Wie handlungsfähig ist die EU im Konflikt um die Mittelmeermigration? Analyse der öffentlichen Wahrnehmung


Dossier / Travail, 2015

24 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ...Seite ...1

2. Forschungsfrage und das Konzept von Handlungsfähigkeit ...Seite ...2

3. Theorie ...Seite ...3

4. Methode ...Seite ...5
4.1 Übersicht: Die strukturierende Inhaltsanalyse ...Seite ...5 /
4.2 Forschungsdesign ...Seite ...5
4.2.1 Kategoriensystem ...Seite ...5
4.2.2 Datenquellen und Auswertungszeitraum ...Seite ...6
4.2.3 Analyseeinheiten ...Seite ...8

5. Analyse ...Seite ...9

6. Einordnung der Ergebnisse und Fazit ...Seite ...12

Literaturverzeichnis ...Seite ...14

Anhang ...Seite ...16
A.1 Kodierleitfaden ...Seite ...16
A.2 Übersicht: Dokumentation des Auswahlprozesses ...Seite ...18
A.3 Verzeichnis aller ausgewählten Artikel ...Seite ...19
A.4 Fundstellen ...Seite ...22

1. Einleitung

Zwischen dem 01. Januar und dem 31. August 2015 erreichten dem Flüchtlingshilfswerks der Vereinigten Nationen zufolge über 322.000 Menschen die Europäische Union auf der Mittelmeerroute, wobei 2750 auf dem Weg starben, oder als vermisst gelten (vgl. UNHCR 2015). Die Situation hat damit selbst im Vergleich zum Vorjahr wesentlich an Bedeutung gewonnen. Art und Umfang der Berichterstattung über die europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik kann dabei als Indiz für die Brisanz und Aktualität des Themas gewertet werden. Insbesondere seit dem Unglück eines Flüchtlingsbootes im Mittelmeer am 18/19.04.2015 mit über 700 Toten lässt sich als Startpunkt für eine Phase umfassender Berichterstattung und Diskussion darüber nennen. Für politische Akteur_innen hat in Demokratien die eigene Perzeption in der Öffentlichkeit einen großen Stellenwert, da diese die Legitimitätswahrnehmung der Handelnden mit prägen kann. Im Mehrebenensystem der Europäischen Union sind stets verschiedene Akteur_ innen gleichzeitig tätig. Dies gilt auch für das Politikfeld ‚Asyl und Migration‘. Als grundlegende Rechtsquelle für dieses Politikfeld auf europäischer Ebene lässt sich vor allem das Schengener Abkommen nennen. Das Abkommen vom 14. Juni 1985 schuf die Binnengrenzen zwischen den teilnehmenden Staaten (Benelux, Frankreich und der Bundesrepublik) ab und legte gleichzeitig die Außengrenzen der europäischen Gemeinschaft fest. Mit der Aufnahme im Vertrag von Amsterdam am 2. Oktober 1997 wurde das Abkommen „[…] ein integraler Bestandteil der EU-Architektur […]“ (Euskirchen/Lebahn/Ray 2009: 74) und ist Ausdruck der „[…] Neukonstruktion im europäischen Migrationsraum […]“ (Tomei 2000: 388). Gleichzeitig stellt es den „Beginn intensiver Harmonisierungsbemühungen […]“ in dem von „[…] überlappende[n] und ineinander greifenden Rechtsgrundlagen […]“ (Müller-Graff/ Kainer 2014: 89) gekennzeichneten Feld der Migrations- und Flüchtlingspolitik innerhalb der EU dar. Diese Bemühungen sind nicht abgeschlossen, sodass es sich hier um ein nicht vollständig vergemeinschaftetes Politikfeld handelt. Vielmehr lassen sich die Struktur in diesem Bereiche als „[…] Institutionaliserung einer permanenten Interaktion zwischen der nationalen und der europäischen Ebene“(Tomei 2000: 395) beschreiben. Deshalb sind für die Analyse der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit verschiedene Akteur_innen auf unterschiedlichen Ebene relevant; auch die Mitgliedsstaaten.

In dieser Arbeit werden weibliche und männliche Mitglieder der jeweils betroffenen Gruppen mit Hilfe der Gender-Gap sprachlich sichtbar gemacht.

2. Forschungsfrage und das Konzept von Handlungsfähigkeit

Die Ausführungen in der Einleitung konnten die Relevanz des Themas für politikwissenschaftliche Forschungsarbeiten andeuten. Im Theorieteil dieser Arbeit wird die Bedeutung genauer herausgearbeitet.

Das beschriebene Thema wird in dieser Arbeit mit folgender Forschungsfrage analysiert: Wird die Europäische Union in der deutschen Öffentlichkeit als eigenständig handlungsfähige Akteurin im Konflikt um die Mittelmeermigration wahrgenommen?

Für die Bearbeitung dieser Fragestellung ist es zunächst wichtig den Begriff der Handlungsfähigkeit von Akteur_innen näher zu definieren. In der politikwissenschaftlichen Literatur ist dazu keine einheitliche Definition zu finden.

Im Einklang mit den Ausführungen in Kapiteln 3. und 4.2.1 wird dieser Arbeit zusammenfassend deshalb folgende Auslegung zugrunde gelegt: Ein_e Akteur_in ist handlungsfähig, wenn einerseits (rechtliche) Legitimität oder Handlungskompetenz vorliegt und andererseits die Aufgaben effektiv erfüllt werden. Ein_e Akteur_in kann in den Sozialwissenschaften allgemein als „[…] behavioral unit that can engage and influence its situation“ (Scholte 2011: 1713) verstanden werden. Diese_r können sich dabei auch in einer Gruppe in formeller oder informeller Organisationsgestalt zusammenschließen (vgl. Scholte 2011: 1713).

Im Rahmen dieser Arbeit werden diejenigen Bedeutungszuschreibungen untersucht, die explizit oder implizit an ein oder mehrere Akteur_innen (in formeller Organisationsgestalt) gerichtet sind. Davon werden vor allem die sieben Organe der Europäischen Union und die Mitgliedsstaaten umfasst. So kann auch die Dualität aus intergovernmentalen und supranationalen Entscheidungsregeln abgebildet werden. Daneben ist es für die Analyse notwendig, die Möglichkeit einer unpräzisen Begriffsverwendung in der Berichterstattung zu berücksichtigen und diese klar zu kennzeichnen.

Die beschriebene Forschungsfrage ist geeignet die Wahrnehmung der Handlungsfähigkeit der EU in diesem Politikfeld fundiert beantworten zu können.

3. Theorie

Die Europäische Union sah und sieht sich im Verlauf der Integration immer wieder mit Vorwürfen über die mangelnde demokratische Legitimation ihres Handelns konfrontiert. In der sozialwissenschaftlichen Debatte fassten unter anderem Beck/Grande diese Kritik mit dem Begriff des „Europäischen Demokratiedefizits“ (Beck/Grande 2005: 1091) zusammen. Das Defizit resultiere demnach aus dem Verlust von Souveränität in den nationalen Parlamenten der Mitgliedsstaaten durch die „[…] Übertragung von Hoheitsrechten auf die supranationale Ebene […]“ der Europäischen Union, „[…] ohne dass die supranationalen Organe selbst über eine ausreichende Legitimation verfügten“ (Beck/Grande 2005: 1091).

An dieser Stelle ist wegen der uneinheitlichen Begriffsverwendung zuerst eine kurze Differenzierung notwendig. Die Rechtmäßigkeit von Herrschaft (in einem politischen System) als Eigenschaft kann mit dem Begriff der Legitimität beschrieben werden, während Legitimation den Prozess, in dem Legitimität entstehen kann, meint (vgl. Treibel 2000: 63). Beide Begriffe werden im alltäglichen Sprachgebrauch synonym verwendet.

Der Soziologe Fritz Scharpf bietet mit seinem Konzept von der In- und Outputlegitimität ein Modell zur Beurteilung der demokratischen Legitimation des europäischen Mehrebenensystems, das in dieser Arbeit mit als theoretische Fundierung dient. Scharpf geht dabei in seinem zweidimensionalen Konzept davon aus, dass die Inputseite als Quelle von Legitimität auf europäischer Ebene als ungenügend einzuschätzen ist (vgl. Meine 2012: 27). Die Europäische Union legitimere sich de facto in erster Linie nur über ihre Mitgliedsstaaten. Sie sei deshalb auf die Erzeugung von Legitimation mittels einer „[…] effektive[n] Lösung kollektiver Probleme […]“ (Meine 2012: 23), also auf Output-Legitimität, angewiesen. Für EU-Akteur_innen folgt daraus beispielsweise, dass diese sich um die Wahrnehmung der Policy-Outcomes als effektiv bemühen müssen, um die ungenügende Input-Legitimität den Bürger_innen gegenüber auszugleichen. Als Teilaspekt von Effektivität nach Scharpf wird in dieser Arbeit ein Arbeitskonzept von Handlungsfähigkeit (Kapitel 2) verwendet.

Ausgehend von Scharpfs Modell über die mangelhafte Inputlegitimtität des europäischen Mehrebenensystem ist die EU also im Besonderen auf die Erzeugung von Legitimation in der Öffentlichkeit angewiesen. Die Art und Weise der Erzeugung jener auf der Seite der Outputlegitimität ist, dem Modell folgend, also eine Frage von großer Relevanz.

Die Legitimation ist in modernen Demokratien untrennbar mit dem Begriff der Öffentlichkeit verbunden. Nach Habermas ist (politische) Öffentlichkeit ein „[…] intermediäres Kommunikationssystem […]“ (Habermas 2012: 164), welches als „[…] ein Organisationsprinzip unserer politischen Ordnung“ (Habermas 1990: 57) verstanden werden kann. Die Öffentlichkeit übernimmt dabei in demokratischen Verfassungsstaaten im „[…] Spannungsfeld zwischen Staat und Gesellschaft [eine] politische Funktion […]“ (Habermas 1990: 88). Diese leistet damit als Kommunikationsraum „[…] einen Beitrag zum Legitimationsprozess, indem sie politische Kommunikation erzeugt, in Bewegung hält, steuert - und filtert“ (Habermas 2012: 164).

Aus diesem Konzept lässt sich eine Bedeutung der Öffentlichkeit für das politische System klar ableiten. Die Prozesse innerhalb jener sind demnach auch ein relevanter Untersuchungsgegenstand für politikwissenschaftliche Analysen. Im Rahmen dieser Arbeit sollen die Bedeutungszuschreibungen an die EU im (deutschen) Mediensystem, das allgemein gesprochen als die „[…] Infrastruktur der politischen Öffentlichkeit […]“ (Habermas 2012: 170) verstanden werden kann, betrachtet werden. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung über die Bedeutung der Öffentlichkeit für das politische System in Europa gewinnt zudem durch die beginnende Transnationalisierung der Mediensysteme in der Europäischen Union eine neue Untersuchungsebene.

Abschließend lässt sich festhalten, dass sich Legitimation und Öffentlichkeit in der Europäischen Union einander bedingen. In Zusammenhang mit den Ausführungen zum Konzept der Handlungsfähigkeit (in Kapitel 2) konnte die theoretische Relevanz der Forschungsfrage aufgezeigt werden.

4. Methode

4.1 Übersicht: Die strukturierende Inhaltsanalyse

Die Forschungsfrage dieser Arbeit soll mit Hilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse beantwortet werden. Die Ausführungen zur Methode der Inhaltsanalyse (skalierende Strukturierung) nach Mayring dienen dabei als Framework. Demnach soll in dieser Arbeit durch ein systematisches, regel- und theoriegeleitetes Vorgehen (vgl. Mayring 2015: 13) bei der Textanalyse die Frage beantwortet werden, inwieweit die Europäische Union in der deutschen Öffentlichkeit als eigenständig handlungsfähige Akteurin im Konflikt um die Mittelmeermigration wahrgenommen wird und diese Einschätzung auf einer Skala sichtbar gemacht werden.

4.2 Forschungsdesign

4.2.1 Kategoriensystem

Für eine Inhaltsanalyse ist das Kategoriensystem das zentrale Instrument der Analyse (vgl. Mayring 2015: 51). In diesem Abschnitt der Arbeit wird das System erst vorgestellt und sodann begründet.

Die Messung der Handlungsfähigkeit erfolgt gemäß der Ausführungen und Definition im Kapitel Theorie. In dem Arbeitskonzept der Handlungsfähigkeit werden Legitimation und Öffentlichkeit zusammengeführt. Der Begriff setzt sich dabei aus drei Bestandteilen und fasst zusammen: Der Legitimität der EU als handelnde Akteurin (A), der Effektivität bzw. Initiativbemühungen des Handelns (B) und den Kondensbemühungen der EU (C). Die Ausprägungen wurde auf einer Skala von ‚sehr hoch‘ (Handlungsfähigkeit wird als ‚sehr hoch‘ eingeschätzt) bis ‚sehr niedrig‘ (Handlungsfähigkeit wird als ‚sehr niedrig‘ eingeschätzt) festgelegt. Ein ausführlicher Kodierleitfaden in tabellarischer Form befindet sich im Anhang A.1 dieser Arbeit.

Die Legitimität (A) wird dabei als Rechtmäßigkeit - im Sinne einer legalen Tätigkeitsausübung der Akteurin/des Akteurs in einem zuständigen Kompetenzbereich - verstanden. Die Effektivität des Handelns (B.1) leitet dich direkt aus Scharpfs Konzept ab (siehe 3. Theorie). Dieses Merkmal wurde mit einer und/oder-Verknüpfung versehen: Der Initiativbemühungen von Akteur_innen (B.2). Dabei wird davon ausgegangen, dass das europäische Mehrebenensystem grundsätzlich nicht ohne das Ergreifen von Initiative als handlungsfähig begriffen werden kann.

Öffentlich erkennbare Konsensbemühungen von - in erster Linien supranationalen - Akteur_ innen auch in Bereichen, in welchen diese eigentlich kein Handlungskompetenz besitzen, werden im drittel Teil der Definition (C) erfasst. Damit knüpft (C) an (B.2) an, und erweitert diese. Es wird die Annahme getroffen, dass die konsensuale Vermittlung zwischen den unterschiedlichen Interessen der 28 Mitgliedsstaaten wichtig für eine Einschätzung der Handlungsfähigkeit mit der Bewertung‚sehr hoch‘ ist. Das Vorliegen von (C) wird deshalb als Voraussetzung für die Ausprägung ‚sehr hoch’ festgelegt.

4.2.2 Datenquellen und Auswertungszeitraum

Die Auswahl von Datenquellen und die Bestimmung eines Untersuchungszeitraumes ist elementar für eine Inhaltsanalyse. An dieser Stelle soll deshalb in einem ersten Schritt die Quellenauswahl dargestellt und begründet werden. In einem zweiten Schritt wird dann auf die Bestimmung des Zeitraumes eingegangen und dieser näher erläutert. Für die politische Meinungsbildung von Bürger_innen ist die Berichterstattung in Tageszeitungen und Online-Angebote relevant. Als wichtigstes Informationsmedium für deutsche Mediennutzer_innen liegt das Fernsehen mit 39,8 % auf dem ersten Rang vor Tageszeitungen, Rang 2 mit 24,6 %, und Online-Angeboten, Rang 3 mit 21,6% (TNS 2013: 18). Der Umfang der Relevanz eines Angebots innerhalb der entsprechenden Mediengattung lässt sich über die Auflage beziehungsweise Reichweite messen. In dieser Arbeit werden nur Datenquellen herangezogen, die primär in Textform vorliegen. Aus ökonomischen Gründen muss daher das Fernsehen als wichtigste Informationsmedium ausgeblendet werden.

Aufgrund der großen Anzahl an Quellen und Material ist eine Vollerhebung im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. Die Grundgesamtheit umfasst sämtliche Veröffentlichungen in Textform, die auf die Wahrnehmung der EU in diesem Konflikt schließen lassen und die in das Mediensystem in einem bestimmten Zeitraum eingebracht wurden. Aus diesem Grund wurde eine Auswahlgesamtheit gebildet, die die Grundgesamt repräsentativ widerspiegelt.

Diese setzt sich wie folgt zusammen:

Aus Artikeln, die in der ‚Süddeutschen Zeitung‘ (SZ) und der Tageszeitung ‚Die Welt‘ (WELT) erschienen sind, sowie Beiträge, die auf den Online-Portalen ‚Spiegel Online‘ (SPON) und ‚Zeit Online‘ (ZON) veröffentlicht wurden. Die beiden Tageszeitungen werden als überregionale deutsche Tageszeitungen mit Qualitätsausrichtung und unterschiedlicher politischer Grundhaltung (linksliberal/konservativ) ausgewählt.

Dabei erreicht die SZ mit einer verkauften Auflage von 382.803 im zweiten Quartal 2015 Rang 2 aller überregionalen Tageszeitungen, während die FAZ mit 200.577 verkauften Exemplaren Rang 4 (IVW 2015) erreicht. Die Nachrichtenportale SPON und ZON werden als reichweitenstarke deutsche Online-Publikationen mit Qualitätsausrichtung aufgenommen. SPON verzeichnete als zweitgrößtes deutsches Nachrichtenportal im Juli 2015 222,33 Millionen Aufrufe, ZON im gleichen Zeitraum 51,56 Millionen (IVW 2015a). Zusätzlich werden Beiträge auf den Online-Portalen ‚BILD.de’ - 326,5 Millionen Aufrufe im Juli 2015 (IVW 2015a) - und ‚focus.de’ - 134,32 Millionen Aufrufe im Juli 2015 - (IVW 2015a) mit in die Auswahl aufgenommen, um den politischen Boulevard mit abdecken zu können. Damit sind die drei größten (+ ZON auf Rang 7) deutschen Online-Nachrichtenportale Teil der Analyse. Diese Selektion kann zusammenfassend und in Abwägung mit zeitökonomischen Aspekten als repräsentativ für die überregionale Berichterstattung in Textform bezeichnet werden.

Da für diese Arbeit insbesondere die gegenwärtige Einschätzung der EU in der Öffentlichkeit relevant sein soll, wird ein Untersuchungszeitraum von etwa vier Monaten gewählt. Als Startpunkt der Analyse wurde der 19.04.2015, als Endpunkt der 31.08.2015 festgelegt. In der Nacht vom 18. auf den 19.04.2015 ereignete sich im Mittelmeer das bis dahin schwerste Unglück eines Schiffes mit Flüchtlingen, bei dem über 800 Menschen starben (vgl. SZ 2015). Das Ereignis erzeugte in den europäischen Öffentlichkeiten, in der Politik der Mitgliedsstaaten und der Politik der Europäischen Union ein großes (sowohl quantitativ als auch qualitativ) Echo, das die Brisanz der Situation betonte. Da die öffentliche Debatte ab diesem Zeitpunkt sehr intensiv geführt wurde, eignet sich der ausgewählte Zeitraum gut für eine Analyse im Rahmen dieser Arbeit.

Die Elemente der Stichprobe werden nach einem festgelegten Vorgehen gezogen. Es werden drei Gruppen mit den jeweiligen Mediengattung gebildet (siehe Anhang A.2). Jede Gruppe besteht aus zwei Medien (Datenquellen), die jeweils durch fünf Artikel repräsentiert werden. Alle Artikel einer Quelle, die in Frage kommen (selektiert durch Suchbegriffe), werden in eine eigenständige Liste aufgenommen. Jede Zeile in diesen Listen wird mit einer Zahl zwischen 1 und Y (Zahlenreihe mit aufsteigenden Werten) versehen. Für jede Liste wird mit Hilfe eines Computeralgebrasystems x Zufallszahlen zwischen 1 und Y generiert. Anhand dieser Zufallszahl werden die fünf Artikel aus jeder Liste ausgewählt.

4.2.3 Analyseeinheiten

Auswahlgesamtheit: Alle Veröffentlichungen, die in genannten Medien (siehe 4.2.2) im ausgewählten Zeitraum zwischen dem 19.04. und dem 31.08.2015 erschienen sind. Auswertungseinheit: Je fünf Veröffentlichungen pro Medien-Quellen, die im festgelegten Auswertungszeitraum erschienen sind. Auswahl nach Zufallsverfahren (siehe 4.2.2). Kodiereinheit: Bestandteile eines Satzes (bzw. mehrere Sätze), die als eine Bedeutungseinheit (Phrase or Clause, word sequence) interpretiert werden. Kontexteinheit: Die Veröffentlichung, in welcher die Aussage getroffen wird.

5. Analyse

Die Analyse wird unter Zuhilfenahme der Software ‚QCAmap.org’ durchgeführt. Ihr zugrunde liegen die im Forschungsdesign beschriebenen Datenquellen im Auswertungszeitraum. Alle Quellennachweise dieses Abschnittes beziehen sich, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf das Verzeichnis aller ausgewerteten Artikel (Anhang A.3).

Tabelle 1: Verteilung der Fundstellen nach Kategorien / Quelle: Eigene Darstellung mit Daten aus Analyse, Anhang A.4

[Dies ist eine Leseprobe. Tabellen und Abbildungen sind nicht enthalten. Sie können die Arbeit, inklusive Tabellen und Abbildungen, durch einen Klick auf das Cover in der PDF-Vorschau einsehen.]

Die Auswertung ergibt ein deutliches Bild. Von den 102 Fundstellen gesamt lassen sich 59 der Kategorie ‚niedrig‘ (K3.1) zuordnen. Zusammen mit den Fundstellen der Kategorie ‚sehr niedrig‘ (K3.2) sind somit über 60% aller kodierten Passagen mit einer negativen Konnotation in Bezug auf die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union versehen. Die Einschätzung ‚hoch‘ (K1.2) und ‚mittel‘ (K2) wurde nur 9 bzw. 22 Mal vergeben; das entspricht zusammen etwa 36% aller Fundstellen.

Tabelle 2: Verteilung der Fundstellen nach Mediengruppe / Quelle: Eigene Darstellung mi Daten aus Analyse, Anhang A.4

[Dies ist eine Leseprobe. Tabellen und Abbildungen sind nicht enthalten. Sie können die Arbeit, inklusive Tabellen und Abbildungen, durch einen Klick auf das Cover in der PDF-Vorschau einsehen.]

Wie in 4.2.2 beschrieben, sind die sechs Datenquellen (SZ, WELT, SPON, ZON, BILD und Focus) in drei Gruppen (gemäß der Mediengattung, Anhang A.2) eingeteilt. In allen drei Gruppen dominierte die Einschätzung ‚niedrig‘, wobei diese in der Gruppe 1 (seriöse Tageszeitungen) in Bezug auf die anderen Kategorien am deutlichsten hervortritt.

Die Analyse zeigt, dass in der Berichterstattung, wie erwartet und in Kapitel 2 hervorgehoben, keine klare Adressierung in Bezug auf die Akteur_innenrolle zu finden ist. Auch wenn in Artikeln explizit auf „die EU“ (vgl. 8_WELT) Bezug genommen wird, erfolgt keine präzise Differenzierung. Damit ist teilweise unklar, welche Teil-/Akteur_innen in welchem Politikfeld damit gemeint werden. Die Institutionen der Europäischen Union können ingesamt dabei vor allem als eine Art „Plattform“, die zwischen den Regierungen der Mitgliedsstaaten eine Vermittlerinnenrolle einnimmt, beschrieben werden.

Selbst die Europäische Kommission als supranationale Akteurin wird überwiegend mit Beschreibungen versehen, mit welchen sie sich zusammenfassend als „einfache Vermittlerin“ zwischen den verschiedenen Positionen der Mitgliedsstaaten bezeichnen lässt. In den Fällen, in welchen die Kommission als selbstständige Akteurin auftritt, indem sie beispielsweise eigene Vorschläge einbringt, wird ihr eine Durchsetzungsschwäche attestiert (vgl. 10_WELT) oder ihr Handeln als „Feigenblatt zur Verdeckung der maximalen Blamage“ (24_BILD) bezeichnet. Wird das Europäische Parlament, als zweites supranationales Organ, explizit erwähnt, werden dabei stets nur Appelle des amtierenden Präsidenten Martin Schulz wiedergegeben (vgl. 22_BILD). Die Einschränkung, dass das Rechtsgebiet der Asyl- und Flüchtlingspolitik in der Union nicht umfassend vergemeinschaftet ist und somit die EU als supranationale und eigenständige Akteurin nicht uneingeschränkte Handlungskompetenz besitzt, ist bereits in vorherigen Abschnitten dieser Arbeit festgehalten. Diese Einschränkung in Bezug auf die Legalität der EU als Handlende ist in keiner der 30 analysierten Dokumente zu finden.

In der Analyse fällt auf, dass die Berichterstattung schwerpunktmäßig die Rolle der Mitgliedsstaaten beleuchtet (vgl. 12_SPON, 13_SPON, 17_ZON, 20_ZON, 21_BILD, 22_BILD, 23_BILD, 27_Focus und weitere). Die Beschreibungen der Mitgliedsstaaten lassen dabei eine Dualität erkennen: Diese verhinderten einerseits gesamteuropäische Einigungen durch Blockhaltung und Kompromissunfähigkeit. Medien des politischen Boulevards (Gruppe 3) arbeiten dabei mit Zuschreibungen, die Mitgliedsstaaten als „Drückeberger“ (24_BILD), „Querschießer“ (vgl. 27_Focus) kennzeichnen oder bezeichnen deren Verhalten als „Schotten dicht- Kurs“ (24_Bild). Andererseits wird den Mitgliedsstaaten als Institution generell ein hohes Maß an Problemlösungskompetenz in Asyl- und Flüchtlingsfragen unterstellt.

In zahlreichen Fundstellen wird dabei die Komplexität der Abstimmung von 28 verschiedenen Positionen zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten verwiesen erkannt und gewürdigt (vgl. 2_SZ, 10_WELT, 23_BILD, 26_Focus, 29_Focus). Die negative Konnotation zur Handlungsfähigkeit der Mitgliedsstaaten und der Art und Weise europäischer Abstimmungsprozesse wird also durch einen Verweis auf die Schwierigkeit in Teilen relativiert.

Wechselseitige Behinderungen zwischen der Europäischen Kommission und den Mitgliedsstaaten (bzw. zwischen den Staaten selbst) wird in zahlreichen Artikeln explizit oder implizit als Grund für das Ausbleiben einer effektiven Problemlösung genannt (vgl. 5_SZ, 8_WELT, 10_WELT, 12_SPON, 13_SPON, 20_ZON, 22_BILD, 23_BILD und weitere).

Gleichzeitig lassen einige Fundstellen die Einschätzung zu, dass eine grundsätzlich Stärkung der europäischen Ebene in dem Politikfeld positiv bewertet wird (vgl. 18_ZON, 22_Bild, 30_Focus). Das betrifft auch die Übergabe von Kompetenzen der Mitleidsstaaten an eine Institution der Union im Sinne einer tieferen Integration, aber vor allem die Intensivierung der Kooperations- und Vermittlungsbemühungen im intergovernmentalen Bereich.

Als zusammenfassendes Ergebnis dieser Arbeit lässt zunächst also festhalten, dass die Europäische Union im aktuellen Konflikt um die Asyl- und Flüchtlingspolitik in der Berichterstattung vor allem über die Mitgliedsstaaten definiert wird. Die wenigen Erwähnungen der supranationalen Ebene unterstellen jener (in einigen Fällen mit einer Relativierung) eine ungenügende Handlungsfähigkeit und nur begrenzte Initiativbemühungen. Die Entscheidungsregeln werden darüber hinaus teilweise ungeeignet eingeschätzt; ihre Effektivität hinsichtlich Problemlösungsfähigkeit wird also bezweifelt.

6. Einordnung der Ergebnisse und Fazit

Die Analyse konnte Ergebnisse mit einer negativen Grundtendenz in Bezug auf die Wahrnehmung der Handlungsfähigkeit aufzeigen, die sich relativ klar darstellt. In diesem Kapitel sollen diejenigen Teile der Analyse kurz darstellen werden, die sich vor dem Hintergrund der theoretischen Fundierung der Arbeit betrachten lassen. Einige Erkenntnisse lassen sich dabei als direkte Übereinstimmung mit den in Kapitel 3 ausgeführten Konzept von Legitimität nach Scharpf einschätzen.

Die Definition der EU über ihre Mitgliedsstaaten kann als Ausdruck mangelnder Eigenlegitimität jener nach Scharpf verstanden werden. Auch die Fokussierung auf die Verhandlungs und Kompromissbemühungen der supranationalen Organe (vor allem EU-Kommission) sprechen für eine Einschätzung als abhängige bzw. unselbstständige Akteur_innen mit lediglich begrenzter Handlungsfähigkeit in der Öffentlichkeit. Dabei bleiben lassen sich in der Berichterstattung nur wenige explizite Fundstellen, die eine umfassendere Vergemeinschaftung beziehungsweise Kompetenzverweisung an die europäische Ebene aussprechen.

Dies kann als einerseits als allgemeines Indiz für eine Unterstellung geringer Problemlösungsfähigkeit jener Ebene verstanden werden. Andererseits könnte es sich hier auch um politikfeldspezifische Aussagen handeln, die die Mitgliedsstaaten grundsätzlich als effektivere Problemlöserinnen in Asyl- und Flüchtlingsfragen werten, auch wenn ein gemeinsamer Migrationsraum angenommen wird. Ersteres würde Einschätzungen über ein Legitimationsdefizit der europäischen Ebene stärken. Diese Fragen konnten im Rahmen dieser Arbeit nicht klar beantwortet werden, weshalb an diese Stelle beide Möglichkeiten ohne weitere Ausführung offen bleiben müssen.

Die Arbeit konnte zeigen, wie die Handlungsfähigkeit von Akteur_innen der Europäischen Union vor dem Hintergrund des aktuellen Konfliktes um die Mittelmeermigration, in einer ausgewählten Gruppe von Medien, wahrgenommen wurde. Gleichzeitig wurden auch die Grenzen dieser Arbeit deutlich. Insbesondere die Beschränkung der Medienauswahl senkt die Aussagekraft der Analyse. Für weitere Forschungen würde sich daher ein intensivere Betrachtung der Wahrnehmung einer konkreten Akteurin/ eines konkreten Akteurs (z.B. EU-Kommission) anbieten. Dabei sollte unter Einbeziehung von einer größeren Anzahl an relevanten Medien (inkl. TV und Radio) vorgegangen werden.

Literaturverzeichnis

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Euskirchen, Markus und Henrik Lebahn und Gene Ray (2009): Wie Illegale gemacht werden. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. 54:7, 72-80.

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IVW, Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V (2015a): Anzahl der Visits (Online + Mobile) der Nachrichtenportale in Deutschland im Juli 2015 (in Millionen). Statista. Verfügbar unter: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/ 154154/umfrage/anzahl-der-visits-von-nachrichtenportalen/, zuletzt geprüft am: 29.08.2015.

Mayring, Philipp (2015): Die Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim und Basel: Beltz Verlag.

Meine, Anna (2012): Legitimität weiter denken? Anschlussmöglichkeiten und Herausforderungen des politikwissenschaftlichen Legitimitätsbegriffs jenseits des Staates, untersucht auf Grundlage der Arbeiten von Fritz W. Scharpf, David Held und Jürgen Habermas. Würzburg: Ergon Verlag.

Müller-Graff, Peter-Christian und Friedemann Keiner (2014): Asyl-, Einwanderungs- und Visapolitik. In: Weidenfeld, Werner und Wolfgang Wessels: Europa von A bis Z. Baden-Baden: Nomos Verlag, 88-94.

Scholte, Jan (2011): Nonstate actors: In Bertrand Badie und Dirk Berg-Schlosser und Leonardo Morlino: International encyclopedia of political science, Thousand Oaks, CA: SAGE Publications Inc, 1713-1716.

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TNS Infratest (2013): Relevanz der Medien für die Meinungsbildung. Empirische Grundlagen zum MedienVielfaltsMonitor der BLM. Verfügbar unter: http://de.statista.com/statistik/studie/id/6888/dokument/relevanz-der-medien-fuer-die-meinungsbildung-/, zuletzt geprüft am: 29.08.2015.

Tomei, Verónica (2000): Grenzabbau und Neukonstruktion im europäischen Migrationsraum. In: Maurizio Bach: Die Europäisierung nationaler Gesellschaften. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 386-399.

Treibel, Annette (2000): Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

UNHCR (2015). Refugees and migrants crossing the Mediterranean to Europe. Overview of arrival trends as of 31 August 2015. Verfügbar unter: http://data.unhcr.org/mediterranean/download.php?id=28, zuletzt geprüft am: 06.09.2015.

Anhang

[Hinweis: Dies ist eine Leseprobe. Tabellen und Abbildungen sind nicht enthalten. Sie können die Arbeit, inklusive Tabellen und Abbildungen, durch einen Klick auf das Cover in der PDF-Vorschau einsehen.]

A.1 Kodierleitfaden

A.2 Übersicht: Dokumentation des Auswahlprozesses

A.3 Verzeichnis aller ausgewählten Artikel

A.4 Fundstellen

Fin de l'extrait de 24 pages

Résumé des informations

Titre
Wie handlungsfähig ist die EU im Konflikt um die Mittelmeermigration? Analyse der öffentlichen Wahrnehmung
Université
University of Freiburg  (Seminar für Wissenschaftliche Politik)
Note
2,0
Auteur
Année
2015
Pages
24
N° de catalogue
V309234
ISBN (ebook)
9783668076457
ISBN (Livre)
9783668076464
Taille d'un fichier
572 KB
Langue
allemand
Mots clés
Inhaltsanalyse, EU, Asyl, Migration, Mittelmeer, Handlungsfähigkeit, Öffentlichkeit, Strukturierende Inhaltsanalyse
Citation du texte
Frederic Arning (Auteur), 2015, Wie handlungsfähig ist die EU im Konflikt um die Mittelmeermigration? Analyse der öffentlichen Wahrnehmung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/309234

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