Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Mittelalterliche Mythologie
2.1. Riesen
2.2. Zwerge
3. Die Darstellung der Riesen und Zwerge im Herzog Ernst B
3.1. Historischer und Inhaltlicher Abriss
3.2. Arimaspi- Episode
3.2.1. Kurze Einordnung in den Gesamtzusammenhang
3.2.2. Inhalt
3.2.2.1. Die Darstellung der Zwerge
3.2.2.2. Die Darstellung der Riesen
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Der Glaube an Geister, Fabelwesen und geheimnisvolle ordnende Kräfte trübt zwar den kindlichen Geist, erweckt Furcht, verwirrt die Erscheinungen des Lebens und verwischt die Ursachen der Ungerechtigkeiten, er belebt aber auch das Gefühl, bereichert die Natur, nährt die Hoffnung und beglänzt viele sonst sehr nüchterne Dinge und Aufgaben.“1
Der belebende Glaube an Ungewöhnlichkeiten scheint bei näherem Betrachten nicht immer nur das Gespinst, das in den Köpfen der Menschen entstand und über Generationen und Zeitalter weitergegeben wurde, sondern viel mehr als das. Es ist ein Bild der Zeit, ein Bild des Denkens, ein Bild des Verständnisses und ein Bild der Kunst. Phantastische Gedanken stehen als wissenschaftliche Theorien vergangener Zeiten, in denen die Menschen versuchten, sich die Welt, in der sie lebten, mit all ihren Phänomen und Wirkungen, ihrem Zauber und Sinn zu erklären. Egal, ob in Form von Gottheiten, nicht menschlichen Wesen oder gar Ungeheuern, Menschen wollten Antworten auf ihre drängenden Fragen an die Naturerscheinungen. So entstanden Glaube und Mythos und beides wurde zunächst mündlich weitergegeben. Es bildeten sich Geschichten, Sagen, Spekulationen daraus. Der Schwerpunkt dieser Arbeit sei auf zwei mythologische Wesen gelegt. Die Pygmäen und Cananäischen Riesen gelten als ethnologische Kuriositäten im Herzog Ernst und lassen sich in den Orientteil seiner Reise einordnen.2 Diese Arbeit soll jedoch nicht nur analysieren und darstellen, wie die Riesen und Zwerge im HE3 literarisch dargestellt werden, ihre Funktion und Visualisierung beschreiben, sondern auch einen Überblick über die mythologischen Ursprünge und Entwicklung dieser Wesen geben. Den Beginn soll eine Vorstellung beider Wesenstypen machen, gefolgt von der Analyse HE. Hierbei wird zunächst das Werk historisch eingeordnet, um dann den Fokus auf die Arimaspi- Episode zu legen, in dem die Riesen und Zwerge erstmals in Aktion treten.
2. Mittelalterliche Mythologie
Im Straßburger Heldenbuch wird berichtet, „[…] Gott habe die Riesen geschaffen, damit sie zur Sicherheit der arbeitsamen Zwerge die wilden Tiere und Drachen erschlügen. Aber die Riesen wurden ihrer Aufgabe nicht gerecht. Daher schuf Gott die Helden, die diese Aufgabe erfüllten und den Zwergen gegen die Riesen halfen.“4 Hier wird eindrucksvoll das Verhältnis zwischen Riesen, Zwergen und Helden gezeichnet, das die Literatur des Mittelalters dominiert. Die Heldenepik des 12. Jahrhunderts sicherte sowohl Riesen als auch Zwergen einen Platz in der höfischen Literatur. Sie standen jedoch nicht Seit´ an Seit in einheitlichem Streben, sondern traten und treten bis neue heute als Antagonisten auf.5 Riesen und Zwerge als morphologische Gegensätze, gemeinsam verwurzelt in Mythologie und Literatur6, sollen in den folgenden zwei Kapiteln einzeln vorgestellt werden.
2.1. Riesen
„Als David am Kriegsschauplatz angekommen war, sah er den Riesen Goliat. Er hörte, wie er die Israeliten und ihren Gott verspottete. Er merkte, wie alle Israeliten vor ihm Angst hatten und flohen.“7
Die Erzählung aus dem Alten Testament ist nicht nur eine sehr alte, erste explizite Erwähnung eines Riesen, sondern sie gibt durch genaue Angaben eine Vorstellung über die Größe des Riesen Goliath. Davids Gegner ist sechs Ellen und eine Spanne groß (ca. 3,20 m), trägt einen fünftausend Schekel schweren Schuppenpanzer (ca. 56 kg) und der Weberbaum dicke Speer mündet in eine Speerspitze, die sechshundert Schekel (6,8 kg) wiegt.8 Auch in der aktuellen Ausgabe des DUDEN sind Riesen als außergewöhnlich große Menschen ausgewiesen. Waren die Riesen früher noch assoziiert als gefallene Engel oder streitbare Urgestalten wie Titanen und Gegner der Götter mussten sie in Märchen und Sagen einen „Karriereknick“ hin zu großen, dummen, gewalttätigen Tölpeln erleben, die leicht zu überlisten sind. Jedoch soll es mir hier um die ursprüngliche Idee von Riesen gehen. Oftmals wird angenommen, dass Riesen eine Personifikation der Naturgewalten sind, somit ein Ausdruck des menschlichen Erklärungsbedürfnisses. Zudem gab es schon früher Menschen, die auffällig groß und stark waren, sich vom gemeinen Menschen abhoben und damit die Vorlage für Mythen, Legenden und Geschichten boten. Neben den Mythen rund um die Riesen ist es auch möglich, eine wissenschaftliche Annäherung zu wagen. Der homo gigantus ist laut der Kryptozoologie bedauerlicherweise ausgestorben, „denn die Riesen repräsentieren einen der beeindruckendsten Zweige des Hominiden-Stammbaumes - und auch ein biologisches Rätsel.“9 Betrachtet man den Riesen als real existierendes Wesen, so kann man seinen Lebensraum zumeist dem Gebirge zuordnen. Eher verwunderlich ist die Angabe des Lebensalters mit 80- 200 Jahren und der Größe von 4,27- 61m, was auf mich weniger den Eindruck des Ergebnisses realer Forschung zu sein scheint. Begründet wird dieses enorme Wachstum, Gigantismus, durch einen Tumor in der Hirnanhangdrüse, der dazu führt, dass die Knochen immer weiter wachsen. Dies führe jedoch gerade zu einem schnellen Tod. Ich schätze, dass in den Theorien und in der wissenschaftlichen Darstellung eine Vermischung von Realität und Mythologie stattfindet. Ein weiteres Indiz dafür ist das Körpergewicht, das mit 40- 50 Tonnen angegeben wird und damit das von Landlebewesen um ein Vielfaches übersteigt (Verweis: Blauwal 250t - Wasserbewohner, Elefant 5t - Landlebewesen). In der Geschichte wurden natürlich immer wieder riesenhafte Gestalten beschrieben, eigentlich normale Menschen, die jedoch ihre Mitmenschen in Größe und Gewicht übertrafen. Wenn jemand zugleich ein großer Herrscher oder Krieger war (Karl der Große, Theoderich, Roland), wurde oftmals die Größe auch übertrieben beschrieben. Dafür spricht auch, dass im späten Mittelalter die Riesen- und Reckenvorstellung miteinander verschmolzen. Habiger- Tuczay unterscheidet zwei Gruppen von Riesen, jene aus Kanaa und jene aus dem Osten. Der Glaube an erstere fußte im Mittelalter auf dem Alten Testament. Riesen, oder auch Giganten, waren die Kinder einer verbotenen Verbindung zwischen Göttersöhnen und Menschentöchtern und galten als die Verkörperung des Bösen. Die Riesen aus dem Osten, zu denen auch die im HE gehören, finden ihre erste Nennung in der mittelhochdeutschen Dichtung im Alexanderlied des Pfaffen Lamprecht. Neben HE sind sie noch bei Dietrich von Bern und Reinfried von Braunschweig zu finden. Als Prototyp des höfischen Riesen gilt der lange Esealt aus Lanzelet. Er ist groß und hat mit seinem bösen Blick ein furchterregendes Erscheinungsbild. Zudem haben Riesen im Allgemeinen einen eher als plump beschriebenen Körper, was jedoch nicht zwangsläufig dazu führt, dass sie auch träge und langsam sind. Im Gegenteil „[eilen sie] [i]n weiten Sprüngen […] dahin, so dass ihnen nicht einmal ein Pferd zu folgen vermag. Ihre gewaltigen Schritte lassen alles hinter sich einstürzen, das Getier flüchtet. Ihre Schnelligkeit macht Riesen zu vortrefflichen Boten. […][Er] ist so schwer, dass ihn kein Pferd zu tragen vermag, dennoch läuft er mit der schweren Rüstung wie ein Sturmwind.“10 Konträr zu den Angaben der Kryptozoologie finden sich in mittelalterlicher Literatur nur selten konkrete Größenangaben. Bei den Riesen, ähnlich wie bei den Zwergen, illustriert oftmals ein Vergleich, so groß wie ein Turm/ Berg; der Kopf stößt gegen die Baumwipfel; sind schnell wie der Wind, welche Ausmaße ein Riese annimmt. Neben der Größe ist die Kraft ein weiteres wichtiges Merkmal. Der Kraft eines Riesen kommt zumeist die Kraft mehrerer starker Männer gleich. Im Gegensatz zu ihren kleinen Gegenspielern sind die Riesen oft als junge Männer dargestellt. Riesinnen hingegen findet man bis heute eher selten in der Literatur. „Giants can be ugly or beautiful, but it is their behavior that marks them as monstrous or courtly.”11 Ein beliebtes Motiv im Zusammenhang mit den Riesen ist ihr unbändiger Zorn. Ihr Vorkommen ist zumeist in Situationen von Konflikten, Schlacht und Gewalt zu beobachten. Er scheint auch ihr größter Antrieb zu sein, denn ihnen wird eine gewisse Faul- und Beschränktheit nachgesagt. Sie leben ohne jede hierarchische Struktur in Clans oder Zweiergruppe. Riesen treten jedoch nicht nur als böse Gestalten auf, die den Helden auflauern und sie jagen, sondern zeichnen sich als Wächter oder Pförtner und somit an der Seite von Helden, durch ihre Treue aus. In ihrer Funktion als Torwächter, symbolisieren sie auch eine Grenze zwischen zwei Welten - der Natur und der höfischen Kultur.12 Dennoch, so lässt auch das Hauptmotiv des Zorns vermuten, sind die Riesen zumeist kämpfend dargestellt. Charakteristisch ist die Stahlstange als Waffe. Es gibt Vermutungen, dass die Stange eine Fortentwicklung eines entwurzelten Baumes ist, aus dem zunächst eine Holzstange wurde und letztlich ein Eisenbeschlag hinzukam. Die Darstellung der Riesen mit einer Keule scheint eine niedere Stufe zu sein, derer sich wilde Leute oder Räuber bedienten. Der höfische Riese kämpft in einer Rüstung, die durch Drachenblut geschützt ist, hoch zu Ross oder zu Fuß und ist neben seiner Stange auch mit Schild und Schwert ausgerüstet.
Abschließend lässt sich festhalten, dass die Riesen überall auf der Welt in der Mythologie und Religion verwurzelt sind. Während in der Darstellungsweise bei Größe und Gewicht nahezu Einigkeit herrscht, kann nicht eindeutig bestimmt werden, ob Riesen gut oder böse, dumm oder klug, einfältig oder geschickt, brutal oder ritterlich. Trotzdem ist es oft das Schicksal des Riesen in Gefangenschaft zu geraten, verstoßen in sein altes Gebiet zurückzukehren, oder den Tod zu erleiden.13
2.2. Zwerge
„Ein Zwerg wird nicht größer, auch wenn er sich auf einen Berg stellt.“14
Zielt dieses Zitat speziell auf die Größe der Zwerge ab, so erweckt es durch die Formulierung gleichwohl den Anschein, als gäbe es nur die Zwerge. Es kann jedoch keinesfalls von nur von einer Art gesprochen werden, im Gegenteil bildet Zwerg eher einen Kollektivbegriff ab, der zudem dazu neigt, verschiedene reale, der Mythologie und dem Volksglaube entsprungene Wesen miteinander zu vermischen. In der Realität finden wir noch heute kleinwüchsige Menschen, das schlussfolgern lässt, dass es diese schon immer gab. Die Pygmäen wurden beispielsweise als ganzes Volk kleinwüchsiger Menschen beschrieben. Ihre erste Erwähnung finden sie 2350 v.Chr. in Ägypten. Ein Reisender brachte einen Pygmäen mit und bezeichnete ihn als deneg, Zwerg.15 Auch danach gab es immer wieder Geschichten über Zwergenvölker in Afrika, Persien und Indien. Diese realen Zwerge ließen sich häufig bei Hofe als Narren oder Gaukler finden. Es wurde postuliert, dass die Antike die Existenz der Pygmäen und die Zuordnung derer zu den Hominiden als Realität verstand.16 Da im Mittelalter erste Zweifel an dieser Auffassung aufkamen, begannen die Menschen, die Erzählungen um das Volk der Pygmäen so auszugestalten, dass letztlich nicht mehr oder nicht weniger als ein Fabelvolk übrig blieb. Konsultiert man heute die Mediävistik oder Germanistik, resultiert daraus eine eindeutige Zuordnung zu den Wundervölker. Die Wundervölker und auch Monstra stießen im Mittelalter auf großes Interesse, da vor allem im 12. Jahrhundert die Beschäftigung mit den Wundern der Welt und der Vielfalt der Natur populär wurde. So entwickelten sich diese zu einem festen Bestandteil des mittelalterlichen Weltbildes. Ist die Verortung dieser Wundervölker eher auf den Orient bezogen, kann man feststellen, dass die Zwerge in der Literatur oftmals eine ganz andere geografische Einordnung erfahren. Hier kann statuiert werden, dass das Vermischen der verschiedenen Verständnisse von Zwergen zu diesem Unterschied geführt haben. Auch die vielfach unterschiedlichen Beschreibungen des Charakters, des Aussehens, der Funktion, die parallel
[...]
1 Ehm Welk (1952): Mein Land, das ferne leuchtet. Berlin: Henschel, 1952. S. 19.
2 Vgl. Alev Tekinay(1980): Materialien zum vergleichenden Studium von Erzählmotiven der deutschen Dichtung des Mittelalters und den Literaturen des Orients. Europäische Hochschulschriften: Reihe 1, Dt. Sprache u. Literatur, Bd. 344. Frankfurt a.M.: Verlag Peter D. Lang GmbH. S. 147.
3 HE wird eingeführt als Abkürzung für den vollständigen Werktitel Herzog Ernst, siehe Literaturverzeichnis
4 Christa Habiger-Tuczay: Zwerge und Riesen., S.642, nach einem Vgl. des Straßburger Heldenbuches.
5 Vgl. EBD., S. 636.
6 Vgl. EBD., S.635-658.
7 Georg Schädle: Altes Testament - David gegen Goliath. Grundschülerwissen Katholische Religion 1. In: http://bilder.buecher.de/zusatz/28/28032/28032255_lese_1.pdf, zitiert: 25.09.2015.
8 Vgl. Ebd.
9 Zusammenarbeit mit Londoner Kryptozoolgischer Gesellschaft (2000): Das große Buch der Ungeheuer. Mit hundert Fabelwesen aus allen Erdteilen. Wien: Tosa Verlag, S. 192.
10 Christa Habiger-Tuczay: Zwerge und Riesen. S.652.
11 Tina Marie Boyer: Chaos, Order, and Alterity: The Function and Significance of Giants in Medieval German. California 2010: S. 7.
12 Vgl. Ebd., S. 2.
13 Vgl. Ebd., S.7.
14 Lucius Annaeus Seneca: Epistulae morales ad Lucilium, IX, LXXVI, 31. In: http://www.zitate- online.de/literaturzitate/allgemein/18489/ein-zwerg-wird-nicht-groesser-auch-wenn- er.html#werbungkommentare, zitiert: 25.08.2015.
15 Vgl. Helmut Werner(2007): Das große Handbuch der Dämonen. Monster, Vampire, Werwölfe. Wien: Tosa Verlag.
16 Vgl. Joseph Koch (1931): Sind die Pygmäen Menschen? Ein Kapitel aus der philosophischen Anthropologie der mittelalterlichen Scholastik. In: Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. XL, Heft 2. S. 198.