Der Marxismus, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts als Folge der industriellen Revolution in der um die Jahreswende 1845/46 von Karl Marx und Friedrich Engels verfassten "Deutschen Ideologie" eine universell stattfindende proletarische Revolution verkündete, fast zwei Jahre später in der Schrift "Grundsätze des Kommunismus" von Engels allein zumindest in den vier fortgeschrittensten Ländern (England, Frankreich, Amerika, Deutschland), sah sich durch den Leninismus auf den Kopf gestellt. Aufgrund seiner Imperialismusanalyse, die eine Ungleichmäßigkeit in der ökonomischen und damit auch politischen Entwicklung der Länder ergab, hielt Lenin den Ausbruch einer proletarischen Revolution in nur einem Land für den typischen Fall. In seinen letzten sieben Lebensjahren musste er gestaltend miterleben, wie sich die von ihm ersehnte proletarische Revolution in einem zwar großflächigen, aber ökonomisch sehr rückständigen Agrarland mit einer hohen Analphabetenquote besonders unter den die ungeheure Mehrheit des Volkes bildenden Bauern vollzog.
Lenin mag sich vielleicht mehr als nur einmal an den Satz Alexander Herzens erinnert haben, dass der Mann der Zukunft in Russland der Bauer ist wie in Frankreich der Arbeiter. 1. Um eine sozialistische Ökonomik aufzubauen, wurde als Notbehelf in der NEP-Periode zum Staatskapitalismus gegriffen, aber zu keinem klassischen, sondern zu etwas völlig Neuem, zu einem Staatskapitalismus unter dem Kommunismus. Folgerichtig führte Lenin im politischen Bericht auf dem XI. Parteitag der KPR (B) aus, dass wir bei Marx kein einziges Wort und kein einziges Zitat über einen Staatskapitalismus dieser Art finden. „Wir müssen also jetzt versuchen, uns selber zu helfen“.
In der Mitte des 20. Jahrhunderts war dann durch die Ausrufung der Volksrepublik China am 1. Oktober 1949 durch Mao das Schwergewicht der proletarischen Revolution noch einmal in eine rurale Massenbewegung in einem Großreich gefallen, durch die wiederum wie schon in der russischen Oktoberrevolution das von Marx gegen Bakunin um die Jahreswende 1874/75 aufgestellte Kriterium einer erfolgreichen Revolution, dass das Proletariat eine bedeutende Stellung in der Volksmasse einnehmen muss, nicht erfüllt war. Sowohl für China als für Russland galt Lenins berühmter Satz aus seinem politischen Bericht auf dem XI. Parteitag der KPR (B), der 1922 stattfand: „Die Kommunisten sind ein Tropfen im Meer, ein Tropfen im Volksmeer“.
Der Marxismus, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts als Folge der industriellen Revolution in der um die Jahreswende 1845/46 von Karl Marx und Friedrich Engels verfassten "Deutschen Ideologie" eine universell stattfindende proletarische Revolution verkündete, fast zwei Jahre später in der Schrift "Grundsätze des Kommunismus" von Engels allein zumindest in den vier fortgeschrittensten Ländern (England, Frankreich, Amerika, Deutschland), sah sich durch den Leninismus auf den Kopf gestellt. Aufgrund seiner Imperialismusanalyse, die eine Ungleichmäßigkeit in der ökonomischen und damit auch politischen Entwicklung der Länder ergab, hielt Lenin den Ausbruch einer proletarischen Revolution in nur einem Land für den typischen Fall. In seinen letzten sieben Lebensjahren musste er gestaltend miterleben, wie sich die von ihm ersehnte proletarische Revolution in einem zwar großflächigen, aber ökonomisch sehr rückständigen Agrarland mit einer hohen Analphabetenquote besonders unter den die ungeheure Mehrheit des Volkes bildenden Bauern vollzog. Lenin mag sich vielleicht mehr als nur einmal an den Satz Alexander Herzens erinnert haben, dass der Mann der Zukunft in Russland der Bauer ist wie in Frankreich der Arbeiter. 1. Um eine sozialistische Ökonomik aufzubauen, wurde als Notbehelf in der NEP-Periode zum Staatskapitalismus gegriffen, aber zu keinem klassischen, sondern zu etwas völlig Neuem, zu einem Staatskapitalismus unter dem Kommunismus. Folgerichtig führte Lenin im politischen Bericht auf dem XI. Parteitag der KPR (B) aus, dass wir bei Marx kein einziges Wort und kein einziges Zitat über einen Staatskapitalismus dieser Art finden. „Wir müssen also jetzt versuchen, uns selber zu helfen“. XXX Lenin, Politischer Bericht auf dem XI. Parteitag der KPR (B), in: Lenin, Ausgewählte Werke Band 2, Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau 1947,927 XXX In der Mitte des 20. Jahrhunderts war dann durch die Ausrufung der Volksrepublik China am 1. Oktober 1949 durch Mao das Schwergewicht der proletarischen Revolution noch einmal in eine rurale Massenbewegung in einem Großreich gefallen, durch die wiederum wie schon in der russischen Oktoberrevolution das von Marx gegen Bakunin um die Jahreswende 1874/75 aufgestellte Kriterium einer erfolgreichen Revolution, dass das Proletariat eine bedeutende Stellung in der Volksmasse einnehmen muss, nicht erfüllt war. Sowohl für China als für Russland galt Lenins berühmter Satz aus seinem politischen Bericht auf dem XI. Parteitag der KPR (B), der 1922 stattfand: „Die Kommunisten sind ein Tropfen im Meer, ein Tropfen im Volksmeer“. (Lenin, Politischer Bericht auf dem XI. Parteritag der KPR (B), in: Lenin, Aisgewählte Werke, Band 2, Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau, 1947,938). Sowohl der Umschlag des revolutionären Schwerpunkts in den Osten als auch seine schwergewichtige Bildung durch das rurale Element greifen aber die Kernsubstanz des Marxismus selbst an, die sehr essentiell auch in der aneinander gebundenen Entwicklung von industrieller und sozialer Revolution besteht. Mit der Entwicklung und Zunahme der modernen Industrie werden die Arbeiterkoalitionen stärker. „Das ist heute so sehr der Fall, daß der Entwicklungsgrad der Koalitionen in einem Lande genau den Rang bezeichnet, den dasselbe in der Hierarchie des Weltmarktes einnimmt. England, wo die Industrie am höchsten entwickelt ist, besitzt die umfangreichsten und bestorganisierten Koalitionen“. 2. Angesichts des Aufbruchs der Völker im Osten war die These in Frage gestellt, dass für das Gelingen einer proletarischen Revolution eine gewisse Höhe der industriellen Produktivkräfte als ausschlaggebend zu werten ist. Nach dem Ausbruch der ungarischen Revolution maß Lenin dieser für das westliche Proletariat eine größere Vorbildfunktion zu als der russischen. Wittfogel bezeichnete 1931 in seinem Werk „Wirtschaft und Gesellschaft Chinas“ Russland und China im Zusammenhang seiner Theorie vom asiatischen Despotismus abwegig als „hydraulische Diktaturen“. Als Diktaturen des Proletariats und der armen Bauern waren sie wirtschaftszentralistisch auf die Punkte sieben, acht und neun des Manifestes der Kommunistischen Partei ausgerichtet, in denen die Revolutionäre u.a. auf die Urbarmachung und Verbesserung der Ländereien nach einem gemeinschaftlichen Plan, auf die Errichtung industrieller Armeen, besonders für den Ackerbau, auf die Vereinigung des Betriebs von Ackerbau und Industrie und auf ein Hinwirken auf die allmähliche Beseitigung des Unterschieds von Stadt und Land 3. vergattert wurden. Der maoistische 'Große Sprung nach vorn' war 1958 der hastige Versuch, den ruralen Charakter der chinesischen Revolution abzustreifen und die Diskrepanz zum klassischen Marxismus zu verringern, wenn nicht gar zu überbrücken, vielleicht nicht zufällig wollte man die englische Stahlproduktion, also die des klassischen Landes des Kapitalismus, bis 1973 mit 40 Millionen Tonnen überboten haben. Der Terminus 'Großer Sprung nach vorn' ist vielleicht nicht nur maoistisch besetzt. Es ließen sich Umstände ins Feld führen, die es erlauben, bereits die Oktoberrevolution im Land des Muschik als einen solchen darzustellen. Diese war nach Lenins eigenen Worten auf dem zehnten Parteitag der KPR (B) ohne Phantasten nicht möglich gewesen. Und wenn nur sechs Jahre nach den Horrorszenarien des schrecklichsten Weltkrieges Stalin als 'Baumeister des Kommunismus' gepriesen wird - Klaus Gestwa spricht von einem „Salto Mortale aus den Ruinen der Nachkriegsgesellschaft in den Kommunismus“. 5., Crutschow zehn Jahre später auf dem 22. Parteitag ankündigt, in Kürze die USA wirtschaftlich zu überholen (dognat' i peregnat'), um ab 1980 im Kommunismus, in dem es nach Majakowski „viel Lieder und Gedichte geben wird“, zu leben – sind diese Überlegungen nicht alle als Sprünge zu fassen, die uns faszinieren, weil sie unter dem Diktat der Dialektik als tief innerliche, ruhelose Bewegung 4. stehen, die wahre Wunder vollbringt ? Der am 9. März 1934 im Dorf Kluschino als Sohn eines Muschiks und einer Melkerin geborene Gagarin machte in der Erforschung des Weltraumes den größten Sprung nach vorn. Schon früh hatte sich in der Sowjetunion, vor allem durch den 1935 verstorbenen Begründer der sowjetischen Astronautik Konstantin Ciolkovskij, eine enge Bindung zwischen Kommunismus und Weltraumeroberung mit einer relativ neuen Raumorientierung eingestellt. Ohnehin scheint der Raum in Rußland eine viel tiefere und ausholendere Intensität zu haben als in Westeuropa, was den faschistischen Raumexperten entgangen war.
Schon der utopische Sozialist Charles Fourier sprach von den „Wunderwerken der Industrie“ und erkannte, dass die sich rasant entwickelnde neuzeitliche Industrie die Elemente des Glücks erzeuge, nicht aber das Glück selbst. Der 24jährige Friedrich Engels rief 1844 begeistert aus: „Die der Menschheit zu Gebote stehende Produktivkraft ist unermeßlich“. 6. Aber die bürgerliche Gesellschaft ist eine sich auf die Ware Arbeitskraft gründende, in der die Menschen gegenüber der Arbeit verschwinden. „Die Zeit ist alles, der Mensch ist nichts mehr, er ist höchstens noch die Verkörperung der Zeit“. 7. Weltgeschichtlich ergab sich aus der auf Westeuropa zentrierten industriellen Revolution mit ihrer Entwertung des arbeitenden Menschen keine von den sozialistischen Klassikern vorhergesagte proletarische Revolution in diesem Raum des Erdteils, sondern im anderen, in einem zwar flächenmäßig großen, aber rückständigen Agrarland. Jede erfolgreiche Revolution, die einen Fortschritt in der Entwicklung der Menschheit beinhaltet, zeitigt nicht nur einen politischen und moralischen Aufschwung des Volkes, sondern auch eine ungeheure Entfaltung der Produktivkräfte, eine Großraumproduktion nebst Zentralisation der Macht, eine Aufhebung der Zersplitterung der Produktivkräfte. Die kommunistische arbeitet auf eine allmähliche Beseitigung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land, der ersten großen Arbeitsteilung, hin als Aufhebung der industriellen Exploitation des Ackerbaus. Im Anti-Dühring spricht Engels vom „Untergang der großen Städte“. 8. In der russischen Räterepublik galt es vor allem, die materielle Grundlage der Großindustrie zu sichern und ein Kernproblem, wenn nicht das Kernproblem der Oktoberrevolution, war die Erhöhung der Arbeitsproduktivität. „Der russische Mensch ist ein schlechter Arbeiter im Vergleich mit den fortgeschrittenen Nationen“. 9. Dieser Satz stammt nicht etwa aus dem Munde eines russischen Kapitalisten, sondern aus der Feder Lenins, der in dieser spezifisch russischen Rückständigkeit das schwierigste Problem der Oktoberrevolution sah, dessen Lösung Jahrzehnte in Anspruch nehmen werde. Eine im Vergleich mit dem Kapitalismus höhere Arbeitsproduktivität war für Lenin das entscheidende Kriterium für die Überlegenheit des Sozialismus, deshalb waren die „Subbotniks“ so eminent wichtig. Dreißig Jahre nach der Oktoberrevolution veröffentlichte die Sowjetregierung in nur zwei Jahren ab Oktober 1948 bis Ende 1950 eine rasante Serie von Großplänen zur Umgestaltung der Natur und der Landschaft, die in der damaligen Welt ohne Beispiel war und die als „Stalinplan der Naturumwandlung“ (Stalinskij plan preobrazovanija pirody) parallel zu den „Stalinschen Großbauten des Kommunismus“ (Stalinskie Velikie Strojki Kommunizma), die durch ein fünf Meere verbindendes Wasserverkehrssystem eine „Elektrifizierung der Lebensweise“ in Aussicht stellten, in die Geschichte einging. Die Partei Lenins arbeitete daran, die materiell-technischen Grundlagen für den Aufbau des Kommunismus zu schaffen. Die Propaganda stellte ihn dar als „den Kampf mit Naturgewalten: Mit den schwarzen Stürmen und den Trockenwinden, mit Sommerglut und Schneestürmen, mit den zerstörenden Frühlingswassern und dem Vormarsch des fliegenden Sandes“. 10. 1938 hatte Stalin in der „Geschichte der der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) Kurzer Lehrgang“ in dem Kapitel über den dialektischen und historischen Materialismus den schlichten Satz zu Papier gebracht: „Die Menschen führen einen Kampf mit der Natur ...“. 11. Das wurde zunehmend programmatisch, zehn Jahre später war der „Kampf mit der Natur“ zu einer alltäglich präsenten Losung geworden, die teilweise in eine martialische Sprache eingepackt wurde („ … gewaltige Zukunftsschlacht gegen die Natur“). Die Mutter Stalins war noch Leibeigene eines Kulaken, die bisher bewusste und größte planmäßige Umgestaltung der Natur und der Landschaft in der Weltgeschichte trug den (Deck-)Namen ihres Sohnes, der ja nach der Geburt zunächst Josef Wissarionowitsch Dschugaschwilli hieß und nach dem Wunsch der Mutter Priester hatte werden sollen. 1951 wurde der Sohn eines Flickschusters auf einem berühmten Plakat als 'großartiger Baumeister des Kommunismus' verherrlicht. Man sprach von Prometheus und vom „Frühling der Menschheit“. Der Blick der Sowjetvölker war der Zukunft zugewandt, und vergessen waren die bitteren Worte Lermontows: „Mit Kümmernis seh' mein Geschlecht ich an ! Was vor ihm liegt – ist dunkel und leer“. Einmal die Arbeit von der Lohndiktatur befreit, so herrscht die Gegenwart über die Vergangenheit. Das Land, das im 19. Jahrhundert das Bollwerk der europäischen Reaktion gewesen war, und das sich bedingt durch den zweiten Weltkrieg fast religiös in die Zeiten Nevskis und Suvorows versenkt hatte, verstand sich im zwanzigsten als Avantgarde der fortschrittlichen Menschheit. Alles schien möglich. Sowohl nach dem ersten als auch nach dem zweiten Weltkrieg können wir in der Kommunistischen Partei Russlands (seit 1922 KPdSU) einen überschäumenden Enthusiasmus verfolgen: Nach dem ersten stand sie durch die „fast spielerisch“ ablaufenden Oktoberrevolution („nur“ sechs Tote) im Bann einer unmittelbaren Sozialismus- und Wohlstandserwartung; nach dem zweiten trotz der Erschöpfung des Landes im Bann einer mit Wohlergehen verbundenen baldigen Umwandlung des Sozialismus in dem Kommunismus. Trotz anfänglicher Verzögerungen (NEP / Wiederaufbau des von der Wehrmacht zerstörten Landes westlich von Moskau, Leningrad und Stalingrad nach der Politik der verbrannten Erde) schienen sich Lenins Worte zunächst zu bewahrheiten, dass nach einer Revolution eine rasche Entwicklung der Produktivkräfte einsetzen wird. In erinnerungskultureller Hinsicht wird der zweite Weltkrieg mit 27 Millionen toten Sowjetbürgern auf die Völker des Ostens immer nachhaltiger einwirken als die Oktoberrevolution mit ihren sechs Toten. Der Krieg hatte noch einmal mit einer Eindringlichkeit ohnegleichen gezeigt, was Marx und Engels am Anfang ihres Manifestes unter 'bisheriger Geschichte' verstanden hatten, jetzt sollte eine Zukunft als Abschied von dieser gestaltet werden. Der Aufbruch zu den Großraumprojekten war auch ein Arbeiten gegen die Erinnerung der von konterrevolutionären Truppen verschuldeten Kriegsgräuel; es war ein Sonnenaufgang nach der schwarzen blutgefüllten Nacht des Krieges, in dem es keinen Strahl der Hoffnung, keinen Strahl in die Zukunft gab, sondern in dem es ausschließlich um das nackte Überleben ging. Jetzt ging es um die Geburt des von den Revolutionären herbeigesehnten 'Neuen Menschen', für den der Weltkrieg in weiter Ferne liegen sollte. 12. Dieser 'Neue Mensch' (tvorec-celovek) war ein Kollektivmensch. Solche großangelegten Projekte wie die beiden Stalinpläne konnte es im Vollzug einer bürgerlichen Revolution nicht geben, die als Revolution der bürgerlichen Gesellschaft primär immer eine politische war und die Bedeutung des Individuums in den Mittelpunkt stellte. Der propagandistisch verkündete Weltbürger (Citoyen) wurde ab 1789 in Wirklichkeit zum Knecht dieses egoistischen Menschen degradiert. Für Saint-Simon war der Liberalismus dekadent. Aus seinem eigenen Selbstverständnis heraus ist der Bourgeois immer Lichtjahre vom Kollektivismus entfernt. Deshalb plapperte Anne Applebaum von einer „Ideologie der Staatssklaverei“ 13. unter Stalin und Klaus Gestwa hatte nichts anderes zu tun, als diese Antiquiertheit eilfertig von ihr zu kompilieren. 14. Es wäre auch politischer Romatizismus, die nach Stalin benannten Pläne noch in irgendeiner Art mit dem alten Kollektivismus der russischen Dorfgemeinde in Verbindung zu bringen, die immer in sich eingekehrt geblieben war und über den Dorfrand nicht hinausschaute. Alexander Herzen konnte die Zukunft Russlands in der Mitte des 19. Jahrhunderts nur im Bauern sehen, mit Lenins im letzten Jahr des Jahrhunderts erschienenen Schrift: „Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland“ wurde angezeigt, dass auch die Entwicklung Russlands einen urban-industriellen Weg einschlagen wird. Und auf diesem liegen die Stalinschen Pläne zur Umgestaltung der Natur und die Großbauten des Kommunismus. Der Anbetung der Natur in der bürgerlichen Aufklärung als Reflex einer noch immer agrarisch dominierten Gesellschaft wurden die Hände zerbrochen. Um den komplexen und atemberaubenden Prozess der Umgestaltung der Natur und der Landschaft zu verfolgen, der auch im Zusammenhang mit der Tatsache zu sehen ist, dass Sibirien als eine der reichsten Bodenschatzkammern der Welt eingeschätzt werden darf, ist es angebracht, mit dem Umgang der Natur unter dem Zarismus zu beginnen, dessen Romanow-Dynastie das Land 300 Jahre gequält hatte.
Es ist also zunächst nach der Umweltpolitik zu fragen, die jahrzehntelang vor der Oktoberrevolution betrieben wurde. Man weiß, wie der Zarismus mit den Naturschätzen Russlands umging. Zum Beispiel führte exzessiver Holzexport und der Holzbedarf beim Ausbau des Eisenbahnschienennetzes zu einer regelrechten Entwaldung weiter Gebiete; die Petersburger Adelsclique beschäftigte sich mit mehr oder minder schöngeistigen Dingen statt mit dem Gedanken der planmäßigen Wiederaufforstung der Kahlschläge. Schon Friedrich Engels hatte 1893 in seiner Schrift “Kann Europa abrüsten?” auf die verheerenden Folgen dieses Raubbaus hingewiesen: Regen- und Schneewasser wurde nicht aufgesogen, Bäche und Ströme schwollen an zu Überschwemmungen. Im Sommer aber sank die Bodenfeuchtigkeit, so dass sie für die Wurzeln der Getreidehalme unerreichbar wurden. Hungersnöte in weiten Gebieten waren die Folge, erinnert sei nur an das sogenannte “böse Jahr” 1891, in dem der Viehbestand der Bauern rapide abnahm. 15. Auch August Bebel wies in seinem Buch „Die Frau und der Sozialismus“ auf den Einfluss des Waldes auf die Feuchtigkeitsentwicklung der Region hin. In dem Buch von Parvus und Dr. Lehmann „Das hungernde Russland“ wird festgestellt, dass die Missernten ganz wesentlich mit den maßlosen Waldausrodungen zusammenhängen. Im Regierungsbezirk Stawropol verschwanden mit der Zeit fünf kleine Flüsse und sechs Seen, im Regierungsbezirk Busuluk vier Flüsschen und vier Seen, im Regierungsbezirk Samara sechs kleine Flüsse und im Regierungsbezirk Buguruslaw zwei kleine Flüsse. Dörfer hatten fließendes Wasser verloren und in manchen Regionen stieß man erst nach sechzig Meter Bohrung auf Wasser. Infolgedessen wurde der Ackerboden hart und war mit Rissen durchzogen. Mit dem Fällen der Wälder versiegten allmählich die Quellen und verminderten sich die Regen. 16. “Zerschluchtung und Abschwemmung des fruchtbaren Schwarzerdebodens, Flugsandbildung, Senkung des Grundwasserspiegels führten zur Zerstörung der traditionell fruchtbaren Gebiete im Südwesten … zu periodisch wiederkehrenden Dürren, Mißernten und damit Hungersnöten. Der Vormarsch der Steppe schien unaufhaltsam.” 17. Durch die fehlenden Waldgebiete konnten die trockenen Winterwinde (suchovej) aus Sibirien ungehindert die schützende Schneedecke der Wintersaat wegfegen, so dass die Durchtränkung der Erde durch das Schmelzwasser im Frühjahr ausblieb. Im Sommer waren die Felder gegen die heißen, aus den Steppen Mittelasiens kommenden Ostwinde ohne Schutz. Versäumnisse, die indes nicht auf Russland zu beschränken sind. Die Italiener der Alpen zum Beispiel vernutzten die Tannenwälder und zerstörten dadurch ihre Sennwirtschaft, um nur eins von vielen Beispielen zu nennen.
Schon vor 1917 hatte Dokutschajew (1846 bis 1903) Experimente mit Waldschutzstreifen unternommen. Aber erst die Sowjetmacht gab seine Schriften neu heraus und setzte seine Pläne in die Praxis um. “Mit der Anlage der Waldschutzstreifen wurde eine Waffe geschaffen, um die Heftigkeit der Winde zu brechen, wurde ein riesiges natürliches Wasserreservoir angelegt, das einerseits den zerstörerischen Abfluß plötzlicher Regengüsse verhinderte, andererseits als ausgleichender Wasserspeicher fungierte.” 18. Auf Feldern, die der Wald schützte, konnte schon bald eine Ernte erzielt werden, die drei - bis viermal höher war als auf Fluren ohne Schutzstreifen. Im Jahr 1949 wurden allein 70 000 Spezialisten für Waldanpflanzungen ausgebildet. Neben der Entwaldung war die zunehmende Versteppung und systematische Verschlechterung des Bodens eine Erblast des Zarismus. Der Boden war besonders durch Staubstürme und Zerschluchtung (Ovragi) gefährdet. Seit Liebig glaubte man, dass sinkende Bodenfruchtbarkeit allein auf den Entzug mineralischer Substanzen zurückzuführen sei. Auch ein Wechsel der Frucht halte die Abnahme der Fruchtbarkeit nicht auf. Der Moskauer Agarwissenschaftler W. Wiljams stellte diese überlieferte Behauptung einer Autorität in Frage. Er fand heraus, dass die Bodenbildung nicht nur das Produkt eines geografisch-klimatischen Prozesses ist, sondern auch von der Evolution und Tätigkeit lebender Organismen, besonders Pflanzen, abhängt. Er entwickelte das “Grasfeldersystem” (travopolnaja sistema), bei dem die allgemeine Fruchtfolge durch die Aussaat mehrjähriger Gräser unterbrochen wurde. Deren biologisches Verhalten und Wurzelsystem förderte die Humusbildung und hielt die Versteppung auf. 19. Sind diese Erfolge bei der Bodenmelioration auf Spezialisten wie Dokutschajew und Willjams allein zurückzuführen ? Schon Descartes hatte durch das Heraufkommen der neuzeitlichen Naturwissenschaften eine Zukunft erblickt, in der die Bauern bessere Wissenschaftler und Philosophen abgeben werden als die Scholastiker der Akademie. Unter der Diktatur der Arbeiterklasse hatte sich ein vertrauensvolles Zusammenwirken von Bauern und Spezialisten herausgebildet; der gigantische Reichtum der bäuerlichen Naturbeobachtung und wissenschaftliche Fachkenntnisse befruchteten sich wechselseitig. Die reichen Erfahrungen der Bauernmassen wurden wissenschaftlich zusammengefasst.
Der Große-Stalin-Plan zur Umgestaltung der Natur wurde vom Ministerrat der UdSSR am 28.10. 1948 angenommen. Der Plan sah die Anlage von Waldschutzpflanzungen, die Verankerung des Fruchtfolgesystems, die Anlage von Teichen und Kanälen zur Sicherung höherer und stabiler Ernten in den Steppen- und Waldsteppengebieten des europäischen Teils der UdSSR vor. Das war ein Gebiet von 160 Millionen Hektar. Der Stalin-Plan wurde anfangs in die Tat umgesetzt. 20. Die staatlichen Schutzwaldgürtel zogen sich in einer achtfachen Staffelung in einer Gesamtlänge von 5 320 Kilometer und auf einer Gesamtfläche von 4,2 Millionen Hektar zwischen Ural und Kaspisenke hin. Gestwa spricht von einer „offenen Flanke“ zwischen dem Uralgebirge und dem Kaspischen Meer. 21. In der „New York Times“ erschien am 4. Oktober 1950 ein Artikel mit der Überschrift „Return to Gigantomania“. Über 40 000 Stauseen und Teiche waren laut Plan in einem einmaligen Irrigationssystem, das eine Fläche von 28 Millionen Hektar bewässern sollte, anzulegen. Die Wolga wurde zu einem See von 600 Kilometer Länge und 33 Kilometer Breite aufgestaut. Bis 1952 war ein Drittel des Waldaufforstungsplans erfüllt, am 31.5.1952 wurde der Wolga-Don-Kanal eröffnet. Von den Sowjetbürgern konnte das Minderwertigkeitsgefühl der Rückständigkeit endlich abfallen. Heute kann die anglo-amerikanische Forschung zugeben, dass die Zeit Stalins keineswegs eine der exzessiven Naturausbeutung ohne Rücksicht auf umweltschädliche Folgen war. Stalin unterstützte die Waldschutzbehörden, die nach seinem Tod rapide an Bedeutung und Einfluss verloren. Stephen Brain spricht heute davon, dass der Umweltschutz in der Sowjetunion unter Stalin ein Niveau erreicht hatte, dem weltweit nicht beizukommen war. 22. In seiner Habilitation „Die Stalinschen Großbauten des Kommunismus“ stellt Klaus Gestwa es genau entgegengesetzt dar: „Nach dem Tod Stalins wuchs das gesellschaftliche und politische Interesse an Umweltfragen. Die Tauwetterperiode markierte den Beginn der endlosen umweltpolitischen Versuche, das Unheilbare zu heilen“. 23. Er hebt Crutschov hervor, durch dessen Liberalisierung die Stalinsche Brutalität im Umgang mit der Natur beendet worden sei. Sicherlich wurden bei der Ausführung der Stalinschen Großpläne auch Fehler begangen, solche Projekte können nicht fehlerfrei realisiert werden; aber darf man deswegen in eine Schwarz-Weiß-Schablone fallen, in eine Schablone, der sich noch Gorbatschow auf dem 28. Parteitag bediente, um die ökologische Fehlentwicklung in der Sowjetunion allein der Periode zuzuschieben, in der Stalin seine letzten Lebensjahre verbrachte ? Immerhin wurde nur fünf Tage nach Stalins Tod das Ministerium für Forstwirtschaft aufgelöst. War das kein Fehler ? 24. Vielleicht lag ein Fehler darin, den naturwissenschaftlich-technischen Fortschritt mit Fortschritt schlechthin gleichzusetzen, um in einer eventuell unangebrachten Konkurrenz zu den USA als wahres „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ dazustehen? Durch Lenins Überlegung im 'Streitbaren Materialismus' aus dem Jahr 1922, dass ein Bündnis der Kommunisten mit den modernen Naturwissenschaftlern wichtiger sei als eines mit den konsequenten Materialisten, war die Gefahr eines monologischen Fortschrittsbegriffes gegeben. So ist es dann gekommen: Das beste atheistische Argument besteht in der Eroberung und Erforschung des Weltraumes und seiner Unterwerfung unter wissenschaftlichen Zwecken. Gott ist nicht wie das Alizarin aufzufinden.
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