Glaubt man der Einschätzung vieler Experten, sind die Folgen der vergangenen Finanz- und Wirtschaftskrise weitestgehend überwunden. Trotzdem sind ihre ökonomischen und politischen Auswirkungen 2012 noch immer allgegenwärtig. Gerade die Diskussion über die Einführung einer internationalen Finanztransaktionssteuer hinterlässt den Eindruck, als habe das System des wirtschaftlichen Liberalismus tiefe Risse davongetragen. Die Freiheit der Märkte als ökonomisches Allerheilmittel wird zunehmend in Frage gestellt.
Von Seiten der Kirchen in Deutschland wurde der Prozess schrittweiser Deregulierung lange Zeit stillschweigend hingenommen. Beide Konfessionen scheinen sich von dieser Haltung jedoch verabschiedet zu haben. Zumindest ergreifen auch sie 2012 in der Debatte das Wort. So fordert Papst Benedikt in seiner ersten Sozialenzyklika eine stärkere Regulierung und "eine tief greifende kulturelle (…) Wiederentdeckung von Grundwerten" innerhalb des Wirtschaftssystems. Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche, mahnte in Richtung Josef Ackermann, dass nie wieder ein Vorstandsvorsitzender der größten deutschen Bank ein Renditeziel von 25 Prozent vorgeben dürfe. Der Einfluss der Kirche speziell in ökonomischen Fragen ist jedoch begrenzt. Diese habe laut Papst Benedikt weder die „technischen Lösungen anzubieten“, noch beanspruche sie, sich in „staatliche Belange einzumischen". Es entsteht der Eindruck, als seien zumindest nach moderner, christlicher Interpretation Glaube und Ökonomie zwei voneinander unabhängige Sphären.
Umso größer ist die Verwunderung, die beim Lesen von Max Webers „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ geweckt wird. Der Autor verweist in seinem Werk auf eine direkte Verwandtschaft zwischen Glaubensinhalten der reformierten Kirche und der Entstehung des modernen Kapitalismus. Neben der Untersuchung Webers wichtigster Thesen möchte ich im Folgenden besonders der Frage nachgehen, wie sich das von ihm beschriebene Verwandtschaftsverhältnis zwischen Glaubensinhalten und dem westlichen Wirtschaftssystem augenscheinlich ins Gegenteil kehren konnte.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Zu Struktur und Entstehung des Werkes
- Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus
- Das Problem
- Konfession und soziale Schichtung
- Der Geist des Kapitalismus
- Luthers Berufskonzeption. Aufgabe der Untersuchung
- Die Berufsethik des asketischen Protestantismus
- Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese
- Askese und kapitalistischer Geist
- Das Problem
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht den Zusammenhang zwischen der protestantischen Ethik und der Entstehung des modernen Kapitalismus. Sie analysiert die Thesen Max Webers, die eine direkte Verwandtschaft zwischen den Glaubensinhalten der reformierten Kirche und dem modernen Kapitalismus postulieren. Insbesondere möchte die Arbeit der Frage nachgehen, wie sich das von Weber beschriebene Verwandtschaftsverhältnis zwischen Glauben und Wirtschaftssystem im Laufe der Zeit ins Gegenteil gekehrt haben könnte.
- Die Rolle der protestantischen Ethik in der Entstehung des Kapitalismus
- Der Einfluss von Konfessionen auf die soziale Schichtung und berufliche Entwicklung
- Die Bedeutung des "Geistes der Arbeit" im Kontext des Kapitalismus
- Die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Glauben und Ökonomie
- Die Frage nach der Bedeutung kultureller und regionaler Besonderheiten für die Entstehung des Kapitalismus
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung stellt die Relevanz des Themas im Kontext der aktuellen ökonomischen und politischen Diskussionen dar. Sie beleuchtet den Einfluss der Kirchen in Deutschland auf die Debatte um die Finanz- und Wirtschaftskrise und zeigt die Diskrepanz zwischen den aktuellen Positionen der Kirchen und den Thesen Max Webers über den Zusammenhang von Protestantismus und Kapitalismus auf.
Zu Struktur und Entstehung des Werkes
Dieses Kapitel gibt einen Einblick in die Struktur und Entstehung des Werkes "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus". Es erläutert die Entstehung des Werkes als zusammenhängender Text aus zwei zuvor separat publizierten Aufsätzen und stellt die methodische Vorgehensweise Webers dar.
Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus
Das Problem
Weber beginnt seine Untersuchung mit einer Analyse der sozialen Schichtung und dem Einfluss der Konfession auf die berufliche Entwicklung. Er beobachtet eine überdurchschnittliche Präsenz von protestantischen Unternehmern im Vergleich zu Katholiken und führt dies auf zwei zentrale Aspekte zurück: die Berufsausbildung und die Wahl des Berufsweges. Weber betont dabei die Bedeutung der "anerzogenen, geistigen Eigenart" der protestantischen Elternhäuser für die Teilnahme am kapitalistischen Erwerbsleben.
Die Berufsethik des asketischen Protestantismus
Dieses Kapitel konzentriert sich auf die religiösen Grundlagen der "innerweltlichen Askese" im protestantischen Glauben und deren Einfluss auf den kapitalistischen Geist. Webers Argumentation beruht auf der Annahme, dass die calvinistische Askese, die auf Selbstdisziplin und fleißiger Arbeit im Dienste Gottes ausgerichtet war, einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung des modernen Kapitalismus geleistet hat.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Protestantische Ethik, Geist des Kapitalismus, Konfession und soziale Schichtung, Berufsethik, Askese, innerweltliche Askese, "Geist der Arbeit", Kapitalismus und die Entwicklung des Verhältnisses von Glauben und Ökonomie.
- Citation du texte
- Lukas Baumann (Auteur), 2012, Protestantische Ethik und Geist des Kapitalismus. Eine Auseinandersetzung mit den Thesen Max Webers, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/308891