Resilienzfördernde Personalführung in Pflegeunternehmen. Eine Handlungsanleitung


Masterarbeit, 2015

106 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


ABSTRACT

Nach den Berechnungen der Statistiker werden im Jahr 2060 um die 23 Millionen Menschen 65 Jahre sein oder älter. Damit wird jeder dritte Bürger in Deutschland dieser Altersgruppe angehören. Bei aller Freude über das lange Leben dieser Menschen bedeutet dies jedoch auch, dass sie trotz kontinuierlich wachsenden Fachkräftemangels in der Pflege angemessen versorgt werden müssen. Weiterhin wächst mit der steigenden Zahl der Pflegebedürftigen auch die Belastung in den Pflegeberufen. Neben Muskel-Skelett-Erkrankungen nehmen in den letzten Jahren auch die psychischen Erkrankungen zu, was zu langen Fehlzeiten und Arbeits-unfähigkeit bei den Mitarbeitern und zu hohen Verlusten im Unternehmen führt.

Strategische Maßnahmen zur Qualitätssicherung allein reichen heute und in Zukunft nicht mehr aus, um Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft pflegender Arbeitnehmer aufrechtzuerhalten. Um nachhaltige Ergebnisse für die Gesundheitsförderung und -erhaltung zu gewährleisten, wird diese Masterarbeit untersuchen, welchen resilienzfördernden Beitrag die Personalführung eines Pflegebetriebes leisten kann und muss. Hierfür ist notwendig, herauszufinden, welche resilienzfördernden Faktoren in den Pflegeberufen eine besonders starke Rolle spielen. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wird ein Handlungskonzept entworfen, das Personalleitungen von Pflegebetrieben in die Lage versetzt, in ihre Arbeit resilienzfördernde Maßnahmen zu implementieren, um damit die Gesund-erhaltung der Arbeitnehmer aktiv zu fördern.

Neben der Sekundärquellenauswertung wird auch die Berufserfahrung des Verfassers, der seit 27 Jahren einen ambulanten Pflegedienst leitet, in diese Arbeit einfließen. Anonyme Mitarbeiterbefragungen, die seit ca. 10 Jahren im Rahmen einer Zertifizierungsmaßnahme erhoben wurden, ergänzen die dokumentierten Forschungsergebnisse flankierend und gewährleisten damit eine gute Anwendbarkeit des Konzeptes im Berufsalltag verschiedenster Pflegebetriebe.

Keywörter: Personalführung, Pflege, Konzept zur Gesunderhaltung pflegender Arbeitnehmer, Resilienz in Pflegeberufen, resilienzfördernde Maßnahmen von Personalleitungen in Pflegebetrieben

INHALTSVERZEICHNIS

ABSTRACT ... II

INHALTSVERZEICHNIS ... III

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ... V

1. Einleitung ... 1
1.1 Problemstellung und Relevanz des Themas ... 1
1.2 Zielsetzung und Forschungsfragen ... 3
1.3 Arbeitsmethode ... 4
1.4 Aufbau der Arbeit ... 5

2. Gesundheit, Krankheit, Arbeit ... 6
2.1 Gesundheit ... 6
2.2 Krankheit ... 7
2.3 Belastung und Stress ... 9
2.4 Der Zusammenhang zwischen Arbeit und Gesundheit ... 10
2.5 Aktuelle Arbeitsbedingungen ... 12
2.5.1 Der Wandel in der Arbeitswelt ... 12
2.5.2 Demographischer Wandel und Fachkräftemangel ... 13

3. Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) ... 16
3.1 Begriffsdefinition und Abgrenzung ... 16
3.2 Historische Hintergründe und Entwicklungen ... 17
3.3 Gesetzliche und rechtliche Bestimmungen ... 18
3.4 Gründe und Motivationen für BGM in Unternehmen ... 19
3.5 BGM als Prozess ... 19
3.5.1 Vorbereitung, Planung und Zielsetzung des BGM ... 20
3.5.2 Diagnose und Präsentation der Ergebnisse ... 22
3.5.3 Der Umsetzungsentscheid und seine Kontrollmechanismen ... 23
3.6 Handlungsfelder des BGM ... 25
3.7 Ziele des BGM ... 27

4. Unternehmen, Unternehmenskultur und Unter-nehmensführung ... 28
4.1 Ambulante Pflegedienste als mittelständische Unternehmen ... 28
4.2 Arbeitsplatz ambulante Pflege ... 28
4.2.1 Zunehmender Wettbewerbs- und Kostendruck ... 29
4.2.2 Berufsethos und Realität am Arbeitsplatz Pflege ... 30
4.2.3 Fachkräftemangel und alternde Mitarbeiter ... 31
4.3 Die Bedeutung und der Einfluss von Unternehmenskultur ... 32
4.4 Voraussetzungen einer resilienzfördernden Unternehmens-kultur ... 33
4.4.1 Selbstaktivierung der Mitarbeiter ... 34
4.4.2 Resilienzfördernde Maßnahmen auf der Organisationsebene ... 35
4.4.3 Resilienzorientierte Führungskultur ... 37

5. Mitarbeiterzufriedenheit ... 41
5.1 Definition von Mitarbeiterzufriedenheit ... 41
5.2 Einflüsse auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter ... 42
5.2.1 Kommunikationsverhalten und Mitarbeiterführung ... 42
5.2.2 Betriebsklima ... 43
5.2.3 Arbeitsorganisation und -tätigkeit und ihre Gestaltungsmöglichkeiten ... 44
5.2.4 Angemessenes Gehalt und gesellschaftliche Anerkennung ... 45
5.2.5 Arbeitszeitregelungen ... 46
5.2.6 Mitarbeiterzufriedenheit und Mitarbeiterbindung ... 47
5.2.7 Folgen mangelnder Mitarbeiterzufriedenheit ... 49

6. Resilienz ... 51
6.1 Definitionsansätze ... 51
6.2 Das Resilienzkonzept und seine Entstehung ... 52
6.3 Resilienzmerkmale ... 54
6.4 Das Resilienzmodell ... 55
6.4.1 Das Risikofaktorenkonzept ... 55
6.4.2 Das Schutzfaktorenkonzept ... 56
6.5 Die sieben Säulen der Resilienz nach Rampe ... 58

7. Handlungsanleitung für resilienzfördernde Personalführung in Unternehmen ... 61
7.1 Modifikation des Sieben-Säulen-Resilienzmodells von Rampe ... 61
7.2 Handlungsfelder ... 64
7.3 Handlungsanleitung ... 65
7.4 Maßnahmenkatalog ... 68
7.5 Grenzen und Möglichkeiten der Einführung von Resilienzprogrammen ... 78

8. Conclusio ... 79
8.1. Hypothesenüberprüfung ... 79
8.2. Ausblick ... 81

LITERATURVERZEICHNIS ... VIII

ABBILDUNGSVERZEICHNIS ... XXIII

TABELLENVERZEICHNIS ... XXIV

[...]

1. Einleitung

1.1 Problemstellung und Relevanz des Themas

Bedingt durch den demografischen Wandel steht in Deutschland einer abneh-menden Gesamtbevölkerungszahl eine immer älter werdende Bevölkerung gegen-über (Hasselborn-Ebener, 2014, S.75). Diese Entwicklung wirkt sich insofern auf den Arbeitsmarkt im Pflegebereich aus, da ihm immer weniger junge Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Bundesweite Werbekampagnen, um speziell junge Menschen in den Pflegeberuf zu bringen, hatten bisher nur begrenzten Erfolg. Aus diesen Gründen muss die Frage fokussiert werden, unter welchen Bedingungen älter werdende Arbeitnehmer[1] einem Betrieb über einen langen Zeitraum gesund und motiviert zur Verfügung stehen können.

In den letzten Jahren wurden in der ambulanten Pflege die Qualitätsentwicklungs- und Optimierungsprozesse nahezu perfektioniert, um so die Rahmenbedingungen und Strukturen, unter denen die körperlich und emotional schwere Arbeit geleistet wird, grundlegend zu verbessern.

Trotzdem scheinen diese Bemühungen nicht ausreichend zu greifen. Das belegen die aktuell hohen Fehlzeiten von Pflegekräften bei den Kranken-versicherungsgesellschaften (Badura et al., 2014, S.344), die seit Jahren die Fehlzeiten-Statistiken anführen (“DAK-Gesundheitsreport“, 2014). Mit rund einer Million Beschäftigten bilden die Pflegekräfte nicht nur die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen, sondern auch eine der gesundheitlich belastetsten. Neben Muskel-Skelett-Erkrankungen zeigt die zunehmende Zahl von Burnout und anderen psychischen Erkrankungen, dass die üblichen Bewältigungsmöglichkeiten von Unternehmen im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) diese Problematik nicht umfassend genug berücksichtigen (Werner, 2006, S.22). Schnelles Handeln ist gefragt.

Laut einer Meinungsumfrage des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBFK) erwägen unter 3048 befragten Pflegekräften 33,1% die Berufsaufgabe oder den Wechsel in eine andere Tätigkeit (“Wie sieht es im Pflegealltag aus“, 2009). Um der Gefahr des Pflegenotstandes entgegenzuwirken, ist es wichtig, den Personalführungen in Pflegediensten eine zusätzliche Aufgabe zu übertragen. Mehr als in der Vergangenheit müssen sie sich bei der Gesundheitsförderung ihrer Arbeitnehmer engagieren und sie, wie die Entwicklung der letzten Jahre deutlich gezeigt hat, in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen rücken.

Speziell in der ambulanten Pflege kommt es durch regelmäßig wechselnde Arbeitsplätze (Haushalte) und Personenkontakte zwangsläufig zu ungewohnten Situationen, in denen der Druck auf die Pflegekraft zunimmt. Der steigende Druck durch zeitliche Vorgaben, Notfälle, fehlende Handlungsspielräume beeinflussen das Arbeitsumfeld der Pflegekraft grundlegend. Hinzu kommt die emotionale Belastung durch die Pflegearbeit allgemein, und der vor Ort täglich erlebte Wider-spruch zwischen Finanzierbarkeit und Erforderlichkeit.

Die Fähigkeit mit Druck umzugehen, ist ein entscheidender Faktor, um Stress am Arbeitsplatz entgegenzuwirken. Doch inwieweit sind sich Pflegekräfte ihrer eige-nen inneren Widerstandsfähigkeit, ihrer Resilienz bewusst?

Als Grundlage für die vorliegende Arbeit dient sie intensive Resilienzforschung der letzten 10 Jahre. Leider ist die Begriffsverwendung von Resilienz bei verschiede-nen Autoren noch immer sehr ungenau, sodass immer wieder Quellen als nicht brauchbar eingestuft werden mussten (Bengel-Lyssenko, 2012, S.46). Nichts-destotrotz ist die Ausbildung guter Resilienzeigenschaften und deren Förderung in allen Bereichen unumstritten. In konkreten, soziologisch benannten Bereichen ist die Forschung und deren Umsetzung in konkrete, anwendbare Maßnahmen je-doch erst am Anfang. Erst mit dem Handbuch “Resilienz und Resilienzförderung bei Pflegenden“ (McAllister-Löwe, 2013, S.6ff.) hat das Thema erstmals Einzug in die Welt der Pflege gehalten.

Die Resilienzentwicklung und -stärkung, als individuell erlernbare und zu fördernde Eigenschaft ist gerade bei Pflegenden in der ambulanten Arbeit wichtig (Siegrist-Luitjens, 2013, S.91). Denn in diesem Berufsfeld müssen die Pflegekräfte meist als „Einzelkämpfer“ agieren.

Für die betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) von Mitarbeitern in Pflege-unternehmen sieht der Autor der vorliegenden Arbeit die Förderung von Resilienz als entwicklungsfähiges Merkmal sowohl im Unternehmen als auch in der Persönlichkeitsentwicklung der Arbeitnehmer als eine der größten Heraus-forderungen der kommenden Jahre. Wie diese Aufgabe konkret in der Praxis um-gesetzt werden kann, ist Gegenstand der folgenden Ausarbeitungen.

Der Verfasser dieser Masterarbeit ist seit über 27 Jahren Geschäftsführer eines ambulanten Pflegedienstes. Seit die Pflegeversicherung 1995 eingeführt wurde und sich die damit verbundenen Auswirkungen der marktförmigen Strukturierung des Pflegebereichs zeigten, erlebt er praxisnah die Folgen von Konkurrenzdruck und Arbeitsverdichtung auf das Pflegepersonal und die Pflegeeinrichtungen. Auffallend ist, dass parallel zu den politischen Entscheidungen mit allen ihren Kon-sequenzen, die gesellschaftliche Anerkennung für die geleistete Arbeit immer mehr abnimmt. Für den Autor sind diese Beobachtungen ein Indiz dafür, dass besonders das Pflegepersonal der ambulanten Pflege einer umfassenden Unter-stützung durch Geschäftsführung innerhalb des Unternehmens und durch ihre Vorgesetzten bedarf.

1.2 Zielsetzung und Forschungsfragen

Die Zielsetzung dieser Arbeit ist es, der Frage nachzugehen, ob und in welchem Umfang die Personalführung eines Unternehmens einen resilienzfördernden Bei-trag leisten kann, um die Bewältigungsfähigkeit der Mitarbeiter nachhaltig zu stärken.

Hier stehen vor allem drei Fragen im Fokus:

– Welche Faktoren fördern die Resilienz?
– Wie können diese Faktoren durch die Personalführung implementiert und gefördert werden?
– Wie muss ein Konzept gestaltet sein, welches die Resilienz von Arbeitnehmern in der ambulanten Pflege nachhaltig stärkt?

Auf Grundlage dieser Fragestellungen kommt der Autor zu folgenden Thesen:

– Resilienzfördernde Faktoren in Pflegeunternehmen sind durch die Perso-nal- und Unternehmensführung positiv beeinflussbar.

– Ein gesundheitsfördernde Unternehmenskultur auf der Grundlage regel-mäßiger Supervisionen legt die Grundlage dafür, dass die Mitarbeiterzu-friedenheit steigt und mit ihr die Bereitschaft, sich mit den persönlichen Faktoren der Resilienzstärkung aktiv auseinanderzusetzen.

– Ein ganzheitliches Handlungskonzept, das die Resilienz von Arbeitnehmern in der ambulanten Pflege stärkt, kann nur in einem reflektierten, aktiven Zusammenspiel aller resilienzbeeinflussenden Faktoren auf lange Sicht erfolgreich sein.

Diese Arbeit richtet sich an die Personal- und Unternehmensführung von Pflege-unternehmen sowie an deren Beschäftigte. Hierbei soll der Nutzen des Resilienzmodels für die Unternehmen und die Sensibilisierung der Arbeitnehmer für dieses Themenfeld im Vordergrund stehen. Mit ihren klaren Anweisungen ist diese Arbeit als praktische Handlungshilfe und eine geeignete Ergänzung zur Erforschung der Resilienzförderung in Pflegeberufen gedacht.

1.3 Arbeitsmethode

Für die Beantwortung der Forschungsfrage bilden eigene Beobachtungen sowie eine aktuelle Literatur- und Internetrecherche die Grundlage. Außerdem werden die aktuellen Ergebnisse aus der Resilienz-Forschung analysiert, bzw. eine Momentaufnahme über den Stand der Forschungspraxis gewonnen.

Als Forschungsmethode dient die Grounded Theory[2], da sie sich hervorragend zur Prognose von Verhaltensmustern eignet. Nach Glaser und Strauss (2010, S.20) bestehen die miteinander verknüpften Aufgaben der Grounded Theory in der Vor-hersage und Erklärung von Verhalten und ihrer Anwendung im praktischen Bereich (ebenda).

Aktuelle Studien zum betrieblichen Gesundheitsmanagement und Belastungen im Arbeitsleben werden ausgewertet, um im Ergebnis eine wissenschaftlich fundierte Handlungsanweisung geben zu können. Aufgrund der Tatsache, dass es zu den Untersuchungsschwerpunkten Resilienz und Personalführung bereits seit meh-reren Jahren eine Vielzahl an validen Quellen zum theoretischen Hintergrund gibt, bzw. dokumentierte Forschungsergebnisse vorliegen, wurde auf eine eigene Befragung verzichtet.

Mitentscheidend für diese Vorgehensweise war auch die Tatsache, dass der Verfasser dieser Arbeit im Rahmen einer Zertifizierungsmaßnahme seit über 10 Jahren regelmäßig anonyme Mitarbeiterbefragungen in seinem Unternehmen durchführt. Sie fließen als praxisnaher Aspekt im Kapitel „Mitarbeiterzufrieden-heit“ in die Arbeit ein und gewährleisten damit eine gute Anwendbarkeit des Konzeptes im Berufsalltag verschiedenster Pflegebetriebe.

1.4 Aufbau der Arbeit

Im ersten Teil der Arbeit werden verschiedene relevante Begriffsbestimmungen dargestellt und ausgewertet sowie die Argumente benannt, welche Gesundheit und Krankheit heutzutage ausmachen. Anschließend werden sie in die Grund-lagen zur betrieblichen Gesundheitsförderung eingebettet und die Anforderungen für eine positive Einflussnahme konkretisiert.

Die nachfolgenden Kapitel setzen sich mit den Möglichkeiten der Resilienz­förderung von Unternehmen auseinander sowie mit der individuellen Persönlichkeits­entwicklung der Arbeitnehmer. Bereiche wie Führungsmanagement und Unternehmenskultur werden unter den Erfolgsfaktoren des betrieblichen Gesundheitsmanagements diskutiert und ihr Einfluss auf die Mitarbeiterzufrie-denheit, Gesundheit und Arbeitsfähigkeit näher erläutert.

Auf Grundlage der Erkenntnisse zur Resilienz und ihren bestimmenden Parame-tern sowie der intensiven Auswertung der Literatur wird dann eine praxisrelevante Handlungsanweisung erarbeitet. Diese schließt mit einem persönlichen Resümee und einer Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen des Resilienzmodells in Pflegeberufen ab.

2. Gesundheit, Krankheit, Arbeit

2.1 Gesundheit

Die World Health Organization (WHO) definierte 1948 Gesundheit nicht nur als ein Fehlen von Krankheit und Gebrechen, sondern als einen Zustand des körper-lichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens (“WHO Definition of health“, 1948). Während in der Vergangenheit von verschiedenen Fachdisziplinen der Gesundheitswissenschaften das Hauptaugenmerk auf krankmachende Faktoren gelegt wurde, hat sich die pathogenetische [3] Forschungstradition in den vergan-genen Jahren im Sinne einer salutogenetischen Sicht erweitert. Der Begriff der Salutogenese ist ein Neologismus, bestehend aus den Wörtern “Salus“ (lat.) für Gesundheit, Heil, Glück und “Genesis“ (grc) für Entstehung. Er bedeutet wörtlich “Gesundheitsentstehung“.

Das salutogenetische Modell des Medizinsoziologen Antonovsky wird seit Mitte der 1970er Jahre diskutiert. Gesundheit wird von ihm als ein Prozess im Gesund-heits-Krankheits-Kontinuum beschrieben. Grundsätzlich geht er davon aus, dass jeder Mensch gesunde und kranke Anteile in sich trägt, die einander nicht aus-schließen. Krankheit ist nicht als isoliertes Ereignis zu sehen, so Franke (2008, S.160). Folgt man diesem Ansatz, lässt sich der Zustand des Wohlbefindens eines Individuums nur in der Hinsicht beurteilen, wie weit oder nah sich das Individuum an den Endpunkten Gesundheit und Krankheit befindet (Ewles-Simnett, 2007, S.22ff).

Neuere Definitionen beschreiben den Gesundheitsbegriff aus einer anderen Per-spektive und sehen noch weitere Faktoren wie Selbstverwirklichung, Leistungs-fähigkeit und Sinnfindung der Gesundheit eines Menschen zugehörig (Ziegel-mann, 2002, S.149ff.). In anderen Definitionen stehen das positive Selbstwert-gefühl, die Fähigkeit zur Problemlösung und Gefühlsregulierung, sowie die Unter-stützung durch soziale Beziehungen in einem funktionierenden Netzwerk im Fokus (Hurrelmann, 2007, S.34).

Das heutige Gesundheitsverständnis, beschränkt sich deshalb nicht nur auf die medizinische Symptomatik. Die Vielschichtigkeit des Gesundheitsbegriffs bietet Grund zu der Annahme, dass sich in der Arbeitswelt durch eine verbesserte Unter-nehmenskultur und zielgerichtete Maßnahmen in der Personalführung positive Effekte bei der Gesundheitsförderung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ableiten lassen (Badura et al., 2012, S.18ff.).

Im Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit bedeutet dies für den Einzelnen, dass er im günstigsten Fall eine ausgewogene Balance zwischen sich und seinem Arbeitsumfeld schafft, um so seine Gesundheit positiv zu beeinflussen. Als Voraussetzungen hierfür nennen von Eckardstein et al. (1995, S.11) die Fähigkeit des Individuums, sich auf Veränderungen einstellen zu können, sich Ziele zu setzen und diese zu verfolgen.

2.2 Krankheit

In der Literatur sind verschiedene Ansätze zu finden, die versuchen, den Krank-heitsbegriff differenzierter zu beschreiben und ihn nicht auf das Fehlen von Gesundheit zu reduzieren (Ziegelmann, 2002, S.150).

Aus biomedizinischer Sicht ist Krankheit eine Störung des Organismus. Daraus resultierende Veränderungen und Funktionsstörungen werden durch den Abgleich physiologischer, anatomischer oder biochemischer Werte mit „normalen“ Werten festgemacht und müssen sich in Form von körperlichen, seelischen oder geistigen Veränderungen als objektiv feststellbar erweisen (Timm, 1987, S.439ff.).

In aktuellen Modellen der Krankheitsbeschreibung werden zunehmend auch psychosoziale Faktoren für die Entstehung von Krankheiten benannt. Bezugs-punkt beim soziologischen Modell nach Hurrelmann ist eine normal funk-tionierende Gesellschaft. Der Soziologe Hurrelmann sieht Krankheit als Unfä-higkeit der gesellschaftlichen Rollenerfüllung (Hurrelmann, 2007, S.115). Hierbei spielen sozio-kulturelle Einflüsse wie Wertesysteme oder Traditionen eine wichtige Rolle. Weitere soziologische Modelle belegen, dass die Schichtzugehörigkeit und der damit verbundene soziale Status, die berufliche Situation, das Wohnumfeld, Armut und das politische System wirksame Einflüsse auf die Gesundheit und die Entstehung von Krankheiten haben (Janßen, 2011, S.4f.).

Das biopsychosoziale Krankheitsmodell von Bengel (Bengel et al., 1999, S.17) gilt als anerkannte Theorie für die Darstellung der engen Beziehung zwischen Körper und Geist. Bengel erfasst das Krankheitsgeschehen in mehreren Dimensionen und geht von einer Wechselwirkung biologischer-, psychischer- und sozialer Ein-flüsse aus. Er sieht sie als Teile eines Ganzen, die untrennbar miteinander ver-bunden sind und das Geschehen beeinflussen (Egger, 2011, S.43ff.). Auf dieser Grundlage benennt Franke (2008, S.22ff.) die Merkmale von Krankheit. Sie äußern sich im Vorhandensein feststellbarer körperlicher, geistiger und seelischer Störungen, der Beeinträchtigung des körperlichen, seelischen und sozialen Wohl-befindens, in Leistungseinbußen und Einschränkungen bei der Rollenerfüllung, sowie in der Notwendigkeit, professionelle Hilfe anzunehmen.

Diese Auffassung stützen die Ergebnisse der BPtK–Studie der Deutschen Psycho-therapeutenkammer zur Arbeitsunfähigkeit 2012. Auf Grundlage der Daten-erhebung der großen gesetzlichen Krankenkassen zur Arbeitsunfähigkeit (AU) ist die Anzahl der Krankschreibungen aufgrund eines Burnout seit 2004 um 700% und die Anzahl der betrieblichen Fehltage um fast 1.400% gestiegen (“BPtK Psychische Erkrankungen“, 2012). In der Auswertung der Studie heißt es: „ Burnout wird in 85 Prozent der Krankschreibungsfälle zusammen mit psychischen oder anderen Erkrankungen (wie Rückenschmerzen) diagnostiziert. In knapp der Hälfte der Krankschreibungsfälle erfolgt die Angabe Burnout (Z73) als ergänzende Information zu einer psychischen Erkrankung…“ (ebenda, S.4).

Eine anerkannte wissenschaftliche Bezeichnung des Begriffes Burnout gibt es bisher nicht. Nach Koch besteht jedoch ein weitgehender Konsens hinsichtlich der Kernsymptome, die in Form von emotionaler Erschöpfung, geringer Zufriedenheit mit der eigenen Leistung und einem beeinträchtigten Verhältnis zur beruflichen Umgebung (Arbeitsüberdruss) auftreten können (Koch, 2012, S.161ff.). Die steigende Tendenz, dass psychische Erkrankungen zu Arbeitsunfähigkeit führen, wird durch die Studie der krankheitsbedingten Fehlzeiten der deutschen Wirtschaft 2013 (Badura et al., 2014, S.323) bestätigt. Neben der Aussage, dass seit 2002 die Krankheitstage aufgrund psychischer Erkrankungen um nahezu 62,2% zugenommen haben, stellt die Studie fest, dass auch 2013 die Zahl der psychischen Erkrankungen um 4,7% zugenommen hat (ebenda).

2.3 Belastung und Stress

Unter Belastung werden objektive, von außen auf den Menschen einwirkende Faktoren wie z. B. Lärm, Zeitdruck oder widersprüchliche Erwartungen an Mitar-beiter verstanden. Die subjektiven Folgen dieser Belastungen lassen sich in physi-sche und psychische Beanspruchung unterteilen.

Besteht eine Diskrepanz zwischen der Beanspruchung einer Person und ihren Möglichkeiten damit umzugehen, können sich positive oder negative Beanspru-chungsfolgen wie Stress ergeben (Sedlacek, “Psychische Beanspruchung“, 2015).

Weder Belastung noch Stress sind im eigentlichen Sinne negativ und gehören wertneutral betrachtet zum Leben. Der Begriff Stress steht für die Reaktion von Körper und Geist auf äußerliche Reize, sogenannte Stressoren. Stressoren lassen sich in Mikrostressoren, also alltägliche Unannehmlichkeiten, und Makrostres-soren, wie kritische Lebensereignisse oder traumatische Ereignisse, unterteilen (Bengel-Lyssenko, 2012, S.29).

Neurobiologisch betrachtet, entsteht Stress im Gehirn. Es braucht Herausfor-derungen zur Aktivierung des Belohnungszentrums, um sein volles Potenzial zu entwickeln. Solange das Gehirn die Aufgaben als lösbar empfindet, gehen solche Prozesse mit einem persönlichen Wachstum einher, dem sogenannten Eustress. Wird das Anforderungsniveau jedoch als zu hoch oder zu niedrig eingeschätzt, hat dies negative Auswirkungen auf den menschlichen Organismus. In beiden Fällen spricht man von Disstress (Bauer, 2013, S.37f.).

Kognitive Stressmodelle gehen im Gegensatz zu den reiz- und reaktions-orientierten Stressmodellen nicht vom Wirkungsschema eines Reizes und der daraus resultierenden Reaktion aus, sondern beschreiben vielmehr die verfüg-baren Bewältigungsstrategien eines Menschen bei der kognitiven und emotionalen Bewertung einer Situation (Nerdinger et al., 2011, S.479).

In dem wohl einflussreichsten kognitiven Stressmodell in der Stressforschung, dem transaktionalen Erklärungsmodell nach Lazarus, stellen externe Belastungsfaktoren keine objektiven Größen dar. Lazarus geht davon aus, dass die Reaktion auf solche Faktoren von den Gedanken, Bewertungen und Ressourcen eines Menschen in der jeweiligen Situation bestimmt wird. Stressreaktionen werden bei diesem Modell als Wechselwirkungsprozesse zwischen Anforderungen einer Situation und der Resilienz des zu handelnden Menschen gesehen (Lazarus-Launier, 1981, S.123ff.).

Resilienz ist nach Walsh (2006, S.43) die Fähigkeit eines Menschen, zerrüttenden Herausforderungen des Lebens standzuhalten und aus diesen Erfahrungen ge-stärkt und bereichert hervorzugehen. Mit Resilienz ist nicht nur die allgemeine Stärke gemeint, sondern auch dynamische Prozesse, die unter signifikant ungün-stigen Umständen die Anpassung an eine gegebene Situation begünstigen (ebenda).

In Kapitel 6 der vorliegenden Arbeit werden genauere Ausführungen zum Resilienzbegriff vorgenommen.

2.4 Der Zusammenhang zwischen Arbeit und Gesundheit

Arbeit hat in unserer Gesellschaft einen zentralen Stellenwert. Neben Attributen wie Last und Pflicht oder Leistung und Wert, dient sie der sozialen Strukturierung, der Veränderung und der Persönlichkeitsentfaltung (Wiendieck, 2003, S.13). Jahoda (1983, S.24) fasst den Arbeitsbegriff weiter. Er nennt die menschliche Arbeit das „innerste Wesen des Lebendigen“ (ebenda), also eine Quelle von Inspiration und Sinn.

[Dies ist eine Leseprobe. Tabellen und Abbildungen sind nicht enthalten.]

Abb. 1: Einflüsse auf Arbeit und Gesundheit (verändert nach Huber, 2010, S.70)

Arbeit ist für die meisten Menschen mehr, als eine reine Erwerbsquelle. Brand (1983, S.9) bezeichnet sie als Gewähr für einen gelingenden Lebensprozess (ebenda). Nach Faltermaier et al. (2002, S.27) ist sie nicht nur eine Möglichkeit, Anerkennung, Erfüllung und soziale Interaktion zu erleben, sondern ein wichtiger Teil der Persönlichkeitsentwicklung. Durch sie verändern Menschen ihre Motive, Fähigkeiten und Verhaltensweisen. So stellt Rudow (2003, S.34) fest, dass die Arbeit einen starken Einfluss auf das Selbstbewusstsein, die Identität und die Gesundheit der Menschen hat. Auch Höge und Schnell (Höge-Schnell, 2012, S.91) sehen Arbeit als individuelle Erfahrung von Bedeutsamkeit, Zielorientierung und Kohärenz in Bezug auf Persönlichkeit und Lebenseinstellungen (ebenda).

Wie in Abbildung 1 dargestellt, wirken sich verschiedene Einflussfaktoren auf die Gesundheit und das Arbeitsverhalten aus. Die Organisation der Arbeit hat unmit-telbaren Einfluss auf die Gesundheit einer Person und dies wiederum auf ihr Arbeitsverhalten und ihr Arbeitsvermögen. Nach Glaser und Seubert (2014, S.54) besteht eine direkte Wechselwirkung zwischen der Gesundheit und der Anfor-derung der Arbeitsaufgabe, den persönlichen Voraussetzungen einer Person und der ihr vom Unternehmen bereitgestellten externen Ressourcen. Zu einer ähnli-chen Auffassung kommt auch Pfeiffer (2015, S.28-44). Wie Glaser und Seubert (2014, S.54) sieht sie die Auswirkungen auf die Gesundheit in direkter Verbindung zwischen den persönlichen und externen Ressourcen sowie der angebotenen Unterstützung.

Bei der Bewältigung von Stressoren im Arbeitsalltag spielen persönliche Res-sourcen der Mitarbeiter eine entscheidende Rolle. Besonders die Ressource „Sinnhaftigkeit“ scheint bedeutend zu sein. In einer Studie aus dem Jahr 2013 untersuchten Höge et al. (2012, S.91ff.), was Arbeit generell sinnvoll macht. Im Ergebnis wird das Sinnerleben am Arbeitsplatz nicht nur durch die persönliche Einschätzung der Mitarbeiter bestimmt, sondern auch durch das Unternehmen selbst und dessen gelebten Werte.

Höge et al. (ebenda) kommen in der Studie über den Zusammenhang von Arbeitsengagement und Sinnerfüllung zu dem Ergebnis, dass Sinn im Beruf nicht einfach durch die Unternehmensführung implementiert, jedoch durch eine gute Organisation erleichtert werden kann. Vielmehr sei die Bedeutsamkeit der Arbeits-aufgabe und der damit empfundene Wert ausschlaggebend für die erlebte Sinnhaftigkeit und das Arbeitsengagement (ebenda).

So wundert die Feststellung von Tausch nicht (2004, S.68ff.), dass die Uner-reichbarkeit von Zielen und die Häufung von Mangelerfahrungen zu einer Sinn-krise führen können. Sinnverlust äußert sich in Stress, Entmutigung und Hoff-nungslosigkeit. Halten der Sinnverlust und seine Symptome über einen längeren Zeitraum an, ist es möglich, dass es zu Erschöpfung und Einbußen in der Lei-stungsfähigkeit kommt. Auf einen wissenschaftlich begründeten Zusammenhang zwischen Lebenssinn und psychischer Gesundheit verweisen die Arbeiten von Lubatsch (2012, S.45 ff.), Siller (2002, S.24f.) und Dai-You (2000, S.84).

2.5 Aktuelle Arbeitsbedingungen

In den folgenden Abschnitten wird die generelle Betrachtung der aktuellen Arbeitsbedingungen vorgenommen. Ausgehend vom Wandel der Arbeitswelt werden die Auswirkungen des demografischen Wandels betrachtet. Wie sich dieser Wandel konkret im Pflegebereich darstellt, wird sich in Kapitel 4 der vorliegenden Arbeit zeigen.

2.5.1 Der Wandel in der Arbeitswelt

Die Arbeitswelt hat sich seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts stark verän-dert. Neben der Industrialisierung und Technisierung ab 1900 vollzog sich auch in Deutschland ein Wandel in der Gesellschafts- und Sozialordnung und damit im Wertesystem und der Arbeitswelt (Stopp, 2008, S.110).

Dieser Strukturwandel setzt sich bis in die heutige Zeit fort. In seiner Folge fand die Transformation von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft statt. Mit dieser Veränderung sind in den letzten Jahren zwar die körperlichen und umgebungsbedingten Belastungen wie Lärm oder Umweltschadstoffe zurückge-gangen, allerdings sind die organisationsbedingten und psychischen Belastungen für Arbeitnehmer gestiegen.

Durch die Globalisierung und den stetig steigenden Wettbewerbsdruck werden sowohl an Unternehmen als auch an Arbeitnehmer immer komplexere Anfor-derungen gestellt. Um diesen standzuhalten, werden Beschäftigungsformen not-wendig, die sich durch zeitliche und räumliche Flexibilisierung auszeichnen (Gunkel et al., 2014, S.257). Der damit möglichen Individualisierung am Arbeits-platz steht das Risiko der Überforderung entgegen (Lenhardt-Rosenbrock, 2010, S.324).

Dem Bundesverband der Psychotherapeutenkammer zufolge leiden Beschäftigte vermehrt an psychischen Beschwerden, die erst zu Arbeitsunfähigkeit und dann zu Erwerbsunfähigkeit führen (“Fast jede zweite neue Frührente“, 2014). Als Ursa-chen dafür sehen Badura (2008, S.91ff.) und Pfeiffer (2012, S.15-21) die zuneh-mende Komplexität und steigende Dynamik der Arbeit. Durch wettbe-werbsbedingte Umstrukturierungsmaßnahmen in Unternehmen steigen die Unsicherheiten der Arbeitnehmer. In kurzer zeitlicher Abfolge müssen sie sich neuen Gegebenheiten anpassen, die mit technischen Veränderungen, geänderten Arbeitsabläufen und sich wandelnden Qualifikationsanforderungen einhergehen (Götze, 2013, S.15).

Laut Maslach und Leiter (2013, S.36) sind folgende Faktoren an der Entstehung psychischer Erkrankungen maßgeblich beteiligt: Arbeitsüberlastung und ein Man-gel an Kontrolle und Werten, fehlende Belohnung, Anerkennung, Fairness, Ge-rechtigkeit und fehlender Respekt.

So hat Pelizaus-Hoffmeister (2006, S.23ff.) in einer historisch vergleichenden Analyse beeindruckende Parallelen der biografischen Unsicherheiten um die Jahr-hundertwenden 1900 und 2000 herausgearbeitet. Eine weitere Analogie be-schreibt der Umwelthistoriker Radkau. Er sieht Parallelen zwischen der um 1900 auftauchenden Nervenkrankheit Neurasthenie und dem heutigen Burnout. (“DPA Phänomen Neurasthenie“, 2014). Das 1880 erschienene Buch „Neurasthenia“ des Nervenarztes Beard machte auf dieses Krankheitsbild aufmerksam. Laut Roelcke (1999, S.122f.) sah Beard in der Neurasthenie eine Zivilisationskrankheit.

Folgt man Oetzel (2005, S.197f.), trifft sich diese These mit der Auffassung von Hellpach aus seinem 1902 erschienenen Buch „Nervosität und Kultur“. Hier beschreibt er die Anpassung an das moderne Leben mit allen seinen schnelllebigen Veränderungen als Ursache für Neurasthenie.

2.5.2 Demographischer Wandel und Fachkräftemangel

Steigende Lebenserwartung und sinkende Geburtenraten verdichten sich auch in Deutschland zu einem Problem. Betrachtet man die Zahl und die Zusammensetzung der Arbeitnehmer, wird sich in den nächsten Jahrzehnten ein gravierender Wandel vollziehen. Durch die stetig wachsende Lebenserwartung und die seit Jahrzehnten niedrigen Geburtenzahlen kommt es zu erheblichen Verschiebungen in der Altersstruktur, auch bei der Erwerbsbevölkerung.

[Dies ist eine Leseprobe. Tabellen und Abbildungen sind nicht enthalten.]

Tab. 1: Bevölkerung im Erwerbsalter von 20 bis 60 Jahren verändert nach Statistisches Bundesamt, 2009, S.18

Den Daten der Tabelle 1 ist zu entnehmen, dass es im Jahr 2060 im Vergleich zu 2008 mindestens 28% weniger erwerbsfähige Personen geben wird. Das ent-spricht einem Rückgang von mindestens 14 Millionen potenziellen Arbeitnehmern, die der Wirtschaft nicht mehr zur Verfügung stehen (“Statistisches Bundesamt Bevölkerung Deutschlands“, 2009, S.18).

Diese Entwicklung führt zu konkreten Auswirkungen im Arbeitsumfeld der Men-schen. Die Erwerbsquote von Frauen und Beschäftigen mit Migrationshintergrund wird ebenso steigen wie das Durchschnittsalter der Belegschaften (Badura et al., 2014, S.181). Die 30 bis 49-Jährigen und die 50 bis 64-Jährigen werden zu je 40% Bestandteil der Erwerbspersonengruppe sein. Lediglich 20% dieser Gruppe be-steht dann aus jungen Arbeitskräften (“Statistisches Bundesamt Bevölkerung Deutschlands“, 2009, S.18).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die entstandene Schieflage auf dem Arbeitsmarkt nur im Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft und allen an-deren Arbeitsmarktakteuren wieder begradigt werden kann. Grundsätzlich müssen das Fachkräfteangebot vergrößert, eine leistungsgerechte Bezahlung garantiert und flexible Arbeitszeitmodelle geschaffen werden. Durch Einsatz moderner IT-Systeme ist es möglich, den Zeitaufwand für Verwaltungsaufgaben und Dokumen-tationspflichten zu verringern. Hinzu kommt, dass sich Unternehmen, im Sinne eines Employer Brandings [4] als attraktive Arbeitgeber neu positionieren und die Mitarbeiter in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen stellen müssen. Vor diesem Hin-tergrund wird strategisches und gesundheitsförderndes Personalmanagement, auch und besonders in Pflegeunternehmen, für eine Zukunftsplanung immer wich-tiger. Strukturelle Rahmenbedingungen müssen hierfür neu überdacht und optimiert werden.

3. Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM)

Die nachfolgenden Unterkapitel gehen auf die Begrifflichkeiten „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ und „Betriebliche Gesundheitsförderung“ ein und be-stimmen deren Einordnung.

3.1 Begriffsdefinition und Abgrenzung

Nach Dunkel (204, S.187) umfassen das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) und die Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) mehr als den klassi-schen Gesundheits- und Arbeitsschutz. „ Betriebliches Gesundheitsmanagement bezeichnet alle Tätigkeiten des Managements, die darauf abzielen, die betrieb-liche Gesundheitspolitik festzulegen und diese durch Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle zu strukturellen und prozessbezogenen Gesund-heitsmaßnahmen zu verwirklichen. Zu den strukturellen und prozessbezogenen Gesundheitsmaßnahmen und -programmen zählen Interventionen zum Zwecke der Gesundheitsförderung und des Arbeits- und Gesundheitsschutzes “ (Pfaff et al., 2001, S.32). Im weitesten Sinne sehen Walter et al. (2009, S.532) das BGM als eine Investition in das Sozial- und Humankapital eines Unternehmens und einen Beitrag in dessen Zukunftsfähigkeit.

Als fester Bestandteil im Unternehmensleitbild ist das BGM in alle Unter-nehmensroutinen mit eingebunden. Das bedeutet, dass alle unternehmerischen Entscheidungen und betriebliche Prozesse im Interesse des gesundheits-erhaltenden Umfeldes abgestimmt werden (Badura et. al., 2010, S.33).

Das BGM wird als übergeordnete Instanz verstanden. Während sich das BGM als ganzheitlich integriertes System versteht, werden unter dem Begriff BGF Einzel-maßnahmen wie z. B. rückenschonendes Arbeiten oder sonstige Angebote zur Gesundheitsförderung oder Prävention verstanden (Pfaff et al., 2001, S.32 ff.). Pfaff et al. (ebenda) teilen die BGF in direkte Maßnahmen, wie eine Rücken-schule, und indirekte Maßnahmen, wie Entscheidungen in der Personal-entwicklung ein. Prävention versteht sich hier als Modul, Krankheiten und Unfälle zu verhüten und das Fortschreiten einer Krankheit zu verhindern. Dies kann durch ein Zurückdrängen von Risiken und Entstehungsfaktoren von Krankheiten geschehen (Andreae, 2009, S.97). Die BGF sind als Handlungsfeld des BGM zu verstehen. Was dies genau bedeutet, wird in Anschnitt 3.6 des Kapitels gezeigt.

[...]


[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird hier und im Folgenden auf die Verwendung von Paarformen verzichtet. Stattdessen wird die grammatikalisch maskuline Form verallgemeinernd verwendet (generisches Maskulinum). Diese Bezeichnungsform umfasst gleichermaßen weibliche und männliche Personen, die damit selbstverständlich gleichberechtigt angesprochen sind.

[2] Der Terminus lässt sich schlecht ins Deutsche übertragen. Als Umschreibungen sind „auf empirisches Material gestützte“, „in Daten verankerte“ oder „gegenstandsbezogene Theorie“ wiederzugeben.

[3] Pathogenese: Erklärung von Krankheitsentwicklung und -entstehung inklusive aller beteiligten Faktoren

[4] Employer Branding kennzeichnet den Aufbau und die Pflege von Unternehmen als Arbeitgebermarke

Ende der Leseprobe aus 106 Seiten

Details

Titel
Resilienzfördernde Personalführung in Pflegeunternehmen. Eine Handlungsanleitung
Hochschule
Fachhochschule Burgenland
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
106
Katalognummer
V307968
ISBN (eBook)
9783668063624
ISBN (Buch)
9783668063631
Dateigröße
2719 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Personalführung, Resillienz, Pflegepersonal, Pflege, Gesunderhaltung pflegender Arbeitnehmer, Resilienz in Pflegeberufen, BGM, Stressbewältigung, MBA
Arbeit zitieren
Adriano Pierobon (Autor:in), 2015, Resilienzfördernde Personalführung in Pflegeunternehmen. Eine Handlungsanleitung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/307968

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