Descartes sechste Meditation. Über die Existenz materieller Dinge und die reale Unterschiedenheit des Geistes vom Körper


Essay, 2006

15 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

Titel

Einleitung

Einbildung und reines Verstehen

Sinneswahrnehmung und materielle Dinge

Sinnestäuschungen

Körper und Geist

Gott und die Sinnestäuschung

Fazit

Literatur

Einleitung

In der sechsten Meditation versucht Descartes, uns die Existenz materieller Dinge nachzuweisen und die Unterschiedenheit des Geistes vom Körper darzulegen.

Dazu bedient er sich eingangs einer Beweisführung, die er der Unterscheidung von Körper und Geist voranstellt, nämlich jene über die Existenz materieller Dinge. Seiner bisherigen Forschungsweise folgend, wendet er auch bei dieser Beweisführung den methodischen Zweifel an.

Er stellt anfangs der sechsten Meditation ganz bewusst noch in Frage, was er später als Faktum anführen wird. Einzig in der Mathematik scheint ihm die Existenz materieller Dinge sicher zu sein, „(…) , da ich (er) sie nun einmal klar und deutlich wahrnehme. “ )1 Er untermauert den Wahrheitsgehalt seiner Aussage einerseits, indem er darauf hinweist, dass Gott sicherlich alles erzeugen kann, was er „ auf diese Weise “ wahrzunehmen vermag. Mir scheint, er meint mit „ diese Weise “ , dass er in der Mathematik alles von Gott hervorgebrachte klar und deutlich erkennen kann. Das würde besser erklären, was er später noch anführen wird. Dort weist Descartes ausdrücklich auf die optischen und sensorischen Täuschungen unserer Sinnesorgane hin. In der verwendeten Literatur wird diese Phrase in den Fußnoten hingegen anders gedeutet.2

Andererseits spricht er von der Einbildungskraft, die er im Folgenden noch vom reinen Verstehen unterscheiden wird. Diese Kraft der Einbildung ist seiner Meinung nach „… nichts anderes ( … ) als eine gewisse Anwendung des Erkenntnisvermögens auf den Körper, der ihm am innigsten pr ä sent ist und daher existiert.“3

Es ist interessant, dass an dieser Stelle für Descartes sicher scheint, dass sein Körper existent sein muss, sofern er sich der Einbildung bedienen kann. Warum kann denn die Einbildung nicht ein Produkt des reinen Verstandes sein? Warum stellt er einen Zusammenhang zwischen dem Vermögen der Einbildung und der Existenz eines bzw. seines eigenen Körpers her? Er spricht davon, dass die Einbildungskraft „… eine gewisse Anwendung des Erkenntnisvermögens auf den Körper, der ihm am innigsten pr ä sent ist und daher existiert.“4 sei. Doch es wird daraus nicht klar, weshalb dieser Prozess an etwas eigenes körperliches gebunden sein muss, was er jedoch deutlich sagt.5

Diese Fragestellung versucht er nun im nachfolgenden Abschnitt zu beantworten. Dort wird von ihm der Unterschied zwischen Einbildung und reinem Verstehen untersucht.

Einbildung und reines Verstehen

Hier nennt er das Beispiel eines Dreiecks und eines Tausendecks als Muster für den genannten Unterschied. Ein Dreieck kann mithilfe der Einbildungskraft zu einer Vorstellung gelangen, die zugleich von „bildlicher“ Natur ist. Man sieht das Dreieck vor dem eigenen geistigen Auge. Dies wird möglich, da das Objekt in der Wirklichkeit nicht unser intellektuelles und sinnliches Erfassungsvermögen überfordert. Das Tausendeck hingegen kann nur über den reinen Verstand zu einer Idee werden. Es übersteigt unsere visuelle Vorstellungskraft. Descartes nennt diesen Vorgang oder diese Tatsache ein „Fehlen der Gegenwärtigkeit von Figuren.“

Außerdem trennt er die beiden Tätigkeiten der Einbildung und der Verstandestätigkeit durch eine Wertung. Erstere unterscheide sich von letzterer durch die immens höhere Anstrengung des Geistes bei ihrer Ausführung. Zudem stehe sie aufgrund ihrer Verschiedenheit von der Kraft des Denkens nicht in unmittelbarer Verbundenheit mit der Wesenheit des Geistes. Also, so schließt er, müsse die Einbildung von etwas abhängen, das von uns verschieden ist. Wenn Dinge außerhalb von uns existieren sollten, dann sei ein Hinweis auf diese dadurch erbracht, dass die Einbildungskraft als von diesen Dingen abhängig definiert wurde. Da wir zu großen Teilen über jene Kraft der Einbildung verfügen, scheint im Umkehrschluss die Existenz materieller Dinge außerhalb von uns nahe liegend, jedoch noch nicht zwingend zu folgen.

Sinneswahrnehmung und materielle Dinge

Um die Existenz materieller Dinge nachhaltiger zu untersuchen, beschäftigt sich Descartes im Folgenden mit der Sinneswahrnehmung. Er stellt sich die Frage, ob sich aus dem, was durch die Sinnesempfindung erfasst wird, die Existenz materieller Dinge ableiten lässt. Hierbei stellt er fest, dass er bereits bemerken musste, dass Dinge, die von ihm selbst verschieden sind, sich gegen seinen Willen sinnlich bemerkbar machen können. Wenn er beispielsweise einen Stuhl berührt, so kann er sich dieses sinnlichen Eindruckes nicht durch reine Verstandestätigkeit verwehren. Umgekehrt ist es unmöglich, den gleichen Wahrnehmungseindruck durch genuine Tätigkeit des Verstandes zu erhalten. Daraus folgert er, dass gewisse, vom Bewusstsein vollkommen verschiedene Dinge empfunden werden. Diese Dinge müssten Körper sein, deren Ideen im Geiste entstehen könnten.

Des Weiteren bemerkt er, dass diese von Sinnesempfindungen stammenden Ideen eine höhere Präsenz besitzen, als jene, die reiner Verstandestätigkeit entspringen. Sie seien „a uf ihre Art deutlicher6 und außerdem habe er „ die Sinne fr ü her gebraucht (…) als die Vernunft “.7 Entscheidend ist auch, dass die von den Sinnen entstandenen Ideen „ ausdr ü cklicher8 waren als jene, die er durch den Verstand selbst bildete.

Also schließt er, sei es möglicherweise nahe liegend zu behaupten, er habe gar keine Ideen in seinem Verstand, wenn diese nicht zuvor einer Sinnesempfindung entsprungen seien. Jedoch scheint unverständlich zu sein, wie man, ohne sich der Existenz des eigenen Körpers gewiss zu sein, zu der Existenz materieller Dinge außerhalb des eigenen Körpers kommen könnte. Denn das eine ist gewissermaßen abhängig vom anderen. Wenn es außerhalb meines eigenen Körpers keine materiellen Dinge geben sollte, dann bedeutet dies zwar noch nicht, dass mein Körper nicht existiert. Doch wenn mein Körper als existent nachgewiesen wurde und ich durch ihn, nämlich mithilfe seiner Sinnesfähigkeit, Objekte von Ausdehnung feststelle, dann muss ich annehmen, dass diese Dinge tatsächlich existieren. Allein der unterschiedliche Sinneseindruck, der entsteht, wenn man sich selbst berührt im Gegensatz zu einem anderen Körper, deutet auf materielle Verschiedenheit hin. Diese ist zwar noch nicht Grund genug zu der Annahme, dass außerhalb des eigenen Körpers materielle Dinge wirklich existieren, doch muss die Verschiedenheit der Sinneseindrücke erklärt werden. Wenn man dies versucht, so gelangt man dorthin, wo Descartes von der „Lebendigkeit“ sinnlich wahrgenommener Ideen spricht. Sie sind auch für ihn eindrücklicher, als die reinen Verstandesideen. Seinen eigenen Körper hingegen grenzt er durch die Tatsache von den anderen ab, dass er alle Sinnesempfindungen in ihm habe und nicht in den Körpern der übrigen Menschen. Außerdem konnte er niemals von ihm getrennt werden, wie er es von den anderen konnte.

Er kommt zu dem Schluss, dass er tatsächlich keine Idee eines Objektes von Ausdehnung in seinem Verstand gehabt haben kann, die er nicht vorher durch ein in Wirklichkeit existentes, also von ihm verschiedenes Objekt, erhalten habe. Diese Konklusion fußt, wie teils schon angedeutet, auf mehreren Erkenntnissen. Erstens, diese Ideen von Körpern tauchten quasi ohne seine „Zustimmung“, ohne eine bewusste Herbeiführung auf. Zweitens, Der Eindruck jener war viel lebendiger, als bei reinen Verstandesideen, also Ideen, die allein der

Vorstellungskraft entsprungen sind. Drittens, Descartes kann sich nicht entsinnen, jemals eine Idee körperlicher Natur im Verstand vor irgendeiner, dieser ähnlichen Idee, durch Sinneswahrnehmung gedacht zu haben. Viertens, ihm wird bewusst, dass er die Sinne zuerst, also vor dem Verstand benutzt hat.

Einen weiteren triftigen Grund zu der Annahme, dass materielle Dinge außerhalb von uns existieren, scheint auch noch folgende Überlegung zu liefern: Descartes unterscheidet zwischen den Qualitäten von Ideen. Die eine Form einer Idee ist, wie wir bereits gesehen haben, rein aus dem Verstand geboren. Zum Beispiel ein Tausendeck. Dieses wurde sicherlich so niemals zuvor sinnlich wahrgenommen. Doch diese Idee ist eben deswegen auch nicht so eindrücklich wie jene eines Dreiecks oder Fünfecks, welches schon einmal sinnlich wahrgenommen wurde. Forschungen haben ergeben, dass der Mensch im Durchschnitt höchstens sieben Objekte, zum Beispiel sieben Steinchen, gleichzeitig als eben sieben Objekte wahrnehmen kann. Die Idee eines Tausendecks könnte also sehr wahrscheinlich nicht durch sinnliche Wahrnehmung entstehen. Denn um ein Bild eines geometrischen Objekts im Verstand zu erhalten, muss man dieses „auf einen Blick“ erkennen können. Würde man die tausend Seiten eines Tausendecks abzählen, dann könnte man sich trotzdem am Ende der Prüfung kein Bild eines Objektes mit tausend Ecken vorstellen. Dennoch ist es umgekehrt sehr unwahrscheinlich, dass man sich ein Tausendeck jemals allein mithilfe des Verstandes vorstellen könnte, ohne zuvor überhaupt irgendeine sinnliche Idee eines Vielecks durch Sinneseindrücke gewonnen zu haben. Die abstrakte mathematische Vorstellung der Unendlichkeit ist ebenfalls an die wahrnehmbare Vorstellung von Endlichkeit ausgedehnter Objekte gebunden.

Also scheint es so, als ob die Basis der Verstandesideen jene Ideen seien, welche wir durch die Sinne begründen. Das wiederum würde bedeuten, dass wenn man die eigene Existenz, wie es Descartes versucht, durch die Tatsache des zweifelnden Verstandes („ego sum, ego existo“)9 beweist, diese ohne materielle Dinge nicht mehr wahrhaftig sein könnte. Denn wenn die Sinnlichen Ideen in ihrer qualitativen Wertung wie eben erklärt den Verstandesideen zugrunde liegen sollten, dann wäre ein Beweis der eigenen Existenz über den Verstand hinfällig, sobald materielle Dinge als nicht existent bewiesen wären. Dabei darf hier nicht der eigene Körper als Idee materieller Dinge herangezogen werden, da er selbst Gegenstand der Vorstellungsfähigkeit ist. Er bringt ja die Sinneseindrücke erst zutage. Also muss Descartes die Existenz materieller Dinge außerhalb von ihm beweisen. Innerhalb seines Konzepts ist diese Argumentation logisch, zwingend und schlüssig.

[...]


1 S. 199

2 siehe S. 199

3 S. 201

4 S. 201

5 S. 319, Erläuterung Nr. 88

6 S. 209

7 S. 209

8 S. 209

9 S.76 f

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Descartes sechste Meditation. Über die Existenz materieller Dinge und die reale Unterschiedenheit des Geistes vom Körper
Hochschule
Universität Konstanz
Veranstaltung
Descartes – Meditationen
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
15
Katalognummer
V308773
ISBN (eBook)
9783668073814
ISBN (Buch)
9783668073821
Dateigröße
928 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
descartes, meditation, über, existenz, dinge, unterschiedenheit, geistes, körper
Arbeit zitieren
Manuel Ritsche (Autor:in), 2006, Descartes sechste Meditation. Über die Existenz materieller Dinge und die reale Unterschiedenheit des Geistes vom Körper, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/308773

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