Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte im Hinblick auf sprachförderrelevante berufliche Handlungskompetenzen


Examination Thesis, 2015

90 Pages, Grade: 2,0

Anonymous


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Einleitung

1 Begriffsbestimmungen
1.1 Berufliche Handlungskompetenzen
1.2 Sprache: Definition und Bedeutsamkeit
1.3 Sprachbildung, Sprachförderung, Sprachtherapie
1.3.1 Zur Wirksamkeit von Sprachförderung
1.4 Zusammenfassung

2 Sprachentwicklung
2.1 Grundannahmen des Spracherwerbsprozesses
2.2 Bereiche der Sprachentwicklung
2.2.1 Prosodie
2.2.2 Phonetik und Phonologie
2.2.3 Semantik und Lexikon
2.2.4 Grammatik
2.2.5 Pragmatik
2.3 Zwei- und Mehrsprachigkeit
2.4 Sprachauffälligkeiten und -störungen
2.5 Zusammenfassung

3 Sprachdiagnostik
3.1 Einführung in die (Sprach-) Diagnostik
3.2 Diagnostische Verfahren
3.3 Gütekriterien
3.4 Grenzen und Herausforderungen diagnostischer Verfahren
3.5 Zusammenfassung

4 Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen
4.1 Zum Prozess der Sprachförderung
4.2 Grundprinzipien von und Anforderungen an Sprachförderung
4.2.1 Spracherwerbsförderndes Verhalten
4.2.2 Verknüpfung mit der Sprachbildung und weiteren Bildungsbereichen
4.2.3 Soziale Beziehungen und Kommunikationspartner
4.2.4 Merkmale einer effektiven Sprachfördersituation
4.2.5 Kooperationen und institutionelle Rahmenbedingungen
4.3 Zusammenfassung

5 Bestimmung der sprachförderrelevanten beruflichen Handlungskompetenzen...
5.1 Professionswissen
5.2 Können
5.3 Personenbezogene Merkmale
5.4 Performanz
5.5 Zusammenfassung

6 Untersuchung der Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte
6.1 Personalstruktur frühpädagogischer Fachkräfte
6.2 Untersuchung der Vollzeitausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin an der Fachschule für Sozialpädagogik (Baden-Württemberg)
6.2.1 Beschreibung der sprachförderrelevanten Lehrplaninhalte
6.2.2 Vergleich der Lehrplaninhalte mit den sprachförderrelevanten beruflichen Handlungskompetenzen
6.2.3 Bewertung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen
6.3 Zusammenfassung

7 Zusammenfassung und Ausblick
7.1 Zusammenfassung
7.2 Ausblick und Forschungsdesiderate

Literatur- und Quellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Modell beruflicher Handlungskompetenzen

Abbildung 2: Sprachförderung als zyklischer Prozess

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Lehrplaninhalte der fachschulischen Erzieherinnenausbildung in Baden-Württemberg (Vollzeitausbildung)

Tabelle 2: Vergleich der sprachförderrelevanten beruflichen Handlungskompetenzen mit dem Vorhandensein in der fachschulischen Erzieherinnenausbildung in Baden-Württemberg (Professionswissen: Theoriewissen)

Tabelle 3: Vergleich der sprachförderrelevanten beruflichen Handlungskompetenzen mit dem Vorhandensein in der fachschulischen Erzieherinnenausbildung in Baden-Württemberg (Professionswissen: Praxiswissen)

Tabelle 4: Vergleich der sprachförderrelevanten beruflichen Handlungskompetenzen mit dem Vorhandensein in der fachschulischen Erzieherinnenausbildung in Baden-Württemberg (Können)

Tabelle 5: Vergleich der sprachförderrelevanten beruflichen Handlungskompetenzen mit dem Vorhandensein in der fachschulischen Erzieherinnenausbildung in Baden-Württemberg (Personenbezogene Merkmale)

Einleitung

Bereits im 19. Jahrhundert erkannte der als Begründer des Kindergartens geltende Friedrich Fröbel den hohen Stellenwert der Bildung in der frühen Kindheit (vgl. Kammermeyer 2003, S. 71). Insbesondere jedoch seit den für Deutschland prekären Ergebnissen der PISA-Studien, die hierzulande zum sogenannten PISA-Schock führten, wurde in Deutschland eine große, öffentlich geführte Diskussion über die Bedeutung einer frühen Bildung und Förderung von Kindern entfacht (vgl.

Kultusministerkonferenz/Jugend- und Familienministerkonferenz 2010, S. 4f.), welche - einhergehend mit gesellschaftlichen Veränderungen und neuen Forschungsbefunden (vgl. Faas 2013, S. 21) - dazu führte, dass die Erwartungen an die institutionelle Kinderbetreuung gestiegen sind. Frühpädagogische Einrichtungen sollen nun nicht mehr nur zur Betreuung der Kinder und zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen, sondern auch die Förderung der kindlichen Gesamtentwicklung unterstützen, die Kinder auf die Schule vorbereiten und, durch die Reduzierung von Defiziten, den Aufbau sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit ermöglichen. Als Folge dieser gestiegenen Erwartungen haben sich auch die Anforderungen an das frühpädagogische Personal verändert (vgl. vbw - Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. 2012, S. 21), sodass es zu verschiedenen Entwicklungen und Innovationen im Elementarbereich kam: U. a. wurde der Betreuungsbereich für Kinder unter drei Jahren ausgebaut, in allen Bundesländern wurden Bildungspläne für die Arbeit in Kindertageseinrichtungen eingeführt, etwa 50 frühpädagogische Studiengänge haben sich herausgebildet und die fachschulische1 Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin2 hat Umstrukturierungen erfahren (vgl. Kultusministerkonferenz/Jugend- und Familienministerkonferenz 2010, S. 4f.).

Im Fokus der gegenwärtigen Diskussionen um die frühkindliche Bildung stehen vor allem die Themen Sprache, Sprachbildung und Sprachförderung, was auch durch den besonderen Stellenwert, den diese Thematiken in den Bildungsplänen erhalten, verdeutlicht wird (vgl. Nickel 2014, S. 645). Dies ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass man sich der großen Bedeutung der Sprache für das gesamte Leben bewusst geworden ist. Sprache „öffnet das Tor zur Welt“ (Kany/Schöler 2010, S. 11) - wird sie beherrscht, sichert sie die Teilhabe an der (Sprach-) Gemeinschaft (vgl. Kany/Schöler 2010, S. 11) und eröffnet die Möglichkeiten, mit anderen Menschen zu kommunizieren und sich mitzuteilen (vgl. Ruberg/Rothweiler/Utecht 2012, S. 11). Sprachbeherrschung wird zudem als Schlüsselkompetenz angesehen, schließlich steht sie in Zusammenhang mit der späteren sozialen Integration (vgl. Faas 2013, S. 22) sowie mit der künftigen beruflichen und gesellschaftlichen Stellung (vgl. Kany/Schöler 2010, S. 11). Aufgrund dieser wichtigen Funktionen von Sprache zählt es zu den Aufgaben von frühpädagogischen Fachkräften, den kindlichen Spracherwerbsprozess zu begleiten und bestmöglich zu unterstützen (vgl. Ruberg/Rothweiler/Utecht 2012, S. 12).

Zahlreiche Studien beschreiben jedoch Mängel in der Sprachbeherrschung von Kindern: Etwa 10-15 % der Kinder eines Altersjahrgangs weisen demnach Spracherwerbsverzögerungen auf (vgl. Hopp/Thoma/Tracy 2010, S. 610). Die Gründe hierfür sind verschieden; häufig wird jedoch auf quantitativ und qualitativ unzureichende (Sprach-) Entwicklungsbedingungen verwiesen, welche nicht selten auf Migrationshintergründe oder auf bildungsferne Elternhäuser zurückgeführt werden. Dementsprechend haben diese Kinder einen erhöhten Bedarf an sprachlicher Unterstützung (vgl. Kany/Schöler 2010, S. 11). In fast allen Bundesländern wurden daher für sprachförderbedürftige Kinder intensive Sprachfördermaßnahmen eingeleitet, welche zusätzlich zu den alltagsintegrierten sprachlichen Bildungsaktivitäten in Kindertageseinrichtungen durchgeführt werden sollen (vgl. Ruberg/Rothweiler/Utecht 2012, S. 13). Dabei geht man von der Annahme aus, dass eine positive Beeinflussung des Spracherwerbs möglich ist, weil an diesem komplexen Prozess nicht nur biologische Faktoren (Anlagen), sondern auch Umwelt einflüsse, und damit der Sprachinput durch das kindliche Umfeld, beteiligt sind (vgl. Fried 2013, S. 175). Zudem werden frühe Maßnahmen als sehr effektiv und die ersten Lebensjahre als günstiger Zeitraum für beiläufiges Lernen gesehen, sodass nachfolgende Störungen der Sprache, welche nicht nur mit sprachlichen, sondern auch mit sozialen, emotionalen und schulischen Konsequenzen in Zusammenhang stehen, verhindert, zumindest aber verringert werden können (vgl. Kany/Schöler 2010, S. 11).

Bevor derartige Sprachfördermaßnahmen jedoch in den Alltag von Kindertageseinrichtungen integriert werden können, gilt es, einige Aspekte zu berücksichtigen. Neben den Überlegungen, wie (alltagsintegriert oder additiv), welche Kinder (z. B. bildungsbenachteiligte Kinder oder Kinder mit Migrationshintergrund) und was (z. B. Wortschatz oder Grammatik) gefördert werden soll, stehen insbesondere die Fragen im Vordergrund, wer überhaupt die Sprachförderung im vorschulischen Bildungsbereich durchführen soll (z. B. frühpädagogische Fachkräfte oder professionelle Fachkräfte des Sprachheilwesens) (vgl. Jungmann/Albers 2013, S. 24) und welche beruflichen Handlungskompetenzen die Sprachförderkraft3 aufweisen muss, schließlich bilden ihre Qualifikationen nach Reich (2008) das „Fundament der Sprachbildung und Sprachförderung im Kindergarten“ (Reich 2008, S. 9). Damit einher geht auch die Frage nach der Qualifizierung frühpädagogischer Fachkräfte im Bereich der Sprachförderung, denn diese sind, im Gegensatz zu Fachkräften des Sprachheilwesens, nicht explizit für diesen Aufgabenbereich ausgebildet (vgl. Deutsche Gesellschaft für Sprachheilpädagogik o. J., S. 1f.).

Aufgrund dessen soll in der vorliegenden Arbeit den Fragen nachgegangen werden, welche beruflichen Handlungskompetenzen für eine Sprachförderung relevant sind und inwiefern die Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte diese sprachförderrelevanten beruflichen Handlungskompetenzen berücksichtigt.

Dazu gilt es zunächst, den Begriff berufliche Handlungskompetenzen zu konkretisieren, die Definition und Bedeutsamkeit von Sprache herauszuarbeiten sowie den Terminus Sprachförderung von Sprachbildung und Sprachtherapie abzugrenzen. Nach einem Exkurs zur Wirksamkeit von Sprachförderung wird auf drei Bereiche eingegangen, die zur Bestimmung der sprachförderrelevanten beruflichen Handlungskompetenzen notwendig sind: Sprachentwicklung, Sprachdiagnostik und Sprachförderung. Der erste Bereich(Sprachentwicklung) beschäftigt sich mit den Grundannahmen des Spracherwerbsprozesses, den Bereichen der Sprachentwicklung, der Zwei- und Mehrsprachigkeit sowie mit Sprachauffälligkeiten und -störungen. Nach der Darstellung dieser Grundlagen des kindlichen Spracherwerbs wird auf die Sprachdiagnostik eingegangen. Neben allgemeinen Grundlagen von (Sprach-) Diagnostik stehen diagnostische Verfahren, wissenschaftliche Gütekriterien sowie die Grenzen und Herausforderungen diagnostischer Verfahren im Mittelpunkt des Kapitels. Im Anschluss daran folgt der dritte Bereich: Die Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen. Dieses Kapitel handelt von dem Prozess von Sprachförderung sowie von Grundprinzipien von und Anforderungen an die Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen. Anhand dieser theoretischen Grundlagen werden dann diejenigen beruflichen Handlungskompetenzen bestimmt, welche für eine Sprachförderung relevant sind und mit dem Vorhandensein in der Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte verglichen. Da aufgrund des begrenzten Umfangs der vorliegenden Arbeit keine bundesweite Überprüfung der Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte möglich ist, wird in der Folge lediglich die baden- württembergische Erzieherinnenausbildung an der Fachschule für Sozialpädagogik anhand des Lehrplans dahin gehend untersucht, inwieweit diese die zuvor bestimmten sprachförderrelevanten beruflichen Handlungskompetenzen berücksichtigt. Abschließend werden die wichtigsten Kerngedanken nochmals zusammengefasst, die Begrenztheit der Ergebnisse dargestellt sowie weitere Forschungsdesiderate und Konsequenzen für die gegenwärtige Aus-, Fort- und Weiterbildung frühpädagogischer Fachkräfte formuliert.

1 Begriffsbestimmungen

1.1 Berufliche Handlungskompetenzen

Die Kompetenzen einer Sprachförderkraft werden zu den beruflichen Handlungskompetenzen von frühpädagogischen Fachkräften eingeordnet (vgl. Müller 2014, S. 70). Gemäß Treptow (2009) bezeichnet der Begriff der sozialpädagogischen Handlungskompetenz

„die Bildungsvoraussetzungen von Sozialpädagogen […], in konkret gegebenen Handlungskontexten so zu handeln, dass ethische Maximen respektiert sowie Handlungsziele erreicht werden. Er umfasst die Voraussetzungen, nicht das faktische Handeln, auf das kontingente Ereignisse Einfluss nehmen können, die nicht allein auf das handelnde Subjekt zurückgeführt werden können“ (Treptow 2009, S. 632).

Handlungskompetenz bezieht sich damit nicht auf das konkrete Handeln selbst, sondern vielmehr auf die Dispositionen der Handelnden. Im Anschluss an die jeweilige Handlung muss diese zudem kontextbezogen reflektiert werden (vgl. Treptow 2009, S. 632ff.).

Der vbw (2012) zufolge umfasst die berufliche Handlungskompetenz Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissen eines Menschens, welche zur Bewältigung von vertrauten und neuartigen Situationen dienen. Es wird angenommen, dass diese professionelle Kompetenz grundsätzlich erlernbar ist (vgl. vbw - Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. 2012,S. 62).

In der Literatur wird die Handlungskompetenz frühpädagogischer Fachkräfte zudem häufig in Anlehnung an das Strukturmodell professioneller Kompetenz von Lehrkräften von Baumert und Kunter (2006) untersucht (vgl. Faas/Treptow 2010, S. 166). Diesem Modell zufolge„entsteht professionelle Handlungskompetenz aus dem Zusammenspiel von- spezifischem, erfahrungsgesättigten deklarativen und prozeduralen Wissen (Kompetenzen im engeren Sinne: Wissen und Können);

- professionellen Werten, Überzeugungen, subjektiven Theorien, normativen Präferenzen und Zielen;
- motivationalen Orientierungen sowie
- metakognitiven Fähigkeiten und […] [Fertigkeiten] professioneller Selbstregulation“ (Baumert/Kunter 2006, S. 481).

Baumert und Kunter (2006) orientieren sich am Vorschlag von Shulman (1987) und nehmen an, dass sich das Wissen und Können aus verschiedenen Facetten zusammensetzt. Als zentrale Wissensfacetten gelten das Fachwissen, das fachdidaktische Wissen und das allgemeine pädagogische Wissen. Zudem existieren das Organisations-, das Beratungs- und das praktische Wissen. Letzteres wird in bestimmten Kontexten erworben und ergibt sich aus einem Zusammenwirken von Erfahrungen und Fachwissen. Die Umsetzung dieses praktischen Wissens manifestiert sich im Handlungsvollzug als Können, bleibt jedoch in der Regel implizit und „beinhaltet damit auch intuitive Anteile und ermöglicht vor diesem Hintergrund ein schnelles und situationsbezogenes Handeln“ (Faas 2014, S. 182). Während das Fachwissen bestimmte Bildungsbereiche wie beispielsweise Musik, Natur oder Mathematik betrifft, bezieht sich das allgemeine pädagogische Wissen auf theoretisches konzeptuelles Grundlagenwissen. Beim fachdidaktischen Wissen handelt es sich um das Wissen, wie bzw. durch welche Methoden oder Aktionsformen kindliche Aneignungsprozesse unterstützt werden können. Das Organisationswissen beschreibt das Wissen über das Handeln in einer Organisation, das Beratungswissen betrifft die Kommunikation zwischen Experten und Laien, beispielsweise die Verständigung zwischen frühpädagogischer Fachkraft und Eltern. Das Modell von Baumert und Kunter (2006) berücksichtigt zudem soziale, motivationale, volitionale und kognitive Aspekte. Dazu zählen erstens eigene Werthaltungen, Überzeugungen und subjektive Theorien, z. B. über Lehren und Lernen, welche die Wahrnehmung und Deutung von pädagogischen Situationen, die Erwartungen an die Kinder und damit das professionelle Handeln bedingen, zweitens motivationale Orientierungen (z. B. Selbstwirksamkeitserwartungen, Enthusiasmus) und drittens Fertigkeiten zur Selbstregulation (z. B. Umgang mit Belastungen, Distanzierungsfähigkeit) (vgl. Baumert/Kunter 2006, S. 482ff.; vgl. Faas/Treptow 2010, S. 166).

Ein weiteres Modell zur frühpädagogischen Handlungskompetenz stellen Fröhlich- Gildhoff, Nentwig-Gesemann und Pietsch (2011) vor, welches Handlungsfähigkeit (Disposition), Handlungsbereitschaft und den konkreten Handlungsvollzug (Performanz) berücksichtigt. Sie gehen davon aus, dass die Handlungsfähigkeit aus einem Zusammenspiel von Fachwissen, implizitem Erfahrungswissen und methodischen bzw. didaktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten resultiert, die Handlungsbereitschaft jedoch durch die jeweilige Situationswahrnehmung und -analyse sowie durch die aktuelle Motivation und durch handlungsleitende Orientierungen bzw. Einstellungen (Haltung) bedingt wird. Erst aus diesem Zusammenwirken ergibt sich das konkrete Handeln in der (nicht standardisierbaren und auch oft schlecht vorhersehbaren) pädagogischen Situation. Dieser Handlungsvollzug wird - zumindest implizit - evaluiert und hat Rückwirkungen auf das Wissen, die Motivation und die Handlungspotenziale. Neben diesem impliziten Erfahrungswissen erhält auch das explizite Reflexionswissen einen besonderen Stellenwert (vgl. Fröhlich-Gildhoff/Nentwig-Gesemann/Pietsch 2011, S. 14ff.). Dieses entsteht, „wenn implizites Handlungswissen [...] bewusst oder explizit gemacht wird“ (Fröhlich- Gildhoff/Nentwig-Gesemann/Pietsch 2011, S. 14).

Nach der Darstellung verschiedener Modelle von Handlungskompetenz gilt es nun, den Terminus berufliche Handlungskompetenzen, wie er in der vorliegenden Arbeit Verwendung findet, zu präzisieren. Vorab ist anzumerken, dass sich diese Arbeit am Kompetenzbegriff von Weinert (2002) orientiert, welcher Kompetenzen definiert als „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert 2002, S. 27f.).

In Anlehnung an die beschriebenen Modelle von Handlungskompetenz und an diesen mehrdimensionalen Kompetenzbegriff, welcher zwischen der Verfügung über diese beschriebenen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie der konkreten Handlungsbereitschaft unterscheidet, werden in der vorliegenden Arbeit die beruflichen Handlungskompetenzen (im Kontext der Frühpädagogik) definiert als erlernbare Fähigkeiten und Fertigkeiten, aber auch als das Wissen frühpädagogischer Fachkräfte, welche notwendig sind, um die beruflichen Anforderungen und die pädagogischen Situationen im vorschulischen Bereich erfolgreich bewältigen zu können. Dabei müssen die situativen und kontextbezogenen Gegebenheiten sowie personenbezogene Merkmale bei der Handlung (Performanz) berücksichtigt werden. Es wird davon ausgegangen, dass sich die beruflichen Handlungskompetenzen in verschiedene Komponenten aufteilen. Dazu zählt erstens das Professionswissen, welches Fachwissen, fachdidaktisches Wissen, allgemeines pädagogisches Wissen (= Theoriewissen), Organisations- und Beratungswissen sowie subjektbezogenes Interaktionswissen4, Reflexions- und Erfahrungswissen (= Praxiswissen) umfasst. Berufliche Handlungskompetenz setzt sich demnach aus wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen und Inhalten (Theoriewissen) sowie aus „Wissensbereiche[n] bzw. Wissensinhalte[n], die im Rahmen des Interagierens in pädagogischen Institutionen und Situationen generiert werden“ (Faas 2013, S. 117) (Praxiswissen5 ) zusammen. Neben Unter dem subjektbezogenen Interaktionswissen versteht Faas (2013) das Wissen, „das sich auf die einzelnen Interaktionspartner bzw. deren Umwelten (die Kinder, ihre Eltern, Familien, deren Lebenssituationen etc.) bezieht“ (Faas 2013, S. 117).

dem Professionswissen zählen zu den Komponenten dieses Modells beruflicher Handlungskompetenz das Können, welches sich aus dem Fachwissen, dem fachdidaktischen Wissen sowie aus dem Reflexions- und Erfahrungswissen zusammensetzt und nur durch mehrfache Wiederholungen der Performanz (Handlungsvollzug) erworben werden kann, sowie personenbezogene Merkmale, genauer gesagt pädagogische Orientierungen und Einstellungen, motivationale Aspekte und selbstregulatorische Fähigkeiten der frühpädagogischen Fachkräfte. Bei einer konkreten Handlung (Performanz) müssen diese drei Komponenten dann aktualisiert werden, d. h. die Komponenten beruflicher Handlungskompetenz müssen in der professionellen Praxis trotz situativer Gegebenheiten, z. B. hohe Anzahl der Kinder, erfolgreich und gewissenhaft umgesetzt werden. Ausgehend von diesen Annahmen lässt sich folgendes Schaubild beruflicher Handlungskompetenzen (Abbildung 1) generieren:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Modell beruflicher Handlungskompetenzen (Quelle: Eigene Darstellung)

Nachdem nun aufgezeigt wurde, welche Begriffsbestimmung beruflicher Handlungskompetenzen der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt, wird im Folgenden geklärt, was unter dem im Alltag häufig verwendeten Terminus Sprache zu verstehen ist. Ferner wird die hohe Bedeutsamkeit einer korrekten Sprachentwicklung bzw. die Folgen von Sprachstörungen verdeutlicht, um damit die Notwendigkeit von Sprachförderung zu begründen.

1.2 Sprache: Definition und Bedeutsamkeit

„ Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt. “

(Ludwig Wittgenstein)

Dieses berühmte Zitat des Philosophen Ludwig Wittgenstein lässt zweifellos die große Bedeutsamkeit von Sprache erahnen. Unter dieser versteht man ein System von sowohl verbalen als auch nichtverbalen Zeichen, welches der Kommunikation dient (vgl. Tenorth/Tippelt 2007, S. 687). Damit sind zwei Funktionen der Sprache angesprochen: Einerseits ist sie für die soziale Interaktion und für die Vermittlung von Information zuständig, andererseits ist sie ein System bestehend aus Symbolen und Regeln (z. B. Grammatik, Wortbildung), welches notwendig ist, um die kommunikative Funktion von Sprache verwirklichen zu können (vgl. Ruberg/Rothweiler/Utecht 2012, S. 24). Weder Strukturen noch Inhalte der menschlichen Sprache sind angeboren, sondern müssen im Kontext einer menschlichen Gemeinschaft und Kultur erlernt werden (vgl. Szagun 2013, S. 17). Mit der Sprache erwirbt das Kind somit ein durchaus komplexes System, welches zentral für das menschliche Leben ist, denn es dient nicht nur zu Kommunikationszwecken, sondern steht auch in Zusammenhang mit kognitiven und sozialen Fähigkeiten sowie der Verhaltensregulation (vgl. Grimm 2012, S. 15). Bleiben Störungen der Sprache unerkannt, kann es zu gravierenden Folgen kommen, welche sich in der Schule sowohl in kognitiven Problemen (z. B. Leseprobleme, Rechtschreibschwäche) als auch in intellektuellen und motivationalen Problemen zeigen (können) und nicht selten mit außerschulischen emotionalen und psycho-sozialen Auffälligkeiten (z. B. Fingernägelkauen, Aufmerksamkeitsstörungen, Hyperaktivität) einhergehen (vgl. Grimm 2012, S. 137ff.). Empirischen Befunden zufolge entwickeln etwa 50 % der sprachentwicklungsgestörten Kinder sogar psychiatrische Probleme (vgl. König 2014, S. 215). Kany und Schöler (2010) sprechen in diesem Zusammenhang von einer Metastasierung. Gemeint ist, dass Störungen des Spracherwerbs nicht isoliert bleiben,sondern in andere Entwicklungsbereiche hineinwirken (vgl. Kany/Schöler 2010, S. 24). Um möglichst viele Kinder vor diesen tiefgreifenden Beeinträchtigungen zu bewahren und um ihnen die Teilhabe am sozialen, schulischen, beruflichen und kulturellen Leben zu ermöglichen, ist daher eine frühzeitige Diagnose und ein frühzeitiges Eingreifen unerlässlich (vgl. Grimm 2012, S. 137ff.). Es gibt jedoch vielfältige Möglichkeiten, die kindliche Sprachentwicklung zu unterstützen, weshalb es als notwendig erachtet wird, im folgenden Abschnitt einige begriffliche Konkretisierungen vorzunehmen.

1.3 Sprachbildung, Sprachförderung, Sprachtherapie

Aufgrund von unscharfen Definitionen und einer fehlenden Abgrenzung der Begriffe Sprachbildung, Sprachförderung und Sprachtherapie kommt es sowohl in den Bildungsplänen der einzelnen Bundesländer (vgl. Reich 2008, S. 12) als auch in der Fachliteratur und in (Sprach-) Programmen zu Begriffsüberschneidungen bzw. zu einer synonymen Verwendung der Bezeichnungen (vgl. Jampert u.a. 2005, S. 11). Um in der vorliegenden Arbeit begriffliche Ungenauigkeiten zu vermeiden, sollen in diesem Abschnitt zunächst die drei genannten Termini näher bestimmt werden.

Unter dem Begriff der Sprachbildung wird die sprachliche Anregung aller Kinder verstanden. Es handelt sich dabei um in den Alltag von Kindertageseinrichtungen integrierte Maßnahmen, welche bewusst und gezielt eingesetzt werden, sodass sich die kindliche Sprache optimal entfalten kann und das Sprachvermögen erweitert wird (vgl. Fried 2013, S. 175). Indem - nach dem Prinzip der Ganzheitlichkeit - alle sprachlichen Bereiche unterstützt werden (vgl. Grgic/Eckhardt 2011, S. 172) und ein günstiges (Sprach-) Umfeld geschaffen wird, kann sich ein Kind zu einer sprachlich handlungsfähigen Persönlichkeit entwickeln (vgl. Ruberg/Rothweiler/Koch-Jensen 2013, S. 46). Sprachliche Bildung gilt als ein zu beachtender Bildungsbereich in Kindertageseinrichtungen und damit als eine Aufgabe von frühpädagogischen Fachkräften (vgl.Jugendministerkonferenz/Kultusministerkonferenz 2004, S. 4). Abzugrenzen davon ist die Sprachförderung, bei der es sich zwar ebenfalls um gezielte pädagogische Maßnahmen handelt, welche die sprachliche Entwicklung von Kindern unterstützen sollen, jedoch mit dem Unterschied, dass sich diese Angebote speziell an Kinder mit besonderen sprachlichen Schwierigkeiten, Sprachverzögerungen bzw. -defiziten richten (vgl. Nickel 2014, S. 648). Sprachförderangebote stellen somit eine zusätzliche Maßnahme zu den alltagsintegrierten Sprachbildungsangeboten dar (vgl. Ruberg/Rothweiler/Koch-Jensen 2013, S. 46). Im Vordergrund steht die Kompensation von Entwicklungsrisiken bzw. die Prävention daraus resultierender Entwicklungsprobleme (vgl. Grgic/Eckhardt 2011, S. 172). Gegenwärtig besteht noch kein Konsens darüber, als wessen Aufgabe Sprachförderung gilt. Während sich die BAGFW (2008) dafür ausspricht, dass Sprachförderung integraler Bestandteil des pädagogischen Alltags sein solle (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege 2008, S. 5) und damit vermutlich von frühpädagogischen Fachkräften durchgeführt werden sollte, solle den Vorschlägen der DGS (o.J.) zufolge die Umsetzung der Sprachförderung durch speziell dafür ausgebildetes Personal, wie z. B. Sprachheilpädagogen, erfolgen (vgl. Deutsche Gesellschaft für Sprachheilpädagogik o. J.,S. 1f.). Lüdtke und Stitzinger (2015) sehen eine weitere Möglichkeit in einem interdisziplinären Team, bei welchem frühpädagogische Fachkräfte die Sprachförderung in den Kindertageseinrichtungen durchführen, jedoch von professionell ausgebildetem Personal unterstützt und begleitet werden (vgl. Lüdtke/Stitzinger 2015, S. 78f.). Von Sprachbildung und Sprachförderung ist zudem der Begriff Sprachtherapie abzugrenzen. Hierbei handelt es sich um Maßnahmen bei manifesten Sprachstörungen eines Kindes, welche - nach entsprechender Diagnose - einer professionellen Intervention bedürfen. Dementsprechend ist diese Aufgabe Fachkräften des Sprachheilwesens wie Sprachheilpädagogen, Sprachtherapeuten oder Logopäden vorbehalten (vgl. Ruberg/Rothweiler/Koch-Jensen 2013, S. 46).

Nachdem nun die hohe Bedeutsamkeit einer korrekten Sprachentwicklung und früher sprachlicher Interventionen verdeutlicht und die Sprachförderung begrifflich von der Sprachbildung und Sprachtherapie abgegrenzt wurde, muss nun geklärt werden, inwieweit Sprachförderung überhaupt wirksam ist.

1.3.1 Zur Wirksamkeit von Sprachförderung

Obwohl das Thema der frühpädagogischen Sprachförderung in den letzten Jahren sehr viel Beachtung fand und seitens der Bundesländer ein großes Engagement in diesem Bereich erkennbar war, ist dennoch ein großes Forschungsdesiderat zu konstatieren. Qualität und Wirksamkeit spezifischer Sprachfördermaßnahmen wurden bislang nur unzureichend wissenschaftlich untersucht. Die wenigen vorliegenden Evaluationsstudien sind zudem nur bedingt aussagekräftig, da sie der Komplexität des kindlichen Spracherwerbs nicht gerecht werden (vgl. Schneider u.a. 2012, S. 9; vgl. Lisker 2011, S. 85). Aus diesem Grunde initiierte die Landesstiftung Baden-Württemberg ein groß angelegtes Sprachförderprojekt (Sag ‘ mal was), welches die Wirksamkeit von drei verschiedenen Sprachförderansätzen untersucht (vgl. Ruberg/Rothweiler/Utecht 2012, S. 18f.). Unter der Einhaltung wissenschaftlicher Standards einer Evaluation (z. B. Gütekriterien, Kontrollgruppe) und unter der Berücksichtigung weiterer, die Sprache beeinflussender Faktoren (z. B. sozioökonomischer Status, Herkunftssprache, kognitive Leistungsfähigkeit) wurde eine längsschnittliche Untersuchung kindlicher Sprachleistungen durchgeführt. Verglichen wurden dabei die sprachlichen Fähigkeiten von Kindern ohne Sprachförderbedarf mit denen von Kindern mit Sprachförderbedarf. Letztere Gruppe wurde nochmals unterteilt in Kinder, welche eine zusätzliche Sprachförderung durch Sprachförderkräfte mithilfe von drei verschiedenen Förderprogrammen erhielten und in Kinder, welche trotz des Förderbedarfs an keiner spezifischen Sprachfördermaßnahme teilnahmen. Schöler und Roos (2010) zufolge konnte jedoch der „erwartete, über die normale Entwicklung hinausgehende Effekt einer gezielten zusätzlichen Förderung durch geschulte Kräfte […] nicht beobachtet werden“ (Schöler/Roos 2010, S. 35). Zwar waren bei allen Gruppen sprachliche Leistungsverbesserungen beobachtbar, allerdings lagen die Leistungen der sprachförderbedürftigen Kinder in der Regel immer noch im unteren Durchschnittsbereich, während die Kinder ohne Förderbedarf einen altersgemäßen Sprachentwicklungsstand aufwiesen. Darüber hinaus ist anzumerken, dass weder innerhalb der Gruppe der Kinder der unterschiedlichen Sprachförderansätze noch zwischen den Kindern mit und ohne spezifische Sprachförderung Unterschiede hinsichtlich der Sprachkompetenz festgestellt werden konnten. Als Gründe für dieses überraschende Ergebnis wurden u. a. der späte Förderzeitpunkt (fünf bis sechs Jahre), die relativ kurze Dauer der Fördermaßnahmen (120 Stunden pro Jahr), die Unterschiede in der externen sprachlichen Anregung sowie die verschiedenen Qualifikationen der Sprachförderkräfte bezüglich des Kompetenzbereichs Sprache genannt (vgl. Schöler/Roos 2010, S. 35ff.).

Vor allen Dingen letztgenannter Grund wird von weiteren Autoren als wesentlicher Aspekt der Sprachförderung angesehen. Ruberg, Rothweiler und Utecht (2012) gehen sogar so weit zu sagen, dass nicht das Sprachförderprogramm oder die jeweiligen Materialien den Spracherwerb eines Kindes fördern, sondern es die Sprachförderkraft ist, welche das Programm und die dazugehörigen Materialien anwendet (vgl. Ruberg/Rothweiler/Utecht 2012, S. 19ff.). Ebenso teilt Fried (2010) die Ansicht, dass „Sprachförderprogramme nicht aus sich heraus wirksam sein können, weil sie nicht direkt auf das Kind einwirken, sondern immer nur vermittelt durch die Person, die das Programm umsetzt“ (Fried 2010, S. 206).

Demgemäß kann eine Sprachförderung nur den gewünschten Erfolg herbeiführen, wenn die Sprachförderkraft über entsprechende Kompetenzen zur professionellen Durchführung einer Sprachförderung verfügt (vgl. Ruberg/Rothweiler/Utecht 2012, S. 19ff.). Ruberg,Rothweiler und Utecht (2012) bemerken daher, „dass dies ohne eine sprachwissenschaftlich und pädagogisch basierte Kompetenz in den Bereichen Spracherwerb, Sprachdiagnostik und Sprachförderung nicht zu leisten ist“ (Ruberg/Rothweiler/Utecht 2012, S. 20).

1.4 Zusammenfassung

Da die Kompetenzen einer Sprachförderkraft zu den beruflichen Handlungskompetenzen zählen, wurden in diesem Kapitel verschiedene Modelle beruflicher Handlungskompetenzen vorgestellt, um auf dieser Basis ein für die vorliegende Arbeit geltendes Modell zu entwickeln. Dieses definiert die beruflichen Handlungskompetenzen als die Fähigkeiten, die Fertigkeiten und das Wissen frühpädagogischer Fachkräfte, welche vonnöten sind, um die beruflichen Anforderungen des vorschulischen Bereichs mit Erfolg bewältigen zu können. Sie sind prinzipiell erlernbar und setzen sich aus Professionswissen (Theorie- und Praxiswissen), Können und personenbezogenen Merkmalen zusammen. Um eine berufliche Anforderung bewältigen zu können, müssen diese drei Komponenten in der konkreten Handlung (Performanz) aktualisiert und situative Bedingungen berücksichtigt werden. Im Anschluss an die Entwicklung des Modells beruflicher Handlungskompetenzen wurden die zwei Funktionen von Sprache (Sprache als Vermittlung von Information und Sprache als ein System aus Symbolen und Regeln) dargestellt. Ferner wurde auf die Bedeutsamkeit von Sprache eingegangen, denn diese steht mit anderen Entwicklungsbereichen und in der Folge mit schulischen und beruflichen Schwierigkeiten in Zusammenhang. Daraufhin wurden die drei Begriffe Sprachbildung, Sprachförderung und Sprachtherapie voneinander abgegrenzt. Mit Sprachbildung sind alltagsintegrierte Maßnahmen in Kindertageseinrichtungen gemeint, welche gezielt eingesetzt werden, um die Sprachentwicklung aller Kinder gezielt zu unterstützen. Im Unterschied dazu richten sich die sprachlichen Unterstützungsmaßnahmen der Sprachförderung speziell an Kinder mit Sprachförderbedarf und gelten damit als eine zusätzliche Maßnahme zu den alltagsintegrierten Sprachbildungsangeboten. Davon zu unterscheiden sind professionelle Interventionen der Sprachtherapie, welche zur Förderung von Kindern mit manifesten Sprachstörungen dienen. Nach diesen Begriffsbestimmungen wurde auf die Wirksamkeit von Sprachförderung eingegangen. Dabei wurden in erster Linie die Ergebnisse des Projekts der Landesstiftung Baden-Württemberg (Sag ‘ mal was) näher erläutert; überraschenderweise lagen die sprachlichen Leistungen von sprachförderbedürftigen Kindern trotz der Teilnahme an Sprachfördermaßnahmen immer noch im unteren Durchschnittsbereich. Zudem wiesen die sprachförderbedürftigen Kinder, welche an drei verschiedenen Sprachfördermaßnahmen teilnahmen, keine signifikant besseren Ergebnisse auf als die sprachförderbedürftigen Kinder ohne zusätzliche Sprachförderung. Mögliche Ursachen für dieses Ergebnis werden in dem späten Förderzeitpunkt, in der relativ kurzen Dauer der Sprachfördermaßnahmen, in der divergierenden externen Sprachanregung und besonders in den verschiedenen Qualifikationen der Sprachförderkräfte gesehen.

Da Ruberg, Rothweiler und Utecht (2012) der Ansicht sind, dass Kompetenzen seitens der Sprachförderkraft insbesondere in den Bereichen Spracherwerb, Sprachdiagnostik und Sprachförderung notwendig seien, erscheint es vor dem Hintergrund der Bestimmung sprachförderrelevanter Handlungskompetenzen sinnvoll, im Folgenden diese drei Bereiche zu vertiefen. Das nachstehende Kapitel behandelt daher zunächst den grundlegendsten dieser drei Bereiche: Die Sprachentwicklung. Dabei wird auf einige Grundannahmen des Spracherwerbs, die verschiedenen Sprachbereiche, Zwei- und Mehrsprachigkeit sowie auf Sprachauffälligkeiten und -störungen eingegangen.

2 Sprachentwicklung

2.1 Grundannahmen des Spracherwerbsprozesses

Bevor auf den Prozess des kindlichen Spracherwerbs und auf die verschiedenen Sprachbereiche eingegangen wird, soll zunächst darauf aufmerksam gemacht werden, dass zahlreiche Fragen diesbezüglich noch ungeklärt sind und dass es in der Wissenschaft unterschiedliche Vorstellungen davon gibt, wie die Sprachentwicklung vonstattengeht. Dennoch besteht weitestgehend Konsens darüber, dass dem Spracherwerb - trotz interindividuellen Unterschieden zwischen Kindern (z. B. bezüglich der Erwerbsgeschwindigkeit oder der Größe des Wortschatzes) - gewisse Grundannahmen wie Gesetzmäßigkeiten oder Entwicklungsverläufe6 zugrunde liegen (vgl.Ruberg/Rothweiler/Utecht 2012, S. 20ff.), welche im Folgenden aufgezeigt werden.

Anlage und Umwelt

Dem Kind stehen zum einen anlagebedingt Dispositionen zur Verfügung, welche die Voraussetzung dafür schaffen, dass sich die Aneignung der Sprache (scheinbar) mühelos und ohne ausdrückliche Anweisungen vollziehen kann. Der Spracherwerb wird zum anderen aber auch von anderen externen (Umwelt-) Faktoren beeinflusst, insbesondere von der Qualität und Quantität des sprachlichen Inputs (vgl. Ruberg/Rothweiler/Utecht 2012, S. 25ff.). Kany und Schöler (2010) sprechen in diesem Zusammenhang auch von den inneren Faktoren als Entwicklungsvoraussetzungen, zu welchen biologische Anlagen wie dem Vokaltrakt oder den Zähnen zählen, und von den äußeren Faktoren als Entwicklungsbedingungen im Sinne der Lebensumstände des Kindes und der Quantität und Qualität des sprachlichen Inputs (vgl. Kany/Schöler 2010, S. 17f.). Um eine reibungslose Sprachentwicklung zu gewährleisten, ist eine optimale Passung zwischen den Anlagen des Kindes und den jeweiligen Umweltfaktoren vonnöten (vgl. Grimm 2012, S. 36).

Sprachverständnis und Sprachproduktion

Weiterhin wird davon ausgegangen, dass sich der Spracherwerb aus zwei Teilsystemen zusammensetzt, welche sich in unterschiedlicher Weise entwickeln können: Sprachverständnis und Sprachproduktion. Die Sprachwahrnehmung bzw. das Sprachverstehen geht dabei der Produktion von sprachlichen Äußerungen voraus. Konkret bedeutet dies, dass zu Beginn des Spracherwerbs gewisse Äußerungen schon verstanden werden, aber noch nicht selbst gebildet werden können (vgl. Kany/Schöler 2010, S. 28).

Vorausläuferfähigkeiten

Bereits wenn der Säugling auf die Welt kommt, verfügt er genetisch bedingt über zahlreiche (Vorausläufer-) Fähigkeiten, um den Spracherwerb meistern zu können. Dazu zählen die bereits erwähnte Fähigkeit zur Sprachwahrnehmung sowie weitere generelle Lerndispositionen, welche für sprachrelevante Operationen genutzt werden: Die soziale Kognition (z. B. Richten der Aufmerksamkeit auf Gesicht und Stimme), die Wahrnehmung (z. B. Differenzierung sprachlicher Kontraste, Präferenz für „baby talk“) und die Kognition (z. B. Gedächtnis für Sprache) (vgl. Grimm 2012, S. 21f.). Zwar ist der Säugling auch schon zu präverbaler Kommunikation fähig, z. B. durch Schreien oder Lächeln (vgl. Szagun 2013, S. 36), dennoch muss sich die Fähigkeit der Sprachproduktion bis hin zu Wörtern und ganzen Sätzen erst allmählich entwickeln (vgl. Grimm 2012, S. 21ff.).

Prinzip der sensiblen Phase

Neben diesen bereits angeführten Grundannahmen zur Sprache geht man ferner davon aus, dass die Entwicklung der Sprache dem Prinzip der sensiblen Phase folgt. Dies bedeutet, dass die Sprache nur in einem gewissen Zeitfenster besonders schnell und beiläufig erworben werden kann. Dabei folgt man der Auffassung, dass dem Organismus etwa bis zum Alter von fünf Jahren diejenigen Lernmechanismen zur Verfügung stehen, welche zum optimalen Aufbau der Sprache vonnöten sind. Fehlen die für diese Zeitspanne spezifischen Erfahrungen bzw. der qualitativ und quantitativ notwendige sprachliche Input, treten voraussichtlich Störungen auf (vgl. Grimm 2012, S. 40). Derzeit besteht jedoch keine Einigkeit darüber, ob frühe fehlende sprachliche Erfahrungen lediglich zu einer Abnahme des sprachlichen Lernvermögens führen oder ob sich das eng begrenzte Zeitfenster der sensiblen Phase abrupt schließt und damit kein sprachliches Lernen mehr möglich ist (vgl. Szagun 2013, S. 274). Sicher ist jedoch, dass je später eine Sprache gelernt wird, desto höhere Anforderungen ergeben sich an den Sprachenlerner, da ab einem bestimmten Zeitpunkt ein beiläufiger Spracherwerb kaum mehr möglich ist und die Sprache daher bewusster erworben werden muss (vgl. Kany/Schöler 2010, S. 63).

Sprachbereiche

Wie zuvor schon ausgeführt, ist die Sprache ein System bestehend aus Symbolen und strukturellen Regeln, um Kommunikation zu ermöglichen. Zu diesem System zählt die Sprachwissenschaft (Linguistik) verschiedene strukturelle Komponenten, u. a. das Lautsystem, die Grammatik, die Regeln des Aufbaus von Äußerungen und Sätzen, die Semantik und die Pragmatik (vgl. Ruberg/Rothweiler/Utecht 2012, S. 24). Diese stehen zwar miteinander im Zusammenhang, sind aber dennoch „jeweils als eigenständige Wissenssysteme zu begreifen […] und [folgen] eigenen Erwerbs- und Aufbauregeln“ (Jungmann/Albers 2013, S. 33). Aufgrund der Tatsache, dass grundlegende Kenntnisse über den kindlichen Sprachverlauf in diesen verschiedenen Bereichen Voraussetzung für eine gezielte Beobachtung und (Sprach-) Förderung sind (vgl. Nickel 2014, S. 645f.), sollen diese im folgenden Abschnitt näher erläutert werden.

2.2 Bereiche der Sprachentwicklung

2.2.1 Prosodie

Bei der Prosodie handelt es sich um die Rhythmik bzw. Melodie von Spracheinheiten, zu welcher nicht nur Tonhöhe und Lautstärke, sondern auch die Länge der Sprachlaute und die Pausengebung zählen. Beim Prosodieerwerb geht es zum einen darum zu lernen, die prosodischen Merkmale der jeweiligen Sprache wahrzunehmen und zu verstehen. Zum anderen muss auch die Fähigkeit erworben werden, die prosodischen Elemente zur Kommunikation richtig einzusetzen, schließlich spielen diese eine wichtige Rolle beim Erwerb des Wortschatzes und des Satzbaus. Die Voraussetzungen für das Wahrnehmen und Verstehen dieser prosodischen Merkmale gehören zur genetischen Ausstattung des Menschen. Aber auch für die Produktion liegen humanspezifische Entwicklungsvoraussetzungen vor, u. a. die Anatomie des menschlichen Vokaltraktes und sprechmotorische Voraussetzungen. Defizite im prosodischen Bereich können als (Mit-) Verursacher von Spracherwerbsstörungen, aber auch von mangelnden Gedächtnis- und Sprachverarbeitungsprozessen sein (vgl. Kany/Schöler 2010, S. 33f.).

2.2.2 Phonetik und Phonologie

Während sich die Phonetik mit akustischen Merkmalen (Frequenz, Intensität) von Lauten beschäftigt, befasst sich die Phonologie mit der Funktion von Lauten (Phonemen), welche als die kleinsten bedeutungs unterscheidenden Elemente einer Sprache gelten, sodass z. B. durch die unterschiedlichen Laute in „Sand“ und „Hand“ eine andere Bedeutung entsteht (vgl. Kany/Schöler 2010, S. 36ff.).

Bei der phonetischen Entwicklung müssen die Kinder lernen, die Laute ihrer Muttersprache wahrzunehmen, sie zu unterscheiden (Lautdiskrimination) und sie zu bilden (vgl. Kany/Schöler 2010, S. 36). Bereits im ersten Lebensmonat kann der Säugling Laute ohne Lippenbewegung produzieren, welche sich dann zwischen dem zweiten und dritten Lebensmonat zu sogenannten Gurrlauten weiterentwickeln. Das Produzieren erster silbenähnlicher Verbindungen ist nun möglich, die Laute werden allmählich immer sprachähnlicher (vgl. Grimm 2012, S. 31f.). Etwa ab dem fünften Monat, wenn das Kind zunehmend über die Kontrolle über die für das Sprechen notwendigen Bewegungen verfügt, setzt das sogenannte Babbling ein, auch Plappern genannt, bei welchem das Kleinkind beginnt, Silben aus Vokal-Konsonant-Verbindungen zu bilden und zu wiederholen (z. B. „da-da“). Ungefähr ab dem zehnten Monat wird das Plappern den Lauten der Muttersprache immer ähnlicher und der Säugling ist zunehmend in der Lage, erste Wörter zu erzeugen und zu imitieren (vgl. Kany/Schöler 2010, S. 37f.). Hinweise auf einen abweichenden Erwerbsverlauf geben eine verzögerte Lautentwicklung, das Ausbleiben der Lallmonologe sowie das Fehlen von Wörtern mit Labialkonsonanten (im Deutschen: [b] und [p]) unter den ersten 50 Wörtern (vgl. Jungmann/Albers 2013, S. 36).

Bei der phonologischen Entwicklung geht es um das Erlernen des Verstehens und der Verwendung der sprachfunktionellen Bedeutung von Lauten. Neben der bedeutungsunterscheidenden Funktion von Lauten müssen die Kinder auch die Beschränkung der Kombinierbarkeit von Lauten in der jeweiligen Sprache berücksichtigen. Sowohl für die phonetische als auch für die phonologische Entwicklung sind physiologische Voraussetzungen von entscheidendem Einfluss. Oftmals werden daher Vereinfachungen vorgenommen, wenn bestimmte Laute noch nicht gebildet werden können. Diese sollten jedoch über einen Zeitraum von etwa zwei bis drei Jahren allmählich überwunden worden sein und eine Produktion der zielsprachlichen Laute und Lautverbindungen sollte gelingen. Phonetisch-phonologischen Fehlentwicklungen muss eine große Aufmerksamkeit geschenkt werden, denn dieser Sprachbereich steht im Zusammenhang mit der Entwicklung in anderen Sprachbereichen, u. a. mit dem Wortschatzerwerb (vgl. Kany/Schöler 2010, S. 36ff.).

2.2.3 Semantik und Lexikon

Weitere wichtige Bereiche der Sprachentwicklung sind Wortbedeutung (Semantik) und Wortschatz (Lexikon), welche mit der allgemeinen kognitiven und mit der phonetisch-

[...]


1 Der Begriff Fachschulen schließt sowohl Fachschulen als auch Fachakademien ein.

2 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden auf die gleichzeitige Verwendung beider Geschlechter verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten jedoch gleichwohl für beiderlei Geschlecht.

3 Unter dem Begriff Sprachförderkraft wird in der vorliegenden Arbeit diejenige Person verstanden, welche die Sprachförderung in der Kindertagesstätte durchführt. Es kann sich daher um frühpädagogisches Personal, aber auch um Fachkräfte des Sprachheilwesens handeln.

4 Unter dem subjektbezogenen Interaktionswissen versteht Faas (2013) das Wissen, „das sich auf die einzelnen Interaktionspartner bzw. deren Umwelten (die Kinder, ihre Eltern, Familien, deren Lebenssituationen etc.) bezieht“ (Faas 2013, S. 117).

5 Vgl. die Unterscheidung zwischen Theorie- und Praxiswissen bei Fried 2003, S. 113.

6 Im Zusammenhang von markanten Entwicklungsschritten wird häufig auch von Meilensteinen gesprochen. Grenzsteine hingegen markieren Grenzen zum normalen Entwicklungsverlauf, bei welchen es einer genaueren Beobachtung bedarf (vgl. Jungmann/Albers 2013, S. 33).

Excerpt out of 90 pages

Details

Title
Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte im Hinblick auf sprachförderrelevante berufliche Handlungskompetenzen
College
University of Tubingen  (Institut für Erziehungswissenschaft)
Grade
2,0
Year
2015
Pages
90
Catalog Number
V311003
ISBN (eBook)
9783668100688
ISBN (Book)
9783668100695
File size
618 KB
Language
German
Keywords
Sprachförderung, Handlungskompetenzen, Erzieher, Sprache, Ausbildung, frühpädagogische Fachkräfte, Lehrplan
Quote paper
Anonymous, 2015, Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte im Hinblick auf sprachförderrelevante berufliche Handlungskompetenzen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/311003

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