Güte zeigen, usw. Es handelt sich dabei um Dienste an die Gemeinschaft, die dem Ritter ebenfalls einen individuellen Aufstieg bringen. Nachdem er sich ausreichend für Rehabilitation eingesetzt, und somit seine Ehre wiederhergestellt hat, kehrt der Ritter an den Artushof zurück.

Die âventiure -Handlung ist mit minne -Handlung verknüpft, wie am Beispiel der beiden Artusromane Hartmanns deutlich zu erkennen ist: während Erec den Fehler macht, sich zu verligen, indem er sich ausschließlich der Liebe zu Enite widmet und damit seine Verantwortlichkeiten als Ritter vernachlässigt, nimmt Iwein diese viel zu ernst, und verrîtet sich, so dass seine Laudine diejenige ist, die unter Vernachlässigung zu leiden hat. In beiden Fällen ist richtige mâze der Kern der Lösung.

König Artus selber gilt als Inbegriff des höfischen Ritters, der die Ordnung der höfischen Welt aufrecht erhält und sich ständig durch seine Weisheit und Freigiebigkeit[31] bewährt.

Bemerkenswert in den Artusromanen sind ferner die märchenhaften Gestalten, denen der Ritter während seines Ausritts begegnen kann: Zwerge, Riesen, Drachen – seine Kampffähigkeiten werden auf sehr verschiedenartige Weise erprobt. Auch im Erec sind diese Gestalten vorhanden.

2.2 Zur Entwicklung der Minnedichtung

Laut Schweikle[32] ist der mittelalterliche Minnesang so vielseitig, dass es keine allesumfassende Theorie gibt, um diese Dichtform als einheitliche Kunstäußerung zu analysieren. Er weist daraufhin, dass zur Erklärung des Entstehens des Minnesangs und zur späteren Herausbildung dieser Lyrik viele Faktoren, die vor allem von den gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen im 12. Jh. bestimmt worden sind[33], einbezogen werden müssen. Seiner (auf den Vergleich verschiedener Theorien von Literaturwissenschaftlern gegründeten) Meinung nach ist der zwischen 1170 – 1200 gedichtete Hohe Minnesang ein Ausdrucksmedium des gesamten Adels, in dem die Problematik und Situation der damaligen Gesellschaft dargestellt wird: die höfische Gesellschaft (sowohl die adligen als auch nicht-adligen Schichten), positioniert sich in der Dichtung, die zur Selbstdarstellung dient, indem die Situation, in der man sich befindet (z.B. die standesgemäße Lage), oder die existentiellen Unsicherheiten (wie Angst vor Sünde und Buße) sich in dem Werbeaspekt des Minnedienstes (wobei ein unerreichbares Ideal hervorgehoben wird) äußern. Zentrale Werte dabei sind dienest und triuwe, die die Grundlage zum Funktionieren des neuen Feudalsystems bildeten.

Der Frauendienst ist als Metapher der Dienstideologie zu verstehen, in der durch das Handeln der Dichter (oder, wie in Erzählungen, der Ritter) und durch das Streben, die rechte mâze in den Tugenden zu betrachten, emotionale und existentielle Probleme dargestellt werden.

Ein individuelles Angehen der Problematik, die dadurch verstärkt wird, dass kein Dichter zu der damaligen Zeit einen Gesamtüberblick der Literatur und der Entwicklungen in der Dichtung haben konnte, ergibt eine große Diversität in der Entwicklung des Minnesangs[34].

Demzufolge unterscheidet Schweikle einige Phasen in der Entwicklung der Minnedichtung, die weder zeitlich, noch vom Inhalt her chronologisch zu bewerten sind, sondern sich größtenteils nebeneinander entwickelt haben[35]. Der Zeitraum, in dem Hartmann dichtete, erstreckt sich von der zweiten Phase (der ersten Hochphase, um 1170-1190/1200) bis zur vierten Phase, (um 1190 – 1230). In der ersten Hochphase befassen sich die Dichter thematisch mit der Ausgestaltung des Minnedienstes in der Hohen Minne; auch Kreuzzugslieder und Hohe-Minne-Klage gehören zu dieser Phase. Hartmann hat sich auch mit der Dichtung der dritten Phase, (um 1190-1210/20), die sich auf Kreuzlieder, Frauenlieder, niedere Minne und Witwenklagen bezieht, befasst. Mit der vierten Phase als Höhepunkt und Überwindung (1190-1230) setzt die Problematisierung der Definition von frouwe und wîp sich durch, werden Parodien, Mädchenlieder und Lieder der niederen Minne geschrieben, und bekennen Dichter, wie auch Hartmann, sich zu einer Minne-Absage.

Inhalt der frühen Minnelyrik ist das Werben um eine Frau, das über Zweifel, Anstrengung, Eifersucht, usw. zum Treuebekenntnis führt. Hier ist die Rede von einer partnerschaftlichen Beziehung. Langsam entwickelt sich dieser frühe Minnesang zu dem eigentlichen, hohen Minnesang.

Es gibt zwischen dem Ritter und der Dame eine Distanz. Einerseits ist diese sozial-historisch zu erklären, und zwar aus der Tatsache, dass der im 12. Jahrhundert aufkommende Ministerialstand (zu dem einige Dichter, wie auch Hartmann von Aue, gehören), durch Dienstleistung um die Anerkennung von Höhergestellten werben muss.

Ganz ohne Makel ist diese These jedoch nicht: der soziale Status der meisten Minnesänger war nicht unumstritten der des Ministerialen; es befanden sich unter den Dichtern auch Hochadlige[36]. Außerdem musste sich nicht jeder Dienstmann um Anerkennung bemühen, weil einige sich längst ‘hochgearbeitet’ hatten.

Eine weitere Erklärung ist die, dass die Distanz als solche nicht aus sozialen Gründen gegeben ist, sondern vielmehr als eine Art Fiktion gesehen werden soll, die eine tiefere Bedeutung hat[37]: Kern des Minnesangs ist das mit gröβter Anstrengung durchgehaltene Werben um eine Frau. Ziel ist die Anerkennung, zunächst durch die Frau – der Minne Lohn. Dieser Lohn ist in einer Ehe jedoch nicht zu finden, da die Frau in einer Ehe dem Mann untergeordnet ist. Demnach galt die Liebeslyrik einer Frau, die über ihren tatsächlichen Rang hinausgehoben wird, oder, wie auch oft vorkam, schon mit einem anderen verheiratet ist.

Es geht hierbei jedoch auch um die sittliche Vervollkommnung durch das strenge Einhalten der Tugenden. Dadurch, dass die Frau erhöht wird, ist sie ein reines und vollkommenes Wesen. Der Ritter muss sich vor ihr bewähren, seine Liebe bleibt jedoch unerfüllt – seine Minneherrin ist unerreichbar.

Zu den verschiedenen Gattungen innerhalb des Minnesangs gehören inhaltlich unterschiedliche Liedtypen[38], wie z.B. die Minneklage, in der eine nicht-erwiderte Anbetung einer höher gestellten Dame geäußert wird, wobei der Werbende Beharrlichkeit in seinem Dienst zeigt und nicht resigniert, jedoch Enttäuschungen über das Ausbleiben des Lohnes zu bewältigen hat. Auch Kreuzlieder, in denen als ethisch-religiöses Problem die Diskrepanz zwischen Minnedienst und Gottesdienst und der damit verbundene Entscheidungskonflikt des Dichters beschrieben wird, gehören zur Minnelyrik, wie die ‘Mädchenlieder’, die sich an junge, unverheiratete Frauen richten und gegenseitige Liebe zulassen.

Wie sich aus dieser kurzen Übersicht erweist, hat sich der Minneaspekt in der Dichtung Hartmanns in verschiedenen Gattungsformen geäußert, von Minneliedern und Kreuzzugsliedern bis zu Artusromanen und in gewissem Sinne auch Legendendichtung. Interessant dabei ist die Frage, welche Rolle Minne in den unterschiedlichen Genres spielt.

3. Zum Begriff ‘Minne’ in der Dichtung Hartmanns von Aue

3.1 Ansichten zur Biographie und Dichterpersönlichkeit Hartmanns von Aue

Eine Analyse des Minnebegriffs in den Werken Hartmanns verlangt eine genauere Betrachtung des Dichters als Person, sowie einen Einblick in die Entwicklung seiner Dichtkunst.

Über das Leben Hartmanns ist sehr wenig bekannt. Wie schon erwähnt, war er vermutlich ein Ministeriale[39], nach seinen eigenen Worten am Anfang des armen Heinrich:

1 – 5: Ein ritter sô gelêret was,

daz er an den buchen las,

swaz er dar an geschriben vant;

der was Hartman genant.

dienstman was er ze Ouwe.

Um welche Aue es sich hier handelt, ist umstritten, vermutlich aber liegt die Heimat Hartmanns in einer Aue im Schwabenland, wie Heinrich von dem Türlin erwähnt[40]. Auch Hartmann selber verweist im armen Heinrich auf dieses Gebiet. Zu Anfang spricht er von dem Herrn Heinrich, der im Schwabenland wohnt:

31 ze Swâben gesezzen

und bei der Rückkehr des vom Aussatz geheilten Heinrich wird dieser von den ‘Schwaben’ empfangen:

1419 – 1427: Do enpfiengen in die Swâbe

mit lobelîcher gâbe;

daz was ir willeclîcher gruoz.

got weiz wol, den Swâben muoz

ieglich biderber man jehen,

der sî dâ heime hât gesehen,

daz bezzers willen niene wart,

dan als in an der heimvart

sîn lantliut enpfienge.

Da Hartmann sich in der ersten Szene als Dichter derartig vorstellt, dass eine Parallele zum Protagonisten Heinrich gezogen werden kann, ist auch anzunehmen, dass das hier genannte Schwabenland die Heimat des Dichters ist.

Vermutlich wurde Hartmann zwischen 1160 und 1165 geboren und starb er zwischen 1210 und 1220; Belege dafür sind anhand anderer Werke gefunden: 1210 berichtet Gottfried von Straßburg von dem lebenden Hartmann[41] und um 1220 beklagt Heinrich von dem Türlin den toten Dichter[42]. Dass Hartmann ein gebildeter Dichter war und eine Kloster- oder Domschule besucht haben muss, geht auch aus den ersten Zeilen des armen Heinrich hervor. Er muss, nebst theologischem und juristischem Wissen auch über Französischkenntnisse verfügt haben, da sein Erec auf der französischen Vorlage des Chrétien de Troyes (Érec et Énide) gefußt ist[43]. Laut Bumke[44] hat sich der französische Einfluss auf die Literatur von westlicher in östliche Richtung ausgebreitet, was zur Folge hatte, dass die frühe Epik nach französischer Vorlage am Mittel- und Niederrhein verfasst wurde, und sich kurz darauf das Zentrum der epischen Dichtung an den Oberrhein verlagerte, wo Hartmann von Aue, Gottfried von Straßburg, Ulrich von Zatzikhoven (Lanzelet) und Konrad Fleck (Flore und Blanchefleur) dichteten. Da der französische Einfluss in weiteren Abständen nach Osten nachließ, ist auch diese geographische Situierung der Literatur ein Indiz für die Herkunft Hartmanns.

Gemäß Weddige[45] ist Hartmann von Aue sowohl ein in der Volkssprache dichtender Laie, als auch ein Dichter mit einem gewissen Bildungsgrad, ein homo litteratus. Bumke[46] weist auf die Tatsache hin, dass Hartmann nach eigener Aussage miles und clericus (sowohl Ritter als Gebildeter) ist. Nach derzeitigen Ansichten ist dies eine ungewöhnliche Situation, die vermutlich damit zu erklären ist, dass Hartmann ein geistliches Amt angestrebt hat, jedoch aus unbekanntem Grund in den Laienstand zurückgekehrt ist.

Sein vermutlich erstes Werk ist die Klage oder das Büchlein und datiert auf ungefähr 1180. Aus der Periode 1180-1189 sind ferner um die siebzehn Lieder, anfangs Minnelieder, später Lieder der Welt- und Minneabsage und Kreuzlieder erhalten. Zu Hartmanns Œvre gehören außerdem Artusromane und Verserzählungen bzw. Legendendichtung. Cormeau/Störmer[47] weisen auf die Tatsache hin, dass die Werke Hartmanns nicht eindeutig zu datieren sind. Eine mögliche zeitliche Einteilung ist in der folgenden Übersicht zu sehen[48]:

Um 1180 Klage / Büchlein

1180-1190 Minnelieder:

- Klage um unerfülltes Werben:

205,1 Sît ich den sumer

209,5 Mîn dienst

211,27 Der mit gelücke

207,11 Ich sprach

206,19 Swes vroïde

- Lieder der Minnehoffnung:

212,13 Rîcher got

213,29 Ez ist mir

214,12 Nieman ist

215,14 Ich muoz von rehte

- Frauenlieder:

216,1 Swes vroïde

217,14 Diz wæren

- Minneabsage:

216,29 Maniger grüezet

Erec

1190-1197 Kreuzlieder:

- 209,25 Dem kriuze

- 211,20 Swelch vrowe sendet

- 218,5 Ich var

Gregorius

Der arme Heinrich

Um 1203 Iwein (Der Anfang wurde vermutlich früher

geschrieben)

Zur Chronologie in Bezug auf den Minneaspekt zeigt sich hier, dass zwar die Minneabsage Hartmanns im Unmutslied zum Schluss seiner Minnelyrik gedichtet worden ist und nachdem ein Übergang zur Kreuzzugslyrik gemacht wird, jedoch im Erec, vermutlich kurz danach oder gleichzeitig geschrieben, ist Minne noch ein wichtiges Thema.

Hartmann spricht in keinem seiner Werke von einem Gönner, wohl von einem persönlichen Verhältnis zu seinem Dienstherrn. Angenommen wird, dass dessen Tod um 1187/88 ihn sehr erschüttert hat[49], und diese Tatsache, nebst der Enttäuschung über den Minnedienst, ihn zur Teilnahme an einem Kreuzzug, entweder am dritten Kreuzzug (1189/90) oder am vierten (1197/98)[50], veranlasst haben. Dichterisch scheint er sich vom weltlichen Schreiben abzuwenden; so entstehen seine Kreuzlieder und die beiden legendären Versepen Gregorius und Der arme Heinrich.

Nachdem der Iwein vollendet war (um 1200), hat Hartmann vermutlich noch einige Jahre, ohne zu dichten, gelebt: wie schon erwähnt, berichtet Gottfried von Straßburg 1210 von dem lebenden Hartmann. Der Grund seines Schweigens in der Spätphase seines Lebens ist ungeklärt.

3.2 Zur Minnedichtung Hartmanns

Wie viele andere zeitgenössische Dichter greift auch Hartmann das Motiv der Minne häufig in seinen Werken auf. Wie er zu diesem Thema steht, zeigt sich anhand seiner Werke und seines Schreibstils.

In der Periode, in der er sich größtenteils dem Minnesang widmete, ist nach der Auffassung früherer Literaturforscher eine Entwicklung zu sehen[51]: der ‘reine’, höfische Minnedienst, anfangs als Äußerung tugendhaften Handels, wandelt sich allmählich hin zu einer gegenseitigen Liebe – es wird kein huld und gruoz mehr erwartet oder angestrebt; Hartmann richtet sich auf eine entweder gleichwertige oder ‘niedere’ Minne.

Es ist deutlich zu sehen, dass Hartmann die weltlichen Themen schließlich den religiösen Themen unterordnet. Sein Iwein ist darin bemerkenswert: der Anfang wurde schon weit vor 1200 gedichtet, jedoch wird die Vollendung des Werkes um 1200 geschätzt[52]. Dies lässt vermuten, dass Hartmann sich bewusst in verschiedenen Genres geübt hat und sich der gattungsspezifischen Themen annahm.

Die erste uns bekannte Schrift Hartmanns über die Minne ist das sogenannte Büchlein, das das Wesen der Minne zum Thema hat[53].

Bei dem Streitgespräch in diesem Werk zwischen Leib und Herz wird dem Herzen vorgeworfen, es habe den Leib dazu veranlasst, eine Frau zu umwerben, leider jedoch mit dem Resultat der Ablehnung. Das Herz entgegnet dem Leib daraufhin, er habe erstens die Verliebtheit selber verursacht, indem durch seine Augen das Bild der Geliebten ins Herz gebracht wurde, und zweitens durch Mangel an Anstrengung bei der Liebeswerbung die Ablehnung schier heraufbeschwört.

Das Herz gibt dem Leib auf dessen Bitte eine Minnelehre: durch arbeit (stete Selbsterziehung) muss man um die Liebe einer Frau ringen. Es erweitert diese Lehre mit dem Krautzauber aus Kärlingen, wobei Kräuter die Tugenden, die ein Mann haben (und aufrechterhalten) muss, wenn er einer Frau seine Liebe erklärt, nämlich triuwe, milte, zuht, diemüte , staete, kiusheit und manheit, darstellen. Nur so kann man wahre minne erreichen.

Aus diesen Ansichten Hartmanns kann man dessen Einstellung zur Minne um 1180 als die einer ethischen deuten, bei der es sich um Dienst und Lohn handelt. Derjenige, der sich aus freiem Willen zur arbeit (zum Minnedienst, zur Einhaltung der oben erwähnten Tugenden) entschließt, wird ‘geläutert’. Gott ist es, der die Kräuter zusammensetzt: ‘der Würze Herre’[54] ; somit ist der Minnedienst, wie Hartmann ihn beschreibt, auch eine gottgefällige Haltung, trotz des weltlichen Bezugs. Dieser von Hartmann beschriebene Dienst ist der der Hohen Minne, bei der die Frau keine konkrete, individuelle Gestalt ist, sondern diejenige, die durch güete den Anbeter zur gesellschaftlichen Erkennung führt[55].

Mit dem Büchlein wird zum ersten Mal in der deutschen Literatur eine umfassende Reflexion über Minne verfasst[56]. Hartmanns ethische Minne ist ganz anders als die frühhöfische Minne, wobei das Magische, das Zwanghafte eine große Rolle spielte und der Minnende seinem Schicksal überliefert war. Bei Hartmann wird das eigene Handeln betont: der Ritter wirbt, die Dame erteilt Lohn. Das Schicksal des Ritters ist dadurch teilweise in Händen der adligen Dame.

Die ‘Formel’ für den Minnedienst ist somit deutlich erkennbar: Thema in dem hohen Minnesang ist die Beharrlichkeit im Dienst der frouwe; der Mann ist der Frau gleichsam ausgeliefert, er ist ihr Dienstmann. Die Frau ist keine gleichrangige Partnerin; sie ist erhaben, gehört einer höheren Schicht an. Die werbende Anstrengung des Dienstmannes führt zu seiner Läuterung. Dazu gehört auch das fortwährende Streben nach Lohn und eine gehörige Ausdauer, wenn dieser Lohn einem entsagt wird.

In seiner Minnelyrik beklagt Hartmann sich des Öfteren über das Ausbleiben des Lohnes, trotz der Beharrlichkeit des Werbenden[57]:

MF 207, 23 sît ich ir lônes muoz enbern

MF 208, 3 si wil mir ungelônet lân

MF 208,19 si hete mir gelônet baz

MF 208,22 hât mich ir minne lôn verborn

MF 207,24 der ich manec jâr gedienet hân

MF 208,12 si nimet von mir (…) mînen dienest manic jâr

MF 208,8 waz solte ich arges von ir sagen[58]

Die Wiederholung ist dabei auffallend: das Konzept der Minnelyrik ist eine zur Dichtung gehörende Grundlage, nach deren Prinzip jeder Dichter zwar variiert, am Rahmen des Konzepts jedoch festhält[59].

Dieser Aspekt der Unerreichbarkeit als Faktum und Grundlage des Minnedienstes, zu dem Hartmann sich in seiner Minnelyrik lange Zeit bekennt, entwickelt sich bei ihm allmählich zu einer anderen Einstellung zum Begriff ‘Minne’ an sich: das Ausbleiben jeglicher Form von Gegenseitigkeit erfüllt Hartmann schließlich mit Missvergnügen, und bringt ihn zu guter Letzt in eine Art Widerstand: in seinen Dichtungen äußert er sich darüber und vermittelt damit der Öffentlichkeit seinen Zweifel und seine Missmut. Das Unmutslied ist ein Zeichen seines Widerwillens:

MF 216,29 Maniger grüezet mich alsô (…)

ze vrowen habe ich einen sin:

als sî mir sint, als bin ich in;

wand ich mac baz vertrîben

die zît mit armen wîben. (…)[60]

[...]


[1] Bumke (2008), S. 17-18

[2] Ebd., S. 12-13

[3] Erec, V. 252ff

[4] Iwein, V. 2807ff

[5] Bumke (2008), S. 13

[6] Ebd., S.26-27

[7] Vgl. ebd., S. 108-112

[8] De Boor /Newald (1960), S. 255

[9] Weddige (2008), S. 188

[10] Bumke (2008), S. 381

[11] Ebd., S. 381

[12] Weddige (2008) S. 188-189

[13] Bumke (2008), S. 425

[14] Ebd., S. 416

[15] Vgl. dazu Kap. 2.2

[16] Schweikle (1995), S. 169

[17] Vgl. Kap. 2.2

[18] Schweikle (1995), S. 77, Bumke (2008), S. 40
Anm.:Lehnsherr und Lehnsmann sind sich gegenseitig zu consilium und auxilium (Rat und Hilfe) verpflichtet: Als auxilium verpflichtet sich der Lehnsherr zum Verleih eines beneficium (ein Landgut samt Bewirtung zu festgestellter Gegenleistung) und zur Hilfe im Falle eines Angriffs; als consilium vertritt der Lehnsherr seinen Lehnsmann vor Gericht und ist Berater. Das auxilium des Lehnsmannes seinem Herrn gegenüber enthält militärische Leistungen, Zahlungen in Notfällen und Ritterdienste; als consilium steht der Lehnsmann den Lehnsherrn vor Gericht bei und wird als Berater benutzt. (Vgl. Kap. 5 , S. 50)

[19] Bumke (2008), S. 66 - 71

[20] Weddige (2008), S. 54-55. Vgl. dazu auch Kap. 3.1, S. 15

[21] Bumke (2008), S. 678

[22] Ebd., S. 679

[23] Smits (1981), S. 18-19, zitiert nach Zenkner (2010), S. 3

[24] Kellermann-Haaf (1986), S. 337, zitiert nach Zenkner (2010), S.3

[25] Bumke (2008), S. 453

[26] Zitiert nach Bumke (2008), S. 504

[27] Bumke (2008), S. 504, 505

[28] Weddige (2008), S. 194

[29] Ebd., S. 193

[30] Ebd., S. 195-197

[31] Ebd., S. 204

[32] Schweikle (1995), S. 76 - 77

[33] Ebd., S. 77

[34] Ebd., S. 78

[35] Ebd., S. 84-95

[36] Schweikle (1985), S. 103-104

[37] Schweikle (1977), S.69, und Schweikle (1985), S. 123

[38] Ebd., S. 121-155, keine allesumfassende Aufzählung

[39] S. dazu S. 6

[40] Crône, V. 2353 der Swaben lande

[41] Tristan, V. 4621-4635

[42] Crône, V. 2372-2437

[43] Mertens (1998), S. 50

[44] Bumke (2008), S. 121-122

[45] Weddige (2008), S. 55

[46] Bumke (2008), S. 684

[47] Cormeau/Störmer (2007), S. 30-32

[48] S. dazu auch Wapnewski (1980), S. 117

[49] Wapnewski (1980), S. 60, vgl. auch an dieser Stelle MF 201,23f: sît mich der tôt beroubet hat/des herren mîn und MF 206,14: mich hat besw æ ret mînes herren tôt.

[50] An welchem Kreuzzug Hartmann teilgenommen hat, ist umstritten. Vermutlich war es letztgenannter, nach der Interpretation des Kreuzliedes 218,5 und der Erwähnung Saladins in diesem Lied, dessen Todesjahr 1193 war. (Vgl. Cormeau/Störmer [2007], S. 31)

[51] S. dazu Weddige (2008), S. 263-266

[52] Kluge/Radler (1974), S. 17

[53] S. dazu S. 16

[54] Klage, V. 1296: got ist der würz æ re

[55] Cormeau/Störmer (2007), S. 101

[56] Ebd., S. 109

[57] Vgl. Kap.7, S. 57

[58] Zitiert nach Saran (1889), S.12

[59] Saran (1889), S. 12

[60] Zitiert nach Weddige (2008), S. 264

Ende der Leseprobe aus 65 Seiten

Details

Titel
Zum Minnebegriff bei Hartmann von Aue im "Erec" und im "armen Heinrich"
Hochschule
Rijksuniversiteit Groningen  (Faculteit Letteren)
Veranstaltung
Masterkurs
Note
1,6
Autor
Jahr
2012
Seiten
65
Katalognummer
V303351
ISBN (eBook)
9783668014824
ISBN (Buch)
9783668014831
Dateigröße
840 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hartmann von Aue, Erec, Der arme Heinrich, Enite, Minne, Meierstochter, Anti-Minne, Minnedienst, Artusepik, Minnelied, Absage an die Minne, Minnedichtung, höfische Gesellschaft, Ritter, Legendendichtung, Rhetorik, Frauengestalten, Ehre, Mittelhochdeutsch, Gattung
Arbeit zitieren
MA Leonie Wagenaar (Autor:in), 2012, Zum Minnebegriff bei Hartmann von Aue im "Erec" und im "armen Heinrich", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/303351

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