Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Sprachentwicklung
3. Besonderheiten im dritten Lebensjahr
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
6. Anhang
1. Einleitung
Die menschliche Sprache unterscheidet sich grundlegend von den Kommunikationsmöglichkeiten anderer Lebewesen. Viele Tiere können miteinander kommunizieren, unsere Sprache jedoch besteht aus Morphemen, den kleinsten bedeutungstragenden Einheiten der Sprache, die aus Phonemen gebildet werden. Durch die Kombination dieser Morpheme entstehen Worte, kombiniert man die Worte, dann entstehen Sätze. Aus den Beziehungen der Worte innerhalb der Sätze entstehen die verschiedensten Bedeutungszusammenhänge.[1]
Wie dieses komplexe Gebilde der Sprache von einem Menschen erlernt wird, soll die zentrale Fragestellung dieser Arbeit sein. Zunächst wird eine Übersicht über die Sprachentwicklung eines Kindes gegeben. Dabei beleuchte ich Voraussetzungen für die Sprachentwicklung, die einzelnen Stadien und damit die Entwicklung der gesprochenen Sprache, das Sprachverständnis und die Sprachwahrnehmung. Es soll hinterfragt werden, welche Strategien Kinder nutzen, um Sprache zu lernen. Welche Entwicklungsschritte werden dabei vollbracht? Im Folgenden stelle ich Besonderheiten, die speziell im dritten Lebensjahr eines Kindes auftreten, dar. Unter Einbeziehung des Verlaufsprotokolls im Anhang werden dafür Beispiele eines dreijährigen Jungen gegeben. Zum Abschluss sollen in einem Fazit die gewonnenen Ergebnisse aufgezeigt und zusammengefasst werden.
Besonderheiten wie die Zweisprachigkeit oder Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Bezug auf Sprachentwicklung können in dieser Arbeit leider nicht berücksichtigt werden, da diese sonst den Umfang übersteigen.
Die Spracherwerbsforschung konzentrierte sich bis in die 70er Jahre meist auf einzelne Systembereiche der Sprache wie Phonologie, Morphologie, Syntax und Lexik. Erst später befasste man sich auch mit dem Erwerb sozial-kommunikativer Kompetenzen. In der aktuellen Forschung lässt sich ein intensives Interesse an der Frühphase des Spracherwerbs erkennen. Außerdem wurde in den letzten Jahren Gebiete des Bilingualismus, sowie des Zweit- und Fremdsprachenerwerbs näher erforscht.[2]
Für die vorliegende Arbeit ist jene Literatur, die sich mit der Frühphase des Spracherwerbs befasst, insbesondere im dritten Lebensjahr des Kindes, Grundlage. Vorrangig entstammt diese dem psychoanalytischen und dem pädolinguistischen Bereich. Neben dem Aufsatz „Spracherwerb des Kindes“ von Els Oskaar sind auch Barbara Zollingers Werke „Kinder im Vorschulalter“ und „Die Entdeckung der Sprache“ von Bedeutung. Aus der anthroposophischen Pädagogik ist das Werk „Die ersten drei Lebensjahre“ von Karl König bedeutsam.
2. Sprachentwicklung
Allgemeine Voraussetzungen
Es gibt keine allgemeingültige Spracherwerbstheorie. Dennoch existieren viele verschiedene Ansätze. Beispielsweise geht der behavioristische Ansatz davon aus, dass das Lernen einer Sprache von Konditionierung abhängig ist. Der nativistische Ansatz hingegen betont, dass Sprache eine angeborene Fähigkeit sei, die entfaltet werden muss.[3]
Nach Oskaar, der den pädolinguistischen Ansatz vertritt, ist es wichtig, die Kindersprache als Eigenständigkeit anzusehen. Eigentlich sei es falsch, die Sprache der Kinder an Kategorien der Erwachsenensprache zu messen. Hinzu kommt, dass man die gesprochene mit der geschriebenen Sprache analysiert. Wie in der Pädolinguistik sollte die vorherrschende Frage dieser Arbeit sein, welche Mittel Kinder benutzen, um erfolgreich zu kommunizieren.[4]
Die Sprachentwicklung eines Kindes ist ein andauernder Prozess. Überdies verläuft das Erlernen der Sprache bei jedem Kind unterschiedlich. Manche Kinder können schon mit zwei Jahren flüssig reden, Lieder singen, während sich andere in diesem Alter noch mit Einwortsätzen ausdrücken.[5]
Wichtig für den Spracherwerb sind auch bestimmte soziale Voraussetzungen. Zum einen hängt die Freude des Kindes an der Sprache von der Einstellung der Eltern ab. Ein Kind, das ständig korrigiert und zurechtgewiesen wird, hat weniger Anreiz die Sprache zu lernen. Ein ausgeglichenes Maß an Lob und Kritik ist daher grundlegend. Den Kindern früh vorlesen oder vorsingen ist dem Wortschatz förderlich. Bei grammatischen Fehlern ist es nicht zwingend, das Kind stets zu korrigieren.[6] Zum anderen spielen die Qualität und Quantität der sozialen Zuwendung eine große Rolle. Das Kind nimmt bestimmte soziokulturelle Verhaltensweisen seiner Mitmenschen wahr – und damit auch ihre Sprache, welche gewöhnlich keine Standartsprache ist, sondern eine durch Regiolekte und Soziolekte geprägte Sprache. Der menschliche Kontakt hat auch Auswirkung auf die Geschwindigkeit des Spracherwerbs. Heimkinder lernen durchschnittlich langsamer sprechen als Familienkinder.[7]
Wenn ein Kind eine Sprache lernt, lernt es nicht nur die Sprache selbst, sondern es eignet sich gleichzeitig kulturelle Verhaltensweisen an. Das heißt, Kinder lernen, die Wirklichkeit zu erfassen und zu ordnen. Sie lernen zu verstehen, wer was wem wann wo wie warum und mit welchen Resultat sagt. Diese Lasswellsche Formel steht eng in Verbindung mit sozialen Handlungsprozessen und bestimmten kulturellen Verhaltensweisen. Der Mensch lernt zum Beispiel, dass man sich grüßt, wie man grüßt, und damit verbunden auch nonverbale Handlungen, wie die Hand geben.[8]
Wann Sprache erworben wird, lässt sich nur schwer sagen. In Abhängigkeit der Umgebung, wie schon erwähnt, lernt das Kind ab seinen ersten Lebenstagen. Aber ist dennoch möglich, eine Erstsprache nach der Pubertät zu lernen. Es gibt daher kein kritisches Alter für den Spracherwerb. In jedem Alter können, allerdings auf unterschiedliche Art und Weise, Sprachen gelernt werden.[9]
Stadien der Sprachentwicklung / Entwicklung der gesprochenen Sprache
Zur Entwicklung der aktiven Sprache gibt es nur allgemeine Richtwerte, denn jede Sprache und jedes Kind sind verschieden.
Zunächst beginnt das neugeborene Kind unterschiedliche Schreitypen wie Hunger oder Schmerz auszubilden. Im Alter von etwa drei Monaten äußert es erste Lall-Laute. Hier entstehen erstmals unterschiedliche Lautsequenzen.[10] Eine wichtige Art der nonverbalen Kommunikation, die etwa mit neun Monaten eintritt, ist der referentielle Blickkontakt. Das Kind lässt beispielsweise einen Gegenstand fallen und schaut die erwachsene Person an, als ob sie es aufheben sollte. Somit wird zum ersten Mal eine Ich-Du-Gegenstandsbeziehung aufgebaut. Mit 12 bis 15 Monaten spricht das Kind einzelne Wörter. „Mama“, „Papa“ oder „dada“ sind hier allerdings noch keine Einwortsätze, da sie nicht gebraucht werden, um anderen etwas mitzuteilen, sondern sie bezeichnen eine Handlung oder einen Gegenstand, sie sind Hilfsmittel, um etwas zu begreifen.[11] In diesem Stadium verstehen Kinder mehr, als sie äußern können. Das Kind ist in der Lage, Laute und Wörter zu erfassen, die es selbst nicht aussprechen kann.[12] Ab dem 12. Lebensmonat werden oft bestimmte Wörter direkt wiederholt. Auch Onomatopoetika spielen hier eine Rolle. Wörter wie „gaga“ oder „wauwau“ werden spontan repetiert. Auch mit 18 Monaten noch werden neue unbekannte Wörter sofort wiederholt.[13]
Schwierige Wörter werden mit Hilfe von Assimilationen vereinfacht, das heißt es werden Konsonanten angeglichen, so zum Beispiel „Dett“ für „Bett“ oder „geggi“ für „dreckig“. Diese Assimilationen treten nicht konstant auf, sondern sind von der jeweiligen Kommunikationssituation, des Satzbaus und des Wortinhaltes abhängig.[14]
Gegen Ende des zweiten Lebensjahres begreifen Kinder, dass mit Wörtern Reaktionen und Veränderungen hervorgerufen werden können. Das Kind merkt, dass andere auf seine Äußerungen, die an dieser Stelle meist noch Einwortsätze sind, reagieren. Mit ungefähr 18 Monaten beginnt es erste Zweiwortsätze wie „Mama essen“, „Teddy Bett“ zu formen. Das Kind kann nun eine Beziehung zwischen sich und seiner Umwelt herstellen. Daneben werden ab jetzt Absichten ausgedrückt und den Mitmenschen mitgeteilt.[15] Dieses Zweiwortstadium ist ein kurzes, aber wichtiges Durchgangsstadium. Die Sätze werden länger, das Kind lernt sich nun schnell in seiner Muttersprache zurechtzufinden. Denn im Alter von ca. 24 Monaten beginnt das Kind sich, nicht wie bisher für die Beziehungen zwischen sich und Personen oder Dingen zu interessieren, sondern auch für die Relationen zwischen den Personen und den Dingen. Dies erwähnt es dann in Form von Mehrwortsätzen. Ablehnungen werden ungefähr ab dem 18. Lebensmonat durch „Nein-Sagen“ ausgedrückt, zuvor verdeutlichte das Kind seine Abneigung durch Kopfschütteln oder deutliche Gesten, wie beispielsweise einen Gegenstand wegwerfen.[16] Desgleichen werden die morphologischen Strukturen ausgebaut. Das Kind beginnt zu konjugieren, zu deklinieren und zu komparieren. Natürlich steht dies auch immer in Abhängigkeit der jeweiligen Sprache.[17]
Wirklich komplexe Sätze wie zum Beispiel Nebensätze, Frage- und Negationssätze, setzen ungefähr im Alter von 36 bis 42 Monaten ein, denn das Kind interessiert sich nun auch, wieso und zu welchem Zweck etwas passiert und möchte dies auch ausdrücken. Zu diesem Aspekt wird näheres im dritten Gliederungspunkt dieser Arbeit beschrieben.
Der Wortschatz eines Kindes ist im Alter von 12 Monaten noch sehr beschränkt. Das Erlernen neuen Vokabulars beginnt sehr langsam, dann aber sehr schnell. Mit 30 Monaten umfasst der Wortschatz des Kindes etwa 500 Wörter. Allerdings herrschen in Bezug auf den Wortschatz Unterschiede in Abhängigkeit des sozialen Milieus.[18]
Sprachverständnis und Sprachwahrnehmung
Das Sprachverständnis steht im Zusammenhang mit der Gesamtentwicklung des Kindes. So zeigen auch Schüler mit Sprachverständnisproblemen Schwierigkeiten in der Schule. Solche Sprachverständnisschwierigkeiten offenbaren sich oft in sekundären Störungen wie Aggressivität, Konzentrationsschwierigkeiten oder Dysgrammatismus. Das Sprachverständnis kann, im Gegensatz zur aktiv gesprochenen Sprache, nicht direkt beobachtet werden. Man untersucht daher die Reaktion auf eine sprachliche Äußerung.[19]
Schon einige Tage nach der Geburt können Babys muttersprachliche von fremdsprachlichen Lauten unterscheiden und bevorzugen die vertrauten muttersprachlichen Worte.[20] Zwischen fünf und acht Monaten lernt das Kind Intonationsmuster zu unterscheiden. Bis etwa zum 12. Lebensmonat ist das Sprachverständnis noch direkt situationsbezogen. Hier ist, wie oben schon genannt, der referentielle Blickkontakt ein wichtiger Schritt in der Entwicklung. Eine sprachliche Situation wird zu diesem Zeitpunkt noch nicht allein durch das Hören verstanden. Durch diesen Blickkontakt und Wiederholen eines Wortes wie „Papa“ oder „schlafen“, welches im Zusammenhang mit der Handlung steht, geschieht ein erster kommunikativer Akt. Das Kind reagiert zunächst auf eine Äußerung mit einer Handlung. Im Alter von 15 bis 18 Monaten können situationale Aufforderungen begriffen und ausgeführt werden. Das Kind kann sodann nach einer sprachlichen Anweisung einen Gegenstand aus mehreren auswählen.[21]
Die wichtigste Phase der Sprachverständnisentwicklung findet zwischen 18 und 24 Monaten statt. Das Kind weiß, dass über Sprache Wünsche ausgedrückt werden können, die eine Handlung hervorrufen. Es erkennt, dass Sprache eine Wirkung hat. Außerdem werden in diesem Alter einzelne Wörter auch in Abwesenheit verstanden, sie sind nun nicht mehr nur situationsbezogen. Das Kind ist fähig, ein Ergebnis einer Handlung zu erfassen. Dies bildet die Grundlage für die Entwicklung der Vorstellung.[22]
Mit etwa 24 bis 30 Monaten kann das Kind absurde Aufforderungen, wie „kämme den Teddy mit der Gabel“ verstehen. Die erste Reaktion ist meist ein Blick, der in etwa „Was? Habe ich dich jetzt richtig verstanden?“ bedeutet. Entweder das Kind führt die absurde Handlung aus, soweit dies möglich ist, oder lehnt sie entschieden mit „nein“ ab.[23]
Eine Besonderheit in Bezug auf die Sprachwahrnehmung ist, dass das Kind sich beim eigenen Namen nennt. Tagtäglich hört es seinen Namen, aber die meisten Kinder nennen sich selbst erst beim Namen, wenn sie sich im Spiegel erkennen, meist im Alter von 18 bis 24 Monaten.[24] Eng damit im Zusammenhang steht auch das Ich-Sagen, worauf ich im Abschnitt „Besonderheiten im dritten Lebensjahr“ näher eingehe.
Ein bedeutungsvoller Schritt, der etwa mit 24 Monaten eintritt, ist die Entwicklung der Vorstellung. Das Kind bekommt allmählich ein Verständnis für Raum, Zeit und Kausalität. Wörter bezeichnen nun auch Gegenstände, die außerhalb einer Handlung liegen. In diesem Stadium sind Kinder fähig, den Inhalt einer Aussage vollkommen zu erfassen. So vollzieht sich eine Umkehrung zwischen dem Verhältnis von Sprache und Handlung. Das Sprachverständnis ist nun nicht mehr von der Handlung abhängig, sondern das Kind handelt, um neue semantische Entdeckungen zu machen.[25]
[...]
[1] Vgl. dazu Kapitel 2.3 in: Linke, Angelinka / Nussbaumer, Markus / Portmann, R. Paul: Studienbuch Linguistik, Tübingen 52004 (= Reihe Germanistische Linguistik. 121).
[2] Vgl. ebd., S. 380-381; 413-415.
[3] Vgl. Oskaar, Els: Spracherwerb des Kindes. Psycho- und pädolinguistische Aspekte, in: Lange, Günter / Neumann, Karl / Ziesenis, Werner (Hrsg.): Taschenbuch des Deutschunterrichts. Hohengehren 41990 (= Grundfragen der Praxis der Sprach- und Literaturdidaktik. 1), S. 70-71.
[4] Vgl. ebd., S. 69-70.
[5] Vgl. Diem-Wille, Gertraud: Das Kleinkind und seine Eltern. Perspektiven psychoanalytischer Babybeobachtung, Stuttgart 22009, S. 209.
[6] Vgl. ebd., S. 209-210.
[7] Vgl. Oskaar: Spracherwerb des Kindes, S. 72-73.
[8] Vgl. ebd., S. 74.
[9] Vgl. ebd. S. 75.
[10] Vgl. ebd., S. 76; Zollinger gibt hier das Alter von sechs Monaten an (Zollinger, Barbara: Die Entdeckung der Sprache, Bern / Stuttgart / Wien 72007, S. 222).
[11] Vgl. Zollinger: Die Entdeckung der Sprache, S. 231.
[12] Vgl. Oskaar: Spracherwerb des Kindes, S.76-77.
[13] Vgl. Zollinger: Die Entdeckung der Sprache, S. 233-234.
[14] Vgl. ebd., S. 231.
[15] Vgl. ebd., S. 232; genauere Bildung der verschiedenen Arten von Zweiwortsätzen siehe Tücke, Manfred: Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters für (zukünftige) Lehrer, Münster / Berlin 32007 (= Osnabrücker Schriften zur Psychologie. 6), S. 172.
[16] Vgl. Zollinger: Die Entdeckung der Sprache., S. 225-233.
[17] Vgl. Oskaar: Spracherwerb des Kindes, S. 80.
[18] Siehe Anhang, Abbildung 1; vgl. Tü>
[19] Vgl. Mathieu, Susanne: Entwicklung und Abklärung des Sprachverständnisses, in: Zollinger, Barbara: Kinder im Vorschulalter. Erkenntnisse, Beobachtungen und Ideen zur Welt der Drei- bis Siebenjährigen, Bern / Stuttgart / Wien 1998, S. 83-84.
[20] Vgl. Tü>
[21] Vgl. Mathieu: Entwicklung und Abklärung des Sprachverständnisses, S. 85-87.
[22] Vgl. ebd., S. 87.
[23] Vgl. Zollinger: Die Entdeckung der Sprache., S. 229.
[24] Vgl. ebd., S. 227.
[25] Vgl. Mathieu: Entwicklung und Abklärung des Sprachverständnisses, S. 88.