Huntingtons 'Clash of civilisations' und die USA nach dem 11. September

Werk-Kritik - Rezeption - Gegenposition


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2003

23 Pages, Note: 1-


Extrait


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Huntingtons „Clash“-These und Kulturkonzept im Blickpunkt
1.1 Hauptthesen des Werkes.
1.2 Kritik
1.2.1 Huntingtons Kulturkonzept
1.2.2 Kritik der „Clash“–Konzeption
1.2.3 Huntington und der Terrorismus – ein Gegenentwurf

2. Rezeption Huntingtons in den USA nach dem 11.September
2.1 Clash of Civilizations
2.2 Hegemonie der USA
2.3 Westliche Werte (Universalität?)
2.4 Manichäisches Weltbild
2.5 Islam – Islamismus – Terrorismus
2.6 Rezeptionsfazit

3. Inter-oder intrakultureller Clash? Für eine Kulturtheorie der Konvergenz

0. Einleitung

Der 11. September wurde oft als Bruch in der Geschichte und als Bestätigung für die Thesen Samuel Huntingtons vom „Clash of Civilizations“ gesehen. Diese Arbeit widmet sich der Frage, wie Huntington im post-9/11- und prae-Irak-Kriegs-Amerika rezipiert wurde und ob Huntingtons Theorie auf den 11. September, den sogenannten „islamischen Terrorismus“ und die darauffolgenden Ereignisse (zum Beispiel den Irak-Krieg) überhaupt zutrifft beziehungsweise wie ein Gegenentwurf aussehen könnte.

Zu diesem Zweck erfolgt in einem ersten Schritt ein kurzes Resümee der Thesen Huntingtons sowie eine Analyse und Kritik seines Kulturkonzeptes.

Der zweite Teil der Untersuchung ist der Analyse der Rezeption Huntingtons in der amerikanischen Öffentlichkeit und bei den amerikanischen Regierungsvertretern nach dem 11. September gewidmet. Dabei soll die Frage beantwortet werden, inwiefern sich die Rhetorik beziehungsweise das Kulturkonzept Huntingtons in der Erklärung der amerikanischen Intellektuellen und bei Bush und seinen Beratern findet. Eine einschlägige Untersuchung zu diesem Thema liegt bisher meines Wissens nicht vor. Ich habe mich als Quellen zum einen auf das Manifest der 60 Intellektuellen „What we are fighting for“ vom 12.02.02,[1] dessen Mitunterzeichner Huntington ist, zum anderen auf Reden des Präsidenten und seiner Chefberater Wolfowitz (Vizeverteidigungsminister) und Rice (Nationale Sicherheitsberaterin) vom 10. 11.01 bis September 2003 bezogen.

Im dritten Teil der Arbeit werde ich eine Gegenposition zu Huntington entwerfen, deren Hauptargument eine Konvergenz statt einer Divergenz beziehungsweise eines „Clash“ der Kulturen sein wird.

Als Hintergrundliteratur und Ausgangsbasis der gesamten Untersuchung dienten neben Huntington selbst unter anderem Werke von Senghaas, Riesbrodt und Bassam Tibi und daneben vor allem Internet -und deutsche Zeitschriftenliteratur (unter anderem alle relevanten Zeit- und Spiegelartikel nach dem 11.9.01).

1. Huntingtons „Clash“-These und Kulturkonzept im Blickpunkt

1.1 Hauptthesen des Werkes

Huntingtons zentrale Aussage besteht in der Behauptung, die zukünftigen globalen Auseinandersetzung würden nicht mehr ideologischer und primär ökonomischer, sondern kultureller Natur sein. Der Zusammenprall von Zivilisationen werde die Weltpolitik bestimmen.[2]

Nach Huntington sind Zivilisationen weitgehend abgeschlossene Kulturkreise, mit denen sich Menschen identifizieren.[3] Hauptidentifikationsmerkmal für Kulturen ist, so Huntington, neben Geschichte, Abstammung, Sprache und Institutionen die Religion.[4] Huntington nimmt sechs bis sieben Zivilisationskreise an, die durch ihre Religion gekennzeichnet sind: Den sinischen (Konfuzianismus, Kernstaat China), den japanischen (Konfuzianismus, Kernstaat Japan), den hinduistischen (Kernstaat Indien), den westlichen (Christentum, Kernstaaaten: USA, Frankreich, Deutschland), den orthodoxen (Kernstaat Russland), den islamischen (ohne Kernstaat) und, mit Einschränkung, den latein-amerikanischen Kulturkreis (ohne Kernstaat).[5]

Die historische und aktuelle Dominanz des westlichen Zivilisationskreises ist, so Huntington, in ökonomischer, technischer und kultureller Hinsicht unbestreitbar.[6] Diese Dominanz führe, vor allem in den USA als Hegemonialmacht des Westens, zum Glauben an and die Universalität der westlichen Werte.[7] Diese Werte (Freiheit, Individualismus, Demokratie, Menschenrechte) sind laut Huntington einzigartig, aber nicht universal.[8] Nichtwestliche Kulturen könnten sich modernisieren, aber nicht verwestlichen.[9] Die Übernahme der westlichen Trivialkultur sei kein Schrittt zur Universalkultur („Die Quintessenz der westliche Kultur ist die Magna Charta und nicht der Big Mac“).[10]

Aus der Hegemonialstellung der westlichen Welt leitet Huntington eine bipolare Konstellation ab („the west against the rest“).[11] Die zukünftige Globalpolitik werde durch die „Affirmation“ der sinischen Kultur,[12] die „Resurgenz des Islam“[13] und die allmähliche Dekadenz des Westens gekennzeichnet sein.[14] Hauptgegner für den Westen ist, so Huntington, der Islam. Sein Gefährdungspotential bestehe in seiner Aggressivität (wie die Bruchlinienkriege zeigten), seinem genuinen Demokratiedefizit, seiner Demographie und seinem Unterlegenheitsgefühl gegenüber dem Westen.[15] Die Dekadenz des Westens zeige sich im Verfall der moralischen Werte und dem Multikulturalismus.[16] Um die Schutzmacht USA zu erhalten, müsse deren technologische und militärische Überlegenheit gesichert werden.[17] Um einen drohenden „Clash“ zu vermeiden, dürfe der Westen nicht in anderen Kulturkreisen intervenieren, müsse auf Universalismus verzichten und sollte nach Gemeinsamkeiten suchen.[18]

1.2 Kritik

1.2.1 Huntingtons Kulturkonzept

1. Kulturkreisbegriff:

Kulturkreise sind keine homogenen Wesenseinheiten (hermetischer, essentialistischer, letztlich romantischer Kulturbegriff).[19] Zudem sind sie nicht deterministisch festgelegt, sondern beeinflussbar und veränderbar.[20] Auch innerhalb der westlichen Gesellschaft gibt es zahlreiche sich wandelnde personale und suprapersonale (kollektive) Identitäten. Alle Kulturen sind – so die ethnologische communis opinio – Mischungen. Die westliche Zivilisation ist als Muster einer offenen Kultur entstanden, sie stellt eine Mixtur aus Antike, Judentum und Christentum dar, Japan zum Beispiel eine Mischung aus chinesischer und japanischer Kultur. Das Melangephänomen ist zwar von Huntington bemerkt, aber nicht kulturtheoretisch berücksichtigt worden.

Auch stellt sich angesichts der (zumindest im Westen) verbreiteten, nicht nur problematisch empfundenen Identitätspluralisierung die Frage, ob wir wirklich, wie Huntington meint, Feindbilder zur Identitätskonstitution brauchen. Ist das „Hassen“, wie Huntington meint, ein persönlichkeitskonstituierendes Anthropinon oder ein allgemein kulturelles beziehungsweise religionspsychologisches Phänomen (vgl. NT. Matth.10, 34-3)?

2. Abgrenzung, Identifikation und Beschreibung der Kulturkreise:

Die Anzahl der Kulturkreise ist nicht überzeugend, die lateinamerikanische und afrikanische Kulturabgrenzung unscharf. Warum konstituiert der Hinduismus, nicht aber der Buddhismus einen eigenen Kulturkreis?[21] Wird Griechenland in Europa nicht eher als Wiege der westlichen Kultur, denn als orthodoxes Land – wie aus der 5000 km entfernten Harvard-Perspektive – wahrgenommen?

Zudem wird auf inhaltliche Aspekte der einzelnen Kulturen fast nicht eingegangen, vor allem zu der für die Argumentation des Buches so wichtigen islamischen Kultur gibt Huntington nur spärliche Informationen.[22] Huntington differenziert zum Beispiel nur unzureichend zwischen Islam und islamischem Fundamentalismus.[23] Auch fehlt eine Analyse der politischen Kultur der USA (religiöses und politisches Sendungsbewusstsein, Siedlermentalität). Huntington nimmt unkritisch eine Identität amerikanischer geopolitischer und allgemeiner Interessen des westlichen Kulturkreises an.[24]

1.2.2 Kritik der „Clash“-Konzeption

1. Inhaltlich:

Huntingtons Annahme eines „Clash“ ist eine notwendige Folge seines deterministischen Kulturbegriffes. Er unterschätzt jedoch meines Erachtens den homogenisierenden Globalisierungseffekt.[25] Als langfristige mögliche Folge sehe ich eher eine Konvergenz statt einer Divergenz der Kulturen (siehe unten). Auch geht er meines Erachtens zu wenig auf die Kriegsgeschichte des Westens und die innerislamischen Auseinandersetzungen ein, zum Beispiel die ökonomisch motivierten Kriege zwischen Irak und Irak beziehungsweise Kuwait. Huntington berücksichtigt generell ökonomische (zum Beispiel fehlende Möglichkeiten aufstrebender jungen Muslime) und politische Konfliktursachen nicht hinreichend.[26] Angesichts der von Huntington nicht hinreichend betrachteter intrakulturellen Kämpfe (zum Beispiel: Massaker der Islamischen Heilsfront in Algerien) könnte man fragen, ob der eigentliche „Clash“ nicht eher innerkulturell zwischen Globalisierung und Indigenisierung, zwischen Modernisten und Traditionalisten, stattfindet (die ewige Wiederkehr der „Querelle des Anciens et des Modernes“?) anstatt zwischen den Kulturen (siehe unten).[27]

[...]


[1] What We´re Fighting For: A Letter from America. Publiziert vom Institute of American Values, http://www.americanvalues.org/html/wwff.html (Datum der Sichtung im Internet: 22.01.04). Im Folgenden zitiert als: Manifest. Die gesamte sich anschließende Diskussion (zum Beispiel die Gegenreaktion von 160 amerikanischen (linksorientierten) Intellektuellen vom 12.4.02 und der öffentliche Briefwechsel mit deutschen Kollegen (08.08.02, 20.09.02) ist für die Huntington-Rezeption unerheblich.

[2] Huntington, Samuel P.: Der Kampf der Kulturen. Die Neuausgestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. 2. Auflage. München und Wien 1998. S. 11, S. 21. Im Folgenden zitiert als: Huntington, Kampf der Kulturen.

[3] Ebd. S. 54f.

[4] Ebd., S. 52.

[5] Ebd., S. 57-62.

[6] Ebd., S. 35.

[7] Ebd., S. 80, S. 117-119, S. 510f.

[8] Ebd., S. 513.

[9] Ebd., S. 76-114.

[10] Ebd., S. 79f.

[11] Ebd., S. 291-330.

[12] Ebd., S. 156-168.

[13] Ebd., S. 168-189.

[14] Ebd., S. 117, S. 293, S. 500f.

[15] Ebd., S. 334-350.

[16] Ebd., S. 500-503.

[17] Ebd., S. 513f.

[18] Ebd., S. 522-528.

[19] Vgl. Senghaas, Dieter: Zivilisierung wider Willen. Frankfurt 1998. S. 140. Im Folgenden zitiert als: Senghaas, Zivilisierung.

[20] Vgl. Riesebrodt, Martin: Die Rückkehr der Religionen. Fundamentalismus und der Kampf der Kulturen. München 2000. S.25, S. 31. Im Folgenden zitiert als: Riesebrodt, Rückkehr der Religionen.

[21] Vgl. Riesebrodt, Rückkehr der Religionen, S. 17f.

[22] Vgl. Senghaas, Zivilisierung, S. 136; Riesebrodt, Rückkehr der Religionen, S. 17ff.

[23] Vgl. Senghaas, Zivilisierung, S. 170; Tibi, Bassam: Krieg der Zivilisationen. Politik und Religion zwischen Vernunft und Fundamentalismus. 2. Aufl. München 2001. S. 33.

[24] Vgl.Riesebrodt: Rückkehr der Religionen, S. 26-27.

[25] Vgl. Senghaas, Zivilisierung, S. 180-184.

[26] Vgl. Senghass, Zivilisierung., S.141-142 ; Spiegel, Huntington, Atombombe.

[27] Vgl. zum Beispiel: Fullath, Erich und v. Ilsemann, Sigismund: „Und dann die Atombombe“. Interview mit Samuel Huntington. In: Der Spiegel Nr. 48 (25.11.1996), S. 184. Im Folgenden zitiert als: Spiegel, Huntington, Atombombe; Joffe, Josef: Die blutigen Grenzen des Islam (Gespräch mit S. Huntington). In: Die Zeit Nr.37/2002; Monem, Abdel: „A self-fulfilling prophecy“. In: Worldlink. The magazine of the word forum. 19.01.2004.

Fin de l'extrait de 23 pages

Résumé des informations

Titre
Huntingtons 'Clash of civilisations' und die USA nach dem 11. September
Sous-titre
Werk-Kritik - Rezeption - Gegenposition
Université
University of Marburg  (Institut für Europäische Ethnologie und Kulturwissenschaft)
Cours
Seminar "Lektürekurs Samuel Huntington: Kampf der Kulturen"
Note
1-
Auteur
Année
2003
Pages
23
N° de catalogue
V30724
ISBN (ebook)
9783638319218
ISBN (Livre)
9783638650922
Taille d'un fichier
498 KB
Langue
allemand
Mots clés
Huntingtons, Clash, September, Rezeption, Gegenposition), Seminar, Samuel, Huntington, Kampf, Kulturen
Citation du texte
M.A. Marion Näser (Auteur), 2003, Huntingtons 'Clash of civilisations' und die USA nach dem 11. September , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/30724

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