Korporatismus in Dänemark


Term Paper (Advanced seminar), 2003

18 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhalt

1.) Einleitung

2.) Die Entstehung der Gewerkschafts- und Wirtschaftsverbände in Dänemark

3.) Administrativer Korporatismus
3.1) Administrativer Korporatismus am Beispiel der Gewerkschaften
3.2) Administrativer Korporatismus am Beispiel der Arbeitgeberorganisationen

4.) Dänischer Korporatismus im Wandel
4.1) Von der Politikformulierung zur Politikimplementierung
4.2) Vom Korporatismus zum Lobbyismus

5.) Korporatismus und die Vermeidung der Politikverflechtungsfalle in Dänemark
5.1) Die Politikverflechtungsfalle
5.2) Gründe für die Vermeidung der Politikverflechtungsfalle

6.) Fazit

7.) Literatur

1.) Einleitung

Unter Korporatismus versteht man in der heutigen Politikwissenschaft die zumeist auf freiwilliger Mitgliedschaft basierenden Arrangements der Interessenvermittlung in demokratischen Industrieländern, deren Kern die institutionalisierte, gleichberechtigte und freiwillige Kooperation und Koordination von Staat und Verbänden bei der Formulierung und Ausführung gesamtgesellschaftlich verbindlicher Entscheidungen ist. Im Unterschied zur pluralistischen Interessenvermittlung und im weiteren Unterschied zum klassischen Lobbyismus, werden im Korporatismus die Verbände in die Politikentwicklung verbindlich eingegliedert und somit in eine intermediäre Stellung gerückt, in der sie nicht nur die Interessen ihrer Mitglieder gegenüber dem Staat, sondern auch die Regierungspolitik gegenüber ihren Mitgliedern zu vertreten haben (Schmidt, 1995: 520). Dänemark gilt gemeinhin als eines der Musterbeispiele für solch eine, erfolgreiche, korporatistische Interessenvermittlung. Wo liegen die Wurzeln des dänischen Korporatismus, was macht ihn aus, welchen Wandel erfährt er in jüngster Zeit und warum erweisen sich die Staat-Verbände-Beziehungen dort als flexibler und möglicherweise fruchtbarer als beispielsweise ihr deutsches Pendant? Mit diesen Fragen möchte ich mich im Rahmen der hier vorgelegten Hausarbeit auseinandersetzen. Die Literaturlage erwies sich im deutsch- und englischsprachigen Bereich als nicht besonders umfangreich, dennoch hoffe ich mit dem mir vorliegenden Material ein zutreffendes Bild der Lage gezeichnet zu haben.

2.) Die Entstehung der Gewerkschafts- und Wirtschaftsverbände in Dänemark

Ab dem Jahre 1871 entstanden in Dänemark die ersten sozialistisch inspirierten Gewerkschaften, die von den Arbeitern selbst organisiert waren. Zu Beginn dieser Arbeiterbewegung in Dänemark waren die sozialistische Partei und Gewerkschaft organisatorisch noch nicht getrennt, spalteten sich jedoch 1878 in zwei Säulen auf, die gleichwohl personell verflochten blieben und politisch eng kooperierten (Christiansen et al., 2001: 56). Die dritte Säule der Organisation der Arbeiter bildeten, neben den genannten Gewerkschaften und der Partei, die Genossenschaften oder Kooperativen, die denen der Landwirtschaft glichen. Eine vierte Säule waren sogenannte Arbeitervereine, die im Bereich Freizeit und Kultur Aktivitäten für die Arbeiter, wie zum Beispiel Sport- und Gesangsvereine oder Volkshochschulen organisierten (Christiansen et al., 2001: 56). Wie bei den Arbeitern entsprangen auch in der gewerblichen Wirtschaft die Verbände den Zünften, sie erhielten jedoch die wesentlichen Impulse durch Industrialisierung und Liberalisierung sowie durch die politische Regulierung der Gewerbefreiheit. Für die gewerbliche Wirtschaft ist eine Differenzierung in sozialpolitische Arbeitgeber- und wirtschaftspolitische Unternehmerverbände kennzeichnend. Diese Differenzierung führte bis in die heutige Zeit hinein immer wieder auch zu Kompetenzstreitigkeiten, so zum Beispiel in Umweltschutz- und Ausbildungsfragen (Christiansen et al., 2001: 59).

Ein wichtiges Datum für das System der dänischen Interessenvermittlung stellt das Jahr 1899 dar, in dem es durch das sogenannte September-Abkommen zum ersten Grundsatzvertrag zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaften kam, in dem sich beide als kollektive Interessenvertretung anerkannten und somit den Grundstein für das dänische Konsensmodell legten. Dieses besagt, dass Löhne und Gehälter sowie andere Arbeitsbedingungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften tarifvertraglich festgelegt werden, dies, sofern notwendig auch unter Einschaltung eines staatlichen Schlichters geschieht, während dieser Verhandlungen Friedenspflicht besteht und eventuelle Streitigkeiten durch das Arbeitsgericht entschieden werden (Christiansen et al., 2001: 57). Ebenso wie in den anderen europäischen Ländern ist die Entstehung des modernen Verbändesystems also auch in Dänemark mit der Herausbildung und Entstehung sozialer Klassen, marktwirtschaftlicher Verhältnisse und eines modernen Staatsapparates verbunden. Mit ihren bis zu den ständischen Zünften und Gilden zurückreichenden Wurzeln strukturierte die dänische Klassenstruktur das Verbändesystem bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein. In einigen Fällen privilegierte der Staat die Entwicklung einzelner Verbände, diese Tatsache führte in der Folge in fast allen Bereichen zu einem äußerst engen Verhältnis zwischen Verbänden und dem politisch-administrativen System (Christiansen et al., 2001: 53). Das Verhältnis zwischen Verbänden und dem politisch-administrativen System etablierte sich jedoch erst nach und nach im Laufe des 20. Jahrhunderts. Korporative Strukturen auf dem Arbeitsmarkt gab es zwar, wie das September-Abkommen zeigt, schon Ende des 19. Jahrhunderts, doch erst die staatlichen Eingriffe während des ersten Weltkrieges und der Weltwirtschaftskrise führten zu festen Normen und Regeln für die Kooperation zwischen den Verbänden, Politikern und Beamten (Christiansen et al., 2001: 51).

3.) Administrativer Korporatismus

Der administrative Korporatismus ist der zentraler Mechanismus der Integration der Verbände in den politischen Entscheidungsprozess in Dänemark. Er wird durch die allgemeine Regel charakterisiert, dass Verbände dann in politische und administrative Entscheidungsprozesse eingebunden werden, wenn diese für ihre besonderen Interessen von Belang sind. Diese Einbindung betrifft grundsätzlich alle Teile des Entscheidungsprozesses, das heißt sowohl den Bereich der Politikformulierung als auch den der Politikimplementierung. Jedoch erfolgt die Beteiligung der Verbände nur teilweise auf formalisierter Grundlage, neben Normen spielen hier die Tradition der Zusammenarbeit eine wichtige Rolle. Daraus resultiert eine große Flexibilität, auf welche Art und Weise Verbandsinteressen jeweils miteinbezogen werden. Einerseits ist formell geregelt, wer beispielsweise im Bereich des Arbeitsmarktes als verhandlungsberechtigter Partner gilt, ebenso sind Mitgliedschaften in korporativen Gremien oftmals durch Gesetz festgelegt. Andererseits entscheidet auch der zuständige Minister, welche Verbände an Entwürfen, Konsultationen und Entscheidungen miteinbezogen werden. Die typisch dänische Konsensorientierung macht es allerdings zu einem seltenen Phänomen, dass Verbänden gänzlich die Möglichkeit genommen wird, ihre Gesichtspunkte vorzubringen. Jedoch gibt es auch Fälle, wie zum Beispiel bei den abschließenden Verhandlungen über den Haushalt, bei denen die Parteipolitik im Vergleich zum administrativen Korporatismus die dominierende Rolle spielt (Christiansen et al., 2001: 61/62).

3.1) Administrativer Korporatismus am Beispiel der Gewerkschaften

In Dänemark gibt es keine Industriegewerkschaften, die verschiedenen Berufsgruppen in den Betrieben gehören jeweils ihrer eigenen Gewerkschaft an. Eine zentrale Rolle spielt die gewerkschaftliche Arbeit auf betrieblicher Ebene, die von sogenannten Vertauensvertretern ausgeführt wird. Diese werden von den Mitgliedern der Gewerkschaften im Betrieb gewählt und stellen einerseits das Bindeglied zwischen Gewerkschaft und Mitgliedern dar und sind andererseits die Arbeitnehmervertreter gegenüber den Arbeitgebern. Der Organisationsgrad ist mit ca. 80% gewerkschaftlich organisierten Arbeitern in der privaten Wirtschaft vergleichsweise sehr hoch. Das liegt zum einen an der beschriebenen Rolle der Gewerkschaften auf betrieblicher Ebene, jedoch zu einem großen Teil auch daran, dass die Gewerkschaften in Dänemark die Arbeitslosenkassen verwalten. Es besteht formal die Möglichkeit, nur Mitglied der Arbeitslosenkasse zu sein, allerdings wird diese Variante von den Arbeitern nur selten gewählt. Die dänischen Gewerkschaften sind nach dem Prinzip der Einheitsgewerkschaft organisiert. Zwar haben sich die verschiedenen Einzelgewerkschaften in drei verschiedenen Dachverbänden (dänischer Gewerkschaftsbund, Zentralverband der Angestellten- und Beamtenorganisationen, Zentralverband der Akademiker) organisiert, jedoch regeln Absprachen unter diesen Dachverbänden die Mitgliedschaft, so dass es keine Konkurrenz um Mitglieder unter den Gewerkschaften gibt. Während den dänischen Gewerkschaftsbund eine enge, auch organisatorisch geregelte Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratischen Partei Dänemarks verbindet, sind die beiden anderen Dachverbände in ihrem Selbstverständnis parteipolitisch ungebunden (Meinertz, 1993: 84/85). Die Zusammenarbeit zwischen Verbänden, der Politik und der Administration im Bereich des Arbeitsmarktes muss in engem Zusammenhang mit dem oben erwähnten Konsensmodell gesehen werden. In Folge dieses Modells werden Materien, die in anderen Ländern durch Gesetzgebung geregelt werden, durch Absprachen zwischen den Verbänden geregelt. Dies hinderte in der Vergangenheit weder die Parteien des Arbeitsmarktes daran, enge Verbindungen zu Behörden aufzubauen, noch schloss es eine öffentliche Regulierung des Arbeitsmarktes völlig aus. So erhielten bereits zwei Jahre nach der Grundsatzvereinbarung von 1899, die oft als das Grundgesetz des Arbeitsmarktes bezeichnet wird, sowohl die Dachverbände der Arbeitnehmer als auch die der Arbeitgeber einen erheblichen Einfluss und eine herausragende Position in bezug auf die Durchführung der Fabrikgesetzgebung (Christiansen et al., 2001: 65). Durch die Einführung der Arbeitslosenversicherung im Jahre 1907 erlangten die Gewerkschaften, wie oben erwähnt, Kontrolle über die Arbeitslosenkassen. Sie organisieren diese bis heute und nehmen an deren Kontrolle und Aufsicht teil. Finanziert wird die Arbeitslosenversicherung jedoch nur zu einem kleineren Teil aus den Beiträgen der Gewerkschaftsmitglieder, den Löwenanteil machen staatliche Subventionen aus (Blom-Hansen, 2001: 398). Eine der sicherlich wichtigsten Rollen spielen die Gewerkschaften naturgemäß in den Tarifverhandlungen.

Jedoch kann hier das Verhältnis zwischen Tarifpartnern und Regierung nicht eindeutig mit dem Begriff Zusammenarbeit beschrieben werden. Von Bedeutung ist unter anderem welche Parteien die Regierung stellen. So haben frühere liberal-konservative Regierungen immer wieder Forderungen der Gewerkschaften nach Verbesserungen und neuen gesetzlichen Regelungen mit Verweis auf die Zuständigkeit der Sozialpartner zurückgewiesen (Meinertz, 1993: 84). Ebenso greift die Regierung auch in Tarifverhandlungen ein, so geschehen im Jahre 1985, wenn sie durch diese ihre wirtschaftspolitischen Ziele, die im wesentlichen durch das sogenannte magische Viereck charakterisiert sind, gefährdet sieht (Sidenius, 1987: 42).

Zwar werden die Gewerkschaften traditionell miteinbezogen, wenn es sich um Gesetze handelt, die den Arbeitsmarkt betreffen, jedoch nimmt die Regierung seit Anfang der sechziger Jahre auch verstärkt Einfluss auf die Tarifabschlüsse, sei es durch direkte Eingriffe in die Tarifverhandlungen oder durch Empfehlungen an die Tarifparteien. Als Beispiel kann hierfür die sozialpartnerschaftliche Erklärung aus dem Jahre 1987 herangezogen werden, in der man sich darauf einigte, dass die Lohnerhöhungen in Dänemark in absehbarer Zeit die des Auslandes nicht überschreiten sollten (Meinertz, 1993: 83/84). In diesem Zusammenhang spielte auch die besondere Abhängigkeit Dänemarks, als kleines Land, von den Import- und Exportmärkten eine wichtige Rolle.

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Details

Title
Korporatismus in Dänemark
College
Free University of Berlin
Course
Interessengruppen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland: Theorien - Strukturen - Einfluss
Grade
1,0
Author
Year
2003
Pages
18
Catalog Number
V31044
ISBN (eBook)
9783638321594
File size
498 KB
Language
German
Keywords
Korporatismus, Dänemark, Interessengruppen, System, Bundesrepublik, Deutschland, Theorien, Strukturen, Einfluss
Quote paper
Philip Kusch (Author), 2003, Korporatismus in Dänemark, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31044

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