Anthropologische Analyse von Friedensjournalismus. Ryszard Kapuścińskis literarische Reportage "Schah-In-Schah"


Diplomarbeit, 2012

98 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Thema und persönlicher Zugang
1.2. Zentrale und spezifische Fragestellungen
1.3. Anthropologische Relevanz und theoretische Verortung der Arbeit
1.4. Aufbau, Ziele und Methodik der Arbeit

2. Journalismus und Anthropologie
2.1. Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Arbeitsweise
2.2. Berührungspunkte und Berührungsängste in der Praxis
2.2.1. Kooperation birgt Chancen für alle Seiten
2.3. „Anthropology should have changed the world ”

3. Friedens- und Konfliktforschung
3.1. Zentrale Begriffe
3.1.1. Krieg
3.1.2. Konflikt
3.1.3. Gewalt: direkt, strukturell, kulturell
3.1.3.1. Entstehung und Ursachen von Gewalt
3.1.4. Frieden
3.2. Vom Konflikt zur Konfliktanalyse
3.2.1. Das Konfliktdreieck
3.2.2. Weitere Analysepunkte
3.3. Von der Konfliktanalyse zur Konflikttransformation
3.3.1. Arten der Konflikttransformation

4. Friedensjournalismus
4.1. Johan Galtungs Konzept eines Friedensjournalismus
4.1.1. Warum reflektieren unsere Medien diese Kriegslogik?
4.2. Überblick der weiteren Entwicklungen
4.3. Peace Journalism nach Jake Lynch und Annabel McGoldrick
4.3.1. (Kriegs-) Propaganda
4.4. Das Modell eines konfliktsensitiven Journalismus von Nadine Bilke
4.4.1. Demokratie, Menschenrechte, Frieden
4.4.2. Rezeptions- und Wirkungsforschung
4.4.3. Qualitätskriterien für die konfliktsensitive Krisen- und Kriegsberichterstattung
4.5. Produktionszwänge
4.6. Anwendungsbereiche für Friedensjournalismus in der Praxis

5. Die Reportage
5.1. Zeitungs- und Magazinreportage, Szenario und Feature
5.2. Die literarische Reportage
5.2.1. Wahrheit - das Maß der Güte?

6. Ryszard Kapu ci ski
6.1. Ryszard Kapu ci skis Kindheit und Jugend
6.2. Ryszard Kapu ci ski als Journalist und Autor
6.2.1. Schreiben und Stil
6.3. War Ryszard Kapu ci skis Arbeitsweise anthropologisch?
6.3.1. Beantwortung der ersten Forschungsfrage
6.4. Analyse der Reportage „Schah-In-Schah“ auf friedensjournalistische Anteile
6.4.1. Inhalt und Gliederung
6.4.2. Elemente von Friedensjournalismus nach Galtung
6.4.3. Analyse nach Lynch und McGoldrick
6.4.4. Konfliktsensitive Qualität nach Bilke
6.4.5. Beantwortung der zweiten Forschungsfrage

7. Resümee und Ausblick

8. Literaturliste

9. Anhang
9.1. Abstract
9.1.1. Deutsche Zusammenfassung
9.1.2. Englische Zusammenfassung

1. Einleitung

1.1. Thema und persönlicher Zugang

In dieser Diplomarbeit geht es um Ryszard Kapu ci skis literarische Reportagen. Ausgehend von der Idee, dass er als Reporter auch in gewisser Art anthropologisch im Feld gelebt und gearbeitet hat, wird seine Arbeitsweise beleuchtet. Darüber hinaus geht es um Friedensjournalismus, und sein Potential, einen Beitrag zu gewaltfreier Konflikttransformation auf der gesellschaftlichen Meso-Ebene liefern zu können. Diese Verbindung von anthropologischer Konflikttheorie und journalistischem Handwerk wird schließlich an der literarischen Reportage „Schah-In-Schah“ exemplarisch dargestellt und analysiert.

Die Idee zum Thema entstand aus der Überzeugung, dass Kultur- und Sozialanthropologie und Journalismus zwei Felder sind, die sich gegenseitig viel geben können. Irgendwann während meines Kultur- und Sozialanthropologie Studiums fiel mir ein Buch von Kapu ci ski in die Hand („Die Erde ist ein gewalttätiges Paradies“). Einige Jahre und Bücher später, ist der Wunsch herangereift selbst als Reporterin bzw. Journalistin tätig zu sein. An der Umsetzung wird gearbeitet, einige Medien-Praktika sind absolviert und momentan versuche ich diesem Berufswunsch durch einen FH-Master („Journalismus und neue Medien“) auf die Sprünge zu helfen.

1.2. Zentrale und spezifische Fragestellungen

Die Fragestellungen dieser Diplomarbeit haben sich im Arbeitsprozess einige Male gewandelt. Ausgehend von der Frage der Relevanz, die Anthropologie für den Journalismus haben könnte (und umgekehrt) führte der Weg ursprünglich zu der Frage, welche Relevanz der Friedensjournalismus für die österreichischen Medien hätte. Allerdings stellte sich in der Interviewphase heraus, dass sich dieses Thema nicht qualitativ empirisch, mittels Interviews von AnthropologInnen und JournalistInnen befriedigend bearbeiten lässt. Also führte der Weg zurück zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen, zu Ryszard Kapu ci ski.

Die grundlegenden primären Fragestellungen dieser Diplomarbeit lauten daher: Welche Relevanz hat die Anthropologie für journalistische Arbeit? Welche Relevanz hat der Journalismus für anthropologische Arbeit?

Die Überzeugung, dass Kultur- und SozialanthropologInnen sich journalistischer Werkzeuge gezielt bedienen sollten bzw. könnten, zieht sich durch die Arbeit.

Daraus folgend, wird als Beispiel Kapu ci skis Arbeitsweise und seine daraus entstandenen Reportagen einer genauen wissenschaftlichen Analyse unterzogen. Die speziellen Forschungsfragen, die sich daraus ergeben, sind:

FF1: Können Aspekte von Kapu ci skis Arbeitsweise als anthropologische Arbeitsweise bezeichnet werden?

FF2: Welche Kriterien aus den hier vorgestellten Konzepten zu Friedensjournalismus werden von Ryszard Kapu ci skis Reportage „Schah-In-Schah“ erfüllt?

1.3. Anthropologische Relevanz und theoretische Verortung der Arbeit

Die vorliegende Diplomarbeit soll einen Überblick über aktuelle friedensjournalistische

Konzepte geben und zeigen mit welchen konflikttheoretischen Hintergründen diese verknüpft sind. Weiters wird das journalistische Genre der (literarischen) Reportage am Beispiel Ryszard Kapu ci ski vorgestellt, auch als Möglichkeit dieses Werkzeug als parallelen Publikationsweg, neben Fachpublikationen, für AnthropologInnen anzudenken. Den Kultur- und SozialanthropologInnen wird mitunter vorgeworfen, dass sie ihr Wissen nur für Kollegen produzieren und nicht dazu fähig oder willens wären aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft und der Fachpublikationen auszubrechen. Natürlich muss man hier differenzieren und zum Beispiel das Institut für Sozialanthropologie an der schwedischen Stockholm University nennen, das Zusammenarbeit mit der Öffentlichkeit als einen von drei Eckpfeilern definiert hat.2

Denn was bringt es zu wissen wie sich Menschen ihre Welt(en) gestalten, wahrnehmen und reproduzieren, wenn diese Kenntnisse nicht auch auf gesellschaftlicher Ebene einen Beitrag leisten?

Die verschiedenen Gesellschaften und Gruppierungen aus denen die Menschheit besteht scheinen in unserer „globalisierten“ Welt einander näher, verknüpfter und auch untereinander abhängiger zu sein, als jemals zuvor in der Geschichte. Die moderne Informationsgesellschaft macht uns mithilfe der Medien glauben, wir wüssten was, wo, wann und aus welchen Motiven geschieht. Aber wissen wir tatsächlich was global geschieht? Oder sehen wir nur Bilder und Informationshäppchen, die durch einzelne Medien-Arbeiter für uns aufbereitet wurden? Platon lässt grüssen und wir sitzen in unseren Höhlen und starren auf das Schattenspiel, das über unsere Fernsehschirme flimmert.

Diese Repräsentationen bzw. diese Illusion von Informiertheit konstituiert zu einem großen Teil die öffentlichen Diskurse und dadurch auch die Meinungen und Einstellungen vieler Mitglieder einer Gesellschaft, die schlussendlich auch auf die politische Agenda Einfluss haben.3 Besonders bei außenpolitischen Themen haben die Medien einen ungeheuren Einfluss auf unsere Wahrnehmung. Hier wäre der Bedarf an anthropologischem Kontextwissen besonders groß.

Diese Arbeit soll die gesellschaftliche Relevanz von Friedensjournalismus herausstreichen und auch zeigen, was Kultur- und SozialanthropologInnen in diesem Feld aktiv beitragen können. Die Relevanz dieser Arbeit für die Wissenschaft selbst, ist einerseits ein Überblick über das Feld zu geben und andererseits die gesellschaftliche Wirkung der eigenen Publikationen zu überdenken und vielleicht journalistische Kanäle gezielt anzuwenden um ein größeres Publikum zu erreichen und so zusätzliche Perspektiven zu öffentlichen Diskursen anzubieten.

Theoretisch ist die Arbeit in der Friedens- und Konfliktforschung angesiedelt, sowie in der Schnittmenge der Felder Kultur- und Sozialanthropologie, Journalismus und Literatur.

1.4. Aufbau, Ziele und Methodik der Arbeit

Der Aufbau der vorliegenden Arbeit folgt der Thematik vom Allgemeinen zum Speziellen.

Zuerst werden die beiden Bereiche Anthropologie und Journalismus kurz vorgestellt, die Gemeinsamkeiten und Differenzen in der Arbeitsweise herausgearbeitet, sowie Chancen und Probleme in der Zusammenarbeit von AnthropologInnen mit JournalistInnen und Medien im Allgemeinen aufgezeigt. Den Abschluss des zweiten Kapitels bildet die Suche nach Möglichkeiten anthropologisches Wissen einer breiteren Masse zugänglich zu machen. Danach kommt ein Einblick ins Feld der Friedens- und Konfliktforschung. Hier werden die wichtigsten Begriffe vorgestellt, sowie eine Einführung in mögliche Arten von Konfliktanalysen und, daraus folgend, mögliche Wege zur Konflikttransformation gezeigt. Dann führt die Arbeit weiter zum Friedensjournalismus, der aus der Friedens- und Konfliktforschung entstanden ist und als Beitrag zur Konflikttransformation auf gesellschaftlicher Ebene gesehen werden kann. Ich werde drei Konzepte näher vorstellen und zeigen in welchen Formen Friedensjournalismus heutzutage tatsächlich angewandt wird und, in weiterer Folge, auch die Anwendungsmöglichkeiten für literarische Reportagen am Beispiel Ryszard Kapu ci skis zeigen.

Anschließend wird die journalistische Form der Reportage, im Besonderen die literarische Reportage und ihre Charakteristika vorgestellt.

Schließlich wird Ryszard Kapu ci skis als Mensch, Journalist und Autor in seinem historischen und geopolitischen Kontext verortet, sowie seine Arbeitsweise untersucht. Danach wird seine literarische Reportage „Schah-In-Schah“ auf friedensjournalistische Aspekte hin analysiert, wobei ich die drei zuvor vorgestellten friedensjournalistischen Konzepte als analytischen Rahmen verwenden werde.

Methodisch ist die Arbeit auf intensiver Literaturrecherche aufgebaut. Zur Abrundung der Biografie und Arbeitsweise Kapu ci skis, konnte ich Martin Pollack für ein qualitatives Interview gewinnen, der als Übersetzer aller Werke, die von Kapu ci ski in Deutsch erschienen sind, ihn persönlich gut kannte. Die literarische Reportage „Schah-In-Schah“ werde ich im sechsten Kapitel mittels einer Inhaltsanalyse auf friedensjournalistische Elemente hin untersuchen.

Nach der langwierigen Suche nach einer geeigneten Analyse-Methode, habe ich mich schließlich für Teile der qualitativ-heuristischen Textanalyse nach Gerhard Kleining entschieden.4 Kleinings Theorie geht weit über meine Ansprüche hinaus, deshalb werde ich nur einige Elemente daraus anwenden. So zum Beispiel sein „Dialogkonzept“: „Das forschende Subjekt muß mit dem zu erforschenden Objekt in ein Frage-Antwort-Spiel treten, wobei an den Text Fragen gestellt werden, zudem aber auch geklärt werden soll, auf welche Fragen der Text bzw. ein Textabschnitt die Antwort darstellt.“5 Den weitern Anspruch Kleinings, angelehnt an die „Kritischen Theorie“, eine Kritik an vorherrschenden gesellschaftlichen Strukturen zu erstellen, die er mit seiner Methode in Texten aufspüren will, kann in diesem Umfang und mit dem, in dieser Diplomarbeit vorliegenden Fokus auf Friedensjournalismus, nicht eingelöst werden.

2. Journalismus und Anthropologie

Die Fragestellungen dieser Arbeit sind im Schnittfeld von Anthropologie und Journalismus (sowie Konfliktforschung und Literatur, dazu aber mehr in den Kapiteln 3 - 6) angesiedelt. Deshalb ist es vorweg nötig, die beiden Bereiche kurz vorzustellen und auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin abzuklopfen. Da es sich hierbei um große wissenschaftliche Felder handelt, kann diese Analyse natürlich keinesfalls umfassend ausfallen. Einleitend sei darauf hingewiesen, dass der Fokus des Interesses dem praktischen Qualitätsjournalismus und hier besonders dem Bereich des Friedensjournalismus gilt und nicht der wissenschaftlichen Disziplin der Kommunikationswissenschaft. Natürlich werden Erkenntnisse aus Teilbereichen dieser Richtung in die vorliegende Arbeit integriert,6 vorerst soll es allerdings genügen Journalismus im Sinne einer regelmäßigen Berichterstattung zu verstehen, die einen gesellschaftlichen Auftrag erfüllt, oder erfüllen sollte: die Bereitstellung von Informationen zur Meinungsbildung, als Grundlage für demokratische Partizipation.7 Die Erörterung in diesem Kapitel wird Überschneidungen in der jeweiligen Methodik (2.1), genauso wie im praktischen Arbeiten (2.2.) aufzeigen. Ebenso wird eine mögliche Zusammenarbeit zwischen AnthropologInnen und JournalistInnen auf Vorteile für beide Seiten hin beleuchtet. Abgeschlossen wird der Abschnitt mit einer Aufforderung an AnthropologInnen sich in öffentlichen Debatten und Diskursen mehr einzubringen (2.3.).

2.1. Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Arbeitsweise

In der Kultur- und Sozialanthropologie geht es grundsätzlich darum zu verstehen, warum Menschen ihre Umwelt auf eine bestimmte Art wahrnehmen, gestalten und bewohnen. Es wird Wissen generiert, das Erklärungen zum Warum und Wie unserer Gesellschaften und Kulturen, sowie den Verflechtungen der Individuen darin liefern soll. Dieses Wissen wird dann in Form von Fachpublikationen veröffentlicht und zwar für ein, wie der Begriff schon andeutet, wissenschaftlich sozialisiertes Fachpublikum, also eine eher kleine Öffentlichkeit.

Im Journalismus wird auch Wissen zusammengetragen, das mithilfe unterschiedlicher Medien8 veröffentlicht wird und auf diesen Wegen eine große Anzahl an Mitgliedern einer Gesellschaft erreicht.

In beiden Gebieten, der Kultur- und Sozialanthropologie und dem Journalismus, kann man grob vier Phasen, oder Bereiche identifizieren, entlang derer man nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Arbeitsweise suchen kann. Diese Phasen stehen in einer zeitlichen Abfolge9: Recherche, Produktion, Text und Rezeption. Im Folgenden wird jeder der vier Bereiche zuerst aus der Perspektive der AnthropologInnen und anschließend aus Sicht der JournalistInnen beleuchten.

Die Phase des Daten Sammelns, oder der Recherche:

Kultur- und SozialanthropologInnen kommen auf unterschiedlichen Wegen zu ihren Daten. Der Schwerpunkt liegt vorwiegend auf qualitativen Erhebungsmethoden. Eine der Kernkompetenzen der WissenschafterInnen ist die teilnehmende Beobachtung, die im Zuge einer Feldforschung betrieben wird und sehr zeitintensiv sein kann. Dieser Zeithorizont ist einer der größten Unterschiede in der Arbeitsweise zwischen AnthropologInnen und JournalistInnen, wobei diese Idealtypen teilweise von der Realität eingeholt werden: „Finanzielle und zeitliche Zwänge - wie sie für die Journalisten schon lange wirksam sind - schaffen auch hier [bei den AnthropologInnen] ein Bedürfnis nach kürzeren Zeiten der Informationsbeschaffung und -verarbeitung. Die ‚fokussierte Ethnographie’ beispielsweise untersucht bestimmte soziale Situationen unter einer überschaubaren Anzahl von Personen und in einem vorgegebenen Zeitrahmen (vgl. Knoblauch 2008).“10

Es geht darum empirische Daten zu sammeln, mit besonderem Augenmerk auf den tatsächlich gelebten Alltag und die Beziehungen der Menschen zueinander. Natürlich können je nach Forschungsinteresse auch quantitative Methoden, Literaturrecherche und alle sonst nützlich erscheinenden Methoden angewandt werden. Der für Forschungen interessante Zeithorizont ist dabei sehr weit. Es steht jedem und jeder WissenschafterIn frei zu historischen Fragestellungen zu forschen, genauso wie zu aktuellen Thematiken.

JournalistInnen hingegen sind - klischeehaft formuliert - auf der Jagd nach einer „Story“.

Möglichst aktuell sollte die Geschichte sein, einen Aufhänger haben und am Besten noch nie dagewesen.11 Daten zu Ereignissen und Neuigkeiten kommen auch hier, auf verschiedenen Wegen an JournalistInnen heran. So gibt es einerseits die Nachrichtenagenturen und Korrespondentennetzwerke, die heimische RedakteurInnen mit Informationen versorgen.

Andererseits gibt es persönliche Netzwerke bzw. InformantInnen, die Interessantes erzählen können. Vor allem bei lokalen Themen profitieren erfahrene RedakteurInnen von diesen persönlichen Kontakten, weil sie einen Vorteil anderen Medien und KonkurrentInnen gegenüber bedeuten. Zusätzlich gibt es in allen nur denkbaren Bereichen eine immer größer werdende Zahl an Presseaussendungen. Findige PR-Agenturen füttern Redaktionen ungefragt mit einer Flut an Informationen und passenden Bildern, die naturgemäß alles andere als neutral gestaltet sind, weil PR-Firmen den Zweck verfolgen ihre Kunden im besten Licht darzustellen und bestimmte Ziele verfolgen. Sei das nun eine Podiumsdiskussion bewerben, oder neue Kosmetikprodukte; PressesprecherInnen, die PolitikernInnen die Aussagen vorformulieren, oder im Kriegsfall sogar Pressekonferenzen organisiert und dirigiert von PR- Firmen im Auftrag der US Militärs.12

Einen Sonderfall in der journalistischen Recherche stellt der investigative Journalismus dar, bei dem der, oder die ReporterIn mit detektivischen Mitteln versucht einem Sachverhalt auf den Grund zu gehen.

Die Phase der Analyse der Daten bzw. der Produktion:

Nachdem der oder die AnthropologIn von ihrer Feldforschung zurückgekehrt ist, beginnt die Zeit der Analyse der gesammelten Daten. Diese Phase kann unterschiedlich lange dauern, allerdings braucht es in jedem Fall genügend Zeit und Raum für Reflexion, um Prozesse und Zusammenhänge erkennen zu können, die sich aus den gesammelten Details ableiten lassen. Die Ergebnisse dieses Arbeitsprozesses werden meist verschriftlicht, in Form eines Fachartikels oder einer Monografie veröffentlicht. Es gibt aber auch andere Formen der Präsentation wie Foto-Ausstellungen oder (Dokumentar-) Filme, die auch ergänzend zu den Texten produziert werden können; je nach individueller Begabung und Interesse des und der ForscherIn, oder der Menge an vorliegenden Daten.

Die Analysephase ist in dieser Form bei JournalistInnen eigentlich nicht gegeben. Die Formel: „Check, recheck, doublecheck“, beinhaltet sehr wohl den kritischen Umgang mit

Informationen und Quellen. Allerdings wird diese Prüfung der Daten bereits während der Recherche durchgeführt. Dieser zeitlich straffe Rahmen bestimmt auch die Produktion des journalistischen Produkts. Die Deadlines sind eng gesteckt, vor allem bei Tageszeitungen und noch kürzer in Presseagenturen. Bei Wochen- oder Monatsmagazinen haben die MitarbeiterInnen scheinbar mehr Zeit, dieser Vorteil wird aber oft genug von kleineren Belegschaften und einer dadurch höheren Arbeitsbelastung für die einzelnen MitarbeiterInnen wieder wett gemacht. Eine weitere Sonderform im Medienbetrieb sind die freien MitarbeiterInnen, die heutzutage schon zur Norm geworden sind. Diese JournalistInnen arbeiten selbstständig und sind oft in keiner Redaktion fix eingebunden. Sie schreiben (oder produzieren) für verschiedene Medien und teilen sich ihre Ressourcen somit selbst ein. Es darf aber bezweifelt werden, dass sie deswegen mehr Zeit für ihre Texte haben, denn die Bezahlung ist meist mäßig.

Der Text oder das Produkt:

Der Text eines, oder einer Kultur- und SozialanthropologIn muss wissenschaftlichen Standards entsprechen. Es müssen Angaben und Verweise so gemacht worden sein, dass die Ergebnisse für Dritte nachvollziehbar und nachprüfbar sind. Diese ganz streng formalisierten Standards verwischen natürlich, wenn das Produkt kein Text, sondern eine Ausstellung, ein Film oder Ähnliches ist.

Zusätzlich ist auch die Auflage ein Kriterium der Unterscheidung zu journalistischen Produkten. Mit den Worten eines, nicht namentlich genannten, „führenden deutschen Ethnologen“: „Eine ethnologische Abhandlung, die in mehr als 500 Exemplaren aufgelegt wird […] kann eigentlich kein wissenschaftliches Buch mehr sein.“13

Die Texte der PrintjournalistInnen orientieren sich einerseits ebenso an formalen Kriterien. Je nachdem ob der Text ein Bericht, ein Kommentar, eine Glosse o.Ä. sein soll, gibt es verschiedene Schreibstile. Andererseits werden die Texte für ein bestimmtes Publikum und einen bestimmten Verwendungszweck geschrieben. So liest sich eine Boulevardzeitung anders als ein Qualitätsblatt und eine Illustrierte anders als eine Computerfachzeitschrift. Dieser Aspekt des imaginierten Publikums und, der damit verbundene Anspruch, die angenommene Erwartungshaltung der KonsumentInnen erfüllen zu wollen bzw. zu müssen, ist ein sehr starkes Motiv in der Gestaltung von Medienprodukten.

Natürlich gibt es gerade bei Medien noch unzählige andere Darstellungsformen als nur das gedruckte Wort. Man denke nur an Fernsehen und Internet. Allerdings möchte ich mich in dieser Arbeit auf Nachrichten, Analysen und Hintergrundberichterstattungen vor allem in gedruckter Form beschränken.

Die Phase der Rezeption:

Wie schon erwähnt, ist das Publikum für anthropologische Fachpublikationen, gemessen an der gesamten Bevölkerungszahl, ziemlich überschaubar. Die LeserInnen sind meist ebenfalls AnthropologInnen oder WissenschafterInnen aus anderen Disziplinen. Die Zeiten in denen Monografien wie „Traurige Tropen“ (1955 im Original, 1978 auf Deutsch) von Claude Levi-Strauss, oder „Coming of Age in Samoa“ (1928) von Margarete Mead vielbeachtete Erfolge feiern konnten, sind lange vergangen.14 Einen Grund dafür sieht Eriksen darin, dass anthropologische Texte nicht (mehr) spannend geschrieben seien: „When did you last read a proper page-turner written by an anthropologist?“15 Der Umstand, dass anthropologische Werke oft sehr trocken und schwer zugänglich geschrieben seien, liegt seiner Meinung auch daran, dass die Postmoderne Wende die Kultur- und Sozialanthropologie als Wissenschaft und mit ihr all ihre Vertreter, stark verunsichert hat: „[…] it made deep inroads into the already fragile self-confidence of anrhropology as a robust and scientific way of knowing. […] the postmodern impulse chased anthropology further down the road of introverted rumination.”16

Mit anderen Darstellungsformen, wie z.B. einem Dokumentarfilm, werden auch andere RezipientInnen erreicht. Der Kreis des Publikums wird größer, allerdings nur auf der Basis von Kompromissen. Denn ein Film kann nie die gleiche Genauigkeit erreichen, die ein Buch ermöglicht. Auf der anderen Seite können emotionalere Text- oder Darstellungsformen vielleicht nicht die höchstmögliche Präzision, dafür aber eine andere Art des Verständnisses erreichen, das mitunter wesentlich dauerhafter im Gedächtnis bleibt, als rein rationale, intellektuelle Konstrukte. Der Mensch ist auch ein gefühlsbetontes Wesen, bei dem die Ratio nicht alleine den Ton angibt, schließlich bedeutet Empathie auch sich in jemand anderen hineinzu fühlen.

Die Phase der Rezeption ist für JournalistInnen und mehr noch für die Medienindustrie von entscheidender Wichtigkeit. Für JournalistInnen bedeutet quantitative Rezeption, sich eine Bekanntheit und damit einen Marktwert aufzubauen. Für wirtschaftlich orientierte Medienunternehmen, egal ob im Print-, TV-, Radiobereich oder in den neuen Medien, hängt von der Rezeption, also dem Erreichen eines möglichst großen Publikums bzw. einer Zielgruppe, das wirtschaftliche Überleben ab. Und zwar über den indirekten Weg der Werbekunden. Denn je mehr RezipientInnen mit einem Medium erreicht werden, desto teurer kann der Raum für Werbung verkauft werden. Entsprechend der hohen Priorität dieses Umstands, wird viel investiert um herauszufinden, wie gut bestimmte Produkte bei der jeweiligen Zielgruppe ankommen. Von Seiten der Unternehmen selbst durch Umfragen, durch die Ermittlung der Einschaltquoten und dem Versuch immer wieder Austausch zwischen RezipientInnen und ProduzentInnen anzuregen.17

Aber auch von wissenschaftlicher Seite wird dieser Phase große Aufmerksamkeit geschenkt. In den Kommunikationswissenschaften wird dieser Bereich in der Rezeptions- und Wirkungsforschung untersucht. Wobei hier der Fokus darauf gelegt wird, inwieweit Inhalte meinungsbildend und in weiterer Konsequenz auch handlungsanleitend sind. Wichtig zu erwähnen ist hier, dass sich auch die Kultur- und Sozialanthropologie wissenschaftlich mit der Rezeption von Medienprodukten auseinandersetzt. Hier steht die Frage im Vordergrund: Wie werden Zielgruppen imaginiert und was sagen diese Vorstellungen über das „gesellschaftliche Selbstbild“ aus?18 „Speziell eine Medienethnologie „at home“ ist in der Lage, Medienumgang und -nutzung der Rezipienten entsprechend zu differenzieren und die soziale Realität, Reproduktionsmechanismen sowie den sozialpolitischen Konsens der eigenen Gesellschaft zu erhellen. Angesichts der tatsächlichen Vielfalt in den eigenen Gesellschaften ist dies ebenso so sinnvoll wie notwendig.“19

Zusammenfassend kann man sagen, dass sich die Kultur- und Sozialanthropologie genauso wie der praktische Journalismus um Erklärungen zum Geschehen in unserer Welt bemühen. Diese „Überschneidungen in Thematik und Methoden […] lassen die beiden Berufe zwar als entfernte Verwandte aber auch als ungleiche Konkurrenten in der Beschreibung und Deutung von anthropologisch relevanten Ereignissen und Sachverhalten erscheinen.“20 Allerdings findet dieses Bemühen auf unterschiedlichen Ebenen statt und wird hauptsächlich für unterschiedliche Gruppen von RezipientInnen verfasst.

2.2. Berührungspunkte und Berührungsängste in der Praxis

„As an anthropologist, I have been trained to observe, record, describe, and if possible, to explain human behavior, and that is the essence of what I do every day as a journalist. (Lett 1986)”21 Dieses Zitat von James Lett aus dem Jahr 1986 zeigt deutlich, dass die Unterschiede zwischen der Anthropologie und dem Journalismus keineswegs unüberwindlich, sondern im Gegenteil, sogar in einer Person vereinbar sind. So gibt es unzählige Beispiele von Kultur- und SozialanthropologInnen die in beiden Welten zu Hause sind. Darunter sind einige die ihr Studium abgeschlossen haben und anschließend hauptberuflich journalistisch arbeiten. Aber ebenso gibt es viele aktive AnthropologInnen die nebenbei zusätzlich journalistisch publizieren.

Ein Überschneidungspunkt ist hier der Anspruch Prozesse und Geschehnisse in unseren Gesellschaften zu erklären. Wobei in der Erklärung selbst ein Problem lauert, nämlich in der verwendeten Sprache. Erfolgreich kann hier nur sein, wer sich diesen Umstand bewusst macht und nicht versucht im Journalismus mit Fachjargon zu glänzen, sondern die Fähigkeit entwickelt komplizierte Sachverhalte möglichst klar, verständlich und auch noch lesenswert zu transportieren.22

Eine Befürchtung von AnthropologInnen, in Bezug auf journalistische Tätigkeiten, ist der „Reputationsverlust innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinde, wenn Forschungsresultate vulgarisiert und an eine breite Öffentlichkeit getragen werden, auch besteht eine oft nachvollziehbare Skepsis gegenüber populärwissenschaftlichen Formaten.“23

Zu erwähnen ist, in diesem Kontext der Überschneidungen der beiden Professionen, aber auch der umgekehrte Fall: JournalistInnen, wie etwa „die französische Figur des grand reporter oder die angelsächsische Version des reporter at large, deren Sachkenntnisse, Arbeitsbedingungen, -methoden und Zeitrahmen vielen Formen der Anthropologie oft nur wenig nachstehen.“24 In diesem Bereich war auch Ryszard Kapu ci ski tätig: als Korrespondent vor Ort, der mit anthropologischer Leidenschaft seiner Arbeit nachging: "Ich betrachte mich als Erforscher des Anderen - anderer Kulturen, anderer Denkweisen, anderer Verhaltensweisen. Ich möchte die positiv verstandene Fremdheit kennenlernen, mit der ich in Berührung kommen will, um sie zu begreifen."25

Aber nicht nur die aktive journalistische Arbeit von AnthropologInnen selbst ist ein möglicher Berührungspunkt. Auch als BeraterIn oder ExpertIn könnten AnthropologInnen in Erscheinung treten. Bei beratenden Funktionen z.B. im Zuge von Dokumentationen liegt die Arbeit im Hintergrund. Als ExpertIn sind öffentliche Auftritte, sowohl im Printbereich in Form von Zitaten denkbar, als auch vor laufenden Kameras als InterviewpartnerIn. Hier gibt es allerdings auch Bedenken, wie mir ein Professor vom Wiener Institut für Kultur- und Sozialanthropologie in einem informellen Gespräch bestätigte. Denn wenn man sich zu politisch aktuellen Themen äußere, laufe man Gefahr seine Feldforschungen im entsprechenden geografischen Gebiet nicht fortführen zu können. Der erwähnte Professor sieht hier nur die Möglichkeit der Anonymisierung. Abgesehen von dieser Befürchtung, gibt es scheinbar auch ein allgemeines Misstrauen gegenüber der Arbeitsweise von JournalistInnen: die Angst falsch zitiert zu werden ist groß. Es gibt sogar eine „Anklage der Ethnologen […] ethnologische Inhalte würden in der Presse nicht adäquat und seriös repräsentiert.“26 Im Fernsehen und hier vor allem in Nachrichtensendungen wiederum, ist es die für das Medium nötige Beschränkung auf kurze Statements, die AnthropologInnen den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Wie soll man komplexe Zusammenhänge in aller Kürze nur darstellen?

2.2.1. Kooperation birgt Chancen für alle Seiten

Sobald die Ängste einer möglichen Zusammenarbeit zwischen AnthropologInnen und JournalistInnen überwunden sind und es zu tatsächlichen Kooperationen kommt, sind, meiner Meinung nach, positive Auswirkungen in zumindest drei Richtungen möglich. Zuallererst für die beteiligten AnthropologInnen selbst, die durch das jeweilige Medium eine größere Bekanntheit erreichen können. Indirekt würde dadurch auch die Kultur- und Sozialanthropologie als Wissenschaft ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Dieser Umstand kann in Zeiten, in denen sich sogenannte „Orchideenfächer“ an Universitäten an ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit messen lassen müssen, kein Nachteil sein.

Der zweite Akteur, der einen Vorteil aus dieser Liaison lukrieren könnte, ist das Medium selbst. Denn gut recherchierte, spannende Beiträge die auch noch mit wissenschaftlicher Expertise untermauert sind, können den Ruf und die Glaubwürdigkeit eines Mediums stärken. Schließlich könnte das Publikum, also die RezipientInnen selbst profitieren. Denn AnthropologInnen haben zu spannenden aktuellen Themen,27 interessante Einsichten und Hintergründe zu liefern, die für eine differenzierte Meinungsbildung in der Bevölkerung, abseits politischer Parolen, eine große Hilfe sein könnten.

Ob diese Annahmen durch eine wissenschaftliche Studie bestätigt werden können, ist eine Frage, der ich im Rahmen dieser Arbeit nicht nachgehen kann. Meine Intention ist lediglich zu zeigen, dass es durchaus Potential hat, solche Kooperationen zu wagen.

2.3. „Anthropology should have changed the world …”

“… yet the subject is almost invisible in the public sphere outside academy”28

Die erste Frage, die sich in Zusammenhang mit diesem Zitat aufdrängt, ist: Warum? Warum hat die Kultur- und Sozialanthropologie die Welt nicht verändert?

Brian McKenna sieht einen Grund dafür, warum es anthropologische Erkenntnisse schwer haben im neoliberalen hegemonialen Medienfluss an die Oberfläche zu gelangen und damit ins öffentliche Bewusstsein zu treten, im kritischen Potential der Kultur- und Sozialanthropologie:29 „It documents subaltern resistance within a given culture in order to advance social transformations. At base, anthropology is about reclaiming democracy […]. That’s why it is a threat.“30 Da die dominante, führende Schicht und die mit ihr verbundenen Ideen und Meinungen, konservativ darauf bedacht sind, an der Macht zu bleiben, ist das Aufzeigen von Verbindungen, das Enthüllen verborgener Annahmen, die Darstellung alternativer Kulturen und das Aufbegehren gegen Unterdrückung,31 schlicht und einfach ein unerwünschter, störender Diskurs, der das Potential hat Unruhe in der herrschenden Gesellschaftsordnung zu stiften. Mit anderen Worten: „Anthropology is a very loud mosquito buzzing around the head at night. There is a lot of power there.“32

Eriksen analysiert die Frage, warum es einen Widerwillen der akademischen, anthropologischen Gemeinschaft gibt, ihr Wissen mit einer größeren Leserschaft zu teilen,33 in seinem 2006 erschienen Buch „Engaging Anthropology“. Er beschreibt die Generation von AnthropologInnen rund um Malinowski und Boas (und alle vorangehenden wie Morgan, Tylor oder Frazer), als sehr wohl engagiert in öffentlichen Debatten ihrer Zeit. Das Selbstbild der Vertreter dieser Zeit sei verankert gewesen „as members of a large public sphere exploring topics of shared interest“.34 Erst nach dem 2. Weltkrieg sieht er die Kultur- und SozialanthropologInnen aus der Öffentlichkeit verschwinden.35 Eriksens Begründungen dafür wiederzugeben, sprengt den Rahmen dieser Arbeit. Erwähnenswert ist ein Gedanke zum Stil anthropologischer Publikationen: […] the single most important characteristic of anthropological writing is that it tends to be chiefly analytical. This means that it is more difficult to get into and less easy to remember than narratives. Stories are the stuff of life; analysis is for specialists.”36 Eriksen plädiert dafür, anthropologische Publikationen spannender und lesbarer zu gestalten und zeigt dafür einige literarische Möglichkeiten auf, die zu diesem Ziel führen sollen.37 Allerdings hat sich in der Geschichte der Kultur- und Sozialanthropologie ein Trend herauskristallisiert, der vielen publizierenden AnthropologInnen - vielleicht auch unbewusst - Sorgen bereitet: „As a rule, anthropological texts that become popular with a wider readership rarely receive much credit within the discipline itself.“38 Um diese Problematik - entweder erfolgreich beim wissenschaftlichen Publikum zu sein, oder bei einem populärwissenschaftlichen - zu umgehen, schlägt McKenna vor, mehrfach zu einer Forschung zu publizieren: einerseits für die initiierte Fachleserschaft, in anderer Form sehr wohl aber auch für andere Interessierte, z.B. in einem journalistischen Artikel.39 Auch literarische Publikationsformen sind denkbar und wünschenswert. Neben der Lesbarkeit beschreibt Eriksen auch (wie McKenna) das kritische Potential der Anthropologie als hinderlich, um z.B. in hegemonial ausgerichteten Medien zu publizieren: „The very idea of anthropology as a cultural (auto)critique, defended by many of those who see the potential of a public anthropology; presupposes that there is a great demand for cultural self-criticism out there. This, plainly, may not be the case.”40

Nichtsdestotrotz schließe ich mich der Meinung McKennas an, der meint, dass Kultur- und SozialanthropologInnen „geradezu dazu verpflichtet [seien], das subversive bzw. demokratische Potential der Anthropologie im Sinne einer public pedagogy in der Öffentlichkeit zu nutzen.“41 Mit den Worten Eriksens: „In the contemporary, intertwinded world, anthropology should be a central part of anybody’s Bildung, that is education in the widest sense. Anthropology can teach humility and empathy, and also the ability to listen, arguably one of the scarcest resources in the rich parts of the world these days. […] If the world is our oyster, our job is to make it talk.”42

3. Friedens- und Konfliktforschung

Die Beschäftigung mit den Theorien der Konfliktforschung, ist essentiell für alle, die Friedensjournalismus betreiben oder verstehen wollen. Denn, „nur mit dem Wissen um verschiede Lösungsformen und Bearbeitungsstrategien können nachhaltige Wege zur Konfliktbearbeitung entdeckt und eingeordnet werden“,43 und damit auch in weiterer Folge - z.B. journalistisch - aufgezeigt werden.

3.1. Zentrale Begriffe

Bevor im Folgenden einige Theorien der Friedens- und Konfliktforschung beschrieben werden, werden zuerst grundsätzliche Begriffe erörtert. Gewalt, Konflikt, Krieg und Frieden, sind Schlagwörter und Themen, die nicht nur die Wissenschaften beschäftigen, sondern uns auch täglich in Meldungen über das Weltgeschehen, in Zeitungen und Medien präsentiert werden.

3.1.1. Krieg

Das Wort „Krieg“ kommt vom althochdeutschen „chrec“ und bedeutet Hartnäckigkeit.44 Es handelt sich bei Kriegen um Konflikte die eskaliert sind und mit Waffengewalt ausgetragen werden. Ab wann eine bewaffnete Auseinandersetzung als Krieg bezeichnet wird ist Definitionssache. Für Meyers ist Krieg: „der Versuch von Staaten, staatsähnlichen Machtgebilden oder gesellschaftlichen Großgruppen […], ihre machtpolitischen, wirtschaftlichen oder weltanschaulichen Ziele mittels organisierter bewaffneter Gewalt durchzusetzen.“45

Die Definition von Krieg hat sich im Laufe der Zeit oft gewandelt. Herfried Münkler hat 2002 den Begriff der „neuen Kriege“ geprägt. Die zentralen Begriffe seiner These sind „Entstaatlichung“ und „Asymmetrie“ der Akteure in den neuen Kriegen.46 Er sieht diese neuen Kriege vor allem in den sogenannten „failed states“ der „Dritten Welt“ und den Grund für das Scheitern dieser Staaten, oder der staatlichen Strukturen, am „Mangel an integren und korruptionsresistenten politischen Eliten.“47 Münkler stellt die neuen Kriege den alten, symmetrischen zwischenstaatlichen Kriegen gegenüber. Allerdings gibt es auch Kritiker dieses Konzepts. So sieht Küpeli Münklers Thesen nicht empirisch bestätigt und kritisiert, dass viele seiner Annahmen auf fragwürdigen überholten Debatten basieren, wie z. Bsp. der Modernisierungs- und Entwicklungstheorie der 1950er Jahre.48

Ein interessanter Ausgangspunkt für den Umgang mit Kriegsdefinitionen ist, nach Meinung von Nadine Bilke, der ich mich hier anschließe, Rapaports Aussage: „Krieg ist in gewisser Weise das, wofür wir ihn halten, da er ein Produkt menschlicher Gedanken und Verhaltensweisen ist. Daher ist die Frage, […] welche Betrachtungsweise des Krieges die größere Wahrscheinlichkeit für sich hat, ihn als Institution zu verewigen oder ihn abzuschaffen [bedeutsam].“49

Für Kapu ci ski, der immer die Begegnung mit dem Anderen suchte, bedeutete Krieg das Scheitern der Begegnung, das Scheitern der Kommunikation: „[…] ich glaube, dass im Krieg alle Verlierer sind, weil er eine Katastrophe für das menschliche Wesen darstellt, da er seine Unfähigkeit enthüllt, zu einer Verständigung zu gelangen, sich in den Anderen hineinzudenken, die Unfähigkeit zur Güte und Vernunft. In diesem Fall endet die Begegnung mit dem Anderen unweigerlich tragisch in einem Drama von Blut und Tod.“50

3.1.2. Konflikt

Der Begriff „Konflikt“ kommt aus dem lateinischen „confligere“ und bedeutet „zusammenstoßen.“51 Prinzipiell ist es ein Aufeinanderprallen gegensätzlicher, nicht vereinbarer Interessen. Konflikte können intrapersonell, interpersonell oder zwischen Gruppen auftreten. Das Ziel nachhaltiger Konfliktbearbeitung ist es, gewaltfreie Strategien im Umgang mit Konflikten zu realisieren. Konflikte vermeiden zu wollen kann kein Ziel sein, da sie ständig und auf vielen Ebenen auftreten und immer auftreten werden. Deshalb schließe ich mich hier Galtungs Worten an, der meint: „das Kriterium für Frieden besteht in der Fähigkeit, mit Konflikten umzugehen.“52

Da das wissenschaftliche Feld der Konfliktforschung transdisziplinär bearbeitet wird, gibt es viele verschieden Zugänge, Ebenen und Wege der Erforschung von Konflikten. Es scheint offensichtlich, dass die Beschäftigung mit Konflikten das zentrale Thema der Friedens- und Konfliktforschung darstellt, doch sollte man nicht vergessen, dass sich diese wissenschaftliche Richtung aus den beiden - früher getrennten Richtungen - der Kriegs- und Friedensforschungen heraus entwickelt hat. Die Verschiebung des Fokus von Kriegen hin zu Konflikten, schuf eine Synthese der beiden Richtungen: „So gesehen kann man die Etablierung der Konfliktforschung gar als gewaltlose Transformation des Konflikts zwischen Kriegs- und Friedensforschern betrachten.“53

3.1.3. Gewalt: direkt, strukturell, kulturell

„Gewalt ist die von Menschen gegenüber Personen oder Sachen eingesetzte Kraft, ohne Rücksicht auf die Eigenart des Gegenübers. Sie ist jene Form der Macht, die den Willen des anderen nötigt oder bricht“, diese Definition leitet sich von dem lateinischen „violentia“ ab; „Der deutsche Ausdruck schließt aber auch an die Tradition der ‚potestas’ an, die alle Formen der Herrschafts- und Befehlsgewalt umfaßt.“54 Gewalt ist ein facettenreicher Begriff, der in verschiedenen Wissenschaften immer wieder unterschiedlich interpretiert und definiert wurde. Für die Friedens- und Konfliktforschung war Johan Galtung und seine Überlegungen zu Gewalt, insbesondere zur strukturellen Gewalt, prägend: „Gewalt liegt dann vor, wenn Menschen so beeinflußt werden, daß ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potentielle Verwirklichung.“55 Diese Definition ist sehr weit und Galtung selbst räumt ein, dass es keine ganz unproblematische Definition ist.56 Er unterscheidet weiter direkte Gewalt (physische und psychische), bei der es einen gewalttätig handelnden Akteur gibt, von indirekter, oder struktureller Gewalt, bei der kein einzelner Akteur Gewalt ausübt.57 Die strukturelle Gewalt liegt, wie der Name schon sagt, in den Strukturen einer Gesellschaft. Die Strukturen, oder eigentlich die Personen, die bestimmte Rollen in den Strukturen übernehmen (z. B. PolitikerInnen) sind Träger für diese Form der Gewalt, die von den Mitgliedern einer Gesellschaft gar nicht als Gewalt, sondern als gegebener Ist-Zustand wahrgenommen werden. Solche Strukturen verhindern die Entwicklung und das Ausschöpfen des eigenen Potentials, oder das einer Gruppe.58 Das geschieht hauptsächlich durch Politik und Wirtschaft, in Form von Repression und Ausbeutung bzw. durch Ungerechtigkeit. Eine weitere Ebene der Gewalt ist die kulturelle Gewalt: „Cultural violence is the hardest to change, it is the deep-rooted constant which legitimates structural and direct violence, especially when there is a reaction (violent or not) against the structural violence by those who are victims of it”.59 Somit schließt sich der Kreis: „Kulturelle Gewalt legitimiert die Strukturen der Politik, des Militärs und der Wirtschaft, die strukturelle Gewalt beinhalten und damit in direkte Gewalt münden können.“60

3.1.3.1. Entstehung und Ursachen von Gewalt

Grundlegend für die Suche nach möglichen Ursachen für Gewalt, sind bei Galtung die unvereinbaren Ziele,61 oder Bedürfnisse, die in jedem Konflikt enthalten sind. Er erklärt die Entwicklung zu gewalttätigem Verhalten so: Wird ein Ziel nicht erreicht kommt es zu einem Gefühl der Frustration; dieses kann dazu führen, dass der oder die Betroffene anfängt zu Polarisieren,62 d.h. sich selbst gegen die andere Konfliktpartei in dualistischer Weise abzugrenzen.63 Das führt mitunter in einem Konflikt zu einer Entmenschlichung des „Anderen“, die dadurch Ausdruck findet, dass der „Gegner“ mit immer negativeren, bösen Attributen versehen wird (das ist auch eine Methode von Kriegspropaganda!); an diesem Punkt kann es geschehen, dass die Frustration in Aggression umschlägt, die als Hass nach innen wirkt und als Gewalt nach außen Ausdruck finden kann.64 Hass und Gewalt führen schließlich zur Traumatisierung der Opfer von Gewalt, aber genauso auf Seiten der Täter; die Traumatisierung kann wiederum den Wunsch nach Rache auslösen und die Gewaltspirale dreht sich.65

[...]


1 Dr. Martina I. Steiner

2 Wie Helena Wulff in einem Seminar („Writing Genres“) im Sommersemester 2010, dass sie als Gastlektorin am Wiener Institut hielt, erzählte.

3 Vgl. Kap. 4.4.

4 Kleining 1995

5 Titscher et al. 1998, S. 153

6 S. z.B. Kap. 4.4.2.

7 Für eine tiefgehende Auseinandersetzung siehe Bilke 2008 11

8 Zeitungen, Magazine, Radio- und Fernsehsendungen oder über „neue“ Medien, also das Internet

9 Die chronologische Abfolge stellt einen vereinfachten Idealtypus dar. Es gibt in der Kultur- und Sozialanthropologie auch zyklische Methoden wie z.B. die „grounded theory“.

10 Boller, Bihr in: Tsantsa 15/2010, S. 7

11 Dass Nachrichten angeblich immer neu sind, stellt Jake Lule in seinem Artikel „News as Myth“ (Rothenbuhler 2005, S. 105) grundsätzlich in Frage: “Like myth, news tells us not only what happened yesterday but what has always happened. Flood and fire, disaster and triumph, crime and punishment, storm and drought, death and birth, victory and loss - daily, the news has recounted and will recount these stories.”

12 Bilke 2008, S. 150ff.

13 Kohl in: Pressereferat der DGV (Hg.) 1999, S. 45

14 Eriksen 2006, S. 3ff

15 Ebenda, S. x (Preface)

16 Ebenda, S. 25

17 z.B. durch Leserbriefe, Gewinnspiele, interaktive Sendungen und dem Versuch eine emotionale Bindung des Publikums zum jeweiligen Produkt aufzubauen.

18 Dressler in: Tsantsa 15/2010, S. 25

19 Ebenda

20 Boller, Bihr in: Tsantsa 15/2010, S. 7

21 McKenna in: Tsantsa 15/2010, S. 49

22 Vgl. Geyer in: Pressereferat der DGV (Hg.) 1999, S. 23

23 Boller, Bihr in: Tsantsa 15/2010, S. 8

24 Ebenda, S. 7; ebenda: „Für die Schweiz wäre hier etwa der langjährige Nahost-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, Arnold Hottinger zu nennen, der auch häufiger Referent an Tagungen ethnologischer oder islamwissenschaftlicher Gesellschaften ist.“

25 Kapu ci ski, Trojanow 2007, S. 36

26 Nadjmabadi in: Pressereferat der DGV(Hg.) 1999, S. 8 18

27 Man denke nur an Migration, politische Konflikte, gesellschaftliche Entwicklungen etc.

28 Eriksen 2006, S. 1

29 Vgl. McKenna in: Tsantsa 15/2010, S. 50

30 Ebenda

31 Vgl. ebenda

32 Vgl. McKenna 2008e, S. 18, zit. n. McKenna in: Tsantsa 15/2010, S. 55

33 Eriksen 2006, S. ix

34 Eriksen 2006, S. 2f

35 Vgl. ebenda, S. 6

36 Ebenda, S. 35

37 Ebenda, S. 9ff

38 Ebenda, S. 4

39 Vgl. McKenna in: Tsantsa 15/2010, S. 53

40 Eriksen 2006, S. 34

41 Boller, Bihr in: Tsantsa 15/2010, S. 11

42 Eriksen 2006, S. 130f

43 Bilke 2008, S. 214

44 Harenberg 1994, dritter Band, S. 1682

45 Meyers 1994, S. 24, zit. n. Bilke 2008, S. 141

46 Vgl. Küpeli 2007, S. 10

47 Münkler 2002, S. 16, zit. n. Küpeli 2007, S. 10

48 Vgl. Küpeli 2007, S. 7-25

49 Rapaport 1994, S. 165f, zit. n. Bilke 2002, S. 14

50 Kapu ci ski 2008, S. 82

51 Harenberg 1994, dritter Band, S. 1631

52 Galtung 2007, S. 458

53 Brousek 2008, S. 14

54 Prechtl; Burkard 1999, S. 211

55 Galtung 1975, S. 9, zit. Bilke 2002, S. 15

56 Vgl. ebenda

57 Galtung 1998, S. 17, zit. Bilke 2002, S. 16

58 Vgl. Graf (et al.) 2009, S. 131

59 Ebenda, S. 131

60 Galtung 1998, S. 18, zit. n. Bilke 2002, S. 16

61 Galtung stellt auch Überlegungen dazu an, wie überhaupt Ziele entstehen (aus dem Kontext: Natur, Kultur und Struktur), auf die ich aber im Rahmen dieser Arbeit nicht eingehen kann.

62 Siehe auch das Konzept von „Othering“ nach Edward Said

63 Vgl. Galtung 2009, S. 16

64 Vgl. ebenda

65 Vgl. ebenda

Ende der Leseprobe aus 98 Seiten

Details

Titel
Anthropologische Analyse von Friedensjournalismus. Ryszard Kapuścińskis literarische Reportage "Schah-In-Schah"
Hochschule
Universität Wien  (Kultur- & Sozialanthropologie)
Veranstaltung
Anthropologie
Note
1
Autor
Jahr
2012
Seiten
98
Katalognummer
V303390
ISBN (eBook)
9783668017986
ISBN (Buch)
9783668017993
Dateigröße
1225 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Friedensjournalismus, Ryszard Kapuściński, Anthropologie, Friedens- und Konfliktforschung, Reportage, Reportage ‚Schah-In-Schah’, Journalismus
Arbeit zitieren
Nicole Wessely (Autor:in), 2012, Anthropologische Analyse von Friedensjournalismus. Ryszard Kapuścińskis literarische Reportage "Schah-In-Schah", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/303390

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