Enhancement von Körper und Geist und die soziale Gerechtigkeit


Hausarbeit, 2010

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Probleme marktliberalen Enhancements
2.1 Sozialstaatliches Enhancement?
2.3. Enhancement des Körpers, Enhancement des Geistes

3 Schluss – Das Rawls’sche MaxiMin-Prinzip

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Es könnte beispielsweise bei abgeschlossenem Studium für jedes Kind, das vor Vollendung des 30. Lebensjahres der Mutter geboren wird, eine staatliche Prämie […] ausgesetzt werden. […] Die Prämie – und das wird die politische Klippe sein – dürfte allerdings nur selektiv eingesetzt werden, nämlich für jene Gruppen, bei denen eine höhere Fruchtbarkeit zur Verbesserung der sozioökonomischen Qualität der Geburtenstruktur besonders erwünscht ist.“[1]

Der Gedanke, die „Qualität“ der Menschheit durch Bildung und Erziehung oder aber äußere Eingriffe zu „verbessern“, ist wohl so alt wie die Menschheit selbst und manifestiert sich durch Jahrtausende hinweg in den allermeisten Kulturen. Die Frage nach der Moralität von Enhancement oder Eugenik wird proportional zu dem Fortschreiten der technischen Möglichkeiten lauter und präsenter. Und neben der „politischen Klippe“, die es nach dem umstrittenen Ex-Finanzsenator (und mittlerweile auch Buchautor) Thilo Sarrazin zugunsten einer staatlich geförderten, intelligenzorientierten Fortpflanzungsselektion zu überwinden gilt, wird auch die technologische Klippe vor der totalen Erschließung und Verfügbarmachung des menschlichen Erbguts immer niedriger. Soll Enhancement, ob durch eugenische Eingriffe oder Eingriffe am „fertigen“ Individuum, moralisch und gesetzlich erlaubt sein? Wenn ja, inwieweit soll es der freien Marktwirtschaft zugänglich gemacht werden oder staatlicher Kontrolle unterliegen? Was wären mögliche soziale Konsequenzen? Mit diesen Fragen möchte ich mich in der vorliegenden Arbeit beschäftigen. Die Frage nach der Moralität von Enhancement soll dabei ausschließlich im Hinblick auf mögliche soziale Konsequenzen desselben beleuchtet werden und nicht im Hinblick auf die Verletzung möglicher Natürlichkeitswerte. Bei der Unterscheidung verschiedener Formen, in denen Enhancement in der Gesellschaft auftreten könnte, möchte ich mich an einem Aufsatz von Bernward Gesang orientieren[2]. Gesang unterscheidet die Begriffe zentrales Enhancement, dezentrales Enhancement, marktliberales Enhancement und (in Anlehnung an J. Glover) sozialdemokratisches Enhancement, das ich aber lieber sozialstaatliches Enhancement nennen möchte, da es sich hier um eine von einer sozialen Marktwirtschaft bedingte und regulierte Form von Enhancement handelt. Zentrales Enhancement ist gekennzeichnet durch staatlich gelenkte Programme zu großflächigen Eingriffen in natürlich vorkommende Eigenschaften des Menschen im Sinne einer Eugenik, wie sie den Nationalsozialisten oder George Orwell (mit jeweils entgegengesetzter Bewertung) vorschwebten. Dass die sozialen Konsequenzen eines systematischen staatlichen Eingreifens in die Fortpflanzung der Bevölkerung in höchstem Grade unmenschlich wären und dass derartige Strukturen glücklicherweise weit davon entfernt sind, Realität zu sein oder zu werden, setze ich als allgemein anerkannt voraus, deshalb möchte ich diese Möglichkeit nur am Rande betrachten. Tatsächlich weisen einige Quellen darauf hin, dass nicht alle Diskursteilnehmer eine gesellschaftsumfassende Eugenik als Dystopie betrachten. Der Weg von einer staatlichen Prämie für garantiert intelligenten Nachwuchs zur gesellschaftlichen „Qualitätssicherung“, wie Sarrazin sie für wünschenswert hält, bis hin zu staatlichen Vorgaben für genetische Dispositionen, die den Bürger erst zur Fortpflanzung berechtigen, ist nicht besonders weit. Auch die ökonomische Situation vieler hochentwickelter Länder im Hinblick auf deren Gesundheits- und Sozialsysteme lässt für einige Diskursteilnehmer eine gentechnische Lösung der finanziellen Probleme in diesem Bereich sehr vielversprechend erscheinen[3].

Abgesehen von der durchaus bestehenden Gefahr eines Orwellschen Szenarios, das eintreten würde, sollten totalitäre Staaten in den Besitz umfangreicher Enhancement ermöglichender Technologien gelangen, möchte ich mich in dieser Arbeit aber vor allem mit den möglichen sozialen Auswirkungen von dezentralem Enhancement befassen, also einem Enhancement, das nicht aktiv vom Staat ausgeübt, sondern lediglich von ihm legalisiert und/oder zur Verfügung gestellt wird. Zukünftige Eltern und Individuen, die den Wunsch haben, sich selbst oder ihren Kindern zu technisch verbesserten physischen oder psychischen Voraussetzungen und Fähigkeiten zu verhelfen, könnten im Falle eines dezentralen Enhancements also je nach Bedarf auf bestimmte Maßnahmen zurückgreifen, die ihren Wunsch erfüllen. Innerhalb des dezentralen Enhancements muss außerdem unterschieden werden zwischen marktliberalem und sozialstaatlichem Enhancement. Ersteres würde bedeuten, verbessernde Eingriffe gegen Bezahlung vornehmen zu lassen – deren Höhe durch Angebot und Nachfrage geregelt würde. Sozialstaatliches Enhancement dagegen läge vor, wenn der Staat dezentrales Enhancement in bestimmten Formen fördern oder benachteiligen, also regulieren, würde. Es ist wichtig, sozialstaatliches Enhancement nicht mit zentralem Enhancement zu verwechseln. Der wesentliche Unterschied ist, dass der Staat verbessernde Maßnahmen fördern kann, ohne dabei die Entscheidungs- und Reproduktionsfreiheit der Bürger zu verletzen. Im Begriff des zentralen Enhancements ist enthalten, dass diese Freiheiten durch den Staat verletzt werden, weil er sich über sie hinwegsetzt, wenn er Gesetze und Vorgaben zur Fortpflanzung und physischen Beschaffenheit seiner Bürger schaffen würde. Sozialstaatliches Enhancement liegt dann vor, wenn verbessernde Maßnahmen marktwirtschaftlich zugänglich sind, jedoch durch bestimmte legislative Rahmenbedingungen eingeschränkt oder gefördert werden. Die Rechte der Bürger wären in diesem Fall nicht verletzt. Ihre Freiheit, selbst zu entscheiden, welche Angebote des Marktes sie wahrnehmen wollen und welche nicht, bleibt unangetastet. Diese Freiheit würde durch den sozialen Druck, der durch dezentrales Enhancement in der Gesellschaft entstünde, entwertet. Ich möchte später versuchen, diese These näher zu begründen. Gesang unterscheidet außerdem zwischen Enhancement als Erbprivileg (vorgeburtliche verbessernde Maßnahmen) und Enhancement für Jedermann ( auch Erwachsenen zugängliche verbessernde Maßnahmen)[4]. Hauptziel meiner Arbeit ist es, alle genannten Formen des dezentralen Enhancement und deren mögliche Konsequenzen zu untersuchen, um schließlich zum Versuch eines Fazits zur sozialen Verantwortbarkeit von Enhancement zu gelangen.

2 Probleme marktliberalen Enhancements

Die grundsätzliche Idee, sich selbst oder den eigenen Nachkommen durch gentechnologische Eingriffe ein angenehmeres Leben zu verschaffen, scheint den meisten Menschen sehr reizvoll. Vorgeburtliches Enhancement, also die Selektion und Hervorhebung bestimmter genetischer Eigenschaften einer befruchteten Eizelle, verschafft dem ungeborenen Menschen unter Umständen sehr große Vorteile gegenüber anderen, deren pränatale Entwicklung ohne Eingriffe verlaufen ist. Die Attraktivität solcher Eingriffe wird zusätzlich dadurch gesteigert, dass zukünftige Eltern kein Risiko durch sie eingehen: befruchtete Eizellen können in beliebiger Anzahl nachproduziert werden; würde ein Enhancement-Versuch an der Zelle misslingen, würde sie entsorgt und der Eingriff an einer anderen Zelle wiederholt. Im Falle eines Misslingens hat also salopp gesagt keiner der Beteiligten etwas zu verlieren, abgesehen von dem sich im embryonalen Stadium befindlichen Lebewesen – das aber nicht als Beteiligter gewertet wird und außerdem keinerlei Rechte einfordern kann.

Bei postnatalem Enhancement dagegen besteht das moralische Problem des Embryonenverbrauchs nicht. Der (im besten Fall erwachsene) Mensch kann selbst entscheiden, welche seiner Eigenschaften er verbessern will und in welcher Form.

Würden sich vorgeburtliche verbessernde Maßnahmen dem Markt eröffnen und in der Gesellschaft etablieren, würde es auf Dauer natürlich trotzdem nicht ausschließlich schöne, kluge und leistungsfähige Individuen geben. Ein einfacher Grund hierfür ist, dass viele Schwangerschaften nicht geplant sind.[5] Das genetische Material dieser Kinder wäre also ein Produkt der natürlichen Lotterie, während eine andere Gruppe Kinder derselben Generation aus geplanten, genetisch verbesserten Zellen entstehen würde. Wenn die enhancten Individuen heranwachsen und die Vorteile ihrer durch technische Eingriffe gewonnenen Fähigkeiten und Eigenschaften wahrnehmen und genießen würden, hätten sie wahrscheinlich den Wunsch, auch ihren eigenen Kindern die Vorteile zu gewähren, die sie selbst genossen haben.[6] Damit würde dauerhaft eine Gesellschaft aus zwei Gruppen entstehen, zwischen denen eine wesentliche Chancenungleichheit bestünde. Vor allem bei Formen des Enhancements, die vor oder während der Embryogenese vorgenommen werden, wären die Vorzüge, die die Individuen dieser Kaste hätten, so groß, dass kein unverbesserter Mensch sie jemals durch Fleiß, Erziehung oder Bildung wieder aufholen könnte[7]. In der nicht bevorteilten Gruppe würde eine enorme Frustration und somit auch Aggression entstehen, was den sozialen Frieden stark bedrohen würde. Die Entstehung und Zementierung einer genetischen Aristokratie wäre in höchstem Maße undemokratisch und nicht den Werten entsprechend, die in Deutschland und anderen westlichen Demokratien gesellschaftlich etabliert und erhaltenswert sind.

Auf den ersten Blick sieht es bei postnatalem Enhancement anders aus. Es scheint keine Gefahr der Entstehung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft zu bestehen. Die Crux ist jedoch, dass dieser Eindruck täuscht, denn wäre Enhancement marktliberal verfügbar, hieße das konkret, dass nur die Wohlhabenden Zugang dazu hätten. Wer den Preis für „nachträgliche“ Verbesserungen an Körper und Geist nicht zahlen kann, bleibt unenhanced und wird somit auf Dauer zum zweitklassigen Menschen abgestuft. Marktliberales, postnatales Enhancement führt vielleicht nicht zu einer fest zementierten, unveränderbaren Klassengesellschaft, aber in jedem Fall zu einer massiven Ausweitung und Radikalisierung bereits bestehender sozialer Ungerechtigkeiten. Die einzige Möglichkeit, die Auswirkungen dieser Kluft zu mildern, bestünde darin, Enhancement im Rahmen des Sozialstaats der Allgemeinheit zugänglich zu machen und staatlich zu regulieren, welche Bürger welche Form von Enhancement vornehmen lassen dürfen. Die Problematik dieser Idee soll im nächsten Abschnitt zur Sprache kommen.

[...]


[1] Sarrazin, Thilo: Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen. München: Verlags-Anstalt 2010. S. 389f.

[2] Gesang, Bernward: Enhancement und Gerechtigkeit. In: Eugenik und die Zukunft. Hrsg. Von Stefan Lorenz Sorgner, H. James Birx, Nikolaus Knoepffler. München / Freiburg: Karl Alber 2006. (=Angewandte Ethik. Bd. 3). S. 128f.

[3] In einem Forschungsprogramm mit dem Titel „Prädiktive Medizin“, das bereits 1989 bis 1991 von der EU (damals noch EG) durchgesetzt werden sollte, heißt es: „[es ist] wichtig, dass wir so viel wie möglich über Faktoren der genetischen Prädisposition lernen und somit stark gefährdete Personen identifizieren können. Zusammengefasst zielt prädiktive Medizin darauf ab, Personen vor Krankheiten zu schützen […] und die Weitergabe der genetischen Disponiertheit […] zu verhindern. Wenn die Gene identifiziert worden sind, […] wird sich die Möglichkeit zur Reihenuntersuchung der Bevölkerung ergeben. In Westeuropa, mit einer Bevölkerung mit zunehmendem Durchschnittsalter und einem damit verbundenen stetigen Kostenanstieg im Gesundheitswesen, sind die Aussichten auf billigere [Gen]tests als auch auf frühzeitiges Eingreifen […] äußerst attraktiv. […] die Schaffung eines Europas der Gesundheit [ist] nicht nur eine Frage der Öffentlichkeitsarbeit, sondern gelebte Realität.“(Bundesdrucksache 11/35555, S.275f). Aus dem Programm, das später vom Europaparlament gestoppt wurde, sprechen deutlich bedenkliche eugenische Tendenzen auch im Hinblick auf Kostengesichtspunkte. Die „Schaffung eines Europas der Gesundheit“ durch „frühzeitiges Eingreifen“ lässt sich kaum anders interpretieren als die Grundlegung einer Biopolitik, die eine gentechnische Gestaltung der Gesellschaft zum Ziel hat.

[4] Gesang 2006, S.131f.

[5] Harris, J.: Clones, Genes and Immortality. Ethics and the Genetic Revolution. Oxford: Oxford University Press 1998.

[6] Gesang meint hier, die genetische Verbesserung von Menschen sei nur dann ungerecht einer zweiten, unverbesserten Gruppe von Personen gegenüber, wenn die künstlich hervorgehobenen Fähigkeiten und Eigenschaften dem Individuum extrinsische Vorteile verschaffen würde, also seine gesellschaftliche Leistung steigern würden. Demgegenüber stünden intrinsische Vorteile, wie die „Freude […], sein schönes Gesicht im Spiegel zu betrachten oder besonders schnell laufen zu können“ (Gesang 2006, S.131). Die Unterscheidung erübrigt sich jedoch, denn diese „Freude“ wird nur dann empfunden, wenn auch andere die betreffende Eigenschaft positiv bewerten. Wohl kaum ein Mensch würde sich über eine in seinen Augen schöne Nase freuen, wenn alle anderen Menschen sie als unschön und verbesserungsbedürftig betrachten.

[7] Siep, Ludwig: Normative Aspekte des menschlichen Körpers. In: Kurt Bayertz (Hg.): Die menschliche Natur. Paderborn 2005: mentis. S. 157-173.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Enhancement von Körper und Geist und die soziale Gerechtigkeit
Hochschule
Universität Münster  (Philosophisches Seminar)
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
18
Katalognummer
V310313
ISBN (eBook)
9783668086814
ISBN (Buch)
9783668086821
Dateigröße
480 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
enhancement, körper, geist, gerechtigkeit
Arbeit zitieren
Sophia Artmann (Autor:in), 2010, Enhancement von Körper und Geist und die soziale Gerechtigkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/310313

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