Die Sprachgesellschaften der Aufklärung und der Verein Deutsche Sprache. Sprachpurismus gestern und heute


Term Paper, 2015

16 Pages, Grade: 1,5


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
2.1 Opitzens Aufruf zur Bewahrung der Muttersprache
2.2. Sprachliche Reinheit als Ideal

3. Campes Sprachkonzeption

4. Sprachpuristische Versuche Philipps von Zesen

5. Entwicklung der puristischen Sprachgesellschaften

6. Sprachpflege heute

7. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Fast jeder Schneider

Will jetzund leider

Der Sprach erfahren sein

Und redet Latein,

Welsch und Französisch,

Halb Japonesisch,

Wenn er ist doll und voll,

Der grobe Knoll

Der Knecht Matthies

Spricht: bona dies!

Wann er gut Morgen sagt

Und grüßt die Magd;

Die wendt den Kragen,

Tut ihm Dank sagen,

Spricht: Deo gratias,

Herr Hippocras!

Ihr bösen Teutschen,

Man sollt euch peutschen,

Daß ihr die Muttersprach

So wenig acht't.

Johann M. Moscherosch: Philander von Sittewalt (1601 - 1699)

Treffender könnte man die aufkommenden Bestrebungen des deutschen Sprachraums im frühen 17. Jahrhundert, die Muttersprache zu purifizieren und von sämtlichen fremdsprachlichen Einflüssen weitestgehend zu säubern, wohl kaum beschreiben.

Dieser sehr patriotisch anmutende Sprachpurismus ist also folglich nicht, wie allzu oft behauptet wird, ein absolut neuzeitliches Phänomen, das erst im Zuge der allgemein wachsenden Angst vor einem dramatischen Identitätsverlust entstanden und ausschließlich auf die rasend schnelle Globalisierung unserer heutigen Welt zurückzuführen sei.

Er ist vielmehr der Begriff einer revolutionären Bewegung und Institutionalisierung von Dichtern sowie Gelehrten der europäischen Aufklärung, welche im ersten Abschnitt der Arbeit dargestellt werden soll. Dabei soll vor allem auf die frühen Sprachpuristen Philipp von Zesen und Joachim Heinrich Campe eingegangen werden, welche durch ihr Wirken unseren heutigen Sprachgebrauch maßgeblich beeinflusst haben. Hierbei sollen vor allem die Reinigung des Wortschatzes von Fremdwörtern sowie die Imagination einer Sprachreinheit im klassisch-ideologischen Sinne unter die Lupe genommen werden.

Des Weiteren gilt zu klären, welche Rolle erste Sprachgesellschaften wie die Fruchtbringende Gesellschaft oder Teutschgesinnte Gesellschaft in der Frühphase der Aufklärung für die Sprachkultivierung gespielt haben, um abschließend den Bogen zur heutigen Situation der Sprachpflege sowie des Sprachwandels zu schlagen.

Die Proseminararbeit beschäftigt sich vor allem mit den folgenden Fragen: Welche Rolle spielt der Sprachpurismus in der heutigen Gesellschaft? Ist etwa die Reinheit der Sprache für ihre Anwender überhaupt noch ein Thema, oder gilt diese Vorstellung angesichts der jüngsten Anglizismen-Welle inzwischen als antiquiert und vollkommen überholt?

Dabei soll unter anderem der Versuch unternommen werden, die zeitgenössische Tätigkeit des Vereins Deutsche Sprache e.V. in diesem Zusammenhang zu diskutieren und ihr ideelles Selbstverständnis kritisch zu beleuchten, welches primär durch die Angst vor einem künftigen Sprachverfall oder - um es mit der Polemik der Sprachpfleger auszudrücken - herannahenden Denglisch geprägt zu sein scheint.

Abschließend werden die daraus gewonnenen Ergebnisse dem anfangs geschilderten historischen Sprachpurismus der Frühaufklärung gegenübergestellt und dabei die Erkenntnisse möglichst vorsichtig zu einem zuvörderst der Übersicht dienenden Fazit zusammengeführt.

2.1 Opitzens Aufruf zur Bewahrung der Muttersprache

Der Beginn einer ernsthaft betriebenen Sprachkultivierung innerhalb des deutschen Sprachraums wird in der sprachgeschichtlichen Forschungsliteratur häufig in der Frühphase der europäischen Aufklärung - vornehmlich initiiert durch die gehobene Bildungsschicht - angesetzt. Der Sprachpurismus trat demnach, diachron betrachtet, erst nach der Ablösung des Mittelhochdeutschen durch das Frühneuhochdeutsche und mit dem Einsetzen der europäischen Renaissance sichtbar in Erscheinung.

Das Lateinische wurde infolgedessen vor allem im wissenschaftlichen Bereich sowie auch in der Lyrik immer mehr durch die deutsche Muttersprache verdrängt, da durch die Erfindung des Buchdrucks immer mehr Menschen auch außerhalb des Klerus an geistige und gleichermaßen weltliche Literatur gelangen konnten, was die Alphabetisierungsrate der Bevölkerung ungemein ansteigen ließ.

Den Untergang des Lateinischen bzw. sämtlicher klassischer Sprachen und gleichzeitigen Beginn einer neuen deutschen Sprachära beschreibt der wohl bedeutendste Dichter des Barock Martin Opitz in seinem Vortrag Aristarchus oder über die Verachtung der deutschen Sprache, welchen er im Jahre 1617 vor den Beuthener Gymnasiasten hielt, mit folgenden radikalen Worten: „Und in kurzem, ehe wir noch ihr Verschwinden bemerken, werden wir sehen, daß sie schon entschwunden ist“ (zit. nach Szyrocki 1989: 699).

Opitz stellt die deutsche Sprache stets als eine edle Jungfrau dar, welche durch äußere Faktoren und fremdsprachliche (lateinische, französische und griechische) Interferenzen verdorben und geschändet würde, sei die von den Germanen stammende Muttersprache doch allen anderen Sprachen der Welt deutlich überlegen. Nach dem Motto Hic Rhodus, hic salta! fordert er erstmals eine Pflege und energische Wahrung der Superiorität der eigenen Muttersprache durch grundsätzliche Distanzierung von übertriebenem Gebrauch fremdsprachlicher Lexeme, auch wenn man humanitas und elegantia aus Frankreich und Italien lernen kann (Jones 1995: 37).

2.2. Sprachliche Reinheit als Ideal

Für die Sprachpfleger des Barock war die Reinheit der Sprache von zentraler Bedeutung, was häufig in der Lyrik zum Ausdruck kam.

So legt Martin Opitz in seinem Opus magnum Buch von der Deutschen Poeterey im Jahre 1624 sein Ideal der sprachlichen Reinheit dar, indem er den ästhetischen Rahmen der Rhetorik vorgibt und sich dabei auf die Elemente der Zierlichkeit, Zusammensetzung und Erhabenheit der Wörter beruft.

Im 6. Kapitel Von der zuebereitung vnd ziehr der worte behandelt Opitz ganz präzise den korrekten Gebrauch von Lexemen, „wie es der natur auch gemeße“ sei (Opitz 1641: o. S.).

Nach seiner Vorstellung erfordert das Element der Zierlichkeit, dass die Worte unbedingt rein und deutlich sein müssten. Um eine solche Reinheit in der Wortwahl sowohl in der mündlichen als auch schriftlichen Kommunikation zu erreichen, solle man sich stets am Hochdeutschen orientieren und es vollständig unterlassen, mittels Dialekt zu kommunizieren, da ansonsten „falsch geredet wird“ (ebd.).

Interessant ist hierbei, dass zu der Zeit Opitzens der ernsthafte Glaube an so etwas wie eine urtümliche und absolut reine hochdeutsche Sprache überwog, die unabhängig von sämtlichen Mundarten, welche ohnehin Missbildungen und fehlerhafte Varianten des Hochdeutschen seien, seit jeher existieren würde. Die aktuell vertretene sprachwissenschaftliche Ansicht ist jedoch, dass das Hochdeutsche selbst ein Mischprodukt aus vielen unterschiedlichen hochdeutschen Dialekten ist, weshalb die damalige Vorstellung von Opitz und seiner Zeitgenossen inzwischen als überholt und absurd erscheinen mag.

Dieses Ideal war auch womöglich der Auslöser für die immense Abneigung und Entrüstung der Sprachpfleger gegenüber Fremdwörtern, wie sie insbesondere Opitz (ebd.). in seinem parodistischen Kurzgedicht meiner Meinung nach äußerst trefflich formuliert:

So stehet es auch zum hefftigsten unsauber, wenn allerley Lateinische, Frantzösische, Spanische unnd Welsche wörter in den text unserer rede geflickt werden; als wenn ich wolte sagen:

Nennt an die courtoisie, und die deuotion,

Die euch ein cheualier, madonna, thut erzeigen:

Ein' handvol von fauor petirt er nur zue lohn,

und bleibet ewer Knecht und seruiteur gantz eigen.

Des Weiteren fährt Opitz, sich über den Fremdwort-Fetischismus seiner Zeitgenossen echauffierend, fort und demonstriert die römischen Schriftgelehrten aus der Antike als Vorbild für den deutschen Sprachraum:

Wie selttzam dieses nun klinget, so ist nichts desto weniger die thorheit innerhalb kurtzen Jharen so eingeriessen, das ein jeder, der nur drey oder vier außländische wörter, die er zum offtern nicht verstehet, erwuscht hat, bey aller gelegenheit sich bemühet dieselben herauß zue werffen, Da doch die Lateiner eine solche abschew vor dergleichen getragen, das in jhren versen auch fast kein griechisch wort gefunden wird, (…)

Opitz prangert hier explizit mangelnde Verständlichkeit im sprachlichen Austausch der Menschen untereinander bei forschem und unüberlegtem Gebrach von „außländischen wörter[n]“ an, was seine Sprachkritik auf eine pragmatische statt ideologische Ebene trägt. Angesichts der damaligen hohen Verbreitung humanistischer Bildungsinhalte, welche vornehmlich in lateinischer und griechischer Sprache verfasst worden sind und in gebildeten Kreisen nicht mehr wegzudenken waren, mag Opitzens naturalistisch angehauchte Sprachvorstellung dennoch etwas eigenartig und befremdlich erscheinen. Doch mit seiner überaus herben Kritik am damals stark verbreiteten Gebrauch von Fremd- und Lehnwörtern stand er nicht allein - im Gegenteil. Sie war der Anstoß für eine neue Ära in der deutschen Sprachgeschichte mit weitreichenden Folgen für Lyrik und Morphologie.

Besonders Campe orientierte sich sichtlich an den kritischen Gedanken Opitzens zur Sprachreinheit als Vorlage und führte sie weiter zu seiner eigenen puristischen Konzeption aus, welche im folgenden Kapitel behandelt werden soll.

3. Campes Sprachkonzeption

Joachim Heinrich Campe nimmt den linguistischen Reinheitsgedanken von Opitz auf und erweitert diesen um eine geographisch-ethnographische Dimension, welche primär durch das Wechselverhältnis von Allgemeinheit und Besonderheit, Gleichheit und Verschiedenheit geprägt ist (Jones 1995: 232).

Ausgangspunkt seiner Theorie ist die Kongruenz aller fremdsprachlichen Einheiten in Bezug auf ihre Ursprungssprache, was jedoch im Endeffekt wiederum eine Sprachreinheit im Sinne von Fremdwortfreiheit ergeben soll.

Campe geht in seiner Theorie von einer grundsätzlichen Allgemeinheit und Gleichheit der sprachlichen Kommunikation als Grundlage aus, auf welcher das Besondere und Verschiedene aus der diachronisch-etymologischen Perspektive basieren, die wiederum in Relation zur Homogenisierung seiner synchronischen Sprachanalyse mit historisch-etymologischer Sprachanalyse, seiner Konzentration auf die Semantik - unter Berücksichtigung des Ausdrucks per se - und seiner Fokussierung auf die jeweilige Erkenntnisdimension stehen (Jones 1995: 232).

In der Praxis bestand Campe also auf einen diversifizierten Sprachpurismus, der in vielerlei Richtungen geht, statt sich auf eine einzige zu beschränken. Er forderte Sprachpflege im Sinne von Konservierung der Erbwörter, Sprachreinigung mittels Eliminierung von Fremdwörtern und Sprachbereicherung durch Substitution von zwischensprachlichen, unvollständig assimilierten Lehnwörtern, wovon aber in die Muttersprache bereits eingeflossene Fremdwortzitate bzw. Sprichwörter nicht betroffen sind.

Campe vertrat in seiner Sprachvorstellung eine sehr ähnliche Meinung wie Opitz.

Allerdings wandte er sich dem Hochdeutschen eher als Ausgleichssprache zu, die sich selbst aufgrund ihrer zahlreichen Varietäten bereichern kann und Selbständigkeit bewahren sollte, wodurch sich Entlehnungen aus anderen Sprachen vermeiden ließen. Kongruent zu Opitz ist dennoch die naturalistisch begründete Auffassung, dass das Hochdeutsche die reinste und somit gleichzeitig überlegenste aller deutschen Sprachvarietäten sei.

[...]

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Details

Title
Die Sprachgesellschaften der Aufklärung und der Verein Deutsche Sprache. Sprachpurismus gestern und heute
College
University of Basel  (Deutsche Philologie)
Course
Geografie und Geschichte der deutschen Sprache
Grade
1,5
Author
Year
2015
Pages
16
Catalog Number
V308091
ISBN (eBook)
9783668063525
ISBN (Book)
9783668063532
File size
481 KB
Language
German
Keywords
Sprachpurismus, Philipp von Zesen, Sprachreinigung, Deutsche Sprache, Fremdwörter, Nationalismus, Sprachpatriotismus, Purismus, Sprachreinheit, Martin Opitz
Quote paper
Ugur Koc (Author), 2015, Die Sprachgesellschaften der Aufklärung und der Verein Deutsche Sprache. Sprachpurismus gestern und heute, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/308091

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