Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG
I. Zur Einordnung des „Akzeptanzbegriffs“
II. Veränderte Arbeitszeiten als zentrales Faktum für veränderte Arbeitsstrukturen
III. Die Bedeutung von Lebensführung, Identität und Werte-Haltung im Arbeitsleben
IV. Die normative Subjektivierung der Arbeit
V. Neue Lebens- und Arbeitswelten - Ein Modell
VI. Schlußbemerkung
Einleitung
Angesichts einer derzeit wieder zunehmenden Arbeitslosenzahl von mittlerweile über vier Millionen Erwerbslosen - von der Dunkelziffer einmal abgesehen -, stellt sich die Frage, ob der fortgeschrittenen Industriegesellschaft die Arbeit ausgeht, was in der Diskussion über das vermeintliche „Ende der Arbeitsgesellschaft“ schon seit den 70er Jahren erörtert wird, ob vergleichsweise andere Formen von Arbeit entstanden sind, die aufgrund fehlender gesetzmäßiger Regelungen nicht bzw. nur schwer für die Soziologie empirisch erfaßbar sind und somit in der Erstellung von Tabellen zur Erwerbstätigkeit unter den Tisch fallen oder ob gar ein „Überdruß“ gegenüber Erwerbsarbeit in Teilen der Bevölkerung entstanden ist, der sich darauf gründen ließe, daß eine zunehmende Verbesserung sozialstaatlicher Leistungen dazu führte, letztere bis auf „äußerste“ - ganz nach dem Rational- Choice-Prinzip - auszunutzen, während „man“ sich mehr im privaten Bereich in die Arbeit - welcher Art auch immer - stürzte.
Erste Schwierigkeiten bei der Formulierung des Problems, die in diesem groben Abriß auf tauchen, zeigen sich in der Definition von Arbeit. Während in den Anfängen der Industri egesellschaft einzig und allein die Erwerbsarbeit den Status von Arbeit zuerkannt bekam, wohingegen außerberufliche Tätigkeiten, wie z.B. die Haushaltsführung im privaten Bereich als Nebenaufgabe abgetan wurde, hat sich im Laufe eines Prozesses der zunehmenden Arbeitszeitverkürzung ein neues Verhältnis in der klassischen Trennung des (Arbeis-)Lebens von „Arbeit“ und „Reproduktion“ herausgeschält. Ein daraus resultierender zunehmend höherer Stellenwert der Freizeit ließ mit wachsendem Wohlstand den Wunsch in der Bevölkerung aufkommen, die dadurch ermöglichten Angebote stärker zu nutzen. Damit ging ein ansteigender Trend zur Individualisierung in der Lebensgestaltung, eine ausdifferenziertere Bedürfnisstruktur in den sich verwischenden sozialen Schichten und Klassen und aufgrund der daraufhin verschwindenden Grenzen, die gleichsam in so manchen Teilen der Bevölkerung einen anomischen Zustand - im Durk- heimschen Sinne - hervorriefen, eine Identitätskrise einher. Folglich ist es notwendig moderne Arbeitsstrukturen zu legitimieren, die veränderte Lebensführungskonzepte ermöglichen. Dabei stellen sich Fragen wie z.B.: lassen sich moderne neu entstehende Schichten oder Klassen ausmachen und inwiefern sind diese mit Ansprüchen an Arbeitsbedingungen in Verbindung mit persönlichen Präferenzen im privaten Bereich erfaßbar?
I. Zur Einordnung des „Akzeptanzbegriffs“
In Anbetracht einer äußerst differenziert vorliegenden Beschreibung des Akzeptanzbegriffes bedarf es in dem hier vorliegenden Kontext einer Einengung seiner Dimension; dabei ist es nicht allzu schwer nachzuvollziehen, aus welchem Grund bei einer genaueren Bestimmung in Bezug auf die hier vorliegende Thematik die Nähe zum „Legitimitäts“- Begriff stärker zum tragen kommt, als zu etwaigen anderen gebräuchlichen Synonymen, wie „Konformität“ oder „Toleranz“[1]. Dies liegt daran, daß die traditionelle Arbeitswelt notwendigerweise durch z.B. tarifvertragliche Vereinbarungen bzgl. Arbeitszeit, Einkommensfestlegung oder auch Arbeitsplatzbedingungen streng gesetzlich geregelt ist. Sogar die Interessenvertretungen sowohl von seiten der Arbeitgeber in Form der Arbeitgeben7 erbände als auch von seiten der Arbeitnehmer durch Gewerkschaften unterliegen als Institutionen einer geregelten innerstrukturellen Organisation und bzgl. gemeinsam auszuhandelnder Tarifverträge einer staatlich vorgegebenen Rahmengesetzgebung. Noch deutlicher läßt sich der offensichtlich vorliegende Legitimitätsanspruch in der Arbeitswelt auf den Terminus „Ideologische“ Legitimität verengen. Dies meint, daß sich eine Rechtfertigung von Normen, Institutionen und Sozial Ordnungen - worunter in diesem Fall die o.g. tarifverträglichen Regelungen und die Tarifvertragsparteien fallen - von politischen, ökonomischen u.a. Interessen herleiten läßt und diese somit gegenüber dem Arbeiter einen von außen vorgegebenen Zwangscharakter besitzen. Doch „Legitimität“ impleziert nicht nur die faktische Gültigkeit bestehenden Rechts, sondern auch die daraus hervorgehenden Prinzipien und Werte, die im Arbeitsleben die Ausgestaltung von Rechtsgrundlagen begleiten, wobei gerade über die Wertedimension ein Wandel der gesetzmäßigen Bestimmungen möglich ist, da sich darin individuelle Einstellungsmuster gegenüber Ansprüchen an die Arbeit äußern, die in der Folge durchgesetzt werden wollen.
Um nun das an dieser Stelle auftretende Akzeptanzproblem zu verdeutlichen, welches dadurch hervorgerufen wird, das sich neue Arbeitsformen und -Strukturen bilden, die bisher geltendes (Arbeits-)Recht aufweichen, scheint es angebracht, dies anhand der theoretischen Einteilung von Akzeptanzobjekt, -subjekt und -kontext vorzunehmen. Als Akzeptanzobjekte zeigen sich in diesem Rahmen sämtliche Variationen oder Ausgestaltungen von möglichen Formen der Arbeit, wie z.B. Gleitzeit-, Schicht- oder Teilzeitarbeit und den damit einhergehenden Lebensführungskonzepten (s. dazu Kap.II & III). Als Akzeptanzsubjekte können sowohl alle potentiellen Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber verstanden werden, da sie sich aus (noch) zu bestimmenden Gründen für eine bestimmte Lebensund Arbeitsweise entscheiden[2] und folglich ihre Akzeptanz bekunden, wobei letztere zusätzlich in der Weise, daß sie sich mit Forderungen von seiten der Arbeitnehmer hinsichtlieh Veränderungen - das komplexe Gefüge Arbeit betreffend -zu beschäftigen haben, gezwungen sind, diese Forderungen anzunehmen oder abzulehnen und somit zu einer Entscheidung im Sinne von Akzeptanz zu kommen. Schließlich resultiert aus der wechselseitigen Bezogenheit von Akzeptanzobjekt und -subjekt ein gemeinsamer Akzeptanzkontext, der sich in einer (dann) neu geregelten gemeinsamen Arbeitsbeziehung manifestiert und in einem - im speziellen Einzelfall bestimmten Berufszweig oder einer Tätigkeit konkret wird. Die Konstitution dieser drei geschilderten Teilaspekte von Akzeptanz führen zu einem soziologischen Tatbestand, den es als Faktum sozialer Wirklichkeit empirisch nachzuweisen gilt. Die Schwierigkeit, die sich dabei für die Praxis ergibt, ist, daß streng gesetzlich geregelte traditionelle Arbeitsverhältnisse - wie in der Einleitung erwähnt - empirisch eindeutiger nachzuweisen und zu erfassen sind als alternativ sich erst ausbildende Strukturen. Daher soll in dieser Arbeit insbesondere auf die Veränderungen in der Industrie eingegangen werden (s.Kap.IV), die durch eine normative Subjektivierung/ Modernisierung der Arbeitsstrukturen eine „neue“ Legitimation erhalten sollen.
II. Veränderte Arbeitszeiten als zentrales Faktum für veränderte Arbeitsstrukturen
Von sämtlichen Faktoren, die das Verhältnis der erwerbstätigen Bevölkerung zur Arbeit am stärksten verändert haben, hat sich die Entwicklung in der Arbeitszeitstruktur herausgestellt. Während bis 1957 für Arbeiterinnen und Angestellte eine wöchentliche Regelarbeitszeit von 48 Stunden galt, wurde das Arbeitspensum von diesem Zeitpunkt an in unregelmäßigen Abständen zunächst um jeweils eine Stunde pro Woche von 45 auf 42 heruntergeschraubt und liegt nach weiteren Kürzungen hin zu einer 40- bzw. 39- nun bei einer 38,5-Stunden-Woche, wobei vorübergehend sogar Verhandlungen zu einer 35- Stunden-Woche im Gespräch waren. Eine als Resultat aus diesem Prozeß sich ergebende Zeitersparnis von ca 10 Stunden die Woche öffnete dem einzelnen nicht nur mehr Raum, sich anderen Sphären der Lebensgestaltung wie z.B. der Familie, Freunden, Nachbarschaft oder der eigenen Fort- und Weiterbildung zu widmen, sondern gab auch aufgrund des vollen Lohnausgleiches, der im Zuge der Arbeitszeitverkürzung ausgehandelt wurde, die Mittel in die Hand, den Lebensstandard, wenn nicht zu verbessern, so doch zumindest zu halten, was sich insofern auf die Bedürfnisstruktur der Individuen auswirkte, da daraus höhere Ansprüche resultierten, die verwirklicht werden wollen.
Desweiteren kam es im Zuge dieser Erosion der Arbeitszeiten auch zu einer Flexibilisierung derselben, d.h., daß ursprünglich von einem „normalen Arbeitstag“ mit „Normalarbeitszeiten“ ausgegangen wurde,der sich dadurch auszeichnete, daß er regel- mäßig zur immer gleichen Zeit und von gleicher Dauer im Zeitraum von morgens bis nachmittags oder dem frühen Abend und von Montags bis Freitags verlief, während die Flexibilisierung der Arbeitszeiten sich durch die Möglichkeit zur Gleitzeit- oder Teilzeitarbeit bzw. Schichtarbeit und schließlich einer zunehmenden Arbeitsform der freien (Selbst- Gestaltung charakterisierte. Diese Flexibilisierung hatte wiederum Auswirkungen auf die restliche Lebensführung. Im Gegensatz zur Gleitzeit, die als eine Variation der Normalar- beitszeit bezeichnet werden kann, da sie lediglich den Beginn und das Ende des Antritts zur Arbeit dem Arbeitnehmer in einer allerdings angegebenen Zeitspanne überläßt, stellt die Teilzeitarbeit ein völlig anderes Konzept dar, die jede erdenkbare Form der Arbeits- zeitgestaltung offen läßt und von daher Verhandlungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern notwendig macht. Vor allem durch ein immer stärkeres Vordringen der Frau ins Erwerbsleben,welche zumeist unter dem Aspekt zur Erlangung sozialer Anerkennung - und weniger des Geldes wegen - eine berufliche Tätigkeit erstrebte, bildete sich diese Form aus, da sie zugleich die Vereinbarkeit mit der Regelung häuslicher und familiärer „Probleme“ - ein Aspekt, der für viele Frauen immer noch als entscheidend erachtet wird - ermöglichte. Schichtarbeit unterliegt zwar auch einer Regelung und insbesondere einem Rhythmus, bietet aber auf der anderen Seite aufgrund des unterschiedlichen Grades der Belastung des Arbeitnehmers besondere Freiräume im privaten Bereich. Die freie Arbeitszeitgestaltung war in manchen Berufen schon immer gegeben wie z.B. bei Künstlern jeder Art oder Literaten, erhält aber im Zuge der wachsenden Individualisierungsbestrebungen auch in anderen Arbeitsbereichen an Bedeutung.
Entscheidend ist, daß Ergebnisse vorliegen, die besagen, daß eher „ungewöhnliche“ Arbeitszeiten sich auf immer mehr Berufsgruppen ausbreiten und dabei auch den Industriezweig betreffen. „Während 1987 (nur) noch 27% aller Beschäftigten innerhalb des Nor- malarbcitszeitstandars tätig waren, hat sich diese Zahl 1989 auf 24% weiter verringert.
(...) Das heißt: 76% der Beschäfigten leisten Wochenend- oder Schichtarbeit, haben regelmäßig Überstunden, sind von Kurzarbeit, Arbeit auf Abruf oder sonstiger Formen sog. flexibler Arbeitszeitgestaltung betroffen, leisten Teilzeitarbeit oder haben gleitende Arbeitszeit“ (Jurczyk/ Rerrich 1993:236). Hier scheint man auf ein Merkmal von Akzep tanz zu treffen, das sich dadurch begründen läßt, daß der Zwangscharakter der „Normalarbeitszeit“ die individuellen Freiheitsbestrebungen der Erwerbsbevölkerung zu sehr einschränkt und dagegen das aushandeln flexibler Arbeitszeiten stärker auf den Grad der Selbstbestimmung und Autonomie des Arbeitnehmers verweißt, was im Zuge des Wertewandels - auf den noch näher einzugehen sein wird -, der sich aus Gründen einer materiellen Sicherheit durch den bis in die 80er Jahre hinein erwirtschafteten Wohlstand ergab, immer stärker in den Vordergrund trat.
III. Die Bedeutung von Lebensführung, Identität und Werte-Haltung im Arbeitsleben
Die mit den veränderten Arbeitszeitstrukturen neu entstehenden Möglichkeiten der Lebensgestaltung führten zu einer differenzierten Bewertung und damit auch Gewichtung von Arbeitssphäre und Freizeitbereich. Zusammen mit dem in diesem Prozei3 einherziehenden Wertewandel, der zu einer veränderten Arbeitswelt beitrug und der die Entstehung individueller Lebensformen unterstützte, bestimmt dies die Lebensführungs-Diskussion. In ihr wird nicht nur als einer von drei Punkten die Flexibilisierung der Arbeitszeiten berücksichtigt, sondern auch zweitens die Individualisierung und Pluralisierung der Lebenspraxis, die sich an Autonomie und Selbstentlältung des Individuums orientiert und schließlich die Aufwertung produktiver Tätigkeiten im außerbetrieblichen Bereich in Gestalt von z.B. Nachbarschaftshilfe, Bürgerinitiativen oder Selbsthilfegruppen auf die hier nicht näher eingegangen wird. Demnach läßt sich die heutige Lebensgührung nich mehr auf die beiden eindeutig funktional zugeordneten Bereiche „Arbeit“ und „Reproduktion“ reduzieren, sondern als Lebensführung wird die Gesamtheit aller Tätigkeiten im Alltag von Personen angesehen, die das Leben eines Menschen ausmachen.Dieses komplexe Gebilde zu untersuchen, hat sich die sog. „Subjeklorientierte Soziologie“ zur Aufgabe gemacht; m.a.W. „analysiert sie, (...) wie das Leben von Menschen durch diese (gesellschaftlichen) Strukturen geprägt wird,aus welchen menschlichen Bestrebungen und Verhaltensweisen diese Strukturen entstanden sind und wie Menschen sie durch ihr Verhalten festigen, verändern oder auflösen“ (Voß 1991: 11).Da in erster Linie der private Bereich von Familie, Freunden, Nachbarschaftspflege undeigene Weiterbildung für das Individuum immer mehr an Bedeutung gewinnt, ist es eine logische Schlußfolge, daß dies rückwirkend die Arbeitswelt beeinflußt.So ist denn auch der „Wertewandel (...) ein Prozeß der Umstrukturierung von Wertmustem, in dessen Verlauf die Rationalität der Arbeitswelt als Bezugspunkt dominanter Werte von anderen sozialen Rationalitäten verdrängt wird“ (Hinrichs/ Wiesenthal 1982: 120). Diese anderen sozialen Rationalitäten werden besonders auch insofern wichtig, da der Arbeitsplatz seine identitätsstiftende Funktion einbüßt, die in herkömmlichen traditionellen Arbeitsverhältnissen vor allem durch die Gewerkschaften gewährleistet wurde, die die gemeinsame Haltung der Arbeiterschaft vertraten, woraus über diese Bindung zugleich ein gemeinsames berufsbezogenes Lebensmuster bei Arbeitern der verschiedenen Industriezweige entstand. Also können „sozialer Status und Ich-Identität (...) nicht mehr problemlos aus der Orientierung an beruflichen Karrieremustem und einer kontinuierlichen Arbeitsbiographie bezogen werden (...)“ (Hinrichs/ Wiesenthal 1982: 125).
[...]
[1] diese drei Begriffe lassen sich als erste grobe Einteilung in der Variierbarkeit von Akzeptanz nennen; s. dazu Lucke (1995: 53 fl)
[2] der Ermittlung dieser Gründe widmet sich die „subjektorientierte Soziologie“; s. dazu auch Kap.III