Patientenübergriffe in der forensischen Psychiatrie. Das Maßregelvollzugszentrum Niedersachsen Moringen

Pävelenz, Ursachen, Prävention und Nachsorge


Diplomarbeit, 2011

71 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Abkurzungsverzeichnis

II. Abbildungsverzeichnis

III. Tabellenverzeichnis

IV. Vorwort

1. Aufbau der Arbeit

2. Begriffsbestimmung

3. Stand der Forschung

4. Vorstellung des MRVZN Moringen
4.1 Gesetzliche Grundlagen
4.2 Das Therapiekonzept
4.3 Das Sicherheitskonzept
4.3 Wohnkonzepte des MRVZN Moringen
4.3.1 Aufnahme- und Kriseninterventionsstationen
4.3.2 Geschlossene und offene Bereiche
4.3.3 Wohngruppen
4.4 Representative Krankheitsbilder
4.4.1 Schizophrenie
4.4.2 Personlichkeitsstorungen

5. Situation im MRVZN Moringen
5.1 Methodik und Vorgehensweise der Datenerhebung
5.2 Darstellungen der Ergebnisse
5.2.1 Pravalenz von Patientenubergriffen
5.2.2 Unterschiede nach Diagnosen
5.2.3 Unterschiede nach Stationen und Unterbringungsmodus
5.2.4 Vorboten von Ubergriffen
5.3 Auswertung und Interpretationen der Ergebnisse

6. Ursachen von Patientenubergriffen
6.1 Ausgehend vom Krankheitsbild
6.2 In der Institution begrundet
6.3 Resultierend aus Umgebungsfaktoren
6.4 In der Interaktion mit den Mitarbeitern begrundet

7. Praventionsansatze
7.1 Moglichkeiten von Mitarbeiterschulung
7.2 Das Deeskalationstraining
7.3 Die professionelle Beziehungsarbeit
7.4 Die Rolle der Institution
7.5 Ruckzugsmoglichkeiten fur Patienten
7.6 Das Konzept der „offenen Psychiatrie“

8. Konzept zur Nachsorge fur Opfer von Patientenubergriffen
8.1 Die Zielsetzung
8.2 Aufgaben der Ersten-Hilfe
8.3 Die Zusammensetzung des Betreuungsteams
8.4 Aufgaben des Betreuungsteams

9. Zusammenfassung und Ausblick

10. Eidesstattliche Erklarung

11. Literaturverzeichnis

12. Verzeichnis der Gesetze

13. Anlagen
Anlage 1: Meldebogen
Anlage 2: BVC-CH
Anlage 3: Prozessablauf fur akute Trauma-Nachsorge
Anlage 4: modifizierte SOAS-R

I. Abkurzungsverzeichnis:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

II. Abbildungsverzeichnis

1. Einflussfaktoren der Gewaltentstehung. Eigene Darstellung.

2. MRVZN Moringen (Krankenhausgelande. Innenbereich)

3. Durchschnittliche Patientenzahlen pro Jahr nach PsychPV. Eigene Darstellung.

4. Mitarbeiter/Kopfe im Pflegedienst, jeweils Monat Dezember. Eigene Darstellung. (Vgl. Leonhardt 2011)

5. Geschlechtsverteilung der „Besonderen Vorkommnisse“. Eigene Darstellung mit NSDstat.

6. Verteilung der „Besonderen Vorkommnisse“ auf die Jahre 2002 bis 2007. Eigene Darstellung. .

7. Haufigkeitspolygon, Zeitpunkt der „Besonderen Vorkommnisse“ nach Dauer der Unterbringung. Eigene Darstellung mit NSDstat.

8. Verteilung der „Besonderen Vorkommnisse“ nach ICD-10 Diagnose der Patienten. Eigene Darstellung mit NSDstat.

9. Verteilung der „Besonderen Vorkommnisse“ auf die Stationen. Eigene Darstellung mit NSDstat.

10. Verteilung der „Besonderen Vorkommnisse“ nach Unterbringungs- modus der Patienten. Eigene Darstellung mit NSDstat.

11. Beobachtbare Verhaltensweisen 24 Std / 7 Tage vor dem Ereignis. Eigene Darstellung.

12. Beobachtbare Verhaltensweisen innerhalb von 24 Std. die kein „Besonderes Vorkommnis“ nach sich ziehen. Eigene Darstellung.

III. Tabellenverzeichnis

1. Positiv- und Negativsymptome einer Schizophrenie. Eigene Darstellung (vgl. Moller et.al. 2001: S.143)

2. Stichprobenziehung. Eigene Darstellung der Autorin.

3. Inzidenz von Gewalt gegen Bedienstete. Eigene Darstellung der Autorin.

4. Gegenuberstellung der Gruppe 1 und Gruppe 2

Eigene Darstellung der Autorin.

IV. Vorwort

Es wurde oftmals umstandlicher Formulierungen bedurfen, um dem weiblichen wie auch mannlichen Sprachgebrauch gerecht zu werden. Doppelformulierungen konnen den Lesefluss erschweren, deshalb habe ich mich in dieser Arbeit fur die mannliche Form entschieden. Gemeint ist aber ebenfalls die weibliche Form.

1. Aufbau der Arbeit

In der Allgemeinpsychiatrie gibt es Untersuchungen zum Thema Patientenuber- griffe auf Mitarbeiter. Forensische Einrichtungen sind hierbei gar nicht oder nur in kleinen Fallzahlen untersucht. Richter bezieht in seiner Studie „Patientenubergrif- fe auf Mitarbeiter“ mehrere Kliniken mit ein. Hierunter auch zwei forensische A b- teilungen. Er stell Unterschiede fest, die allerdings aufgrund der geringen Fallzahl (N= 6), nicht als reprasentativ fur die Forensik gelten konnen. (vgl. Richter 1999:48) Rein forensische Untersuchungen gibt es im deutschsprachigen Raum nicht. Daher zielt diese Arbeit darauf ab in einer der fur Deutschland groftten fo- rensischen Institution, dem Maftregelvollzugszentrum Moringen (MRVZN Morin- gen), erstmals Daten zu sammeln und auszuwerten.

Im Kapitel zwei werden die Begriffe Gewalt und Aggression im Kontext dieser Arbeit definiert und Ausloser von Aggressionen mit dem Ziel der Pravention be- stimmt. Im Kapitel drei wird der aktuelle Stand der Forschung aus der Literatur zusammengetragen und aus dem Blickwinkel der forensischen Psychiatrie auf die Obertragbarkeit uberpruft.

Im vierten Kapitel wird das MRVZN Moringen vorgestellt, da der institutionelle Kontext entscheidenden Einfluss auf das Leben und Verhalten ihrer Mitglieder (Patienten) hat. Neben den allgemein gultigen gesetzlichen Rahmenbedingungen wird das Sicherheits- und Therapiekonzept vorgestellt und die einzelnen Statio- nen sowie die reprasentativen Krankheitsbilder des MRVZN Moringen beschrie- ben.

In Kapitel funf werden vorhandene statistische Daten aus dem MRVZN Moringen zusammengetragen und mit einer weitergehende Analyse der stattgefundenen Patientenubergriffe aus den Jahren 2002 bis 2007 erganzt. Die Analyse der Da­ten soll Erkenntnisse uber:

Vorhandene Praventionsansatze werden im Kapitel sieben vorgestellt und bezo- gen auf das MRVZN Moringen nach Verbesserungspotentialen untersucht. Das achte und letzte Kapitel wendet sich den Mitarbeitern zu und gibt Anregungen zur Nachsorge von Opfern der Obergriffe.

Mit dem Schlusswort sollen folgende Fragen beantwortet werden:

- Wie viele Obergriffe werden von welchem Patientenklientel begangen?

- Wie ist das MRVZN Moringen auf solche Ereignisse vorbereitet?
- Was tut die Institution praventiv?
- Gibt es Moglichkeiten die Anzahl der Vorfalle zu reduzieren?
- Was kann fur die Opfer von Obergriffen getan werden?

2. Begriffsbestimmung

Ein methodisches Problem ist, dass Aggression und Gewalt oft unterschiedlich definiert werden. Die Vergleichbarkeit der bereits bestehenden Studien wird da- durch erschwert, dass Falle von Obergriffen anhand der jeweils zugrundeliegen- den Definitionen ausgewahlt werden (vgl. Richter 1999:17). Um die Kriterien, die zur Auswahl der Daten gefuhrt haben, verstehen zu konnen, ist es unerlasslich Gewalt und Aggressionen im Kontext dieser Arbeit zu beschreiben und vonei- nander abzugrenzen.

Wenn in der forensischen Psychiatrie davon gesprochen wird, dass ein Patient aggressiv ist so wird in erster Linie seine aktuelle Stimmungslage beschrieben. Das bedeutet, dass er in einer vorrausgegangenen Situation aggressiv reagiert hat. Diese Information alleine sagt jedoch noch nicht viel aus, da sich im An­schluss zwei Fragen stellen:

1. Woran wird die Beobachtung „aggressiv“ festgemacht?
2. Worin wird die Ursache fur die Aggression vermutet?

Daher ist zunachst interessant was sich an aggressiven Verhaltensweisen be- obachten lasst. Schirmer unterscheidet folgende aggressive Handlungen:

- Verbal aggressives Verhalten wie z.B. fluchen, laute Stimme, drohen
- Nonverbale Aggression wie z.B. Ballen der Faust, Oberschreiten der pro- fessionellen Distanz, Aufstampfen mit dem Fuft, angespannte Korperhal- tung
- Tatlich aggressives Verhalten z.B. Angriff auf Gegenstande und Personen
- Selbstgerichtete Aggressionen z.B. Selbstverletzung bis hin zum Suizid (vgl. Schirmer et al 2006:10 )

Wichtig ist, dass Aggression immer subjektiv empfunden und somit individuell unterschiedlich bewertet wird (vgl. Schirmer et. al. 2006:13). Die forensische Psychiatrie reagiert sehr sensible auf jede Art von aggressiven Verhalten. Schlieftlich gilt es immer eine Eskalation zu vermeiden. Im MRVZN Moringen werden nur tatliche Angriffe und selbstgerichtete Aggressionen (Autoaggressio- nen) statistisch erfasst. Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen wer­den nicht berucksichtigt.

Welche Ursachen kann ein aggressives Verhalten haben? In erster Linie ist die Ursache immer ein subjektiv erlebtes Gefuhl aufgrund einer Interaktion mit einem Aggressor. Insbesondere Gefuhle wie

- Unzufriedenheit,
- Rache,
- Angst,
- Frustration und
- Lust an Aggression

werden als Ausloser beschrieben. Um diese Gefuhle auszulosen bedarf es wie schon erwahnt einem Ausloser / Aggressor. Diese konnen in der forensischen Psychiatrie ganz unterschiedlich sein. (vgl. Schirmer et. al. 2006:12f)

In der Literatur werden folgende Aggressoren unterschieden:

- Krankheitsbedingte Aggressoren: Psychotische Verkennung, erlerntes Verhalten, Lust an Aggression bzw. dissoziale Verhaltensmuster
- Institutionelle Aggressoren: Regeln, bauliche Gegebenheiten, Zwang, Ab- hangigkeit und Macht
- Umgebungsbedingt: Ruckzugsmoglichkeiten, Zusammensetzung und Grofte der Stationen, Bewegungsfreiheit, Milieu
- Personalbedingte Aggressoren: Unzufriedene Mitarbeiter, Konflikte mit Patienten, mangelnde Distanz, unprofessionelles Verhalten, Frustration

(vgl. Schirmer et. al. 2006:16f); (vgl. Schank 2008:156); (vgl. Steinert, Bergk 2008:360f)

Diese Ausloser sollen dazu dienen entsprechende Praventionsansatze zu erar- beiten. Daher werden sie im Kapitel sechs wieder aufgegriffen.

In Abgrenzung zur Aggression wird Gewalt in diesem Kontext von der Autorin als die Folge von Aggressionen, die eskalieren, gesehen und meint einen tatlichen Angriff auf sich selbst oder eine oder mehrere andere Person(en), z.B. das Pfle- gepersonal.

Manche Situationen lassen sich im Vorfeld gut erkennen (z.B. Konflikte, gereizte Stimmung) und bieten die Chance deeskalierend einzugreifen.

Allerdings gibt es auch Gewalt, die gezielt, geplant und beabsichtig ist. Hier hilft einzig und allein geschulte Beobachtung und routiniertes Gespur um solche Situ­ationen fruhzeitig zu erkennen. (vgl. Steinert 2008: 25ff)

Zusammenfassend zeigt die Abb. 1 eine schematische Darstellung der Autorin. Sie soll verdeutlichen das Situations- und Umgebungsfaktoren die Interaktion zwischen Aggressor und Patient mitbestimmt und entscheidend dazu beitragen welchen Ausgang die Situation nimmt. Die Eskalation (Gewalt) oder Deeskalati- on.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Einflussfaktoren der Gewaltentstehung. Eigene Darstellung

Nach diesem Modell gilt es die Entscheidung des aggressiven Patienten mit allen Mitteln so zu beeinflussen, dass das Ergebnis die Deeskalation der Situation ist. Es bleibt nicht aus, dass es Situationen gibt, die nicht deeskalierend zu beein­flussen sind bzw. der Patient nicht mehr fur Bemuhungen zuganglich ist. Fur sol- che Situationen gibt es sogenannte Deeskalationstrainings wie sie auch im MRVZ Moringen unterrichtet und angewendet werden. Hier lernen die Pflegekraf- te deeskalierend auf Patienten einzuwirken, sowie Abwehrtechniken die im Be- darfsfall, zum Selbstschutz, eingesetzt werden konnen.

3. Stand der Forschung

In diesem Kapitel soll der derzeitige Wissenstand zum Thema Obergriffe auf Mit- arbeiter dargestellt werden und als Ausgangslage fur das Forschungsprojekt die- nen. Der uberwiegende Teil der Erkenntnisse stammt aus der Allgemeinpsychiat- rie.

In einer Studie von Richter wurden in der Allgemeinpsychiatrie, inklusive zwei forensischen Abteilungen, 155 Vorfalle untersucht. Hiervon ereigneten sich 57,4 Prozent in der Allgemeinpsychiatrie und 5,2 Prozent (N=8) in der forensischen Psychiatrie. Der ubrige Teil ereignete sich in Pflegeheimen. Die Forensischen Abteilungen haben in dieser Studie das niedrigste Ergebnis von den unterschied- lichen Klinikbereichen.

Oberwiegend wurden die Vorfalle von Patienten mit der Erkrankung Schizophre- nie begangen, gefolgt von geistiger Behinderung und Alterserkrankungen.

Fur die 155 Ereignisse sind zu 69% Manner und 31% Frauen verantwortlich. (vgl. Richter 1999:47f)

Schanz und Klawe untersuchten 101 Vorfalle in der Allgemeinpsychiatrie. Auch hier steht die Erkrankung Schizophrenie an erster Stelle, an zweiter folgt Alko- holabhangigkeit.

Die Autoren berichten, dass 53 Manner und 18 Frauen fur die 101 Vorfalle ver- antwortlich sind. Der uberwiegende Teil fand auf geschlossenen Stationen (N=92) statt. (vgl. Schanz, Klawe 2005:308ff)

In beiden Studien waren uberwiegend Pflegekrafte Opfer der Obergriffe, was jeweils mit der Prasenz und Nahe zum Patienten erklart wird. (vgl. Richter 1999:75f);(vgl. Schanz, Klawe 2005:310)

Gewalttatigen Obergriffen gehen haufig Konflikte mit den Mitarbeitern voraus. Besonders das Verweigern von Wunschen oder der Entlassung.

Richter befragte auch die Mitarbeiter und fand heraus, dass haufig folgende Ver- haltensweisen bei Patienten zu beobachten waren:

- verringerte Korperdistanz,
- drohende Gestik,
- Bedrohungen und Beschimpfungen (Richter, Berger 2001:244)

Abderhalden entwickelte die Broset-Violent-Checkliste (BVC-CH) zur kurzfristi- gen Vorhersage von aggressivem Verhalten. Sie umfasst sechs Verhaltenswei- sen, die als gute Indikatoren fur aggressives Verhalten gelten. Hierzu zahlen: Verbales Drohen, korperliches Drohen, verwirrt, reizbar, larmig und Angriff auf Gegenstande (Abderhalden 2004:81f).

Steinert sagt hierzu kritisch, dass die genannten personenbezogene Merkmale nur eine begrenze Vorhersagbarkeit besitzen, da situative Faktoren ebenso eine grofte Bedeutung haben. (vgl. Steinert 2002:61) Die Autorin teilt die Meinung von Steinert. Sie verwendet die sechs Verhaltensweisen um, im Kapitel 5.2.4, die Vorfalle im MRVZN auf dokumentierte Vorboten retrospektiv zu untersuchen und widmet sich im Kapitel sechs auch situativen Aspekten.

Richter untersuchte in einer zweiten Studie die Auswirkungen auf die Opfer von Obergriffen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass 10% von 170 Opfern in arztliche Behandlung mussten und 5 % im Anschluss sogar arbeitsunfahig wurden. 14% der Betroffenen zeigten Zeichen eines posttraumatischen Syndroms. (Richter, Berger 2001:244) Aus diesem Grund soll in dieser Arbeit auch ein Augenmerk auf eine mogliche Opfernachsorge (Kapitel 7) gerichtet werden.

4. Vorstellung des MRVZN Moringen

Dieses Kapitel stellt die wesentlichen Aspekte des Maftregelvollzugs in Moringen vor, um im Kapitel sechs Ursachen fur aggressives Verhalten der Patienten abzu- leiten. Ziel ist es die Institution in den wesentlichen Teilen zu verstehen sowie gewaltpraventive und gewaltfordernde Anteile der Einrichtung zu erkennen. Ausgehend von den allgemein gultigen gesetzlichen Grundlagen (Kap. 4.1), wer- den im weiteren Verlauf die konkreten Rahmenbedingungen des MRVZN Morin­gen dargestellt.

4.1. Gesetzliche Grundlagen

Der Maftregelvollzug behandelt Menschen, die eine Straftat begangen haben, die im kausalen Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung (§63 StGB) oder einem Hang zu Drogen oder Alkohol (§64 StGB) stehen. Im Folgenden werden die Paragraphen zitiert:

§63 Strafgesetzbuch (StGB)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

„(1) Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfahigkeit (§20 StGB) oder verminderten Schuldfahigkeit (§21 StGB) begangen, so ordnet das Gericht die Un­terbringung in einem Psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwurdigung des Taters und seiner Tat ergibt, daft [!] von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechts­widrige Taten zu erwarten sind und er deshalb fur die Allgemeinheit gefahrlich ist.“ (§63 StGB i. d. F. v 31.10.2008:33)

§64 StGB

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

„(1) Hat jemand den Hang, alkoholische Getranke oder andere berauschende Mittel im Ubermaft zu sich zu nehmen, und wird er wegen einer rechtswidrigen Tat, die er im Rausch begangen hat oder die auf seinen Hang zuruckgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfahigkeit erwiesen oder nicht auszuschlieften ist, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einer Erziehungsanstalt an, wenn die Gefahr besteht, daft [!] er infolge seines Hangs erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.“ (§64 StGB i .d. F. v 31.10.2008:33)

Das Niedersachsische Maftregelvollzugsgesetzt regelt die Unterbringung bzw. den Vollzug der freiheitsentziehenden Maftregeln der Besserung und Sicherung. Als Ziel wird hier genannt: „ §2 Grundsatze: (1) Ziel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist es, den Untergebrachten soweit wie moglich zu heilen oder seinen Zustand soweit zu bes- sern, daB er nicht mehr gefahrlich ist. Ziel einer Unterbringung in einer Entziehungsan- stalt ist es, den Untergebrachten von seinem Hang zu heilen und die zugrundeliegende Fehlhaltung zu beheben. Beide MaBregeln dienen zugleich dem Schutz der Allgemein- heit.“ (§2 Nds. MvollzG i. d. F. v. 10.06.2010)

Daraus ergeben sich zwei Auftrage fur die behandelnden Institutionen. Erstens die Behandlung der Erkrankung, sodass der Patient wieder in die Gesellschaft integriert werden kann, ohne das eine Straftat zu erwarten ist. Zweitens dem Schutz der Allgemeinheit solange eine Gefahr besteht.

Zur Behandlung sagt das Gesetz:

„§8 Behandlung. (1) Der Untergebrachte erhalt die nach den anerkannten Regeln der arztlichen Kunst gebotene Behandlung. Diese schlieBt die Forderung durch heilpadago- gische, durch psychotherapeutische sowie durch beschaftigungs- und arbeitstherapeuti- sche MaBnahmen ein.“(§8 Nds. MvollzG i. d. F. v. 10.06.2010)

Zur Erreichung des Ziels der Behandlung werden Lockerungen, z.B. Ausgang ohne Begleitung des Pflegepersonals, von der Vollstreckungsbehorde gewahrt, wenn davon auszugehen ist, dass diese nicht missbraucht werden oder gar die Allgemeinheit gefahrdet werden konnte. In der Praxis werden diese nach einem bewahrten System gewahrt oder auch verweigert. Interessierte konnen das ge- naue Prozedere auf der Internetseite des MRVZN Moringen nachlesen.

Es gilt immer Befurchtungen und Zweifel gegen den Wunsch nach Freiheit abzu- wagen. Gerade bei besonders gefahrlich eingestuften Patienten kann es zu Frust und dem Gefuhl der Machtlosigkeit fuhren, wenn sie nicht die gewunschten Lo­ckerungen erhalten. Eben dann wenn sie realisieren, dass sie im Gegensatz zu Mitpatienten langer bis zur Entlassung brauchen werden.

Da die Patienten sich nicht freiwillig in Behandlung begeben, ist das erste Ziel einer jeden Unterbringung eine Behandlungsmotivation herzustellen. Dies gelingt in der Praxis nicht immer problemlos. Gerade Patienten ohne Krankheitseinsicht sind schwer zu motivieren. Solange ein Patient die Notwendigkeit einer Therapie nicht erkennt, ergeben sich bei jeder Intervention, z.B. bei der Medikamentenein- nahme, Reibungspunkte.

Zusammenfassend ergeben sich folgende Aggressoren aus den gesetzlichen Grundlagen des Maftregelvollzugs:

Patienten befinden sich nicht freiwillig im MRVZN Moringen und sie sind von der Institution und deren Mitgliedern abhangig.

4.2. Das Therapiekonzept

Angelehnt an ein Manuskript uber das ehemalige Landeskrankenhaus Moringen, welches heute das MRVZN Moringen ist, soll das Therapiekonzept erlautert wer- den. Es wurde von dem ehemaligen arztlichen Direktor Dr. Martin Schott verfasst und besitzt nach wie vor Gultigkeit.

Die Institution behandelt alle psychiatrischen Krankheitsbilder. Die Klinik legt Wert auf ein umfassendes Behandlungsangebot, welches eine Individuelle Be- treuung der Patienten ermoglichen soll. Es gilt vorhandenen Ressourcen zu er- halten, weiter zu fordern und Defizite aufzuarbeiten. Neben der Einzeltherapie ist die Gruppentherapie im stationaren Setting ein wichtiger Baustein.

Schwerpunkt der Behandlung liegt in der Beziehungsarbeit, die den Patienten bei einer positiven Entwicklung seiner Personlichkeit unterstutzen soll. Regeln und Grenzen dienen den oft Ich-Schwachen Patienten hierbei als Hilfskonstrukt zur Orientierung.

Angebote, die den Bedurfnissen der Patienten nach Kommunikation innerhalb und aufterhalb der Klinik nachkommen, haben einen hohen Stellenwert. So gibt es groftzugige Besucherregelungen sowie einige Apartments, in denen Patienten sich mit Angehorigen oder auch Mitpatienten zuruckziehen konnen. Eine von den Patienten geleitete Teestube und Cafeteria ermoglichen soziale Kontakte inner­halb der Klinik. Zur Aufrechterhaltung der Kontakte aufterhalb der Klinik finden regelmaftig Ausfuhrungen zur Familie statt.

Eine moglichst selbstandige Lebensfuhrung wird durch Wohngemeinschaften innerhalb und aufterhalb der Klinik gefordert. Auf den Stationen gibt es daruber hinaus teilweise die Moglichkeit der Selbstversorgung mit Lebensmitteln. Grofttmoglichen Bewegungsfreiraum innerhalb des begrenzten Rahmens der Institution zu ermoglichen, ist ein wesentlicher Baustein des Sicherheitskonzep- tes welches im nachsten Abschnitt erlautert werden soll. (vgl. Schott 2009: Iff)

4.3. Das Sicherheitskonzept

Nach dem ehemaligen arztlichen Direktor Martin Schott wird Sicherheit durch,...

„- positive Beziehungen zu den Patienten,
- die therapeutische Arbeit,
- ein vielfaltiges, gutes, soziales Klima und
- vernunftige, akzeptable, bauliche und organisatorische Maftnahmen“... gewahrleistet. (Schott 2001:4)

An oberster Stelle steht hier die Beziehungsarbeit. Viele Patienten in der forensi- schen Psychiatrie sind nicht in der Lage langerfristige Beziehungen einzugehen (s. Kapitel 4.5). Daher wird im stationaren Setting auf Kontinuitat von Beziehun­gen grower Wert gelegt. Dass bedeutet, wie lange ein Patient auf welcher Station bleibt, entscheidet im Zweifel nicht der Lockerungsstand, sondern der therapeuti­sche Nutzen fur den Patienten. Auf Spezialisierungen der Stationen, z.B. nach Krankheitsbild, wird daher weitestgehend verzichtet.

Tragfahige Beziehungen erzeugen Sicherheit, Beziehungsabbruch oder Storun- gen gefahrden den Therapieerfolg und letztendlich die Mitarbeiter und Patienten. Ein gutes Klima auf Station und im Behandlungsteam ermoglicht es den Patien­ten sich leichter auf die Behandlung einzulassen, sich wohl, oft sogar zu Hause zu fuhlen. Das Gegenteil kann sich hingegen aggressions- und gewaltfordernd auswirken. (vgl. Schott 2001:2; vgl. Schank 2008: 156ff)

Obertriebene bauliche Sicherheitsmaftnahmen erwirken den Anschein von para- noider Kontrolle und verhindern die notwendige Nahe zum Patienten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2: MRVZN Moringen (Krankenhausgelande. Innenbereich)

Die Klinik in Moringen ist baulich so gestaltet, dass die Sicherungsmaftnahmen moglichst nicht sichtbar sind. Die Fenster sind nicht durch Gitter, sondern durch stabilen Einbau vor moglichen Ausbruchen geschutzt. Das Gelande wird uber- wiegen durch Gebaudemauern gesichert (siehe Abb.2). Eine sehr breite und ho- he Dornenhecke umzaunt das ubrige Gelande.

Im MRVZN Moringen wird Wert darauf gelegt, dass ein Patient jederzeit die Mog- lichkeit hat Kontakt zum Pflegepersonal aufzunehmen. Nachts gibt es nur auf Krisenstationen einen Einschluss der Patienten in ihre Zimmer. Auf den ubrigen Stationen durfen sich die Patienten innerhalb der Station frei bewegen.

Innerhalb einer forensischen Einrichtung sollte es Lebendigkeit, soziales Leben und Integration geben um auch Patienten ohne Entlassungsperspektive eine Perspektive entwickeln zu lassen. (vgl. Schott 2001:1f) Aus verschiedenen Be- sichtigungen anderer Kliniken weift die Autorin, dass diese Art der Sicherung langst nicht immer selbstverstandlich ist.

4.4. Wohnkonzepte im MRVZN Moringen

Grob wird das MRVZN Moringen in 3 Bereiche eingeteilt. Den Aufnahmebereich bzw. Kriseninterventionsbereich, den geschlossenen Bereich und den offenen Bereich (Resozialisierungsbereich). Die Bereiche unterscheiden sich baulich voneinander und bieten den Patienten ein unterschiedliches Maft an Freiheiten. Diese Unterschiede sind bei der Suche nach Ursachen von aggressivem Verhal- ten von grofter Bedeutung und werden daher in den folgenden Abschnitten naher erlautert. Allgemein lasst sich sagen, dass der Aufnahmebereich durch eine grofttmogliche Ubersichtlichkeit charakterisiert ist, um jederzeit alle Patienten im Blick zu haben. Hier konnen sich die Patienten nur zu bestimmten Zeiten in den Gemeinschaftsraumen frei bewegen.

Der geschlossene Bereich unterscheidet sich baulich kaum von dem Resoziali­sierungsbereich. Wesentlicher Unterschied ist, dass die Patienten im geschlos­senen Bereich nicht ohne das Aufschlieften einer Pflegekraft den Stationsbereich Seite 14 von 69 verlassen konnen. Hingegen konnen Patienten im offenen Bereich sich am Tage im Gelande der Klinik frei bewegen. Die Patienten durchlaufen in der Regel alle Bereiche je nach Lockerungs- und Entwicklungsstand des Einzelnen. Nachfol- gend werden diese unterschiedlichen Bereiche detaillierter dargestellt.

4.4.1. Aufnahme- und Kriseninterventionsstationen

Im MRVZN Moringen gibt es funf Aufnahmestationen.

- Eine Aufnahme fur Frauen,
- eine fur Suchtpatienten nach §64 StGB,
- eine in der Auftenstelle Gottingen und
- zwei in Moringen fur Patienten nach §63 StGB.

Gleichzeitig ubernehmen diese Stationen die Funktion als Kriseninterventionssta­tionen fur Ruckverlegungen aus dem Haus. Baulich unterscheiden sich die Stati­onen stark voneinander. Daher wird im Anschluss auf die wesentlichen Unter- schiede kurz eingegangen.

Station 31 ist die Aufnahmestation fur Frauen. Sie verfugt hauptsachlich uber Zweibettzimmer. Einige Zimmer haben eine Kamerauberwachung, die nach arzt- licher Anordnung genutzt werden kann. Ein Gemeinschaftsraum, eine Stations- kuche sowie ein eigner Innenhof stehen fur Freizeitgestaltung und pflegethera- peutische Angebote zur Verfugung.

Die Aufnahme fur Suchtpatienten (Station 10) ist in Wohngemeinschaften mit unterschiedlichen Settings fur je sechs Patienten aufgeteilt. Die einzelnen Wohn­gemeinschaften verfugen uber Zweibettzimmer. Die Belegung der Wohngemein­schaften richtet sich nach dem jeweiligen Lockerungsstand der Patienten (z.B. Wohngruppe 1: ohne Ausgang und Wohngruppe 2: mit Einkaufsausgang). Zum Zeitpunkt der Datenerhebung wurden auf dieser Station Patienten von der Auf­nahme bis zur Entlassung betreut.

Station 20 befindet sich in Gottingen im sogenannten Festen Haus, welches seit der Privatisierung des ehemaligen Landeskrankenhauses Gottingen zu Moringen gehort. Sie ist eine der altesten Stationen des MRVZN Moringen. Hier gibt es noch Zellenflure, die den Patientenbereich von dem Aufenthaltsbereich des Pfle- gepersonals abgrenzt. Die Patienten leben hier uberwiegend in Einzelzimmern, die zu einer bestimmten Abendzeit verschlossen werden. Ein eher rustikal gehal- tener Aufenthaltsraum dient der Freizeitgestaltung innerhalb der Station. Fur den Freigang gibt es ein mit Mauern umschlossenen Innenhof mit Grunflache.

Die beiden Aufnahmestationen (Station 02 und 04) liegen ubereinander und sind baugleich. Die Station 02 ist ebenerdig und verfugt somit uber einen Innenhof, die Station 04 hingegen uber einen Balkon. Nach einem Umbau im Jahre 2009 wurden die fruheren „Wachsale“ in zwei Intensivbereiche umgebaut. In der Mitte befindet sich die sogenannte Kanzel, aus der eine Pflegekraft Obersicht uber die schlafenden Patienten hat. Durch die neue Einteilung schlafen jetzt nicht mehr bis zu acht Patienten in einem Zimmer sondern nur noch bis zu drei. Weiter sind die Stationen mit jeweils vier Apartments ausgestattet. Hierbei handelt es sich um moblierte Einzelzimmer. Hier werden besonders schwierige Patienten unterge- bracht, die nicht bzw. noch nicht in die Stationsgemeinschaft integriert werden konnen. Diese Zimmer sind mit Kameras uberwacht. Zur Vorbereitung auf weiter- fuhrende Stationen verfugen die Wachstationen uber einen Wohnbereich. Hier leben die Patienten in Zweibettzimmern ohne Kamerauberwachung. Fur die Ge- meinschaft verfugt die Station uber einen Gemeinschaftsraum mit Fernseher und einem Hobbyraum. Der groftzugige Flur bietet die Moglichkeit zum Kickern bzw. Darten.

Alle Stationen verfugen uber Isolierzimmer. Hier werden Patienten, wenn sie eine Gefahr fur sich oder Andere darstellen, von der Gemeinschaft isoliert. Sollte eine Isolierung nicht ausreichen, z.B. randaliert ein Patient im Isolierzimmer oder fugt sich weiter Schaden zu, besteht auf jeder dieser Stationen die Moglichkeit der Fixierung. Hierzu wird der Patient auf einem Bett mittels Fixiergurten festgebun- den. Im MRVZN Moringen ist es ublich, dass eine Pflegekraft beim fixierten Pati­enten bleibt und die Maftnahme begleitet.

4.4.2. Geschlossene und offene Bereiche

Die Stationen im offenen sowie im geschlossenen Bereich besitzen uberwiegen Zweibettzimmer und einige wenige Einzelzimmer. Alle haben ein bis zwei Ge- meinschaftsraume und mindestens eine Kuche. Auf fast allen Stationen gibt es Patienten, die sich um die Sauberkeit der Gemeinschaftsraume kummern. Die Kuchen dienen hier dem gemeinschaftlichen Kochen oder auch fur die Selbst- versorgung einzelner Patienten. Im offenen Bereich liegt die Besonderheit darin, dass die Patienten sich aufterhalb der Therapiezeiten im groftzugigen Freigelan- de der Klinik aufhalten konnen. Sie haben die Moglichkeit sich mit anderen Pati­enten zu treffen, die Cafeteria zu besuchen oder sich in Projekten zu engagieren. Das ermoglicht ihnen dem oft anstrengenden Stationsalltag zeitweise zu entflie- hen und sich auch zumindest bei gutem Wetter ein ruhiges Platzchen zu suchen. Voraussetzung hierfur ist, dass Patienten sich beim Pflegepersonal an- und ab- melden und verlassliche Angaben machen wo sie sich aufhalten.

4.4.3. Wohngruppen

Das MRVZN Moringen verfugt uber vier Wohngruppen im Bereich der Suchthe- rapie, funf Wohngruppen innerhalb des Gelandes und zwei Auftenwohngruppen. Desweiteren verfugt sie uber ein Wohnhaus in Hannover in dem weitere funf Au­ftenwohngruppen zur Verfugung stehen.

Eine 2005 renovierte Station im offenen Bereich verfugt uber die Moglichkeit, je nach Patientenklientel, uber Zwischenturen zusatzlich zwei Wohngemeinschaften zu schaffen. Hier findet in der Regel eine vollige Selbstversorgung der Patienten statt. Das Pflegepersonal kommt nur bei Bedarf und zu Routinekontrollen vorbei. Die Patienten konnen und sollen hier ihr Miteinander moglichst eigenstandig ge- stalten.

4.5. Representative Krankheitsbilder

Im Maftregelvollzug werden alle auch in der Allgemeinpsychiatrie vorkommenden Krankheitsbilder behandelt. Den groftten Teil machen die Psychosen ICD-10 F 20 und die Personlichkeitsstorungen ICD-10 F60 aus. Aber auch Neurosen, hirn- organische Veranderungen, Intelligenzminderung, Sucht u. a. kommen vor. (vgl. Schott 2009:2) In den folgenden Kapiteln werden die Krankheitsbilder vorgestellt, die den groftten Anteil im MRVZN Moringen ausmachen. Im Kapitel sechs greift die Autorin diese Aspekte erneut auf, um aggressionsfordernde Aspekte der Krankheiten aufzuzeigen.

4.5.1. Schizophrenie

Es werden die Symptome, der Verlauf der Erkrankung sowie ihrer Atiologie dar- gestellt. Hieraus sollen spater mogliche Gefahrenquellen fur Obergriffe in der forensischen Psychiatrie abgeleitet werden.

Nach den ICD-10 Klassifikationen wird Schizophrenie (F20) folgendermaften definiert: „Die schizophrenen Storungen sind im Allgemeinen durch grundlegende und charakteristische Storungen von Denken und Wahrnehmung sowie inadequate oder verflachte Affekte gekennzeichnet. Die Klarheit des Bewusstseins und die intellektuellen Fahigkeiten sind in der Regel nicht beeintrachtigt. Im Laufe der Zeit konnen sich jedoch gewisse kognitive Defizite entwickeln.“ (WHO 2008: S. 111)

Die Symptome einer Schizophrenie werden in Positiv- und Negativsymptome aufgeteilt (s. Tabelle 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1:Positiv- und Negativsymptome einer Schizophrenie. (vgl. Moller et.al. 2001: S.143)

Die Erkrankung kann kontinuierlich oder in Phasen verlaufen.

Die Prodromalphase (Vorlauferphase) verlauft oft mit eher untypischen Symp- tomen wie Unruhe, Depression und Angst.

Positiv- Symptome (z.B. Halluzination/ Wahn) treten hier meistens noch nicht auf oder zeigen sich sehr abgeschwacht, was eine Diagnosestellung erschwert.

In der Akutphase kommt es zu uberwiegend psychotischen Symptomen wie Halluzinationen und Wahnerlebnissen, welche eine Diagnosestellung vereinfa- chen. Es zeigen sich Auffalligkeiten im alltaglichen Leben wie z.B. der Ruckzug aus sozialen Rollen und zwischenmenschlichen Beziehungen.

In der Remissionsphase (Ruckbildungsphase) kommt es zum Abklingen der Positivsymptomatik und einem Erschopfungszustand, der durch Depression und Negativsymptomatik gekennzeichnet ist.

Allgemein kann eine Phase mit einer vollstandigen oder unvollstandigen Remis­sion abschlieften. Bei einer unvollstandigen Ruckbildung bleiben Restsymptome (meistens Negativsymptome) der Erkrankung zuruck.

Fur die Gefahrenprognose ist insbesondere die Akutphase mit ihrer Ausgeprag- ten Positivsymptomatik von Bedeutung. Kapitel 6.1 geht weiter auf das Aggressi- onspotential der Erkrankung ein.

Die Ursachen fur die Entstehung der Schizophrenie sind bis heute nicht genau festzulegen. Moller et.al. sprechen von einer multifaktoriellen Genese. Als Ursa­chen zahlen sie genetische-, zerebrale- sowie psychosoziale Faktoren auf. Die aber hier nicht weiter erlautert werden, weil sie fur das Aggressionspotential nicht von Bedeutung sind. (vgl. Moller et. al 2001:143f)

4.5.2. Personlichkeitsstorungen

In diesem Kapitel soll das Krankheitsbild der Personlichkeitsstorung beschrieben werden. Nach den klinisch-diagnostischen Leitlinien der World Health Organisati­on (WHO) heiftt es:

„ Die spezifischen Personlichkeitsstorungen, kombinierte und andere Personlichkeitssto­rungen und anhaltende Personlichkeitsveranderungen umfassen tief verwurzelte, anhal- tende Verhaltensmuster, die sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche personliche und soziale Lebenslagen zeigen. Dabei findet man gegenuber der Mehrheit der betref- fenden Bevolkerung deutliche Abweichungen im Wahrnehmen, Denken, Fuhlen und in Beziehungen zu anderen.“ (WHO 2008:211)

Die Storung entwickelt sich in der Kindheit und manifestiert sich im Adoleszenz bzw. Erwachsenenalter. (vgl. WHO 2008:211)

Nach ICD-10 werden Personlichkeitsstorungen in die Kategorie F60 eingeordnet. Es gibt unterschiedliche Formen von Personlichkeitsstorungen. Die fur die foren- sische Psychiatrie relevanten werden im Folgenden erlautert.

Die dissoziale Personlichkeitsstorung ist die bekannteste und am haufigsten auftretende Form in der Forensik (vgl. Sternberg; Stuckmann 1999:96). Sie ist gekennzeichnet von einem Mangel an Empathie gegenuber anderen Menschen. Betroffene Personen missachten soziale Normen, Regeln und Verpflichtungen und zeigen sich verantwortungslos. Ihre Frustrationstoleranz ist gering und sie sind schnell reizbar. Sie neigen zu gewalttatigem Verhalten und erleben kein Schuldbewusstsein. Sie sind unfahig langerfristige Beziehungen einzugehen und machen andere fur ihre Fehler verantwortlich.

Die emotional instabile Personlichkeitsstorung zeichnet sich durch impulsives Verhalten unter Missachtung von Konsequenzen aus. Die Betroffenen leiden unter Stimmungsschwankungen von freudig und ausgeglichen zu depressiv bis feindselig. Wutausbruche gehen oft mit Gewalt gegen Gegenstande, andere Menschen oder gegen sich selber einher. Auf Kritik reagieren sie oft sehr emp- findlich. Es unterscheiden sich hiervon noch zwei Unterformen: Der impulsive Typ und der Borderline Typ.

Beim impulsiven Typ stehen Symptome wie instabile Stimmung und mangelnde Impulskontrolle im Vordergrund. Sie neigen eher zu Gewalt gegen Andere.

Der Borderline Typ zeichnet sich durch Gefuhle wie innere Leere und diffuse Angste aus. Sie neigen zu Depersonalisation (z.B. sich im eigenen Korper fremd fuhlen) und Derealisationserlebnissen (z.B. veranderte Wahrnehmung der Reali- tat bzw. Umgebung). Bezeichnend sind ausgepragte Beziehungsstorungen mit Spaltung der Mitmenschen in Gut und Bose. Davon ausgehendes Gewaltpotenti- al richtet sich in erster Linie gegen die eigene Person in Form von Selbstverlet- zung und Suizid. (vgl. Thiel et. al. 1996:405f)

5. Situation im MRVZN Moringen

In diesem Kapitel geht die Autorin auf Daten und Fakten aus der Institution ein. Sie dienen als Grundlage fur eine weiterfuhrende Datenerhebung (5.1) und Aus- wertung (5.2) bezogen auf die Patientenubergriffe auf Mitarbeiter im MRVZN Mo- ringen.

Im MRVZN Moringen werden derzeit 516 Patienten behandelt. Der groftte Teil (358) ist nach der Rechtsgrundlage § 63 StGB untergebracht. Davon sind 52% in Verbindung mit §21 StGB und 33% in Verbindung mit §20 StGB verurteilt. 134 Patienten sind nach § 64 StGB verurteilt. Der ubrige Teil (24) verteilt sich auf andere Unterbringungsparagraphen. Die Anzahl der Patienten ist in den letzten Jahren konstant angestiegen. (s. Abb.3)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Patientenzahlen pro Jahr. Eigene Darstellung (vgl. Krukenberg 2011)

Im Maftregelvollzugszentrum Moringen sind im Durchschnitt der letzten acht Jah- re 91% Manner und 9% Frauen untergebracht.

In einem Informationsskript zum MRVZN von 2009 steht, dass Sexualdelikte die haufigsten Unterbringungsdelikte in der Institution sind. (vgl. Schott 2009:2) Tatsachlich sind es in den letzten Jahren mehr Aggressions- und Totungsdelikte. Im Jahr 2010 waren 167 Patienten wegen Aggressions- und Totungsdelikten und 148 wegen Sexualdelikte im MRVZN untergebracht. Weitere Unterbringungsde­likte sind Eigentumsdelikte, Brandstiftung und Drogenkriminalitat.

Haufigste Diagnosen (vgl. Kapitel 3.4) sind die Personlichkeitsstorungen (F60) mit 55% und die Schizophrenie mit 19%. Doppeldiagnosen (F60 und F20) liegen bei derzeit 5%. Die restlichen 21% verteilen sich auf andere Diagnosegruppen. (vgl. Krukenberg 2011)

Die Zahl der Mitarbeiter im Pflegedienst, unabhangig von der Qualifikation, hat sich relativ konstant zu dem Anstieg der Patienten entwickelt. Leider konnten fur die Jahre 2002 bis 2005 keine Daten recherchiert werden. (vgl. Leonhardt 2011) Abbildung vier zeigt die Entwicklung der Mitarbeiter der Jahre 2006 bis 2010. Es handelt sich hierbei um Kopfe nicht um Vollzeitstellen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Mitarbeiter/Kopfe im Pflegedienst, jeweils von Monat Dezember (vgl. Leonhardt 2011)

5.1. Methodik und Vorgehensweise der Datenerhebung

In den vergangenen Jahren haben sich auch im MRVZN Obergriffe auf Mitarbei- ter ereignet. In diesem Abschnitt beschaftigt sich die Autorin mit einer Auswer- tung der sogenannten „Besonderen Vorkommnisse“ der Institution. Diese werden durch einen entsprechenden Meldebogen (s. Anlage 1) von der Station doku- mentiert und an die Sicherheitsbeauftragten weitergeleitet. Dieser Teil beschreibt das Vorgehen bei der Erfassung der Daten die anschlieftend im Kapitel 5.2 dar- gestellt werden.

Gemeldet werden mussen folgende Umstande bzw. Ereignisse:

1. Alle Beobachtungen, Ereignisse und Vorfalle, die die Sicherheit der Stati­on und des MRVZN Moringen betreffen.
2. Alle Verhaltensanderungen und psychische Auffalligkeiten der Patienten, die zu einer Gefahrdung von Mitpatienten und Bediensteten fuhren kon- nen.
3. Missbrauch von Lockerungen, Drogen und Medikamenten, Auseinander- setzungen, Kontrollen, Selbst- und Fremdgefahrdung und Beobachtungen bei begleiteten extramuralen Aktivitaten.
4. Angeordnete Zwangsmaftnahmen mit Beginn und Ende.
5. Verlegungen, Zu- und Abgange.
6. Stationsaktivitaten (extramural)
7. Alarmauslosung (PNA und Feuer)

[...]

Ende der Leseprobe aus 71 Seiten

Details

Titel
Patientenübergriffe in der forensischen Psychiatrie. Das Maßregelvollzugszentrum Niedersachsen Moringen
Untertitel
Pävelenz, Ursachen, Prävention und Nachsorge
Hochschule
Hamburger Fern-Hochschule
Note
2,5
Autor
Jahr
2011
Seiten
71
Katalognummer
V305314
ISBN (eBook)
9783668064232
ISBN (Buch)
9783668064249
Dateigröße
1440 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
patientenübergriffe, psychiatrie, maßregelvollzuszentrum, niedersachsen, moringen, pävelenz, ursachen, prävention, nachsorge
Arbeit zitieren
Daniela Ische (Autor:in), 2011, Patientenübergriffe in der forensischen Psychiatrie. Das Maßregelvollzugszentrum Niedersachsen Moringen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/305314

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