Solidarökonomische Genossenschaften. Betriebliche Selbstverwaltung in Brasilien


Diploma Thesis, 2012

86 Pages, Grade: 2


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

I. Danksagung

II. Abstract

VI. Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Stand der Forschung
1.2. Methoden

2. Theoretische Grundlagen
2.1. Eine kurze Geschichte der Genossenschaftstheorie
2.2. Struktur und Funktion in „primitive Gesellschaften“
2.3. Der Strukturfunktionalismus nach Talcott Parsons
2.3.1. Die Struktur sozialen Handelns
2.3.2 DAS AGIL-Schema
2.3.3 Rollentheorie

3. Vom Protest zur Partizipation
3.1 Soziale Bewegungen in Lateinamerika seit Beginn des 20 Jahrhunderts
3.2 Zeitphasen lateinamerikanischer Geschichte
3.3 Soziale Bewegungen in Brasilien
3.4 Definitionsansätze und theoretische Überlegungen
3.4 Aktualität und Perspektiven sozialer Bewegungen

4. Solidarökonomie
4.1 Historischer Auszug
4.2 Was ist solidarische Ökonomie?
4.3 Die brasilianische Solidarökonomie

5. Wichtige Akteure im Sektor der Solidarökonomie
5.1 Die ANTEAG
5.2 Entstehung und Entwicklung der Landlosenbewegung in Brasilien (MST)
5.3 Die Rolle der Gewerkschaften
5.4 Die Rolle der Kirche und Caritas
5.5 Die Rolle des Staates (SENAES)

6. Statistik

7. Beispiele für selbstverwaltete Betriebe in Brasilien
7.1 Cooperminas
7.2 Catende Harmonia
7.2 Die Ziele

8. Schlussfolgerungen

9. Quellennachweis
9.1 Internetquellen

10. Abkürzungsverzeichnis

11. Abbildungsverzeichnis

I. Danksagung

Während meines Studiums und der Erarbeitung der vorliegenden Diplomarbeit haben mich viele Personen motiviert und unterstützt. Dafür möchte ich mich sehr herzlich bedanken.

Ganz besonderer Dank gilt:

Meiner Familie für das Verständnis und die Liebe, die sie mir in diesen Jahren immer wieder entgegen gebracht haben, ein herzliches Danke.

Mein Betreuer, Dr. Dario Azzellini für die freundliche Unterstützung, die mich bei der Ausarbeitung der Diplomarbeit immer wieder einen Schritt weiter gebracht hat - Prof. Dr. Antônio Inácio Andrioli und Frau Uni. Prof. Dr in . Raina Zimmering, die mich bei der Idee meiner Diplomarbeit sehr unterstützt und motiviert haben.

II. Abstract

Giegold/Embshoff definieren Solidarische Ökonomie als Formen des Wirtschaftens, die menschliche Bedürfnisse auf der Basis freiwilliger Kooperation, Selbstorganisation und gegenseitiger Hilfe befriedigen. (vgl. Giegold/Embshoff, 2008:12). Ein Zentrum Solidarischer Ökonomie befindet sich in Lateinamerika. In Brasilien wurde ein eigenes Staatssekretariat unter der Leitung des Ökonomen Paul Singer für solidarische Ökonomie gegründet. Bereits 2006 konnten mehr als 14.000 solidarökonomische Zusammenhänge registriert werden.

Die Solidarische Ökonomie in Brasilien ist nicht nur ein zunehmend bedeutender Wirtschaftsfaktor sondern wird auch von Gewerkschaften, Kirchen und Universitäten in eigenen Incubadoras (zu Deutsch „Brutkästen“), bestehend aus ProfessorInnen, StudentInnen und UniversitätsmitarbeiterInnen, aktiv und mit viel Engagement politisch und sozial unterstützt. In Brasilien werden Solidarökonomische Genossenschaften als eine Reaktion in Form der Selbsthilfe und Selbstorganisation gesehen. Vom Konkurs bedrohte Unternehmen werden von den ArbeiterInnen besetzt und weitergeführt. Die Organisationsform wird dabei in demokratischer und solidarischer Form gehalten während die Produktionsstruktur in der Regel unverändert bleibt und daher der bereits bestehende finanzieller Druck auf die ArbeiterInnen übertragen wird.

Nicht nur in Brasilien sondern Weltweit entwickeln sich alternative Wirtschafts-, Arbeits – und Lebensformen, die den widrigen ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen ein selbstbestimmtes und solidarisches Miteinander entgegenstellen. Selbstverwaltete Betriebe, Betriebsbesetzungen, Wiederinstandgesetzte Betriebe, Genossenschaften, landwirtschaftliche Direktvermarktung, Wohnprojekte, Tauschringe oder fairer Handel sind nur einige Beispiele. Sie alle zeigen, dass anders wirtschaften solidarisch – und ohne dem Profitprinzip gehorchen zu müssen (Non Profit) – gestaltet werden kann.

1. Einleitung

Als Reaktion auf die neoliberale Politik und der Krise von 1980 Jahre bis heute wurden in Lateinamerika vielerorts von der Schließung bedrohte Betriebe besetzt und die Produktion von der Belegschaft übernommen. Angesichts der entstandenen prekären Situation erkannten die Betroffenen, dass sie eigenständig an der Konzeption einer neuen Gesellschaft arbeiten mussten. Es entstanden verschiedene soziale Bewegungen sowie Produktionsgenossenschaften, die alternative Ökonomiekonzepte entwarfen um sich selbst zu helfen. Internationale Netzwerke werden gebildet, um so eine Solidarische Ökonomie als Teil der Gesellschaft zu entwickeln. (vgl. Auinger 2004:4).

Zwischen 30er und Ende der 70er Jahre wurden die lateinamerikanischen Länder in der Form eines bürgerlichen Entwicklungsstaats regiert. (vgl. Leubolt 2004:143ff). Der Staat hatte die Aufgabe für wirtschaftliches Wachstum zu sorgen. Diese Entwicklung fand jedoch bestenfalls für die subalternen Klassen, jedoch nicht durch sie statt. (vgl. Leubolt 2004a:143ff). Stattdessen stehen Finanzkrisen, verstärkte Polarisierung von Einkommen und Vermögen, ein Rückgang der Industrialisierung und damit sinkende Lebensstandards bei der Mehrheit der Bevölkerung auf der Tagesordnung. Firmenzusammenbrüche, die weltweit ein Heer von Arbeitslosen mit sich gebrachten haben, die nicht mehr gebraucht werden, haben den einzelnen nachhaltig die Grenzen eines Systems vor Augen geführt, mit dem er mitgewachsen ist und das auch von einer Struktur her mehrheitlich als richtig anerkannt wurde. (vgl. Kemmetmüller 1985:495ff). Die Folgen der neoliberalen Entwicklungsstrategien waren verheerend. In Brasilien kam es zu einem chronischen Leistungsbilanzdefizit, die Auslandsschulden wuchsen an und es erfolgte ein Hin und Her zwischen hektischen Kapital zu- und Kapitalabflüssen, was sich in Leitzinserhöhungen auf bis zu 64,8 Prozent niederschlug und zu sehr kurzem Wachstumszyklen führte. (vgl. Andrioli/Schmalz 2005:196). Im Jahre 1998/99 geriet Brasilien in eine schwere Finanz- und Währungskrise. Das Ergebnis der Krise war ein Wachstum der Staatsschulden in nur zwei Monaten von 42 Prozent auf 53 Prozent des BIP und eine stagnative Wirtschaftsentwicklung von 0,1 Prozent BIP-Wachstum im Jahre 1998 und 0,8 Prozent im Jahre 1999. (vgl. Andrioli/Schmalz 2005:196). Insgesamt führte das neoliberale Entwicklungsmodell durch die Privatisierung und das Wachstum der Auslandsschulden auf insgesamt 227,8 Mrd. US $ im Jahre 2002 zu einer Vertiefung der Außenabhängigkeit.

Die 1990er Jahre waren deshalb im Gegensatz zu den 1980er Jahre eine Periode der politischen Niederlagen für die brasilianischen sozialen Bewegungen. Die Ergebnisse der neoliberalen Politik, etwa das Wachstum des informellen Sektors und die dauerhafte Massenarbeitslosigkeit, veränderten die Lage der Arbeiter so sehr, dass in vielen Fällen die bloße Erhaltung der Arbeitsplätze im Mittelpunkt der Kämpfe stand. (vgl. Andrioli/Schmalz 2005:196).

Besonders dramatisch für die vielen Betroffenen waren aber die Betriebsschließungen und die hohe Arbeitslosigkeit. Weniger die periodischen Einbrüche auf den Finanzmärkten oder die ökologische Zerstörung als vielmehr die ständige Verschlechterung der individuellen, wesentlich an die Arbeit gekoppelten Lebenslage wird unmittelbar als Krisenhaft erlebt. (vgl. Exner/Sauer/Hangel, Schweiger/Schneider 2005:10f). Seit den 1970er Jahre hat sich die Bevölkerung immer zahlreicher mobilisiert bis schließlich Militärdiktaturen zur Fall gebracht wurden und sich ein neues Dispositiv etablieren konnte: das der Selbstorganisation! Die Entwicklung sollte nun von den Menschen selbst anstatt von BürokratInnen bestimmt werden. (vgl. Leubolt 2004a:143ff).

Nicht individuell sondern in kollektiver Aktion konnten die besetzten Betriebe in Brasilien, wie zum Beispiel Cooperminas, eine Kohlenmine in Santa Caterina und Catende Harmonia, die größte Zuckerfabrik Lateinamerikas in Nordosten[1] Brasiliens im Bundesstaat Pernambuco wieder in Gang gesetzt werden. (vgl. Uriona 2007:8f). Somit war die Regierung im Lauf der Zeit gezwungen darüber nachzudenken, die Betriebsbesetzungen zu legalisieren. In der Krise und als Antwort darauf entstand die „solidarische Ökonomie“.

Der Begriff der „solidarischen Ökonomie“ wird von Susanne Held als Formen des Wirtschaftens, die menschliche Bedürfnisse auf der Basis freiwilliger Kooperation, Selbstorganisation und gegenseitiger Hilfe befriedigen, definiert. (vgl. Held 2011:29).

Solidarökonomie gibt es nahezu in allen lateinamerikanischen Ländern von Venezuela bis Chile. Die Beschäftigung mit dem Thema Solidarökonomie in ganz Lateinamerika würde ein neues Themenfeld darstellen, das einer eigenständigen Untersuchung bedarf. In der vorliegenden Arbeit möchte ich mich daher auf die selbstverwalteten Betriebe in Brasilien und deren Entwicklungen in den letzten 10 Jahren konzentrieren. Anhand des Beispiels Brasilien möchte ich der Frage nachgehen, ob solidarökonomische Genossenschaften eine Alternative oder Nische als eine Antwort auf Marktversagen im Neoliberalismus sein könnte. (vgl. Uriona 2007:8ff).

1.1. Stand der Forschung

In Brasilien formierten sich nach lang andauernder Militärdiktatur (1964-1985) zahlreiche soziale Bewegungen. Im Widerstand gegen Totalitarismus und Populismus kämpften sie einerseits für demokratische Rechte, anderseits forderten speziell die Unterschichten die Berücksichtigung ihrer materiellen Bedürfnisse – wie z.B. Trinkwasser, Wohnraum, Kanalisation oder öffentliche Gesundheitsversorgung. Es bildeten sich autonome Bewegungen, die politische Forderungen an den Staat stellten. (vgl. Leubolt 2004a:146ff).

Die Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores) konnte mit der Zeit relativ an Stärke gewinnen. Charakteristisch für diese Partei war lange Zeit, dass sie sich aus AktivistInnen sozialer Bewegungen zusammensetzte und darüber hinaus weitgehend auch die Autonomie der Bewegung respektierte. Ein spektakulärer Sieg in der Geschichte der Partei war sicherlich 2002 die Wahl ihres Kandidaten – Luis Inácio Lula[2] da Silva – zum Präsidenten des Landes. (vgl. Leubolt 2004a:146ff). Es entstanden neue Hoffnungen. Es konnten gute Beziehungen der Lokalregierung zu den sozialen Bewegungen entwickelt werden.

Seit 1980ern erlebt die Solidarökonomie in Brasilien einen neuen Aufschwung. Vor allem die universitären Incubadoras[3] („Incubadoras stammt von den Begriffen, Entwicklung, Herausbildung, Ausbildung ab und bedeutet so viel wie „Brutstätte“) spielen in der Solidarökonomie eine wichtige Rolle[4]. Demnach sind die Incubadoras universitäre Gruppen, bestehend aus ProfessorInnen, StudentInnen und UniversitätsmitarbeiterInnen, die sich zum Ziel gesetzt haben, universitäres Wissen auch benachteiligten Gesellschaftsschichten zugänglich zu machen. Dabei werden Wissenstransfer, volksbildnerische Lernmethoden nach Paulo Freire angewandt. Ziel ist neben der Schaffung von Arbeit und Einkommen die Stärkung des Bewusstseins der Staatsbürger und deren Ausübung. (vgl. Hauer 2008:16).

Seit 1990er Jahre experimentieren Sie mit zahlreichen Initiativen und Projekten. Mit diesen und ähnlichen Projekten setzen Sie sich für benachteiligten Menschen ein und versuchen somit ihnen einen Ausweg aus der prekären Lebenslagen zu ermöglichen. Nicht nur die Incubadoras sondern viele andere Innovationswerkstätten an vielen brasilianischen Universitäten, die von Gewerkschaften und Kirchenorganisationen (Caritas) unterstützt werden, haben sich organisiert. (Innovationswerkstätten für Gemeinschaftsbetriebe)[5]. Damit ging CUT (Central Ùnica dos Trabalhadores), die grösste Gewerkschaft Brasiliens, die mehr als 7,5 Millionen Mitglieder zählt, über traditionelle gewerkschaftliche Politikansätze hinaus und fördert die Gründung solidarischer Betriebe. In einigen Universitäten gibt es schon Postgraduierten-Abschlüsse in solidarischer Ökonomie. (vgl. Müller-Plantenberg 2006:116). Die fachliche Ausbildung und der Transfer des Wissens in die Betriebe und Projekte solidarische Ökonomie sind somit zentral. Heute gibt es bundesweit über 80 Incubadoras in Brasilien.

Ausgehend von verschiedenen Caritas-Projekten für eine lokale Gemeindeentwicklung in den 1980er Jahren und ersten Betriebsübernahmen in den 1990er Jahren, hat sich in Brasilien eine bedeutende „solidarökonomische Bewegung“ entwickelt. 2001 wurde auf Anregung der Weltsozialforums in Porto Alegre, ein eigenes Staatssekretariat für solidarische Ökonomie sowie eine bundesweite Arbeitsgruppe Solidarwirtschaft (GTBrasileiro da Economia Solidária) gegründet. (vgl. Dierekes 2011:3ff). Durch die Mobilisierung der Zivilgesellschaft wurde von der Regierung Lula 2003 SENAES[6] gegründet. (Azzellini, Ness 2011: 23). Eines der Hauptaufgaben von SENAES ist die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut unter Kooperation mit anderen staatlichen Stellen wird die Wirtschaftspolitik innerhalb des Ministeriums für Arbeit und Beschäftigung koordiniert. Weiteres fördert SENAES die Schaffung, Erhaltung und vor allem den Ausbau von Beschäftigungsmöglichkeiten für selbstverwalteten Betriebe[7].

Vom Europa des 20. Jahrhunderts bis zur neoliberalen Phase des Kapitalismus in den 1990er Jahre zeigen Immanuel Ness, Professor für Politikwissenschaft am Brooklyn College in New York und Dr. Dario Azzellini, Dozent an der Johannes Kepler Universität in Linz, Österreich, in ihrem neu publizierten Buch „Ours to Master and to Own: Workers´ Control from the Commune to the Present“ auf 400 Seiten quer durch die verschiedensten geographischen Räume wie Asien, Europa, Lateinamerika, USA und Kanada, eine umfassendste Darstellung zu Arbeiterkontrolle und Selbstverwaltung. Im Kapitel „Brazilian Recovered Factories“ von Maurício Sardá de Faria und Henrique T. Novaes wird deutlich, wie die Arbeiter in Insolvenz gegangene Betriebe besetzen, übernehmen und anschließend selbstverwalten. Dies wird vor allem durch zwei Beispiele sehr deutlich nämlich das Projekt Catende Harmonia und die Cooperminas auf die ich im späteren Kapitel näher eingehen werde.

Auch Magister Auinger Markus, Geschäftsführer des Mattersburger Kreises für Entwicklungspolitik (Mattersburger Kreis für Entwicklungspolitik an den österreichischen Universitäten, http://www.mattersburgerkreis.at/mk/ueber_uns.php 20.02.2012) schreibt in seinem Beitrag über „Solidarische Ökonomie und betriebliche Selbstverwaltung – Das Beispiel Usina Catende in Pernambuco, Brasilien. In seiner Arbeit wird gezeigt, welches die ökonomischen Kennzeichen betrieblicher Selbstverwaltung sind, und welche Chancen und Gefahren sich in diese Organisationsformen ergeben können. Auch hier widmet sich die Arbeit dem Projekt Catende Harmonia, das so oft in der Geschichte erneut als historische Referenz herangezogen wird. Als in den letzten zwei Dekaden in Pernambuco mehr als 40.000 Ländereien der Unwirtschaftlichkeit zum Opfer fielen aber auch die negativen Folgen jahrzehnter langer Monokultur sich bemerkbar machten, konnte Usina Catende trotz massiver ökonomischer Probleme seine Überlebensfähigkeit beweisen und damit den gangbaren Weg in eine neue Zukunft demonstrieren. (vgl. Auinger 2007:10). Nicht zu Letzt widmete Mag. Auinger seine Diplomarbeit im Jahre 2008 zum Thema Solidarische Ökonomie und Transformation der. Arbeitsregime in Pernambuco/Brasilien. Dabei lag der Fokus der Arbeit auf die Genossenschaftsbewegung und ihren historischen Wurzeln.

In seinem Text „Solidarische Ökonomie in Brasilien heute: eine vorläufige Bilanz“ geht Paul Singer unter anderem der Frage nach, was eine solidarische Wirtschaft ist.

1.2. Methoden

Da im Großraum Linz keine ExpertInnen, zum Thema solidarökonomische Genossenschaften; Selbstverwaltete Betriebe am Beispiel Brasiliens, zu finden sind, stützt sich die vorliegende Arbeit zu einem überwiegend Teil auf strukturierte und fundierte Literaturrecherche. Während eines drei semestrigen Forschungspraktikums mit Prof. Dr. Antônio Inácio Andrioli habe ich das Thema Solidarökonomie in Brasilien sehr intensiv behandelt. Die zahlreichen Diskussionen mit Prof. Dr. Antônio Inácio Andrioli sowie eine Menge von Seminar- Gruppenarbeiten, Dokumentarfilme und zahlreiche Literaturrecherchen haben mich zu diesem Entschluss gebracht meine Diplomarbeit diesem Thema Solidarökonomie in Brasilien zum besseren Verständnis und zum Kennenlernen der vielfältigen Ansätze ökonomischer Alternativen beizutragen und zu widmen. Solidarökonomie werden oft in kleinen Einheiten erprobt, diese andere Wirtschaftsweise umfasst jedoch weit mehr als nur kleine, feine Alternativprojekte.

Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, der Frage nachzugehen, ob solidarökonomische Genossenschaften eine Alternative oder Nische als Antwort auf Marktversagen im Neoliberalismus sein könnte. Die tragenden Säulen der Solidarökonomie werden zu Beginn der Arbeit beleuchtet, bevor das Phänomen der betrieblichen Selbstverwaltung am Beispiel Brasiliens einer eingehenden Analyse unterzogen wird. Weiter werde ich einige Institutionen erwähnen, die in Brasilien Solidarökonomie fördern. Solche Institutionen spielen eine bedeutende Rolle bei der Bildung von Gruppen auf Basis gemeinsamer Arbeit, kleinen Unternehmen und Fabriken. Alle zusammen bilden die Bewegung der solidarischen Ökonomie (Movimento da Economia Solidária) (vgl. Bernardi 2009:62).

Da viele Institutionen auf lokaler bzw. auf regionaler Ebene aktiv sind, werden sie hier nicht aufgehführt sondern lediglich jene Institutionen, die auf nationaler Ebene agieren. Erwähnt werden die ANTEAG (Associacao Nacional dos Trabalhadores e Empresas de Autogestao e Participacao Acionara - Nationale Vereinigung der Arbeiter in selbstverwalteten Betrieben), MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra - Bewegung der Landlosen), die Rolle der Gewerkschaften, die Kirche und Caritas bzw. die Rolle der Universitäten. Im Anschluss daran sollen Beispiele besetzter Betriebe in Brasilien zeigen, dass solidarische Ökonomie ihre Identität gefestigt hat und daher in der Lage ist, sich auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene zu strukturieren.

Die Zusammenstellung der Beispiele der besetzten Betriebe konzentriert sich auf Brasilien zum besseren Verständnis und zum Kennenlernen der vielfältigen Ansätze ökonomischer Alternativen. Anhand des Literaturvergleichs werden dabei die verschiedenen Texte und Theorien zu Solidarökonomie verglichen und beleuchtet werden.

2. Theoretische Grundlagen

Die Systemtheorie von Talcott Parsons beschäftigt sich mit der Fragestellung wie Gesellschaften mit ihren festen Normen und Werten auf eine Umweltveränderung wie z.B. neue Normen oder Bedürfnisse reagieren und ihren Fortbestand sichern. Parsons ging es um eine Theorie, die unabhängig von jeglicher Gesellschaft und unabhängig von jeglicher zeitgeschichtlicher Position gültig ist, die sich dann doch noch mit der eigenen Gesellschaft befasst (vgl. Korte 2006:172). Parsons hat seine Theorie so allgemein formuliert, dass zeitliche und räumliche Veränderungen wie z.B. historische Epochen in bestimmten Regionen keine Rolle mehr spielen. Zunächst entwickelte Parsons nur eine Handlungstheorie, die er aber später zur Systemtheorie des Strukturfunktionalismus weiterentwickelte. Die funktionalistische Theorie von Parsons soll meine Fragestellung dabei unterstützen zu erklären inwiefern soziales Handeln auf die Stabilität der Gesellschaft wirkt.

Um Talcott Parsons Theorie hinreichend darzustellen, werden zunächst die Begriffe der „Struktur und Funktion“, die von dem englischen Sozialanthropologen Alfred Radcliffe-Brown und dem polnischen Sozialanthropologen Bronislaw Malinowski genauer untersucht. Die Beiträge der Anthropologen nahmen später einen stärkeren Einfluss auf den Strukturfunktionalismus. Im späteren Kapitel wird mit Hilfe des AGIL-Schemas (Vier Grundprobleme von Sozialsystemen – die Anfangsbuchstaben der einzelnen Funktionen wird das AGIL-Schema genannt), das man auf jedes Subsystem übertragen kann, versucht die Komplexität einer genossenschaftlichen Organisation darzulegen. In diesem Zusammenhang gibt die Rollentheorie einen Aufschluss darüber, welche personenbezogene „Positionen“ definiert werden und welche Erwartungen an die Inhaber von Positionen gestellt werden.

2.1. Eine kurze Geschichte der Genossenschaftstheorie

Zu Beginn des Industriekapitalismus wurde Solidarökonomie von ArbeiterInnen als eine Antwort auf die Armut und die Arbeitslosigkeit eingeführt. Die Genossenschaften waren die ersten Versuche der Arbeiter, unter Ausnutzung der neuen Produktivkräften Arbeit und wirtschaftliche Autonomie zurückzuerobern. Ihre Struktur richtete sich nach den Werten der Arbeiterbewegung, Gleichheit und Demokratie, zusammengefasst in der Ideologie des Sozialismus. Die ersten Versuche der Produktionsgenossenschaften ergaben sich in Großbritannien.

Eine politisch motivierte Genossenschaftsbewegung entwickelte sich erst infolge der negativen sozialen und ökonomischen Auswirkungen der industriellen Revolution in England und Frankreich, die für viele ArbeiterInnen Lohnrückgang, Massenarbeitslosigkeit und Armut mit sich brachte. (vgl. Singer 2001:1f). Viele Menschen wanderten von den ländlichen Gebieten in die Großstädte und arbeiteten unter schlechten Arbeitsbedingungen (vgl. Schäfer 2011:76). Im Jahre 1844 wurde in Manchester, im damaligen Zentrum der Textilindustrie Genossenschaften gegründet, die heute als „Pioniere der Rochdale[8] “ bekannte ist.

Mit der Industriellen Revolution entwickelten die Sozialisten, zu denen Robert Owen, Charles Fourier, Saint-Simon, Luis Blanc und Pierre-Joseph Proudhon gehörten, alternative Gesellschaftsmodelle. (vgl. Schäfer 2001:77). Robert Own versuchte mit kooperatives Wohn- und Arbeitsmodell in den USA und ländlichen Regionen von England Solidarität und Gleichheit zu erzeugen. Während Fourier, Saint-Simon und Proudhon im Privateigentum den Ursprung aller Ungleichheit sahen (vgl. Schäfer 2011:77). Fourier, Owen und Proudhon gingen davon aus, dass eine Gleichheit bei der Organisation von Arbeit nur durch die Vereinigung der Arbeiter erreicht werden könnte. (vgl. Schäfer 2011:77). Während Owen, Fourier und Proudhon sich eine Gesellschaft ohne Klassen vorstellten, wollten Saint-Simon und seine Anhänger die motiviertesten, intelligentesten und stärksten Männer an der Spitze ihres Staates stellen.

Im Laufe des letzten Jahrhunderts haben sich die theoretischen Konzepte der Begründung von Genossenschaften stetig gewandelt (vgl. Runkel 2003:29ff) Französische Frühsozialisten wollten die soziale Frage durch die gesellschaftspolitische Wirkung der direkten Demokratie in Vollgenossenschaften lösen und Louis Blanc mit staatlicher Gründungshilfe und Führung einen allgemeinen Übergang zur Selbstverwaltung. Englische Frühsozialisten strebten jedoch Bildung und Erziehung über den Produktionszusammenhang an.

Marx ordnete der Genossenschaft eine Signalfunktion zu. Denn er war der Meinung, dass Genossenschaften bewiesen hätten, dass Wirtschaft auch ohne Kapitalisten möglich sei. (vgl. Runkel 2003:29ff). Frühere Genossenschaftskonzeptionen deuten auf die Bedeutung ökonomischer Stabilität, innerbetrieblicher Strukturen sowie eines ideologischen Überbaus an. Auch die Finanzierung der Genossenschaft wird von früheren Genossenschaftsforschern als problematisch dargestellt. Eine staatliche Subventionierung wird abgelehnt, da sie zu freiem Wettbewerb stehen. Nach Runkel gehen sozialreformerische Überlegungen in Bezug auf die Entwicklungen der neueren Genossenschaftstheorie zurück, moralische Werte verlieren an Bedeutung.

2.2. Struktur und Funktion in „primitive Gesellschaften“

Alfred R. Radcliffe-Brown (1881 – 1955) und Bronislaw Malinowski (1884 – 1942), lieferten eine wichtige Grundlage für Parsons. Diese untersuchten, nach einer Fülle von gesammeltem ethnologischem Material seit dem 18. Jahrhundert, die Kulturerscheinungen in ihrer alltäglichen Bedeutung für die jeweilige Gesellschaft. Beide nahmen an, dass Gesellschaften, egal von welcher Größe nach einem Gleichgewichtszustand streben. (vgl. Korte 2006:173). Sie waren davon überzeugt, dass die Gesellschaft eine Art Organismus ist, in dem die Einzelteile eine bestimmte und bestimmbare Funktion für die Erhaltung des Gesamtsystems haben. (vgl. Korte 2006:173). Vor allem die Hypothese der funktionalistischen Sozialanthropologen, dass jede Gesellschaft nach einem harmonischen, d.h. störungs- und konfliktfreien Gleichgewicht strebt, hat Parsons als Prämisse in seiner allgemeinen Theorie der Gesellschaft übernommen. Zunächst werden Begrifft wie „Struktur“ und Funktion“ erläutert, die sich später auch bei Parsons wiederfinden.

Bei der Analyse sog. „primitiver Gesellschaften“ ging es darum, Kulturerscheinungen aus ihrer Funktion zu erklären, die sie für eine Gesellschaft haben. Alfred R. Radcliffe-Brown[9] und Bronislaw Malinowski[10] gehen von einer Gesellschaft als eine integrierte Ganzheit aus (vgl. Amann 1991: 274f). Radcliffe-Brown geht in Anknüpfung an Durkheim davon aus, dass Gesellschaften Realitäten sind und daher als totales soziales Phänomen untersucht werden müssen. (vgl. Schülein/Brunner 2001:85ff). Radcliffe-Brown definiert den Begriff „ Struktur “ als eine Beziehung zwischen Einheiten, wobei die Beständigkeit der Struktur durch Beziehungen der Einheit aufeinander erhalten wird. Kulturelle Phänomen werden in Beziehungen zu ihrer Funktion zur Erfüllung individueller Bedürfnisse gesehen, denn Malinowski definiert „ Funktion “ als Befriedigung eines Bedürfnisses durch eine Handlung bei der Menschen zusammenwirken, Artefakte benutzen und Güter verbrauchen. (vgl. Schülein/Brunner 2001:87f). Im Unterschied zu Radcliffe-Brown bestimmt Malinowski „Funktion“ aber nicht von der (Gesellschafts-) Struktur her, sondern von menschlichen Bedürfnissen. B. Malinowski ist der Auffassung, dass alle Gegebenheit und Erscheinungen einer Kultur eine Funktion haben. Diese lassen sich folgendermaßen systematisieren:

1. Menschen haben primär Bedürfnisse, die sie zu befriedigen versuchen.
2. Menschliche Triebe und Bedürfnisse sind physiologischer Natur werden aber kulturell umstrukturiert und überformt. (needs and drive)
3. Kultur besteht aus Gegenständen, aus Handlungsweisen, die wichtige Bedürfnisse in Form von Institutionen organisieren.
4. Menschen setzten sich niemals alleine mit ihrer Umwelt auseinander, sondern in organisierter Form (Familie, Clans, Stämme, Ortsgemeinden etc.)
5. Sekundäre Bedürfnisse lassen den Menschen kulturell geschaffenen Leitbildern unterworfen (Schönheitsideal, Schlankheitsideal, etc.). (vgl. Amann 1991:278f).

Vor allem untersucht Malinowski, welchen Beitrag bestimmt gesellschaftliche Institutionen (z.B. Familie, Clans, Stamm) zur Erfüllung der grundlegenden Bedürfnisse der Individuen (Ernährung, Sicherheit, Fortpflanzung) leisten. (vgl. Schülein/Brunner 2001:87f). Existenz und Stabilität des Ganzen sind Zielzustände oder Bezugspunkte der funktionalistischen Analyse. Nach Malinowski ist es wichtig, dass sich Menschen bei ihren Handlungen organisieren, denn die Einheit menschlicher Organisation bezeichnet er als Institution. In dieser kurzen und knappen Ausführung wurden die Begriffe „Struktur“ und „Funktion“ kennengelernt, die alle mehr oder weniger zur Entwicklung des Funktionalismus beigetragen haben. Bei Parsons finden wir ein grundlegendes (und damit entsprechend abstraktes) Konzept des soziologischen Funktionalismus. Dieses Konzept wird als Strukturfunktionalismus bzw. strukturell-funktionale Theorie bezeichnet. (vgl. Schülein/Brunner 2001:87f)

Zusammenfassend ergeben sich wichtige Gesichtspunkte und unterschiedliche Konzeptionen des Funktionsbegriffes bei Alfred R. Radcliffe-Brown. und Bronis Malinowski. Malinowski unterstreicht die menschlichen Bedürfnisse und geht der Frage nach Funktion sozialer Institutionen in Bezug auf deren Beitrag zur Bedürfnisbefriedigung der Individuen. Der Begriff „ Struktur“ steht bei Alfred R. Radcliffe-Brown im Vordergrund und wird als eine gesellschaftliche Struktur erhaltende Wirkung verstanden.

2.3. Der Strukturfunktionalismus nach Talcott Parsons

2.3.1. Die Struktur sozialen Handelns

Wie kann eine Gesellschaft mit ihrem festen Normen und Werten auf eine Umweltveränderung, wie z.B. neue Normen oder Bedürfnissen reagieren und ihren Fortbestand sichern? Dies ist die grosse Fragestellung mit der sich Talcott Parsons in seiner Systemtheorie beschäftigt. Zunächst entwickelte Talcott Parsons nur eine Handlungstheorie, entwickelte diese aber später zur Systemtheorie des Strukturfunktionalismus weiter. Im Allgemeinen versucht die struktur-funktionalistische Theorie von Talcott Parsons zu erklären, inwiefern das soziale Handeln auf die Stabilität der Gesellschaft wirkt. Im Zentrum seiner Betrachtung steht hierbei die Motivation des Individuums und des Akteurs. Um die Theorie des Strukturfunktionalismus zu verstehen ist es zunächst notwendig die drei zentralen Begriffe in Parson´s Systemtheorie zu verstehen. Das System, die Struktur und die Funktion.

Ein soziales System ist die Funktion einer gemeinsamen Kultur, die nicht nur die Basis der Interkommunikation seiner Mitglieder bildet, sondern auch den relativen Status seiner Mitglieder definiert und deshalb in gewissem Sinn bestimmt. (Parsons 1964:31).

T. Parsons sah sein Ziel darin, eine allgemeine Theorie des Handelns („gernal theory of action“) zu entwerfen. Für Talcott Parsons ist es jedoch wichtig einen allgemeinen Bezugsrahmen („frame of reference“) für fundamentale Kategorien und Begriffe zu schaffen. (vgl. Amann 1991:289f). Diesen Bezugsrahmen findet er in Begriffspaar Handelnder Situation. Handeln wird somit nie als einzelner, isolierter Akt gesehen, sondern immer eingebettet in einen Komplex von Bedingungen, die physiologisch-psychologisch, sozial und kulturell zu deuten sind. Die Grundeinheit aller sozialen Systeme ist das Individuum als Handelnder. „In den meisten Beziehungen ist der Handelnde nicht als individuelle Ganzheit beteiligt, sondern nur mit einem bestimmten Ausschnitt seines gesamten Handelns.“ (vgl. Amann 1991:293). Einen solchen Ausschnitt, der zugleich das Grundelement eines Systems sozialer Beziehungen darstellt, nennt man Rolle. Parsons definiert den Begriff der Struktur soll etwas Konstantes und Feststehendes implizieren.

„Die soziale Struktur ist ein System von Beziehungsmustern zwischen Handelnden in ihrer Eigenschaft als Rollenträger. Der Begriff der Rolle verknüpft das Untersystem des Handelnden, als einer „psychologischen“, sich in bestimmter Weise verhaltenden Gesamtheit, mit der eigentlichen sozialen Struktur. In anderen Worten: “For most analytical purposes, the most significant unit of social structures is not the person but the role. The role is that organized sector of an actor´s orientation with constitutes and defines his participation in an interactive process. It involves a set of complementary expectations concerning his own actions and those of others with whom he interacts. Roles are institutionalizes when they are fully congruous with the prevailing culture patterns and are organized around expectations of conformity with morally sanctioned patterns of value-orientation shared by the members of the collectivity in which the role functions (…). An important feature of a large proportion of social roles is that the actions which make them up are not minutely prescribed and that a certain range of variability in regarded as legitimates. Sanctions are not invoked against deviance with- a certain limits. This range of freedom makes it possible for actors with different personalities to fulfill within considerable limits the expectations associated with roughly the same roles without undue strain˵. (vgl. Amann 1991:293).

Nach Parsons strebt der Handelnde Ziele („goals“) an, er reagiert (positiv oder negativ) emotionell oder affektiv auf Gegenstände oder Ereignisse und er erkennt oder versteht die Situation und sich selbst kognitiv bis zu einem bestimmten Grad. Ein Ziel wird als ein „wünschenswerter Zustand“ definiert, sein Nichterreichen bedeutet nach Parsons „Versagung“ oder „Frustration“(vgl. Amann 1991:278ff). Die affektive Situation besteht aus zwei Merkmalen:

1. schmerzliche Bedeutung für den Handelnden
2. Anerkennung oder Ablehnung des Gegenstandes oder des Ereignisses auf die die Reaktion folgt.

Die kognitive Ausrichtung betrifft die Beurteilung der Situation nach den Maßstäben der Richtigkeit und Angemessenheit. Diese Ereignisse sind in zweierlei Formen möglich.

1. als nichtsoziale, wie physische Gegenstände oder kulturelle Mittel (Symbole),
2. oder als soziale, nämlich andere Einzel-Akteure oder Kollektiv.

Es geht um die Zusammenhänge zwischen Persönlichkeit, sozialem System und Kultur, die ihre Konstitution aus dem Handeln heraus erfahren.

„In the formation of systems made up of human actions (there occur) three configurations. First, the orientation of action of any one given actor and is attendant motivational processes become a differentiated and integrated system. This system will be called personality, and we will define it as the organized system of the orientations and motivation of action of one individual actor. Secondly, the action of a plurality of actors in a common situation is a process of interactions (…). This interaction also becomes differentiated and integrated and as such forms a social system (…). Personality and social system are very intimately interrelated, but they are neither identical with one another nor explicable by one another; the social system is not a plurality of personalities. Finally, systems of culture have their own forms and problems of integration which are not reducible of those of either personality or social systems or both together” (vgl. Amann 1991:290).

Parsons sieht den Zweck des sozialen Handelns des Akteurs darin, dass Systeme gebildet bzw. verändert werden sollen. Dieses Handeln, welches sich auf die Beschaffenheit des Systems auswirkt entspricht der Funktion. Diese ist als ein dynamischer Prozess eines Akteurs für den Aufbau, die Erreichung, Erhaltung oder Veränderung eines bestimmten Zustandes des Systems (der Struktur), zu dem der Akteur gehört.

2.3.2 DAS AGIL-Schema

Parsons fasst also Gesellschaften als Handlungssysteme, die die 4 Grundfunktionen erfüllen müssen: (Schülein/Brunner 2001:92)

1. Das System soll sich an die Umwelt anpassen. „ A doption“ (=Anpassung)
2. Ziele sollten organisiert und umgesetzt werden „ G oal-Attainment“ (=Zielerreichung).
3. Ein bestimmtes Maß an innere Einheitlichkeit sollte bestehen. Abweichungen sollten verhindert werden „ I ntegration“ (=Zusammenhalt der Subsysteme).
4. Handlungssysteme müssen dafür sorgen, dass ihre Grundstruktur erhalten bleibt, über Veränderungen hinweg Kontinuität bewahrt. Dies bezeichnet Parsons mit “L atency“ (als „Latenz“ weil es eine indirekte Leistung ist, später auch „pattern maintainance“, Strukturerhaltung genannt.)

Nimmt man jeweils die Anfangsbuchstaben der vier Grundfunktionen (Adoption, Goal-Attainment, Integration, Latency) so ergibt sich daraus die Abkürzung „AGIL“. Daher wird Parsons Modell auch als AGIL Schema bezeichnet. (Schülein/Brunner 2001:92). Innerhalb der Handlungssysteme gibt es entsprechend vier basale Teilsysteme.

1. Der menschliche Organismus, der die (körperliche) Anpassung and die Umwelt erbringt.
2. Die menschliche Persönlichkeit, die für Zielverwirklichung sorgt.
3. Das soziale System, welches für die Integration zuständig ist.
4. Das kulturelle System, welches für die Erhaltung des Handlungssystems garantiert.

Jeder dieser Teilsysteme erfüllt in Parson´s Theorie eine bestimmte und wichtige Funktion. (vgl. Schülein/Brunner 2001:93). Das soziale System ist dabei die „Gesellschaft“. Die anderen drei Teilsysteme bilden die „Umwelt“. Gesellschaft hat die Funktion der Integration – also die Aufgabe alles zusammenzuhalten.

Überträgt man das auf die Gesellschaft, dann kann man sehen, dass die Funktion der Anpassung, also die Bewältigung der Anforderungen der Umwelt und die Aneignung von vorhandenen Naturressourcen sich in den institutionellen Formen von Arbeit und Wirtschaft niederschlägt. (vgl. Korte 2006:178). Zielerreichung ist die Funktion der Politik. In diesem Subsystem wird versucht, die Organisation von Interessen, Parteien und Verbänden, der Kompromiss von Einzelinteressen und die Formulierung von gemeinsamen Handlungsorientierungen, z.B. In Verfassungen und Gesetze zu erreichen (vgl. Korte 2006:178). Das soziale System, das wesentliche Aufgaben der Integration wahrnimmt, ist das gesellschaftliche Gemeinwesen, also das, was unterhalb der Verfassung und Gesetzte im Leben einer Gemeinde, in einer Nachbarschaft, in Vereinen usw. sich abspielt. (vgl. Korte 2006:178). Weiter betont Parsons, dass die Aufgaben der Strukturerhaltung von Systemen, wie Schule und Kirche aber auch von der Familie übernommen werden.

Parsons theoretisches Modell geht darauf aufbauend in zwei Richtungen weiter:

1. Auf der einen Seite beschreibt er den inneren Aufbau von Gesellschaften mit Hilfe seines Ansatzes genauer, Daraus ergibt sich eine komplexe „Architektur“ von sozialer Wirklichkeit.
2. Auf der anderen Seite entwickelt er ein Konzept von Systemvariablen, von Eigenschaften mit einer bestimmten Spannbreite, innerhalb derer Subsysteme bei der Erfüllung ihrer Funktionen variieren können. Mit Hilfe dieser Kriterien entwickelt Parsons auch ein Modell der „Evolution“ von Gesellschaften. (vgl. Schülein/Brunner 2001:94)

Ad a): Parsons betont, dass die „Architektur“ von Gesellschaften sich daraus ergibt, dass jedes der grundlegenden Subsysteme – Wirtschaft, Politik, Normen und Kultur – die vier Grundfunktionen erfüllen müssen. Auch die Wirtschaft muss

- sich an ihre Umgebung anpassen (z.B. durch eine bestimmte Produktionstechnik):
- Zielerreichung ermöglichen ( z.B. Wirtschaftspolitik);
- ein System von Normen und Regeln hervorbringen ( etwa in Form von Wirtschaftsrecht);
- Systemkontinuität durch „Kultur“ gewährleisten;

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Der Strukturfunktionalismus

Parsons geht der Frage nach, wie das System der Integration (Normen) auf das der Anpassung (Wirtschaft) wirkt und in welcher Form müssen Leistungen der Integration ausgedrückt werden, damit sie im Subsystem Wirtschaft wirksam sein können? Parsons sagt, dass jedes soziales System mit Hilfe seiner vier Basisfunktionen (also mit ökonomischen und politischen, normativen und kulturellen Mechanismen) operieren könne, um Verbindungen herzustellen. (vgl. Schülein/Brunner 2001:96).

[...]


[1] Zum Nordosten Brasiliens zählen die Bundesstaaten Maranhao, Piauí, Ceará, Rio Grande do Norte, Paraíba, Sergipe, Alagoas, Pernambuco und Bahía. Gemeinsam machen sie ca. 18,1 % der gesamten Landesfläche aus (http://www.globaldefence.net/kulturen-im-konflikt/westliche-staaten/135-lateinamerika-brasilien-brazil.html?start=6 07.02.2012)

[2] Luiz Inácio Lula da Silva, ein brasilianischer Politiker und war von 01.Janauer 2003 bis 01.Janauer 2011 Präsident.

[3] „Incubadoras“ sind interdisziplinäre Arbeitsgruppen an brasilianischen Hochschulen. Sie betreuen, beraten und begleiten die Erwerbslosen und helfen ihnen bei der Gründung von Gemeinschaftsbetrieben. (http://solidarische-oekonomie.de, 29.07.2011)

[4] Vgl. ( http://solidarische-oekonomie.de, 29.07.2011) Innovationswerkstätten für Gemeinschaftsbetriebe.

[5]

[6] Secretaria Nacional de Economia Solidária; das nationale Sekretariat für solidarische Ökonomie (vgl. http://www.mte.gov.br/ecosolidaria/secretaria_nacional.asp, 27.10.11).

[7] (http://www3.mte.gov.br/tca_contas_anuais/2006/senaes.asp, Secretaria Nacional de Economia Solidária – SENAES, 21.08.2011).

[8] Am 24.10.1844 wurde in dem nordenglischen Städtchen Rochdale eine Konsumgenossenschaft unter dem Namen Rochdale Society of Equitalbe Pioneers gegründet. (vgl. http://www.economia48.com/deu/d/pioniere-von-rochdale/pioniere-von-rochdale.htm, 10.11.2011).

[9] Britischer Sozialanthropologe, dessen bedeutender Beitrag in der Entwicklung systematischer Analyse zur Struktur einfacher Gesellschaften besteht (vgl. Amann 1991:274).

[10] Polnischer Sozialanthropologe, gilt heute als Begründer des britischen Funktionalismus.

Excerpt out of 86 pages

Details

Title
Solidarökonomische Genossenschaften. Betriebliche Selbstverwaltung in Brasilien
College
University of Linz  (Soziologie)
Grade
2
Author
Year
2012
Pages
86
Catalog Number
V311047
ISBN (eBook)
9783668106994
ISBN (Book)
9783668107007
File size
2157 KB
Language
German
Keywords
Solidarökonomie, Wirtschaft, Selbstverwaltung, genossenschaft
Quote paper
Arzo Faizie (Author), 2012, Solidarökonomische Genossenschaften. Betriebliche Selbstverwaltung in Brasilien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/311047

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