Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ansätze und ihr Zugang zum Medium BILD-Zeitung und dessen Leser
2.1 Kritischer Ansatz - Die BILD-Zeitung als Gefahr für den Leser
2.1.1 Der Forschungsansatz der kritischen Theorie in Kürze
2.1.2 Enzensberger - Der Triumph der BILD-Zeitung oder die Katastrophe der Pressefreiheit
2.2 Uses- and Gratifications Ansatz - Individueller Nutzen der BILD-Zeitung ..
2.2.1 Der Forschungsansatz beim Uses- and Gratifications- Modell
2.2.2 Habicht - „Die sprechen den Leuten aus der Seele“ Motive für die Nutzung der BILD-Zeitung
2.3 Der Cultural Studies Ansatz
2.3.1 Der Forschungsansatz der Cultural Studies
2.3.2 Brichta - Die BILD-Zeitung aus Sicht ihrer Leserinnen und Leser
2.4 Unterschiede der verschiedenen Ansätze, die beim Vergleich der Studien deutlich werden
3. Fazit
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Große plakative Überschriften, viele Bilder, Emotionen, Skandale, dafür steht die BILD- Zeitung heutzutage. „BILD“ ist damit zu einem Synonym für die Boulevardberichterstattung in Deutschland geworden. Mit einer verkauften Auflage von etwa 2,7 Millionen Exemplaren täg- lich erreicht die BILD-Zeitung eine Leserschaft aus allen gesellschaftlichen Schichten in Deutschland (vgl. ma 2012, Presse II, IVW III. Quartal 2012). Mit ca. 13,31 Millionen Lesern täglich (ma 2012, Presse II) erreicht sie auch heute noch den Status eines Leitmediums und ist damit ein bedeutender „Meinungsmacher“. Doch während die BILD-Zeitung einerseits das auflagenstärkste Printmedium in Deutschland ist, ist sie andererseits auch das am häufigsten kritisierte. Diese Kritik besteht vor allem innerhalb von Studien und Theorien zur Aneignung populärer Medieninhalte und deren Leserschaft. Im wissenschaftlichen Diskurs der Rezepti- onsforschung gibt es sehr unterschiedliche Ansätze, die mit der großen Reichweite der BILD, ihrer journalistischen Vorgehensweise und vor allem ihrem Inhalt und ihrer Leserschaft ver- schieden umgehen.
Unter der Leitfrage: „Wie setzen sich verschiedene rezeptionstheoretische Perspektiven mit der Rolle der Leserschaft der BILD-Zeitung auseinander?“ sollen drei verschiedene Heran- gehensweisen der Rezeptionsforschung beleuchtet werden. Chronologisch kommt dabei die kritische Perspektive der Frankfurter Schule zuerst. Später wird dann auf den Uses-and- Gratifications-Ansatz und die Cultural Studies eingegangen. Da kein holistisches Bild dieser Erklärungsansätze verfolgt werden kann, werden vier wichtige Kriterien bei allen drei Ansät- zen hervorgehoben. Als erstes Kriterium ist die Definition von „Gesellschaft“ zu nennen, die als Ansatz allen Studien zugrunde liegt. Zweites Kriterium ist der Gegenstandsbereich, den sich die jeweilige Disziplin als Thema ihrer Forschung ausgesucht hat. Als drittes wird die Methodik, mit der sie an diesen Gegenstandsbereich herangeht untersucht und als viertes und grundlegendes Kriterium dieser Arbeit die Sichtweise auf Rezeption, die ausschlagge- bend für die Beantwortung der Frage in Bezug auf die Leserschaft und die Leser-Text- Beziehung ist. Damit werden die unterschiedlichen Herangehensweisen an den Untersu- chungsgegenstand „BILD“ und ihrer Leser vergleichbar. Exemplarisch wird jeweils eine Stu- die eines Forschers dargestellt, die dem Ansatz zugeordnet werden kann. Diese Studien beschäftigen sich jeweils mit ähnlichen Fragestellungen zur BILD-Zeitung. An ihnen zeigt sich die wichtige Rolle der Perspektive in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Populär- und Massenkultur.
Während bei den theoretischen Grundlagen der einzelnen Ansätze die bedeutenden Namen des jeweiligen Paradigma auftauchen werden, sind die exemplarischen Studien meist von weniger bekannten Forschern des jeweiligen Gebiets. Für die kritische Perspektive werden Theodor W. Adorno und Enzensberger herangezogen. Für die Theorie des Uses-and Gratifi- cations-Approach sind vor allem Meyen und Jäckel wichtig, die zwar nicht dem Ansatz an sich zuzuordnen sind, ihn jedoch beschreiben und in den Gesamtdiskurs einordnen. Dorothea Habicht wendet den Nutzen- und Belohnungsansatz in ihrer Studie auf die Leserschaft der BILD-Zeitung an. Die Cultural Studies werden in ihrem theoretischen Vorgehen anhand verschiedenster Forscher erläutert, da der Ansatz sehr viel heterogener als die vorherigen ist. Raymond Williams, John Fiske und Stuart Hall sollen die Theorien näherbringen, die Mascha Brichtas Studie zu Grunde liegt.
Die Analyse der Studien baut trotz unterschiedlicher Quellengrundlage auf der vorherigen Theoriebeschreibung auf. Auch hier wird ein besonderer Fokus auf die Perspektive des An- satzes sowie auf den Rezeptionsprozess und vor allem auf das Verhältnis zwischen Leser und Text gelegt. Des Weiteren werden der Aufbau der Studien und die Analyse vor dem Hin- tergrund der vorangestellten theoretischen Grundlage erläutert und hinsichtlich des theoreti- schen Ansatzes analysiert. Der Gliederungspunkt 2.4 nimmt einen Vergleich der drei vorge- stellten Studien hinsichtlich der Perspektive auf die Leserschaft und der Rolle der BILD- Zeitung vor dem Hintergrund der drei rezeptionstheoretischen Ansätze vor. Das abschlie- ßende Fazit fasst die Ergebnisse zusammen und soll einen kurzen Ausblick auf die Entwick- lung der Rezeptionsforschung am Beispiel der BILD-Zeitung geben. Das stets propagierte und in allen Studien auftauchende negative Image der BILD-Zeitung wird ebenfalls innerhalb des Fazits thematisiert.
2. Ansätze und ihr Zugang zum Medium Bild-Zeitung und seinen Lesern
Im Folgenden sollen drei verschiedene Standpunkte näher untersucht werden. Diese stehen keinesfalls allein in der medien- und kommunikationswissenschaftlichen Rezeptionsfor- schung. Neben ihnen gibt es weitere Ansätze, wie beispielsweise den dynamisch- transaktionalen Ansatz (vgl. Jäckel, 2008: 83f.), die hier nicht näher beleuchtet werden. Ge- nerell können die unterschiedlichen Ansätze nach ihrer Medien- oder Publikumszentrierung unterschieden werden (vgl. Jäckel, 2008: 88). Zudem weisen sie Unterschiede in Bezug auf ihr Rezipientenbild auf, das zwischen passivem Empfänger von Medienbotschaften und akti- vem Mediennutzer variiert. Die ausgewählten Beispiele zeigen dabei sehr unterschiedliche Ausprägungen des Umgangs mit Medien und ihren Rezipienten. Zudem verdeutlichen sie die Entwicklung von der Fragestellung „Was machen die Medien mit den Menschen?“ hin zu „Was machen die Menschen mit den Medien?“ (vgl. Jäckel, 2008: 79).
„Kritische Theorie“, Uses- and- Gratifications Approach und die Cultural Studies werden an- hand von Grundlagentexten vorgestellt. Um die Unterschiede zwischen den ausgewählten Ansätzen zu verdeutlichen, werden Meinungsverschiedenheiten unter den Autoren nicht wei- ter erläutert. Ziel ist es vielmehr, die theoretische Grundlage der exemplarischen Studien darzulegen, die Sicht auf den Rezipienten näherzubringen und eine Basis für die Erläuterung der nachfolgenden Studien zu schaffen.
2.1 Kritischer Ansatz - Die BILD-Zeitung als Gefahr für den Leser
Der kritische Ansatz geht in seinen Ursprüngen vor allem auf das Werk „Dialektik der Aufklärung“ von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer zurück (vgl. Dubiel, 1988: 12). Die hier postulierte Theorie der Kulturindustrie ist keinesfalls eine reine Medientheorie (vgl. Gebur, 2002: 402), sondern kritisiert vielmehr die kapitalistische Gesellschaft an sich und die damit einhergehende Massenkultur (vgl. Adorno, 1999: 202). Eingehend auf Medien, fasst der Begriff der kritischen Theorie im medien-und kommunikationswissenschaftlichen Diskurs vor allem konkrete Medientheorien zusammen, die auf den Annahmen der Frankfurter Schule aufbauen. Solche konkreten Ansätze wurden auf verschiedene Kulturgüter, beispielsweise auf Printmedien wie die BILD-Zeitung angewendet.
Adorno selbst verfasste 1963 noch ein „Résumé über Kulturindustrie“, in dem er den Gedan- ken der Kulturindustrie wieder aufgreift und aufgrund der Entwicklung noch einmal bekräftigt. Die „Kritische Theorie“ umfasst noch weitere Denker. Adorno soll jedoch schwerpunktmäßig thematisiert werden, da das Konzept der Kulturindustrie das bekannteste, prägendste und am weitesten verbreitete ist. Auch andere Theorien der Massengesellschaft von Comte, Spencer, Durkheimer und weiteren Soziologen bauen teilweise auf vergleichbare Modelle auf und kommen somit auf gleichartige Wirkungszusammenhänge (vgl. Burkart 2002: 194).
2.1.1 Der Forschungsansatz der kritischen Theorie in Kürze
Zur Kulturindustrie zählt Adorno die „auf den Status von Gütern heruntergebrachte Kultur, die Kulturgüter, die als Rohstoff von Produktionsapparaten vernutzt werden, die Verteilungs- agenturen der Kulturwaren, den Kulturmarkt und den Kulturkonsum“ (Gebur, 2002: 405). Auch die BILD-Zeitung ist nach seiner Definition somit eines dieser Kulturgüter. Die Termino- logien, die Adorno und seine Mitstreiter verwenden, sind dabei ein wichtiger Bestandteil des Gesellschaftsbildes, das die „Kritische Theorie“ zeichnet. Kulturindustrie, Kulturgüter und weitere Begrifflichkeiten lassen zudem eine erste Einordnung zum Marxismus zu (vgl. Neit- zel, 1999: 198). Adorno ging von der „Industrialisierung der kulturellen Produktion“ aus. Dar- aus folgt auch eine Standardisierung der Güter, die wiederum sich auf die Bevölkerung in schwindendem Individualismus auswirkt (vgl. Müller-Doohm, 1999: 62). So erklärt sich auch die „Homogenitätsannahme“ (Jäckel, 2008: 90) gegenüber der Gesellschaft.
Das Gesellschaftsbild der „Kritischen Theorie“ ist zudem geprägt durch den Vorwurf der Ma- nipulation (vgl. Adorno, 1999: 204). Die Masse ist nicht „Subjekt, sondern […] Objekt“ (ebd.: 202) der Kulturindustrie. „Manipulation und Beeinflussung“ (Jäckel 2008: 88) der Masse durch die Kulturindustrie ist der Fokus der Kritischen Theorie. Die Kulturindustrie befriedigt die Bedürfnisse der Massen. Das Publikum lässt sich willenlos von dem Angebot der Medi- en- und Kulturindustrie bedienen. Es wird versucht die kritische Theorie über Inhaltsanalysen zu erschließen. Hier ist schon die Medienzentrierung des Ansatzes zu sehen. Er beschränkt sich auf die Analyse der Medieninhalte und lässt den Rezipienten außen vor. Damit stellt sich die Kritische Theorie in die Tradition von Stimulus-Response Modellen (vgl. Bonfadelli, 2004: 29). Die These der daraus resultierenden Medienallmacht (vgl. Burkart, 2002: 195) kam im Kontext der Propagandanutzung im Ersten- und Zweiten Weltkrieg auf (vgl. Bonfa- delli, 2004: 28).
Die aus den Annahmen einer solchen „kausalistischen Wirkungstheorie“ (Jäckel, 2008: 83) hervorgehende Sichtweise auf die Rezeption und die Leser-Text Beziehung ist sehr ideolo- giekritisch (vgl. Müller-Dohm, 2008: 51). Das Individuum wird auf die Konsumentenrolle re- duziert und es wird von einem passiven Konsumenten ausgegangen, der fast wehrlos den Effekten der Medien ausgesetzt ist (vgl. Jäckel, 2008: 78). Massenkommunikation ist somit ein „einseitiger linearer Prozess, der gradlinig vom Kommunikator über Aussage und Medium zum Rezipienten verläuft“ (ebd.: 75). Die von der Kulturindustrie propagierte Vielfalt ist eine Täuschung und die „Reproduktion des Immergleichen“ (Adorno, 1999: 156) soll das Publi- kum nach dem Prinzip der Wiederholung nicht überfordern. Die ausgesendete Medienbot- schaft wird nach diesem Modell von jedem Empfänger in der gleichen Weise verarbeitet (vgl. Burkart, 2002: 195).
2.1.2 Enzensberger - Der Triumph der Bild-Zeitung oder die Katastrophe der Pressefreiheit
An dieser Stelle wird es nicht möglich sein, das gesamte medienkritische Werk Enzensbergers vorzustellen. Jedoch sollen einige einleitende Worte zu Enzensbergers Begriff der Bewusstseinsindustrie erläutert und diese vor dem Hintergrund der kritischen Theorie erklärt werden. Der vorgestellte Aufsatz stellt im engeren Sinne keine Studie innerhalb des Ansatzes der „Kritischen Theorie“ dar und lässt sich selbst als Medientheorie der siebziger und achtziger Jahre in Deutschland begreifen.
Enzensberger knüpft an die „Kritische Theorie“ der Frankfurter Schule an und entwickelt den durch Adorno und Horkheimer geprägten Begriff der Kulturindustrie weiter - hin zu einer von den Massenmedien hervorgerufenen „Bewusstseinsindustrie“ (vgl. Enzensberger, 1997: 113). Dieser Begriff ist dialektisch geprägt und steht einerseits für befreiende, andererseits für einschränkende Elemente (vgl. Bonfadelli, 2004: 12). Elektronische Medien übernehmen zwar immer mehr Kontroll- und Steuerungsaufgaben, jedoch „mobilisieren“ (Enzensberger, 1997: 98) sie in gleicher Weise die Gesellschaft. Enzensberger schreibt den Medien somit eine weitreichendere und positivere Rolle zu, als es Adorno und Horkheimer getan haben. Medien werden von Enzensberger als Bestandteil der Gesellschaft vorausgesetzt und die „Bewußtseinsindustrie [wird] zum Schrittmacher der sozio-ökonomischen Entwicklung spät- industrieller Gesellschaften“ (Enzensberger, 1989: 153). Enzensberger bezieht damit den Gebrauch und die Rezeption von Medien und die Bedürfnisse der Menschen nach Kurzweil in seine Überlegungen mit ein und betrachtet ebenfalls dessen kulturelle und soziale Auswir- kungen auf die Gesellschaft (vgl. Leschke, 2003: 17). Er kritisiert dabei nicht primär den po- pulären Inhalt der BILD-Zeitung, sondern die politische Verantwortung und Macht, die die „BILD“ hat.
Die durch Manipulation der Medien geprägte Gesellschaft lässt sich bei Enzensberger nicht manipulieren, sondern manipuliert den Inhalt des Mediums selbst (vgl. Glotz, 1989: 168). Demzufolge kritisiert Enzensberger im Sinne des kritischen Ansatzes die kapitalistische Ge- sellschaft und die damit einhergehende Massenkultur. Die Masse ist weitaus aktiver, als es in Adornos und Horkheimers gesellschaftskritischen Bild der Fall ist und Medien sind nicht nur „Konsumtionsmittel“ (Enzensberger, 1989: 108), sondern gleichzeitig auch Produktions- mittel. In der Sicht Enzensbergers stellt sich nicht die Frage „Was machen Medien mit Men- schen“, sondern was „die Menschen mit Medien machen“ (vgl. Glotz, 1997: 164). Dabei lässt sich in der Auffassung Enzensbergers beispielsweise die Leserschaft der BILD-Zeitung ab- sichtlich manipulieren, um die eigenen Bedürfnisse nach Skandalen, Klatsch und Kurzweil zu befriedigen. Im Vergleich der beiden Theorien ist hier vor allem der weitaus positivere Ansatz gegenüber Medien und Medientechnik erkennbar, der damit auch die Perspektive der Medi- en- und Publikumsforschung verändert hat. Doch verfolgt Enzensberger in seiner Medien- theorie ebenfalls die schon bereits erläuterte „Homogenitätsannahme“ (Jäckel, 2008: 90) der Gesellschaft. Die „heutige Industriegesellschaft“ (Enzensberger, 1989: 47) scheint ihm genau wie der „Kritischen Theorie“, als homogen und bedrohlich (vgl. ebd.: 47). Er erkennt zwar das Populäre als logischen Ausdruck der Gesellschaft an, jedoch berücksichtigt seine Medien- theorie nicht, wie beispielsweise die Theorie der Cultural Studies ein differenziertes, in die alltägliche Handlungspraxis der Menschen eingebettetes Rezeptionsmodell (vgl. ebd.:144).
In seinem Aufsatz „Der Triumph der Bild-Zeitung oder die Katastrophe der Pressefreiheit“ kritisiert Enzensberger die Massenmedien, besonders jedoch die Berichterstattung der BILDZeitung und die dadurch einhergehende „Bewusstlosigkeit der deutschen Gesellschaft“ (ebd.: 78). Dabei beschränkt er sich im Sinne der Kulturindustrie Adornos lediglich auf die Inhalte des Medientextes, die von jedem Rezipienten im Sinne des Stimulus-Response- Modells identisch rezipiert werden (vgl. Bonfadelli, 2004: 29). Die Medienkritik Enzensbergers bleibt jedoch eine inhaltszentrierte (vgl. Enzensberger, 1997: 99).
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