Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Barbarossa- Sage
3. Analyse der äußeren Form
4. Inhaltliche Interpretation
4.1 Die „konventionelle“ Strophe
4.2 Die „unkonventionelle“ Strophe
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Neuere Ballade infolge älterer Sage
Tief im Schoße des Kyffhäuser,
bei der Ampel hellem Schein,
sitzt der Kaiser Barbarossa
an dem Tisch, der ganz aus Stein.
So soll es sein: Schwarzgefiedertes Geflatter
um den Berg und kreischend, rufend,
komm, errette Deutschland:
so soll es sein; Daß er erscheint
schwertgegürtet, hoch zu Roß, heraus ans Licht
und alle Widersprüche gordischer
Natur
mit einem Schlage löst, er, Schlagetot:
so soll es sein.
Tief im Schoße des Kyffhäuser,
bei der Ampel fahlem Schein,
reglos Kaiser Barbarossa:
mürbes lauerndes Gebein.
Währen ausgestopft nicht alle Raben,
Heimat und Natur verkündend, hinter Glas ergraut,
gläsern ihre treuen Augen;
wären
in den Lüften Schwingen nicht aus Leichtmetall,
beidseits mit Raketen schwer bestückt,
teure Bälge nicht Piloten, Material
anthropologes,
gewaschen täglich außen, innen: Gehirn und
Genital, es wäre möglich, sie
weckten ihn.
Tief im Schoße des Kyffhäuser,
ohne Ampel, ohne Schein,
wartet Kaiser Barbarossa
außerhalb von Zeit und Sein.
Als Ende ein Verkehrsunfall an einer
Kreuzzugs- Kreuzung: vom Pferderücken in die Furt:
Nichtschwimmer und Hohenstaufe in Personalunion,
ins Ferne schweifend, um der Größe
des heiligen Reichs der Deutschen willen:
Deutsche Größe, Gral, geortet geographisch
stets im Ausland. So schweif ein wenig
nach Ravenna , nach Verdun, nach Stalingrad,
El Alamein und Narvik, und finde, heimgekehrt,
falls überhaupt,
einbeinig alle Wege amputiert, sich augenlos
verengte Grenzen: geschrumpfter Flecken
stolzen Schorfs am Globus.
Dort am Schoße des Kyffhäuser
ist die Grenze schon ganz nah:
Als wär Deutschland nie gewesen,
nur ein Kaiser ist noch da.
Am lebenden Objekt belehrter Schüler:
Der gute Deutsche ist
ein ausgestopfter: Tiefsinniger Relikt
leichtsinniger Geschichte (eigener),
fliegt, siegt und fällt,
lässt Haare, lässt Federn, legt Hand an andere,
Hand an sich, an der Hosennähte Spektrum,
gehorsam an die zementne Schläfe:
Zu Befehl! und so heiße
sein Befehl denn: Ein schlechter guter Deutscher sei,
nicht ehern, sondern eher
und besser gleich
übrigen, die ihr Geschick betreiben
um keines Kaisers Bart, in keines Namen
als ihrem eigenen.
Tief in Höhlen des Kyffhäuser
lebt nur noch als Schimmelpilz
eine alte deutsche Sage:
die betrogne Hoffnung wills.
1. Einleitung
Die folgende Ausarbeitung beschäftigt sich mit der „Neueren Ballade infolge älterer Sage“ von Günter Kunert. Sie entstand während eines Harz-Aufenthaltes Kunerts 1967. Wie viele andere Stücke dieses Autors, hat auch diese Ballade einen politischen Hintergrund. Die Affinität Kunerts zu solchen Themen, liegt wohl zum Teil darin begründet, dass der 1929 als Sohn einer Jüdin in Berlin geborene Schriftsteller in seiner Jugend sehr durch die Verfolgung und Diskriminierung der NSDAP geprägt wurde. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges lebte und arbeitete Kunert in der ehemaligen DDR, bis er 1979 aufgrund von Diskrepanzen mit dem sozialistischen System gemeinsam mit seiner Frau nach West- Deutschland auswanderte.
Im Folgenden werde ich einen Versuch der Interpretation dieser Ballade unternehmen. Hierzu ist es zunächst notwendig die Barbarossa-Sage, die in dieser Ballade mit einfließt, zu erläutern. Im zweiten Schritt werde ich die Ballade auf ihre äußere Form hin analysieren, um dann im dritten teil meiner Hausarbeit auf die inhaltliche Interpretation einzugehen.
Mit einer kurzen kritischen Betrachtung des Werkes Kunerts, werde ich diese Ausarbeitung beenden.
2. Die Barbarossa- Sage
Die Barbarossa-Sage (barbarossa = Rotbart) entstand ursprünglich um Kaiser Friedrich den II, wurde aber erstmals im „Volksbuch von Friedrich Barbarossa“ (1519) auf Kaiser Friedrich I übertragen. Dieser galt unter seinen Zeitgenossen, und teilweise noch bis in die Gegenwart hinein, als der „Erneuerer des Reiches“ und die „Verkörperung ritterlicher Ideale“.[1] Er legte den Streit zwischen Welfen und Staufen (von deren Geschlecht er selbst war) bei, und versuchte die Herrschaft Italiens zu erlangen. Auf einem Kreuzzug ertrank Friedrich I, im Alter von 68 Jahren, beim Baden in dem türkischen Fluss Saleph (heute Gösku). Kaiser Friedrich I brachte sein Vorhaben, die Größe des römischen Reichs wieder herzustellen, also nie zu Ende. Trotzdem wurden in Deutschland große Hoffnungen in diesen Kaiser gelegt, und so kam es schließlich zu der Übertragung des Barbarossa-Mythos auf Friedrich I.
Die Barbarossa-Sage (oder auch Kaiser-, bzw. Kyffhäuser-Sage genannt) existiert in mehreren Versionen, bei denen sowohl die Helden, als auch die Schauplätze variieren. Eine Version der Sage die um Kaiser Friedrich I gesponnen wurde erzählt vom schlafenden Barbarossa, der an einem Marmortisch, auf einem Marmorthron im Kyffhäuser-Berg sitzt. Alle 100 Jahre erwacht er und schickt seinen Diener, den Zwerg Alberich, an die Oberfläche, um nachzusehen ob die Raben noch um den Berg kreisen und kreischen. Ist dies der Fall, fällt der Kaiser weitere hundert Jahre in tiefen Schlaf. Erst wenn der Bart des Kaisers ganz um den marmornen Tisch herumgewachsen ist, schwingt sich ein stolzer Adler in die Lüfte und vertreibt alle Raben. Dann erwacht der Kaiser und kehrt zurück, um Deutschland zu alter Größe zu verhelfen.
[...]
[1] Der Brockhaus. Multimedial 2003 premium (CD-Rom)