Foucaults Panoptismus. Ein Gefängnisentwurf als Sinnbild moderner Gesellschaften


Dossier / Travail, 2015

19 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Benthams Panoptikum

3. Foucaults Panoptismus
3.1 Die Disziplinen
3.2 Die Entstehung der Disziplinargesellschaft

4. Zusammenfassung und Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Wir leben in einer Disziplinargesellschaft, […] einer Gesellschaft der Überwachung […], eingeschlossen in das Räderwerk der panoptischen Maschine, das wir selber in Gang halten - jeder ein Rädchen.“ (Foucault 1976, S. 277ff.)

Bei diesem Satz, den man im ersten Moment fälschlicherweise als Einleitung einer kruden Verschwörungstheorie abtun könnte, handelt es sich um eine Aussage von Michel Foucault, einem der angesehensten und wichtigsten politischen Philosophen und Sozialforscher des 20. Jahrhunderts. Doch was verleitete einen der viel diskutierten Gesellschaftstheoretiker zu einer so drastischen Aussage? Die unaufhaltsame Globalisierung, die zunehmende Monopolisierung der digitalen Infrastruktur und die Hilflosigkeit politischer Institutionen und Instrumente gegenüber der Übermacht und Geschwindigkeit des globalen Finanzsystems nähren den Verdacht von der Ohnmächtigkeit des Individuums und unterstreichen die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Fragestellung: Sind wir am Ende wirklich alle bloß Rädchen einer großen Maschine?

Um sich darüber eine Meinung bilden zu können, ist es zuerst wichtig zu verstehen, was Foucault mit dieser Aussage gemeint hat und wie er sie begründet. Diese Hausarbeit soll zum einen erklären, woher der Begriff der panoptischen Maschine oder des Panoptismus1 kommt. Zum anderen soll sie den Leser mit den von Foucault verwendeten Begriffen „Disziplinen“ und „Disziplinargesellschaft“ vertraut machen.

Wenn Foucault von Panoptismus spricht, bezieht er sich auf das Panoptikum, einen architektonischen Gefängnisentwurf des Utilitaristen Jeremy Bentham. Warum Foucault darin ein Sinnbild der modernen Disziplinargesellschaft sieht, erschließt sich erst, wenn man versteht, wie das Panoptikum aufgebaut ist und welche Mechanismen und Strukturen in ihm wirken. Dies wird im ersten Teil dieser Arbeit erläutert werden.

In einem zweiten Teil wird daraufhin zuerst Foucaults Begriff der Disziplinen sowie deren Funktionsweise erklärt. Anschließend wird dargestellt, was Foucault unter Disziplinargesellschaft versteht und wie sie seiner Theorie nach entstanden ist. Des Weiteren wird die Plausibilität des Panoptikums als Sinnbild der Disziplinargesellschaft kritisch beleuchtet, sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider herausgearbeitet. Auch Schwachstellen an Foucaults Theorie und Ansatzpunkte zur Kritik werden in diesem Teil behandelt.

In einem letzten Teil werden in einem Fazit nochmals die wichtigsten Argumentationslinien zusammengefasst. Außerdem wird versucht, kurz die Eignung von Foucaults Modell der Disziplinen sowie der Disziplinargesellschaft zur Analyse oder Beschreibung moderner Gesellschaftsformen zu bewerten. Insgesamt sollte dem Leser damit ein grundlegendes Verständnis von Foucaults Begriff der Disziplinargesellschaft - der „panoptischen Maschine“ -, ihrer Entstehung sowie der Tragweite seiner Theorie vermittelt worden sein.

Basieren wird diese Arbeit hauptsächlich auf dem dritten Kapitel „Disziplin“ aus Michel Foucaults „Überwachen und Strafen“ und Jeremy Benthams „Panoptikum oder Das Kontrollhaus“. Darüber hinaus werde ich an geeigneten Stellen noch Sekundärliteratur hinzuziehen. Die Menge an Arbeiten, Büchern, Texten, Rezensionen oder Zusammenfassungen zu Foucaults Theorien ist enorm. Theoretiker beinahe aller politischen Denkrichtungen haben sich mit seinen Arbeiten auseinandergesetzt2 und viele Autoren haben seine Werke zusammengefasst3 oder kritische Begleitreader zu seinen Texte geschrieben4. Da eine Hausarbeit einen begrenzten Umfang hat, werde ich in dieser Arbeit nicht vorrangig auf die Auswirkungen von Foucaults Arbeit auf die Gesellschaftswissenschaften eingehen, sondern mich auf die inhaltliche Darstellung und kritische Beleuchtung der in dieser Arbeit vorgestellten Theorien und Begriffe konzentrieren. Lediglich im letzten Teil der Arbeit wird noch kurz die Reichweite von Foucaults Forschungen zu dem hier behandelten Thema sowie sein Einfluss auf die Gesellschaftswissenschaften und ihre verschiedenen Denkrichtungen zusammengefasst und dem Leser so ermöglicht, das neu gewonnene Wissen grob in einen weiteren Forschungskontext einzuordnen.

2. Benthams Panoptikum

Jeremy Bentham wurde 1748 in London geboren. In dieser Stadt lebte und wirkte er bis zu seinem Tod 1832 als Philosoph und Sozialreformer. Bentham gilt als Begründer des klassischen Utilitarismus. Der Utilitarismus ist eine konsequentialistische Ethik5, bei der Handlungen darauf ausgelegt werden sollten, einer größtmöglichen Anzahl an Menschen größtmögliches Glück zu bringen. Moralisches Leitmotiv ist also das Maximieren der Gesamtmenge des Glücks.6

Diese Logik fand Einzug in beinahe alle Bereiche des staatlichen Handelns. Und so war auch der Strafvollzug im Laufe des 18. Jahrhunderts einem weitreichenden Wandel unterzogen. Für viele Jahrhunderte zuvor stand der Aspekt des Bestrafens im Mittelpunkt des Rechtssystems. Öffentliche Demütigungen und die Todesstrafe schon für kleinste Delikte waren die gängigen Strafen dieser Zeit. Ziel war es, die Kriminellen aus der Gesellschaft zu „entfernen“ und die Gesellschaft von Ihnen zu „befreien“ (Goździelewska 2012).7 Gefängnisse waren somit Durchgangslager, die nicht für die langfristige Verwahrung von Gefangenen gedacht waren. Dunkle Kellerverliese sollten die ausgegliederten Kriminellen verbergen, bis sie verbannt oder hingerichtet wurden.

Mit der Aufklärung änderten sich diese ethischen Grundlagen des Strafsystems. Zwei neue Konzepte fanden Eingang in die Strafgesetzgebung. Dies war zum einen die mit einer utilitaristischen Ethik konforme Abwägung, welche Art der Bestrafung den größtmöglichen Nutzen für die Gesamtgesellschaft bringen könnte. Die Verurteilung zum Zwangsarbeiter in Überseekolonien war ein typisches Resultat dieser Denkart. Die zweite wichtige Idee war die, dass ein Krimineller nicht per se kriminell ist, sondern dass seine Kriminalität, also sein Abweichen von den geltenden Regeln auf eine charakterliche Abweichung von der Norm zurückzuführen ist. Diese charakterliche Normabweichung würde sich jedoch durch Umerziehung beheben lassen. Der Kriminelle könnte durch diese Umerziehung wieder zu einem normen- und gesetzeskonformen, produktiven Mitglied der Gesellschaft werden. Dies ist auch aus Sicht der Nutzenmaximierung für die Gesamtgesellschaft ein wünschenswertes Ziel.

Dieser Wandel im Sinn des Strafvollzugs machte auch einen Wandel im Gefängniswesen notwendig. Gefängnisse waren nun nicht mehr Durchgangslager, die die verstoßenen Kriminellen bis zu ihrer Bestrafung einkerkern und verbergen sollten, sondern Einrichtungen, in denen Gefangene erzogen und resozialisiert wurden. In einer solchen Einrichtung mussten die Gefangen im Prinzip rund um die Uhr überwacht und beobachtet werden. Nur so konnte beurteilt werden, ob bei Ihnen tatsächliche eine Verhaltensbesserung vorlag.

Diesem Problem versucht Jeremy Bentham mit seinem 1791 in „Panopticon or The InspectionHouse“ veröffentlichten architektonischen Entwurf eines „perfekten Kontrollhaus[es]“ (Bentham 2013, S. 11) zu begegnen.

Benthams entwirft sein Panoptikum8 als einen kreisrunden Bau. Zentral in der Mitte des Zylinders befindet sich ein Wachturm. Von diesem Wachturm gehen strahlenförmig die Zellen des Kontrollhauses ab, zwischen Wachturm und den Zellen befindet sich ein Gang. Benthams Entwurf sieht die individuelle Inhaftierung eines Gefangenen pro Zelle vor. An der Außenseite einer Zelle gibt es ein Fenster, an der Innenseite zum Gang hin ein Gitter mit eingelassener Tür. Die Zelle ist so einerseits von beiden Seiten einsehbar und soll außerdem als Korridor für Licht hin zum Wachturm dienen. Der Wachturm verfügt zum Gang hin ebenfalls über Fenster. Sie sind so angebracht und mit Blenden versehen, dass der Aufseher in seiner zentralen Position jederzeit das Geschehen in jeder Zelle verfolgen könnte, selber aber nicht gesehen werden kann (Bentham 2013, S. 29ff).

Das Entscheidende an dieser Architektur ist die daraus resultierende psychologische Wirkung auf die Gefangenen. Durch die Unwissenheit der eigenen Überwachung und der permanenten Möglichkeit, überwacht zu werden, disziplinieren sich die Gefangen selbst. An Stelle einer lückenlosen Überwachung tritt das Gefühl, zu jedem Zeitpunkt überwacht sein zu können sowie die Unwissenheit, in welchen Momenten das der Fall ist. Dieses Gefühl des Überwacht-Werdens bringe die Gefangenen von allein dazu, die von ihnen verlangten Verhaltensnormen zu erfüllen und sich permanent dahingehend selbst zu disziplinieren. Hierfür hat Bentham das Prinzip aufgestellt, dass Macht „sichtbar aber uneinsehbar“ (Foucault 1976 S. 258) sein muss. Der Gefangene darf nie wissen, ob er überwacht wird, muss sich aber zu jedem Zeitpunkt sicher sein, überwacht sein zu können. Des Weiteren ist es nicht einmal mehr wichtig, WER die Rolle des Bewachenden einnimmt. Theoretisch jeder könnte in den Wachturm gehen und die Gefangenen beobachten (Vgl. Foucault 1976, S. 260). Dies sollte nach Bentham die Transparenz des Strafvollzugsystems erhöhen, schließlich konnte sich prinzipiell jeder Bürger ein Bild von den Haftbedingungen und den Häftlingen machen. Außerdem ließe sich sein Entwurf auf jeden Ort übertragen, an dem „eine große Anzahl von Menschen auf begrenztem Raum überwacht werden mussten“ (Bentham 2013, S. 32).9

Jeremy Benthams Überzeugung war, dass physische Gewaltanwendung somit überflüssig und die Effizienz der Überwachung maximal war. Theoretisch musste der Wachturm nicht mal besetzt sein, da sich die Gefangenen aus Angst, überwacht zu werden selbst disziplinierten.

Zwei Probleme behandelte Bentham in seinem Entwurf leider nicht. Das erste war organisatorisch:Akzeptierte der Gefangene die Autorität der an ihn gestellten Vorgaben nicht und überwachtederen Einhaltung somit nicht bei sich selbst, wurde Gewalt zur Durchsetzung der Strafe wiederunumgänglich.

Ein zweites Problem ist moralischer Natur. War sein Entwurf zwar unglaublich kosteneffizient, sowar er es doch auf Kosten der Würde der Gefangenen. Sie konnten 24 Stunden am Tag von Jedemgegen ihren Willen und ohne ihr Mitwissen überwacht werden und standen immer unter demZwang, sich normenkonform zu verhalten. Auch Kontakt mit anderen Mitgefangenen war nichtvorgesehen.

Alles in allem war Jeremy Benthams Entwurf also von einer beängstigenden Effizienz unddurchdrang jede Lebensminute der zu beobachtenden Objekte, machte diese jedoch somit zu„Objekten der Information, niemals Subjekten der Kommunikation“ (Foucault 1976, S. 257).

3. Foucault und das Panoptikum

Michel Foucault (1926-1984) war ein französischer Philosoph, Psychologe und Soziologe.

In seinem Werk „Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses“ (Foucault, 1976)beschäftigt er sich mit der Entstehung des modernen Strafvollzugssystems und der Entstehung undFunktionsweise der modernen Gesellschaft. Auch wenn Michel Foucault in seinen Untersuchungennur den Zeitraum des 18. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einbezieht,werden seinen Theorien häufig auf die heutige Gesellschaft übertragen und angewendet.10

[...]


1 Mit Panoptismus ist im Folgenden die Gesamtheit von Foucaults Theorie zu Herkunft, Inhalt und Funktion Disziplinen sowie Entstehung und Wesen der Disziplinargesellschaft gemeint.

2 So haben z. B. sowohl Habermas als auch Satre, zwei der wichtigsten anderen Sozialwissenschaftler und Philosophen seiner Zeit kritische Rezensionen zu seinen Studien geschrieben. Siehe hierfür Habermas 1985, S. 279 ff. bzw. Richter 2011

3 So z. B. Raffnsøe et al. 2011 in einem sehr guten Studienhandbuch zu Foucault

4 Foucault und Hoy 1986 ist hierfür nur eines von vielen Beispielen.

5 Konsequentialistisch beutet, dass allein die Konsequenzen einer Handlung relevant für ihre moralische Bewertung sind. Die zu Grunde liegenden Motive spielen dabei keine eigene Rolle.

6 Für eine komplette Darstellung Jeremy Benthams utilitaristischer Ethik siehe Bentham 2010.

7 Für eine kurze historische Zusammenfassung der Geschichte des Strafvollzugs siehe http://jbshistoryblog.de/2012/07/einblicke-in-die-strafvollzugsgeschichte/

8 Der Begriff Panoptikum setzt sich aus den griechischen Wörtern „pan-“ für „ganz, gesamt“ und „optikós“ für „zu Sichtbarem gehörend, zu sehen“ zusammen. Schon der Name lässt also auf das Ziel des Entwurfes schließen.

9 Bentham dachte neben Gefängnissen z. B. an Schulen, Spitäler, Fabriken oder andere Arbeitsstätten.

10 Michel Foucault äußert sich zur Übertragbarkeit seiner Untersuchungen auf die moderne Gesellschaft zweideutig: „Die Untersuchung endet ungefähr mit dem Jahr 1830. Trotzdem haben in diesem Falle die Leser, die kritischen wie die zustimmenden, das Buch als Beschreibung der gegenwärtigen Gesellschaft der Einschließung aufgefasst. Ich habe das nirgendwo gesagt, auch wenn es richtig ist, dass das Schreiben dieses Buches mit einer gewissen Erfahrung unserer Moderne zusammenhing.“ (Foucault 19785

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
Foucaults Panoptismus. Ein Gefängnisentwurf als Sinnbild moderner Gesellschaften
Université
Free University of Berlin
Note
1,0
Auteur
Année
2015
Pages
19
N° de catalogue
V304027
ISBN (ebook)
9783668023864
ISBN (Livre)
9783668023871
Taille d'un fichier
552 KB
Langue
allemand
Mots clés
foucaults, panoptismus, gefängnisentwurf, sinnbild, gesellschaften
Citation du texte
Julian Wolff (Auteur), 2015, Foucaults Panoptismus. Ein Gefängnisentwurf als Sinnbild moderner Gesellschaften, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/304027

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