Die Ganztagsschule als Instrument zur Entkopplung von Bildungschancen und sozialer Herkunft

Analyse der Wirksamkeit mit Pierre Bourdieus Habitus-Theorie


Term Paper, 2015

32 Pages, Grade: 1,3


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung und Fragestellung

2. Soziale Ungleichheit und Bildungsgerechtigkeit

3. Pierre Bourdieus Habitus-Theorie als Erklärungsansatz für soziale Ungleichheit im Bildungssystem
3.1 Bourdieus Habitus-Theorie
3.2 Habitus und Bildungsungleichheit
3.3 Zwischenfazit

4. Die Rolle der Ganztagsschule
4.1 Was ist Ganztagsschule und was soll sie bringen?
4.2 Wie kann die Ganztagsschule der Reproduktion sozialer Ungleichheit entgegenwirken?
4.3 Probleme der Ganztagsschule sozialer Ungleichheit entgegenzuwirken
4.4 Zwischenfazit

5. Wirksamkeitsstudien
5.1 Teilnahme an Ganztagsschulen
5.2 Soziale Ungleichheit in den StEG
5.3 Soziale Ungleichheit in der Studie Ganztagsschulen in Deutschland - eine bildungsstatistische Analyse von Prof. em. Dr. Klaus Klemm

6. Diskussion und Fazit

7. Literaturverzeichnis

A Anhang
A.1 Der Bildungstrichter

1 Einleitung und Fragestellung

Als im Jahr 2001 die Ergebnisse der PISA-Studie1 veröffentlicht wurden, entbrannte eine intensive Debatte über das deutsche Bildungssystem. Sie zeigten: Die durchschnittlichen Kompetenzen deutscher SchülerInnen lagen zum einen unter dem Durchschnitt der teilnehmenden OECD-Länder und zum anderen zeigte PISA, dass das Leistungsniveau in Deutschland in besonderem Maße von der sozialen Herkunft abhängt (vgl. exemplarisch Steiner, 2009: 81)

Als Ausweg aus der „Bildungsmisere“ (vgl. Adam, 2002: 3) geriet im Folgenden die Ganztagsschule in den Fokus. Eingeleitet durch Gerhard Schröders Regierungserklärung im April 2002 folgte daraufhin ein „Ausbauboom“ der bis heute anhält. „Ein halber Tag reicht nicht aus, um die Welt zu erklären“ (BMBF, 2003: 12) ist eines der vielfältigen Argumentationen für die Verlängerung der Schulzeit. Neben der Hoffnung, ein besseres Leistungsniveau zu erreichen, sollen Eltern durch die Nachmittagsbetreuung entlastet werden um so die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sicherzustellen. Von den verschiedenen Erwartungen an die Ganztagsschule wird in dieser Arbeit der Fokus auf eine mögliche positive Wirkung bei der Bekämpfung der Reproduktion sozialer Ungleichheiten im Bildungssektor gelegt. Es wird die Frage aufgeworfen, ob die Nachteile von Kindern aus sozial schwachen Milieus durch die Ganztagsschule abgeschwächt werden um somit Chancengleichheit in der Bildungsbeteiligung zu forcieren. Mit Hilfe der Habitus-Theorie von Pierre Bourdieu, die den theoretischen Rahmen für diese Arbeit darstellt und zwei Wirksamkeitsstudien, soll sich der Thematik angenähert werden. Abschließend soll eine Antwort auf die Frage formulieren werden, ob die Ganztagsschule die Bedeutsamkeit der sozialen Herkunft vermindert.

Zunächst wird in die Thematik der sozialen Ungleichheit eingeführt, indem für diese Arbeit wichtige Begriff näher erläutert werden. Anschließend werden soziale Disparitäten2 innerhalb des Bildungssystems analysiert. Dabei wird stets der Bezug zur Habitus-Theorie gesucht. Der zweite Teil beschäftigt sich anschließend mit der Ganztagsschule und den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, soziale Ungleichheit zu verringern. Ob diese Möglichkeiten ausgeschöpft werden und somit die Wirksamkeit empirisch belegt ist, wird zuletzt mit Hilfe einiger ausgewählter Befunde der StEG-Studie3 und der von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie Soziale Ungleichheit in der Ganztagsschulen in Deutschland untersucht um abschließend ein Fazit auf Basis der vorherigen Kapitel eine Antwort auf die zentrale Frage dieser Arbeit zu formulieren.

2 Soziale Ungleichheit und Bildungsgerechtigkeit

In diesem Kapitel wird sich mit den Begriffen soziale Ungleichheit und Bildungsgerechtigkeit beschäftigt um diese anschließend auf die sozialen Disparitäten im Bildungssystem anwenden zu können.

Soziale Ungerechtigkeit

Nach Hradil (2001: 30ff) tritt soziale Ungleichheit auf, wenn die Ressourcenausstattung oder die Lebensbedingungen aus gesellschaftlichen Gründen so veranlagt ist, dass Menschen wegen ihrer Stellung in sozialen Beziehungsgefügen regelmäßig bessere Lebens- und Verwirklichungschancen als andere haben.

Etwas weiter geht die Definition von Kreckel (2004: 15). Dieser spricht von zwei unterschiedlichen Formen der sozialen Ungleichheit. Die strukturell ungleiche Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen (Einkommen, Macht und Bildung) lässt verschiedene Klassen, Schichten oder Milieus, mit unterschiedlichen Ressourcenausstattungen entstehen. Daneben identifiziert Kreckel Prozesse der Zuweisung (Allokation). Dabei werden Individuen auf sozial differente Positionen verteilt, aus denen gesellschaftlich verankerte Formen der Bevorrechtigung und Begünstigung, bzw. Benachteiligung und Diskriminierung entstehen.

Der Begriff soziale Ungleichheit hat in der Gesellschaft zumeist eine negative Konnotation und wird mit einer sozial nicht akzeptablen Ungerechtigkeit verbunden. Dem entgegen führt Hradil aus, dass der Begriff im soziologischen Kontext offen lässt,

3 Studien zur ganztägigen Bildung

ob ein Sachverhalt sozialer Ungleichheit als gerecht bewertet wird oder nicht (vgl. Hradil, 2005: 29). Ein gewisser Grad von sozialer Ungleichheit ist in einer Gesellschaft durch die verschiedenen Rollen, die ausgefüllt werden müssen, kaum vermeidbar. Es lässt sich also zusammenfassend festhalten, dass soziale Ungleichheit einen Zustand beschreibt, in dem durch individuelle Stellungen im sozialen Gesellschaftsgefüge, Menschen stets mehr von den gesellschaftlichen Ressourcen erhalten als andere. Diesen Ressourcen rechnet Hradil neben materiellen Wohlstand, Macht und Prestige auch Bildung zu.

Bildungsgerechtigkeit

Obwohl der Begriff Bildungsgerechtigkeit seit Jahren im Mittelpunkt öffentlicher Debatten steht, wird er nicht einheitlich verwendet. „Die Frage bleibt offen, welchen Kriterien pädagogische Interaktionen und Bildungsinstitutionen entsprechen müssen, damit sie als gerecht bezeichnet werden können“ (Stojanov, 2013: 57). Giesinger (2007) sieht Gerechtigkeit im Bezug auf Bildung dann hergestellt, wenn alle SchülerInnen ein Bildungsniveau erreichen, das sie zu einem guten Leben innerhalb der Gesellschaft befähigt. Dabei bezieht er sich auf die von Randall Curren (1994) geforderten Schwelle sozialer Inklusion. Giesinger ergänzt dazu: „Wer fähig ist, ein höheres Bildungsniveau zu erreichen, soll darin, ungeachtet seiner finanziellen Möglichkeiten, seines Geschlechtes, seiner Hautfarbe oder ethnischen Herkunft gefördert werden“ (Giesinger, 2007: 379). Dabei bezieht sich der Begriff „fähig“ nicht auf die natürlichen Potenziale eines Kindes, sondern auf die konkrete Fähigkeit, Bildung aufzunehmen und ein gewisses Bildungsniveau zu erreichen (vgl. ebd: 379). Es ist demnach nicht ungerecht, wenn zwei Personen, denen ein gleiches Leistungspotenzial zugetraut wird, nicht das selbe Kompetenzniveau erreichen. Ungerechtigkeit liegt aber vor, wenn das unterschiedliche Niveau durch die schlechteren sozialen Verhältnisse des schwächer abschneidenden Schulkindes zu erklären ist.

3 Pierre Bourdieus Habitus-Theorie als Erklärungsansatz für soziale Ungleichheit im Bildungssystem

Die Ergebnisse der PISA-Studie im Jahr 2001 bestätigte eine von der Bildungsforschung seit langem bekannten Umstand. Die Schule in Deutschland trägt „ganz erheblich und unverändert mit zur sozialen Vererbung von sozialen Ungleichheiten“ bei (Merten, 2005: 120). In diesem Kapitel wird das Ausmaß der Ungleichheit beschrieben und die Phasen im Bildungsweg identifiziert, die soziale Ungleichheiten hervorrufen oder verschärfen können. Dabei wird stets die Habitus- Theorie von Pierre Bourdieu als theoretischer Hintergrund verwendet. Damit dies gelingt, wird zunächst das Konzept des Habitus in kurzer Form dargestellt.

3.1 Bourdieus Habitus-Theorie

In den wissenschaftlichen Debatten sind verschiedene Erklärungsansätze zu finden, die die Genese sozialer Disparitäten im Bildungssystem begründen. Diese Arbeit wird sich auf Bourdieus Habitus-Theorie konzentrieren.

Pierre Bourdieu erforschte seit den 1960er Jahren intensiv die soziale Ungleichheit der französischen Gesellschaft. Sein Klassenverständnis basiert auf einer Gesellschaft, die aus drei großen sozialen Klassen mit verschiedenen Lebensstilen besteht (vgl. Baumgart, 2008: 199ff). Die drei Klassen lassen sich wie folgt unterscheiden: Die richtungsweisende obere Klasse ist darauf aus, den sozialen Abstand zu den niedrigeren Klassen aufrecht zu erhalten. Die mittlere Klasse intendiert die Anpassung und den Aufstieg in die obere Klasse und die untere Klasse ist um die Aufrechterhaltung der eigenen Existenz bemüht.

Die genannten Klassen sollen dabei nicht als statisches Bild verstanden werden, in dem sie einzeln klar voneinander getrennt gesehen werden können (vgl. ebd: 208f). Die verschiedenen Klassen mit ihren jeweiligen Protagonisten sind nach Bourdieu in einem sozialen Raum organisiert, in dem die Menschen in unterschiedlichen Zusammenhängen und Beziehungen agieren.

Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, werde ich nicht Bourdieus gesamte Konzeption zur Genese sozialer Disparitäten beleuchten können, sondern fokussiere mich auf seine Habitus-Theorie.

Der Begriff Habitus wird in unterschiedlichen Disziplinen verwendet und hat jeweils eine eigene, kontextabhängige Definition. In der Philosophie bezeichnet Habitus eine erworbene Verhaltensdispositionen oder Gewohnheit und ist eng mit den moralischen Einstellungen eines Menschen verbunden (vgl. Prechtl & Burkard, 1999: 223f). Der Habitus befähigt den Menschen dazu, in unterschiedlichen Situationen flexibel und schnell zu handeln. Sobald sich eine neue Situation mit zurückliegenden Erlebnissen gleicht, sind die darauf folgenden Handlungen adäquater an die Situation angepasst. Da gleiche Situationen in der sozialen Realität generell nicht vorkommen, ist der Habitus regelmäßig zur Improvisation gezwungen.

Wenn zwischenmenschliche Interaktionen in der Praxis unter Zeitdruck ablaufen, verbindet der Habitus die ungewohnte Situation mit bereits bekannten und eingeübten Bewertungs- und Handlungsmodellen. Auf diese Weise werden Handlungen hervorgebracht, die zwar spontan, aber dennoch geregelt sind. Je weniger Zeit dem Individuum bleibt, um einen Rückgriff auf das Bewusstsein zu koordinieren, desto automatisierter und unbewusster fällt die Reaktion des Habitus aus (vgl. Lenger, Schneickert & Schumacher, 2013: 20). „Dies führt zu einer hohen Praxistauglichkeit, denn die Schematisierungen funktionieren ähnlich wie bei einem geübten Autofahrer, der die wesentlichen Grundelemente des Autofahrens derartig verinnerlicht hat, dass er nicht mehr über sie nachdenken muss“ (van Esser, 2013: S.35). Da Personen im eingangs beschriebenen sozialen Raum innerhalb der verschiedenen Klassen unterschiedlich verortet sind, entwickeln sie verschiedene Habitusformationen, die wiederum unterschiedliche Lebensstile zur Folge haben.

Nach Bourdieu ist der Habitus nicht angeboren, sondern wird im Rahmen von Leh r- und Sozialisationsprozessen erworben (vgl. Liebau, 2006: 363). Jeder Mensch wird in eine spezifische sozialen Zusammenhang hineingeboren und übernimmt anschließend die „geschmacklichen, moralischen und ästhetischen Gesetze, durch die das Alltagsleben des Milieus strukturiert wird“ (Bremer, 2007: 129). Die milieuspezifischen äußeren Bedingungen wirken sich so aus, dass Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen nur in solcher Form hervorgebracht werden, die innerhalb des jeweiligen

Milieus verankert sind.

Es besteht also ein Bedingungsgefüge zwischen Sozialisation und Habitus. Individuelle Wahrnehmung, Einstellungen und Orientierungen sind eng mit sozialstrukturellen Kontextfaktoren verwoben (vgl. van Essen, 2013: 34).

Menschen neigen tendenziell dazu, ihr Herkunftsmilieu nicht zu verlassen, weil sie sich dort mit ihren Denkweisen, Handlungsmustern, Strategien und Präferenzen am wohlsten fühlen. Sobald jedoch ein Milieuwechsel stattfindet, kann es zu einem misfit zwischen Habitus und der neuen sozialen Position kommen. Um einen konstruktiven Ausweg zu finden darf man den Habitus eines Menschen nicht zwangsweise als statisches Konstrukt ansehen. Er besitzt durchaus Veränderungspotenzial. Genau wie soziale Felder auf Grund von wirtschaftlicher, kultureller und politischer Entwicklung eine stetige Umgestaltung erfahren, befindet sich auch der Habitus in einem stetigen Wandel. So können die Habitusausprägungen durch bestätigende Strukturen noch verstärkt werden, oder durch zum Beispiel massive soziale Auf- oder Abstiege verändert werden (vgl. van Esser, 2003: 39). Aladin El-Mafaalanii identifiziert mögliche Auswirkungen eines sozialen Aufstieges auf den Habitus. Wenn ein Mensch in ein soziales Gefüge gerät, in dem er mit seinen habituellen Handlungsorientierungen und -strategien nicht weiterkommt, lassen sich zwei Reaktionsmöglichkeiten finden. Die „dauerhafte Nicht-Passung von Habitus und Situation“ (El-Mafaalanii, 2011: 93) kann nach einer Phase der Verunsicherung zu Orientierungslosigkeit und anschließendem Rückzug in das Herkunftsmilieu führen, oder aber zu einer Habitustransformation durch einen kreativen Lernprozess. Der Habitus kann also durchaus „in neuen sozialen Situationen neue Mittel zur Wahrnehmung alter Funktionen finden“ (Bourdieu, 1987: 102).

Dafür ist jedoch genügend Zeit im Fremdmilieu notwendig, da die Veränderungen des Habitus einer gewissen Trägheit unterliegt und somit erst mit Verzögerungen eintreten (vgl. van Essen, 2013: 39). Dieser sogenannten Hysteresis-Effekt lässt sich beobachten, wenn der Habitus beispielsweise an materielle Existenzbedingungen angepasst ist, die mit den aktuellen Existenzbedingungen nicht mehr übereinstimmen. Plötzliche Armut oder plötzlicher Reichtum führen gerade nicht zu einer entsprechenden unmittelbaren Habitus-Neuformierung. Stattdessen ist auch nach sozialen Auf- bzw. Abstiegen weiterhin die ursprüngliche Herkunft aus dem sozialen Verhalten ablesbar. „Praktische Beispiele für solche Hysteresis-Effekte ist ein proletarischer Habitus von sogenannten Neureichen oder ein ‚aristokratischer Habitus‘ des abgestiegenen Adels“ (Lenger et. al., 2012: 24).

3.2 Habitus und Bildungsungleichheit

Das Habituskonzept liefert eine plausible Erklärung für die Persistenz sozialer Ungleichheiten im Bildungssystem.

Erwachsene, die einem bestimmten sozialen Milieu angehören erziehen ihre Kinder diesem entsprechend. Da Kinder also bildungstheoretisch ihrem elterlichen Milieu zugeordnet werden können, lässt sich von einen Familienhabitus sprechen (vgl. Ecarius & Wahl, 2009: 22). Die soziale Herkunft ist demnach zu einem großen Teil verantwortlich, welche Habitusformation bei einer Familie vorliegt und ist somit die entscheidende Instanz, wenn es um die Aneignung und den Gebrauch kultureller Güter geht.

„In Familien, in denen sich das Musikhören nur auf das Radio und das Lesen nur auf die Boulevardpresse beschränken, werden die Kinder einen ganz anderen Geschmack entwickeln als in Familien, in denen Bücher gelesen, Museen und Theater aufgesucht werden, musiziert und über diese kulturellen Erlebnisse gesprochen wird“ (El-Mafaalani, 2012: 82).

Diese habituellen Orientierungen sind grundlegend für die Position und Praxis im sozialen Bildungsraum, der wiederum selbst strukturierend auf die Habitusformation Einfluss nimmt. Nach Bourdieu werden dadurch Bildungsprozesse und Bildungsentscheidungen in der Familie durch implizit erworbenen und vorreflexiven Bildungshaltungen mitbestimmen (vgl. Thiersch, 2014: 206). Die Auswirkungen auf den schulischen Bildungsweg sind eklatant.

„Die relativen Chancen von Arbeiterkindern, ein Studium aufzunehmen, sind weiterhin deutlich am schlechtesten“ (Allmendinger, Ebner & Nicolai, 2010: 55). Während von 100 eingeschulten Akademikerkindern später durchschnittlich 71 studieren, sind es nur 24 Arbeiterkinder, die sich an einer Universität oder Fachhochschule einschreiben (vgl. BMBF, 2010: 104). Der sogenannte Bildungstrichter ist im Anhang unter A.1 aufgeführt.

Wie es zu diesen unterschiedlichen Bildungswegen kommt, haben Maaz, Baumert und Trautwein (2009) untersucht und vier Bereiche identifiziert, an denen Bildungsungleichheiten generiert werden, entstehen oder verstärkt werden können.

Bereich 1: Bildungsübergänge

Bei Bildungsübergängen wird ein „sozial selektives Beratungs- und Empfehlungsverhalten von ErzieherInnen und Lehrkräften und ein sozialschichtabhängiges Entscheidungsverhalten von Eltern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen“ (Maaz, Baumert & Trautwein, 2009: 12) für soziale Ungleichheiten verantwortlich gemacht. Darüber, dass die Gelenkstellen von individuellen Bildungswegen, also Einschulung, Schulformwahl oder Wechsel zu weiterführenden Schulen ein maßgeblicher Faktor für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Bildungsungleichheiten ist, besteht in der Forschung Einigkeit ( vgl. Maaz et. al.,2009: 13).

An verschiedenen Punkten des Bildungsganges müssen Entscheidungen getroffen werden, die den weiteren Weg determinieren. Die sozialschichtspezifischen Bildungsentscheidungen resultieren dabei neben der schulischen Leistung des Kindes auch aus der Bildungsaspiration der Eltern. Es lässt sich feststellen, dass di e durch den Habitus generierten Bildungsaspirationen der verschiedenen sozialen Milieus ein unterschiedliches Entscheidungsverhalten hervorruft. Die familiäre soziale Stellung wird dabei als Grundlage für die Bildungsentscheidungen des Kindes genommen und der angestrebte Abschluss stets in Relation zum eigenen Milieu gesetzt (vgl. Maaz et al., 2009: 14f) „So besteht für ein Kind, dessen Eltern einen Hauptschulabschluss haben, auf dem Weg zum Abitur eine soziale Distanz, die Kindern aus Akademikerfamilien unbekannt ist. Entsprechend werden gleiche Bildungsabschlüsse, je nach soziokulturellem Hintergrund unterschiedlich bewertet und angestrebt“ ( Maaz et. al., 2009: 15).

Eltern aus der Oberschicht beabsichtigen bei guten Schulnoten ihrer Kinder fast immer, diese auf ein Gymnasium zu schicken. Bei Eltern aus einem schwächeren sozialen Milieu sind es aber nur 38%, die ihr Kind an einem Gymnasium anmelden. Noch stärkere schichtspezifische Unterschiede lassen sich bei SchülerInnen mit mittelguten Noten finden.

[...]


1 PISA (Programme for International Student Assessment) ist eine internationale Vergleichsstudie. Seit 2000 erfasst sie alle drei Jahre die Kompetenzen von 15 Jährigen in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften.

2 Soziale Disparitäten und soziale Ungleichheit wird in dieser Arbeit synonym verwendet.

3 Studien zur ganztägigen Bildung

Excerpt out of 32 pages

Details

Title
Die Ganztagsschule als Instrument zur Entkopplung von Bildungschancen und sozialer Herkunft
Subtitle
Analyse der Wirksamkeit mit Pierre Bourdieus Habitus-Theorie
College
University of Göttingen
Course
MBW500
Grade
1,3
Author
Year
2015
Pages
32
Catalog Number
V310623
ISBN (eBook)
9783668092181
ISBN (Book)
9783668092198
File size
858 KB
Language
German
Keywords
Chancengleichheit, Bourdieu, Soziale Ungleichheit
Quote paper
Tim Behrens (Author), 2015, Die Ganztagsschule als Instrument zur Entkopplung von Bildungschancen und sozialer Herkunft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/310623

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