Die Negative Einkommensteuer als sozialpolitischer Lösungsansatz

Entwicklung eines integrierten Steuer- und Transfersystems zur Beschäftigungsförderung im Niedriglohnbereich


Mémoire (de fin d'études), 2008

133 Pages, Note: 1


Extrait


INHALTSVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG

2 ANREIZWIRKUNGEN VON EINKOMMENSTEUERN
2.1 EINKOMMENSTEUERN
2.2 SOZIALTRANSFERS
2.3 KUMULIERTE EINKOMMENS- UND TRANSFERBELASTUNG
2.4 ARBEITSANGEBOTSENTSCHEIDUNG UND ANREIZWIRKUNGEN
2.4.1 Arbeitsangebotsentscheidung
2.4.2 Arbeitsanreizwirkungen
2.4.3 Fehlanreize als Grund für Schwarzarbeit

3 DAS AKTUELLE STEUER- UND TRANSFERSYSTEM DER REPUBLIK ÖSTERREICH
3.1 DIE ÖSTERREICHISCHE EINKOMMENSTEUER
3.1.1 Steuertarif
3.1.2 Steuerfreie Leistungen und Steuerabsetzbeträge
3.2 SOZIALVERSICHERUNGSABGABEN
3.2.1 Sozialversicherungsbeiträge
3.2.2 Lohnnebenkosten
3.3 ARBEITSLOSENGELD
3.3.1 Transferhöhe
3.3.2 Transferentzug bei Zuverdienst
3.4 NOTSTANDSHILFE
3.4.1 Transferhöhe
3.4.2 Transferentzug bei Zuverdienst
3.5 SOZIALHILFE
3.5.1 Transferhöhe
3.5.2 Transferentzug
3.5.3 Nichtnutzungsgründe
3.6 FAMILIENPOLITIK
3.7 ALTERSSICHERUNG
3.8 PROBLEMBESCHREIBUNG
3.8.1 Sozialsystem
3.8.2 Geringfügige Erwerbstätigkeit
3.8.3 Tendenz zur Teilzeitarbeit

4 DIE NEGATIVE EINKOMMENSTEUER
4.1 HISTORISCHE ENTWICKLUNG DER NEGATIVEN EINKOMMENSTEUER
4.1.1 Die Sozialdividende von Rhys-Williams
4.1.2 Die Negative Einkommensteuer nach Friedman
4.1.3 Die Konzepte von Tobin und Lampman
4.1.4 Die deutschen Bürgergeldmodelle
4.2 ENTWICKLUNGSSCHRITTE EINES INTEGRIERTEN STEUER- UND TRANSFERSYSTEMS ..
4.2.1 Wahl des Grundtypus der negativen Einkommensteuer und der Höhe des Transfersockels
4.2.2 Wahl der Transferentzugsrate und des Steuertarifs
4.2.3 Integration des Systems der sozialen Grundsicherung
4.2.4 Integration des Sozialversicherungssystems
4.2.5 Integration und Gestaltung der Familienpolitik

5 AKTUELL DISKUTIERTE REFORMKONZEPTE ZUR BESCHÄFTIGUNGSFÖRDERUNG
5.1 DAS MODELL DES BMWI-BEIRATS
5.1.1 Option I: Stark reduzierter Sockelbetrag und Hilfen zur Arbeit
5.1.2 Option II: Mäßig reduzierter Sockelbetrag ohne Hilfe zur Arbeit
5.2 DAS KOMBILOHNMODELL DES SACHVERSTÄNDIGENRATES
5.3 DER REFORMVORSCHLAG VON BOFINGER ET AL
5.4 DAS WORKFARE-KONZEPT DES IZA
5.5 EINSTELLUNGSGUTSCHEINE ZUR BESCHÄFTIGUNGSFÖRDERUNG
5.6 DIE MAGDEBURGER ALTERNATIVE
5.7 DAS SOLIDARISCHE BÜRGERGELD
5.8 DIE AKTIVIERENDE SOZIALHILFE

6 UMGESETZTE LOHNSUBVENTIONSMODELLE
6.1 DER „EARNED INCOME TAX CREDIT”
6.2 LOHNKOSTENZUSCHÜSSE AN ARBEITGEBER
6.3 LOHNSUBVENTIONEN MIT ARBEITSPFLICHT

7 MODELLBILDUNG EINES INTEGRIERTEN STEUER- UND TRANSFERSYSTEMS FÜR DIE REPUBLIK ÖSTERREICH
7.1 ZIELE DES REFORMVORSCHLAGS
7.2 GRUNDSATZENTSCHEIDUNG ÜBER DEN TYP DER NEGATIVEN EINKOMMENSTEUER ..
7.2.1 Die Zielgruppe
7.2.2 Typenauswahl der Negativen Einkommensteuer
7.3 DER STEUERSATZ IM INTEGRIERTEN TRANSFERSYSTEM
7.4 INTEGRATION DES SYSTEMS DER SOZIALEN GRUNDSICHERUNG
7.4.1 Hilfe zur Selbsthilfe
7.4.2 Existenz sichernde Arbeitsgelegenheiten
7.5 INTEGRATION DER SOZIALVERSICHERUNG
7.5.1 Integration der Notstandshilfe
7.5.2 Integration der Arbeitslosenversicherung
7.5.3 Integration der Alterssicherung
7.5.4 Integration der gesetzlichen Krankenversicherung
7.6 INTEGRATION DER FAMILIENPOLITIK
7.7 FINANZIERUNG UND FISKALISCHE KOSTEN
7.8 ZUSAMMENFASSUNG

8 ERWARTETE AUSWIRKUNGEN DES REFORMVORSCHLAGS
8.1 ERWARTETE BESCHÄFTIGUNGSEFFEKTE
8.2 WEITERE EFFEKTE DER NEGATIVEN EINKOMMENSTEUER

9 RESÜMEE

10 LITERATURVERZEICHNIS

11 SONSTIGE QUELLEN

12 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Abbildungsverzeichnis

ABBILDUNG 1: INDIVIDUALENTSCHEIDUNG ZUM ARBEITSANGEBOT

ABBILDUNG 2: EINKOMMENSTEUERTABELLE

ABBILDUNG 3: SOZIALVERSICHERUNGSBEITRÄGE IN % DES BRUTTOLOHNS

ABBILDUNG 4: SOZIALHILFERICHTSÄTZE

ABBILDUNG 5: HÖHE DER FAMILIENBEIHILFE

ABBILDUNG 6: ARMUTSLÜCKENKONZEPT NACH FRIEDMAN

ABBILDUNG 7: EARNED INCOME TAX CREDIT

ABBILDUNG 8: VERGLEICH ZUM STATUS QUO

ABBILDUNG 9: GRENZBELASTUNG VERSCHIEDENER TRANSFEREMPFÄNGER

ABBILDUNG 10: ABGABENLAST DES BRUTTOEINKOMMENS

1 Einleitung

Einsatz und Umfang sozialpolitischer Maßnahmen sind in jedem Wohlfahrtsstaat westlicher Prägung regelmäßig ein politisches Streitthema. Insbesondere in Wahlkampfphasen werden Themen wie Arbeitslosigkeit, Mindestlohn und Steuerbelastung stets von sämtlichen Parteien aufgegriffen und durchaus kontrovers diskutiert. Trotz der in Österreich aktuell vergleichsweise niedrigen Arbeitslosenzahlen bleibt das Thema Arbeitslosigkeit stets aktuell, und auch die im Juni 2007 vereinbarten Mindestlöhne von 1000 € pro Vollzeitarbeitsplatz sowie die Einbeziehung der Grundsicherung in Form einer “bedarfsorientierten Mindestsicherung“1 in das großkoalitionäre Regierungsprogramm zeigen den Stellenwert und die Aktualität dieser sozialpolitischen Thematik.

Als Zielgruppe der Arbeitslosen- und Mindestlohnpolitik gelten hauptsächlich gering qualifizierte und ältere Arbeitnehmer sowie Langzeitarbeitslose. Diese Situation ist zum Teil auf die Auslagerung gering qualifizierter Arbeitsplätze in Niedriglohnländer sowie auf den technologiebedingten, gänzlichen Wegfall diverser Berufsgruppen zurückzuführen. Die Beschäftigungssituation dieser Gruppe ist seit geraumer Zeit eines der zentralen Themen arbeitsmarktpolitischer Debatten. Es wurden unzählige Lösungsmodelle erarbeitet und präsentiert, ein politischer Konsens scheint allerdings diesbezüglich mittelfristig keineswegs in Aussicht.

Zusätzlich zu obiger Problematik werden von sämtlichen politischen Fraktionen vielschichtige Probleme in der Sozialpolitik beanstandet. Beispielhaft sind hier die Unübersichtlichkeit des komplexen Steuer- und Transfersystems, die Ineffizienz des Bürokratieapparats und fehlende Arbeitsanreize durch enorme implizite Steuersätze beim Eintritt eines Transferempfängers in die Erwerbstätigkeit zu nennen. Lösungsansätze werden allerdings vielfach nur als additive Instrumente und aufgrund der befürchteten politischen Umsetzungsschwierigkeiten kaum als Alternative zum derzeitigen Sozial- und Transfersystem konstruiert. Dadurch allerdings stellt ein solcher Ansatz offensichtlich einen unabsehbaren Kostenpunkt für das Staatsbudget dar und wird häufig aufgrund dieser Tatsache schnell wieder verworfen.

Das Finanzierungsproblem wird auch stets bei den verschiedenen Formen der Negativen Einkommensteuer als primärer Anstoß der Kritik genannt. Auch bei diesen Konzeptionen wie dem Bürgergeld, diversen Kombilohnmodellen oder Einstellungsgutscheinen2 wird eine zusätzliche Transferzahlung geschaffen. Oftmals werden nur Bruchteile der fundamentalen Idee der Negativen Einkommensteuer nach Milton Friedman in diesen Modellen aufgegriffen. Dies gefährdet neben dem Staatsbudget auch die Wirksamkeit einer derartigen Maßnahme.

Es soll im Rahmen dieser Arbeit primär das Potential der Negativen Einkommensteuer zur Schaffung von mehr Beschäftigung im Niedriglohnsektor dargestellt werden. Zudem sollen allerdings auch anderweitige Auswirkungen einer derartig revolutionären Änderung des Fiskal- und Sozialsystems erarbeitet und aufgezeigt werden. Begriffe wie Bürgergeld oder Kombilohn, welche oftmals synonym zur Negativen Einkommensteuer verwendet werden, sollen erläutert und eine strenge Differenzierung von dieser vorgenommen werden.

Nach der Darstellung der derzeitigen Ausgangssituation in Österreich soll ein konkretes Modell als politische Verhandlungsbasis in Österreich ausgearbeitet werden. Neben der Erreichung der jeweiligen Zielsetzungen soll hierbei die politische Durchsetzbarkeit nicht vernachlässigt werden. Somit soll die Arbeit einen spezifischen Reformvorschlag für die Republik Österreich anbieten, Missstände im Status Quo aufzeigen und diese nach Möglichkeit beheben. Anhand von zahlreichen Reformvorschlägen verschiedener Institutionen aus der Bundesrepublik Deutschland sollen politische Tendenzen zusammengefasst und Differenzierungen zum vorgeschlagenen Modell ausgearbeitet werden.

Im Gegensatz zu zahlreichen bestehenden Ausarbeitungen versteht sich das vorgeschlagene Konzept der Negativen Einkommensteuer als gesamtpolitische Reform, beschränkt sich demnach also nicht generell auf beschäftigungspolitische Aspekte. Es soll eine zukunftsfähige, leistungsfördernde und finanzierbare Grundlage für eine Strukturreform angeboten werden, welche auch bevorstehenden demographischen Entwicklungen gewachsen sein soll. Besonders aus diesem Gesichtspunkt muss ein ganzheitlicher Reformvorschlag zwingend neben der Beschäftigungspolitik auch Gebiete der Steuer-, Familien-, und der gesamten Sozialpolitik tangieren und miteinbeziehen.

Der Vorschlag soll eine Diskussionsbasis bestehend aus soliden, fixierten Rahmenbedingungen und diversen verhandelbaren Optionen bieten, welche erst im politischen Diskussionsprozess zu einem Gesamtsystem geformt werden sollen. Demnach werden in verschiedenen Bereichen der Ausarbeitung Spielräume für Verhandlungen offen gelassen. Dies soll eine differenzierte Diskussion und in weiterer Folge eine politische Umsetzung der Reform ermöglichen, ohne die essenziellen Kernelemente des Vorschlags zu gefährden.

2 Anreizwirkungen von Einkommensteuern

Nahezu alle Reformkonzepte hinsichtlich des Sozialsystems gehen im Gegensatz zur sozialpolitischen Diskussion davon aus, dass die Arbeitslosigkeit überwiegend strukturell und nicht konjunkturell bedingt ist.3 Diese könnte durch verstärkte Arbeitsanreize deutlich gesenkt werden, wodurch niedrig qualifizierte Arbeitslose wieder in den ersten Arbeitsmarkt eintreten würden. Es gilt demnach in diesem Kapitel zu zeigen, wie sich Einkommensteuern und weiters Transferentzugsraten auf das individuelle Arbeitsangebot auswirken, und inwiefern der gegebene Lohnabstand zu allfällig beanspruchten Transfereinkommen das Arbeitsangebot beeinflusst.

2.1 Einkommensteuern

Die Steuer auf das Einkommen ist eine Quellensteuer und sieht als Steuersubjekt entweder den einzelnen Staatsbürger (Individualbesteuerung) oder den Haushalt als ökonomische Einheit vor. Als Steuerbemessungsgrundlage wird prinzipiell das Gesamteinkommen aus den 7 verschiedenen Einkunftsarten angenommen. Die Einkommensteuergesetze räumen der Steuerpolitik allerdings die Möglichkeit ein Steuerfreibeträge aus verteilungspolitischen sowie allokationspolitischen Beweggründen einzuführen. Aus verteilungspolitischen Erwägungen werden Steuerermäßigungen zur Minderung von Leistungsfähigkeitseinbußen durch Krankheit, Behinderung oder Unterhaltsverpflichtung gewährt. Allokationspolitischen Zielen dienen Anreize zur Steuerersparnis wie etwa durch Sonderausgaben für Vorsorgemaßnahmen, Investitionen in bestimmtes Human- und Sachkapital oder Spenden an wohltätige oder politische Institutionen.4

In sämtlichen Ländern der OECD sind die Einkommensteuertarife progressiv gestaltet, d.h. der Durchschnittssteuersatz eines Steuerzahlers steigt mit der Höhe seiner Bemessungsgrundlage. Diese Progressivität wird in den meisten Ländern sowohl durch ein steuerfreies Existenzminimum als auch durch stufenweise oderstetig steigende Grenzsteuersätze bewirkt. Durch Steuerwettbewerbstendenzen in der europäischen Union werden aber zurzeit zahlreiche Systeme, insbesondere im ehemaligen Ostblock (Slowakei, Albanien, Rumänien, Russland u.a.) auf ein proportionales Einkommensteuersystem (flat-tax) umgestellt.5 Die Progressivität im unteren Einkommensbereich bleibt hier allerdings durch einen Steuerfreibetrag bestehen. Auch Österreich wird nicht daran vorbeikommen auf diese Tendenzen zu reagieren. Insbesondere in Vorwahlzeiten wird in Österreich aber von vielen Fraktionen wiederholt eine Entlastung der untersten Einkommensschichten gefordert, was eine Anpassung an moderne Steuersysteme weitgehend verhindert.

2.2 Sozialtransfers

Die Sozialpolitik umfasst neben der Schaffung eines angemessenen rechtlichen Umfelds primär die Distribution von Einkommenstransfers bei Ausfall des Arbeitseinkommens durch Arbeitslosigkeit, Invalidität, Alter oder Krankheit. Zusätzlich fallen in diesen Bereich Zahlungen aus der Familien- und Wohnungspolitik. Die Höhe der Sozialausgaben liegt derzeit in den Mitgliedsländern der EU zwischen 17 und 31 % des BIP, in Österreich lag sie 2005 bei 28,8%.6

Das gemeinsame Ziel aller budgetwirksamen, sozialpolitischen Maßnahmen ist die Korrektur der Marktverteilung, insbesondere durch monetäre und reale Transfers. Als maßgebende Sozialausgaben sind die Alterssicherung, die Arbeitslosenversicherung die Krankenversicherung sowie die Familienförderung zu nennen. Manche dieser Transfers, insbesondere jene aus dem Bereich der Arbeitslosenversicherung, hängen in ihrer Höhe wesentlich mit dem Einkommen des Individuums bzw. des Haushalts zusammen. Diese werden demnach mit steigendem Einkommen nicht mehr oder lediglich in geringerem Umfang ausbezahlt.

Für viele Ökonomen begründet sich ein wesentlicher Teil der strukturellen Arbeitslosigkeit durch die Höhe der Transferzahlungen. Bei genauerer Betrachtung ist jedoch nicht der Transfer in Form von Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld das

Problem, sondern der Entzug dieses Transfers bei Eintritt in den Arbeitsmarkt.7

Steigt ein Transferempfänger wieder in den ersten Arbeitsmarkt ein, so wird ihm die Transferzahlung anteilig oder oftmals gar komplett entzogen. Draus resultiert, dass der finanzielle Anreiz zur Annahme einer Erwerbstätigkeit nicht nur durch den Einkommensteuersatz sondern zusätzlich durch die Transferentzugsrate eingeschränkt wird. Somit ergibt sich für den in den Arbeitsmarkt Eintretenden eine implizite Einkommensteuerbelastung, die sich aus den oben beschriebenen Komponenten zusammensetzt. Dieses Problem trifft neben dem Eintritt in die Erwerbstätigkeit auch das Überschreiten verschiedener Einkommensgrenzen, meist bei einem Wechsel von Teilzeit- in eine Vollzeittätigkeit.

In der österreichischen Fiskalpraxis tritt bei den meisten Regelungen bis zu einem gewissen Einkommen, der so genannten Zuverdienstgrenze (entspricht vielfach der Geringfügigkeitsgrenze), keinerlei Transferentzug auf. Bei Überschreitung dieser Schwelle werden allerdings viele Transfers wie das Arbeitslosengeld, die Notstandshilfe oder das aktuell stark diskutierte Kinderbetreuungsgeld sofort gänzlich entzogen, womit in der Praxis bei einem kompletten Transferentzug ab einer gewissen Schwelle die implizite Abgabenlast auch deutlich jenseits von 100% liegen kann. Andere Transfers wie Invaliditätspensionsansprüche werden mit einem Transferentzug von max. 50 % belastet. Bei der österreichischen Sozialhilfe gibt es derzeit keinerlei anrechnungsfreie Zuverdienstmöglichkeiten, wodurch jedes Einkommen zu 100% angerechnet wird. Zum österreichischen Status quo folgt allerdings in Kapitel 3 eine differenziertere Erläuterung.

2.3 Kumulierte Einkommens- und Transferbelastung

Die so genannte implizite Einkommensteuerbelastung stellt die Belastung des Einkommens des Erwerbstätigen durch die Summe aus verschiedenen Abgaben und dem Transferentzug dar. Ein ähnliches Konzept zeigt die Grenzbelastung der privaten Wertschöpfung8, die allerdings nicht unterscheidet ob die Traglast einer Abgabe bzw. eines Transferentzugs beim Arbeitgeber oder Arbeitnehmer liegt. Für den Arbeitnehmer als Entscheidungsträger über sein persönliches Arbeitsangebot scheint jedoch die implizite Einkommensteuerbelastung besser geeignet, die auch als „subjektive Abgabenlast“ bezeichnet werden kann.

Die Höhe der impliziten Steuerbelastung stellt die sinnvollste Kennzahl zur Quantifizierung des finanziellen Arbeitsanreizes für einen Transferempfänger dar. Liegt seine marktäquivalente Produktionsleistung unter der Transferleistung wird kein Arbeitgeber in der Lage sein ihm mehr als diese zu bezahlen, weshalb er nicht bereit sein wird eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Der natürliche Wille zu arbeiten, welcher oftmals seitens der Soziologie aufgeworfen wird, wird hierbei bewusst vernachlässigt. Dieser scheint sich speziell mit der Dauer der Arbeitslosigkeit tendenziell zu minimieren und dadurch de facto für die angesprochene Zielgruppe vernachlässigbar zu sein, da Langzeitarbeitslose neben dem Verlust an Humankapital oftmals nach einer gewissen Dauer ihrer Arbeitslosigkeit gänzlich zur Resignation neigen.9

Somit wird durch die Höhe der Sozialhilfe bzw. einer möglichen Grundsicherung bereits ein impliziter Mindestlohn festgelegt. Arbeitsplätze die durch ihre Wertschöpfung und somit ihren Mehrwert für das Unternehmen die Kosten des Mitarbeiters nicht abdecken werden aus diesem Grund gezwungenermaßen durch Ausweichreaktionen der Arbeitgeber abgeschafft. Solche Ausweichreaktionen zeigen sich in der Auslagerung der Arbeitsplätze in Niedriglohnländer oder in technologischen Entwicklungen zum Mitarbeiterabbau sowie in dem Verzicht auf haushaltsnahe Dienstleistungen aufgrund der hohen Preise.

Aufgrund der oben dargestellten hohen Transferentzugsraten kann auch die implizite Einkommensteuer und somit die subjektive Abgabenlast eines Individuums beim Eintritt in den österreichischen Arbeitsmarkt bis zu 100 %, in vielen Fällen sogar deutlich jenseits dieses Wertes liegen, wodurch enorme Anreizprobleme entstehen. In der österreichischen Tagespolitik werden niedrigere Transferentzugsraten derzeit leider kaum thematisiert, da sie dem Wähler wesentlich schwerer zu „verkaufen“ sind als vieldiskutierte „Entlastungen“ der unteren Einkommensschichten.

2.4 Arbeitsangebotsentscheidung und Anreizwirkungen

2.4.1 Arbeitsangebotsentscheidung

Die Entscheidung eines Individuums über die Höhe seines Arbeitsangebots hängt von mehreren Faktoren ab. Als entscheidende Parameter können aber die Entlohnung einer Einheit Arbeit sowie die Grundausstattung mit Kapital hervorgehoben werden. In der Ökonomie wird die Arbeitsangebotsentscheidung i.d.R. als Freizeitnachfrage bezeichnet, da die Nachfrage nach dem Gut Freizeit das maximale Arbeitsangebot des Individuums einschränkt. Der Lohnsatz stellt hierbei die Opportunitätskosten der Freizeit dar. Will der Betroffene eine Einheit mehr an Freizeit konsumieren, so muss er dafür eine Lohneinheit aufgeben.10

Abhängig von der Grundausstattung an Kapital, welche durch vorhandenes Vermögen oder Transfereinkommen unabhängig von der Arbeitsleistung vorhanden ist, ändert sich die Steigung der Budgetgeraden. Diese kann auch als NichtArbeitseinkommen bezeichnet werden. Je mehr Grundausstattung vorhanden ist, je höher ist auch die Zahlungsbereitschaft für eine Einheit Freizeit bzw. die daraus folgende Lohnforderung. Abbildung 1 zeigt 3 verschiedene Niveaus an NichtArbeitseinkommen und die dazugehörigen Freizeitnachfragekurven.

Der Wert einer Einheit Freizeit für den Betroffenen muss geringer als der Lohnsatz sein, damit dieser seine Arbeitsleistung anbietet. Hierbei ist grundsätzlich der Nettolohnsatz heranzuziehen, wobei zusätzlich mögliche Transferanrechnungen oder wegfallende Transferleistungen einzubeziehen sind. Es muss also der Wert des effektiven Mehreinkommens für den Betroffenen herangezogen werden. Ist dieser Wert höher als der subjektive Wert der Freizeit für den Betroffenen, so stellt er seine Arbeitsleistung zur Verfügung. Ökonomisch betrachtet ergibt sich die ideale Arbeitsangebotsentscheidung dort, wo die Grenzrate der Substitution, der Wert einer Einheit Freizeit, exakt dem Reallohn entspricht.11 Abbildung 1 zeigt diese Situation im Punkt P, wo die Budgetbeschränkungsgerade die Nachfragekurve tangiert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Individualentscheidung zum Arbeitsangebot12

Für einen Transferempfänger steigt deshalb der geforderte Nettolohn mit der Höhe des Transfersockels zunehmend an. Dies verdeutlicht den Einfluss der Höhe des Transfersockels sowie der Transferentzugsrate, welche den Reallohn betrifft, auf das Arbeitsangebot des Individuums aus ökonomischer Sicht. Ziel der Gestaltung von Sozialtransfers sollte deshalb neben der Umverteilungsfunktion auch eine geringe Beeinflussung des Arbeitsangebots sein. Dies bedeutet es sollte weitestgehend von der Förderung von Arbeitslosen auf die Förderung niedrigen Erwerbseinkommens umgestiegen werden. Wird dem Arbeitslosen für die Transferzahlung seitens des Staates grundsätzlich Arbeitsleistung abverlangt, so wird dieser schon für eine minimale Reallohnerhöhung zu einem Wechsel in eine reguläre Tätigkeit am Markt bereit sein. Auf die mögliche Gestaltung derartiger staatlicher Arbeitsgelegenheiten wird im Kapitel 7.3.2 detailliert eingegangen.

2.4.2 Arbeitsanreizwirkungen

Grundsätzlich sollte das Problem des fehlenden Arbeitsanreizes bei entsprechender Anwendung der vorhandenen Gesetzeslage nicht bestehen, da Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Sozialhilfe, zumindest theoretisch, grundsätzlich nur unter der Bedingung gewährt werden, dass der Empfänger arbeitsfähig ist und sich bei Arbeitslosengeld und Notstandshilfe zusätzlich auch arbeitswillig zeigt. Problematisch hierbei ist, dass die Beweislast in beiden Fällen beim Staat bzw. der auszahlenden Institution liegt.

Aus Sicht eines wohlfahrtsmaximierenden Individuums im Sinne des homo oeconomicus13 erfährt dieses allerdings bei Antritt einer Erwerbstätigkeit bei gleichem Einkommen einen Wohlfahrtsverlust aufgrund der Einbuße an konsumierbarer Freizeit. Aus diesem Grund wird der Transferempfänger ohne finanziellen Arbeitsanreiz unter Umständen versuchen seine Arbeitsverpflichtung zu umgehen. Um einen Arbeitsanreiz zu bieten muss somit neben dem wegfallenden Transfer auch die eingeschränkte Freizeit des Betroffenen ersetzt werden. Liegt der Lohn lediglich knapp oberhalb des Transfersatzes ist der Arbeitsanreiz stark eingeschränkt. Zudem fallen durch die geringere Freizeit potentielle Möglichkeiten für Haushaltsproduktion und Schwarzarbeit weg, die durch Erwerbseinkommen aufgewogen werden müssen.

Der finanzielle Anreiz für einen Arbeitslosen wieder einen Vollarbeitsplatz anzutreten ist die Differenz zwischen dem Nettolohn nach Wiedereintritt und den vorher beanspruchten Transferzahlungen. Diese Differenz wird als Lohnabstand bezeichnet und in manchen Ländern ist dieser durch Mindestlohn- oder ähnliche Regelungen teilweise staatlich vorgegeben. In den meisten Systemen, wie beispielsweise im Österreichischen, setzen allerdings hohe Transferentzugsraten und hohe Abgabenquoten einen in vielen Fällen deutlich zu geringen Lohnabstand fest. Somit entstehen implizite Mindestlohnschwellen, welche für einen zunehmenden Teil der Betroffenen zu hoch sind um im Rahmen ihres Marktlohnes überwunden werden zu können. In letzter Konsequenz bildet die Sozialhilfe in Kombination mit anderen

Transfers hierbei einen Lohnersatz.14

Wenn im Einzelfall das erzielbare Markteinkommen unterhalb des Sozialhilfeniveaus liegt, kann der Transferempfänger bei komplettem Transferentzug kein höheres Einkommen erzielen als das staatlich gewährte Transfereinkommen. Es gelingt dem Betroffenen nur noch schwer sich aus der so genannten „Armuts-„ oder „Sozialstaatsfalle“ zu befreien. Es kommt folglich zu Langzeitarbeitslosigkeit mit den bekannten negativen Begleiterscheinungen wie Humankapitalverlust bis hin zum Verlust von sozialen Fähigkeiten und mit Dauer der Arbeitslosigkeit stetig sinkender Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt.

2.4.3 Fehlanreize als Grund für Schwarzarbeit

Ein nicht unwesentliches Problem durch hohe Transferentzugsraten bei legalem Zuverdienst ist die Umgehung des Transferentzugs durch den Ausweg in die Schwarzarbeit. Als Schwarzarbeit bezeichnet man eine Leistung gegen Entgelt ohne ordnungsgemäße Anmeldung oder ohne gewerberechtliche Berechtigung des Arbeitsgebers. Verträge werden hierbei in der Regel mündlich geschlossen und das Entgelt in bar ausbezahlt. Der Anteil an der gesamten Wirtschaftsleistung liegt in verschiedenen Schätzungen zwischen 1 und 5% des BIP in westlichen Ländern, wobei ein wesentlicher Teil hiervon der Bauwirtschaft zuzuschreiben ist.15 Die Schwarzarbeit stellt einen Teil der Schattenwirtschaft dar, welcher zusätzlich beispielsweise kriminelle Geschäfte, Nachbarschaftshilfe oder handwerkliche Eigenleistungen zugerechnet werden. Zur Prävention und Bekämpfung der Schwarzarbeit gibt es im österreichischen BMF seit 1.Jänner 2007 die Abteilung KIAB (Kontrolle illegaler Arbeitnehmerbeschäftigung).

Der Anreiz zur Schwarzarbeit wird durch die Höhe von Transferentzugsrate, Steuersatz und zusätzlichen Abgaben wie Sozialversicherungsbeiträge stark beeinflusst. Zusätzlich sind bürokratische Hemmnisse der legalen Beschäftigung sowohl auf Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberseite geeignet die Schwarzarbeit anzukurbeln. Ein zusätzliches Problem besteht in dem hohen Kosten- und Personalaufwand bei der Bekämpfung und Sanktionierung illegaler Anstellungsverhältnisse. Zur Einschränkung der Schwarzarbeit ist aus diesem Grund die Vermeidung aller angesprochenen Anreize sinnvoller und effektiver als die Bestrafung von Schwarzarbeitern. In Deutschland konnte beispielsweise durch die Einführung der sogenannten Minijobs die illegale Schwarzarbeit erfolgreich zurückgedrängt werden.16

Grundsätzlich liefert der hohe Transferentzug einen starken Anreiz zur Umgehung, da ein Arbeitnehmer mit niedrigem Verdienstpotential dadurch am legalen Arbeitsmarkt kaum Möglichkeiten vorfindet sein gesamtes Haushaltseinkommen zu steigern. Oftmals kann speziell in der Baubranche schon durch wenige monatliche Arbeitstage ein wesentlich höheres Mehreinkommen erwirtschaftet werden als durch eine Vollanstellung am primären Arbeitsmarkt, da neben dem Transferentzug auch Steuern und Sozialversicherungsabgaben umgangen werden. Auch auf der Arbeitgeberseite besteht durch die Umgehung der Lohnnebenkosten sowie des gültigen Arbeitsrechts speziell bei kurzfristigem und unregelmäßigem Personalbedarf ein Anreiz zum Gesetzesbruch.

3 Das aktuelle Steuer- und Transfersystem der Republik Österreich

Ziel des vorliegenden Kapitels ist die Darstellung der bestehenden österreichischen Gesetzeslage in sozialpolitischer und steuerpolitischer Hinsicht. In der fiskalpolitischen Betrachtung werden für die Bearbeitung unbedeutende Teile wie Vermögenssteuern und sämtliche ausgabenseitige Steuern generell vernachlässigt und nur die Einkommensteuern sowie die Sozialabgaben beleuchtet. Auch die Umsatzsteuer und die Körperschaftsteuer, welche für Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit durchaus relevant sein können, werden hierbei vernachlässigt. Die Umsatzsteuer stellt in Form der Mehrwertsteuer grundsätzlich eine alternative Besteuerung des Einkommens sowie Gewinns dar, kann aber aufgrund der fehlenden Verteilungsfunktion bei der Konzeption einer Negativsteuer vernachlässigt werden. Die Fokussierung auf die Einkommensteuer erfolgt aufgrund der überwiegenden Relevanz für die Zielgruppe der gering qualifizierten, unselbstständig Erwerbstätigen. Auch auf sozialpolitischer Seite werden nur ausgewählte Transfers mit spezifischer Bedeutung für die Thematik der Negativen Einkommensteuer erläutert bzw. miteinbezogen.

Die österreichische Steuer- und Sozialpolitik ist stark geprägt durch die Tradition der Sozialpartnerschaft. Zusätzlich beeinflusst der föderative Staatsaufbau und die Mitgliedschaft in der Europäischen Union die Gestaltung derselben. Laut der österreichischen Bundesverfassung ist Österreich ein Bundesstaat, welcher die Hoheitsaufgaben zwischen Bund und Länder aufteilt. Durch die so genannte Generalklausel17 sind sämtliche Aufgabengebiete den Ländern unterstellt, die nicht explizit im BVG an den Bund übertragen werden. Zusätzlich werden die örtlichen Selbstverwaltungsaufgaben von den Gemeinden verantwortet, die somit wirtschaftlich und bürokratisch eine dritte Ebene bilden. Die Verteilung der Mittel wird im Finanzverfassungsgesetz geregelt und vom Bundesgesetzgeber für jeweils drei sechs Jahre in einem Finanzausgleichsgesetz geregelt.18

Zusätzlich sind in die Finanzpolitik Selbstverwaltungskörperschaften wie die gesetzliche Pensions-, Kranken- und Unfallversicherung, welche selbstständig Versicherungsbeträge einheben und Leistungen zur Verfügung stellen, mit einzubeziehen. Der Spielraum der österreichischen Fiskalpolitik wird zudem ökonomisch durch die Globalisierung der Märkte sowie rechtlich durch vertragliche Verpflichtungen gegenüber der EU stark eingeschränkt, seit Österreich der Gesetzgebung der Europäischen Union unterliegt.19

3.1 Die österreichische Einkommensteuer

Die österreichische Einkommensteuer ist im Einkommensteuergesetz (EStG) geregelt und bildet wie in den meisten Industrieländern eine progressiv gestaffelte Individualbesteuerung. Einkünfte aus rein unselbstständiger Tätigkeit unterstehen prinzipiell der Lohnsteuer, welche unmittelbar vom Arbeitgeber einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen ist. Aufgrund der Vielzahl an Absetzbeträgen und Sonderbestimmungen wird aber in der Regel auch diese im Rahmen einer Arbeitnehmerveranlagung in die Einkommensteuer überführt. Tarife und Absetzbeträge sind bei Lohn- und Einkommensteuer identisch sodass sich diese im Wesentlichen lediglich in ihrer Erhebungsform unterscheiden.

3.1.1 Steuertarif

In die Bemessungsgrundlage für die Berechnung des Steuertarifs werden neben sämtlichen Einkünften aus allen 7 Einkunftsarten nach EStG auch diverse Versicherungsleistungen wie Krankengelder und Pensionen aus der gesetzlichen Sozialversicherung oder Pensionskassen sowie steuerpflichtige Sachbezüge eingerechnet. Zu den Sachbezügen zählen unter anderem Dienstwohnungen sowie die Privatnutzung eines Dienstwagens, wobei hier jeweils nur ein entsprechender Teilwert anzurechnen ist. Demgegenüber stellen beispielsweise privat nutzbare Diensthandys oder Notebooks keinen steuerpflichtigen Sachbezug dar.

Von diesem Ausgangswert sind Sozialversicherungsbeiträge sowie bestimmte, steuermindernde Ausgaben abzuziehen. Aus der auf diesem Wege ermittelten Bemessungsgrundlage kann mithilfe der Steuertabelle (Abbildung 1) die Steuerschuld errechnet werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Einkommensteuertabelle 20

Die seit 2005 gültigen überarbeiteten Einkommensteuertarife sehen ein steuerfreies Einkommen von 10.000€ jährlich vor. Diesen Wert übersteigendes Einkommen wird mit dem jeweiligen Grenzsteuersatz besteuert. Besteht Anspruch auf Steuerabsetzbeträge wird die Steuerschuld anschließend an die Berechnung um diese verringert. Die Steuerlast wird anlässlich einer jährlichen Steuererklärung bescheidgemäß festgesetzt. Für unselbstständig Erwerbstätige bringt die Arbeitnehmerveranlagung aufgrund der Absetzbeträge regelmäßig eine Steuerrückzahlung vom Finanzamt mit sich. Diese Rückzahlungen können

beispielsweise aufgrund von anrechenbaren Sonderausgaben und

außergewöhnlichen Belastungen zustande kommen. Allerdings sind in verschiedenen Fällen, insbesondere bei zusätzlichem Verdienst,auch Nachzahlungen möglich. Speziell im Bereich der Unselbstständigen wird problematischerweise mangels Wissens oftmals auf eine Veranlagung und somit auf Transfers verzichtet, die dem Arbeitnehmer eigentlich zustehen würden. Schätzungen des BMF sprechen von ca. 300 Mio. Euro an jährlich nicht eingelösten Steuerrückzahlungen.21

3.1.2 Steuerfreie Leistungen und Steuerabsetzbeträge

Ein wesentlicher Kritikpunkt an der derzeitigen Situation sind die oftmals undurchsichtigen und enorm komplexen Regelungen der steuerfreien Leistungen, Steuerabsetzbeträge sowie der steuermindernden Ausgaben. Diese Regelungen werden laut Kritikern vom einfachen Steuerzahler aufgrund der Komplexität nicht oder nur unzureichend genutzt, sorgen jedoch in der obersten Einkommensschicht durch Hinzuziehung von Steuerberatern zu oft beträchtlichen und nicht unumstrittenen Steuereinsparungen.

Zu den steuerfreien Leistungen gehören insbesondere Familienbeihilfe, Wochengeld, Kinderbetreuungsgeld, Unfallrenten sowie teilweise Trinkgelder. Zusätzlich gibt es Leistungen welche zwar als steuerfrei gelten, allerdings den Grenzsteuersatz des übrigen Einkommens erhöhen (besonderer Progressionsvorbehalt). Zu diesen Leistungen zählen primär das Arbeitslosengeld, die Notstandshilfe sowie Bezüge nach dem Zivildienst- oder Heeresgebührengesetz. Diese Einkommensbestandteile werden also der Bemessungsgrundlage nicht zugerechnet.22

Bei den steuermindernden Ausgaben haben vor allem die Werbungskosten einen hohen Stellenwert. Dies sind Kosten die unmittelbar in Zusammenhang mit der Arbeitsstelle stehen, beispielsweise hinsichtlich beruflicher Weiterbildung in Form von Kursen oder entsprechender Fachliteratur. Ebenfalls steuermindernd wirken sich Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen, unter anderem verschiedene Gesundheitsausgaben, aus. Diese Kosten werden vor der Berechnung der Steuerlast von der Bemessungsgrundlage abgezogen.23

Die Steuerabsetzbeträge mindern die Bemessungsgrundlage, woraus eine Verminderung der Steuerlast resultiert. In Österreich wurden aus verteilungspolitischen Gründen Absetzbeträge anstatt der international häufiger angewendeten Freibeträge eingeführt, da hierbei die Entlastung nicht mit der Höhe des Grenzsteuersatzes zusammenhängt und somit wie ein fixer Transferbetrag wirkt. Dadurch soll verhindert werden dass Besserverdiener mehr profitieren als Bezieher niedriger Einkommen. Sie werden entweder automatisch vom Arbeitgeber bzw. der auszahlenden Behörde berücksichtigt oder müssen explizit beim Finanzamt beantragt werden.

Der Arbeitgeber ist verpflichtet den allgemeinen Arbeitnehmerabsetzbetrag und den Verkehrsabsetzbetrag, bei Anspruch in Verbindung mit der kleinen oder großen Pendlerpauschale, bei der Auszahlung des Einkommens zu berücksichtigen. Zusätzlich vom Arbeitgeber einzurechnen sind Absetzbeträge für Dienstreisen, Überstunden, Nachtarbeit sowie kollektivvertragliche Zulagen und Zuschläge. Auch sogenannte sonstige Bezüge wie das Weihnachtsgeld, das Urlaubsgeld, Jubiläumsgelder, Abfertigungen, Prämien und Gewinnbeteiligungen werden steuerlich anders behandelt als die restlichen Einkommensbestandteile. Der Pensionistenabsetzbetrag wird automatisch von der pensionsauszahlenden Stelle eingerechnet. Der Alleinverdiener- sowie der Alleinerzieherabsetzbetrag und der Kinderabsetzbetrag werden mit der Familienbeihilfe vom Finanzamt ausbezahlt. Der Mehrkindzuschlag muss explizit beim Finanzamt beantragt werden und ist abhängig vom Familieneinkommen.

Zudem existieren besondere Absetzbeträge bei niedrigen Einkünften, die häufig als Negativsteuer bezeichnet werden. Diese stellen allerdings lediglich eine Rückzahlung von 10% der geleisteten Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung dar, welche wiederum mit einem Maximum von 110 € begrenzt ist. Die Alleinverdiener- und der Alleinerzieherabsetzbeträge können hierbei zusätzlich vom Finanzamt ausbezahlt werden wenn sich diese nicht oder nicht in vollem Ausmaß steuermindernd ausgewirkt haben.24

3.2 Sozialversicherungsabgaben

Zusätzlich zu den Einkommensteuern minimieren auch verschiedene Sozialversicherungsabgaben unmittelbar das individuelle Einkommen. Sie stellen definitionsgemäß keine Steuerzahlungen an den Staat, sondern Versichertenbeiträge an verschiedene Selbstverwaltungskörperschaften dar. Aus Sicht des Arbeitnehmers wirkt sich allerdings der Arbeitnehmeranteil des Sozialversicherungsbeitrags ähnlich der Einkommensteuer unmittelbar einkommensmindernd aus. Die Beitragshöhen ergeben sich aus dem ASVG für nichtselbstständig- und dem GSVG für selbstständige Erwerbstätige.

3.2.1 Sozialversicherungsbeiträge

Zahlungen an die Sozialversicherung sind sowohl vom Arbeitgeber als auch vom Arbeitnehmer zu leisten. Die Gesamtabgabenlast für Arbeitnehmer und Arbeitgeber lässt sich aus Abbildung 2 entnehmen. Die Sozialversicherungsbeiträge müssen generell erst ab einem Einkommen von 349,01 Euro bezahlt werden und sind mit einer Höchstbeitragsgrundlage von 3930 Euro (Stand 2008) nach oben hin begrenzt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Sozialversicherungsbeiträge in % des Bruttolohns 25

Die Zahlungen an die Sozialversicherung gehen größtenteils an die

Pensionsversicherung (22,8%), die Krankenversicherung (7,65 %), die

Arbeitslosenversicherung (6%) und die Unfallversicherung (1,4%). Zudem enthält der Beitrag Anteile für diverse Umlagen und Zuschläge zu den Versicherungsbeiträgen mit geringeren Anteilen. Bei freien Dienstnehmern fällt der Gesamtbetrag hauptsächlich aufgrund des Wegfalls der Arbeitslosenversicherung geringer aus.26

3.2.2 Lohnnebenkosten

Die Lohnnebenkosten sind Lohnkosten für den Arbeitgeber zusätzlich zu den Bruttolöhnen. Sie stehen oftmals im Brennpunkt der politischen Debatte um die Schaffung von Arbeitsplätzen, insbesondere im niedrig qualifizierten Bereich. Arbeitgeber monieren, Lohnnebenkosten von etwa 100% würden die Schaffung von Arbeitsplätzen bremsen und in weiterer Folge dem Wirtschaftsstandort generell Schaden zufügen. Allerdings bleibt oftmals unerwähnt, dass etwa zwei Drittel der Lohnnebenkosten aus unmittelbaren Zahlungen an den Arbeitnehmer wie dem Urlaubsgeld, der Weihnachtsremuneration, Abfertigungen sowie Lohnzahlungen während des Urlaubs, der Feiertage oder Krankenstände bestehen, und somit eigentlich nur bedingt als Lohnnebenkosten bezeichnet werden können. Korrekterweise werden diese Kosten als Nichtleistungslöhne bezeichnet. Die wahren Lohnnebenkosten betragen etwa 30% zu den Bruttolöhnen und bestehen aus dem Dienstgeberanteil der Sozialversicherungsbeiträge sowie Kommunalsteuern und dem Beitrag zum Familienlastenausgleichsfond und stellen somit Zahlungen dar, die dem Arbeitnehmer nicht direkt zukommen.27

Die Trennung der Sozialversicherungsbeiträge in Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile wird weitgehend mit dem Argument der Solidarität begründet, erfüllt jedoch bei genauerer Betrachtung im Wesentlichen keinen spezifischen Sinn. Einzig nachvollziehbare Motivation hierfür kann die Verschleierung der wahren Belastungen des Einkommens sein, denn eine Änderung der Belastungsverhältnisse würde weder für den Arbeitgeber noch für den Arbeitnehmer einen eklatanten Unterschied darstellen. Eine sinnvolle Bewertung der gesamten Einkommensbelastung wäre einfacher erreichbar und auch international besser vergleichbar durch einen universellen Abgabensatz für Einkommensteuer und einen Verzicht auf die Trennung in Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung.

3.3 Arbeitslosengeld

Das Arbeitslosengeld stellt den primären Transfer zur Wiedereinbindung in den Arbeitsmarkt dar. Es wird vom Arbeitsmarktservice (AMS) ausbezahlt, welches zusätzlich zu finanziellen Unterstützungsleistungen auch für Schulung und Vermittlung zwischen potentiellen Arbeitnehmern und Arbeitgebern verantwortlich zeichnet. Finanziert wird das Arbeitslosengeld aus den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung aus der Sozialversicherung.

Anspruch auf Arbeitslosengeld haben all jene die der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen, die Bedingungen für die Anwartschaft erfüllen und die maximale Bezugsdauer noch nicht ausgeschöpft haben. Die Auszahlung von Arbeitslosengeld erfolgt nicht automatisch sondern muss innerhalb von 7 Tagen ab Beginn der Arbeitslosigkeit beim zuständigen Arbeitsmarktservice beantragt werden. Anwartschaft auf Arbeitslosengeld hat jede Person die in den letzten 24 Monaten mindestens 52 Wochen lang ein versicherungspflichtiges, unselbstständiges Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze (€ 349,01: Stand 2008) erwirtschaftet hat. Jugendliche gelten bereits ab 26 Wochen Erwerbstätigkeit in 12 Monaten als anspruchsberechtigt. Der Anspruchsberechtigte muss arbeitsfähig, arbeitswillig, arbeitsberechtigt sowie arbeitslos sein. 28

Die Anspruchsdauer ist prinzipiell mit 20 Wochen begrenzt, verlängert sich allerdings abhängig vom Alter und der versicherungspflichtigen Beschäftigungsdauer bis zu einem Maximum von 52 Wochen. Bei wiederholter Inanspruchnahme müssen in den letzten 12 Monaten mindestens 28 Wochen versicherungspflichtige Beschäftigung nachgewiesen werden. Als Prävention vor Missbrauch verfällt der Anspruch wenn der Berechtigte vom ehemaligen Arbeitgeber während der Anspruchsdauer geringfügig angestellt wird.

3.3.1 Transferhöhe

Als Bemessungsgrundlage für das Arbeitslosengeld wird das Einkommen aus dem vorletzten Kalenderjahr herangezogen. Der Grundbetrag beträgt 55% des aus der Bemessungsgrundlage ermittelten täglichen Nettoeinkommens und ist durch die Höchstbeitragsgrundlage der Sozialversicherung bei einer Höhe von monatlich € 2112 gedeckelt. Unter bestimmten Voraussetzungen gebührt ein Ergänzungsbetrag bis 60% bzw. 80% der Bemessungsgrundlage. Es existiert zusätzlich ein Familienzuschlag, der für jedes unterhaltspflichtige Kind € 0,97 täglich beträgt. Für 120 Tage gilt ein sogenannter Entgeltschutz, der bei Vermittlung an einen branchenfremden Arbeitsplatz ein Einkommen von mindestens 80% der Bemessungsgrundlage vorsieht. Nach Ablauf dieser Frist besteht keinerlei Anspruch auf Sicherung einer gewissen Einkommenshöhe.29

3.3.2 Transferentzug bei Zuverdienst

Während des Transferbezugs ist eine Erwerbstätigkeit ausnahmslos nur bis zur Geringfügigkeitsgrenze laut Allgemeinem Sozialversicherungsgesetz möglich. Bei einer regulären Erwerbstätigkeit darf somit maximal € 349,01 verdient werden, um den Transferanspruch nicht zu verlieren. Wird das Arbeitsverhältnis für weniger als einen Monat abgeschlossen liegt die Einkommensgrenze bei € 26,80 je Arbeitstag.Bei einer selbstständigen Tätigkeit darf neben der allgemeinen Geringfügigkeitsgrenze auch ein maximaler Umsatz von € 3177,72 (11% des Umsatzes dürfen die Geringfügigkeitsgrenze nicht überschreiten) nicht übertroffen werden. 30

Wird eine dieser Grenzen überschritten entfällt der Transferanspruch zur Gänze. Dadurch können in Härtefällen exorbitante Transferentzugsraten vorkommen, wenn beispielsweise ein vormals hohes Einkommen bei der nächsten Anstellung weit unterboten wird und somit durchaus deutlich unter der Höhe des Arbeitslosengeldes liegen kann. Aus diesem Grund liegt auch hier ein negativer Anreiz zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit vor, wenn die Höhe des erreichbaren Erwerbseinkommens unter oder nur geringfügig über der Transferhöhe liegt. Ein finanzieller Anreiz liegtpraktisch erst ab einem Einkommen vor, welches die Kombination des Transfers mit einem geringfügigen Nebeneinkommen übertrifft. Es gilt jedoch festzuhalten, dass das beschriebene Anreizproblem in der Praxis durch die Verpflichtung zur aktiven Stellensuche und die verhältnismäßig kurze Bezugsdauer weitestgehend eingeschränkt wird.

3.4 Notstandshilfe

Wenn nach Ausschöpfung der maximalen Bezugszeit immer noch Arbeitslosigkeit vorliegt kann vom Arbeitslosen ein Antrag auf Gewährung von Notstandshilfe gestellt werden. Diese wird ebenfalls vom Arbeitsmarktservice ausbezahlt und aus denselben Quellen finanziert wie das Arbeitslosengeld. Die wesentlichen Unterschiede zum Arbeitslosengeld bestehen in der prinzipiell unlimitierten Bezugsdauer sowie dem stark eingeschränkten Adressatenkreis. Um Anspruch auf Notstandshilfe zu haben muss neben den Voraussetzungen für das Arbeitslosengeld auch das Bestehen einer finanziellen „Notlage“ nachgewiesen werden. Bei der Prüfung ob eine Notlage vorliegt wird neben dem eigenen Einkommen auch das Einkommen des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehe- oder Lebensgefährten berücksichtigt. Das Einkommen von Eltern, Kinder oder anderen Verwandten ist dagegen auch bei gemeinsamem Haushalt unerheblich. Das Einkommen des Partners wird über ein komplexes Berechnungsverfahren auf die Höhe der Notstandshilfe angerechnet.

3.4.1 Transferhöhe

Die Höhe der Notstandshilfe hängt von den verschiedenen anrechenbaren Einkommen und der Höhe des vorher bezogenen Arbeitslosengeldes ab. Lag das bezogene Arbeitslosengeld unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz laut ASVG von derzeit € 74731 beträgt die Notstandshilfe ohne Einkommensanrechnung 95% des zuletzt bezogenen Transfers. Wurde dieser Wert überschritten werden 92% des Arbeitslosengeldes als Notstandshilfe herangezogen. Zusätzlich besteht der Anspruch auf Familienzuschlag weiterhin, allerdings fallen allfällige Ergänzungsbeträge weg.

Die Notstandshilfe liegt somit nur minimal unter dem Arbeitslosengeld, sofern kein anrechenbares Einkommen vorhanden ist. Sie wird im Allgemeinen immer für 52 Wochen zuerkannt und kann danach erneut beantragt werden. Soweit ein Fortbestehen der Notlage nachgewiesen wird, ist die Auszahlung der Notstandshilfe nicht an eine maximale Bezugsdauer gebunden. Nach einer Bezugsdauer von 6 Monaten wird die Transferhöhe mit einer Abstufung je nach Bezugsdauer des Arbeitslosengelds bei einer Höhe von € 747 bzw. € 871 gedeckelt. Bestand Anspruch auf die maximale Bezugsdauer von 52 Wochen oder ist der Arbeitslose älter als 45 Jahre wird keinerlei Deckelung vorgenommen.32

3.4.2 Transferentzug bei Zuverdienst

Für den Notstandshilfeempfänger gelten dieselben Zuverdienstregelungen wie für Bezieher des Arbeitslosengeldes. Allerdings betrifft bei der Notstandshilfe die Begrenzung neben dem Anspruchsberechtigten auch die Lebensgefährten und Ehegatten, deren Einkommen auf den Transfer angerechnet wird. Bei Überschreitung vorgeschriebener Freibeträge wird das Einkommen angerechnet und der Transfer um den Differenzbetrag gekürzt. Somit ergibt sich neben der Transferentzugsrate für den Berechtigten, welche derjenigen bei Arbeitslosengeld entspricht, auch auf das Einkommen der Partner bei Überschreitung der Freigrenzen eine Transferentzugsrate von 100%. In diesem Fall wird also der Arbeitsanreiz von beiden stark eingeschränkt.

Die Freigrenze für den Ehegatten bzw. Lebensgefährten liegt bei € 473 die sich für jedes unterhaltsberechtigte Kind um € 226,50 erhöht. Ist der Arbeitslose über 50 Jahre und hatte dieser bereits Anspruch auf 52 Wochen Arbeitslosengeld so erhöht sich die Freigrenze um 100%. Zudem gibt es für ältere Arbeitslose eine Freigrenzenerhöhung um 200%. Um diesen Anspruch geltend machen zu können müssen Männer das 55. Lebensjahr vollendet haben und 240 Monate Anwartschaftszeiten nachweisen. Bei Frauen sind 54 Lebensjahre und 180 Monate arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung nachzuweisen. In diesem Fall betragen die Freigrenzen € 1419 für Lebensgefährten und € 709,50 für Unterhaltsberechtigte.33

Insbesondere die enormen Ungleichheiten bezüglich der Freigrenzen und der Deckelung der Notstandshilfe, welche unmittelbar die Transferhöhe beeinflussen, treffen häufig auf Kritik und sollten möglicherweise überdacht werden. Sie führen zu einer starken Bevorzugung älterer Arbeitsloser und somit zu zusätzlichen Anreizproblemen in dieser Zielgruppe. Außerdem kommt es zu einer unverhältnismäßigen Benachteiligung von jüngeren Arbeitslosen Personen.

3.5 Sozialhilfe

Die Sozialhilfe gilt als unterstes soziales Netz und soll denjenigen Menschen ein bedarfsdeckendes Vermögen zur Verfügung stellen, die durch eigenständiges Erwerbseinkommen oder versicherungsbezogene Leistungen ein solches nicht oder in nicht ausreichendem Maße aufbringen können. Laut der Gesetzesdefinition ist ihr Anliegen „jenen Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, die dazu der Hilfe der Gesellschaft bedürfen“34. Die Hilfe zur Existenzsicherung ist gegenüber allen anderen Transfers nachrangig und als universelles Instrument gestaltet, sodass zur Anspruchsberechtigung keine Vorleistungen (Versicherungszeiten, Beiträge, etc) oder zusätzliche Voraussetzungen notwendig sind. Einzige Voraussetzung für die Sozialhilfe ist das Vorhandensein einer „sozialen Notlage“, in manchen Gesetzen wird synonym der Begriff „Hilfsbedürftigkeit“ verwendet.

In einer sozialen Notlage befindet sich, wer den Lebensunterhalt für sich (bzw. anspruchsberechtigte Angehörige) nicht decken kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält, zudem wer außergewöhnliche Schwierigkeiten in seinen persönlichen, familiären oder sozialen Verhältnissen nicht selbst oder mit Hilfe anderer Personen bzw. Einrichtungen bewältigen kann.35

Prinzipiell versteht sich die Sozialhilfe als „Hilfe zur Selbsthilfe“. Ihr wesentliches Ziel ist es demnach, die anspruchsberechtigten Personen soweit als möglich zu befähigen von der Hilfe unabhängig zu werden bzw. zumindest zur Beseitigung der Notlage beizutragen. Zudem ist die Sozialhilfe konzipiert um kurzfristige soziale Notlagen zu überwinden was die Möglichkeit einschließt an Sozialhilfeempfänger nach Überwindung der Notlage unter bestimmten Voraussetzungen Regressforderungen zu stellen.Die Rechtsgrundlage der Sozialhilfe bilden neben dem Begriff des Armenwesens, der in Artikel 12 der Bundesverfassung geregelt ist, aufgrund des Subsidiaritätsprinzips im Wesentlichen die Sozialhilfegesetze der einzelnen Bundesländer. Insbesondere die dadurch stark differenzierenden Bedarfsregelungen und Transferhöhen werden seit langem in der rechts- und sozialpolitischen Debatte problematisiert. Durch die Debatte um einer Mindestsicherung als grundlegende Maßnahme zur Bekämpfung der Armut und sozialen Ausgrenzung im Rahmen der Regierungsverhandlungen 2007 wurde erneut ein Harmonisierungsbedarf festgestellt. Die wesentlichen Unterschiede und Problembereiche der aktuellen Sozialhilferegelung wurden in einer von Dr. Walter Pfeil im Jahr 2001 im Auftrag des Sozialministeriums erstellten Studie ausgearbeitet. Allerdings wurden daraus bis dato nur minimale Konsequenzen gezogen, die den Vorschlägen von Dr. Pfeil nicht in ausreichendem Maße entsprechen.

3.5.1 Transferhöhe

Die Höhe der Sozialhilfe richtet sich im Allgemeinen nach dem Bedarf zur Deckung des Lebensunterhalts. In sämtlichen Sozialhilfegesetzen finden sich als Kern des Lebensunterhalts die Aufwendungen für Unterkunft, Nahrung, Bekleidung, Beheizung und Körperpflege. Zudem sollen die Pflege der Beziehungen zur Umwelt sowie die Teilnahme am kulturellen Leben- jeweils in einem angemessenen Ausmaß- gesichert werden. Diese grundsätzlichen Bedürfnisse sind im jeweiligen Richtsatz enthalten, welcher durch Richtsatzerhöhungen und einmalige zusätzliche Leistungen erweitert werden kann.36

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Sozialhilferichtsätze 37

Aus der Richtsatzhöhe kann nicht unmittelbar auf das sozialpolitische Niveau der Bundesländer geschlossen werden, da die Unterschiede in den einberechneten Bedarfe und die zusätzlich zu den Richtsätzen ausbezahlten Transfers nicht berücksichtigt sind. Die Festsetzung und Anpassung der Richtsätze ist der jeweiligen Landesregierung überlassen. Sie sollen den regelmäßigen Mindestbedarf des Empfängers sichern. Als Mitunterstützte werden je nach Sozialhilfegesetz unterhaltsberechtigte Personen, sowie Personen mit gemeinsamer Haushaltsführung angesehen. Diesbezüglich unterscheiden sich die Regelungen der verschiedenen Bundesländer. Zusätzlich gibt es in manchen Ländern erhöhte Richtsätze für „Dauerunterstützte“ wie beispielsweise für Erwerbsunfähige. Dieser ist beispielsweise in Wien bei € 710 für Alleinstehende (Stand 2008). Diese Sonderregelungen verschärfen die Unterschiede zwischen den Ansprüchen in den Bundesländern zusätzlich.38

Die Richtsätze können in den verschiedenen Regelungen aufgrund von erhöhtem Bedarf oder sanktioniertem Verhalten über- bzw. unterschritten werden. Eine Richtsatzerhöhung ist beispielsweise aufgrund von besonderen familiären- bzw. persönlichen Verhältnissen, wie beispielsweise chronische Krankheiten oder Behinderungen. Richtsatzerhöhungen bedeuten einen höheren regelmäßigen Anspruch für den Berechtigten.

Zusätzlich zu den Richtsätzen besteht ein Anspruch auf eine Unterkunft mit Beheizung und Stromanschluss. Hierbei kann der Transfer entweder aus Geld- oder Sachleistungen bestehen. Der Bedarf ist in den meisten Ländern im Einzelfall zu bemessen und es sind grundsätzlich unter Anwendung der Grundsätze von Sparsamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit die tatsächlichen Kosten zu erstatten. Die Geldleistungen für die Unterkunft sind meist durch einen Höchstbetrag entsprechend der jeweils erforderlichen Wohnnutzungsfläche nach oben hin begrenzt. Neben den Richtsätzen und dem Unterkunftsbedarf existieren noch zweckgebundene Sonderzahlungen, die in regelmäßigen Abständen auszuzahlen sind sowie anlassbezogene einmalige Zahlungen zur Deckung von in den Richtsätzen nicht berücksichtigten Ausgaben.39

Spezielle Regelungen der Sozialhilfebemessung existieren für Zahlungen nach der Entbindung oder bei Behinderungen, welche allerdings aufgrund der fehlenden Relevanz bezüglich des Arbeitsanreizes an dieser Stelle nicht näher erläutert werden sollen.

3.5.2 Transferentzug

Bei der Sozialhilfe existieren zwei Gründe für einen möglichen Transferentzug. Setzt der Anspruchsberechtigte ein Verhalten welches in besonderer Weise einer Bewältigung der Notlage abträglich ist, so wird dies in allen Bundesländern durch Verminderung der regelmäßigen Zahlungen sanktioniert, auch wenn der Bedarf dadurch nicht mehr vollständig gedeckt werden kann. Dies kann insbesondere bei mangelnder Arbeitswilligkeit oder einem wenig sparsamen Umgang mit den gestellten Mitteln durch Kürzung der richtsatzgemäßen Leistung auf ein unbedingtes Mindestmaß oder einer alternativen Gewährung von Sachleistungen vollzogen werden. Die Gründe für den diesbezüglichen Transferentzug und die genaue Behandlung unterscheiden sich wiederum zwischen den einzelnen Bundesländern stark.

[...]


1 vgl. Österreichisches Bundeskanzleramt: Regierungsprogramm 2007-2010

2 vgl. Sinn et al. (2007)

3 Sinn et al. (2007), S 3

4 Genser, Holzmann (2001), S 24

5 Keen et al. (2006), S 6

6 vgl. ESSOSS Sozialschutzstatistik 2005

7 vgl. Breyer (2007), S 21

8 vgl. Sinn et al. (2007), S 18

9 vgl. Brinkmann (1984), S 462

10 vgl. Varian (2001), S 163

11 vgl. Varian (2001), S 165 ff.

12 vgl. mikroo.de: Kurzfristige Arbeitsangebotsentscheidung

13 vgl. Kirchgässner (2000)

14 vgl. Schneider et al. (2002)

15 vgl. Schneider, Enste (2000)

16 Brandt (2006), S 446

17 vgl. Artikel 15 (1) Österreichische Bundesverfassung

18 vgl. Genser, Holzmann (2001), S 33

19 vgl. Rossmann (2006), S 142 ff.

20 Quelle: BMF: Das Steuerbuch 2007, S 16

21 vgl. Bundesministerium für Finanzen (2007)

22 vgl. BMF: Das Steuerbuch 2007, S 27 ff.

23 vgl. BMF: Das Steuerbuch 2007, S 38 ff.

24 vgl. Arbeiterkammer Österreich: Steuergutschrift bei niedrigem Einkommen

25 vgl. Arbeiterkammer Österreich: Sozialversicherung: Werte 2007

26 26vgl. Arbeiterkammer Österreich: Sozialversicherung: Werte 2007

27 vgl. Arbeiterkammer Österreich: Lohnnebenkosten

28 vgl. Soziales Leben Österreich: Arbeitslosengeld

29 vgl. Help.gv.at: Arbeitslosengeld

30 vgl. Help.gv.at: Geringfügig Beschäftigte

31 vgl. Pensionsversicherungsanstalt: Ausgleichszulage

32 vgl. Arbeiterkammer Österreich: Notstandshilfe

33 vgl. Arbeiterkammer Österreich : Notstandshilfe

34 vgl. §1 Abs. 1 WSHG

35 vgl. §1 Abs 3 lit. a TSHG

36 vgl. Help.gv.at: Sicherung des Lebensbedarfs

37 vgl. BMSK: Sozialhilfe Richtsätze 2008 * Werte exkl. Familienbeihilfenanspruch, gerundet

38 vgl. Pfeil (2001)

39 vgl. Help.gv.at: Sicherung des Lebensbedarfs

Fin de l'extrait de 133 pages

Résumé des informations

Titre
Die Negative Einkommensteuer als sozialpolitischer Lösungsansatz
Sous-titre
Entwicklung eines integrierten Steuer- und Transfersystems zur Beschäftigungsförderung im Niedriglohnbereich
Université
Vienna University of Economics and Business
Note
1
Auteur
Année
2008
Pages
133
N° de catalogue
V308850
ISBN (ebook)
9783668071223
ISBN (Livre)
9783668071230
Taille d'un fichier
972 KB
Langue
allemand
Mots clés
negative, einkommensteuer, lösungsansatz, entwicklung, steuer-, transfersystems, beschäftigungsförderung, niedriglohnbereich
Citation du texte
Werner Flaschberger (Auteur), 2008, Die Negative Einkommensteuer als sozialpolitischer Lösungsansatz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/308850

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