Präsenz messen. Vergleich der Telepräsenz-Studien von Kim/Biocca und Witmer/Singer


Hausarbeit, 2014

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Studie von Taeyong Kim und Frank Biocca: „Telepresence via Television”

3. Studie von Bob G. Witmer und Michael J. Singer: „Measuring Presence in Virtual Environments”

4. Vergleich der beiden Ansätze: Präsenz messen

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

7. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

„Presence is defined as the sense of being in an environment. […] Telepresence is defined as the experience of presence in an environment by means of a communication medium. In other words , presence refers to the natural perception of an environment, and telepresence refers to the mediated perception of an environment.”[1]

Jonathan Steuer ist mit seiner Definition von „Präsenz“ und „Telepräsenz“ von 1992 einer der bekanntesten Wissenschaftler, die sich dem Thema angenommen haben, das in den 90er Jahren mit dem Aufkommen Virtueller Realitäten relevant wird. Geprägt wurde der Begriff Telepräsenz von Marvin Minsky, einem amerikanischen Forscher auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz, der Telepräsenz als Teleoperation an entfernten Orten definiert.[2] Der Empfindung mittels ferngesteuerter Geräte an weit entfernten Orten präsent zu sein, setzt Steuer seine erfahrungszentrierte Begriffsbestimmung entgegen: das Gefühl von Präsenz in mediatisierten Umgebungen. In Abgrenzung zu hardwarelastigen, technischen Definitionen[3] wie bei Minsky wird Telepräsenz bei Steuer zu einer Eigenschaft von Virtueller Realität, wobei nicht nur ein Computer sondern jedes Medium (mentale) Virtuelle Realität generieren kann.[4] Das Gefühl von Präsenz kann demnach auch beim Lesen eines Buches oder Briefes, beim Fernsehen oder beim Spielen eines Computerspiels aufkommen und differiert von Medium zu Medium, sowie von Individuum zu Individuum: „[…] telepresence is the extent to which one feels present in the mediated environment, rather than in the immediate physical environment.“[5] Laut Steuer sind es die Variablen Lebendigkeit und Interaktivität, die Präsenzgefühle auslösen und mit Telepräsenz positiv korrelieren: „[…] the more vivid and the more interactive a particular environment, the greater the sense of presence evoked by that environment.“[6]

Mathew Lombard und Theresa Ditton versuchen in ihrem Text „At the Heart of It All: The Concept of Presence“[7], der 1997 erschienen und bis heute von großer Bedeutung für die Präsenzforschung ist, die unterschiedlichen Definitionen von Präsenz zu systematisieren und die verschiedenen präsenzauslösenden Faktoren herauszuarbeiten. So unterscheiden sie zwischen sechs Konzepten von Präsenz: „Presence as social richness“ „Presence as realism“, „Presence as transportation“ – hier werden die Ansätze von Minsky und Steuer eingeordnet[8] – „Presence as immersion“, „Presence as social actor within medium“ und „Presence as medium as social actor“. Diese sechs Konzepte lassen sich in zwei umfassende Kategorien gruppieren: physisch und sozial. Physische Präsenz bezieht sich auf das Gefühl an einem anderen Ort physisch präsent zu sein, während soziale Präsenz auf den Zustand verweist, sich zusammen mit einem anderen Menschen in einer Umgebung präsent zu fühlen.[9] Noch zahlreicher sind die Faktoren bzw. Einflussgrößen von Präsenz, die sowohl formal, inhaltlich als auch nutzerbezogen sein können: von der Zahl der angesprochenen Sinne, über die Art der Aufgabe bis zur Medienkompetenz und Persönlichkeit des Rezipienten. Allen Konzepten liegt die zentrale Idee der Wahrnehmungsillusion einer Nicht-Mediation zugrunde. Lombard und Ditton konstatieren in ihrem Aufsatz, dass die Präsenzforschung noch am Anfang stehe und eine standardisierte konzeptuelle und operationale Definition erforderlich sei.[10] Zwölf Jahre später existiert noch immer keine allgemein anerkannte Definition von Präsenz. Es sind weiterhin die einfachen, den Gegenstand nicht erschöpfenden Definitionen von Lombard und Ditton – „perceptual illusion of non-mediation“[11] – und Carrie Heeter – „feeling of being there“[12] – welche die Diskussion bestimmen.[13]

Genauso unterschiedlich wie die Definitionen sind die Ansätze um Präsenz zu messen. Die schwierige Frage lautet: Wie kann man ein subjektives Gefühl messen? In der vorliegenden Arbeit sollen zwei Studien von Wissenschaftlern vorgestellt werden, die sich dieser Herausforderung gestellt haben; zum einen die Studie von Taeyong Kim und Frank Biocca “Telepresence via Television: Two Dimensions of Telepresence May Have Different Connections to Memory and Persuasion“[14], zum anderen die Arbeit von Bob G. Witmer und Michael J. Singer: „Measuring Presence in Virtual Environments: A Presence Questionnaire“[15]. Anschließend sollen die beiden Studien im Hinblick auf ihre Messmethoden verglichen und bewertet werden.

2. Studie von Taeyong Kim und Frank Biocca: „Telepresence via Television”

In der 1997 erschienenen Studie von Taeyong Kim und Frank Biocca im „Journal of Computer Mediated Communication“ zum Thema Präsenzfaktoren beim Fernsehen werden die Ergebnisse eines Experimentes über die Effekte von Blickwinkel und Raumbeleuchtung auf die Empfindung von Telepräsenz während des normalen Fernsehens vorgestellt. Die Autoren der Studie wollten untersuchen, ob das Telepräsenz-Konzept generalisierbar ist, also auch auf Medien mit niedriger sensorischer Immersion wie den Fernseher übertragen werden kann, wie es Steuer in seinem Text „Defining Virtual Reality: Dimensions Determining Telepresence“ konstatiert hat (vgl. 1.). Zudem ging es um die Frage, ob die Erfahrung von Telepräsenz mit Veränderungen im Erinnerungsvermögen oder der Persuasion, also einer Einstellungsänderung korreliert. In ihrer Definition von Telepräsenz stützen sich Kim und Biocca auf die Definition von Präsenz als physische Präsenz, genauer auf das „you are there“-Konzept[16] wie bei Steuer. Demnach liegt dann Telepräsenz vor, wenn sich der Zuschauer in der mediatisierten Umgebung, die durch die audio-visuellen Informationen des Fernsehers kreiert wird, präsent fühlt und zur gleichen Zeit nicht in der physischen Umgebung, die ihn umgibt, präsent ist.[17] Die Autoren stellten die Hypothese auf, dass sich Telepräsenz leichter einstellt, wenn die Informationen aus der unmediatisierten physischen Umgebung unterdrückt oder vermindert werden.[18] Um die Hypothese zu überprüfen wurden 96 Studenten auf sechs Experimentalgruppen aufgeteilt, in denen die Variablen Blickwinkel – hoch, mittel oder niedrig bzw. größere oder kleinere Fernsehbildschirme – und „unmediatisierte visuelle Stimuli“ – aktiv oder unterdrückt durch Ein- oder Ausschalten der Raumbeleuchtung – unterschiedlich manipuliert und kombiniert wurden. Als Stimulus wurde den Studienteilnehmern in einem nachgebauten Wohnzimmer eine fünfzehnminütige Dauerwerbesendung für ein Fitnessgerät, ein Tretfahrrad, gezeigt. Ziel war es, eine typische Fernsehatmosphäre zu schaffen. Nachdem die Studienteilnehmer einzeln den Stimulus angeschaut hatten, wurden sie direkt im Anschluss zu einem computergestützten Interview geführt.[19] Bei diesem Interview kamen „self-report measures“[20] zum Einsatz. Die Wahl dieses Instruments zur Messung von Telepräsenz begründen die Autoren der Studie damit, dass Telepräsenz als subjektive Beurteilung einer psychischen Erfahrung definiert wird. Aufbauend auf anderen empirischen Studien zur Telepräsenz, die sich auch der subjektiven Messmethode bedient haben, entwickelten Kim und Biocca eine Skala zur Selbsteinschätzung bzw. –auskunft (siehe Tab. 1). Die Probanden mussten angeben, ob sie der jeweiligen Aussage zustimmen oder diese ablehnen (siehe Tab. 1).[21] [22]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1: „Self-reported Telepresence Scale“ nach Kim und Biocca

Die Auswertung der Selbstauskünfte gemäß der entwickelten Skala ergab, dass die zwei Variablen Blickwinkel und nicht mediatisierte visuelle Stimuli keine Effekte auf die Erfahrung von Telepräsenz haben. Dafür gab es ein anderes überraschendes Ergebnis: Die Faktorenanalyse führte dazu, dass die acht Aussagen bzw. „items“ der Telepräsenz-Skala in zwei Faktoren gruppiert werden konnten, die beide zur Erfahrung von Telepräsenz beitragen (siehe Tab. 2). Der eine Faktor wurde von den Autoren als „arrival“ bezeichnet und als “feeling of being there in the virtual environment” definiert, während der andere Faktor „departure“ genannt und als “feeling of not being there in the physical environment” bzw. “not being here” definiert wurde.[23]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 2: „departure“/„arrival“-Konzept (Ergebnis der explorativen Faktorenanalyse)

Der erste Faktor „arrival“ misst also das Gefühl in der mediatisierten Umgebung präsent zu sein, zum Beispiel mit der Aussage: „Ich fühlte mich als wäre ich in der Welt, die der Fernseher kreiert hat“, während der zweite Faktor, „departure“ das Gefühl misst, nicht in der physischen Umgebung präsent zu sein, z.B. mit der Aussage: „Während der Sendung war mein Geist im Raum, nicht in der vom Fernsehen kreierten Welt.“ Dabei ist zu betonen, dass sich beide Faktoren nicht einander bedingen; der Rezipient kann sich in der virtuellen Welt (zum Teil) präsent fühlen, aber nicht vollkommen losgelöst bzw. entfernt von der physischen Umgebung sein, also sich weiterhin des Mediums, in diesem Fall des Fernsehers als Transportmittel in die virtuelle Umgebung, bewusst sein. Es handelt sich also um zwei voneinander unabhängige Dimensionen. Der „departure“-Faktor wird dabei zum Maß dafür, dass das Medium aus dem Wahrnehmungsbereich des Mediennutzers verschwunden ist, was mit einer stärkeren Telepräsenz einhergeht.[24] Nach diesem Ergebnis ist Präsenz graduierbar bzw. skalierbar. Eine Unterscheidung zwischen stärkerer und schwächerer Telepräsenz widerspricht der Auffassung anderer Wissenschaftler, wie Lombard und Ditton, die davon ausgehen, dass man sich entweder präsent fühlt oder nicht.[25]

[...]


[1] Steuer, Jonathan: Defining virtual reality: Dimensions determining telepresence, in: Journal of communication, Heft 42(4), 1992, S. 75 f.

[2] Vgl. Minsky, Marvin: Telepresence, in: OMNI magazine, 1980, S. 45-52.

[3] Thomas B. Sheridan unterscheidet in seinem 1992 erschienenen Aufsatz „Musings on Telepresence and Virtual Presence“ zwischen „telepresence“ und „virtual presence“, wobei ersteres die Präsenzerfahrung mittels Teleoperation beschreibt und letzteres die Präsenzerfahrung mittels Software (vgl. Sheridan, Thomas B.: Musings on Telepresence and Virtual Presence, in: Presence: Teleoperators and Virtual Environments, Heft 1, Cambridge Mass.: MIT Press 1992, S. 120).

[4] Vgl. Steuer, Defining virtual reality, S. 74 f, 79.

[5] Ebd., S. 76.

[6] Ebd., S. 89, vgl. auch S. 80-87.

[7] Lombard, Matthew/ Ditton, Theresa: At the Heart of It All: The Concept of Presence, in: Journal of Computer‐Mediated Communication, Heft 3, 1997 (http://jcmc.indiana.edu/vol3/issue2/lombard.html).

[8] Lombard und Ditton verwenden den Begriff „Präsenz“ und nicht „Telepräsenz“. Telepräsenz wie sie Minsky und Steuer definiert haben, wird von den verschiedenen Konzepten von Lombard und Ditton jedoch erfasst (vgl. Lombard, At the Heart of It All, S. 4 f.). Der Begriff Telepräsenz betont den Gebrauch von Kommunikationsmedien für den Transport in eine andere Umgebung (vgl. Biocca, Frank: The Cyborg's Dilemma: Progressive Embodiment in Virtual Environments, in: Journal of Computer‐Mediated Communication, Heft 3, 1997).

[9] Vgl. van Baren, Joy/ IJsselsteijn, Wijnand: Measuring Presence: A Guide to Current Measurement Approaches, OmniPres project IST-2001-39237, 2004 (http://www.immersive-medien.de/sites/default/files/biblio/Presence Measurement.pdf), S. 1.

[10] Vgl. Lombard, At the Heart of It All, S. 23.

[11] Ebd. S. 8.

[12] Vgl. Heeter, Carrie: Being There: The Subjective Experience of Presence, in: Presence: Teleoperators and Virtual Environments, Cambridge Mass.: MIT Press 1992 (http://commtechlab.msu.edu/randd/research/beingthere. html).

[13] Vgl. Wagner, Ina/ Broll, Wolfgang/ Jacucci, Giulio [u.a.]: On the Role of Presence in Mixed Reality, in: Presence: Teleoperators and Virtual Environments, Heft 18(4), Cambridge Mass.: MIT Press 2009, S. 250 f.

[14] Kim, Taeyong/ Biocca, Frank: Telepresence via Television: Two Dimensions of Telepresence May Have Different Connections to Memory and Persuasion, in: Journal of Computer-Mediated Communication, Heft 3, 1997.

[15] Witmer, Bob G./ Singer, Michael J.: Measuring Presence in Virtual Environments: A Presence Questionnaire, in: Presence: Teleoperators and Virtual Environments, Heft 7(3), Cambridge Mass.: MIT Press 1998, S. 225-240.

[16] Vgl. Lombard, At the Heart of It All, S. 4.

[17] Vgl. Kim, Telepresence via Television, S. 7.

[18] Vgl. ebd., S. 5.

[19] Vgl. Kim, Telepresence via Television, S. 6,9 f.

[20] Ebd., S. 7.

[21] Vgl. ebd., S. 7.

[22] Aufgrund des begrenzten Umfangs der vorliegenden Arbeit kann die Studie nicht ausführlich vorgestellt werden. Da es in dieser Arbeit vor allem um die Messung von Telepräsenz geht, ist hier auch der Schwerpunkt gesetzt worden. Die weiteren Messungen zum Erinnerungsvermögen und zur Markenpräferenz, sowie die daraus resultierenden Ergebnisse können dem Text von Kim und Biocca entnommen werden (vgl. ebd., S. 8 f., 12, 14 f.)

[23] Die Begriffe wurden auf der Basis von Richard Gerrigs „being transported“-Konzept gewählt. In seiner Arbeit “Experiencing Narrative Worlds: On the Psychological Activities of Reading” von 1993 geht Gerrig auf die Erfahrung des Lesers von Romanen ein, in narrative Welten transportiert zu werden, die das Medium kreiert. Seine Theorie besagt, dass der „Reisende“ mithilfe eines Transportmittels als Ergebnis bestimmter Handlungen in eine andere Umgebung transportiert wird und am Ende in seine ursprüngliche Umgebung ein wenig verändert zurückkehrt. Präsenz wird demnach zu einer Art Sinnesreise. Im Unterschied zu Gerrig gehen Kim und Biocca jedoch, den Ergebnissen der Studie folgend, davon aus, dass das Gefühl von Präsenz nicht auf eine Umgebung begrenzt ist, wie es Gerrig mit der Formulierung „moment-to-moment-feeling” zum Ausdruck bringt (vgl. Kim, Telepresence via Television, S. 2 f.).

[24] Vgl. ebd., S. 14 f.

[25] Vgl. Lombard, At the Heart of It All, S. 8.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Präsenz messen. Vergleich der Telepräsenz-Studien von Kim/Biocca und Witmer/Singer
Hochschule
Technische Universität Berlin  (Sprache und Kommunikation)
Veranstaltung
„Being There“ – Einblicke in die Präsenzforschung
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
16
Katalognummer
V310297
ISBN (eBook)
9783668087590
ISBN (Buch)
9783668087606
Dateigröße
526 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Telepresence, Telepräsenz, Präsenz, Presence, Steuer, Künstliche Intelligenz, Messen, Medien, Fernsehen, Studie
Arbeit zitieren
Corinna Gronau (Autor:in), 2014, Präsenz messen. Vergleich der Telepräsenz-Studien von Kim/Biocca und Witmer/Singer, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/310297

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