Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Problemaufriss
2. Theorie & Methode
2.1 „Essentially Contested Concept“
2.2 Anwendung und Verbindung zur Forschungsarbeit
3. Analyse des Datenmaterials
3.1 Der Begriff der „Sicherheit“
3.2 Der Begriff des „Terrorismus“
3.3 Der Begriff der „Verantwortung“
4. Ergebnisdiskussion
5. Literaturverzeichnis
6. Abbildungsverzeichnis
1. Problemaufriss
„Entschuldigung, ich bin nicht überzeugt.“ Diesen prägnanten und später geschichtsträchtigen Satz entgegnete der deutsche Außenminister Joschka Fischer dem amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld auf der Münchener Sicherheitskonferenz am 09. Februar 2003. Zuvor hatte Rumsfeld mit einer für den Grünen-Politiker wenig überzeugenden Argumentation, die mittlerweile nachweislich auf der falschen Annahme von Massenvernichtungswaffen beruhte, für internationale Unterstützung bei einer Invasion des von Saddam Hussein regierten Iraks geworben.[1]
Diese Disharmonie markierte einen Wendepunkt in den deutsch-amerikanischen Beziehungen, die seit der Niederwerfung des Hitler-Regimes bis zu obigem Datum von Kontinuität, Kooperation und Vertrauen geprägt waren. Nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 entschied sich der Bundestag noch, den Angriff der USA auf Afghanistan mit Bundeswehrsoldaten zu unterstützen und schickte damit zum zweiten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Soldaten ins Ausland. In den Jahren danach wurde der islamistisch begründete Terrorismus zwar zum Mittelpunkt westlicher, sicherheits- und außenpolitischer Strategien, jedoch war der Irak in den Augen der damaligen rot-grünen Bundesregierung nicht der Mittelpunkt einer „Achse des Bösen“.
Folglich lehnte der 15. Bundestag am 13. Februar 2003 einen Entschließungsantrag, der unter Federführung der CDU/CSU-Fraktion zustande kam, mit 268 Ja- bei 301-Nein-Stimmen und drei Enthaltungen ab (vgl. Bundestag 2003c: 1909-1912). In diesem klagte die Opposition unter anderem die Vorfestlegungen der Regierung in der Irak-Frage, die dadurch bedingte Untergrabung der eigenen Verhandlungsfähigkeit und der außenpolitischen Handlungsfähigkeit der Europäischen Union sowie die enorme Belastung der amerikanisch-deutschen Beziehungen an. Dabei forderte sie die rot-grüne Regierung auch auf, im Notfall nicht auf eine militärische Lösung zu verzichten (Bundestag 2003b: 2): „Wer den Druck auf Saddam Hussein schwächt, wird seine Bereitschaft zum Einlenken nicht fördern und verringert die Chancen für den Frieden.“
Auch ein weiterer Antrag vom 11. Februar 2003 der maßgeblich beteiligten CDU/CSU-Fraktion in der gleichen Bundestagssitzung am 13. Februar 2003 erfuhr mit 302-Nein-Stimmen zu lediglich 231-Ja-Stimmen und 37 Enthaltungen Ablehnung (vgl. Bundestag: 2003c: 1914-1916). Hierin mahnten Merkel und die Opposition noch einmal (Bundestag 2003a: 2): „Das irakische Regime und seine Massenvernichtungswaffen sind eine klare Bedrohung für die Weltsicherheit. [...] Auf diese Weise haben wir [Europäer] klar, fest und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass wir die Welt von der Gefahr der Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins befreien wollen. Gemeinsam müssen wir darauf bestehen, dass sein Regime entwaffnet wird.“
Die damalige rot-grüne Regierung und Bundestagsmehrheit unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und die oppositionellen PDS-Abgeordneten[2] brachten mit dem Votum bezüglich des Entschließungsantrages ihre Auffassung in der Irak-Frage zum Ausdruck: Eine Ablehnung eines Engagements der Bundeswehr und keine Unterstützung der USA.
Diese aussagekräftige Positionierung war nicht ohne Konsequenzen. Schon im Vorfeld der deutschen Bundestagsdebatte war die Europäische Union in verschiedene Lager zerfallen, wobei sich Frankreich als stärkster Gegenpol der USA hervortat und dementsprechend auch im UN-Sicherheitsrat eine Kriegsresolution mit seinem Vetorecht blockierte. Im „Offenen Brief der Acht“[3] vom 30. Januar positionierten sich Großbritannien, Spanien, Italien, Dänemark, Portugal, Polen, Ungarn und Tschechien auf Seiten der USA. Später befürworteten auch Albanien, die baltischen Staaten, Bulgarien, Kroatien, Mazedonien, Rumänien, die Slowakei und Slowenien einen Einsatz der USA. In diesem Zusammenhang sprach US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld von einer Spaltung in ein „altes“ und „neues Europa“, wobei für ihn der Begriff „neu“ mit den Staaten, welche die USA unterstützten, korrelierte. Auch eine Sicherheitsratssitzung vom 05. Februar 2003 konnte alleine durch das französische Veto keine Legitimation eines amerikanischen Krieges hervorbringen, wobei auch China und Russland sowie die von den USA stark abhängigen Chile, Mexiko und Pakistan nicht für den Krieg stimmten. Auch nach der Abstimmung verdichteten sich die Bewegungen gegen ein Einschreiten: Am 15. Februar demonstrierten in allen westeuropäischen Ländern Millionen von Menschen gegen den Krieg und die wichtigsten EU-Kriegsgegner Belgien, Deutschland, Frankreich oder Luxemburg sahen sich vor dem EU-Sondergipfel am 17. Februar erneut bestätigt.
Doch nicht nur im internationalen, sondern auch im innerstaatlichen Diskurs erwies sich die Lage als schwierig. Erschwerend kam hinzu, dass die Entscheidung zu einem unumgänglichen pro oder contra USA stilisiert wurde, in der eine genaue Überprüfung der Faktenlage nicht selten polemischen und unreflektierten Äußerungen weichen musste.
Aus dieser brisanten Konstellation des engeren diskursiven Umfeldes wird deutlich, in welchem Zusammenhang die Teilnehmer der Bundestagsdebatte kontextualisiert sind und welch entscheidende Relevanz die getroffenen Entscheidungen am 13. Februar 2003 einnahmen. Schließlich positionierte sich die Mehrheit des Bundestages mit der Ablehnung der beiden Anträge, die auf eine Unterstützung der Vereinigten Staaten abzielten, gegen die USA und stellte somit das transatlantische Verhältnis auf eine harte Probe, was die Opposition[4] aus CDU/CSU und FPD mehrmals heftig kritisierte. Darüber hinaus brachte die Bundesregierung damit den empfundenen Willen eines Großteils der (europäischen) Bevölkerung zum Ausdruck und festigte seine Stellung auf Seiten der Kriegsgegner und gegen die von der USA und Großbritannien angeführte Koalition.
Von besonderem Interesse wird dabei im Rahmen unserer Forschungsarbeit sein, wie wesentliche Begriffe des Diskurses aus den unterschiedlichen politischen Positionen verwendet wurden und welche Wirkung sie erzielen sollten. Daher erscheint nicht zuletzt die Betrachtung der Bundestagsdebatte als sinnvoll, da hier die mehrheitlichen geistigen Strömungen der Bundesrepublik in einem formellen Forum konkurrieren. Zudem gibt uns die Eingrenzung auf die rund 40-Seiten lange Debatte vom 13. Februar 2003 die Möglichkeit, dass wir uns intensiver auf ein Untersuchungselement fokussieren und mit diesem eine tiefergehende detaillierte Analyse betreiben können (vgl. Bundestag 2003c: 1873-1916). Neben den festgelegten Regeln beim Redeablauf, können die Ansichten von Vertretern aller wichtigen Parteien[5] samt protokollierten Reaktionen analysiert werden. Die festgehaltenen Reaktionen sind hilfreich, um eine gewisse Interaktivität in der Untersuchung gewährleisten zu können, da es uns nicht möglich sein wird, Gestik oder Mimik der Akteure miteinzubeziehen. Ebenso bleibt uns das Wissen über das Nicht-Gesagte bzw. die Vorenthaltung von Informationen außer bei später bewiesener Gegendarstellung verborgen. Somit gibt uns das Material Auskunft über das tatsächlich Gesagte und die darauffolgende Rezeption, aber schweigt über die persönlichen Beweggründe der Politiker oder die schlichte Reproduktion parteipolitischen Kalküls und damit einhergehend das wirkliche Wissen der Akteure über die Faktenlage.
Als zentral haben wir dabei die Begriffe Sicherheit, Terrorismus und Verantwortung erachtet, die auf quantitativer und qualitativer Ebene eine nicht zu vernachlässigende Rolle einnahmen und seitens der politischen Akteure heftig umstritten waren.
Aus diesem Grund erscheint uns zur Erforschung unserer Fragestellung das Modell der „Essentially Contested Concepts“ von Walter Bryce Gallie als geeignet, da es den Anspruch hat, die Kernbedeutung eines Begriffes und gleichzeitig die individuellen Nivellierungen durch verschiedene Individuen, die beispielsweise aus der Vertretung gewisser politischer Gruppierungen oder differenter persönlicher Wertvorstellungen heraus resultieren kann, zu erkennen. Zwar wird uns die Theorie nicht erlauben, die Unterscheidung zwischen Fraktionszwang oder persönlichen Einstellungen ziehen zu können, aber wir hoffen, einzelne Ausgestaltungen und die Kernbegrifflichkeit herausarbeiten zu können. Dabei verspricht Gallies Forschungsansatz neben einer Aktualität durch kontinuierliche wissenschaftliche Weiterentwicklung[6] einen fundamentalen Grundstein für unsere folgende Arbeit, da er sieben Kriterien aufweist, mit denen ein sauberes methodisches Vorgehen gewährleistet ist, das im nächsten Kapitel näher erläutert wird.
Wir werden uns hauptsächlich auf folgende Hypothesen konzentrieren:
- Es besteht eine Einigkeit über die Kernbedeutung der untersuchten Begriffe, die sich anhand der Verwendung bestimmter Wörter, sprachlicher Mittel oder Erzählstrategien nachweisen lässt. (Hypothese 1)
- Daher gelingt es Parteigrenzen zu senken, wenngleich eine individuelle Ausgestaltung der Begriffe aufgrund der Parteiunterschiede bzw. persönlicher Wertvorstellungen weiterhin bestehen bleibt. (Hypothese 2)
- Historische und internationale Kontexte spielen eine herausragende Bedeutung für die suggerierte Verwendung des Begriffes durch die Abgeordneten. (Hypothese 3)
2. Theorie & Methode
Im Folgenden wird das „Essentially Contested Concept“ mit seinen sieben Kriterien präsentiert, um im zweiten Unterpunkt näher auf die Verknüpfungsmöglichkeiten zur Forschungsarbeit einzugehen.
2.1 „Essentially Contested Concept“
Die theoretische und methodische Grundlage wird hierbei das von Gallie entwickelte „Essentially Contested Concept“ bilden. Wie bereits zuvor erwähnt, zeichnet sich dieses vor allem durch die Einführung von sieben Kriterien aus, die es ermöglichen, die genannten Hypothesen adäquat bearbeiten und untersuchen zu können. Gallie konnte eine Methode präsentieren, die auf die Herausbildung der mannigfachen Bedeutungen bestimmter Begriffe zugeschnitten ist. Dadurch gelingt es die vielfältigen Charakteristika und normativen Auswirkungen der verwendeten Termini zu identifizieren, zu erklären und schließlich miteinander in Verbindung zu bringen (vgl. Collier Et Al. 2006: 211-246).
Im Gegensatz zu vorherigen Überlegungen, in denen die Kritische Diskursanalyse die methodische Grundlage dieser Arbeit stellen sollte, wirkt das „Essentially Contested Concept“ passender und geeigneter. Es ist noch besser interdisziplinär anzuwenden und schafft die Voraussetzung für eine breit gefächerte Analyse des ausgewählten Datenmaterials. Zudem scheint das Konzept geeigneter eine Bundestagsdebatte abzubilden, da laut Mason (1993: 46) „political thought is inherently open to reasonable dispute.“ Auch Gallie (1956b: 169) konstatiert, „that there are concepts which are essentially contested, concepts the proper use of which inevitably involves endless disputes about their proper uses on the part of their users.“[7] Daher ist die Konzeption Gallies für unsere Arbeit von hohem Wert, weil sie die Möglichkeit bietet unsere untersuchten Termini infolge der unterschiedlichen Meinungen der Debattenteilnehmer zu analysieren.
Aus diesem Grund bilden in erster Linie die von Gallie entwickelten, sieben Kriterien die Basis für das theoretische und methodische Konzept. Diese werden im Folgenden näher erläutert, um zu einem tieferen und genaueren Verständnis der Ideen zu gelangen und zu überprüfen, ob unsere ausgewählten Begriffe für eine Analyse als „Essentially Contested Concept“ (ECC) geeignet sind. Im Anschluss daran kommt es überdies zu einer Verbindung des Konzepts mit unseren Forschungsideen, um den Forschungsverlauf und die Ergebnisse nachvollziehbar darstellen zu können.
Die bereits erwähnten sieben Kriterien bilden den Kern des Konzepts und die Grundlage der Analyse des gewählten Diskurses innerhalb des Bundestags. Damit ein bestimmter Begriff jedoch anhand Gallies Ideen bearbeitet werden kann, muss dieser zunächst diese gewissen Charakteristika erfüllen. Als erstes Kriterium wird hierbei die bewertende Eigenschaft von einem Terminus genannt (vgl. Evnine 2011: 4). Dies bedeutet in erster Linie, dass einem Begriff gewisse Attribute zugeschrieben, oder auch aberkannt werden (vgl. Connolly 1983: 10).
Zweitens hat eine interne Komplexität des zu untersuchenden Begriffs vorzuliegen (vgl. Evnine 2011: 4). Demnach muss dieser durch die Möglichkeit differenter Definitionen geprägt und je nach Ansicht auf unterschiedliche Art und Weise anwendbar sein.
Daran anknüpfend folgt der dritte Aspekt von Gallies Konzept: Die Komplexität eines Wortes wird durch die Zusammensetzung verschiedener Elemente erzeugt, welche wiederum selbst einer mannigfachen Definition unterliegen (vgl. Evnine 2011: 5). Folglich existiert die Möglichkeit einzelne Teilaspekte[8] unterschiedlich zu gewichten und demnach differente Wirkungen erzielen zu können (vgl. Mason 1993: 48-50). Dies liegt vor allem in der Macht des jeweiligen Redners, welcher durch die bewusste Hervorhebung einzelner Elemente eine gewisse Redeabsicht gezielter verfolgen kann.
Ein weiterer bedeutender Punkt des Konzepts von Gallie wird durch die erforderliche Offenheit des Untersuchungsbegriffs beschrieben (vgl. Evnine 2011: 5). Offen in dem Sinne, dass ein Terminus gewissen semantischen Schwankungen unterliegt, die durch neuartige Umstände oder auch historische Erfahrungen beeinflusst und angestoßen werden. Ein wichtiger Aspekt, um die damaligen politischen Entwicklungen im Falle der Irak-Debatte miteinzubeziehen.
Damit einher geht das fünfte Kriterium, welches den umstrittenen Charakter eines Begriffs betont (vgl. Evnine 2011: 5). Jedoch wird hierbei weniger die Semantik, als vielmehr der Usus eines gewissen Wortes gemeint. Unterschiedliche Parteien oder Redner haben differente inhaltliche Gewichtungen der Begriffe und sind daher stets gezwungen, jene gegenüber anderen zu verteidigen und zu bestärken.
Die letzten beiden Charakteristika des „Essentially Contested Concepts“ sollten zusammenfassend dargestellt werden, da diese eng miteinander verknüpft sind. Zum einen muss der zu untersuchende Begriff auf einer historischen Grundbedeutung beruhen, die allgemein anerkannt und nicht in Frage gestellt wird (vgl. Evnine 2011: 5). Zum anderen führt der anhaltende Diskurs über semantische Teilbedeutungen dazu, dass die jeweiligen Aspekte eine höhere Qualität erreichen können, der ursprüngliche Sinngehalt jedoch weiterhin unangetastet bleibt (vgl. Evnine 2011: 6).
Die von Gallie präsentierten sieben Charakteristika bilden die Grundlage, damit ein bestimmter Begriff zu einem „Essentially Contested Concept“ werden kann. Der zu untersuchende Terminus „[has to] denote a certain kind of complex multidimensional activity that possesses the relevant open-ended empirical character, but one where the component dimensions may be assigned different weight by different people“ (Weiskopf 2012: 13). Dieses Zitat hebt die wichtigsten Elemente der theoretischen und methodischen Ideen von Gallie hervor. Die notwendige Komplexität, die mögliche gezielte Verwendung, als auch die unterschiedliche semantische Gewichtung der Teilaspekte eines Begriffs finden Beachtung.
2.2 Anwendung und Verbindung zur Forschungsarbeit
Zuvor wurden bereits die sieben Charakteristika des „Essentially Contested Concepts“ genannt und erläutert. Die Grundannahme von Gallies Idee sieht vor, dass ein Begriff, der Gegenstand eines zu untersuchenden Diskurses ist, diese Aspekte erfüllen muss, um in das Raster des Konzepts zu gelangen. Im Gegensatz zu anderen Methoden und Theorien liegt hierbei der Fokus direkt auf dem Wort und den darin enthaltenen Bestandteilen, die je nach Gewichtung eine andere Wirkung erzielen können. Dennoch erfolgt die Analyse nicht nur auf inhaltlicher Ebene, sondern auch im Kontext des größeren Diskurses, in dieser Arbeit innerhalb des Diskursfragmentes der Bundestagsdebatte.
Dabei ist es ebenfalls notwendig, Termini auszuwählen, die generell eine gewisse moralische, ethische und auch politische Geltung haben, um eine bewusste Verwendung der am Diskurs beteiligten Akteure anzunehmen und zu erwarten. Damit eine geeignete Anwendung der Methode vorgenommen werden kann, sollte ebenso eine Unterteilung der sieben Charakteristika vorgenommen werden. Die ersten vier Aspekte sind direkt auf den Begriff und dessen semantische Eigenschaften, der fünfte auf die Akteure und die letzten beiden auf den historischen und gegenwärtigen Diskurs bezogen (vgl. Evnine 2011: 5f.). Folgt man nun diesen Feststellungen, dann erscheint es nötig, Wörter die eine relevante Rolle innerhalb eines Diskurses spielen zunächst anhand der genannten Kriterien zu überprüfen. Schließlich kann dadurch erst eine sinnvolle und nachvollziehbare Anwendung der Methode von Gallie und die Basis unserer Analyse des Diskurses konstatiert werden.
Dementsprechend soll im Folgenden die Vereinbarkeit zwischen dem „Essentially Contested Concept“ und unseren Forschungsgegenständen aufgezeigt werden. Wie zuvor beschrieben, sollten die ausgewählten Begriffe in der Hauptsache die sieben Charakteristika erfüllen – Sicherheit, Terrorismus und Verantwortung müssen jeweils zu einem „Essentially Contested Concept“ werden.
Zu Beginn soll der Begriff der Sicherheit unter den genannten Gesichtspunkten betrachtet werden, um dessen Relevanz für die Diskursanalyse zu beleuchten. Der Terminus besitzt den erforderlichen, bewertenden Charakter und eine starke innere Komplexität – „Sicherheit [ist] ist nicht nur ein politischer Wert (...), sondern ein individuelles und kollektives Grundbedürfnis“ (Frevel 2013: 54). Des Weiteren beinhaltet der Begriff der Sicherheit differente Teilaspekte, die unterschiedlich gewichtet werden und dadurch zu mannigfachen, semantischen Schwankungen führen können. „Es ist kaum verwunderlich, dass Sicherheit ein Begriff ist, der sich in politischen Reden und Programmen zwar häufig wiederfindet, aber dennoch amorph bleibt“ (Frevel 2013: 54). Semantische Abweichungen können hierbei vor allem als Ergebnis, verschiedener Interpretationen der jeweiligen Redner im Bundestag betrachtet werden. Dies bestätigt zugleich die letzten drei Charakteristika der Methode von Gallie. Inhaltliche Varianten, als auch differente Auslegungen des zu untersuchenden Wortes kommen zugleich einher mit einer gewissen Streitigkeit der Begriffsbedeutung, als auch mit einem historisch gewachsenen Grundsinn in Kombination mit einer ständigen semantischen Spezifizierung und Erweiterung.
Ähnliche Charakteristika birgt der Begriff des Terrorismus in sich.[9] Der Terminus besitzt ein stark wertenden Charakter und umfasst eine Fülle von komplexen und in sich verstrickten Teilaspekten, welche zum einen auf unterschiedliche Art und Weise hervorgehoben werden können, zum anderen, je nach Präferenz des Redners semantisch variieren (vgl. Bechmann 2012: 16). Vor allem Gallies letzte drei Charakteristika des „Essentially Contested Concept“ werden bei diesem gewissen Begriff besonders bekräftigt. Zwar beruht das allgemeine Verständnis von Terrorismus auf historisch gewachsenen Grundaspekten, jedoch sind sich die meisten Redner darüber einig, dass eine spezifische Definition immer schwieriger wurde in den letzten Jahrzehnten (vgl. Bechmann 2012: 182). Insbesondere dieser Terminus erfährt eine stetige Weiterentwicklung der enthaltenen Teilaspekte, in erster Linie begründet auf eine große Bandbreite an verschiedenen und mannigfachen Diskursen.
Als dritter Analysegegenstand dient die Verwendung des Begriffs der Verantwortung. Dabei handelt es sich wohl um den komplexeren Terminus unserer Auswahl. Zunächst erscheint der Usus des Wortes durch die differenten Redner klar und nachvollziehbar. Werden jedoch die von Gallie entwickelten sieben Charakteristika in Verbindung mit Verantwortung analysiert, dann wird schnell deutlich, auf welcher schwierigen Grundlage dieses Wort beruht. Jener Begriff erfüllt alle Kriterien in hohem Maße. Die Verwendung kann bewertend und dennoch unspezifisch sein – die urtümliche Grundsemantik ist komplex und offen für Veränderungen. Der Terminus wird durch eher unklare Teilattribute definiert, ist dadurch jedoch Teil einer ständigen Spezifizierung und Gegenstand von politischen Diskursen. „Der Begriff der Verantwortung beschreibt insgesamt ein „vielschichtiges Phänomen“ (Jähne 2001: 6) und stellt damit ein ideales „Essentially Contested Concept“ dar.
Nachdem nun zuvor die zu untersuchenden Termini analysiert und auf ihre Relevanz hin überprüft wurden, kommt es im Folgenden zu einer kurzen Erläuterung, wie die Methodik und Theorie von Gallie konkret angewendet wird. Dabei sind vor allem die verschiedenen Beschreibungen der sieben Charakteristika von enormer Bedeutung. Diese dienen zum einen dazu, einen semantisch vielfältigen Begriff auszumachen, zum anderen, jenen auch innerhalb eines Diskurses, in diesem Fall einer Bundestagsdebatte auf die differenten Facetten hin zu überprüfen, sie darzustellen, zu vergleichen und die durch den Redner beabsichtigte Wirkung auszumachen. „Politische Konflikte sind durch gegensätzliche Wertvorstellungen geprägt“ (Heichel / Knill 2013: 58) – Sicherheit, Terrorismus und Verantwortung sollten als Teilaspekte einer gewissen „Moralpolitik“ (Heichel / Knill 2013: 58) betrachtet werden. Nachdem die semantische Varianz des jeweiligen Terminus offen gelegt wurde, kann es zu einer Analyse der beabsichtigten Verwendung des jeweiligen Politikers kommen. Dies kann jedoch nur geschehen, indem eine gewisse Interpretation der Makroebene der Debatte vorgenommen wird. In Kombination mit den beschrieben Charakteristika und unter Beachtung der differenten, semantischen Besonderheiten kann diese Methode zu nachvollziehbaren Ergebnissen führen.
[...]
[1] Entsprechende „Beweise“ hatte US-Außenminister Collin Powell bereits vier Tage zuvor im UN-Sicherheitsrat vorgelegt (vgl. White House 2003). Viele interessante Hintergrundinformationen zur Geschichte des Irak-Krieges lassen sich auf der Homepage der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg finden (vgl. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg 2009).
[2] Petra Pau und Gesine Lötzsch stimmten zu Gunsten der Regierung. Beide saßen als direkt gewählte Abgeordnete im Parlament und wurden aufgrund der Nicht-Vertretung ihrer Partei PDS im deutschen Bundestag stets als fraktionslose Abgeordnete gelistet.
[3] Im Wortlaut ist die Übersetzung abrufbar unter: http://www.politischebildung.com/pdfs/30_brief.pdf.
[4] Wenn im Laufe der Arbeit von der „Opposition“ im Bundestag gesprochen wird, sind lediglich die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP gemeint, da die fraktionslosen Abgeordneten der PDS in dieser Angelegenheit auf Seiten der Regierung standen.
[5] Es kommen insgesamt 13 Abgeordnete zur Sprache. In Reihenfolge: Gerhard Schröder (Bundeskanzler, SPD), Angela Merkel (CDU/CSU), Joseph „Joschka“ Fischer (Grüne), Guido Westerwelle (FDP), Gernot Erler (SPD), Michael Glos (CDU/CSU), Peter Struck (Verteidigungsminister, SPD), Wolfgang Gerhardt (FDP), Ludwig Volmer (Grüne), Wolfgang Schäuble (CDU/CSU), Gert Weisskirchen (SPD), Petra Pau (fraktionslos, PDS), Christoph Zöpel (SPD). In Summe: 5x SPD, 3x CDU/CSU, 2x Grüne, 2x FPD, 1x PDS.
[6] Neben der Weiterentwicklung der ursprünglichen Theorie von Gallie (1956b) durch Connolly (1983), Clarke (1979) oder Mason (1993) ist eine momentane Relevanz des Konzepts des „Essentially Contested Concept“ (ECC) bei aktuellen Publikationen zu Themen, wie CSR (Okoye 2009), Liberalismus (Abbey 2005), Medizin (McKnight 2006) oder der Philanthropie (Daly 2012) nicht von der Hand zu weisen.
[7] Einen wichtigen Aspekt arbeitet Mason (1993: 58f.) heraus, der zum Ergebnis kommt, dass „some social and political concepts are essentially contestable because their very nature [sic!] makes the proper interpretation of them open to dispute, but will be essentially contested only if social and political conditions permit people to dispute their use.” In unserer Arbeit sind die zu untersuchenden Begriffe durch die sozialen und politischen Gegebenheiten in jedem Fall stark umstritten.
[8] Im Falle des ECC „Demokratie“ würden Personen beispielsweise den Teilaspekt „Versammlungsfreiheit“ höher erachten als „Möglichkeit zur Wahl“.
[9] Dabei spielt es laut Collier Et Al. (2006: 216) keine Rolle, dass hier eine negative Konnotation stattfindet: „[...] appraisiveness encompasses not only positive valuation but also negative valuation […].”