Achtsamkeit macht Schule?! Fördert ein Achtsamkeitstraining das Lehrerwohlbefinden und die Unterrichtsqualität?


Doktorarbeit / Dissertation, 2014

249 Seiten, Note: magna cum laude (1.0)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretischer und empirischer Hintergrund
2.1 Psychische Gesundheit, professionelle Kompetenz und selbstregulative Fähigkeit
2.1.1 Psychische Gesundheit
2.1.2 Modelle von Gesundheit
2.1.3 Psychische Gesundheit von Lehrkraften als Merkmal professioneller Handlungskompetenz
2.1.4 Zusammenfassung und Diskussion
2.2. Zusammenhänge von selbstregulativen Fähigkeiten mit dem Lehrerwohlbefinden und der Unterrichtsqualität
2.2.1 Zusammenhänge von selbstregulativen Fähigkeiten mit dem Lehrerwohlbefinden
2.2.2 Zusammenfassung und Diskussion
2.2.3 Zusammenhänge von selbstregulativen Fähigkeiten mit der Unterrichtsqualität
2.2.4 Zusammenfassung und Diskussion
2.3 Achtsamkeitstrainings als Intervention zur Förderung selbstregulativer Fähigkeiten von Lehrkräften
2.3.1 Achtsamkeit im Buddhismus
2.3.2 Achtsamkeit heute
2.3.3 Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR)
2.3.4 Achtsamkeit als selbstregulatorischer Prozess
2.3.5 Effekte von Achtsamkeitstrainings
2.3.6 Effekte von Achtsamkeitstrainings mit Lehrkräften
2.3.7 Zusammenfassung und Diskussion

3. Eigene Fragestellungen

4. Methode
4.1 Versuchsablauf
4.1.1 Stichprobengewinnung und Gruppeneinteilung
4.1.2 Organisation und Durchführung der Befragungen
4.1.3 Durchführung der qualitativen Interviews
4.1.4 Beschreibung der Lehrerstichprobe
4.1.5 Beschreibung der Schülerstichprobe
4.1.6 Gesamtübersichten der Schüler- und Lehrerstichprobe
4.2 Instrumente
4.2.1 Lehrerbefragung
4.2.2 Schülerbefragung
4.2.3 Übersicht über die Instrumente der Lehrer- und Schülerbefragung
4.3 Planung der Datenanalyse
4.3.1 Fehlende Werte
4.3.2 Modell der Veränderung
4.3.3 Statistische Vorhersagen
4.3.4 Auswertung der qualitativen Interviews

5. Ergebnisse
5.1 Trainingseffekte auf die psychische Beanspruchung, die Achtsamkeit und die selbstregulativen Fähigkeiten der Lehrkräfte
5.1.1 Psychische Beanspruchung
5.1.2 trait-Achtsamkeit
5.1.3 Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster
5.1.4 Selbstwirksamkeitserwartung
5.1.5 Emotionale Kompetenz
5.1.6 Positiver und negativer Affekt
5.1.7 Durchschnittliche Effektstärken
5.1.8. Zusammenfassung
5.2 Mediiert Achtsamkeit die Trainingseffekte auf die selbstregulativen Fähigkeiten?
5.2.1 Mediiert Achtsamkeit den Rückgang der Beanspruchungssymptome?
5.2.2 Mediiert Achtsamkeit die Zunahme der Widerstandsressourcen?
5.2.3 Mediiert Achtsamkeit die Abnahme des Arbeitsengagements?
5.2.4 Mediiert Achtsamkeit die Zunahme der Selbstwirksamkeits-erwartung?
5.2.5 Mediiert Achtsamkeit die Verbesserung der Emotionsregulations-fähigkeit?
5.2.6 Zusammenfassung
5.3 Wie hängen das Achtsamkeitstraining und die Unterrichts-qualität zusammen?
5.3.1 Zusammenhang von Unterrichtsqualität aus Schülersicht und dem Wohlbefinden der Lehrkraft
5.3.2 Effekte des Trainings auf Klassenebene
5.3.3 Zusammenhang von Gesundheitsveränderungen und Veränderungen der Unterrichtsqualität
5.3.4 Zusammenfassung
5.4 Ergebnisse der qualitativen Befragung der Lehrerinnen zum persönlichen und professionellen Nutzen des Trainings
5.4.1 Beschreibungen von Achtsamkeit als neuen Bewusstseinszustand
5.4.2 Persönlicher Nutzen der Achtsamkeitsübungen
5.4.3 Achtsamer Umgang mit negativen Emotionen
5.4.4 Reflektion der Lehrerrolle
5.4.5 Berufliches Engagement
5.4.6 Verbesserung von Merkmalen der Unterrichtsqualität
5.4.7 Weitere Wirkweisen des Trainings
5.4.8 Was war das wichtigste für Sie an der Kursteilnahme?
5.4.9 Zusammenfassung
5.5 Evaluation des Trainings durch die Teilnehmerinnen
5.5.1 Zufriedenheit, Lernzuwachs und Verhaltensänderung
5.5.2 Offene Rückmeldungen der Teilnehmerinnen nach dem Kurs
5.5.3 Zusammenfassung

6. Diskussion
6.1 Chancen und Risiken des Trainings
6.2 Grenzen der Untersuchung und Konsequenzen für die zukünftige Forschung

7. Verzeichnisse
7.1 Literaturverzeichnis
7.2 Tabellenverzeichnis
7.3 Abbildungsverzeichnis

8. Anhänge

1. Einleitung

Eine einzelne Lehrkraft[1] kann den Unterschied machen. Fast jeder weiß von einer Lehrerin oder einem Lehrer zu berichten, dessen Unterricht das Interesse an einem Fach geweckt oder sogar die eigene berufliche Entscheidung beeinflusst hat. Die Hattie-Studie zeigte beispielsweise, dass der Bildungserfolg zumeist von den Lehrkräften abhängt (Hattie, 2009). Auf der Basis einer Synthese von über 800 Metaanalysen kommt der Schulforscher John Hattie zu dem Schluss, dass weniger schulische Faktoren oder Rahmenbedingungen wie die Klassengröße den Lernerfolg und die Leistungen der Schüler_innen vorhersagen können als vielmehr die professionelle Kompetenz des einzelnen Pädagogen. Dabei ist eine Definition von gutem Unterricht nicht so einfach, da eine Vielzahl von Faktoren ineinander greifen. Für den Soziologen Andy Hargreaves spielt die Persönlichkeit der Lehrkräfte eine zentrale Rolle:

Good teaching is charged with positive emotion. It is not just a matter of knowing one’s subject, being efficient, having the correct competences, or learning all the right techniques. Good teachers are not just well-oiled machines. They are emotional, passionate beings who connect with their students and fill their work and their classes with pleasure, creativity, challenge and joy. (Hargreaves, 1998, S. 835)

Nicht wenige Lehrkräfte scheitern an dem Ideal, dass andere und oft auch sie selbst an sich anlegen. In dem oft wenig kooperativen Klima an Schulen (Stegmann, 2008) ist zwar in der Regel bekannt, welche Lehrkraft ihre Schüler_innen im Griff hat und in welcher Klasse es sich manchmal so anhört, als wäre keine Lehrkraft im Zimmer; Unterstützungsangebote gibt es jedoch kaum. Van Dick (2006) postulierte, dass Lehrer_innen nicht selten zwischen „Horrorjob und Erfüllung“ oszillieren.

Das gesellschaftliche Ansehen von Lehrkräften ist zwar hoch und auch die Lehrkräfte selbst urteilen überwiegend positiv über ihren Beruf: 71 Prozent gaben in einer für Deutschland repräsentativen Studie an, dass ihnen ihr Beruf überwiegend Freude mache (Vodafone Stiftung, 2012). Im gleichen Atemzug berichteten sie jedoch auch von der steigenden Stressbelastung durch schwierige Schüler, sich ständig ändernden Vorgaben oder aussichtslosen Reformbemühungen (ebd.).

Der Lehrerberuf gilt spätestens seit dem Buch „Halbtagsjobber“ von Schaarschmidt (2005) als einer der Berufe mit der größten psychischen Beanspruchung. In diesem Buch wurde auf anschauliche Weise demonstriert, dass Lehrkräfte häufiger gesundheitliche Risikomuster aufweisen als andere Berufsgruppen. Lehrer_innen wurden besonders häufig einem Burnout-Muster (Risikomuster B) zugeordnet, das durch geringe Widerstandskräfte gegenüber Belastungen des Berufsalltages in Kombination mit niedrigem Engagement gekennzeichnet ist. Die Vorgehensweise von Schaarschmidt und Kollegen wurde zwar kritisiert, da ihre Stichprobe nicht repräsentativ ausgewählt wurde und die Vergleichsgruppen etwas willkürlich gewählt erschienen (Rothland, 2013b). Es sprechen aber auch andere Befunde für ein spezifisches Beanspruchungsprofil von Lehrer_innen.

In einer repräsentativen Erwerbstätigenbefragung (N=20.000) des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) wurden die Beschwerden von Erwerbstätigen erhoben. Lehr (2012) wertete diese Daten getrennt für Lehrkräfte (N=707) im Vergleich zum Durchschnitt der Erwerbstätigen aus. Lehrkräfte litten häufiger unter Beschwerden, die auch für affektive Störungen wie Depressionen charakteristisch sind. Hierzu zählen Erschöpfung, Reizbarkeit, Schlafstörungen und Hörverschlechterungen. Mit Ausnahme von Kopfschmerzen wiesen Lehrkräfte hingegen seltener körperliche Beschwerden wie Rücken- oder Nackenschmerzen auf. Lehr (ebd.) schlussfolgerte daraus, dass die Art der Beanspruchung mit der Art der Belastung in Verbindung steht. Im Vergleich zu anderen Erwerbstätigengruppen sind Lehrkräfte eher psychischen als körperlichen Belastungsfaktoren ausgesetzt.

Insofern verwundert es kaum, dass das vorzeitige Ausscheiden aus dem Lehrerberuf häufig in Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen steht. Der Anteil der in den Ruhestand gehenden Lehrkräfte, die aufgrund von Dienstunfähigkeit frühpensioniert wurden, sank zwar zwischen 2001 und 2011, seit der Einführung von Versorgungsabschlägen, von etwa der Hälfte auf ein Rekordtief von 19 Prozent (Statistisches Bundesamt, 2011). Die Dienstunfähigkeit scheint jedoch mehrheitlich auf psychische Störungen und psychosomatische Erkrankungen zurückzuführen zu sein. Das Bundes-ministerium des Innern (2005) gab beispielsweise an, dass 56 Prozent der aufgrund von Arbeitsunfähigkeit frühpensionierten verbeamteten Lehrkräfte wegen psychischen Erkrankungen oder Verhaltensstörungen ausscheiden. In einer 1999 stattfindenden Totalerhebung unter bayrischen arbeitsunfähigen Lehrkräften waren es 52 Prozent (Weber, 2004).

Auch wenn konkrete Zahlen nicht vorliegen, ist von einem hohen Anteil an Lehrer_innen auszugehen, die in ihrer Berufslaufbahn in eine Krise geraten, die als Burnout, Depression oder Angststörung in zumeist psychosomatischen Kliniken behandelt wird. Das Lebenszeitrisiko für psychische Erkrankungen in Deutschland liegt nach Analysen der Bundesgesundheits-Survey derzeit bei 38,5 Prozent (neue Bundesländer) und 44 Prozent (alte Bundesländer) (Jacobi, Hoyer & Wittchen, 2004). In der Allgemeinbevölkerung ist mittlerweile also mehr als jede_r Dritte mindestens einmal im Leben von einer psychischen Störung, in den meisten Fällen von Depression, betroffen. Die Kosten dieser Erkrankungen werden für Europa auf 108,6 Billionen Euro geschätzt. Mehr als 70 Prozent davon entfallen auf indirekte Kosten, die zum Beispiel durch verminderte Leistungsfähigkeit entstehen (Andlin-Sobocki, Rehnberg & Jonsson, 2005). Hinzu kommt der damit oft verbundene Leidensweg, den beruflichen und privaten Anforderungen nicht mehr gewachsen und einer starken Einschränkung des persönlichen Wohlbefindens ausgesetzt zu sein.

Ausgebrannte Lehrer_innen haben wenige Möglichkeiten, eine andere Tätigkeit als das Unterrichten vor der Klasse auszuüben. Im Sinne der Lehrkraft und im Sinne der Schüler_innen, die ein Recht auf gute Bildung haben, ist es daher notwendig, nach Wegen zu suchen, wie Lehrkräfte unterstützt werden können und wie sie in diesem potenziell erfüllenden und gesellschaftlich hoch bedeutsamen Beruf ihre Ressourcen so einsetzen können, dass sie gesund bleiben, sich weiter entwickeln und eine gute Lehrkraft für ihre Schüler_innen sein können.

Kyriacou forderte schon 2001, dass Interventionen zur Reduktion von Lehrerstress auf ihre Effektivität überprüft werden sollten. Bislang wurden nur wenige Interventionen entwickelt und evaluiert, die das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit von (angehenden) Lehrer_innen stärken sollen (Kolbe & Combe, 2008). Selbst wenn Trainings entwickelt und evaluiert wurden, schafften sie es selten über die Pilotierung hinaus. In Deutschland wurden z. B. ein klassisches Stressbewältigungstraining für Lehrkräfte und Referen-dar_innen adaptiert (Arold, 2005), ein lehrerspezifisches Präventionsprogramm für Arbeit und Gesundheit im Lehrerberuf (AGIL) entwickelt (Hillert, 2012) und das Training emotionaler Kompetenzen (TEK) (Berking, 2010) um lehrerspezifische Elemente ergänzt (TEK-L) (Eckert, Ebert & Sieland, 2012). Im Vergleich zu der nahezu unüberschaubaren Vielzahl von Forschungsarbeiten zu den Belastungsfaktoren und der Beanspruchungssituation von Lehrkräften verwundert der geringe Stellenwert, den die Entwicklung, Evaluierung und Verstetigung solcher Trainingsangebote einzunehmen scheinen.

Hinzukommt, dass so gut wie keine der Evaluationsstudien untersuchen, ob die im Rahmen der Lehrerweiterbildung angebotenen Fortbildungsmaßnahmen, nicht nur das Lehrerwohlbefinden, sondern auch die professionelle Kompetenz effektiv und nachhaltig stärken. Ein Grund hierfür könnte sein, dass die Förderung der Lehrergesundheit in der Praxis nicht den Stellenwert erhält, den die Kultusministerkonferenz (2004) ihr einräumt (vgl. 2.1.3).

Achtsamkeitstrainings, wie das standardisierte MBSR-Training (Mindfulness-Based Stress Reduction-Training), haben sich als Stressbewältigungsmethode und Komplemtentärbehandlung in der klinischen Forschung etabliert (Berking, 2012). Sie wurden in der Vergangenheit erfolgreich in der (komplementären) Behandlung von Depressionen (Teasdale et al., 2000) und Angststörungen (Hofmann, Sawyer, Witt & Oh, 2010), in der letzten Zeit auch verstärkt bei gesunden Menschen zur Stressreduktion eingesetzt (Chiesa & Serretti, 2009). In der Lehrerbildung steht eine Evaluierung des standardisierten Trainings noch aus. Auch fehlen Erkenntnisse dazu, welche Wirkungen ein Achtsamkeits-training auf die professionelle Kompetenz, wie beispielsweise das Unterrichts-handeln, hat.

Hier will die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten und erstens untersuchen, wie effektiv und nachhaltig ein achtsamkeitsbasiertes Stressbewältigungs-training das Wohlbefinden und die Selbstregulation von Lehrkräften stärkt. Das zweite Ziel der Arbeit ist es, die Trainingseffekte auf die Unterrichtsqualität zu untersuchen.

Da die Arbeit in unterschiedliche, zum Teil sehr umfängliche Forschungsbereiche wie die Lehrergesundheitsforschung, die pädagogische Psychologie und die Bildungswissenschaften hineinreicht, sollte sich die theoretische Ausarbeitung eng an den Zielen der Arbeit ausrichten. Die zentralen Belastungsmomente des Lehrerberufs sowie eine Diskussion der gesundheitlichen Situation wurden bereits in mehreren Überblicksartikeln und Monografien ausführlich dargestellt.[2]

Einen neuen Beitrag zur Lehrergesundheitsforschung könnte die hier gewählte theoretische Verknüpfung von Gesundheitsressourcen mit einem Aspekt der professionellen Kompetenz leisten. Von einer Gegenüberstellung oder Gewichtung der unterschiedlichen Ansätze zur Verhaltens- (Ebene der Person) und Verhältnisprävention (Ebene der Organisation) wird ebenfalls abgesehen, da das Anliegen der Arbeit die Evaluation eines verhaltenspräventiven Ansatzes darstellt und somit die Ressourcen und Kompetenzen der Lehrperson in den Fokus rücken. Die Achtsamkeitsforschung kann mehrere Meta-Analysen zu den Effekten achtsamkeitsbasierter Trainings vorweisen. Diese werden hier nur überblicksartig zusammengefasst. Dafür erfolgt erstmals eine Review aller Studien zu Achtsamkeit und Lehrergesundheit.

2. Theoretischer und empirischer Hintergrund

2.1 Psychische Gesundheit, professionelle Kompetenz und selbstregulative Fähigkeit

In diesem Kapitel werden zentrale Begriffe, wie psychische Gesundheit, professionelle Kompetenz und selbstregulative Fähigkeit, definiert und in einen theoretischen Bezugsrahmen eingeordnet. Basierend auf einer Definition von psychischer Gesundheit werden zunächst drei Gesundheitsmodelle skizziert. Darauffolgt eine Diskussion des Stellenwerts von psychischer Gesundheit im Lehrerberuf unter Rückgriff auf ein Modell professioneller Handlungskompetenzen. In diesem Zusammenhang wird der Begriff der selbstregulativen Fähigkeit eingeführt. Schließlich werden vier professionelle Selbstregulationsfähigkeiten von Lehrkräften identifiziert, die in dieser Arbeit weiter untersucht werden sollen.

2.1.1 Psychische Gesundheit

Psychische Gesundheit wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert als ein „Zustand des Wohlbefindens, in dem der Einzelne seine Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv und fruchtbar arbeiten kann und imstande ist, etwas zu seiner Gemeinschaft beizutragen.“ (WHO, 2014). In der Definition wird psychische Gesundheit mit Wohlbefinden gleichgesetzt. Im Folgenden verwende ich daher den Begriff Wohlbefinden synonym mit (psychischer) Gesundheit. Diese Definition steht in der Tradition positiver Gesundheitsdefinitionen (vgl. WHO, 1946), die die Abkehr von einem pathogenem Gesundheitsbegriff als die reine Abwesenheit einer psychischen oder körperlichen Erkrankung markierten. Gleichzeitig fehlen dem Begriff Wohlbefinden starke Konturen: Was umfasst dieses Wohlbefinden? Ist psychisches Wohlbefinden eine rein subjektive Kategorie oder lässt es sich quantifizieren?

Paulus (1994) hat, basierend auf Übersichten zu Merkmalen psychischer Gesundheit, 66 Beschreibungsmerkmale der psychischen Gesundheit identifi-ziert. In einer inhaltsanalytischen Zusammenfassung konnte er diese zu acht Merkmalskategorien zusammenfassen,[3] die sich wiederum auf zwei Grundvor-stellungen psychischer Gesundheit reduzieren ließen. Psychische Gesundheit umfasst einerseits Merkmale „produktiver Anpassung“ und andererseits das Streben nach „Selbstverwirklichung“ (Paulus, 1994, S. 30).

Bei der produktiven Anpassung handelt es sich um „eine aktive, kompetente und effiziente Form der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten gesell-schaftlichen Realitäten, Erfordernissen und Erwartungen“ (Paulus, 1994, S. 32). Psychische Gesundheit ist entsprechend dieser Definition das „Resultat von Anpassungs- und Regulationsprozessen zwischen einem Individuum und seiner Umwelt" (Becker, Schulz & Schlotz, 2004, S. 11). Gesundheitsmodelle, wie das systemische Anforderungs-Ressourcen-Modell (Becker, 1995) oder die Theorie der Ressourcenbewahrung (Hobfoll, 1989) fokussieren auf diesen Aspekt des Wohlbefindens. Auch Stresstheorien wie das transaktionale Stressmodell (Lazarus & Folkman, 1984) oder das Modell der Gratifikationskrise (Siegrist, 2011) basieren auf einem ähnlichen Denkansatz. Als Ziel dieser Anpassungsprozesse formuliert Paulus „Überleben“. Darunter ist nicht nur die Sicherung der physischen Existenz, sondern auch der Erhalt bzw. die Wiedererlangung von Wohlbefinden zu verstehen.

Bei dem Selbstverwirklichungsbegriff steht die „Entwicklung und Entfaltung der den Individuen eigenen Bedürfnisse, Interessen Werte und Fähigkeiten“ (Paulus, 1994, S. 33) im Vordergrund. Ein wichtiger Vertreter dieser Denktradition ist Abraham Maslow, der in seiner Bedürfnishierarchie der Selbstverwirklichung den höchsten Stellenwert einräumte (Maslow, 1973). Hinzu kommen die umfassenden Arbeiten von humanistischen Psychologen wie Erich Fromm und Carl Rogers. Auch Vertreter der positiven Psychologie können hier subsummiert werden (Seligman & Csikszentmihalyi, 2000). In dieser recht jungen Disziplin steht die Erforschung von positiven Emotionen und Glück im Vordergrund (Snyder, Lopez & Pedrotti, 2011). Hier geht es nicht mehr nur um das Überleben sondern um ein „gutes Leben“.

Eine Integration beider Vorstellungen psychischer Gesundheit nennt Paulus, eine „ integrale psychische Gesundheit “ (Paulus, 1994, S. 35). Auch die Definition der WHO kann in dem Sinne als integral bezeichnet werden, da sowohl der Selbstverwirklichungsaspekt (‚Fähigkeiten ausschöpfen’) als auch der Aspekt der produktiven Anpassung (‚normale Lebensbelastungen bewältigen’, ‚produktiv’, ‚zur Gemeinschaft beitragen’) in ihr integriert sind. Der Vorteil einer Integration beider Elemente besteht darin, die psychische Gesundheit eines Individuums weder ausschließlich an seiner Leistungsfähigkeit noch an seiner Persönlichkeitsentwicklung festzumachen.

Abbildung 1 veranschaulicht die eben erläuterten Möglichkeiten der Kategorisierung von psychischer Gesundheit.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 : Grundvorstellungen psychischer Gesundheit (leicht verändert aus: Paulus, 1994, S. 32)

Die vorliegende Arbeit bewegt sich auf einer empirischen und theoretischen Ebene in dem Spannungsfeld von Selbstverwirklichung und produktiver Anpassung in einem bildungswissenschaftlich relevanten Anwendungsfeld: der psychischen Gesundheit von Lehrkräften. In diesem Kontext liegt der Fokus zwar auf der produktiven Anpassung der Lehrkräfte, eine Trennung zwischen den beiden Dimensionen der psychischen Gesundheit ist jedoch nicht immer aufrecht zu erhalten und entsprechend des integrativen Gesundheits-verständnisses auch nicht erwünscht. Dennoch wird die produktive Anpassung, wie die weiteren Ausführungen zeigen werden, sowohl bei Modellierungen von Gesundheit als auf von professioneller Kompetenz vordergründig thematisiert.

2.1.2 Modelle von Gesundheit

Gesundheitsmodelle „zielen auf die Beschreibung, Analyse, Erklärung oder Vorhersage des gesundheitlichen Befindens einer Person ab" (Dlugosch, 1994, S. 101). Nachfolgend werden zentrale Gesundheitsmodelle, die Salutogenese, die Theorie der Ressourcenbewahrung sowie das systemische Anforderungs- und Ressourcenmodell, skizziert.

2.1.2.1 Salutogenese

Die Salutogenese (zusammengesetzt aus salus (lat.): Wohlbefinden, Zufriedenheit und genesis (griech.): Entstehung, Herkunft) kann als das erste Gesundheitsmodell betrachtet werden, auf dessen Ideen viele andere Modelle aufbauen (Antonovsky, 1980, 1997). Salutogenese wird als Ergänzung zur Pathogenese, der Entstehung und Entwicklung von Krankheit, verstanden. Forschungsgegenstand der Salutogenese sind daher nicht Risiko- sondern Schutzfaktoren, die Menschen im Angesicht schwieriger Lebensumstände gesund erhalten. Zentral an dem Modell ist, dass Gesundheit und Krankheit nicht als feste Endpunkte verstanden werden. Vielmehr lässt sich eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt auf einem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum, dem Health-Ease und Dis-Ease Kontinuum (HEDE), verorten (Antonovsky, 1997).

Um die Anforderungen des Alltags zu bewältigen, bedarf es allgemeiner Widerstandsressourcen (General Resistance Resources, GRR), die es Menschen erleichtern, mit schwierigen Lebensereignissen umzugehen. Die GRR umfassen interne Ressourcen wie Entspannungsfähigkeit, Ich-Stärke und externe Ressourcen wie beruflicher Status, materielle und soziale Unterstützung. Die Verfügbarkeit von Widerstandsressourcen hängt von der persönlichen Ausprägung des Kohärenzsinns ab.

Der Kohärenzsinn wird definiert als eine globale Orientierung [...], die das Maß ausdrückt, in dem man ein durchdringendes, andauerndes aber dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, daß [sic] die eigene interne und externe Umwelt vorhersagbar ist und daß [sic] es eine hohe Wahrscheinlichkeit gibt, daß [sic] sich die Dinge so entwickeln werden, wie vernünftigerweise erwartet werden kann (Antonovsky, 1997, S. 16).

Menschen mit einem hohen Kohärenzgefühl bewerten Erfahrungen als verstehbar, grundsätzlich sinnhaft und bewältigbar. Es fällt ihnen leichter, im Angesicht von schwierigen Lebensereignissen gesund zu bleiben und auf die geeigneten Widerstandsressourcen zuzugreifen. Nach Antonovsky bildet sich der Kohärenzsinn schon in der früheren Kindheit aus und kann nur bedingt verändert werden. Das Modell lieferte einen wichtigen Beitrag zur Förderung einer ressourceninteressierteren Sichtweise.

2.1.2.2 Theorie der Ressourcenbewahrung (COR)

Die Theorie der Ressourcenbewahrung (engl. COR, Conserveration of Resources Theory) basiert auf der Annahme, dass Menschen grundsätzlich danach streben, Ressourcen zu erhalten oder zu bekommen (Hobfoll, 1989). Ressourcen werden allgemein definiert als „objects, personal characteristics, conditions, or energies that are valued by the individual or that serve as means for attainment of these objects, personal characteristics, conditions, or energies“ (1989, S. 516).

Ein wichtiger Aspekt der Theorie ist, dass sich Verluste von Ressourcen dramatischer auswirken als Ressourcengewinne. Ressourcenverluste können weitere Ressourcenverluste auslösen und einen Organismus aus dem Gleichgewicht bringen. Bei Lehrer_innen können z. B. erfolglose Versuche, Unterrichtsstörungen einzudämmen, zu negativen Gefühlen führen, die wiederum in schlaflosen Nächten ihren Ausdruck finden und andere Bewältigungsversuche erschweren. So wird auch das Entstehen von chronischem Stress erklärt, der als eine langfristige Übersteigerung des Bewältigungsrepertoires verstanden wird. Diese Ressourcenverlustspirale wird mit dem Entstehen von Burnout und Depression in Verbindung gebracht (Buchwald & Hobfoll, 2004).

Kritisiert werden kann an dem Modell, dass es zwar vorgibt, die Bewahrung von Ressourcen zu thematisieren, faktisch aber vor allem die Ressourcenverluste in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt und zu erklären versucht.

2.1.2.3 Das systemische Anforderungs- und Ressourcenmodell (SAR)

Das systemische Anforderungs- und Ressourcenmodell (SAR) von Becker (1995) knüpft an die Überlegungen der Salutogenese an und erweitert sie um einen komplexen Erklärungsrahmen, der das Entstehen von Gesundheit und Krankheit vorhersagen können soll. Gesundheit wird als das Resultat eines Regulationsprozesses zwischen Individuum und Umwelt verstanden, bei dem der Ausgang davon abhängt, „wie gut es [...] gelingt, externe und interne Anforderungen mit Hilfe externer und interner Ressourcen zu bewältigen“ (Becker et al., 2004, S. 12).

Interne Ressourcen umfassen all die psychischen und physischen Mittel, die einer Person zur Verfügung stehen und die sich als sinnvoll bei der Bewältigung von Anforderungen erweisen (z. B. Verhaltens- und Erlebensweisen, Kompe-tenzen, Bewertungen, physische Voraussetzungen). Unter externen Ressourcen werden soziale Unterstützung, aber auch materielle Ressourcen verstanden (Abbildung 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Gesundheitsmodell (adaptiert nach Becker et al., 2004)

Die Verfügbarkeit von internen Ressourcen konnte in einer längsschnittlichen Untersuchung mit einer für Deutschland repräsentativen Stichprobe den körperlichen Gesundheitszustand zwei Jahre später vorhersagen, während externe Ressourcen keine Zusammenhänge aufwiesen (Becker et al., 2004, S. 19). Als Maße der körperlichen Gesundheit wurden die habituelle Gesundheit und akute Beschwerden erfasst. Personen, die angaben, von ihrer Arbeit überfordert und chronisch besorgt zu sein, hatten ein höheres Risiko, zwei Jahre später eine Einschränkung ihrer habituellen Gesundheit und mehr akute Beschwerden zu erleben (ebd.).

2.1.2.4 Zwischenzusammenfassung

Die dargestellten Modelle basieren auf einem aktiven Gesundheitsverständnis, bei dem die Bewertungs- und Aushandlungsprozesse einer Person angesichts umweltseitiger Stressereignisse als bedeutsam erachtet werden Lazarus & Folkman, 1984). Sie unterstreichen den zentralen Stellenwert der Verfügbarkeit von Ressourcen. Bezogen auf die Definition von psychischer Gesundheit, erläutern sie eher den Aspekt der produktiven Anpassung als den Aspekt der Selbstverwirklichung. (Psychische) Gesundheit wird als Outcome erfolgreicher Regulationsanstrengungen verstanden. Sie bieten damit einen guten Rahmen, um die Entstehung (psychischer) Krankheiten zu erklären. Ein Nachteil ist, dass dabei der Eindruck entstehen kann, Gesundheit müsse unter Anstrengung aller Ressourcen verteidigt und Anforderungen am besten vermieden werden.

2.1.3 Psychische Gesundheit von Lehrkraften als Merkmal professioneller Handlungskompetenz

Gesundheitsförderung und Prävention werden nach einer Empfehlung der Kultusministerkonferenz (2012) als grundlegende schulische Aufgaben verstanden, die in allen Schulentwicklungsbestrebungen mitbedacht werden sollten. Alle Schulbeteiligten, also auch die Lehrkräfte, sollen durch gesundheitsfördernde Maßnahmen befähigt werden, Gesundheitskompetenzen zu erwerben und Gesundheitsressourcen zu stärken. Das Lehrerwohlbefinden wird im Beschluss der Kultusministerkonferenz (2004) über die Standards in der Lehrerbildung sogar als ein Aspekt erfolgreicher Berufsausübung verstanden. Das Wissen um „wesentliche Erkenntnisse der Belastungs- und Stressforschung“ und das Lernen „mit Belastungen umzugehen“ werden als zentrale Kompetenzen von Lehrkräften erachtet (Kultusministerkonferenz (KMK), 2004, S. 12). Nachfolgend wird zunächst in den Kompetenzbegriff eingeführt und ein Modell der professionellen Handlungskompetenz von Lehrkräften skizziert. Darauf aufbauend wird ein eigenes Modell zentraler selbstregulativer Fähigkeiten von Lehrkräften entwickelt.

2.1.3.1 Professionelle Handlungskompetenz

Kompetenzen werden von Weinert (2001, S. 27 f.) definiert als „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen“. Der Kompetenzbegriff ist damit dem Ressourcenbegriff untergeordnet. Während der Ressourcenbegriff sehr breit gefasst ist und beispielsweise auch materielle, soziale und kulturelle Ressourcen umfasst, ist der Kompetenzbegriff stärker an die Fähigkeiten einer Person gekoppelt.

Bei Lehrkräften werden unter professioneller Handlungskompetenz all diejenigen kognitiven und nicht-kognitiven Fähigkeiten verstanden, die zur erfolgreichen Bewältigung der berufsbezogenen Aufgaben und Belastungsmomente beitragen (Blömeke & Suhl, 2010). Oser (2001) formuliert als zentrale Kriterien, die Lehrerkompetenzen erfüllen müssen, ihre theoretische Fundierung, empirische Bewährung sowie praktische Relevanz und grundsätzliche Erlernbarkeit.

Die Kompetenzen (Wissen, Fähigkeiten), die notwendig sind, um den berufsspezifischen Anforderungen gerecht zu werden, werden in Kompetenzmodellen abgebildet (Rothland, 2013b). Im deutschsprachigen Raum existieren mehrere Modellierungen und empirische Untersuchungen der professionellen Kompetenz von Lehrkräften, z. B. die deutschlandweite COACTIV-Studie (Cognitive Activation in the Classroom) (Kunter, Baumert, Blum & Neubrand, 2011), die internationale TEDS–M Studie (Teacher Education and Development - Mathematics) (Blömeke, Suhl & Kaiser, 2011; Tatto et al., 2008) und die längsschnittliche Erhebung pädagogischer Kompetenzen von Lehramtsstudierenden (LEK) (König & Seifert, 2012). Die zugrundeliegenden Modelle der professionellen Kompetenz weisen große Übereinstimmungs-punkte auf. Beispielsweise basieren alle auf dem Beschluss der KMK (2004) und inkorporieren Lehrerkompetenzmodelle aus anderen Ländern, wie die Empfehlungen des National Board for Professional Teaching Standards der USA (NBPTS, 1989).

Das COACTIV-Modell unterscheidet sich von den anderen Modellierungen, da es die psychische Gesundheit, wie von der Kultusministerkonferenz gefordert, als professionelle Handlungskompetenz begreift. Neben der Kerndimension, dem Professionswissen, das sich in unterschiedliche Wissensbereiche aufgliedert, werden die Überzeugungen der Lehrkraft, ihre motivationale Orientierung und ihre selbstregulativen Fähigkeiten als zentrale professionelle Kompetenzen aufgefasst. Die vier Dimensionen werden als nicht hierarchisch, also als gleichwertig wichtig, verstanden. Motivationale Orientierung und Selbst-regulationsfähigkeit werden als „zentrale Merkmale der psychologischen Funktionsfähigkeit von handelnden Personen“ (Baumert & Kunter, 2006, S. 501) definiert und sollen hier genauer betrachtet werden.

Die Selbstregulationsfähigkeit wird als der „verantwortungsvolle Umgang mit den eigenen persönlichen Ressourcen“ definiert (ebd., S. 505). In der Coactiv-Studie werden die selbstregulativen Fähigkeiten mit dem Fragebogen der arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmustern (AVEM) erfasst, aus dem die Dimensionen berufliches Engagement und Widerstandskräfte gegenüber Belastungen herausgegriffen werden (Klusmann, Kunter, Trautwein & Baumert, 2006). Die Motivation der Lehrkraft wird mit der Lehrer-Selbstwirksamkeits-erwartung und dem Enthusiasmus gegenüber dem Fach bzw. dem Unterrichten operationalisiert. Diese Konstrukte werden in 2.2 definiert und eingeordnet.

Die Trennung zwischen motivationaler Orientierung und Selbstregulation erscheint in dieser Konzeption nicht ganz schlüssig – beispielsweise wird nicht deutlich, weshalb die Selbstwirksamkeitserwartung nicht wie in anderen Modellen der selbstregulativen Fähigkeit zugeordnet wird (Abele & Candova, 2007; Bandura, 2005). Außerdem ist nicht nachvollziehbar, weshalb das berufliche Engagement als selbstregulative Fähigkeit und nicht als motiva-tionale Orientierung verstanden wird. Zentral an diesem Modell ist jedoch, dass die selbstregulative Fähigkeit von Lehrer_innen erstmals als eine professionelle Kompetenz verstanden wird, der damit auch eine hohe Relevanz für das Unterrichtshandeln unterstellt wird.

2.1.3.2 Selbstregulative Fähigkeiten als professionelle Gesundheitskompetenz

Der selbstregulativen Fähigkeit wird im Allgemeinen eine hohe Gesundheitsrelevanz unterstellt. Bandura (2005, S. 245) spricht zum Beispiel von einer „primacy of self-regulation in health promotion“. Er geht davon aus, dass grundsätzlich keine andauernden Gesundheitseffekte zu erwarten sind, solange eine Person nicht über die Fähigkeit verfügt, ihr Gesundheitsverhalten zu regulieren. Fehlende selbstregulative Fähigkeiten werden mit dem Entstehen affektiver Störungen und Verhaltensstörungen assoziiert (Bandura, 1991; Zimmermann, 2000).

Dabei ist es wichtig zwischen Selbstregulation als Fähigkeit und als Prozess zu unterscheiden. Theorien der Selbstregulation kommen in der Regel aus der Motivations- und Handlungsforschung (Bandura, 1991; Baumann & Kuhl, 2013; Kuhl, Kazen & Koole, 2006). Sie versuchen, die (zumeist kognitiven) Prozesse zu beschreiben, die bei der Zieldefinition, -verfolgung und –erreichung von Bedeutung sind. Beispiele sind die Social Cognitive Theory (Bandura, 1991), die Self-Determination Theory (Ryan & Deci, 2000) bzw. die Theorie der Selbststeuerung (Kuhl et al., 2006). Selbstregulation fördert die Selbstbestimmung, das heißt die Fähigkeit, in Übereinstimmung mit eigenen Bedürfnissen und Überzeugungen zu handeln. Achtsames Gewahrsein wird in der Self-Determination Theory als ein zentraler Aufmerksamkeitsprozess angenommen, der zur Ausbildung selbstregulativer Fähigkeiten beitragen kann (vgl. 2.3.2 und 2.3.3).

Bei der Definition von selbstregulativen Fähigkeiten für den Kontext dieser Arbeit orientiere ich mich an den Überlegungen von Baumert und Kunter (2006) sowie Rothland (2013b). Dabei versuche ich, den bisher lediglich impliziten Aspekt der psychischen Gesundheit stärker herauszuarbeiten.

Selbstregulative Fähigkeiten von Lehrkräften werden als ein Merkmal professioneller Handlungskompetenz definiert. Selbstregulative Fähigkeiten sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sowohl zu einem adäquaten Umgang mit den beruflichen Anforderungen und Belastungen beitragen als auch in Zusammenhang mit erfolgreichem Lehrerhandeln stehen.

Die Selbstregulationsfähigkeit wird also als eine Strategie der produktiven Anpassung im beruflichen Kontext verstanden, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie grundsätzlich erlernbar ist.

Als zentrale selbstregulative Fähigkeiten im pädagogischen Kontext werden eine hohe (berufliche) Selbstwirksamkeit (Abele & Candova, 2007; Bandura, 1991), ausgeprägte Widerstandskräfte gegenüber Belastungen sowie berufliches Engagement (Klusmann, 2013; Klusmann et al., 2006) genannt. In dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Modell (Abbildung 3) werden zusätzlich emotionale Kompetenzen aufgenommen. Diese wurden zwar noch nicht als professionelle Handlungskompetenz thematisiert; in letzter Zeit verweisen jedoch einige Arbeiten auf die herausragende Bedeutung einer hohen emotionalen Kompetenz – sowohl für die psychische Gesundheit von Lehrkräften als auch für erfolgreiches Unterrichtshandeln (vgl. 2.2.1.3 und 2.2.3.4).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3 : Selbstregulationskompetenzen von Lehrkräften in Zusammenhang mit psychischer Gesundheit

Zusammenfassend werden in dieser Arbeit vier selbstregulative Fähigkeiten untersucht: Widerstandskraft gegenüber Belastungen, berufliches Engagement, Selbstwirksamkeitserwartung und emotionale Kompetenz. Anders als von Baumert und Klusmann (2006) vorgeschlagen, wird die Selbstwirksamkeits-erwartung als selbstregulative Fähigkeit verstanden. Dies erscheint sinnvoll, da sie häufig als selbstregulative Fähigkeit eingeordnet wird (Abele & Candova, 2007; Bandura, 1997; Rothland, 2013b). In Übereinstimmung mit Baumert und Klusmann (2006) wird das berufliche Engagement als Aspekt der Selbstregulationsfähigkeit gefasst.

In dem Folgekapitel (2.2) werden die vier Bereiche definiert und auf ihre empirische Relevanz für die Erhaltung der psychischen Gesundheit von Lehrkräften (2.2.1) sowie für das erfolgreiche Unterrichtshandeln (2.2.2) geprüft.

2.1.4 Zusammenfassung und Diskussion

In diesem Kapitel wurden zentrale Begriffe der Arbeit wie die psychische Gesundheit, speziell der Aspekt der produktiven Anpassung, die professionelle Kompetenz und die selbstregulativen Fähigkeiten von Lehrkräften definiert und zusammengeführt. Wenngleich selbstregulative Fähigkeiten von Lehrkräften in der letzten Zeit häufiger als professionelle Handlungskompetenz eingeordnet wurden, ist ihre explizite Verknüpfung mit einem Gesundheitsbegriff jedoch neu. Eine Grundannahme dieser Arbeit ist es, dass selbstregulative Fähigkeiten von Lehrkräften sowohl eine Ressource zum Erhalt der psychischen Gesundheit als auch ein Merkmal professioneller Kompetenz darstellen können.

Die Verwendung des Begriffs Selbstregulation birgt auch einige Risiken. Zum einen wird er auch in der Handlungs- und Motivationsforschung verwendet. Hier werden vor allem die zumeist kognitiven Prozesse und Persönlichkeitseigenschaften beschrieben, die zu einer erfolgreichen Zieldefinition und -erreichung beitragen. Im Kontext dieser Arbeit werden zunächst die gewählten Endpunkte, also die Fähigkeiten, untersucht. Auf Achtsamkeit als einen möglichen Prozess wird an späterer Stelle eingegangen (2.3.3). Ein weiteres Risiko besteht darin, dass selbstregulative Fähigkeiten, so wie sie bisher im Kontext der professionellen Kompetenzen definiert wurden, sehr weit gefasst werden können. Um dem zu begegnen, habe ich eine eigene Definition vorgelegt und mich zunächst auf vier selbstregulative Fähigkeiten beschränkt. In den folgenden Kapiteln soll empirisch überprüft werden, ob sich diese Definition und die ausgewählten selbstregulativen Fähigkeiten bewähren. Bewähren würden sie sich dann, wenn sie sowohl im Zusammenhang mit Gesundheitsoutcomes bei Lehrkräften als auch mit erfolgreichem Unterrichtshandeln stünden.

Den Vorteil in der Verwendung des Begriffs selbstregulative Fähigkeiten sehe ich in seiner definitorischen Nähe zum Kompetenz- und Gesundheitsbegriff. Alternativ wären aber auch Begriffe wie professionelle Gesundheitskompetenz oder Regulationskompetenz (Paulus, 1994) denkbar. Der Begriff personale Ressourcen umfasst mehr als die selbstregulativen Fähigkeiten und ist daher nicht so spezifisch. Ausschlaggebend war für mich, dass die selbstregulativen Fähigkeiten in der letzten Zeit sowohl in Modellen zur Lehrergesundheit (Abele & Candova, 2007; Rothland, 2013b) als auch zur professionellen Kompetenz (Baumert & Kunter, 2006; Klusmann, 2013; Klusmann et al., 2006; Klusmann, Kunter, Trautwein, Lüdtke & Baumert, 2008) verwendet wurden und somit eine Zusammenführung nahelag.

2.2. Zusammenhänge von selbstregulativen Fähigkeiten mit dem Lehrerwohlbefinden und der Unterrichtsqualität

In diesem Kapitel werden empirische Ergebnisse zu den Zusammenhängen der vier selbstregulativen Fähigkeiten, die in dieser Arbeit untersucht werden, mit der Lehrergesundheit und dem Unterrichtshandeln dargestellt und eingeordnet.

2.2.1 Zusammenhänge von selbstregulativen Fähigkeiten mit dem Lehrerwohlbefinden

Nachfolgend werden Forschungsergebnisse zu den Zusammenhängen der Widerstandskräfte, des Engagements, der Selbstwirksamkeit und der emotionalen Kompetenz mit dem Lehrerwohlbefinden berichtet. Die Widerstandskräfte und das Engagement werden gemeinsam unter dem Punkt arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster behandelt. Bei der Darstellung der Zusammenhänge gehe ich wie folgt vor: Einführend skizziere ich jeweils das Konstrukt, dann stelle ich querschnittliche (korrelative) und längsschnittliche oder prädiktive Forschungsergebnisse dar. Sofern vorhanden, nenne ich zuletzt Studienergebnisse, die aufzeigen, wie die jeweilige selbstregulative Fähigkeit ausgebildet werden kann.

2.2.1.1 Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM)

Zur Erfassung der psychischen Gesundheit im professionellen Kontext allgemein und speziell im Lehrerberuf wird in Deutschland oft das Instrument „Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM)“ eingesetzt (Arold, 2005; Klusmann, 2013; Klusmann et al., 2006; Lehr, 2012b; Schaarschmidt, Kieschke & Fischer, 1999). Eine hohe Selbstregulationsfähigkeit wird hier so operationalisiert, dass simultan ein ausgeprägtes berufliches Engagement, hohe Widerstandskräfte gegenüber beruflichen Belastungen und positive Emotionen vorliegen (Schaarschmidt, 2005; Schaarschmidt et al., 1999). Ziel der Typologisierung ist es, Muster des arbeitsbezogenen Verhaltens und Erlebens zu identifizieren. Es konnten vier Selbstregulationstypen clusteranalytisch bestimmt und repliziert werden[4] (Klusmann et al., 2006; Schaarschmidt et al., 1999). Abbildung 4 stellt die vier AVEM-Muster anhand der Dimensionen Engagement und Widerstandskraft gegenüber Belastungen dar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4 : Typologie der arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmuster (vereinfacht) (nach Klusmann, 2013)

Das Zielmuster „Gesundheit“ ist durch ein hohes berufliches Engagement und ausgeprägten Widerstandskräften gegenüber Belastungen gekennzeichnet. Personen, die dem „Schonungsmuster“ zugeordnet werden, können ebenfalls gut mit den beruflichen Anforderungen umgehen, allerdings auf Kosten des beruflichen Engagements. Das „Risikomuster A“ (in Anlehnung an das Modell der Typ-A-Persönlichkeit) charakterisiert ein überdurchschnittliches Engagement und eine niedrige Verfügbarkeit personaler Ressourcen. Beim „Risikomuster B“ sind sowohl das Engagement als auch die Widerstandskraft gering ausgeprägt. Das B steht hier für Burnout, freilich ohne dass bei dieser Musterzuordnung von einer Burnoutdiagnose ausgegangen werden sollte. Schaarschmidt und Kollegen fassen den Gesundheits- und Schontyp als erstrebenswerte Muster auf, da beide eine hohe Widerstandskraft gegenüber beruflichen Belastungen kennzeichnet.

Die Verteilung der Muster wurde in verschiedenen Studien mit unterschiedlichen Lehrerstichproben erhoben (Abbildung 5).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5 : AVEM-Musterverteilungen in Prozent bei verschiedenen Stichproben mit Lehrkräften bzw. Lehramtsstudierenden

Bauer et al., 2006: Totalerhebung an zehn repräsentativ ausgewählten Gymnasien in Freiburg mit 700 Lehrkräften; Klusmann et al., 2006: repräsentative Stichprobe von 314 Mathematiklehrkräften der 9. Jahrgangsstufe; Schaarschmidt, 2005: 7693 Lehrerinnen und Lehrer aus elf deutschen Bundesländern; Zimmermann, 2012: 481 Referendar_innen aus Freiburg, Totalerhebung an drei Lehrerseminaren

Die Musterverteilung variiert entsprechend der untersuchten Stichprobe.

- Die erste Studie von Schaarschmidt (2005) zeigte die ungünstigste Musterverteilung mit 59 Prozent der Lehrkräfte, die den Risikomustern zugeordnet wurden. Hier wurde zwar die größte Stichprobe mit über 7000 Lehrkräften unterschiedlicher Schulformen und Standorte verwendet, es wird aber nicht angegeben, wie bei der Auswahl der Lehrkräfte vorgegangen wurde.
- Die Studie von Klusmann ist die bislang einzige repräsentative Erhebung (von Mathematiklehrkräften). Die Musterverteilung fiel mit einem Risiko-musteranteil von 43 Prozent im Vergleich zu den anderen Erhebungen am günstigsten aus.
- Ähnliche Ergebnisse erzielte Zimmermann et al. (2012) in der Totalerhebung von Referendaren aus drei Studienseminaren. Hier ist nicht von Selektionseffekten auszugehen, da alle Referendare befragt wurden.
- In der Befragung von Bauer et al. (2006) dominierten Schonungs- und Risikomuster B. Der Rücklauf fällt in dieser Studie mit 65 Prozent (481 Lehrkräfte) vergleichsweise niedrig aus. Daher könnten die hier berichteten Extremwerte auf Selektionseffekte zurückzuführen sein. Es ist beispielsweise denkbar, dass sich eher belastete Lehrkräfte für die Teilnahme an dieser Studie bereit erklärten.

Einige demografische Merkmale erhöhen die Wahrscheinlichkeit, einem der Risikomuster zugeordnet zu werden.

- Lehrerinnen waren signifikant häufiger in den Risikomustern vertreten als Lehrer (Bauer et al., 2006; Klusmann et al., 2006; Schaarschmidt, 2005), dies gilt bereits für die weiblichen Referendare (Zimmermann et al., 2012).
- Teilzeitbeschäftigte oder geschiedene Lehrkräfte fanden sich signifikant häufiger in dem Risikomuster B (Bauer et al., 2006).
- Bei Kontrolle des Geschlechtseffekts stand die Schulform nicht in Zusammenhang mit der Musterzuordnung (Klusmann et al., 2006; Schaarschmidt, 2005).
Die Zugehörigkeit zu einem der Risikomuster steht in Zusammenhang mit Belastungs- und Beanspruchungssymptomen.
- Im Vergleich zum Gesundheitstyp litt der Schonungstyp ähnlich selten an körperlichen und psychischen Stresssymptomen und verfügte über eine gute Erholungs- und Entspannungsfähigkeit (Schaarschmidt & Fischer, 2006).
- Die beiden Risikomuster unterschieden sich sowohl bei den körperlichen und psychischen Beschwerden, als auch bei der emotionalen Beeinträchtigung und der Erholungsfähigkeit signifikant von den Gesundheitsmustern (Schaarschmidt & Kieschke, 2007).
- Das Risikomuster B korrelierte signifikant mit psychischen und psychosomatischen Symptomen, gemessen mit dem SCL90R (ebd.)
- Die Risikomusterzuordnung der Referendar_innen stand in inversem Zusammenhang mit der Einschätzung, für das Berufsleben gut ausgebildet zu sein (Zimmermann et al., 2012).

Das Instrument bietet neben der Musterzuordnung auch die Möglichkeit einer skalenbasierten Auswertung. In der Kurzversion besteht der AVEM aus elf Skalen mit je vier Items. Lehr (2004) untersuchte in einer Fall-Kontroll-Studie, in welchen der AVEM-Skalen sich gesunde von psychisch erkrankten Lehrkräften, die sich in der Behandlung in einer psychosomatischen Klinik befanden, am deutlichsten unterschieden. Lehrkräfte, die in einer psychosomatischen Klinik behandelt wurden, zeigten im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe eine höhere Resignationstendenz und Verausgabungsneigung sowie eine niedrigere offensive Problembewältigung und innere Ruhe und Ausgeglichenheit (Lehr, 2007). Die Resignationstendenz wird als „Neigung, sich mit Misserfolgen abzufinden und leicht aufzugeben“ definiert (Schaarschmidt & Fischer, 2006, S. 7). Der kompetente Umgang mit diesen Rückschlägen scheint von großer Gesundheitsrelevanz zu sein, da sich gesunde Lehrkräfte von kranken am deutlichsten in ihrer Resignationstendenz bei Misserfolgen unterschieden (Lehr, 2004).

Es liegen kaum längsschnittliche Untersuchungen zur Entwicklung und Veränderungssensitivität der AVEM-Muster vor. In einer dreijährigen Längsschnitterhebungung bildeten sich Veränderungen ab, die auf eine tendenzielle Zunahme der Beanspruchung hinweisen: 29 Prozent der Gesundheitsmuster wurden drei Jahre später dem Schonungsmuster zugeordnet, 23 Prozent der Schonungsmuster dem Risikomuster B und 25 Prozent des Risikomuster A dem Risikomuster B. Bei der Mehrzahl der Lehrkräfte veränderte sich die Musterzuordnung jedoch nicht, weshalb von einem eher stabilen Persönlichkeitsmerkmal ausgegangen werden kann. Die Musterzuordnung verbesserte sich in diesem Zeitraum kaum; 21 Prozent der Lehrkräfte des Risikomusters B wurden drei Jahre später dem Schonungstyp zugeordnet (Kieschke, 2003; Schaarschmidt & Kieschke, 2007). In einer anderen längsschnittlichen Erhebung wurden die Effekte eines Stressbewältigungstrainings, das auf individueller Beratung basierte, auf die Musterzuordnung von Lehramtsstudierenden untersucht (Arold, 2005; Neuhaus & Schaarschmidt, 2002). In der Studie nahm der Anteil der Gesundheits- und Schonungsmuster zu und der Anteil der Risikomuster respektive ab. Die Ergebnisse können jedoch kaum interpretiert werden, da in der Studie keine Kontrollbedingung verwendet wurde.

2.2.1.2 Selbstwirksamkeitserwartung

Die allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung erfasst „die persönliche Einschätzung der eigenen Kompetenzen, allgemein mit Schwierigkeiten und Barrieren im täglichen Leben zurecht zu kommen“ (Schwarzer & Jerusalem, 1999, S. 57). Diese Kompetenzerwartung kann mehr oder weniger mit der tatsächlichen Kompetenz übereinstimmen und stellt nach Bandura (1991) die wichtigste und zentrale Ressource für eine adäquate Selbstregulation dar:

People’s beliefs in their efficacy influence the choices they make, their aspirations, how much effort they mobilize in a given endeavor, how long they persevere in the face of difficulties and setbacks, whether their thought patterns are self-hindering or self-aiding, the amount of stress they experience in coping with taxing environmental demands, and their vulnerability to depression (Bandura, 1991, S. 257).

Es liegen auch lehrerspezifische Operationalisierungen der Selbstwirksamkeits-erwartung vor. In diesen Instrumenten wird erfasst, wie hoch die Überzeugung herausfordernde Situationen im Lehreralltag zu meistern. In einer deutschen Version der Lehrer-Selbstwirksamkeit wird beispielsweise erfragt, inwieweit eine Lehrkraft sich als selbstwirksam in den Kompetenzdimensionen berufliche Leistung, berufliche Weiterentwicklung, soziale Interaktionen mit Schülern, Eltern und Kollegen sowie Umgang mit Berufsstress erlebt (Schmitz & Schwarzer, 2000). Ein Beispielitem lautet: „Ich bin mir sicher, dass ich auch mit den problematischen Schülern in guten Kontakt kommen kann, wenn ich mich darum bemühe.“ (Schwarzer & Jerusalem, 1999, S. 60).

Die Einschätzung der Kompetenz, mit schwierigen Schüler_innen umgehen zu können, muss nicht mit der tatsächlichen Kompetenz der Lehrer_innen übereinstimmen. Es gibt aber starke Evidenz dafür, dass sich eine moderate bis leichte Überschätzung der Lehrer-Selbstwirksamkeit positiv auf das Unterrichtshandeln und die Interaktion mit den Schüler_innen auswirkt (Tschannen-Moran, Woolfolk Hoy & Hoy, 1998). Empirische Studien zeigen die hohe Validität des Konstrukts:

- Niedrig selbstwirksame Lehrkräfte erlebten im Vergleich zu hoch selbstwirksamen signifikant mehr berufsbezogenen Stress (Greenwood, 1990).
- In zwei Meta-Analysen fassten Tschannen Moran et al. (1998) und Kagan (1992) den Stand der Forschung zur Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte zusammen. In den querschnittlichen Untersuchungen zeigten sich Zusammenhänge zwischen einer hohen Selbstwirksamkeit und einer höheren Motivation der Lehrkräfte, einer niedrigeren Anzahl an krankheitsbedingten Fehltagen und einer höheren Berufszufriedenheit.
- Die Lehrer-Selbstwirksamkeit stand in einer Studie mit Förderschullehrkräften in positivem Zusammenhang mit weiblichem Geschlecht und Alter (Coladarci & Breton, 1997).
- In einer längsschnittlichen Untersuchung konnte die Ausprägung der Lehrer-Selbstwirksamkeit von Referendar_innen in Deutschland das Belastungserleben vier Jahre später vorhersagen. Außerdem stieg die Lehrer-Selbstwirksamkeit mit wachsender Berufserfahrung deutlich an (Abele & Candova, 2007).
- Durch wiederholte Misserfolgserfahrungen können sogenannte Selbstwirksamkeitskrisen entstehen, die als Burnout beschrieben werden (Leiter, 1992, S. 107). Burnout wird zumeist mit dem Maslach Burnout Inventory (MBI) erfasst (Maslach, Jackson & Leiter, 1997). Eine hohe Lehrer-Selbstwirksamkeit stand in negativem Zusammenhang mit allen drei Subskalen des MBI, am deutlichsten mit der Wahrnehmung eines Leistungsmangels (Schmitz & Schwarzer, 2000).
- Eine andere längsschnittliche Studie mit Lehrkräften in den USA untersuchte den Zusammenhang von Lehrer-Selbstwirksamkeit und Burnout. Eine niedrige Selbstwirksamkeit zeigte einen hohen Effekt auf die Ausprägung der Burnout-Dimension Depersonalisierung (Beispielitem: „Bei manchen Schülern interessiert es mich im Grunde nicht, was aus ihnen wird.“) fünf Monate später (Brouwers & Tomic, 2000).
- Die Selbstwirksamkeit entwickelt sich unter anderem durch eigene oder beobachtete Wirksamkeitserfahrungen. Selbstwirksamkeitserfahrungen wirken sich auf die Motivation aus, die wiederum die Wahrscheinlichkeit erhöht, weitere Wirksamkeitserfahrungen zu erleben (Tschannen-Moran et al., 1998). Die Entwicklung der Selbstwirksamkeitserwartung stand in Zusammenhang mit der Qualität der Ausbildung. Die Einschätzung der Lehrkräfte, wie gut sie auf den Lehrerberuf vorbereitet wurden, wirkte sich in einer Untersuchung in den USA sowohl auf den Baseline-Wert als auch auf den Anstieg der Selbstwirksamkeit aus (Pas, Bradshaw & Hershfeldt, 2012). Die Teilnahme an Supervisionssitzungen führte in einer Studie mit Förderschullehrkräften zu einer Steigerung der Selbstwirksamkeit (Coladarci & Breton, 1997).

Insgesamt stellt die Selbstwirksamkeitserwartung ein sinnvolles und vielfach erprobtes Konstrukt dar, das in deutlichem Zusammenhang zum Lehrerwohlbefinden steht. Hinzu kommt, dass es möglich zu sein scheint, durch Trainings die Selbstwirksamkeitserwartung zu stärken.

2.2.1.3 Emotionale Kompetenz

Als emotionale Kompetenz gilt die Fähigkeit, gewünschte Emotionen[5] zu zeigen und positive wie negative Emotionen zu regulieren (Gross & Muñoz, 1995). Gehört Emotionsregulation zu dem Anforderungsprofil einer beruflichen Tätigkeit, spricht man von Emotionsarbeit. Den Begriff emotion work hat Hochschild (1979) auf der Basis von qualitativen Untersuchungen mit Flugbegleiterinnen geprägt. Lehrer_innen sind Emotionsarbeiter_innen (Hargreaves, 1998; Hochschild, 1979; Sieland, 2006); sie müssen ihre Emotionen vor der Klasse kontrollieren, bestimmte Emotionen zeigen, andere verbergen. Sie erleben auch fast täglich intensive, emotionsgeladene Interaktionen, die sie effektiv regulieren müssen. Lehrer_innen zeigen Freude, wenn einem Schüler etwas gut gelungen ist; Strenge, wenn eine Schülerin sich nicht an die Regeln hält; Empathie, wenn eine Schülerin sich das Knie auf dem Pausenhof aufgeschlagen hat. In einer Studie wurden die Lehrkräfte gebeten, einzuschätzen, wie häufig sie bestimmte Emotionen im Unterricht zeigen (Abbildung 6).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Durchschnittliche Lehrereinschätzung: „Wie häufig zeigen Sie die folgenden Emotionen im Unterricht?“

Skalierung 1 = sehr selten/nie bis 5 = sehr oft (mehrmals pro Stunde), aus: Krause et al., 2008, S. 320, nach Bader, 2006

Lehrkräfte geben an, häufiger positive als negative Emotionen im Unterricht zu zeigen. Zusätzlich wird deutlich, wie vielfältig die zu zeigenden Emotionen sind. Im Vergleich zu anderen Berufsgruppen präsentieren Lehrer_innen eine größere Variabilität an Emotionen (Krause, Philipp, Bader & Schüpbach, 2008).

Emotionale Dissonanz

Die emotionale Dissonanz beschreibt die Diskrepanz zwischen dem aktuellen und dem zu zeigenden Gefühl (Zapf, 2002). Das Erleben dieser Dissonanz wurde in der Forschung zur Emotionsarbeit als besonders gesundheitsrelevant angenommen. Es kann eine Lehrkraft beispielsweise viel Kraft kosten, positive Emotionen zu zeigen, wenn diese in deutlichem Widerspruch zu ihrem gegenwärtigen Gemütszustand stehen. „Not being able to feel what one should feel may cause the individual to feel false and hypocritical and, in the long run, may lead to the alienation from one’s own emotions, poor self-esteem, and depression.“ (Zapf, 2002, S. 255).

Lehrkräfte berichteten seltener als andere Berufsgruppen von emotionaler Dissonanz (im Vergleich zu Reisekaufleuten (Retzlaff & Fischbach, unveröff.) sowie im Vergleich zu Pharmazeuten (Bader, 2006 zit. in Krause, Philipp, Bader & Schüpbach, 2008). Dies wird der größeren emotionalen Authentizität zugeschrieben, die Lehrkräfte haben dürfen. Lehrer_innen können und sollen durchaus negative Emotionen zeigen, während dies in Serviceberufen, z. B. bei Flugbegleiterinnen, nicht der Fall ist.

Lehrkräfte täuschen auch seltener Emotionen vor, wenn sie das nicht für sinnvoll erachten. Dieses sogenannte faking in bad faith ist verbreitet in Berufen, bei denen erwartet wird, auch im Angesicht von Konflikten mit Kunden freundlich zu bleiben (Krause, Philipp, et al., 2008). Lehrkräfte gaben an, Emotionen entweder tatsächlich verkörpern zu können (deep acting) oder nur dann vorzutäuschen, wenn sie es für sinnvoll erachten, z. B. für das Erreichen des Unterrichtszieles (faking in good faith). Faking in bad faith wurde von Lehrer_innen im Vergleich zu Apothekern deutlich seltener eingesetzt (ebd.). Täuschte eine Lehrerkraft eine Emotion in dem Glauben vor, dass es der Sache (z. B. dem Unterrichtsziel) dienlich ist, zeigten sich keine gesundheitlichen Auswirkungen (Krause, Philipp, Bader & Schüpbach, 2008) .

Regulation negativer Emotionen

Ein Aspekt emotionaler Kompetenz ist die Regulation von unerwünschten, zumeist negativen Emotionen wie Ärger oder Angst, im Klassenzimmer.

- In einer Interviewstudie schätzten die Lehrkräfte (N=400) ihre Fähigkeit, negative Emotionen effektiv reduzieren zu können, deutlich niedriger ein als die Erwartung, positive Emotionen zeigen zu können (Sutton et al., 2009). Außerdem konnten die Autoren zeigen, dass Lehrkräfte oft dann negative Emotionen erleben, wenn die persönlichen Unterrichtsziele in Gefahr gewähnt werden.
- Die Intensität von unerwünschten Lehreremotionen ließ sich durch die Art vorhersagen, wie Lehrkräfte störendes Schülerverhalten bewerten (Chang & Davis, 2009). In einer umfangreichen qualitativen Studie beschrieben 589 Junglehrer_innen ein unangenehmes emotionales Erlebnis mit einem Schüler oder einer Schülerin. Chang (2009) fasste die Aussagen in neun typische relationship challenges zusammen. Am häufigsten nannten die Lehrkräfte offene Feindseligkeit oder Aggression gegenüber einem Peer oder Lehrer (32 Prozent der Lehrkräfte), gefolgt von Machtspielen (18 Prozent) und Hyperaktivität bzw. Ablenkbarkeit (11 Prozent). Die Intensität der emotionalen Reaktion konnte durch die Einschätzung der Selbstwirksamkeit im Umgang mit dem Problem und die Bewertung der Zielinkongruenz durch die Lehrer_in vorhergesagt werden.
- Bracket et al. (2010) untersuchten Emotionsregulationsstrategien (ERS) in Zusammenhang mit Burnout und Berufszufriedenheit von Lehrkräften. Beispielsweise bewerten die Teilnehmer_innen die Effektivität verschiedener Strategien, Traurigkeit zu reduzieren. In einer Vollerhebung an drei britischen Sekundarschulen schätzten die Lehrkräfte ihre Emotionsregulationsfähigkeit (ERF) mit einem Verhaltenstest ein. Mit Mediationsanalysen konnte gezeigt werden, dass Lehrer_innen mit hoher ERF über höhere Zufriedenheit mit dem Beruf und eine höhere Leistungsfähigkeit verfügen, weil sie mehr positive Emotionen erfahren und eine größere Unterstützung durch ihre Schulleitung wahrnehmen.
- Es gibt zahlreiche Studien und theoretische Ausarbeitungen, die untersuchen, welche Strategien der Regulation von negativen Emotionen hilfreich sind und welche nicht zum gewünschten Regulationseffekt führen. Berking (2010) hat die körperlichen und psychischen Mechanismen beschrieben, die dazu führen, dass negative Emotionen aufrechterhalten werden. Hierzu gehören beispielsweise gedankliche Weiterbeschäftigung (Rumination), Selbstabwertung und körperliche Anspannung. Gelingt es nicht, sich von den negativen Emotionen zu distanzieren, bleibt der für die Regeneration notwendige Rückgang der Stressreaktion, der sich auch in einem Rückgang von Cortisolkonzentration zeigt, bei vielen Lehrkräften aus (Bickhoff, 2000). Zu den effektiven Strategien der Emotionsregulation gehören Akzeptanz des Gefühls, Achtsamkeit und Neubewertung (re-appraisal) (Berking, 2010; Gross & Muñoz, 1995).

Positive Emotionen als Stresspuffer

Lehrkräften ist die Bedeutung positiver Emotionen für den Lernerfolg bewusst. In einer Interviewstudie umschrieb eine Lehrkraft den hohen Stellenwert von Lehrerenthusiasmus:

If you can’t enjoy what you’re doing there is no way that the students on the other end who are supposed to be receiving all of that are going to get anything out of it. So you have to turn yourself up every morning before school starts. (Sutton, Mudrey-Camino & Knight, 2009)

Die Strategie wird Up-Regulating genannt; die Lehrkraft versucht also, ihre Stimmung am Morgen positiv zu beeinflussen (Sutton et al., 2009). Entsprechend der Theorie der emotionalen Dissonanz ist dies umso gesundheitsrelevanter, je größer die gefühlte Diskrepanz zwischen der erwünschten positiven Emotion und der tatsächlichen Verfassung ist.

Die Erforschung positiver Emotionen ist insgesamt eine recht junge Disziplin und wurde bislang kaum im Kontext der Lehrergesundheitsforschung berücksichtigt. Dies könnte u. a. daran liegen, dass positive Emotionen keine mit negativen Emotionen vergleichbaren physiologischen Auswirkungen haben (Levenson, 1999). Es gibt einige Evidenz dafür, dass positive Gefühle sich vor allem langfristig auf das Wohlbefinden auswirken. So steht das häufige Erleben positiver Gefühle in Zusammenhang mit psychologischem Wachstum, Glücksempfinden, geringerem Stress (gemessen am Cortisollevel) und größerer Resilienz (Fredrickson & Losada, 2005; Lyubomirsky, King & Diener, 2005). Außerdem konnte in einer Studie eine beruhigende Wirkung von positiven Gefühlen auf den durch negative Gefühle aufgewühlten Organismus demonstriert werden (Fredrickson, Mancuso, Branigan & Tugade, 2000). In der randomisierten und kontrollierten Studie wurden zunächst negative Gefühle durch aversive Videos induziert (Bilder von Gewalt und Schmerzen). Danach wurden die Teilnehmer in zwei Gruppen aufgeteilt. Der Experimentalgruppe wurden Videoclips gezeigt, die eher positive Gefühle wie Freude oder Zufriedenheit aktivierten, während die Videos der Kontrollgruppe negative Gefühle wie Angst oder Ärger hervorriefen. In der Experimentalgruppe erreichten die Teilnehmer schneller ihren Ruhepuls, d. h. die positiven Gefühle reduzierten die durch die negativen Gefühle induzierte Erregung. Die Autoren nannten die beruhigende Wirkung positiver Emotionen infolge von Stresssituation Undoing-Effekt (ebd.).

Die stressreduzierende Wirkung von positiven Emotionen konnte in zwei Studien auch für Lehrkräfte gezeigt werden:

- Chan (2006) untersucht den Zusammenhang von emotionaler Intelligenz und Burnout in einer Studie mit 167 chinesischen Lehrkräften. Die selbsteingeschätzte Fähigkeit, positive Emotionen regulieren zu können (Beispielitem: „I know how to make good emotions last“) stand in negativem Zusammenhang mit der Burnout-Dimension emotionale Erschöpfung und in positivem Zusammenhang mit der Leistungsfähigkeit (ebd.).
- Eine andere Studie aus Deutschland erzielte ähnliche Ergebnisse: Zeigten Lehrkräfte häufig positive Emotionen im Unterricht, so wirkte sich das günstig auf die Burnout-Dimensionen und die Arbeitszufriedenheit von Lehrer_innen aus (Retzlaff & Fischbach, unveröff., zit. in Krause, Philipp, et al., 2008).

Die Fähigkeit, positive Emotionen zu erleben bzw. wieder zu erlangen ist mit einer stressreduzierenden Wirkung assoziiert und steht in negativem Zusammenhang zu den Burnout-Dimensionen.

2.2.2 Zusammenfassung und Diskussion

Selbstregulative Fähigkeiten stehen in Zusammenhang mit Lehrer-beanspruchung und Gesundheitsoutcomes. Nachfolgend fasse ich stichpunktartig den Forschungsstand zusammen und diskutiere die Ergebnisse.

- Die Studien zu den arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmustern der Lehrkräfte, erfasst mit dem AVEM, legten nahe, dass das Verhältnis von beruflichem Engagement und personalen Widerstandskräften eine valide Möglichkeit ist, diese selbstregulative Fähigkeit von Lehrkräften zu erfassen. Der Anteil der Lehrkräfte mit Risikomustern variierte in Abhängigkeit von der Qualität der Studien. Es fehlten hochwertige Untersuchungen, vor allem zu den Entwicklungen dieser Muster.
- Das Konstrukt der Selbstwirksamkeit wird schon seit einiger Zeit in der Gesundheitsforschung untersucht und gilt als eine zentrale Selbstregulationsfähigkeit. Hier lagen bereits mehrere längsschnittliche Untersuchungen vor, in denen die Selbstwirksamkeit stets ein Prädiktor für die spätere Beanspruchung darstellte.
- Bei der Sichtung der Literatur zur emotionalen Kompetenz wurde ein uneinheitliches Beanspruchungsprofil deutlich. Im Selbstreport gaben Lehrkräfte seltener als andere Berufsgruppen an, ungünstige Formen des Actings (Darstellen von Emotionen) einzusetzen, wie z. B. faking in bad faith. Zentral schien die Kompetenz, negative Emotionen, die während des Unterrichtens auftreten, zu regulieren. Die Forschung zur Bedeutung positiver Emotionen für die Lehrergesundheit steckt noch in den Kinderschuhen. Die vorläufigen Studienergebnisse legten nahe, dass sich das Erleben positiver Emotionen als bedeutsam für die Vorhersage des Stresserlebens von Lehrkräften erweisen könnte.

Die Mehrzahl der hier gesichteten Studien untersuchte retrospektiv oder querschnittlich Zusammenhänge zwischen zumeist Stress oder Burnout und personalen und sozialen Bedingungsfaktoren, die oft nicht theoriegeleitet ausgewählt wurden. Guglielmi & Tatrow (1998, S. 82) monierten in ihrer Review:

„This shotgun atheoretical research approach has produced a descriptive account of stressor-symptom releationships but little or no explanation of the nature of those relationships.“

Ähnliche Kritiken finden sich auch heute, fünfzehn Jahre später (Krause, Dorsemagen & Baeriswyl, 2013; Rothland, 2013b), denen ich mich anschließe:

- Im Vergleich zur Vielzahl der korrelativen Querschnittsuntersuchungen konnten nur wenige der hier gesichteten Studien kausale Beziehungen zwischen Prädiktoren und Gesundheitsoutcomes in längsschnittlich angelegten Untersuchungen nachweisen (Abele & Candova, 2007; Brackett et al., 2010; Brouwers & Tomic, 2000). Dies bleibt ein zentraler Kritikpunkt an der Forschung zur Lehrergesundheit (Lehr, 2012b; Rothland, 2013b).
- Es wurden überwiegend Selbsteinschätzungen der Lehrkräfte miteinander in Beziehung gesetzt. Das ist bei einem in hohem Maße subjektiven Konstrukt wie der Selbstregulation und Gesundheit zum Teil auch sinnvoll (vgl. Rothland, 2013b). Die häufigere Hinzunahme von Beobachter-einschätzungen, von objektiveren Maßen der Beanspruchung (z. B. Messung des Cortisolspiegels oder des Ruhepulses) oder von Verhaltenstests würde die Validität der Selbstaussagen jedoch bekräftigen.
- In der Mehrzahl der Untersuchungen wurden Zusammenhänge von selbstregulativen Fähigkeiten mit dem Burnout-Instrument MBI untersucht. Die schiere Anzahl der Studien zum Burnoutkonstrukt ist nahezu unüberschaubar (vgl. Auflistung von Lehr, 2012, S. 765). Das ist verwunderlich, da wiederholt auf die (Konstrukt-) Validitäts- und Reliabilitätsprobleme des Instruments hingewiesen wurde (vgl. zusammen-fassende Kritik von Rösing, 2008), die dann auch immer wieder in Studien auftauchten (z. B. bei Brackett et al., 2010).
- Schließlich werden zu selten repräsentativ oder sinnvoll ausgewählte Stichproben verwendet, so dass Selektionseffekte wahrscheinlich sind und gefundene Zusammenhänge und Erklärungen nur eingeschränkt verallgemeinerbar sind.

Bei aller Kritik ist dennoch vorläufig festzuhalten, dass die hier gesichteten selbstregulativen Fähigkeiten in Zusammenhang mit dem Lehrerwohlbefinden und anderen Gesundheitsvariablen standen.

2.2.3 Zusammenhänge von selbstregulativen Fähigkeiten mit der Unterrichtsqualität

Selbstregulative Fähigkeiten von Lehrkräften wirken sich möglicherweise nicht nur auf Gesundheitsoutcomes sondern auch auf das Unterrichtshandeln aus. Die Beziehungen von Lehrerstress, arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebens-mustern, Selbstwirksamkeitserwartung sowie emotionaler Kompetenz mit Unterrichtsoutcomes werden nachfolgend anhand von empirischen Studienergebnissen überblicksartig abgebildet.

2.2.3.1 Beanspruchung von Lehrkräften

Es ist denkbar, dass sich die akute Lehrerbelastung bzw. -beanspruchung im Unterrichtshandeln spiegelt. Dieser Zusammenhang wurde in zwei empirischen Studien mit Vorschulkindern untersucht. Die Studien fanden in Finnland bzw. den USA statt, wo die Vorschule als ein Vorbereitungsjahr für die Grundschule unterrichtsähnlich abgehalten wird. Sie sind als hochwertig einzustufen, da sie sowohl die Lehrkräfte, als auch Schüler_innen und teilweise Unterrichtsbeobachter einbezogen.

- In der ersten Studie wurde die Lernmotivation von Vorschulkindern untersucht (Pakarinen et al., 2010). Die Studie setzte eine Datentriangulation ein: Die Lehrkräfte schätzten den aktuell erlebten beruflichen Stress selbst ein (Beispielitem: „I have a lot more problems in guiding the children than I expected.“). Die Qualität der Klassenführung wurde von externen Beobachtern evaluiert und die abhängige Variable (Lernmotivation) von den Schüler_innen selbst eingeschätzt. Die Lernmotivation der Schüler_innen konnte durch den Stress, den Lehrer_innen beim Unterrichten empfanden sowie durch die von externen Beobachtern evaluierten Klassenmanagementstrategien vorhergesagt werden. Die Lernmotivation war umso höher, je niedriger der Lehrerstress und je besser die beobachtete Klassenführung waren.
- Die zweite Studie konnte zeigen, dass sich die Lehrerbeanspruchung negativ auf die Beziehungsqualität zu den Schüler_innen auswirkt (Mantzicopoulos, 2005). Die Vorschulkinder schätzten die Beziehung zu ihren Lehrer_innen mit einer Konflikt-Skala ein (Beispielitem: „Mein Lehrer ist oft böse auf mich.“). Die Beanspruchung, die die Lehrer_innen aufgrund ihres derzeitigen Unterrichtsdeputats wahrnahmen, sagte die Konflikteinschätzung durch die Schüler_innen voraus.

[...]


[1] Ich orientiere mich an den Empfehlungen für eine geschlechtergerechte Sprache der Leuphana Universität Lüneburg, formuliert in der Richtlinie des Senats zur Verwirklichung des Gleichstellungsauftrages nach § 3 Abs. 3 NHG. Demnach werden entweder beide Geschlechter genannt Lehrerinnen und Lehrer), die Unterstrichschreibweise (Gender Gap) verwendet (Lehrer_innen) bzw. geschlechtsneutrale Formulierungen gewählt (Lehrende, Lehrkräfte) (Leuphana Universität Lüneburg, 2010).

[2] Überblicksartikel zur gesundheitlichen Situation von Lehrkräften in Deutschland finden sich unter anderem bei Dick (2006), Heyse (2011), Hillert (2007), Krause, Philip, Bader & Schüpbach (2008), Lehr (2012), Paulus und Schumacher (2008), Rothland (2007, 2013a) und Rudow (1999).

[3] Die acht Merkmalskategorien lauten: 1. Produktivität, Kompetenz, Effizienz, 2. Autonomie, 3. Integration, Harmonie, 4. Bezogenheit (Intimität, Mitmenschlichkeit), 5. Selbstakzeptierung, Wohlbefinden, 6. Realistische Selbst- und Fremdwahrnehmung, 7. Selbst-Transzendenz, Problemzentrierung, 8. Bewusstseins-Transzendenz, Transpersonalität (Paulus, 1994, S. 30).

[4] Die AVEM-Typen wurden mit einer repräsentativen Stichprobe von 300 Mathematiklehrkräften repliziert. Hierbei wurden nur die Dimensionen Widerstandskraft und Engagement berücksichtigt, die dritte Dimension „Berufliche Emotionen“ wurde weggelassen, da hier eine Konfundierung von Bedingungs- und Ergebnisvariablen angenommen wurde (Klusmann, Kunter, Trautwein & Baumert, 2006).

[5] Levenson (1999) versteht unter Emotionen „short-lived psychological-physiological phenomena that represent efficient modes of adaptation to changing environmental demands“. (ebd., S. 481). Auf psychischer Ebene beeinflusst das Auftreten von Emotionen worauf die Aufmerksamkeit gelenkt wird. Auch können bestimmte Reaktionsmuster durch Emotionen ausgelöst werden. Auf physischer Ebene wird der Gesichtsausdruck, der Muskeltonus, die Stimme, das Nervensystem spezifisch aktiviert. Der Gefühlsbegriff ist dem Emotionsbegriff untergeordnet. Unter Gefühl wird die subjektive Interpretation einer emotionalen Reaktion verstanden.

Ende der Leseprobe aus 249 Seiten

Details

Titel
Achtsamkeit macht Schule?! Fördert ein Achtsamkeitstraining das Lehrerwohlbefinden und die Unterrichtsqualität?
Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg  (Educational Science)
Note
magna cum laude (1.0)
Autor
Jahr
2014
Seiten
249
Katalognummer
V305415
ISBN (eBook)
9783668033788
ISBN (Buch)
9783668033795
Dateigröße
5987 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
achtsamkeit, schule, fördert, achtsamkeitstraining, lehrerwohlbefinden, unterrichtsqualität
Arbeit zitieren
Dr Silke Rupprecht (Autor:in), 2014, Achtsamkeit macht Schule?! Fördert ein Achtsamkeitstraining das Lehrerwohlbefinden und die Unterrichtsqualität?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/305415

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