Die indische Öffentlichkeit im Strukturwandel. Eine Analyse beruhend auf Jürgen Habermas


Masterarbeit, 2015

108 Seiten, Note: 1,4


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

II. ABBILDUNGSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG UND BEGRIFFSERKLÄRUNGEN

2. THEORETISCHE GRUNDLAGEN NACH HABERMAS
2.1. DIE ENTSTEHUNG EINES RÄSONIERENDEN PUBLIKUMS
2.2. DAS RÄSONIERENDE PUBLIKUM VERLIERT AN VITALITÄT
2.3. DER VERFALL DER POLITISCHEN ÖFFENTLICHKEIT
2.4. HABERMAS ZUM POTENZIAL DER MEDIEN, REVISIONEN UND WEITERFÜHRENDE ANSÄTZE.

3. STRUKTURWANDEL DER ÖFFENTLICHKEIT IN INDIEN.
3.1. GRUNDLAGEN ZUM VERSTÄNDNIS DER INDISCHEN GESELLSCHAFT
3.1.1. SPRACHEN
3.1.2. KASTENSYSTEM UND RELIGIONEN
3.1.3. SCHEDULED TRIBES..

4. BRITISCH-INDIEN: INDIEN ALS BRITISCHE KOLONIE
4.1. KOLONIALPOLITIK: EINFÜHRUNG DES REPRÄSENTATIVSYSTEMS
4.2. IDEOLOGISCHER RAHMEN UND WESEN DER ECUMENE.
4.3. NATURAL LEADERS UND BEOBACHTUNG DER PUBLIC ARENAS
4.4. PRESSE IN DER KOLONIALZEIT
4.5. FOLGEN DER KOLONIALPOLITIK FÜR DIE STRUKTUR DER ÖFFENTLICHKEIT

5. NATIONALISMUS-BEWEGUNG UND IHR EINFLUSS AUF DIE ÖFFENTLICHKEIT
5.1. IDEOLOGISCHER KONTEXT: KONSTRUKTION EINER HINDU-GESCHICHTE
5.2. GRATWANDERUNG DER HINDU-NATIONALISTEN ZUR UNABHÄNGIGKEIT
5.3. PRESSE UND DER HINDU-NATIONALISMUS
5.3.1. HINDUNATIONALISTISCHE PRESSE AM BEISPIEL DER AJ
5.3.2. HINDUNATIONALISTISCHE LITERATUR AM BEISPIEL PREMCHANDS
5.4. MITTELSCHICHTEN UND DER HINDUNATIONALISTISCHE VORMARSCH
5.5. FOLGEN DES AUFSTIEGS DER HINDUNATIONALISTEN FÜR DIE ÖFFENTLICHKEIT

6. VON DER AUTARKIE ZUR LIBERALISIERUNG: MITTELSCHICHTEN ALS WEGBEREITER DES KAPITALISMUS IM FREIEN INDIEN

7. LIBERALISIERUNG INDIENS 1991: DER BEGINN DES VERFALLS DER INDISCHEN ÖFFENTLICHKEIT?
7.1. RURALE ALPHABETISIERUNG
7.2. ZEITUNGSEXPANSION, FERNSEHEN UND DEMOKRATISERUNG DER MEDIEN
7.3. CHARAKTERISTIK INDISCHER MEDIEN: VIERTE GEWALT ODER GESTEUERT VON KAPITALISTISCHEN INTERESSEN?
7.4. INDISCHE MEDIEN UND IHR EINFLUSS AUF POLITISCHE AKTEURE
7.5. MINORITÄTEN IM HEUTIGEN INDIEN
7.6. INTERNET, SOZIALE MEDIEN UND MASSENDEMONSTRATIONEN

8. SCHLUSSTEIL: MEDIEN IN DEMOKRATISCHEN SYSTEMEN - MEHR ALS NUR VIERTE GEWALT?

9. QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

I. Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

II. Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 (Seite 53): Grobe Alphabetisierungsrate in Indien zwischen 1901 und 2011

Abbildung 2 (Seite 70): Wachstum der Alphabetisierungsrate in der indischen Bevölkerung (ab sieben Jahren aufwärts berücksichtigt) zwischen 1991 und 2001 in verschiedenen Bundesstaaten, inklusive der dekadischen Differenzen in Prozent sowie totalen Mengen

Abbildung 3 (Seite 72): Wachstum der ruralen Zeitungsleserschaft

Abbildung 4 (Seite 76): Wachstum der Zeitungsleserschaft, TV-Zuschauerschaft, Bevölkerung und Alphabetisierung zwischen 1941 und 2005 in Indien

Abbildung 5 (Seite 89): Größe und Prognosen zu den Segmenten der indischen Medien und Unterhaltungsindustrie in Milliarden INR (Indische Rupien)

1. Einleitung und Begriffserklärungen

Mit Strukturwandel der Ö ffentlichkeit veröffentlichte Jürgen Habermas 1962 eines der Pionierwerke, wenn es darum geht, die komplexen Prozesse der Entstehung von Öffentlichkeit zu erklären. Es war der Anstoß zu einer systematischen Debatte mit Niklas Luhmann, dessen zentrale Annahme in Soziale Systeme 1 im Widerspruch zu Habermas‘ Theorem stand. Luhmann zeigte sich im Gegensatz zu Habermas von der neu gewonnenen Effizienz der Gesellschaften und Kommunikationssysteme beeindruckt und entwarf keineswegs das Bild vom Niedergang einer kritischen Gesellschaft. Für Luhmann ist Kommunikation ein essentieller Bestandteil der Gesellschaft und die zunehmende Komplexität eines Systems korreliert mit einer steigenden Anzahl an Selektionen der sozialen Systeme. Dies macht eine Kommunikation laut Luhmann wiederum wahrscheinlicher.2

Jürgen Habermas hingegen prognostiziert ein gegenläufiges Bild einer konsumierenden Gesellschaft, die von der zunehmenden Komplexität der Moderne überfordert ist. Die Massen der Bevölkerung stellen für Habermas eher eine akklamative und leicht mobilisierbare Ressource der medialen Meinungsindustrie(n) dar. Folgerichtig übernehmen für Habermas anstelle von kritischen Individuen Medienprofis den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung.

In Anbetracht der sich immer weiter ausdifferenzierenden Mediengesellschaften 3, deren Angebot an Reality-TV-Formaten, Soap-Operas und Unterhaltungsshows überschäumt, erscheint Habermas‘ Skepsis angebracht. Im Jahr 2013 liefen laut Nielsen Media Research knapp 1,7 Millionen Minuten Werbung im deutschen Fernsehen. 2014 wurden insgesamt 3,98 Millionen TV-Werbespots ausgestrahlt 4 5 Harald Welzers Diagnose einer wahnwitzigen Konsumgesellschaft „[o]hne jede Bodenhaftung“6 gehört längst nicht mehr zu dystopischer Schwarzmalerei, sondern ist eine gängige Bestandsaufnahme unserer Zeit. In Deutschland verzeichneten die Bundestagswahlen 2009 mit 70,8%7 ein historisches Rekordtief bei der Wahlbeteiligung. Auch in England hat sich die Wahlbeteiligung bei den Unterhauswahlen seit dem Rekordtief 2001 (59,2%) auf einem sehr niedrigen Niveau (2015: 65,8%) eingependelt.8 Die politische Partizipation bzw. das Interesse an Politik scheint in den westlich geprägten Mediengesellschaften gegenwärtig nicht besonders ausgeprägt zu sein. Die Bertelsmann Stiftung fand im Rahmen einer Studie heraus, dass alle deutschen Leitmedien zusammen innerhalb eines Jahres nur 275 Beiträge zu Bundestagsdebatten veröffentlichten.

„Auch im innerdeutschen Vergleich zeigt sich der mediale Stellenwert des Parlamentes gegenüber anderen Institutionen: Über wichtige Dax-Unternehmen, wie etwa die Deutsche Bank oder Siemens, wird ebenfalls deutlich häufiger berichtet als über alle Debatten im Deutschen Bundestag zusammen.“9

Der Bericht der Stiftung ergänzt:

„Bürger wie auch Parlamentarier müsste dieser Befund zutiefst besorgen. Denn ohne Debatten mit breiter öffentlicher Beteiligung kann in einer Demokratie Meinungsbildung nicht gelingen.“10

Bis auf gelegentliche Ausnahmen (z.B. die Bürgerbewegung Stuttgart 21), macht es insgesamt den Anschein, als sei das von Habermas prognostizierte konsumierende und unkritische Publikum mindestens in Grundzügen tatsächlich entstanden. Stellvertretend bekannten 72% der Deutschen im Jahr 2014, dass die anstehende Europawahl für sie nur eine geringfügige Bedeutung habe.11

Auch in Indien hat Jürgen Habermas‘ Theorem zum Strukturwandel der Öffentlichkeit ein großes wissenschaftliches Echo ausgelöst. Arvind Rajagopal bezieht sich in der von ihm herausgegebenen Aufsatzsammlung The Indian Public Sphere (2009) gleichermaßen auf theoretische Grundlagen Habermas‘ wie Nilesh Kumar Singh in Religion, Media and Public Sphere (2009). Sevanti Ninan benennt in Headlines from the Heartland ein Kapitel seines Werkes „Epilogue - Habermas revisited“. Es wird deutlich: Auch in Kulturkreisen fernab westlicher Prägung genießt Habermas‘ Theorie gesteigerte Relevanz. Sehr interessant ist deshalb auch der Versuch, das Modell von Habermas auf andere Regionen und Kulturkreise der Erde zu projizieren, die ethnisch, historisch und intellektuell gänzlich anderen Entwicklungen unterlagen. Besitzt Habermas‘ Modell dennoch Gültigkeit?

Ein Vergleich des Status Quos der politischen Gegebenheiten in Westeuropa und Indien wirft einige Ähnlichkeiten auf. Die Wahlbeteiligung in Indien befindet sich mit 66,48%12 (General Elections 2014) auf einem ähnlichen Niveau wie in Deutschland oder England. Indiens Demokratie wurde zwar erst 1947 eingeführt, sie gilt jedoch als erfolgreich. So konstatiert Atul Kohli in The Succes of Indias Democracy: „[…] democracy in India has taken root.“13 Auf dem Bertelsmann Transformationsindex 2014, welcher die Qualität der Demokratie diverser Transformationsländer erfasst, erhält Indien 8,10 von 10,00 möglichen Punkten. Zum Vergleich: Nachbarstaat Nepal erhält auf dem Index 4,37 Punkte.14 Dies zeigt: Die demokratischen Erfolge Indiens sind unter Berücksichtigung der kulturellen und ethnischen Voraussetzungen bemerkenswert.

Das indische TV-Programm wird in gleicher Weise von Soap-Operas, Reality-TV- Formaten und Unterhaltungsshows dominiert, wie dies auch in Deutschland, Frankreich und Großbritannien der Fall ist. Jedoch: Lassen diese klar sichtbaren Gemeinsamkeiten zugleich darauf schließen, dass Habermas‘ Modell auch auf dem indischen Subkontinent anzuwenden ist?

Trotz der offensichtlichen Parallelen in der Gegenwart verweisen verschiedene Autoren mit Nachdruck darauf, die gänzlich zu unterscheidenden Voraussetzungen Indiens im Vergleich zu europäischen Gesellschaften zu berücksichtigen.

„The formation and development of the public sphere in India during the 19th and 20th centuries had a different trajectory [than in Europe].”15

Dieser Einwand ist mehr als berechtigt. Indiens Geschichte kolonialer Herrschaft ist in von der Historie europäischer Gesellschaften maßgeblich zu unterscheiden und hat zu einem anderen Demokratieverständnis geführt. Dieses findet beispielsweise Ausdruck im ausgeprägten Kommunalismus. Bis zur Unabhängigkeit 1947 stellte sich die Presse Indiens noch Stolz in den Dienst des Hindunationalismus und Journalisten betrachteten es als Ehre, dem Freiheitskampf zu dienen.

Ein Faktor, der Indien weiterhin unterscheidet, ist die intellektuelle Beschaffenheit. Entscheidende Initiativen, die zur Alphabetisierung der Bevölkerung beitrugen, fanden in Indien erst zum Beginn des 20. Jhd. statt. Europäische Gesellschaften machten in dieser Hinsicht schon im 17. Jhd. entscheidende Fortschritte.

Zudem spielt auch Religion bis heute eine gänzlich andere Rolle in Indien. Während sich im Rahmen der Aufklärung die Rolle von Religion in europäischen Gesellschaften drastisch reduziert hat, bezeichnen sich laut dem Center for Developing Societies bis heute 90% der Bürger des modernen Indiens als religiös. 30% geben sogar an, dass sie in den letzten fünf Jahren religiöser geworden sind. Die aktuelle Regierungspartei Indiens, die BJP, propagiert bis heute erfolgreich die Vorstellung eines indischen Nationalismus, der auf einem uniformen Kulturnationalismus beruht. Mit Hinduisierungskampagnen hat die BJP zum Ende der 1980er wesentlich dazu beigetragen, dass sich indische Minoritäten wie z.B. die Naxaliten radikalisiert haben.

Trotz all dieser Unterschiede sind es auch in Indien heute milliardenschwere Medienkonzerne wie Sun TV oder Zee Entertain, die entscheidenden Einfluss auf den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung haben. Es kristallisiert sich zunehmend die entscheidende Frage dieser Arbeit heraus, ob der Spirit des Freiheitskampfes in Indien bereits vollends erloschen ist und die Kräfte des Kapitalismus in demokratischen Systemen - unabhängig von der historisch-kulturellen Geschichte eines Landes - schlichtweg unaufhaltsam sind.

Die aufgeführten Unterschiede sollen bei der folgenden Anwendung von Habermas‘ Modell berücksichtigt werden. Dies wird unweigerlich dazu führen, dass sich die in Kapitel 2 dargestellten Phasen des habermas‘schen Modells einerseits zeitlich verschieben und andererseits in modifizierter Form abspielen. K. betont im indischen Kontext die wegweisende Rolle der Mittelschichten sowie die jeweilige Stellung der Medien zu verschiedenen historischen Zeitpunkten. Diese Gesichtspunkte sollen deshalb eine besondere Gewichtung erhalten.16 Auch das zu unterscheidende Verständnis von Demokratie und das Verhältnis vom Bürger zum Staat erfahren gesonderte Berücksichtigung.

Um eine verständliche Argumentation zu ermöglichen, werden die relevanten Phasen der Entstehung von Öffentlichkeit in Indien jeweils im Kontext der wichtigsten politischen und sozioökonomischen Entwicklungen analysiert. Die Arbeit gliedert sich deshalb wie folgt: In Kapitel 2 wird auf der Basis von Strukturwandel der Ö ffentlichkeit Habermas‘ Konzept von Öffentlichkeit vorgestellt. Im folgenden Kapitel werden dann Besonderheiten der indischen Gesellschaftsstruktur aufgezeigt, die es zu berücksichtigen gilt. Kapitel 4 umfasst anschließend die entscheidenden Entwicklungen in der Zeit der britisch-indischen Kolonialpolitik, während Kapitel 5 die Phase des Aufstiegs der (Hindu-)Nationalisten näher betrachtet. Kapitel 6 erfasst im Anschluss den Weg zur Liberalisierung Indiens 1991 und Kapitel 7 erläutert die umfangreichen Folgen dessen für die Öffentlichkeit. Das achte Kapitel dient schließlich einem Ausblick und der Beantwortung der Frage, inwiefern Habermas‘ Theorie zur Erklärung der Vorgänge der indischen Öffentlichkeit geeignet war.

Da Habermas seinem Theorem eine Entwicklung zugrunde legt, die sich vom 16. bis ins 19. Jhd. streckt, ist es zwingend notwendig im Rahmen der vorliegenden Arbeit, zeitliche Schwerpunkte zu setzen. Demzufolge werden die bedeutsamen Entwicklungen, die sich vor dem 18. Jhd. abspielten, zwar inhaltlich berücksichtigt, sie rücken aber nicht ins Zentrum der Betrachtungen. In den Mittelpunkt der Untersuchung rücken stattdessen die im indischen Kontext bedeutsamen Entwicklungen der Öffentlichkeit im späten 19. und 20. Jhd..

Um der aufgeworfenen Fragstellung methodisch nachgehen zu können, sind außerdem verschiedene Begriffserklärungen notwendig.

- Kolonialismus: „K[olonialismus] bezeichnet die Ausdehnung der

Herrschaftsmacht europäischer Länder auf außereuropäische Gebiete mit dem vorrangigen Ziel der wirtschaftlichen Ausbeutung. Zwar waren im Zeitalter der Entdeckungen auch missionarische Gründe und der Handel für den K[olonialismus] maßgeblich (seit der Industrialisierung v. a. der Bezug billiger Rohstoffe); im Vordergrund stand jedoch immer die Mehrung des Reichtums der Kolonialherren und Mutterländer.“17

- Kapitalismus: „K[apitalismus] bezeichnet eine Wirtschaftsordnung (und

Gesellschaftsordnung), in der der Faktor Kapital (Maschinen, Anlagen, Fabriken, Geld) im Vergleich zu anderen Wirtschaftsfaktoren (Arbeit, Grund und Boden) überproportionale Bedeutung hat.“18

- Liberalisierung: „Allg.: die Rücknahme oder Abschwächung bisher bestehender gesetzlicher Regelungen oder anderweitiger Verordnungen und Verhaltensvorschriften. Spez.: Die Rücknahme staatlicher Auflagen, Be- und Einschränkungen in Bezug auf die wirtschaftliche Betätigung, die Herstellung oder den Handel mit Gütern und Dienstleistungen, nach außen z. B. durch den Abbau von Zöllen, Mengen- oder anderen Handelsbeschränkungen.“19

- Hindutva (Hindutum): „das zentrale Postulat des Hindu-Nationalismus, fordert die Einheit aller Hindus über die Unterschiede im Ritus, in den spezifischen Glaubensformen unterschiedlicher jatis (Kasten) und Sekten hinweg. Es ist die Einheit in der Vielfalt, die Einheit auch in der Ungleichheit: das Adhikari Bheda. Es ist die Vorstellung des harmonisch-hierarchischen Gefüges des hinduistischen Kasten-Systems, an dem jedes und jeder seinen festen Platz und seine feste Aufgabe hat.“20

- Mittelstand/Mittelschicht(en): „Mit den Begriffen M[ittelstand] und Mittelschicht[en] werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund wirtschaftl[icher] und sozialer Merkmale wie Selbstständigkeit, Beruf, Einkommen und Bildung eine mittlere Stellung in einer Gesellschaft einnehmen. Als soziopolit[ische] Kategorie werden dem M[ittelstand] eine spezifische Lebensführung und Mentalität, spezifische moralische und polit[ische] Wertvorstellungen und ein bestimmtes Gesellschaftsbild zugeschrieben.“21

Da zumeist nicht von einer spezifischen Mittelschicht oder einem Mittelstand gesprochen werden kann, sondern diese Bevölkerungsgruppe sich ebenfalls in mehrere Schichten gliedert (obere, untere Mittelschicht etc.), soll in dieser Arbeit der Plural, ergo Mittelschichten, verwendet werden.

2. Theoretische Grundlagen nach Habermas

In der 1962 erschienenen Erstauflage seines Werks Strukturwandel der Öffentlichkeit erarbeitet Jürgen Habermas mit Hilfe von soziologischen, philosophischen und historischen Elementen den Entwicklungsprozess der modernen Öffentlichkeit. Die problematischen Beziehungen zwischen der wirtschaftlichen Grundlage, den politischen Formen und der kulturellen Phänomene nehmen bei Habermas Überlegungen eine essentielle Rolle ein. Bei genauerer Betrachtung sind bei diesem Prozess verschiedene Phasen feststellbar: Im 17. Jahrhundert entstand nach Habermas zunächst ein räsonierendes Publikum aus Privatleuten, das sich anschließend im Zuge der Aufklärung und des klassischen Liberalismus selbstbewusst konsolidierte. Am Ende des 19. Jahrhunderts zerfiel dieses kritische Publikum aus verschiedenen Gründen allerdings wieder rasch. Anhand dieser Phasen ist auch das nachfolgende Kapitel logisch unterteilt.

2.1. Die Entstehung eines räsonierenden Publikums

Noch im Mittelalter hat die Öffentlichkeit einen eher repräsentativen Charakter und steht primär dem Adel zu und das wird auf eine bestimmte Weise demonstriert:

„Vertreter von Autorität und Verkörperung einer höheren Macht, die sich durch Zeremonien, Verhaltenskodizes, Insignien, Habitus, Gesten und rhetorische Formen darstellt und so für Untertanen sichtbar wird.“22

Die zu diesem Zeitpunkt vorliegende Form der repräsentativen Öffentlichkeit verströmt für Habermas deshalb eine „Aura feudaler Autorität“23. Die Öffentlichkeit gleicht einer staatlichen Sphäre, in der Untertanen als Publikum respektive Adressaten der öffentlichen Gewalt fungieren. Zwei Entwicklungen torpedieren diesen Status jedoch nachhaltig: Zum einen verlagert sich das adlige Leben zunehmend an den Hof, zum anderen tauchen erstmals Amtsträger auf, die mit spezifischen Verwaltungskompetenzen ausgestattet sind.

„Ein zentrales Moment […] bildet das Auftauchen einer literarischen öffentlichen Sphäre, deren Konsolidierung sowohl mit wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen zusammenhängt, in Folge derer die familiäre Sphäre von ihren produktiven Funktionen abgekoppelt und zum Hort der Intimität und der Subjektivität wird, als auch mit der technischen Entwicklung und der Verbreitung gedruckter Kommunikationsmedien.“24

Im 16. Jahrhundert informierten noch hauptsächlich limitierte Rundschriften einen erlesenen Kreis von Lesern über administrative, gewerbliche oder politische Ereignisse. Vor allem Händler nutzten diese Schriften, um ihrem Zweck dienliche Informationen aufzunehmen. Mit der Verbreitung der Druckpresse änderte sich diese Konstellation jedoch grundlegend. Gedruckte Zeitungen mit facettenreichen Inhalten verschafften zügig einem wesentlich breiteren Personenkreis Zugang zu Informationen. In der Folge erblühte ein neues Publikum, das ab der Mitte des 17. Jahrhunderts in Kaffeehäusern, Salons und Clubs regelmäßig zusammentrat und räsonierte. Romane, Tagebücher und vor allem Wochenschriften wurden nun mehr mit dem bewussten Gedanken verfasst, veröffentlicht zu werden und bildeten dem neu entstandenen Publikum eine permanente Grundlage für zum Teil auch öffentlich ausgetragene Diskussionen. Cafés und Salons wandelten sich zu Institutionen der Öffentlichkeit und verweltlichten vermehrt Kulturgüter, die bis dato klerikalen und höfischen Minderheiten vorbehalten waren.

Die florierende Diskussionskultur kann mit Hilfe verschiedener zentraler Merkmale charakterisiert werden. Erstens: Die an den Diskussionen teilnehmenden Privatpersonen betrachten sich als ebenbürtig und die zuvor betonten Rangzeremonien verlieren massiv an Bedeutung. Anstelle sozialer Hierarchien tritt die Autorität der Argumente. Zweitens: eine beliebige Themenwahl. Es existieren kaum noch Tabuthemen. Es wird gleichermaßen über literarische, künstlerische, aber auch gesellschaftliche und politische Inhalte diskutiert.

Drittens: prinzipielle Unabgeschlossenheit des Publikums. Die Teilnehmer sehen sich als Teil eines allgemeinen Publikums (homme), das sich auf ähnliche Vorstellungen von Freiheit, private Autonomie und Idealen von Liebe stützt. K. von der XY University formuliert treffend die Leitfrage: „How public was public?“25

„Die diskutablen Fragen werden ‚allgemein‘ nicht nur im Sinne ihrer Bedeutsamkeit, sondern auch der Zugänglichkeit: alle müssen dazugehören können.“26

Weiterhin erlangt dieses räsonierende Publikum ein signifikantes Moment, sobald es ein Selbstbewusstsein erlangt, das dazu führt, dass es seine erworbenen diskursiven Fähigkeiten fortwährend dazu nutzt, um seine Kritik auch auf die Strukturen der gesellschaftlichen Organisationsform zu richten. Es fordert vom Staat die Anerkennung als legitimer Träger der öffentlichen Meinung und eine Teilhabe an der rechtlichen und politischen Ordnung. Es findet demnach eine Umfunktionierung der Einrichtungen und Diskussionsplattformen statt: Aus einer zuvor obrigkeitlich reglementierten Öffentlichkeit entwickelt sich eine Sphäre der Kritik an der öffentlichen Gewalt.

„Durch diese vermittelt, geht der Erfahrungszusammenhang der publikumsbezogenen Privatheit auch in die politische Öffentlichkeit ein. Die Vertretung der Interessen einer privatisierten Sphäre der Verkehrswirtschaft wird mit Hilfe von Ideen interpretiert, die auf dem Boden kleinfamiliärer Identität gewachsen sind. Humanität hat hier ihren genuinen Ort und nicht […] in der Öffentlichkeit selbst.“27

Es weicht zunehmend der homme dem bourgeois. Infolgedessen kollidiert immer häufiger das Prinzip der Publizität mit der willkürlichen Machtausübung.

„Sobald sich die Privatleute nicht nur qua Menschen über ihre Subjektivität verständigen, sondern qua Eigentümer die öffentliche Gewalt in ihrem gemeinsamen Interesse bestimmen möchten, dient die Humanität der literarischen Öffentlichkeit der Effektivität der politischen zur Vermittlung. Die entfaltete bürgerliche Öffentlichkeit beruht auf der fiktiven Identität der zum Publikum versammelten Privatleute in ihren beiden Rollen als Eigentümer und als Menschen schlechthin.“28

Eine Beherrschung durch Arkanpolitik respektive der willkürliche Wille des Fürsten werden nicht mehr länger hingenommen. Stattdessen wird immer wieder nach einer Art der Machtausübung getrachtet, die sich auf eine Gesetzesgrundlage stützt, die durch die öffentliche Meinung legitimiert wurde.

2.2. Das räsonierende Publikum verliert an Vitalität

Circa ab der Mitte der 19. Jhd. verliert dieses neue Publikum jedoch stetig an Vitalität und das kritische Potenzial nimmt massiv ab. Habermas erkennt dafür verschiedene Gründe:

„„Mit der Ausdehnung der öffentlichen Autorität über private Bereiche ist auch der gegenläufige Prozess einer Substitution staatlicher Gewalt durch gesellschaftliche verbunden. Erst diese Dialektik einer mit fortschreitender Verstaatlichung der Gesellschaft sich gleichzeitig durchsetzenden Vergesellschaftung des Staates zerstört allmählich die Basis der bürgerlichen Öffentlichkeit: die Trennung von Staat und Gesellschaft.“29 Staatliches Eingreifen in die Privatsphäre wird somit gleichermaßen forciert, wie die Übertragung öffentlicher Kompetenzen auf private Körperschaften. Es entsteht eine repolitisierte Sozialsphäre, die eine Unterscheidung zwischen ‚öffentlich‘ und ‚privat‘ fast unmöglich macht.

„Andererseits, während die bürgerliche Öffentlichkeit vermittelte zwischen der Staatsgewalt und der Gesellschaft von Privatpersonen, die frei und gleich in einer Sozialstruktur agierten, in der sie ihre Interessen durch Verallgemeinerung artikulieren konnten, verschwindet mit der Entstehung des Monopolkapitals und dessen immer stärkerer Beeinflussung des Politischen diese in einer Gesellschaft von Kleineigentümern mögliche Symmetrie.“

Die öffentliche Sphäre verliert somit ihr wesentliches Charakteristikum: Sie ist nicht länger in der Lage, die Interessen und Bedürfnisse der Gesamtgesellschaft zu repräsentieren. Sie mutiert zu einer „Arena des Disputs von partikulären Interessen: Ideologie hinter dem Anschein eines rationalen Forums, das eigentlich nur den Legitimationszwang der politischen Macht befriedigt.“30

2.3. Der Verfall der politischen Öffentlichkeit

Im Zuge dieser komplex verknüpften Entwicklungen weicht die Diskussion zwischen kopräsenten Individuen an physischen Orten der medial vermittelten Kommunikation. Anfangs im 19. Jahrhundert übernehmen Druckerzeugnisse diese Funktion, später im 20. Jahrhundert die elektronischen Medien. Laut Habermas geht diese technologische Expansion jedoch nicht einer optimierten politischen Kommunikation einher. Stattdessen prophezeit er den Niedergang der politischen Öffentlichkeit.

„Das bisher räsonierende Publikum wird zu einem konsumierenden Publikum von Produkten, die zur leichten Aufnahme durch die Massen aufbereitet werden; die öffentliche Meinung wird von Meinungsindustrien inszeniert, für die das Publikum lediglich eine eher akklamativ denn rational mobilisierbare Ressource darstellt, wenn ein breiter gesellschaftlicher Konsens zur politischen Legitimierung simuliert werden soll.“31

Fortan bestimmen Medien oder Meinungsindustrien den Kreislauf der öffentlichen Meinungsbildung. Informelle Meinungen existieren zwar noch, geraten aber kaum noch in kommunikative Räume, in denen sie diskutiert oder Publizität erlangen könnten.

Es übernehmen flüchtige Selbstverständlichkeiten und von der Kulturindustrie produzierte Moden den Fokus der etablierten öffentlichen Räume. Das konsumierende Publikum unterscheidet sich massiv vom einstigen räsonierenden Publikum.

„Diese Gruppe ist so wenig ‚Publikum„ wie jene Formationen der vorbürgerlichen Gesellschaft, in denen die alten opinions traditionssicher sich ausbildeten und unpolemisch, mit der Wirkung eines ‚law of opinion‘ umliefen.“32

Der Soziologe Ingolfur Blühdorn geht in diesem Kontext - ähnlich wie Habermas - so weit, dass er von einer „simulativen Demokratie“33 spricht, in der Bürger zwar einen deutlich breiteren und einfacheren Zugang zu Informationen besitzen, aufgrund einer unübersichtlichen und zu komplexen Gesellschaft jedoch den Überblick verlieren, resignieren, und die öffentliche Arena schlussendlich Experten überlassen. Stattdessen suchen sie ihre Freiheit in erster Linie als Konsument und ziehen sich ins Private zurück.

Laut Habermas existieren zwar vereinzelt weiterhin Individuen und Organisationen, die das kritische Denken partiell pflegen, aber ihr Potenzial, die Öffentlichkeit wiederherzustellen, sieht Habermas durchaus begrenzt. Er plädiert für eine Alternative, die die Stärkung organisationsinterner Öffentlichkeit, etwa von Bürgerzusammenschlüssen, vorsieht. Diese sollen Verbindungen zwischen „nichtöffentlichen“ und den „quasi-institutionellen“ Meinungen herstellen.

2.4. Habermas zum Potenzial der Medien, Revisionen und weiterführende Ansätze

Aus der aufgezeigten Entwicklung schlussfolgert Habermas einen eher schädlichen Einfluss der elektronischen Medien auf die Öffentlichkeit. Das öffentliche Kommunikationsgeflecht verliert die zur Analyse notwendige Distanz und zerfällt stattdessen in isolierte Rezeptionshandlungen. Die Diskussionsbereitschaft des Publikums reduziert sich folglich auf ein Minimum. Dennoch räumt Habermas im Vorwort der Auflage von 1990 von Strukturwandel der Ö ffentlichkeit ein:

„Die Resistenzfähigkeit und vor allem das kritische Potenzial eines in seinen kulturellen Gewohnheiten aus Klassenschranken hervortretenden, pluralistischen, nach innen weit differenzierten Massenpublikums habe ich seinerzeit zu pessimistisch beurteilt.“34

Seine Annahme, einer geradlinigen Entwicklung vom räsonierenden Publikum zum konsumierenden Publikum, so ergänzt Habermas, greife demnach zu kurz. Er verweist in diesem Zusammenhang auf Stuart Halls Unterscheidung von verschiedenen Interpretationsstrategien der Zuschauer, die sich demnach keineswegs geradlinig dem Angebot unterwerfen.35

Zweifel, ob das System der Massenmedien dazu in der Lage ist, sich von wirtschaftlichen, politischen und sozialen Einflüssen ausreichend zu befreien und wieder zum Motor der öffentlichen Meinungsbildung zu werden, ziehen sich dennoch durch Habermas‘ gesamtes Werk.

„Mit der Kommerzialisierung des und der Verdichtung des Kommunikationsnetzes, mit dem wachsenden Kapitalaufwand für und dem steigenden Organisationsgrad von publizistischen Einrichtungen wurde die Kommunikationswege stärker kanalisiert und die Zugangschancen zur öffentlichen Kommunikation immer größerem Druck ausgesetzt.“36

Mit dem Angebot leicht konsumierbarer Produkte wetteifern die Medienunternehmen, die wiederum weitgehend kommerziellen Motiven unterliegen, um die Aufmerksamkeit des Publikums. Potenzial, das kritische Räsonieren wiederzubeleben, findet Habermas hauptsächlich in Organisationen und Verbänden vor.

Im Vorwort einer neueren Auflage revidiert sich Habermas abermals und gesteht, dass er in der Erstauflage von Strukturwandel der Ö ffentlichkeit massiv unter dem Einfluss von Adornos Theorie der Massenkultur 37 gestanden habe. Ferner hatten auch die deprimierenden Ergebnisse der empirischen Studie Student und Politik 38 , an der Jürgen Habermas selbst mitgewirkt hatte, einen enormen Einfluss auf sein Werk.

Habermas‘ „Widersacher“ Niklas Luhmann erkennt 1996 in seinem wegweisenden Werk Die Realität der Massenmedien 39 die enorm machtvolle Stellung der Medien in den sich immer weiter ausdifferenzierenden Mediengesellschaften an.

„Was wir über die Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir über die Massenmedien.“40

Thomas Meyer macht später in Mediokratie. Die Kolonisierung der Politik durch die Medien ähnliche Feststellungen und betont, dass beim Vorgang der politischen Willensbildung, „die Massenmedien und ihre Kommunikationsregeln eine entscheidende Position […] einnehmen. Von einer Kolonisierung der Politik durch das Mediensystem kann gesprochen werden, wenn die dem Mediensystem eigentümlichen Regeln auf das politische System übergreifen und dessen eigentümliche Regeln dominieren oder außer Kraft setzen.“41

3. Strukturwandel der Öffentlichkeit in Indien

Um auf der Basis von Jürgen Habermas den Strukturwandel der Öffentlichkeit am Beispiel Indiens nachzuvollziehen, ist es unumgänglich, einige Vorbemerkungen zu tätigen, die die Besonderheiten der Gesellschaft des indischen Subkontinents gegenüber europäischen Gesellschaften herausstellen. Diesen Zweck soll das nachfolgende Kapitel erfüllen.

„The formation and development of the public sphere in India during the 19th and 20th centuries had a different trajectory [than in Europe]. This was primarily because India was under colonial domination and Indian society did not have the necessary independence to shape its destiny. The political, economic and intellectual conditions were qualitatively different from the one in which public sphere in Europa took shape.”42

3.1. Grundlagen zum Verständnis der indischen Gesellschaft

„Der soziale Raum Indiens bietet auf den ersten Blick ein Bild extremer Differenziertheit: hier leben eine Vielzahl sozialer und ethnischer Gruppen, die verschiedene Dialekte bzw. Sprachen sprechen, deren Überzeugungssysteme variieren, und die sich nach ihrer Alltagspraxis unterscheiden.“43

3.1.1. Sprachen

Wie die groß angelegte People's linguistic Survey of India aus dem Jahr 2013 belegt hat, werden in Indien 780 verschiedene Sprachen gesprochen.44 Gegenüber der offiziell angegebenen Zahl der indischen Regierung (122 vorhandene Sprachen45 ) wirkt diese Zahl zwar etwas aufgebläht, dies liegt aber daran, dass in der Studie auch Sprachen miteinbezogen wurden, die von weniger als 10.000 Menschen gesprochen werden. Dies unterstreicht Indiens enorme Diversität.

Die Ursache für diese enorme Vielfalt liegt in den vier vollkommen verschiedenen Sprachfamilien, die in Indien jeweils ihre zahlreichen Abkömmlinge haben. Wie Ber- ger erkennt, wird diese Konstellation zudem durch die jeweiligen Bestrebungen nach regionaler Differenzierung begünstigt und er fügt außerdem an, „[...] da[ss] Indien auch sprachlich kein 'Land' in europäischem Sinne darstellt, sondern einen Kontinent von großer ethnischer Vielfalt.“46 Insgesamt leben in Indien auf einer Fläche, die un- gefähr der neunfachen Fläche Deutschlands entspricht, etwa 1,2 Milliarden Men- schen. Die Bevölkerung erfährt weiterhin ein Wachstum, das durchschnittlich 1,7% entspricht.47

3.1.2. Kastensystem und Religionen

Während zu Beginn des 20 Jhd. in Indien noch gut ein Viertel der Bevölkerung Mus- lime waren, sind es aktuell noch circa 13% der Bevölkerung (was zwischen 160 und 180 Millionen Menschen entspricht). Knapp 2% der indischen Bürger sind Sikhs und etwas über 2% sind wiederum Christen. Ein überwältigender Teil der Bevölkerung von etwa 80% der Bevölkerung sind traditionell Hindus, weshalb eine kurze Erläute- rung zum Kastensystem, das zu den absoluten Grundlagen des Hinduismus gehört, unumgänglich ist.

Das Kastensystem ist im Wesentlichen zwar konsistent, andererseits aber auch nicht als rigide anzusehen. Es strukturiert die vielfältige indische Gesellschaft nach diver- sen Regeln.

„Die soziale Ordnung ist Ausdruck der religiösen Ordnung und mit dieser untrennbar verbunden.“48

Kasten sind geschlossene Gruppen, deren Mitgliedschaft ebenso durch Geburt er- langt wird wie der Beruf des jeweiligen Mitgliedes. Die Kasten untereinander sind streng hierarchisch nach dem Prinzip einer Reinheit-Unreinheit-Skala geordnet. Wäh- rend Brahmanen dem Ideal der Reinheit in Perfektion entsprechen und an der Spitze stehen, finden sich unter anderem Schuhputzer oder Straßenkehrer am Ende dieser Ordnung wieder.

„Die Kastenidee ist allumfassend und allgegenwärtig, durchdringt alle Bereiche der Gesellschaft und des täglichen Lebens. Die Gesamtheit der Kasten ergibt ein organisches Ganzes. Jede Kaste ist immer auf das Ganze bezogen und erlangt Bedeutung und Funktion nur aus dem Ganzen (Holismus).“49

3.1.3. Scheduled Tribes

Es existieren außerdem 698 Volksgruppen, die allesamt amtlich registriert sind und insgesamt 8,6% (104 Millionen) der Bevölkerung darstellen. Die Scheduled Tribes umfassen die Ureinwohner Indiens und sie leben stellenweise in enorm rohstoffrei- chen Gebieten, weshalb sie in Folge industrieller Interessen immer häufiger vertrie- ben und in ihrem natürlichen Lebensraum bedroht werden. Sie verfügen oft über ei- gene Sprachen und Kulturen.

Die Größe der verschiedenen Gruppen variiert extrem: Während die Bhil, Gond oder Santal mehrere Millionen Mitglieder umfassen, setzen sich die vom Aussterben be- drohten Jarawa oder Onge aus kaum mehr als 100 Mitgliedern zusammen. Einige indigene Gruppen leben bis heute autark und zurückgezogen in Wäldern und Gebir- gen. In Bezug auf das Kastensystem gelten sie als Unberührbare und somit als unrein und unzivilisiert. Ihre Nachfahren werden heute als Daliten bezeichnet.50

4. Britisch-Indien: Indien als britische Kolonie

Zum Ende des 17. Jahrhunderts hatte die mit königlichen Privilegien ausgestattete britische Ostindiengesellschaft (East India Company) Handelsstützpunkte in Madras, Bombay und Kalkutta etabliert. Indiens Kolonialisierung spielte zu diesem Zeitpunkt trotz verschiedener gewaltsamer Gebietsannektierungen nur eine untergeordnete Rolle. Im Kern ging es der Ostindiengesellschaft darum, sich ein attraktives Handelsmonopol zu sichern.

In der Folge degradierte England Indien zunehmend zum Rohstoffexporteur und es bildeten sich effiziente Handelsnetzwerke, von denen auch indische wirtschaftliche Eliten in Form einer „parasitären Symbiose“51 profitierten.

Als ‚brightest jewel in the British Crown‘52 genoss Indien als Exporteur von Tüchern und Stoffen im globalen Wettlauf um Rohstoffe für England hohe Priorität, da es gleichzeitig die Weltmachtansprüche der Britischen Krone legitimierte.

Aufgrund der entstandenen Handelsnetzwerke sowie den imperialistischen Bestrebungen Englands geriet Indiens Stellung als reine Stützpunktkolonie in den folgenden Dekaden jedoch zunehmend in Widerstreit. Das dezentralisierte Machtgefüge, das als Ergebnis einer turko-mongolischen Dynastie aus dem 16. Jahrhundert übrig geblieben war, trug einen erheblichen Teil dazu bei.

„Die hier entstehende Konkurrenzsituation erleichterte den europäischen Handels- kompanien die Allianzbildung mit oft widerstreitenden indischen Machtinhabern und verschaffte ihnen so ein militärisches Standbein auf dem indischen Subkontinent.“53

Unter anderem die Schlacht von Plassey 1757 stellte einen entscheidenden Schritt in Richtung der Kolonialherrschaft dar. Die Ostindiengesellschaft, deren Stützpunkte von Beginn an militärisch ausgerüstet waren, eroberte auf diese Weise in als „Verteidigungskrieg“ deklarierten Schlachten drei Fünftel Indiens bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Nur wirtschaftlich unrentable Regionen wurden indischen Machthabern überlassen. Indien wandelte sich so 1857 offiziell von einer Stützpunkt- zur Herrschaftskolonie.

„Die Ostindiengesellschaft wurde formell aufgelöst und Indien wurde unter die Verwaltung eines britischen Vizekönigs und eines dem britischen Kabinett angehörenden Indienministers gestellt.“54

Die Privatisierung des Bodens sowie die Einbindung der indischen Dörfer in einen wirtschaftlichen Markt, der bis nach Großbritannien reichte, bedeutete tiefgreifende Veränderungen. Zusätzlich wurden nach westlichem Muster Verwaltungsmethoden, Rechtsprechung und ein Bildungssystem eingeführt. Es war gleichzeitig der Beginn der Entstehung einer schmalen Schicht aus gebildeten Mittelklassen, die zu diesem Zeitpunkt häufig eine Karriere in der Kolonialadministration anstrebten. Zusätzlich hatte Justizminister Lord Macaulay 1835 Englisch zur alleinigen Verwaltungssprache erklärt.55 Dhavan kennzeichnet den Charakter der installierten Herrschaft wie folgt:

„The picture that emerges is that the entire ‚establishment‘, including the legislature, executive, bureaucracy, and the judiciary, has given an overriding and virtually absolute priority to the notional demands of public order.”56

4.1. Kolonialpolitik: Einführung des Repräsentativsystems

Um die gegenwärtige Konfiguration der Öffentlichkeit in Indien nachzuvollziehen, ist es zwingend notwendig, auf die britische Kolonialpolitik zurückzublicken, da sie bereits im 19. Jahrhundert Kommunikationsmuster etablierte, die wegweisend für die spätere Herausbildung der indischen Öffentlichkeit waren. Denn: Indien erlebte unter britischer Vorherrschaft einen regelrechten Umbruch:

„Not only had the British colonial state substituted itself for indigenous rulers. More, the indigenous system of community self-rule had been turned on its head. Where earlier the ruler had been required to play only an indirect role in this self-rule, the imperial state now designed a system that was much more intrusive.”57

Die kolonialen Besatzer drängten von Beginn an auf ein repräsentatives Regierungssystem, das die direkte Kommunikation und somit eine unmittelbare Beziehung zwischen Individuen und Staat kategorisch ausschloss.

„Thus, certain individuals would invariably be chosen as the representatives of the discrete communities identified by the colonial state and then represent the interests of the community, which acted as their political constituency. […] Yet where earlier the ruler had fully participated in public arena activity to establish his legitimacy, the imperial state had now withdrawn. In its place it had deputed certain local powerholders to act as its intermediaries.”58

Die Briten installierten von Beginn an ein System, das einer Segmentierung des indischen Volks sehr zuträglich war. Zuvor verstanden sich weder Hindus noch Muslime als homogen abgeschlossene Gemeinschaften, so wurden sie aber von den Administratoren von nun an eingeteilt. Benedict Anderson spricht in diesem Kontext von Imagined Communities 59 .

„Während der britischen Kolonialzeit wurden solche Vereinfachungen im Rahmen von Volkszählungen, zur Einteilung separater Wählerschaften, für Zuteilungen von Sitzen in Vertretungsorganen und Ähnlichem verwendet, also für kolonial-administrative Zwecke instrumentalisiert.“60

Diese von den Briten eingesetzte repräsentative Regierungsform hatte vielfältige Folgeerscheinungen. Amir Ali benennt eine wesentliche:

„More importantly, this representative mode of governance ensured that the native elites, the ones privileged by the British state as the legitimate representatives of their particular communities, had an important stake in this form of governance.“61

Es wurde somit die enorme Diversität und Vielfalt von Indiens Bevölkerungsgruppen noch akzentuiert. Es tut sich bereits an dieser Stelle ein Gegensatz zu den europäischen Gesellschaften des 17. Jhd. auf, deren Diskurs vor allem auf der Ebenbürtigkeit und Gleichheit der Bürger in ihrer Beziehung zum Staat beruhte. Während sich in den räsonierenden Gesellschaften Europas im 17. Jhd. die Identifikation der Bürger progressiv auf eine größere nationale Ebene entwickelte, spielte sich in Indien ein umgekehrter Prozess ab.

„Thus, when searching for integrative rituals in north India, we must look not to those rituals created by the state but to those that occupied the public arenas of U.P.. These activities, as they had been elaborated over much of the nineteenth century, had but little reference to the activities of the state.”62

Die Übertragung des europäischen Nationenmodells kam in Britisch-Indien nicht über einige oberflächliche Gemeinsamkeiten hinaus. Die regionalen Einflüsse erwiesen sich als zu stark. Der wesentliche Unterschied:

„As a result of these substantive differences anti-imperial agitators in north India drew not from the European model of state-individual relationships but from definitions of community established in north India in the late 19th century.”63

Im Zentrum dieser kommunalen Entwicklung stand die religiöse Identität. Infolgedessen entwickelte sich eine politisierte religiöse Identität, die mit Kommunalismus einherging. Aufgrund der ethnischen und kulturellen Besonderheiten in Indien stilisierte sich dieses Zusammenspiel zu einer sehr attraktiven Alternative zum Nationalismus.

Als Folge des Repräsentativsystems entstanden komplexe Abhängigkeitszirkel, an deren Spitze meist Mitglieder der oberen Kasten - ergo Brahmanen - standen. Ein Beispiel der großen Agarwal -Familien veranschaulicht dies:

„Ram Charan Das and his nephew Bisheshwar Das constructed new bathing places on the rivers Ganges and Jumna. The related Chunni Lal family built a temple and a charity house in the market. Someshwar Das, another Tandon, aided Malaviya in the foundation of a Hindu orphanage. The big Agarwal families also dotted the town with temples and rest houses, patronized the Ramlila committees, and became presidents of orthodox religious bodies in the Neighborhood.”64

Auf diesem Schema beruhend etablierte sich Patronage in Indien auf hohem Niveau. Sandria Freitag prägte in diesem Zusammenhang den Begriff der Public Arenas 65 .

„Public arenas facilitated popular participation in ritual enactment of the polity. They provided an important impetus to integration in 19th century India. By serving as a conduit for the expression of symbolic statements and of collective values […].”66

Sie erfüllten damit eine ähnliche Funktion wie die Form von Öffentlichkeit, die sich in West-Europa im 17. und 18. Jhd. etablierte, jedoch mit dem wesentlichen Unterschied, dass den Public Arenas eine Art Vermittler vorstand.

Britisch-Indien: Indien als britische Kolonie 25

„[…] natural leaders, provided the key to the state’s attitude toward public arenas.[…] Nevertheless, though the British realized eventually that much of their understanding of Indian society was either faulty or outdated […]”67

Das von den Briten intendierte Nationalstaaten-Model erwies sich unter den gegebenen Bedingungen in Indien als unpassend.

4.2. Ideologischer Rahmen und Wesen der Ecumene

C.A. Bayly verwendet, angelehnt an die christlich geprägte Oikoumene, den Begriff der Ecumene für die Form der kulturellen und politischen Debatte, die in Indien im 19. Jhd. typisch war. Unter anderem Kenneth W. Jones‘ Studie Religious Controversy in British India 68 hat wenig überraschend aber dennoch eindrucksvoll belegt, dass religiöse Diskussionen eine zentrale Rolle in der Ecumene einnahmen.

Trotzdem ist es unzureichend, die Ecumene auf religiöse Polemik zu reduzieren. Folgerichtig schreibt C.A. Bayly den indischen Debatten ebenso einen volkstümlichen wie auch politischen Charakter zu.

„The issues in contention related to religion, but in its public manifestation. They also concerned the interpretations of history and the obligations of indigenous rulers and colonial rulers. Many of the diplomats and munshis […] played a part in them. Rather than being collaborators with colonial rule, they regarded themselves as mediators between the people and the government, cajoling both […]. These discourses on rights and duties informed a sphere of patriotic, public activity […].”69

Zumindest oberflächlich scheinen die jeweiligen Regeln der beiden größten in Indien vertretenen Religionen, ergo des Hinduismus und des Islams, einer kritischen Öffentlichkeit grundsätzlich im Wege zu stehen. Louis Dumont geht in dieser Hinsicht sogar so weit zu sagen, dass die stringenten Regeln des Hinduismus die politischen aufhoben.70 Diese Schlussfolgerung ist in Anbetracht der tatsächlichen Realität jedoch massiv zu bezweifeln, da auch in den Konzepten des Hinduismus und des Islams ein nicht unwesentliches Maß an Ambiguität und Flexibilität steckt.

„In Muslim thought, the authority of the sultan was most uncertain and, in the Twelver Shia tradition, even verged on the illegitimate. The sultan’s power was not only limited by Islamic law and the interpretation of the learned but also by the collective authority of the tribe and the general assembly of believers.”71

In der Scharia findet sich genügend Interpretationsspielraum, der das kritische Räsonnement der Individuen keineswegs von vorn herein ausschließt. Zudem beanspruchten arabische Sayyids, Scheichs oder die mystisch-religiösen und spirituellen Sufis einen sozialen Sonderstatus, der ihnen zusätzliche Kontrollmöglichkeiten einräumte. Diese übten sie solange aus, bis die Kolonialmacht gegen Ende des 19. Jhd. ihnen diese informellen Befugnisse entzog.

Der Hinduismus erwies sich, je nach Lesart, ebenfalls in vielerlei Hinsicht als fragil oder flexibel.

„The purity of the Brahmin and hence, his authority was compromised by his position in society. He could withdraw and reserve his purity […], or he could participate in society and its rituals, and risk pollution. […] the Brahmin became a tricky, dangerous commodity, a thorn in the flesh of both the king and the layman.”72

Wie eine Studie von J.C. Heestermann73 nahelegt, wurde die machtvolle Stellung der Brahmanen respektive des Königs zum Ende des 19. Jhd. immer häufiger zur Disposition gestellt. Hinzu kamen zwei weitere strukturelle Ambiguitäten des Hinduismus, die die existierende Hierarchie in Frage stellten. Zum ersten: Apadharma.

„To a greater or lesser extent, this idea was used to explain the world as it really existed in the present age of Iron. Apadharma could be introduced to legitimate violations of caste rules, the suspension of religious ceremonies, the abandonment of hereditary occupation or the commission of unrighteous deeds by kings and Brahmins.”74

Zusätzlich predigten Gelehrte zunehmend, dass die einzig wahre Hingabe Gott (Bhakti) zu gelten habe und stellten infolgedessen weltliche Hierarchien nachhaltig zur Debatte. Die sog. Bhakti-Bewegungen gewannen deshalb besonders bei Daliten enorm an Einfluss.

„Though they were not revolutionary in a modern sense bhakti movements encouraged people to question social and political authority, and in many cases, they prescribed rational rules for social life.”75

Somit spielte sich die Politik gegen Ende des 19. Jhd. in einer äußerst komplexen Konstellation ab. Zusammengefasst handelte es sich um ein Zusammenspiel von öffentlichen Reputationen der Community-Leader unter der Bauernschaft, den Mitgliedern der unteren Kasten, Kaufleuten und der britischen Autorität. Diese Einflüsse standen wiederum in einem zum Teil widersprüchlichen und kompetitiven Verhältnis.

„Thus, the words for association - samaj and sabha - which become part of the western-style debate of the later nineteenth century, were not simply communities. Such words could be used to designate collectivities which spilled over the boundaries of social and religious groupings and represented temporary collections of individuals engaged in debate or judgement…”76

Als wesentliche lokale Einrichtungen der Debatte und Information etablierten sich in Indien Coffee- und Tee-Shops, die damals üblichen Smoking-Etablissements, der Basar oder auch Süßwarengeschäfte. Die an den Diskussionen teilnehmenden Personen waren jedoch zumeist ungebildet und von sozial schwacher Stellung.

„[N]ewsletters written from the courts of rulers, across the country, were copied by hand in relatively limited numbers. As in the case of later printed newspapers […] the information they purveyed seems to have become public property very quickly.”77

Eventuelle kastenspezifische Grenzen oder religiöse Abgrenzungen konnten im Rahmen dieser Debatten zum Teil überwunden werden.

„The north Indian critical ecumene, as has been described, spilled over the bounds of caste, community, and sect, it encompassed a dialogue between elite and popular political culture. It stands as reminder that Indian social life cannot be reduced to the behaviourist simplicities of hierarchy and segmentation.”78

Familien reichten die Rundschriften untereinander weiter und auf den Basaren verstreuten sich die Informationen inflationär. Kompakte soziale Netzwerke aus Schlächtern, Blumenverkäufern, Händlern, Handwerkern etc. hielten die politische Diskussion und Kommunikation stetig aufrecht und organisierten ggf. auch Demonstrationen.

“The Indo-Muslim conception of government embodied sophisticated concepts of just und unjust rule, zulum (oppression), which could be introduced into popular debate on the merits auf rulers through poetic satire, handbills, speeches, and by ironic visual displays during popular festivals.”79

Insofern folgte die Debattenkultur in ihrer Themenwahl ähnlichen Mustern wie die räsonierenden Gesellschaften Habermas’.

„These events, however, are evidence of a continuing ecumenical critique; they should not be seen as sudden upsurges of resistance from tyrannized and voiceless subalterns….”80

Da das Bildungssystem Indiens im 19. Jhd. maximal rudimentär ausgeprägt ist und demnach die Alphabetisierungsrate verschwindend gering ist, fanden diese Debatten hauptsächlich auf oraler Ebene statt. Anweisungen der Kolonialmacht wurden auf Englisch veröffentlicht, so dass Übersetzer in die Sprachen der Bevölkerung unabdingbar wurden und diese ihre Rollen zum Teil kritisch interpretierten.

„[…] bilingual professionals had an advantage over local notables who did not know the language. They become familiar with the official ‚public idiom‘, both in speech and in writing, in order to understand and interact with the state machinery. These first politicians, […], then translated such concepts and language into the vernacular, and publicly held the state up against its own rules.”81

Diese Form der Kommunikation empfanden britische Administratoren zunehmend als bedrohlich, da sie kaum zu kontrollieren war.

„During the Nepal and Burma wars, during the Multan revolt of 1848, anti-British Information and rumor was determinedly spread by these means.“82

Dennoch ist es wichtig, an dieser Stelle Einschränkungen vorzunehmen. Auch wenn im Rahmen der beschriebenen Kommunikation kastenspezifische und religiöse Schranken oftmals überwunden werden konnten, gab es dennoch einige wesentliche Komplikationen, die den unkomplizierten, offenen und gleichen Zugang zur Diskussion erschwerten. Denn: Die Beziehung der beiden großen Religionen Indiens untereinander ist traditionell als schwierig und brüchig zu kennzeichnen. Dem Verhältnis zwischen Hindus und Muslimen liegt der folgende Konflikt zugrunde:

„Die Idee, die Muslime Indiens seien fremd, knüpfte an die Eroberung des Subkontinents durch die Moghuln an. Diese politische Geschichte wurde zum religiösen Charakteristikum stilisiert: der Aggression und Missionsaufgabe des Islam […]. Denn auf Grund seiner angeborenen Toleranz sei der Hindu zugleich unfähig, sich selbst und seine Kultur gegen diejenigen zu verteidigen, die angeblich so ganz anders sind: eben die Muslime, deren Religion aggressiv, hegemonial und intolerant sei. Die inhärente Toleranz der Hindus wird zu ihrer Schwäche, die überwunden werden muss.“83

[...]


1 Luhmann, Niklas: Soziale Systeme: Grundriss einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main 2002.

2 Vgl. Ebd. S. 30ff.

3 Jarren, Ottfried/ Donges, Patrick: Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft: eine Einfüh- rung. Wiesbaden 2011.

4 Zitiert nach: Statista: Ausgestrahlte TV-Werbespots in Deutschland in den Jahren 2002 bis 2014. In: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/4771/umfrage/anzahl-der-tv-werbespots-in- deutschland-seit-2000/ (Letzter Zugriff: 10.09.2015).

5 Zitiert nach: Statista: Ausgestrahlte TV-Werbeminuten in Deutschland in den Jahren 2002 bis 2014. In: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/4769/umfrage/tv-werbesekunden-in-deutsch- land-seit-2000/ (Letzter Zugriff: 10.09.2015).

6 Welzer, Harald: Ohne jede Bodenhaftung. In: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzei- gen/36743/. Veröffentlicht: 2012 (Letzter Zugriff: 10.09.2015).

7 BPB: Wahlbeteiligung nach Bundesländern. In: http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fak- ten/bundestagswahlen/55588/nach-bundeslaendern. Veröffentlicht: 14.10.2009 (Letzter Zu- griff: 10.09.2015).

8 General election turnout since 1945, by region In: http://www.ukpolitical.info/Turnout45.htm 2009 (Letzter Zugriff: 10.09.2015).

9 Bertelsmann Stiftung: Bundestagsdebatten: Mehr Schlagabtausch unterm Bundesadler? In: http://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2014/dezember/bundes- tagsdebatten-mehr-schlagabtausch-unterm-bundesadler/. Veröffentlicht: 08.12.2014 (Letzter Zugriff: 10.09.2015).

10 Ebd

11 Deutsche zeigen wenig Interesse an Europawahl. In: http://www.handelsblatt.com/politik/deutsch- land/zdf-politbarometer-deutsche-zeigen-wenig-interesse-an-europawahl/9752230.html. Ver- öffentlicht: 11.04.2014 (Letzter Zugriff: 10.09.2015).

12 Election Commission of India: State wise Turnout for General Election 2014. In: http://eci.nic.in/eci_main1/GE2014/RptSTATE_WISE_TURNOUT.htm (Letzter Zugriff: 10.09.2015).

13 Kohli, Atul: Introduction. In: (Hg.) Kohli, Atul: The Succes of India’s Democracy. Cambridge 2001. S.3.

14 Bertelsmann Transformationsindex 2014. In: http://www.bti-project.de/index/status-index/ (Letzter Zugriff: 10.09.2015).

15 Panikkar, K.N.: Religion in the public sphere. In: http://www.thehindu.com/todays-paper/tp-o- pinion/religion-in-the-public-sphere/article178376.ece. Veröffentlicht: 8. September 2009 (Letzter Zugriff: 10.09.2015).

16 Vgl. Protokoll: Gespräch mit K. am 01.12.2014 an an einer indischen Universität

17 Schubert, Klaus/ Klein, Martina: Das Politiklexikon. Bonn 2011. (Keine Seitenangabe).

18 Ebd.

19 Ebd.

20 Eckert, Julia: Der Hindu-Nationalismus und die Politik der Unverhandelbarkeit. In: APuZ B42.43/2002. Bonn. S.24.

21 Tanner, Albert: Mittelstand. In: Historisches Lexikon der Schweiz. Einsehbar auf: http://www.hls- dhs-dss.ch/textes/d/D13791.php. Veröffentlicht: 25.08.2009 (Letzter Zugriff: 10.09.2015).

22 Leguizamon, Fernando Mauricio: Vom klassischen zum virtuellen öffentlichen Raum: Das Konzept der Öffentlichkeit und ihr Wandel im Zeitalter des Internet. Berlin 2009. S. 38.

23 Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. München 1990. S.62.

24 Leguizamon, Fernando Mauricio: Vom klassischen zum virtuellen öffentlichen Raum: Das Konzept der Öffentlichkeit und ihr Wandel im Zeitalter des Internet. Berlin 2009. S. 38.

25 Vgl. Protokoll: Gespräch mit K. am 01.12.2014 an der XY University

26 Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. München 1990. S.98.

27 Ebd. S. 116.

28 Ebd. S. 121.

29 Ebd. S. 226.

30 Leguizamon, Fernando Mauricio: Vom klassischen zum virtuellen öffentlichen Raum: Das Konzept der Öffentlichkeit und ihr Wandel im Zeitalter des Internet. Berlin 2009. S. 41.

31 Ebd.

32 Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. München 1990. S.355.

33 Blühdorn, Ingolfur: Billig will Ich: Post-demokratische Revolution und Simulative Demokratie. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 4/2006. S. 72ff.

34 Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. München 1990. S.30.

35 Hall, Stuart: Encoding and Decoding in the TV-Divourse. In (Hall, Stuart): Culture, Media, Lan- guage. London 1980- S. 128-138.

36 Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. München 1990. S.27f.

37 Horkheimer, Max/ Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frank- furt am Main. 1969.

38 Habermas, Jürgen/ von Friedeburg, Ludwig/ Oehler, Christoph/ Weltz, Friedrich: Student und Politik. Neuwied 1961.

39 Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien. Wiesbaden 1996.

40 Ebd. S.9.

41 Meyer, Thomas. Mediokratie. Die Kolonisierung der Politik durch die Medien. 2001 Frankfurt am Main 2001. S. 10.

42 Panikkar, K.N.: Religion in the public sphere. In: http://www.thehindu.com/todays-paper/tp-o-

pinion/religion-in-the-public-sphere/article178376.ece. Veröffentlicht: 08. 09. 2009 (Letzter Zugriff: 10.09.2015).

43 Hermann Berger: Die Vielfalt der indischen Sprachen. In: (Hg.) Rothermund, Dieter: Indien. Kul- tur, Geschichte, Politik, Wirtschaft, Umwelt. München 1995. S. 101f.

44 The Hindu: Language Survey reveals diversity. In: http://www.thehindu.com/news/national/langu- age-survey-reveals-diversity/article4938865.ece. Veröffentlicht: 22.06.2013 (Letzter Zugriff:

10.09.2015).

45 Census of India 2001: General Note. In: http://www.censusindia.gov.in/Census_Data_2001/Cen- sus_Data_Online/Language/gen_note.html. (Letzter Zugriff: 10.09.2015).

46 Hermann Berger: Die Vielfalt der indischen Sprachen. In: (Hg.) Rothermund, Dieter: Indien. Kul- tur, Geschichte, Politik, Wirtschaft, Umwelt. München 1995. S. 101.

47 Vgl. Auswärtiges Amt: Indien. In: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/La- enderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Indien_node.html. (Letzter Zugriff: 10.09.2015).

48 Böck, Monika / Rao, Aparna: Aspekte der Gesellschaftsstruktur Indiens: Kasten und Stämme. In: (Hg.) Rothermund, Dieter: Indien. Kultur, Geschichte, Politik, Wirtschaft, Umwelt. Mün- chen 1995. S. 111.

49 Ebd.

50 Vgl. Hörig, Rainer: Indiens bedrohte Ureinwohner. In: http://www.bpb.de/internationales/asien/in- dien/44424/adivasi-in-indien. Veröffentlicht: 07.04.2014 (Letzter Zugriff: 10.09.2015).

51 Rothermund, Dietmar: An Economic History of India: from precolonial times to 1991. London 1993. S. 16.

52 Dharampal-Frick, Gita / Ludwig, Gita: Die Kolonialisierung Indiens und der Weg in die Unabhän- gigkeit. In: Der Bürger im Staat. 59/2009. S. 150.

53 Ebd.

54 Vgl. Ebd.

55 Vgl. Skoda, Uwe: Der Hindunationalismus in Indien. Berlin 2005. S. 7.

56 Dhavan, Rajeev: Moral Consensus in a Law and Order Society: Indian Responses. In: (Hg.): Arvind Rajagopal: The Indian Public Sphere. Readings in Media History. Neu-Delhi 2009 (Oxford University Press). S. 94.

57 Freitag, Sandria: Collective Action and Community: Public Arenas and the Emergence of Commu- nalism in North India. Neu-Delhi 1990 (Oxford University Press). S. 53.

58 Ali, Amir: Evolution of the Public Sphere in India. In: Economic and Political Weekly. Mumbai 2001. S. 2420.

59 Anderson, Benedict: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. London 1991.

60 Wolf, Siegfried/ Schultens, Rene: Hindu-Nationalismus - (k)ein Ende in Sicht! In: Der Bürger im Staat, 59 (2009), Nr. 3-4. S. 165.

61 Ebd.

62 Freitag, Sandria: Collective Action and Community: Public Arenas and the Emergence of Commu- nalism in North India. Neu-Delhi 1990 (Oxford University Press). S. 192.

63 Ali, Amir: Evolution of the Public Sphere in India. In: Economic and Political Weekly. Mumbai 2001. S. 2420.

64 Bayly, C.A.: Local Roots of Indian Politics: Allahabad, 1880-1920. Oxford 1975. S. 75.

65 Freitag, Sandria: Collective Action and Community: Public Arenas and the Emergence of Commu- nalism in North India. Neu-Delhi 1990 (Oxford University Press).

66 Ali, Amir: Evolution of the Public Sphere in India. In: Economic and Political Weekly. Mumbai 2001. S. 2420.

67 Freitag, Sandria: Collective Action and Community: Public Arenas and the Emergence of Commu- nalism in North India. Neu-Delhi 1990 (Oxford University Press). S. 56.

68 Jones, Kenneth W.: Religious Controversy in British India: Dialogues in South Asian Languages. Albany 1992.

69 Bayly, C.A.: The Indian Ecumene: An Indigenous Public Sphere. In (Hg.): Rajagopal, Arvind: The Indian Public Sphere. Readings in Media History. Neu-Delhi 2009 (Oxford University Press). S. 50.

70 Vgl. Dumont, Louis: The Caste System and its Implications. London 1970. S. 167-172.

71 Bayly, C.A.: The Indian Ecumene: An Indigenous Public Sphere. In (Hg.): Rajagopal, Arvind: The Indian Public Sphere. Readings in Media History. Neu-Delhi 2009 (Oxford University Press). S. 53.

72 Ebd. S. 55.

73 J.C. Heesterman: The Inner Conflict of Tradition: Essays on Indian Ritual, Kingship and Society. Chicago 1985.

74 Bayly, C.A.: The Indian Ecumene: An Indigenous Public Sphere. In (Hg.): Rajagopal, Arvind: The Indian Public Sphere. Readings in Media History. Neu-Delhi 2009 (Oxford University Press). S. 55.

75 Ebd.

76 Ebd. S. 57.

77 Ebd. S. 61.

78 Bayly, C.A.: The Indian Ecumene: An Indigenous Public Sphere. In (Hg.): Rajagopal, Arvind: The Indian Public Sphere. Readings in Media History. Neu-Delhi 2009 (Oxford University Press). S. 62.

79 Ebd. S. 54.

80 Ebd.

81 Orsini, Francesca: The Hindi Political Sphere. In (Hg.): Arvind Rajagopal: The Indian Public Sphere. Readings in Media History. Neu-Delhi 2009 (Oxford University Press). S. 125.

82 Bayly, C.A.: The Indian Ecumene: An Indigenous Public Sphere. In (Hg.): Rajagopal, Arvind: The Indian Public Sphere. Readings in Media History. Neu-Delhi 2009 (Oxford University Press). S. 59.

83 Eckert, Julia: Der Hindu-Nationalismus und die Politik der Unverhandelbarkeit. Vom politischen Nutzen eines (vermeintlichen) Religionskonfliktes. In: Aus Politik- und Zeitgeschichte 42/2002. S. 26.

Ende der Leseprobe aus 108 Seiten

Details

Titel
Die indische Öffentlichkeit im Strukturwandel. Eine Analyse beruhend auf Jürgen Habermas
Hochschule
Universität Rostock  (Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften)
Veranstaltung
keine
Note
1,4
Autor
Jahr
2015
Seiten
108
Katalognummer
V310171
ISBN (eBook)
9783668161047
ISBN (Buch)
9783668161054
Dateigröße
1293 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Indien, Narendra Modi, jürgen habermas, öffentlichkeit im strukturwandel, nationalismus, medien, hindutva, hindunationalismus
Arbeit zitieren
Erik Sabas (Autor:in), 2015, Die indische Öffentlichkeit im Strukturwandel. Eine Analyse beruhend auf Jürgen Habermas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/310171

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