Der neuronale Fingerabdruck. Wie die Neuropsychologie die Polizeiarbeit verändern könnte


Trabajo Escrito, 2013

46 Páginas


Extracto


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Begriffsbestimmungen
2.1. Gewaltkriminalität
2.2. Neuropsychologie
2.3. Bildgebende Verfahren

3. Vom Seelischen zum Materiellem - Auf der Suche nach objektiven Beweisen für psychische Vorgänge
3.1. Zur Geschichte der Neuropsychologie und des Leib-Seele Problems
3.2. Freuds Verständnis von Körper und Seele
3.3. Digitale Demenz als Nachweis für psychische Vorgänge

4. Kriminalität als objektiv messbare Größe im menschlichen Gehirn
4.1. Die historische Suche nach dem geborenen Verbrecher
4.2. Das menschliche Gehirn als Betrachtungsgegenstand der Neuropsychologie
4.3. Gewalt als Merkmal psychischer Krankheiten
4.4. Neuropsychologische Studien zur Gewaltkriminalität
4.5. Pädophilie als sichtbare psychische Krankheit im Gehirn.26 5. Verbrechensbekämpfung im Zukunftsszenario

5.1. Gehirnscan als Möglichkeit für eine effektive polizeiliche Verbrechensbekämpfung
5.1.1. I. Szenario: Eine Ermächtigungsgrundlage der Polizei für den Einsatz eines Gehirnscans
5.1.2. II. Szenario: mögliche Vorteile
5.2. kritische Auseinandersetzungen
5.2.1. II. Szenario: mögliche Vorteile
5.2.2. I. Szenario: Eine Ermächtigungsgrundlage der Polizei für den Einsatz eines Gehirnscans
5.3. Ein Merkmalkatalog als Grundlage für eine polizeilich präventivelGesetzesvorlage

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Bislang war die Kriminalätiologie bemüht auf Grundlage von wissenschaftlichen Theorien (wie die der Psychologie oder den Sozialwissenschaften) Ursachen für Straftaten zu ermitteln. Im Rahmen der Kriminalpsychologie rückt der Täter als Individuum mit seiner Persönlichkeit in den Mittelpunkt, an welcher tatrelevante seelische Prozesse untersucht werden, um pathologische Auffälligkeiten als Ursache für delinquentes Handeln verantwortlich zu machen.1 Alleine im Jahr 2011 registrierte die polizeiliche Kriminalstatistik deutschlandweit 197030 Gewaltdelikte.2 Die Polizei ist dabei bestrebt Straftaten zu verhüten und zu verfolgen.3 Die Gewissheit darüber, dass vor Gericht Beweise höherwertig sind als Indizien, treibt die Polizei an besonders materielle Spuren nachweisen zu können.4 So wie die Feststellung der DNA oder der gesicherte Fingerabdruck einen Täter überführen können, wäre es doch von Vorteil, wenn das Gehirn von Tätern Aussagen zur möglicher Delinquenz machen könnte, wie ein neuronaler Fingerabdruck. Könnte auf diese Art und Weise die polizeiliche Arbeit, sowohl präventiv als auch strafverfolgend, nicht nur revolutioniert, sondern auch effektiver gemacht werden?

Bislang handelt es sich bei dieser Vorstellung nur um ein Wunschdenken. Jedoch erlangt die Suche nach dem Sitz des Bösen im Menschen durch die Neuropsychologie eine ganz neue Betrachtungsweise, denn psychische Vorgänge können durch bildgebende Verfahren, wenn auch nicht in allen Details, sichtbar gemacht werden. Mit der Neuropsychologie wächst die Hoffnung auf verbesserte Therapie- und Heilungsmöglichkeiten. Es ist somit nahe liegend, dass nicht nur die Ursachenfindung delinquenten Handelns und deren Therapiemöglichkeiten wachsen, sondern auch, dass die polizeiliche Arbeit durch dieses Wissen verändert werden könnte. Vielleicht kann auf diesem Wege die Neuropsychologie Auskünfte über die Funktionsweisen des Gehirns von Gewaltverbrechern geben und so eine Grundlage für eine effektivere Verbrechensbekämpfung schaffen.

Um den Mehrwert der Neuropsychologie für eine effektive Verbrechensbekämpfung zu erörtern soll zunächst der Begriff der Neuropsychologie, der bildgebenden Verfahren und der Gewaltkriminalität erläutert werden. Im folgenden Kapitel soll erörtert werden, wie psychische Vorgänge materialisiert und somit mit körperlichen Vorgängen in Verbindung gebracht werden können. Dies soll zur Stärkung eines Verständnisses der neuropsychologischen Arbeit genutzt werden. Das vierte Kapitel soll sich dann gezielt mit Delinquenz und einem objektiv messbaren Nachweis dafür befassen. Dazu soll auf Studien zu Pädophilie und Psychopathie im Rahmen der Gewaltdelinquenz Bezug genommen werden. Zuletzt soll ein polizeiliches Zukunftsszenario erstellt werden, welches den Einsatz von bildgebenden Verfahren für eine effiziente Verbrechensbekämpfung implizieren könnte, um dieses dann kritisch zu beleuchten.

2. Begriffsbestimmung

Zur Darstellung einer möglichen Beziehung zwischen Gewaltdelikten und bildgebenden Verfahren der Neuropsychologie sowie einer gegebenenfalls daraus resultierenden effektiveren Verfolgung und Verhütung dieser Straftaten, sollen zunächst einmal die prägnanten Begriffe der Gewaltkriminalität, der Neuropsychologie und der bildgebenden Verfahren erläutert werden.

2.1 Gewaltkriminalität

Im Jahre 2011 wurden der Polizei deutschlandweit von insgesamt 5.990.679 Straftaten 197.030 Gewaltdelikte bekannt. Davon erfasst waren 2.174 Mord- und Totschlagsdelikte, 7.539 Fälle der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung, 48.021 Raubtaten und 139.091 Delikte der gefährlichen und schweren Körperverletzung.5

Unter dem Begriff der Gewalt sind verschiedene Definitionen zu finden und sogar das Strafrecht besitzt keine Legaldefinition. Schwind definiert wie folgt: ,,Gewalt lässt sich als absichtliches Handeln von Individuen und Gruppen beschreiben, das auf die zielgerichtete Schädigung eines Dritten ausgerichtet ist.“6 Diese Begriffsbestimmung beinhaltet sowohl die psychische Gewalt, zum Beispiel durch verbale Aggression oder der Drohung mit Gewalt, und die physische Gewalt, also die Körperliche. Es gibt verschiedene kriminologische Ansätze, die nach der Ursache von Gewalttaten suchen. Zum Beispiel werden Ursachen im sozialen Umfeld oder in der genetischen Veranlagung gesehen. Die Ätiologie soll aber zunächst in dieser Bearbeitung hinten angestellt werden, denn der Fokus liegt eher auf einer Lokalisierung der Gewalt im Gehirn im Sinne eines materiell verwendbaren Beweises für gegebene oder zukünftige Straftaten.

Die Gewaltkriminalität umfasst etwa 3 % der Gesamtkriminalität in Deutschland. Berechtigter weise könnte der Einwand geäußert werden, warum genau dieser Deliktsbereich näher beleuchtet werden soll und nicht zum Beispiel die Diebstahlkriminalität, die im Jahr 2011 2.403.781 bekannte Fälle zählte. Obwohl bei dieser Deliktsform weitaus mehr Opfer zu Schaden kommen als bei der Gewaltkriminalität, handelt es sich bei dieser um ein qualitatives und nicht quantitatives Problem. Dieses liegt vor allem in den Folgen, die für das Opfer entstehen können und daher auch mit einer hohen Strafandrohung sanktioniert werden.7 Zudem ist das öffentliche Interesse bei Gewaltdelikten weitaus höher als bei vielen anderen Straftaten. Das liegt nicht nur an der hohen Strafandrohung, sondern auch an der Beeinträchtigung des subjektiven Sicherheitsgefühls der Bürger.8 Auf dieser Tatsache beruhend soll die weitere Bearbeitung einen Fokus auf die neuropsychologischen Untersuchungen von Gewaltdelikten setzen.

2.2 Neuropsychologie

Die Neuropsychologie wird definiert, „als ein Forschungsgebiet, das die Beziehungen zwischen Gehirnfunktionen und Verhalten mit den Untersuchungs- und Auswertungsmethoden der experimentellen Psychologie untersucht.“9 Es handelt sich hierbei um ein interdisziplinäres Teilgebiet, das verwurzelt ist mit der Medizin und der Psychologie. Dabei geht es zentral um den Zusammenhang zwischen Hirnfunktionen und psychischem Erleben. Nicht nur die Funktionen eines normalen Gehirnes sind dabei von zentraler Bedeutung, sondern Schädigungen und deren Effekt auf Emotion, Kognition und Verhalten werden untersucht. Dort wo die Psychologie sich mit psychischen Störungen ohne die Einbeziehung von zerebralen Prozessen beschäftigt hat, versucht die Neuropsychologie gezielt eine Verbindung aufzubauen und zu auszudifferenzieren, ob es sich um Funktions- oder Strukturstörungen des Gehirns handelt. Die Neuropsychologie ist zudem eine Stütze für weitere Teilgebiete der Psychologie, die den klinischen Neurowissenschaften zugeschrieben werden. Besonders die Psychiatrie oder die Psychopathologie greifen auf die Ergebnisse der Neuropsychologie im Bereich der Charakterisierung von zentralnervösen Veränderungen bei psychischen Störungen zurück. Diese Resultate werden unter anderem genutzt, um bessere Therapiemöglichkeiten zu entwickeln.10

Nun könnte man den Einwand einbringen, dass ein Gewalttäter prinzipiell eine psychopathologische Störung aufweisen müsste, damit die Neuropsychologie diesen als Untersuchungsgegenstand betrachtet. Dem ist aber nicht so, denn die Neuropsychologie versucht die Psyche des Menschen im Allgemeinen zu veranschaulichen. Dank der bildgebenden Verfahren sind Neuropsychologen in der Lage emotionale Veränderungen im Gehirn tatsächlich sichtbar zu machen und genau zu lokalisieren.

2.3 Bildgebende Verfahren

Obwohl die Anatomie des menschlichen Gehirns schon länger bekannt ist, weiß man seit Beginn der Anwendung der bildgebenden Verfahren in den 1970er und 1980er Jahren, wo exakt Wahrnehmung, Gedächtnis, Emotionen und die Bewegungssteuerung angesiedelt sind. Sie sind also essentiell für die Arbeit der Neuropsychologie. Die bildgebenden Verfahren (auch Neuroimaging-Verfahren11 oder Cyber-Phrenologie12 genannt) unterscheiden sich in zwei Arten. Zum einem gibt es die anatomischen Verfahren, die Informationen über die Struktur und den Aufbau des Gehirns abbilden. Die Magnetresonanztomographie (MRT) strahlt ein starkes Magnetfeld aus und kann so ein dreidimensionales Computerbild des Gehirns abbilden. Dabei werden die verschiedenen Gewebearten kontrastreich dargestellt und Hirnwindungen können in kurzen zeitlichen Abständen sichtbar gemacht werden.

Interessanter für die Neuropsychologie sind funktionelle Methoden der bildgebenden Verfahren. Diese ermöglichen durch schwache elektrische Ladungen Einblicke in die aktiven Regionen des Gehirns. Dazu wurden verschiedene Verfahren entwickelt, die unterschiedliche Bilder vom Gehirn zeigen können. Neben dem MRT gibt es zum Beispiel die funktionelle MRT (fMRT), die besonders dazu geeignet ist Hirnaktivitäten exakt zu lokalisieren, in ihrer Ausführung aber langsamer ist als das MRT. Das Elektroenzephalogramm (EEG), dass elektrische Aktivitäten der arbeitenden Neuronen messen kann, oder das Magnetenzephalogramm (MEG), das magnetische Spuren der Hirnaktivitäten aufzeigen kann, sind in ihrer Ausführung sehr schnell, können aber die Hirnströme nicht so exakt lokalisieren wie die fMRT.13

Neben den hier genannten gibt es noch weitere funktionelle bildgebende Verfahren, die je nach Charakterisierung der zu untersuchenden Neurotransmissionssysteme im Gehirn Anwendung finden (zum Beispiel die Positronen-Emisions-Thomographie (PET) oder die funktionelle Kernspintomographie (fMRI)).14

Insbesondere mit diesen funktionellen Verfahren kann die Neuropsychologie in zeitlicher und räumlicher Darstellung psychische Erleben und funktionelle Störungen des Gehirns darstellen.15 Die bildgebenden Verfahren dienen als Brücke zwischen der Psychologie und den Neurowissenschaften und könnten auf der Suche nach einem materiellen Nachweis über potentielle oder gegebene Gewaltdelinquenz im Gehirn von besonderer Bedeutung sein. Zum jetzigen Zeitpunkt sind zwei verschiedene Komponenten gegeben. Auf der einen Seite geht es darum seelische Vorgänge ausfindig zu machen. Auf der anderen Seite soll ein materieller Beweis dafür gefunden werden. Bevor eine spezifische Betrachtung bestimmter Studien über potentielle Delinquente untersucht werden soll, ist es wichtig die Verbindungen dieser zwei verschiedenen Komponenten genauer zu betrachten. Zentral ist die Frage, wie kann aus dem Psychischen, etwas nicht Greifbarem und eigentlich nicht Sichtbarem, eine Abbildung als Materie werden?

3. Vom Seelischen zum Materiellem - Auf der Suche nach objektiven

Beweisen für psychische Vorgänge Seelische Vorgänge und mentale Prozesse bestimmen das Selbstbild eines Individuums. Es handelt sich um private Gedanke und Gefühle, die zwar verbal nach außen gerichtet, aber ebenfalls vor der Öffentlichkeit versteckt gehalten werden können. Mit Beginn der Neuropsychologie verschwimmt der Blick auf dieses Selbstbild. Durch bildgebende Verfahren soll herausgefunden werden, wo seelische Prozesse im Gehirn korreliert sind und wie diese für Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen brauchbar gemacht werden können. Um ein besseres Verständnis für die heutige Arbeit der Neuropsychologie zu erlangen, soll in diesem Kapitel ein geschichtlicher Exkurs erfolgen, der die Problematik darstellt, mit der sich die Psychologie weit vor der Zeit der bildgebenden Verfahren befasst hat. Dieses bezieht sich auf das Verhältnis von Geist und Materie und der Frage, wie beide Komponenten miteinander agieren. Erst das Verständnis dafür erlaubt mögliche Rückschlüsse auf einen möglicherweise visualisierten Beweis von Delinquenz.

3.1 Zur Geschichte der Neuropsychologie und des Leib-Seele Problems

Die Neuropsychologie als Teilgebiet der Neurowissenschaften und der Biopsychologie begründen sich auf Wissenschaften, die nicht nur der Naturwissenschaft, sondern vor allem der Philosophie zuzuordnen sind. Schon weit vor der Entwicklung der bildgebenden Verfahren ordneten Philosophen wie Aristoteles (335 v. Chr.) oder Platon (387 v. Chr.) dem Gehirn bestimmte geistige Prozesse zu und versuchten somit zu erklären, wo genau Gedanken und Gefühle entspringen.16 Im 17. Jahrhundert handelte es sich bei der Medizin um eine Art Naturphilosophie. Die Psychologie oder Psychiatrie gab es zu dem Zeitpunkt in der heute bekannten Form noch nicht. Das führte dazu, dass es für Menschen mit psychischen Problemen nur begrenzte Behandlungsmöglichkeiten gab. Solange diese im Volksmund damals mitunter als Irre bezeichneten Personen keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellten, überließ man sie ihrem Schicksal.17 Stellten sie aber eine Gefahr für andere dar, wurden sie weggesperrt oder unter Umständen einem Exorzismus unterzogen, um die vermeintlich bösen Geister und Dämonen zu vertreiben.18 Mit der Zeit entstanden Zucht- und Tollhäuser und auch Pflege- und Heilanstalten. Jedoch waren die damaligen Methoden sehr fragwürdig, denn Drehstühle und Kaltwasserbäder ähnelten eher Folter- als Heilungsmethoden.

Es kam aber durchaus das Bestreben auf, psychische und physische Vorgänge zu erklären. Der Dualismus, der die heutige Psychologie und Psychiatrie prägt, beruht auf dem Philosophen René Descartes. Dieser beschäftigte sich im 17. Jahrhundert mit der Problematik der Unterscheidung zwischen Leib und Seele. Descartes Dualismus bezieht sich auf zwei unterschiedliche Mächte die sich gegenüberstehen. Damit sind der immaterielle Geist sowie das materielle Gehirn gemeint. Er bezeichnete das Gehirn als ein hydraulisches System, welches die Verhaltensteuerung zum Zweck hat. Er glaubte der Sitz der Seele befinde sich in der Hirnanhangdrüse, einer erbsengroßen Ausstülpung an der Unterseite des Gehirns, weil diese der einzige Teil des Gehirns sei, das kein Gegenpaar hat. Descartes Theorie von zwei unterschiedlich aufeinander treffenden Substanzen, Seele und Körper, hat das Verständnis von psychischen Erkrankungen geprägt. Oft findet man diese Theorie noch heute in der Thematik wieder, ob Gene oder doch die Umwelt für verschiedene Verhaltensmuster eines Individuums verantwortlich sind.19

Ab dem Jahr 1850 wurde die bis dahin praktizierte Naturphilosophie durch eine medizinisch orientierte Psychiatrie abgelöst. Die Hoffnung bestand darin, einen pathologischen Nachweis im Gehirn für das Verhalten von psychisch Kranken zu finden. Problematisch war jedoch, dass bestimmte Gehirnbereiche zum damaligen Zeitpunkt noch nicht identifiziert worden waren. Der Begründer der Phrenologie Franz Gall (1758-1828) war der Ansicht, man könne die Talente eines Menschen an seinem Schädel erkennen. Dieser Versuch, sei er auch eine Fehllehre gewesen, war revolutionär, denn zum ersten Mal versuchte man in dieser Form bestimmten Hirnarealen bestimmte Funktionen zuzuschreiben. Bildgebende Verfahren werden aus diesem Grund auch als „moderne Phrenologie“ bezeichnet.20 Gall projizierte die verschiedenen Wesensmerkmale auf den Schädel. Er war der Ansicht, dass je größer ein bestimmter Schädelbereich war, desto ausgeprägter sei die für diesen Bereich charakteristische Eigenschaft. Er definierte 29 solcher Fähigkeiten.21 Diese bezogen sich nicht nur auf positive Eigenschaften, wie bestimmte Talente, sondern auch auf negative. So war Gall der Überzeugung, dass kriminelles und böses Verhalten ebenfalls an der Schädelform erkennbar wäre. Um seine Theorie zu stützen machte er verschiedene verhaltenspsychologische Beobachtungen an Tieren und Menschen und suchte Gefängnisse oder Irrenanstalten auf, um die Schädel dieser Menschen zu untersuchen. Er stellte dabei fest, dass genauso wie verschiedene Organe bestimmte Funktionen im Körper übernehmen, es auch im Gehirn bestimmte Bereiche geben müsse, die Funktionen wie Geschmackssinn, Geruch oder Hören überehmen. Seine Hirntheorie bezeichnete er daher als Organologie.22

Die Theorie Galls zeigte die Bemühung, einen materiellen Nachweis für geistige Prozesse zu finden. Wo vorher die Philosophie versucht war das Verhältnis von Geist und Körper zu erklären, so war Gall der Erste, der spezifische Charaktereigenschaften an spezifischen Orten des Schädels lokalisierte.

3.2 Freuds Verständnis von Körper und Seele

Einen wichtigen Beitrag für die heutige Psychologie erbrachte Sigmund Freud (1856- 1939). Er entwickelte die Psychoanalyse, weil er sich mit der Leib-Seele-Problematik auseinandersetzte und verstehen wollte, wie das Gehirn subjektives Erleben mit den vorhandenen anatomischen Strukturen abbilden kann.23 Freuds psychoanalytisches Konzept basiert auf zwei Grundsätzen. Zum einem glaubte er, dass bei der Entwicklung der Seele nichts zufällig passiert und zum anderem war er der Überzeugung, dass der größte Teil der Psyche zwar unbewusst, aber von großem Einfluss auf das Verhalten ist. Er teilte dazu die Psyche in drei Teile ein und bezeichnete die Ich-Instanz als die Spitze des (psychisch) Bewussten. Daneben gäbe es eine Über-Ich-Instanz, die unbewusst als moralische Kontrollinstanz agiere und eine Es-Instanz, die unbewusst Gefühle, Wünsche und vor allem Triebe enthalten würde. Je stärker die Über-Ich-Instanz ausgeprägt sei, desto besser könnten die unterbewussten Triebe das menschliche Verhalten steuern. Freud glaubte, dass Entscheidungen nach diesem psychosomatischen Persönlichkeitsmodell getroffen werden. In diesem Zusammenhang beschäftigte er sich nur am Rande mit Kriminalität. Diesbezüglich war er der Meinung, dass jeder Mensch als Krimineller oder als triebhaft Asozialer auf die Welt kommt und diese Triebe mit der Zeit durch die Erziehung und Prägung der Moral vertrieben werden könnten. Freud war somit der Ansicht, dass Kriminalität ein Erziehungsfehler sei, wobei das Über-Ich nicht genügend geprägt wurde, um die kriminelle Triebregelung zu verdrängen.24

Freuds „Studien über Hysterie“ erschienen in der Erstausgabe 1895 und später als editierte Auflage 1922 und sind ein Ergebnis seiner Überlegungen zur Erklärung von psychischen und physischen Krankheiten. In dieser stellte er sein Konversionsmodell vor. Unter Konversion versteht Freud die Umsetzung von psychischer Erregung in körperliche Syndrome. Dies erklärte er anhand der Hysterie, einer psychischen Krankheit die durch traumatische Erlebnisse hervorgerufen werden kann. Er beschreibt in seinem Werk, dass er sich mit vielen Patienten, vor allem Frauen, auseinander gesetzt hatte, um diese zu therapieren. Er wollte verstehen, warum die traumatischen Erlebnisse nicht in der normalen psychischen Ebene bleiben würden, sondern als Konversion in Erscheinung treten.

„Die Erregungssumme, die nicht in psychische Association treten soll, findet umso eher den falschen Weg zu einer körperlichen Innervation. Grund der Verdrängung selbst konnte nur eine Unlustempfindung sein, die Unerträglichkeit der einen zu verdrängten Idee mit der herrschenden Vorstellungsmasse des Ich. Die verdrängte Vorstellung rächt sich aber dadurch, dass sie pathogen wird.“25

Mit der Erregungssumme meint Freud einen Effekt, der bei einem Trauma entsteht. Dabei summiert sich die Erregung, also unangenehme Gefühle die in einer spezifischen traumatischen Situation empfunden wurden, so lange bis diese dann durch körperliche Symptome wieder nach außen gebracht werden. Nach Freuds Auffassung kann eben das nur passieren, weil die negativen traumatischen Emotionen verdrängt werden. Durch diese Verdrängung entsteht aber eine Art Überbelastung der Seele. Das hat zur Folge, dass die negativen Gefühle sich einen anderen Weg suchen, um in Erscheinung zu treten und das passiert in der Hysterie, die sich durch Weinkrämpfe, Schreie oder Schlaflosigkeit bemerkbar macht. Freud glaubt, dass eine Konversion vermieden werden könnte, wenn die betroffenen Patienten versuchen würden diese bewusst zu bedenken und auf diesem Wege zu verarbeiten.26

Freud beschäftigte sich ausgiebig mit dem unbewussten Seelenleben. Auch heute ist noch das Unbewusste in Form des Leib-Seele Problems ein vieldiskutiertes Thema in verschiedenen Wissenschaften. Anwendung findet es vor allem bei der Frage der Schuldfähigkeit von psychisch kranken Straftätern und in wie fern diese für ihr Handeln verantwortlich sein können.27 Die Thematik der Schuldfähigkeit soll hier nur am Rande angesprochen werden. Jedoch zeigte Freud durch seine Psychoanalyse, wie das Unbewusste und das Bewusste sich gegenseitig beeinflussen können und er nutze diese Idee, um seine Theorie der Konversion aufzubauen. Diese ist ein wichtiger Ansatz um ein Verständnis davon zu bekommen, wie seelische Prozesse mit den körperlichen verbunden sein können. Problematisch an Freuds Theorien ist jedoch, dass man die Konversion sowie die Idee der drei Instanzen nicht objektiv nachweisen kann. Das zeigt wieder, wie notwendig ein materieller Nachweis ist, um reliable Ergebnisse zu erhalten und daraus valide Schlussfolgerungen für psychische Vorgänge ziehen zu können. Die heutige Psychosomatik geht davon aus, dass Körper und Seele untrennbar sind und wenn der Geist leidet, dann kann das Auswirkungen auf das körperliche Wohlbefinden haben. Zum Beispiel kann zu viel Stress zu einem Magengeschwür führen.28 Psyche und Körper sind also anscheinend keine gegensätzlichen Kräfte, viel eher scheinen sie stark miteinander verbunden zu sein.

3.3 Digitale Demenz als Nachweis für psychische Vorgänge

Manfred Spitzer ist deutscher Psychiater, Psychologe und Gehirnforscher. Sein letztes Werk „Digitale Demenz - Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen“29 ist von der Gesellschaft mit großer Neugierde und Interesse empfangen worden und schaffte es sogar auf die Bestsellerliste. In seinem Buch warnt Spitzer vor der Verdummung der Gesellschaft durch Benutzung von Computern, Handys, Fernseher und Navigationssystemen. Diese daraus folgende Vergesslichkeit bezeichnet Spitzer als „Digitale Demenz“. Damit ist er bestrebt herauszustellen, wie sich das menschliche Gehirn durch physische Aktivität und Verhalten verändern kann. Obwohl Kritiker sein Werk als unwissenschaftlich bezeichnen, zeigt es anhand von verschiedenen Studien wie das Gehirn visualisierbare Veränderungen vollzieht. Diese sollen für die weitere Ausarbeitung genutzt werden um zu verdeutlichen, wie psychische Vorgänge objektiv nachweisbar objektiv nachgewiesen werden können.30

Als Beispiel führt Spitzer Londons Taxifahrer an. Anders als in anderen Großstadtmetropolen braucht man in London eine bestimmte Lizenz, um als Taxifahrer tätig zu sein. Um diese Lizenz zu erhalten, müssen die zukünftigen Taxifahrer hunderte von Straßen kennen. Studien zeigten, dass das Volumen der Nervenzellen im Hippocampus, einer im Frontalhirn befindlichen Region des Gehirns, durch das Erlernen der Straßen und des Orientierens zunahm. Diese Zunahme des Volumens ist auch erkennbar bei Medizinstudenten, die für ihr Physikum lernen oder messbar beim Erlernen des Jonglierens. Wird jedoch das Gehirn nicht angestrengt, baut sich nachweisbar das Volumen der Nervenzellen wieder ab.

„Heute wissen wir, dass unser Gehirn nicht nur das komplizierteste, sondern auch das dynamischste Organ in unserem Körper ist. Es verändert sich mit seinem Gebrauch. Wird es nicht gebraucht, dann wird neuronale Hardware abgebaut.“31

[...]


1 Vgl. Clages (2006) S. 27-28

2 Vgl. PKS 2011 S. 4

3 Vgl. § 1 PolG NRW (Stand Mai 2013)

4 Vgl. Clages (2004) S. 49 ff

5 Vgl. PKS 2011 S. 4 ff

6 Schwind (2011) S. 33

7 Vgl. § 211 ff Strafgesetzbuch (Stand Mai 2013)

8 Vgl. Zimmermann (2006) S. 297 ff

9 Karnath (2003) S. 1

10 Vgl. Lautenbacher (2004) S. 2 ff

11 Vgl. Schiepek (2003) S. 1

12 Vgl. Hagner (2005) S. 306 Das Wort „Cyber-Phrenologie“ geht zurück auf die Franz Josef Gall, der die Lehre der Phrenologie begründete und dem menschlichen Schädel bestimmte Persönlichkeitsmerkmale zuordnete. Die Lehre Galls wird im Kapitel 3.1 näher erläutert.

13 Vgl. Gehirn & Geist Spezial (1/2011) S. 10 ff

14 Vgl. Braus (2004) S. 3

15 Vgl. Lautenbach (2004) S. 2 ff

16 Vgl. Gehirn & Geist Spezial (1/2011) S. 6 ff

17 Vgl. Lautenbacher (2004) S. 10 ff

18 Zur Vertiefung der „Dämonologie“ vgl. Schott (2006) S.22

19 Vgl. Braus (2004) S. 4

20 Vgl. Braus (2004) S. 8 Der Begriff der „modernen Phrenologie“ oder der „Cyber-Phrenologie“ bezieht sich häufig auf eine Kritik der bildgebenden Verfahren. Dies ist auf Galls Fehlinterpretation der identifizierten Wesensmerkmale im Gehirn zurück zu führen.

21 Vgl. Lautenbacher (2004) S. 13 ff

22 Vgl. Oeser (2010) S. 110 ff

23 Vgl. Solms (2005) S. 15 ff

24 Vgl. Schwind (2011). S. 116 ff

25 Freud (2012) S. 99

26 Vgl. Freud (2012) S. 73 ff

27 Schleim (2007) S. 813 ff

28 Vgl. (2007) S. 224

29 Spitzer (2012)

30 Vgl. Bartens (2012)

31 Spitzer (2012) S. 37

Final del extracto de 46 páginas

Detalles

Título
Der neuronale Fingerabdruck. Wie die Neuropsychologie die Polizeiarbeit verändern könnte
Universidad
University of Applied Sciences for Public Administration of North Rhine-Westphalia; Köln
Autor
Año
2013
Páginas
46
No. de catálogo
V308953
ISBN (Ebook)
9783668072435
ISBN (Libro)
9783668072442
Tamaño de fichero
607 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
fingerabdruck, neuropsychologie, polizeiarbeit
Citar trabajo
Ewa Bedkowski (Autor), 2013, Der neuronale Fingerabdruck. Wie die Neuropsychologie die Polizeiarbeit verändern könnte, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/308953

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