"The Blair Witch Project" und Niklas Luhmanns Realität der Massenmedien


Dossier / Travail de Séminaire, 2015

23 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Realität der Massenmedien
2.1. Programmbereich Unterhaltung
2.2. Programmbereich Nachrichten und Berichte

3. The Blair Witch Project
3.1. Die Website
3.2. Die TV-Dokumentation
3.3. Das Buch
3.4. Rezeption

4. Analyse
4.1. Der Film
4.2. Die Website

5. Fazit

6. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

In October of 1994, three student filmmakers disappeared in the woods near Burkittsville, Maryland while shooting a documentary.

A year later their footage was found.

Mit diesen Zeilen auf schwarzem Hintergrund beginnt der Film The Blair Witch Project, der 1999 zum Kassenschlager in den amerikanischen Kinos avancierte. Maßgeblich verantwortlich für den Erfolg des Horrorfilms war die Tatsache, dass von Beginn an der Anschein erweckt wurde, es handele sich um Ereignisse, die real stattgefunden hätten. Schon im Vorfeld der Kinopremiere stellten die beiden Regisseure Daniel Myrick und Eduardo Sanchez die Website zum Film ins Netz, die zusätzliche Hintergrundinformationen lieferte und gleichzeitig den Mythos, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits um die Entstehung des Films rankte, noch verstärkte. Auch auf weitere Marketinginstrumente, die sich als authentisches Material tarnten, wurde zurückgegriffen. Dazu zählte neben einer TV-Dokumentation auch ein Sachbuch.

Ziel dieser Arbeit ist es das Phänomen Blair Witch Project vor einem systemtheoretischen Hintergrund zu untersuchen. Als Analysegrundlage dient an dieser Stelle Niklas Luhmanns Realität der Massenmedien. Luhmann differenziert im Bereich der Massenmedien zwischen drei Programmbereichen: Unterhaltung, Nachrichten und Werbung. Zunächst wird daher ein Überblick über die Medientheorie Luhmanns erfolgen, innerhalb dessen vor allem die beiden Programmbereiche Unterhaltung und Nachrichten und Berichte erläutert werden. Im nächsten Kapitel folgt dann die Darstellung der verschiedenen Authentifizierungsstrategien, die sowohl im Film selber als auch den ergänzenden Unterhaltungsangeboten (Website, TV-Dokumentation und Sachbuch) verwendet wurden. Ob diese Maßnahmen bei den Rezipienten wirkten, zeigt die Studie von Margit Schreier, die in Kapitel 3.4 vorgestellt wird. Den Abschluss dieser Arbeit bildet die Analyse des Films und der Website auf der Basis der Luhmannschen Medientheorie. Hierbei soll aufgezeigt werden, dass beide Medienangebote spezifische Merkmale des Programmbereichs Nachrichten und Berichte aufweisen und dadurch einen Realitätseindruck schaffen.

2. Die Realität der Massenmedien

In seinem 1995 erschienenen Buch Die Realität der Massenmedien erläutert Niklas Luhmann die Funktion der Massenmedien innerhalb der Gesellschaft. Im Kontext seines gesamten systemtheoretischen Werkes dient ihm das Funktionssystem der Massenmedien als Anwendungsgebiet für seine Theorie allgemeiner Systeme.

Unter Massenmedien versteht Luhmann diejenigen Institutionen innerhalb einer Gesellschaft, deren Publikationen die Verbreitung durch technische Vervielfältigungsmittel zugrunde liegt und sich an unbestimmte Adressaten richtet. Hierzu zählen neben Büchern, Zeitschriften und Zeitungen auch Radio und Fernsehen (vgl. Luhmann 2009: 10). Die Technik kann in diesem Zusammenhang als essentieller Faktor angesehen werden, da sie eine massenhafte Verbreitung der Medienprodukte überhaupt erst ermöglicht. Gleichzeitig fungiert sie als eine Art Interaktionsbarriere, welche ursächlich für eine Kontaktunterbrechung zwischen Sender und Empfänger ist (vgl. Berghaus 2003: 189). Diese Unterbrechung ist Voraussetzung für die Entstehung eines massenmedialen Funktionssystems, das autopoietisch ist und dessen Operationen in System/Umwelt-Differenz ablaufen (vgl. ebd.: 191). Die damit verbundene Abgrenzung zu anderen Gesellschaftssystemen führt zur Leistungssteigerung, da sich „[d]as Funktionssystem der Massenmedien […] auf seine spezielle Funktion ­­­­­– die Konstruktion von Realität und die Selbstbeschreibung der Gesellschaft für die Gesellschaft – zu konzentrieren vermag“ (ebd.:193).

Wie der Titel des Buches bereits andeutet, handelt es sich bei der Realität um einen zentralen Schlüsselbegriff der Medientheorie Luhmanns. Er unterscheidet hierbei zwischen zwei Arten von Realitäten, nämlich zwischen „realer Realität“ und „konstruierter Realität“. Erstere beschreibt die eigentliche Existenz der Massenmedien, welche sich in den systeminternen Operationen manifestiert:

„Die Realität der Massenmedien, ihre reale Realität könnte man sagen, besteht in ihren eigenen Operationen. Es wird gedruckt und gefunkt. Es wird gelesen. Sendungen werden empfangen. […] Es macht daher guten Sinn, die reale Realität der Massenmedien als die in ihnen ablaufenden Kommunikationen anzusehen.“ (Luhmann 2009: 11f)

Die Funktion der Massenmedien besteht in der Aufgabe Realität zu erzeugen, welche in Form von Berichten, Nachrichten und Werbung verbreitet wird. Bei diesem Produkt der Massenmedien handelt es sich um „konstruierte Realität“. Geschaffen wird diese Realität durch Beobachtungen und Berichterstattung, die auf Basis der System/Umwelt-Differenz stattfinden und anschließend dem Publikum präsentiert werden. Wie der Begriff „konstruierte Realität“ bereits vermuten lässt, liefern die Medien hierbei kein Realitäts-Abbild, sondern eine Realität, welche durch die subjektiven Unterscheidungen und die Perspektive des Systems der Massenmedien geprägt ist. Sie wird dem Publikum jedoch als die Realität dargeboten und von der Gesellschaft auch als solche akzeptiert (vgl. Berghaus 2003: 194).

Die Beobachtungen und Berichterstattung der Massenmedien geschehen jedoch nicht willkürlich, sondern folgen Kriterien. Diese basieren auf einem binären Code, nach dem sich die Selektionen des Systems richten. Im Falle der Massenmedien lautet dieser Information/Nichtinformation. Mithilfe dieser Leitdifferenz wird das Weiterverwendbare (Information) vom Ausschuss (Nichtinformation) unterschieden und getrennt (vgl. ebd.: 198).

2.1. Programmbereich Unterhaltung

Im Bezug auf den Programmbereich Unterhaltung orientiert sich Luhmann am Modell des Spiels. Bei einem Spiel kommt es zu einer Art von Realitätsverdopplung. Neben der realen Realität wird während des Spiels eine zweite Realität geschaffen, die sich innerhalb der Spielgrenzen mit ihren eigenen Regeln manifestiert. Solch eine Realitätsverdopplung findet auch im Rahmen der Medienunterhaltung statt. Die reale Realität (Realität ersten Grades) ist die Realität, in der sich der Rezipient befindet. Die fiktionale oder inszenierte Realität (Realität zweiten Grades) offenbart sich durch „doppelseitige Objekte“ wie etwa Bücher, Radios und Bildschirme. Diese besitzen eine „Außenseite“, welche der realen Realität zugehörig ist und eine „Innenseite“, die den Zugang zur Realität zweiten Grades, zur Welt der Imagination, gewährt (vgl. Luhmann 2009: 67f).

Der Übergang von der realen zur fiktionalen oder inszenierten Realität wird optisch oder akustisch gekennzeichnet: „[…] als Buch, als Bildschirm, als auffallende Sequenz eigens präparierter Geräusche, die in diesem Zustand dann als ‚Töne‘ wahrgenommen werden“ (ebd.: 68). Mithilfe dieser Grenzmarkierung ist es dem Rezipienten möglich zwischen Realität ersten und zweiten Grades zu unterscheiden, denn beide Realitäten existieren parallel und zur gleichen Zeit. Sie negieren sich also nicht, sondern verweisen aufeinander (vgl. Berghaus 2003: 224).

Luhmann unterscheidet im Programmbereich Unterhaltung zwischen fiktionaler und inszenierter Unterhaltung. Zur fiktionalen Unterhaltung gehören neben Romanen auch Filme und Fernsehstücke. Die durch sie geschaffene Sonderrealität gehorcht einer individuellen Zeitstruktur, welche unabhängig vom Zeitablauf der realen Realität besteht. Dies ermöglicht dem Rezipienten abgeschlossene Episoden zu beobachten, die über Anfang und Ende verfügen. Dass also die Geschichte, anders als in der realen Realität, ein beobachtbares Ende hat, ist ursächlich für die Begeisterung an Unterhaltungsangeboten. Da sie enden, besteht stets Bedarf an immer neuen Geschichten (vgl. ebd.: 225).

Auch im Bereich der Unterhaltung operiert das System unter der Leitdifferenz Information/Nichtinformation. Welche Informationen verwendet werden und welche nicht, kann von den Autoren fiktionaler Geschichten zu Beginn völlig frei entschieden werden. Sie dürfen, anders als im Programmbereich Nachrichten, welcher der Wahrheit verpflichtet ist, erfunden, also fiktional sein (vgl. ebd.). Allerdings „[…] darf in der Unterhaltung, gerade wenn die Geschichte als fiktiv erzählt wird, nicht schlechthin alles fiktiv sein“ (Luhmann 2009: 69), da es dem Rezipienten möglich sein muss, bestimmte Bereiche als aus der realen Realität stammend wiederzuerkennen um auf diese Weise „[…] sehr schnell ein zur Erzählung passendes, auf sie zugeschnittenes Gedächtnis zu bilden […]“ (ebd.).

Die Informationen generieren in der Folge Bedarf an weiteren Informationen, die nun jedoch nicht mehr frei wählbar sind, sondern sich aus der zuvor getroffenen Entscheidung für eine Information ergeben müssen (vgl. ebd.: 226):

„Das allein berechtigt aber noch nicht, eine solche Produktion von aus Informationen erzeugten Informationen (aus Unterscheidungen erzeugten Unterscheidungen) als Spiel oder als Unterhaltung anzusehen. Dies setzt als Weiteres voraus, daß (sic!) die Sequenz der informationsverarbeitenden Operationen ihre eigene Plausibilität selbst erzeugt. Ähnlich wie bei Technologien kommt es zu einer Schließung des Prozesses gegenüber unkontrollierten Umwelteinflüssen. Was einen Unterschied macht, begründet dann hinreichend, welche weiteren Unterschiede möglich sind.“ (Luhmann 2009: 70, Hervorhebung im Original)

Im Bereich der inszenierten Unterhaltung setzt Luhmann sich vornehmlich mit der „Gattung der höchstpersönlichen Erfahrungsberichte“ im Fernsehen auseinander. Hierbei handelt es sich um Talkshows und Reality-TV-Sendungen[1]. Das Interesse an diesen Formaten basiert darauf, dass dem Zuschauer eine glaubwürdige Realität präsentiert wird, mit der jedoch keine Konsenspflicht einhergeht. Er kann also dem im Rahmen der Unterhaltungssendung Dargebotenem entweder zustimmen oder es ablehnen (vgl. Berghaus 2003: 227).

2.2. Programmbereich Nachrichten und Berichte

Der Programmbereich Nachrichten und Berichte gliedert sich in zwei Sorten, welche sich im Hinblick auf ihre Aktualität unterscheiden. Unter Nachrichten versteht Luhmann hierbei Berichterstattung, welche sich durch ein hohes Maß an Aktualität auszeichnet und in Abhängigkeit zum Tagesgeschehen steht (vgl. ebd.: 204f).

Berichte hingegen

„[…] informieren über die Kontexte etwaiger Neuigkeiten. Ihr Neuigkeitswert liegt nicht in der für alle gleichmäßig fließenden Zeit, sondern ergibt sich aus dem vermuteten Wissensstand des Publikums […] – Berichte über die Eigenart bestimmter Krankheiten, über ferne Länder, über Entwicklungen in der Wissenschaft, über ökologische oder klimatische Verhältnisse etc. […] Riesige Mengen von ‚Sachbüchern‘ erfüllen vor allem diesen Zweck, die temporäre, vergängliche Natur der Nachrichten zu ergänzen“ (Luhmann 2009: 52, Hervorhebung im Original).

Bei Nachrichten und Berichten handelt es sich um Informationen, bei denen von Seiten der Rezipienten und der Medien vorausgesetzt wird, dass sie einem gewissen Wahrheitsanspruch genügen. So hängt die Reputation der Presse davon ab, dass ihrer Berichterstattung eine gründliche Recherche zugrunde liegt (vgl. Luhmann 2009: 40f). Dennoch sind die Medien nicht in der Lage ein wahres Abbild der Realität zu liefern, da ihre Berichterstattung lediglich auf der Basis von Beobachtungen nach bestimmten Unterscheidungen geschieht. Es handelt sich bei Nachrichten und Berichten also lediglich um Konstruktionen von Realität mit Wahrheitsanspruch (vgl. Berghaus 2003: 206).

Dennoch kann „Wahrheit“ als oberstes Selektionskriterium dieses Programmbereichs verstanden werden. Informationen, die dem Wahrheitsanspruch nicht gerecht werden, werden daher nicht weiter verbreitet. Dies ist vor allem aus existentiellen Gründen von Bedeutung: Falschmeldungen gefährden die gesellschaftliche Akzeptanz des Programmbereichs, wenn dieser seinem Wahrheitsanspruch nicht mehr gerecht wird. Daher überwacht dieser die Wahrheit und reagiert mit Korrektur und Sanktionen auf falsche Berichterstattung (vgl. ebd.).

[...]


[1] Da diese Unterhaltungskategorie für die thematische Ausrichtung der vorliegenden Arbeit nicht weiter relevant ist, werde ich diese der Vollständigkeit halber lediglich kurz erläutern.

Fin de l'extrait de 23 pages

Résumé des informations

Titre
"The Blair Witch Project" und Niklas Luhmanns Realität der Massenmedien
Université
University of Siegen  (Philosophische Fakultät)
Cours
Niklas Luhmann: Die Realität der Massenmedien
Note
1,0
Auteur
Année
2015
Pages
23
N° de catalogue
V303707
ISBN (ebook)
9783668020559
ISBN (Livre)
9783668020566
Taille d'un fichier
431 KB
Langue
allemand
Mots clés
Medientheorie, Niklas Luhmann, The Blair Witch Project, Massenmedien
Citation du texte
Eva Lambrecht (Auteur), 2015, "The Blair Witch Project" und Niklas Luhmanns Realität der Massenmedien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/303707

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