Mit dem Beginn der Moderne im 18. Jahrhundert fiel der Blick der Menschen verstärkt auf das eigene Wesen mit seinen Empfindungen und Befindlichkeiten sowie den Zusammenhängen von Körper und Geist. Die Rolle der Psyche rückte mehr und mehr in den Mittelpunkt des Interesses und in diesem Zusammenhang entwickelte sich eine neue Lehre vom Menschen, die Anthropologie. Diese spielte auch in der Literatur eine Rolle. Karl Philipp Moritz, der ebenfalls ein „Magazin der Erfahrungsseelenkunde“ ins Leben rief, schrieb den Roman „Anton Reiser“, den er selbst als psychologischen Roman untertitelte.
Es handelt sich um die autobiografische Schilderung des Autors, in welcher dieser den Versuch unternimmt, sein eigenes Leben aus psychologischer Sicht darzustellen. Eine wichtige Rolle für den Romanhelden Anton Reiser spielt dessen Einbildungskraft. Von Kindheit an flüchtet sich Anton in Phantasien, die nach und nach immer weitere Ausmaße anzunehmen scheinen. Hilfsmittel dafür sind ihm unter anderem das Lesen und das Theater.
Anton Reisers Leben wird als ein Leben unter problematischen Umständen beschrieben. Die Folgen davon sind Realitätsflucht und das intensive Erleben der Phantasie. Die dazu führenden Hintergründe und Beschaffenheiten sowie speziell die Rolle der Phantasie im „Anton Reiser“ sollen in der vorliegenden Arbeit näher betrachtet werden.
Es werden dabei zunächst Antons Lebensumstände zur Verdeutlichung herangezogen. Aspekte wie Ablehnung, Demütigung und Unterdrückung sollen als Ursachen der charakterlichen Entwicklung, des Ausschlusses aus dem Leben und der vermeintlichen Realitätsflucht Antons dargestellt werden. Im weiteren Teil der Arbeit werden Antons Vorlieben für Predigten, Bücher und das Theater genauer betrachtet. Diese werden als Reaktionen auf die beschriebenen Lebensumstände dargestellt und bedeuten somit das direkte Ausleben der Realitätsflucht.
Ebenfalls wird Antons vermeintliche Freude am Leiden, "the joy of grief" als Themenpunkt aufgegriffen. Eine Charaktereigenschaft, die gemeinsam mit den Ausflüchten in Phantasien, ebenfalls auf Antons Lebensumstände, speziell die Kindheitserfahrungen zurückzuführen ist.
In der anschließenden Schlussbetrachtung werden die Erkenntnisse kurz zusammengefasst und um einige Bezüge hinsichtlich einer vermeintlichen Krankheitsgeschichte des Protagonisten erweitert. Deutlich herausgestellt werden sollen die Rolle der Phantasie und die damit verbundene Realitätsflucht Antons.
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
- Einleitung
- Zu Antons Lebensumständen und Aspekten, welche die Rolle der Phantasie betreffen
- Das Elternhaus
- Die Lehre beim Hutmacher Lobenstein
- Die Schule
- Ausschluss aus dem Leben
- Zur Rolle der Phantasie und Aspekten der Realitätsflucht
- Die Predigten von Pastor Paulmann
- Das Lesen
- Das Theater
- Zu Antons Freude am Leiden
- Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Diese Arbeit untersucht die Rolle der Phantasie im Roman „Anton Reiser“ von Karl Philipp Moritz. Ziel ist es, die Entstehung und Ausprägung von Antons Einbildungskraft in Beziehung zu seinen Lebensumständen zu setzen und deren Auswirkungen auf sein Leben aufzuzeigen.
- Die Bedeutung der Phantasie als Fluchtmechanismus vor schwierigen Lebensbedingungen
- Die Prägung von Antons Persönlichkeit durch seine Kindheitserfahrungen
- Die Rolle von Literatur und Theater als Katalysatoren für Antons Phantasie
- Die Verbindung zwischen Antons Freude am Leiden und seiner Flucht in die Phantasie
- Der Einfluss von Antons Lebensumständen auf seine charakterliche Entwicklung
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
- Einleitung: Die Einleitung stellt die Bedeutung der Anthropologie im 18. Jahrhundert und die Rolle der Phantasie im Roman „Anton Reiser“ dar. Sie führt den Leser in die Thematik der Arbeit ein und gibt einen Überblick über die zentralen Aspekte, die im weiteren Verlauf behandelt werden.
- Zu Antons Lebensumständen und Aspekten, welche die Rolle der Phantasie betreffen: Dieses Kapitel untersucht die Lebensumstände von Anton Reiser, insbesondere seine Kindheitserfahrungen. Es wird argumentiert, dass Antons unglückliche familiäre Situation, die geprägt ist von Streit, Zwietracht und Unterdrückung, einen erheblichen Einfluss auf seine Persönlichkeit und seine Flucht in die Phantasie hat.
- Zur Rolle der Phantasie und Aspekten der Realitätsflucht: Dieses Kapitel untersucht Antons Vorlieben für Predigten, Bücher und das Theater als Reaktionen auf seine schwierigen Lebensumstände. Es wird deutlich, dass diese Aktivitäten als Ausdrucksformen seiner Realitätsflucht dienen und ihm ermöglichen, in andere Welten zu entfliehen.
- Zu Antons Freude am Leiden: Dieses Kapitel beleuchtet die besondere Charaktereigenschaft von Anton, die „Freude am Leiden“. Diese wird als weitere Folge seiner schwierigen Kindheitserfahrungen dargestellt und steht in Verbindung mit seiner Flucht in die Phantasie.
Schlüsselwörter (Keywords)
Die zentralen Themen der Arbeit sind: Phantasie, Realitätsflucht, Lebensumstände, Kindheitserfahrungen, „Anton Reiser“, Karl Philipp Moritz, Anthropologie, Literatur, Theater, Freude am Leiden.
- Quote paper
- Theresa Hoch (Author), 2013, Zur Rolle der Phantasie in Karl Philipp Moritz' "Anton Reiser", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/310086