Sportvereine als Kooperationspartner in der Betrieblichen Gesundheitsförderung

Eine kritische Betrachtung der Chancen und Herausforderungen anhand empirischer Untersuchungen


Masterarbeit, 2015

247 Seiten, Note: 1,35


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Stand der Forschung und Theoriebezug
2.1 Veränderungen der Arbeitsbedingungen
2.2 Die Betriebliche Gesundheitsförderung
2.3 Die gesundheitswissenschaftliche Betrachtungsweise der Betrieblichen Gesundheitsförderung
2.4 Die soziologische Betrachtungsweise der Betrieblichen Gesundheitsförderung
2.5 Nutzen und Bedeutung der Betrieblichen Gesundheitsförderung und deren praktische Umsetzung im Sport
2.6 Schlussfolgerungen

3 Untersuchungen
3.1 Untersuchungsfeld
3.2 Untersuchungsaufbau
3.3 Analyse der Maßnahmen und Rahmenbedingungen
3.3.1 Ergebnisse der Analyse der Maßnahmen
3.4 Offene Leitfadeninterviews
3.4.1 Konzeption Leitfaden
3.4.2 Auswertungsmethode
3.4.3 Darstellung Ergebnisse der Interviews

4 Diskussion der Ergebnisse (Interpretation)

5 Reflexionen
5.1 Rollen-, und Methodenreflexion
5.2 Theoriereflexion

6 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Anteile der Altersgruppen in Prozent, 1960 bis 2060. Stand: Ende 2009 Quelle: Eigene Darstellung nach Statistischem Bundesamt: Lange Reihen: 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung

Abb. 2: Arbeitsunfähigkeit seit 1976 (Tage) pro Jahr Quelle: BKK Dachverband e.V., 2013, S. 14

Abb. 3: AU-Tage nach Altersgruppen 2009 Quelle: Eigene Darstellung nach Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2010, S. 52

Abb. 4: Ansatzpunkte der Prävention: Verhältnis- und Verhaltensprävention Quelle: Eigene Darstellung nach Unfallkasse des Bundes, 2009, S.2

Abb. 5: Bestandteile Betriebliches Gesundheitsmanagement Quelle: Unfallkasse des Bundes, 2009a, S.1

Abb. 6: Das salutogenetische Modell von Antonovsky (vereinfachte Darstellung) Quelle: Eigene Darstellung nach Antonovsky 1979, S. 185

Abb. 7: Zusammenspiel der drei Faktoren des Kohärenzsinn Quelle: Eigene Darstellung

Abb. 8: Organisationsgrad 2012 im LandesSportBund Niedersachsen (in Klam- mern: Veränderung zu 2000 in Prozentpunkten (PP)) Quelle: Eigene Darstellung nach Daten des LSB Niedersachsen

Abb. 9: Organigramm des LandesSportBund Niedersachsen Quelle: LSB Niedersachsen

Abb. 10: Organisationsgrad 2012 im Stadtsportbund Hannover, im Kreissport- bund Hildesheim und im LandesSportBund Niedersachsen (in Klammern: Veränderung zu 2000 in Prozentpunkten) Quelle: Eigene Darstellung nach Daten des LSB Niedersachsen

Abb. 11: Anforderungskatalog des Leitfaden Prävention in Bezug auf die BGF-der untersuchten Sportvereine Quelle: Eigene Darstellung

Abb. 12: Aus der Kategorienbildung nach Mayring (2003) ermittelte Kategorien Quelle: Eigene Darstellung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

„ Gesundheit wird von den Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt, dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Gesundheit entsteht dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in der Lage ist, selber Entscheidungen zu fällen und Kontrolleüber die eigenen Lebensumstände auszuüben sowie dadurch, dass die Gesellschaft in der man lebt, Bedingungen herstellt, die allen ihren Bürgern Gesundheit erm ö glicht. “ (Weltgesundheitsorganisation 1986)

Der zitierte Auszug aus der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung zeigt, dass die Arbeitswelt zur alltäglichen Umwelt eines jeden gehört und es daher nötig ist auch im betrieblichen Umfeld für die Förderung der Gesundheit zu sorgen. Die Veränderungen der Arbeitswelt - demografischer Wandel, neue und sich verändernde Krankheitsbil- der, Fachkräftemangel, Technisierung der Arbeitsprozesse, flexible Arbeitsplatzgestal- tung, etc. - belasten sowohl die Arbeitnehmer1, als auch die Unternehmen. Resultie- rend aus der zunehmenden psychischen Belastung der Arbeitnehmer (bei abnehmen- der physischer Belastung), wird der Gesundheitszustand der Arbeitnehmer beeinflusst und kann den Verlust oder zeitweisen Ausfall von qualifizierten, leistungsfähigen Mitar- beitern für die Unternehmen bedeuten. Die Unternehmen sehen sich mit dem Verlust von leistungsfähigen und gesunden Mitarbeitern konfrontiert. Um einen Produktivitäts- abfall und Nicht-Erreichen der gesetzten Ziele zu verhindern, kommt der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) eine besondere Bedeutung zu. Sie nimmt sich dem The- menfeld der Unterstützung von Unternehmen bei der Förderung und Erhaltung der Ge- sundheit, d. h. Leistungsfähigkeit und -Bereitschaft ihrer Mitarbeiter, zwecks Senkung von direkten und indirekten Fehlzeiten sowie Krankheitskosten, an (vgl. Badura, 1999, Bamberg et al., 1998). Laut der Luxemburger Deklaration von 1997 vereint die Betrieb- liche Gesundheitsförderung alle gemeinsamen Maßnahmen von Arbeitgebern, Arbeit- nehmern und Gesellschaft zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz (vgl. ENWPH 1997, S.1).

Während die Arbeitnehmer in den Unternehmen in der Regel von ihren Krankenkassen bei der Ausführung von Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung unter- stützt und gefördert werden (z.B. über Bonusprogramme), erhalten die Unternehmen vom Gesetzgeber eine Steuerbefreiung i. H. v. bis zu 500 € pro Mitarbeiter und Jahr für qualitätsgeprüfte Maßnahmen (§ 3 Nr. 34 des EStG).

Große Unternehmen sind häufig personell und finanziell dazu in der Lage, die Maß- nahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung selbst durchzuführen oder durch ex- terne Anbieter durchführen zu lassen. Trotz der finanziellen Unterstützung seitens Krankenkassen und Gesetzgeber stehen jedoch besonders die kleinen und mittelstän- dischen Unternehmen (KMU) in der Umsetzung von Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung vor der Herausforderung, „nicht in der Lage (Anm. zu sein) Per- sonal für die Planung und Umsetzung von BGF vorzuhalten.“ (Potuschek/Karl, 2014, S.27). Auf Grund dieser Erkenntnis liegt der Schwerpunkt der vorliegenden Abschluss- arbeit auf Kooperationen im Rahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung zwi- schen Sportvereinen und KMU.

Besonders im Hinblick auf die vier Säulen der BGF - Bewegung, Ernährung, Stressprävention und Suchtprävention - entsteht der Eindruck, dass Institutionen des organisierten Sports weithin als Experten des Handlungsfeldes ‚Bewegung‘ angesehen werden können. Diese Einschätzung entsteht vor dem Hintergrund, dass die Sportver- eine bereits auf dem Themengebiet ‚Sport und Gesundheit‘ aktiv sind und zahlreiche Sportvereine ihre Angebote mit dem Siegel ‚Sport pro Gesundheit‘ durch die Lan- dessportbünde zertifizieren lassen. Es scheint daher naheliegend, dass bundesweit Kooperationen zwischen Sportvereinen und KMU mit dem Ziel der Betrieblichen Ge- sundheitsförderung vereinbart werden. Umso erstaunlicher ist es, dass das Thema ‚Sportvereine als Kooperationspartner von KMU in der Betrieblichen Gesundheitsförde- rung‘ in der Fachliteratur bisher unberücksichtigt geblieben ist. Bisherige Studien be- schäftigen sich mit den Themen ‚KMU und Betriebliche Gesundheitsförderung‘ (vgl. Faller, 2012; Bamberg/Ducki/Metz, 1998; Meggeneder/Pelster/Sochert, 2005) und ‚Ge- sundheitssport im Sportverein‘ (vgl. Breuer/Wicker, 2008), jedoch nicht damit, welche Chancen und Risiken sich aus einer Kooperation zwischen Sportvereinen und KMU im Handlungsfeld der BGF ergeben.

Daraus ergibt sich für die vorliegende Abschlussarbeit die Fragestellung, ob Sportvereine als Kooperationspartner für die BGF in KMU agieren können. Aus der Fragestellung ergeben sich die folgenden Unterfragestellungen:

- Warum sollten KMU und Sportvereine kooperieren?
- Welche Voraussetzungen sind förderlich für erfolgreiche Kooperationen?
- Welche Ansprüche haben die KMU an die kooperierenden Sportvereine?
- Welche Ansprüche haben die Sportvereine an die kooperierenden KMU?
- Welchen Herausforderungen in Bezug auf die Umsetzung begegnen die Sportver- eine?

Die vorliegende Abschlussarbeit wurde im Rahmen eines Praktikums beim LandesSportBund Niedersachsen verfasst. Aus diesem Grund soll ferner die folgende Fragestellung erörtert werden:

- Wie kann der LandesSportBund (LSB) Niedersachsen die Vereine bei Kooperationen mit Unternehmen unterstützen?

Ziel der vorliegenden Abschlussarbeit ist die Herausarbeitung der Chancen und Her- ausforderungen von Kooperationsvereinbarungen in der BGF zwischen Sportvereinen und KMU. Ferner sollen die für die Kooperation dienlichen Rahmenbedingungen ana- lysiert und skizziert werden. Darüber hinaus ist es Ziel dieser Abschlussarbeit zu unter- suchen, mit welchen Maßnahmen der LandesSportBund Niedersachsen - in seiner Funktion als Dachorganisation des organisierten Sports in Niedersachsen - die Sport- vereine bei den Kooperationen mit KMU unterstützen kann. Als zu untersuchende Or- ganisationen wurden zu diesem Zweck zwei niedersächsische Sportvereine, sowie zwei mit den untersuchten Vereinen kooperierende KMU ausgewählt. Als Grundlage für die Beantwortung der Fragestellung wird in Kapitel 2 zunächst ein Überblick über die Veränderungen am Arbeitsplatz gegeben. Luhmanns Systemtheorie und Bourdieus Konzept des Sozialkapitals orientieren sich an der soziologischen Betrachtungsweise der BGF, während der salutogenetische Ansatz nach Antonovsky die gesundheitswis- senschaftliche Betrachtungsweise der BGF bildet. Beide Zugänge stellen die theoreti- sche Grundlage dieser Abschlussarbeit dar. Es wird dabei auf beide Zugänge einge- gangen, da beide Betrachtungsweisen von gleich hoher Relevanz für die Bearbeitung der Fragestellung sind und sich teilweise ergänzen. Im dritten Kapitel wird zu Beginn das Untersuchungsfeld vorgestellt, sowie Untersuchungsaufbau und -Methodik be- schrieben. Für die Beantwortung der Fragestellungen werden im ersten Schritt die Rahmenbedingungen der Kooperationen im Hinblick auf gewählte Kriterien analysiert. Im zweiten Schritt werden offene Leitfadeninterviews innerhalb der Organisationen im Untersuchungsfeld geführt. Die Auswertung der aus Inhaltsanalyse und offenen Leitfa- deninterviews ermittelten Ergebnisse erfolgt im vierten Kapitel.

Eine Rollen-, Methoden- und Theoriereflexion wird im fünften Kapitel gegeben. Ab- schließend folgt in Kapitel 6 das Fazit, welches den Erkenntnisgewinn der vorliegenden Abschlussarbeit zusammenfasst und einen Ausblick auf weiterführende Fragestellungen gibt, die Ansätze für zusätzliche Untersuchungen zum Thema ‚Sportvereine als Partner in der BGF‘ liefern.

2 Stand der Forschung und Theoriebezug

Wie in der Einleitung bereits beschrieben, werden im Folgenden zunächst die Verände- rungen der Arbeitsbedingungen und deren gesundheitlichen Folgen für die Belegschaft eines Unternehmens beschrieben. Resultierend aus den Veränderungen der Arbeits- bedingungen wird anschließend das Konzept der Betrieblichen Gesundheitsförderung, sowie deren Handlungsfelder und Akteure dargestellt. Mit Hilfe der gesundheitswissen- schaftlichen und soziologischen Betrachtungsweisen in den Kapiteln 2.3 und 2.4 wer- den Theorien aufgegriffen, die sich mit dem Thema Arbeit und Gesundheit befassen. Es wird Antonovskys salutogenetischer Ansatz beschrieben, der sich mit der Entste- hung und Förderung von Gesundheit auseinandersetzt. Bevor anhand von Luhmanns Systemtheorie geklärt werden kann, ob das System Sport Aufgaben des Systems Ar- beit übernehmen kann, wird dargestellt welchen Einfluss das Sozialkapital von Arbeit- nehmern auf die Gesundheit hat.

2.1 Veränderungen der Arbeitsbedingungen

Unternehmen in Deutschland sehen sich verstärkt mit den vier ‚Megatrends‘ Informati- sierung, Internationalisierung, Finanzialisierung und demographischem Wandel kon- frontiert. Gerlmaier (2010, S.13) sieht in der Informatisierung „die zunehmende Durch- dringung der Wirtschaft und Gesellschaft mit neuen IuK-Technologien“, durch welche Arbeit „zwar geistig anspruchsvoll und fordernd“ wird, aber von den Arbeitnehmern auch als „stressend und körperlich wenig abwechslungsreich“ wahrgenommen wird.

Auch die Internationalisierung, bei der die Unternehmen die Möglichkeit erhalten grenzüberschreitend Werte zu schöpfen (bspw. neue Produktionsstätten, neue Absatzmärkte, neue Mitarbeiter, etc.) hat folgenreiche Konsequenzen für die Arbeitnehmer. Für diese entsteht eine neuartige Konkurrenzsituation und der „zunehmende Druck auf Arbeitsstandards wie Arbeitszeit- und Entgeltregelungen“ (Gerlmaier, 2010, S.14) führt zu einer verstärkten psychischen Belastung im Beruf.

Laut Gerlmaier (2010, S.14) werden infolge der Finanzialisierung „Aktienkurse und Börsenerwartungen als Orientierungs- und Steuerungsdaten für Unternehmen immer wichtiger“, so dass weniger Investitionen getätigt werden, die nicht kurzfristig einen ho- hen Umsatz erwarten lassen, „wie etwa für Weiterbildungs- oder Arbeitsgestaltungs- maßnahmen“.

Informatisierung, Internationalisierung und Finanzialisierung sind Trends, die vor allem dem Umbruch der Wirtschaft geschuldet sind. Während die traditionell industriell geprägte Arbeit an Bedeutung verliert, gewinnen neue Arbeitsformen, wie Projektarbeit, Home-Office, etc. zunehmend an Bedeutung.

Über den Umbruch der Wirtschaft hinaus hat auch der demographische Wandel Aus- wirkungen auf die Arbeitsbedingungen. In der Literatur wird der demographische Wan- del weitgehend als Rückgang und Überalterung der Bevölkerung beschrieben (siehe Abbildung 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Anteile der Altersgruppen in Prozent, 1960 bis 2060. Stand: Ende 2009lQuelle: Eigene Darstellung nach Statistischem Bundesamt: Lange Reihen: 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung

Zurückzuführen ist diese Entwicklung auf sinkende Geburtenraten und eine steigende Lebenserwartung (vgl. Badura et al., 2010, S.20). Wo momentan noch die Gruppe der 25-49-Jährigen den größten Anteil an Erwerbstätigen stellt, wird erwartet, dass diese Gruppe bis zum Jahr 2020 von der Gruppe der 50-63-Jährigen abgelöst wird. Somit stehen den Arbeitgebern immer weniger, dafür aber ältere Arbeitnehmer zur Verfü- gung. Eine Folge ist das sinkende Angebot an jungen Nachwuchskräften und damit verbunden ein höherer Wettbewerb der KMUs um qualifizierte Kräfte (vgl. Badura et al., 2010, S.21f.).

Die folgende Abbildung zeigt die Entwicklung der AU(Arbeitsunfähigkeits)-Tage je Pflichtmitglied:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Arbeitsunfähigkeit seit 1976 (Tage) pro Jahr Quelle: BKK Dachverband e.V., 2013, S.14

Die Abbildung zeigt, dass bis 1991 die Arbeitsunfähigkeit in Tagen stark anstieg, da- nach jedoch eine absteigende Tendenz auszumachen ist. Ein Niedrigstand der AU- Tage ist 2006 mit 12,8 Tagen je Pflichtmitglied zu erkennen, seitdem ist die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage wieder auf 16,6 Tage je Pflichtmitglied (2012) angestiegen. Während der Bundesdurchschnitt der AU-Tage nach Bundesländern im Jahr 2012 bei 16,6 Tagen lag, offenbart sich ein Handlungsbedarf für das Bundesland Niedersach- sen, das mit durchschnittlich 16,7 AU-Tagen nur knapp über dem Bundesdurchschnitt liegt. Durch geeignete Maßnahmen in der Betrieblichen Gesundheitsförderung ließe sich die Anzahl der AU-Tage vermindern.

Fest steht, dass das Durchschnittsalter der Mitarbeiter in den Unternehmen steigen wird. Abbildung 3 verdeutlicht, dass eine alternde Belegschaft nicht zwangsläufig häufiger krank ist, jedoch die Dauer der Krankheit (kommt zum Ausdruck in den Arbeitsunfähigkeits(AU)-Tagen) positiv mit dem Alter korreliert - je höher das Alter der Arbeitnehmer, desto länger beträgt die Dauer einer Erkrankung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: AU-Tage nach Altersgruppen 2009

Quelle: Eigene Darstellung nach Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2010, S.52

Neben den tatsächlichen Fehlzeiten von Arbeitnehmern durch AU-Tage stellt der so- genannte Präsentismus ein zunehmendes Problem für die Unternehmen dar. Präsen- tismus beschreibt dabei den Umstand, dass erkrankte Arbeitnehmer zur Arbeit gehen. Dies kann aus mannigfaltigen Gründen geschehen, z.B. aus Jobverlustängsten, Kon- kurrenzkampf im Beruf, etc. Den Unternehmen drohen durch die eingeschränkte Leis- tungsfähigkeit ihrer Arbeitnehmer verringerte Qualität, Produktivitätsverluste, vermehrte Fehler, Unfälle am Arbeitsplatz, längere Genesungsprozesse bis hin zu chronischen Erkrankungen ihrer Arbeitnehmer. Eine Booz & Company-Berechnung (2011) hat ge- zeigt, dass die krankheitsbedingten Kosten, die den Unternehmen entstehen, zu zwei Dritteln auf Präsentismus zurückzuführen sind (reine Fehlzeiten kosten die Unterneh- men 1.199 Euro pro Mitarbeiter und Jahr, Präsentismus kostet die Unternehmen 2.399 Euro pro Mitarbeiter und Jahr).

Die zunehmenden Veränderungen der Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer gehen einher mit der Gefahr von steigenden psychischen und physischen Belastungen für die Arbeitnehmer. Job- und Existenzängste durch zunehmende internationale Konkurrenz, Zeitdruck, hohe Arbeitsintensitäten sowie das Verschwimmen von Grenzen zwischen Beruf und Privatleben steigern das Stressempfinden und belasten die Arbeitnehmer psychisch. Wenig abwechslungsreiche körperliche Betätigung bei der Arbeit, bspw. durch langes Sitzen oder körperlich anstrengende oder monotone Arbeitsabläufe ha- ben Einfluss auf die Physis der Arbeitnehmer. Während psychische Belastungen Mus- kelverspannungen verursachen und Rückenbeschwerden begünstigen (vgl. Lüh- mann/Zimolog, 2007), haben Sitzen und Bildschirmarbeit häufig weitreichende Folgen für das Muskel-Skelett-System (Wulf, 2009). Laut der Broschüre ‚Arbeitswelt im Wan- del, Zahlen - Daten - Fakten‘ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Ausgabe 2012) lassen sich 24,4% der AU-Tage auf Erkrankungen des Muskel- Skelett-Systems und des Bindegewebes zurückführen, weitere 10% auf psychische Verhaltensstörungen. Seit 1994 hat die Zahl an AU-Tagen aufgrund psychischer Stö- rungen stark zugenommen. Während 1994 auf 1.000 Frauen 1.314 AU-Tage und auf 1.000 Männer 703 AU-Tage kamen, waren es 2012 bei Frauen 2.766 und bei Männern 1.644 AU-Tage. Die AU-Tage aufgrund psychischer Störungen haben sich somit in beiden Gruppen mehr als verdoppelt.

2008 beliefen sich die aus Krankheitsfällen der Mitarbeiter resultierenden direkten Kos- ten (Kosten bei der Sozialversicherung) und indirekten Kosten (volkswirtschaftlicher Schaden) auf rund 24,6 Milliarden Euro (vgl. Badura et al., 2010, S.15, nach BKK Fak- tenspiegel 2008).

Es ist daher notwendig, dass sich die Unternehmen dem Thema der Betrieblichen Gesundheitsförderung annehmen, um die Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter und somit ihre eigene Produktivität zu erhalten. Dies gilt besonders für KMU, deren Mitarbeiterzahl per Definition der KfW Bankengruppe zwischen 10 und 250 Mitarbeitern liegt und die einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. Euro erwirtschaftet haben2. Denn es gilt: Je kleiner das Unternehmen, desto weitreichender sind die ökonomischen Folgen durch nicht leistungsfähige Mitarbeiter.

2.2 Die Betriebliche Gesundheitsf ö rderung

Nachdem in dem vorangegangen Kapitel die Dringlichkeit und Notwendigkeit von BGF verdeutlicht wurde, werden in den folgenden Kapiteln zunächst die Begriffe Betriebliche Gesundheitsförderung und Betriebliches Gesundheitsmanagement geklärt und voneinander abgegrenzt. Desweitern werden die Handlungsfelder, sowie die Akteure der BGF aufgezeigt, mit dem Ziel ein kompaktes Bild der BGF zugeben.

2.2.1 Begriffsabgrenzung BGF und BGM

Bevor die Begriffe Betriebliche Gesundheitsförderung und Betriebliches Gesundheits- management definiert werden können, ist es notwendig zunächst die Begrifflichkeit ‚Gesundheit‘ zu klären, um einen ganzheitlichen Überblick zu schaffen. Ein Blick in die Literatur zeigt, dass es keine allgemein gültige Definition für den Begriff Gesundheit gibt. Eine Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 1946 lautet: „Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen“ (vgl. Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport, o.J.). Kritisch anmerken lässt sich zu der knapp 60 Jahre alten WHO-Definition, dass Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung per se als krank bezeichnet werden, obwohl sie, gemessen an den eigenen persönlichen Ressourcen, als gesund einzustufen wären.

Die Definition von Gesundheit nach Badura et al. (2010, S.32f.) greift diese Kritik auf und berücksichtigt die persönlichen Ressourcen jedes einzelnen, in dem das persönli- che Befinden in den Vordergrund gestellt wird: „Gesundheit ist eine Fähigkeit zur Prob- lemlösung und Gefühlsregulierung, durch die ein positives seelisches und körperliches Befinden - insbesondere ein positives Selbstwertgefühl - und ein unterstützendes Netzwerk sozialer Beziehungen erhalten oder wiederhergestellt wird.“ Badura et al. zeigen somit deutlich auf, dass Gesundheit nicht nur eindimensional auf das Fehlen von Krankheiten abzustellen ist, sondern mehrdimensional und dynamisch ist und den Menschen und seine sozialen Verflechtungen in den Mittelpunkt stellt. Die Definition von Gesundheit nach Badura et al. unterstreicht darüber hinaus die Bedeutung des Be- findens - ein Aspekt der sich ebenfalls in der Luxemburger Deklaration zur Betriebli- chen Gesundheitsförderung wiederfindet. Nach ihr ist BGF eine „moderne Unterneh- mensstrategie und zielt darauf ab, Krankheiten am Arbeitsplatz vorzubeugen (ein- schließlich arbeitsbedingter Erkrankungen, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und Stress), Gesundheitspotentiale zu stärken und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz zu verbessern“ (vgl. Luxemburger Deklaration zur Betrieblichen Gesundheitsförderung, 2007, o.S.) Festzuhalten ist, dass die Luxemburger Deklaration in ihren Ausführungen zu den durchzuführenden Maßnahmen sowohl Arbeitgeber, Arbeitnehmer als auch die Gesellschaft in der Pflicht sieht Gesundheit und Wohlbefinden der Arbeitnehmer zu verbessern (vgl. Luxemburger Deklaration zur Betrieblichen Gesundheitsförderung, 2007, o.S.).

Der dabei verfolgte Settingansatz (auch Lebenswelt-Ansatz) beschreibt eine Strategie der Gesundheitsförderung. Gemeint ist, dass der Fokus auf Lebenswelten gelegt wird, die eine besondere Bedeutung für Menschen haben. Bspw. Kindertageseinrichtungen, Schule, Stadt, Gemeinde oder der Betrieb (vgl. Kaba-Schönstein, 2011, S.141). Die Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung kennen mit der Verhält- nisprävention und der Verhaltensprävention zwei Ansatzpunkte (vgl. Deutsche Gesetz- liche Unfallversicherung, 2011, S.3). Die verhältnisbezogene Betriebliche Gesundheits- förderung bezieht sich auf die Rahmenbedingungen der Arbeitsausführungen, d.h. der Fokus der verhältnisbezogenen BGF liegt auf der Arbeitsplatzgestaltung, der Arbeits- organisation und den Arbeitsbedingungen. Maßnahmen der verhältnisbezogenen BGF können beispielsweise in der Arbeitszeitgestaltung, oder einem gesunden Ernährungsprogramm in der Kantine zum Ausdruck kommen (vgl. Goldgruber, 2012, S.164). Dementgegen setzt die verhaltensbezogene Betriebliche Gesundheitsförderung bei dem „individuellen Gesundheitsverhalten der Organisationsmitglieder“ (vgl. Goldgruber, 2012, S.163) an. Erklärtes Ziel ist es, die Arbeitnehmer zu informieren und sie in ihrem Vorhaben, die Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu verbessern, zu motivieren. Dieses Ziel kann über Bewegungsprogramme, Anti-Stressseminare oder Ähnliches erreicht werden (vgl. Goldgruber, 2012, S.163). Abbildung 4 verdeutlicht den Unterscheid zwischen Verhältnisprävention und Verhaltensprävention.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Ansatzpunkte der Prävention: Verhältnis- und Verhaltensprävention Quelle: Eigene Darstellung nach Unfallkasse des Bundes, 2009, S.2

Das Betriebliche Gesundheitsmanagement lässt sich weiter fassen als die BGF. Es „umfasst die systematische Entwicklung und Steuerung betrieblicher Rahmenbedin- gungen, Strukturen, Prozesse, die die gesundheitsförderliche Gestaltung der Arbeit und Organisation sowie die Befähigung zum gesundheitsfördernden Verhalten zum Ziel haben“ (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, 2011, S.3). Die Definition ver- deutlicht, dass BGM längerfristig ausgelegt ist um Rahmenbedingungen und Gliede- rungen für die Umsetzung von gesundheitsförderlichen Strukturen im Unternehmen zu entwickeln, anzulegen und zu optimieren. Durch „eine festgelegte betriebliche Ge- sundheitspolitik (und) die Planung, Organisation, Durchführung und Überprüfung von Maßnahmen sowie Programmen der Gesundheitsförderung und des Arbeitsschutzes“ (vgl. Huber, 2010, S.69) kann die BGF im Rahmen des BGM umgesetzt werden. Betriebliche Gesundheitsförderung ist folglich ein Teilaspekt des Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Hadler (2010, S.204) hält fest, dass erfolgreiches BGM nur durch eine gute Zusammenarbeit der Führungsebene mit der Personalvertretung erreicht werden kann, sowie dass Finanzmittel und Aufgaben genau zugeordnet sein müssen. Zusätzlich sollen zeitliche Ressourcen für die Maßnahmen des BGM zur Verfügung gestellt werden. Der Zusammenhang zwischen BGF und BGM lässt sich, bildlich veranschaulicht, der Abbildung 5 entnehmen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5: Bestandteile Betriebliches Gesundheitsmanagement Quelle: Unfallkasse des Bundes, 2009a, S.1

Ferner ist festzuhalten, dass die Maßnahmen von BGF und BGM in einen Wertschöp- fungsprozess eingebettet werden sollten, um eine systematische und zielgerichtete Vorgehensweise sicherzustellen. Nach der Schaffung der Rahmenbedingungen, erfolgt in dem Wertschöpfungsprozess die Bestandsaufnahme (bspw. über Fragebogen an die Mitarbeiter). Auf Basis der ausgewerteten Ergebnisse der Bestandsaufnahme kön- nen die Unternehmen ihre Ziele formulieren, die sie mit dem BGM, bzw. der BGF errei- chen wollen. Anhand der formulierten Ziele werden konkrete Maßnahmen konzipiert und umgesetzt. Im Anschluss an die Maßnahmenumsetzung erfolgt eine Erfolgskon- trolle und ggfs. Verbesserungen der Maßnahmen. Im Idealfall schließt sich an die Er- folgskontrolle eine erneute Bestandsaufnahme und die Konzeption weiterer Maßnah- men an, um eine langfristige Sicherung der Arbeitsbedingungen und Einstellungen der Mitarbeiter zu erreichen (vgl. GMS - Gesundheit mit System Leitfaden Gesundheits- management der VBG).

2.2.2 Handlungsfelder der Betrieblichen Gesundheitsf ö rderung

Mit dem § 20 Abs. 1 SGB V verpflichtet der Gesetzgeber alle Krankenkassen, sich an der Primärprävention aller Versicherungsnehmer zu beteiligen, „um den allgemeinen Gesundheitszustand zu verbessern und insbesondere einen Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen“ zu leisten (vgl. GKV- Spitzenverband, 2010, S.8). 2010 galt ein Richtwert von 2,86 € pro Versicherungs- nehmer für Ausgaben für Leistungen nach §§ 20, 20a und 20b (vgl. ebenda).

Der ‚Leitfaden Prävention - Handlungsfelder und Kriterien des GKV-Spitzenverbandes zur Umsetzung von §§ 20 und 20a SGB V vom 21 Juni 2000 in der Fassung vom 27. August 2010‘ hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Auflagen, die maßgeblich für eine Bezuschussung von Präventionsaufgaben durch die Krankenkassen sind, zu formulie- ren. Im ‚Leitfaden Prävention des GKV-Spitzenverbandes‘ sind die vier häufigsten Handlungsfelder der Betrieblichen Gesundheitsförderung konkretisiert (vgl. GKV- Spitzenverband, 2010, S.65 ff.):

1) Arbeitsbedingte körperliche Belastungen Präventionsprinzip: Vorbeugung und Reduzierung arbeitsbedingter Belastungen des Bewegungsapparates
2) Betriebsverpflegung bzw. Ernährung Präventionsprinzip: Gesundheitsgerechte Ernährung am Arbeitsplatz
3) Psychosoziale Belastung (Stress) Präventionsprinzip: Förderung individueller Kompetenzen zur Stressbewältigung am Arbeitsplatz und gesundheitsgerechte Mitarbeiterführung
4) Suchtmittelkonsum Präventionsprinzip: Rauchfrei im Betrieb und ‚Punktnüchternheit‘ (Null Promille am Arbeitsplatz) bei der Arbeit

Da die Krankenkassen jene Präventionsangebote bezuschussen, die den im Leitfaden formulierten Anforderungen und Kriterien entsprechen, sollen im Folgenden die vier Handlungsfelder der Betrieblichen Gesundheitsförderung näher vorgestellt werden.

Arbeitsbedingte körperliche Belastungen

Das vorangegangene Kapitel hat bereits den Bedarf für eine Vorbeugung und Reduzie- rung arbeitsbedingter Belastungen des Bewegungsapparates aufgezeigt. Rund ¼ aller AU-Tage lassen sich auf Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems zurückführen. Dies hat massive Auswirkungen auf das Arbeitsverhalten des Arbeitnehmers und die Produktivität des Unternehmens. Laut dem Leitfaden Prävention (2010, S.65f.) liegen die Ursachen für Belastungen des Bewegungsapparates in „psychosozialen Faktoren, wie Dysstress, Arbeitsunzufriedenheit, fehlende soziale Unterstützung am Arbeitsplatz oder Depressivität/Depression sowie ungünstigen Einstellungen (Durchhaltevermö- gen)“, darüber hinaus gelten „körperliche Belastungen am Arbeitsplatz, wie Ganzkör- pervibration, Material- und Patientenbewegung, Bücken, Dehnen, Heben, Tragen, Schieben, Ziehen, etc. (...) als Risikofaktoren, wenn sie wiederkehrend über längere Zeiträume ausgeübt werden“ (ebenda, S.65f.). Die Maßnahmen der arbeitsbedingten körperlichen Belastung beziehen sich sowohl auf Verhaltens- als auf Verhältnispräven- tion. Im Rahmen der Verhaltensprävention fordert der Leitfaden Prävention von Anbie- tern förderungsfähiger Maßnahmen die Vermittlung von Wissen über körperliche Be- lastungen, den Aufbau individueller Verhaltens- und Handlungskompetenzen, sowie Hinführung und Bindung an körperliche Aktivität, eine Optimierung der Arbeitsbedin- gungen und eine Erhöhung der Arbeitszufriedenheit (vgl. GKV-Spitzenverband, 2010, S.66). Maßnahmen der Verhaltensprävention können beispielsweise Angebote wie Rückenschule, Nordic Walking, Lungenfunktionstest, Informationsveranstaltungen, Aufbereitung und Verteilung von Broschüren sein. Die gesunde und körperlich entlas- tende Arbeitsplatzgestaltung, die Beschaffung von geeigneten Arbeitsmaterialien (vgl. Unfallkasse des Bundes, o.J., S.2) sind Maßnahmen der Verhältnisprävention. Anzu- merken bleibt, dass Angebote, die nicht den sechs Kernzielen des Gesundheitssports entsprechen, nicht durch die Krankenkassen gefördert werden (vgl. GKV- Spitzenverband, 2010, S.66). Die Kernziele des Gesundheitssports lauten:

- Stärkung von physischen Gesundheitsressourcen
- Stärkung von psychosozialen Gesundheitsressourcen
- Verminderung von Risikofaktoren
- Bewältigung von Beschwerden und Missbefinden
- Aufbau von Bindung an gesundheitssportliche Aktivität
- Verbesserung der Bewegungsverhältnisse3

Der Leitfaden Prävention stellt darüber hinaus Ansprüche an die Qualifikation von An- bietern auf dem Handlungsfeld der arbeitsbedingten körperlichen Belastung. Um von den Krankenkassen einen Förderung zu erhalten, müssen die durchführenden Fach- kräfte einen staatlich anerkannten Berufs- oder Studienabschluss im Bereich Bewe- gung nachweisen, sofern sie Zusatzqualifikationen (z.B. Rückenschullehrerlizenz) nachweisen können (vgl. GKV-Spitzenverband, 2010, S.67). Sofern diese Voraussetzungen gegeben sind, können durch Gruppenschulungen, Gruppenberatungen, praktischen Anleitungen und Einbeziehung der Führungskräfte Bewegungsprogramme durchgeführt werden (vgl. ebenda).

Betriebsverpflegung und Ernährung

„Die Ernährung hat eine zentrale Bedeutung sowohl für die Erhaltung der Gesundheit als auch für die Entstehung bestimmter Krankheiten“ (vgl. GKV- Spitzenverband, 2010, S.67). Auch in diesem Bereich können sowohl Maßnahmen der Verhaltens- als auch der Verhältnisprävention genannt werden. Während verhaltensbezogene Präventions- angebote Ernährungskurse, Ernährungsberatungen, Messungen des Blutzuckerspie- gels oder Cholesterinwertes oder Kochkurse umfassen (vgl. Unfallkasse des Bundes, o.J., S.2), beziehen sich Maßnahmen der Verhältnisprävention auf die Betriebsverpfle- gung. Gemäß dem Leitfaden Prävention beeinflussen die Zubereitung und Präsentati- on der Speisen, die sensorische Qualität der Speisen, die Vielfältigkeit des Angebots, sowie die Möglichkeit zur individuellen Zusammenstellung von Komponenten die Quali- tät der Verpflegung (vgl. GKV-Spitzenverband, 2010, S.67). Darüber hinaus haben auch die Nähe zum Arbeitsplatz und die Preisgestaltung, sowie die Pausenregelungen einen Effekt auf die wahrgenommene Qualität (vgl. ebenda). Die Unfallkasse des Bun- de (o.J., S.2) sieht in der Verhältnisbezogenen Prävention u.a. Maßnahmen des Be- reitstellens von Obst und Wasser. Der GKV-Spitzenverband nennt zusätzlich die Mög- lichkeiten die Öffnungszeiten der Verpflegungseinrichtungen an die Bedürfnisse und Arbeitszeiten der Arbeitnehmer abzustimmen, eine Verkürzung von Wartezeiten bei der Essensausgabe, ansprechende Raumgestaltungen, sowie die Information und Mo- tivation der Arbeitnehmer zur Reduzierung ungesunder Ernährungsweisen (vgl. GKV- Spitzenverband, 2010, S.68). Ziel sämtlicher Maßnahmen sind eine qualitätsbewusste und bedürfnisorientierte Verpflegung der Mitarbeiter, Akzeptanz und Nutzung bedarfs- gerechter Verpflegungs- und Seminarangebote, sowie die Vermittlung der „Handlungs- kompetenz der Beschäftigten zu einer eigenverantwortlichen Umstellung auf eine indi- viduelle bedarfsgerechte Ernährung“ (vgl. ebenda). Um den betriebsindividuellen Be- darf durch Beschäftigtenbefragungen zu ermitteln und Schulungen, Beratungen, Kursangebote, etc. zu decken, fordert der GKV-Spitzenverband auch in diesem Hand- lungsfeld qualifizierte Anbieter (vgl. ebenda, S. 68). Um eine Förderung zu erhalten, müssen Angebote des Handlungsfeldes Betriebsverpflegung und Ernährung von Fach- kräften mit staatlich anerkannten Berufs- oder Studienabschlüssen im Bereich Ernäh- rung angeleitet werden.

Psychosoziale Belastung (Stress)

„Aufgrund der großen Bedeutung, die der Arbeit nicht nur für die Existenzsicherung, sondern auch für die Identitätsbildung des einzelnen Menschen in modernen Gesell- schaften zukommt, spielen psychische Belastungen, die im Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit stehen, eine herausragende Rolle für psychisches Wohlbefinden und körperliche Gesundheit“ (vgl. GKV-Spitzenverband, 2010, S.69). Die Veränderung der AU-Tage durch psychische Belastungen von 1994 bis 2012 wurde in Kapitel 2 detail- liert beschrieben. Auch im Handlungsfeld Psychosoziale Belastungen kann zwischen Verhaltens- und Verhältnisbezogenen Präventionsangeboten unterschieden werden. Verhaltensbezogene Angebote umfassen Entspannungstraining, Bewegungsangebote und Stressbewältigungskurse. Ferner gehören individuelle Beratung, Informationsbro- schüren und Vorträge zu den verhaltensbezogenen Angeboten (vgl. Unfallkasse des Bundes, o.J., S.3). Verhältnisbezogene präventive Maßnahmen bestehen in der Ver- meidung von Über- und Unterforderung, dem Anbieten von Handlungsspielräumen, transparente Kommunikations- und Informationspolitik, sowie gesunde und wertschät- zende Führungskultur und eine positive Förderung des Betriebsklimas (vgl. ebenda, S.3). Das Ziel des Handlungsfeldes besteht in der „Vermeidung und Reduzierung von negativen Folgen für die körperliche und psychische Gesundheit aufgrund von chroni- schen beruflichen Stresserfahrungen“, „indem die individuellen Bewältigungskompe- tenzen gestärkt werden“ (vgl. GKV-Spitzenverband, 2010, S.72). Auch hier setzt der GKV-Spitzenverband konkrete Forderungen an die Qualität der Durchführenden. In Be- tracht kommen Fachkräfte mit Studien- oder Berufsabschlüssen im Bereich der psy- chosozialen Gesundheit, bspw. Psychologen, Pädagogen, Sozialarbeiter, Gesund- heitswissenschaftler, Sozialwissenschaftler und Ärzte (vgl. GKV-Spitzenverband, 2010, S.73, 75).

Suchtmittelkonsum

„Suchtmittelkonsum beeinträchtigt auf vielfältige Weise auch im beruflichen Kontext die individuelle Leistungsfähigkeit, Arbeitsqualität und Arbeitssicherheit“ (vgl. GKV- Spitzenverband, 2010, S.76). Im Leitfaden Prävention des GKV-Spitzenverbandes ste- hen, aufgrund ihrer quantitativen Verbreitung, die beiden Suchtmittel Alkohol und Niko- tin im Vordergrund. Als erklärte Ziele hat sich der Spitzenverband die Prämissen ‚Null Promille am Arbeitsplatz‘ und ‚Rauchfrei im Betrieb‘ gesetzt, wenn gleich die vorgestell- ten Ziele, Maßnahmen und Anforderungen an die Durchführung für sämtliche Suchtmit- tel gelten. Ein Drittel der deutschen Arbeitnehmer raucht (vgl. GKV-Spitzenverband, 2010, S.77). Nicht unbeachtlich ist der Teil der nicht rauchenden Arbeitnehmern, die in Räumen arbeiten, in denen regelmäßig geraucht wird - ca. drei Millionen Arbeitnehmer sind genauso wie aktive Raucher von den Folgen des Rauchen betroffen: Krebser- krankungen, Herzinfarkt und Schlaganfall, sowie chronische Bronchitis und Lungen- emphysem (vgl. ebenda, S.77). Auch der regelmäßige und übermäßige Konsum von Alkohol hat Folgen für die Gesundheit der Arbeitnehmer und die Produktivität der Un- ternehmen. Feinmotorik und Konzentrationsfähigkeit nehmen ab, was die steigende Gefahr von Arbeitsunfällen bedeutet. Von 9,5 Millionen Menschen in der Altersgruppe von 18 bis 64 Jahren haben 2 Millionen einen missbräuchlichen Alkoholkonsum und 1,3 Millionen sind bereits abhängig von Alkohol (vgl. GKV-Spitzenverband, 2010, S.79 nach Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, 2010). Resultierend aus den Folgen eines Alkoholmissbrauches sieht der GKV-Spitzenverband (2010, S.76) eine verminderte Leistung und Arbeitsqualität, ein gestörtes Betriebsklima, hohe Unfallgefährdungen und erhöhte Fehlzeiten durch alkoholbedingte Krankheiten. Maßnahmen der Verhal- tensprävention bestehen in Raucherentwöhnungskursen, Suchtprogrammen, Informa- tionsmaterialien und themenbezogenen Veranstaltungen (vgl. Unfallkasse des Bundes, o.J., S.3). Verhältnisbezogene präventive Maßnahmen können verbindliche rauchfreie Arbeitsplätze, Schulungen von Führungskräften, Einstellung von Suchtbeauftragten und strikte Alkoholverbote am Arbeitsplatz sein (vgl. ebenda, S.3). Die vorgestellten Maßnahmen bezwecken eine Sensibilisierung von Arbeitnehmern und Führungskräften hinsichtlich des Einflusses von Suchtmitteln, stärken die Motivation rauchen- der/trinkender Arbeitnehmer mit dem Rauchen/Trinken aufzuhören, klären frühzeitig Arbeitnehmer mit auffälligem Verhalten auf und senken die durch den Suchtmittelkon- sum bedingten Unfälle (vgl. GKV-Spitzenverband, 2010, S.78, 80). Für die Bereitstel- lung von Informationsmaterialien, Beratung und Unterstützung des Betriebs bei der Schaffung geeigneter Strukturen und die Durchführung von geeigneten Maßnahmen (bspw. Mitarbeiterberatung, individuelle Beratung, kognitiv-verhaltenstherapeutischen Maßnahmen, Gesundheitszirkel, etc.) bedarf es auch in diesem Handlungsfeld qualifi- zierter Anbieter, die den Anforderungen des Leitfaden Prävention gerecht werden (vgl. ebenda, S.78, 80). Anerkannt werden Berufs- und Studienabschlüsse im Bereich psy- chosoziale Gesundheit, z.B. Psychologen, Pädagogen, Sozialwissenschaftler, Ge- sundheitswissenschaftler und Ärzte (vgl. ebenda, S.78, 80). Entscheidend für den Er- folg von Maßnahmen aus dem Handlungsfeld Suchtmittelkonsum ist die Schaffung von Aufmerksamkeit für das Thema, sowohl unter den Arbeitnehmern, als auch unter den Führungskräften (vgl. ebenda, S.80).

2.2.3 Akteure der Betrieblichen Gesundheitsf ö rderung

Im vorangegangen Kapitel wurden die Anforderungen an die Qualifizierung von Anbie- tern der BGF-Maßnahmen dargestellt. Als logische Konsequenz aus den Anforderun- gen an die Qualifikationen ergeben sich bereits erste Akteure der Betrieblichen Ge- sundheitsförderung, bspw. Ärzte, Sportwissenschaftler, Gesundheitswissenschaftler, etc. Dennoch gibt es weiter Akteure, die bei der Durchführung von Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung eine Rolle spielen. Im Folgenden sollen daher Ak- teure vorgestellt werden. Die Übersicht kann dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.

Unternehmen

Sinnvollerweise sollten zunächst die Unternehmen als Akteure genannt werden, da sie Initiator der Betrieblichen Gesundheitsförderung sind. Als Voraussetzung für ein erfolgreiches BGF in Betrieben, muss der unbedingte Wille zur Durchführung vorhanden sein (vgl. Raebricht et al., 2012, S.8). Dies gilt sowohl für die Führungskräfte, welche die Ideen der BGF transportieren sollten, als auch für die Arbeitnehmer, die letztendlich die Zielgruppe der BGF sind. Die Arbeitszeit nimmt einen bedeutenden Teil des Alltags von Arbeitnehmern ein, daher sollten besonders Führungskräfte aktiv sein und hinter dem Vorhaben einer BGF im Betrieb stehen. Natürlich stehen Führungskräfte nicht uneigennützig hinter der Einführung von BGF im Betrieb. Für den Betrieb ergeben sich die folgenden Vorteilen (vgl. Raebricht et al., 2012, S.6):

- Steigerung von Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeiter
- Positive Beeinflussung von Muskel-Skelett- und Herz-Kreislauf-System, sowie psychischer Gesundheit
- Langfristiger Erhalt der Leistungsfähigkeit der Belegschaft
- Besseres Betriebsklima und stärkere Identifikation mit dem Unternehmen
-Positionierung als attraktiver Arbeitgeber

Vorteile für die Arbeitnehmer (vgl. AOK Baden-Württemberg, o.J.):

- Verringerung von Belastungen
- Besserer Umgang mit Arbeitsanforderungen
- Verbesserung des Gesundheitszustandes
- Erhaltung/ Zunahme der eigenen Leistungsfähigkeit
- Steigerung des Wohlbefindens und der Arbeitszufriedenheit

- Optimierung des Betriebsklimas

KMU stehen vor der Herausforderung, Maßnahmen der BGF nicht oder nur in einem sehr begrenztem Rahmen durchführen zu können, da ein erfolgversprechender Ansatz sich nur realisieren lässt, wenn die originär zuständigen Träger und weiteren Akteure mit ihren jeweiligen Kompetenzen und finanziellen wie personelle Ressourcen zusam- menwirken (vgl. GKV-Spitzenverband, 2010, S.12). Da KMU oft nicht über genügend eigene Kompetenzen und Ressourcen verfügen, sind sie im Themenfeld der Betriebli- chen Gesundheitsförderung auf die Zusammenarbeit mit weiteren Akteuren angewie- sen.

Krankenkassen

Die deutschen Krankenkassen sind von Gesetzgeber dazu verpflichtet „die Stärkung der gesundheitlichen Ressourcen und Fähigkeiten“ zu unterstützen, indem sie gesund- heitliche Risiken und Ressourcen ermitteln, Vorschläge zur Verbesserung der gesund- heitlichen Situation entwickeln und zur Umsetzung beitragen (vgl. GKV- Spitzenverband, 2010, S.33). Allein 2012 haben sie 46 Millionen Euro in die BGF in- vestiert und somit 8.155 Betriebe mit insgesamt 890.000 Arbeitnehmern erreicht (vgl. Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. und GKV- Spitzenverband, 2010, S.8). Mit Hilfe der Entwicklungen neuer Konzepte umfasst die Arbeit der Krankenkassen sowohl die Verhaltens-, als auch die Verhältnisprävention (vgl. GKV-Spitzenverband, 2010, S.62). Gemäß des GKV-Spitzenverbandes (2010, S.62) nehmen die Krankenkasse die folgenden Rollen und Aufgaben ein:

- Rolle des Impulsgebers
- Konzeptentwicklung und Beratungsfunktion Moderation der Projektgruppe
- Projektmanagement
- Durchführung einzelner Bausteine innerhalb eines komplexen Programms
- Dokumentation und Erfolgskontrolle
- Interne Öffentlichkeitsarbeit
- Unterstützung bei der Umsetzung von Maßnahmen zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation.

Träger der gesetzlichen Unfallversicherung

Als Partner der Betrieblichen Gesundheitsförderung sehen sich auch die Träger Unfall- versicherungen. Sie „beraten, unterstützen und qualifizieren Betriebe bei der Einfüh- rung eines BGM bzw. eines Managements für Sicherheit und Gesundheit und verfolgen dabei einen ganzheitlichen Ansatz, Potenziale von Gesundheit und Gesundheitsförderung systematisch in die betrieblichen Prozesse und Strukturen einzubinden“ (vgl. Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, o.J.).

Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (2011, S.4) sieht ihre Kompetenzen dabei in den Bereichen:

- Arbeiten im demografischen Wandel
- Arbeitsmedizinische Vorsorge
- Arbeitsorganisation/gesundheitsgerechte Gestaltung der Arbeitsaufgaben
- Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
- Ergonomie
- Förderung von Bewegung
- Förderung von gesunder Ernährung
- Gesundheitsförderliches Führungsverhalten
- Gewaltprävention
- Interkulturelle Aspekte der Prävention
- Nichtraucherschutz und Raucherentwöhnung
- Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen
- Psychische Belastungen und Beanspruchungen
- Suchtprävention.

Private Anbieter

Aus den im vorherigen Kapitel beschriebenen Anforderungen an die Qualifikationen der Durchführenden ergibt sich eine Anzahl an privaten Anbietern, bspw. selbstständige Trainer/Übungsleiter oder Beratungsunternehmen, die von ehemaligen Krankenkassen-Mitarbeitern gegründet wurden und nun Projekte, Programme und Maßnahmen zur BGF anbieten (vgl. Pelster und Sochert, 2005, S.21).

Sportvereine

Sportvereine werden i.d.R. von den Unternehmen noch nicht als Akteure der BGF wahrgenommen, obwohl bereits Kooperationen auf diesem Themengebiet zustande gekommen sind und sich bisher als lohnenswert erwiesen haben. Auf ausgewählte Beispiele von Kooperationen zwischen Unternehmen und Sportvereinen wird in Kapi- tel 2.5 verwiesen. Das Auftreten der Sportvereine als Akteure der BGF bringt die fol- genden Vorteile für die Sportvereine mit sich (vgl. Deutscher Turnerbund, 2014, S.12):

- Steigerung des Bekanntheitsgrades
- Aufbau eines gesundheitsorientierten Images
- Nachweis qualitativ hochwertiger Angebote
- Verbesserung der finanziellen Situation
- Verbesserung regionaler Netzwerke ggfs. durch neue Partner
- Gewinnung neuer Interessenten/Mitglieder
- Abbau der Vorurteile über Sportvereine (z.B. ‚Vereinsmeierei‘)

Dresel/Missalek/Rühl (2014, S.12) halten fest, dass Sportvereine aufgrund ihrer vielfäl- tigen Erfahrungen im Bereich Fitness und Gesundheit ideale Partner von Firmen sind.

LandesSportBund Niedersachsen

Der LandesSportBund Niedersachsen ist insofern ein Akteur der Betrieblichen Ge- sundheitsförderung, als dass er als Dachverband des organisierten Sports in Nieder- sachsen eine Interessenvertretung der niedersächsischen Sportvereine darstellt. Die Aufgaben des LSB Niedersachsen bestehen in der Beratung zur Organisations- und Sportentwicklung, Bildung von Netzwerken und Kooperationen mit anderen Organisati- onen und der Verwendung diverser Finanzhilfen zur Förderung des Sports. Grundlage hierfür ist das Niedersächsische Sportfördergesetz. So heißt es im Selbstverständnis- ses des LSB Niedersachsen: „Unsere wichtigste Aufgabe sehen wir darin, durch Sport einen wesentlichen Beitrag zum Wohlergehen der Menschen in unserem Land zu leis- ten.“ (vgl. LandesSportBund Niedersachsen e.V., 2014, o.S.) Es wird deutlich, dass das Thema Sport und Gesundheit u.a. Teil der Aufgabenwahrnehmung des Lan- desSportBundes ist. BGF ist derzeit noch kein konkretes Handlungsfeld des LSB Nie- dersachsen. Für die Zukunft ist jedoch geplant, das Thema ‚Betriebliche Gesundheits- förderung‘ dem Aufgabenfeld Sportentwicklung mit seinen Themen Integration, Sport und Soziales, Sport und Umwelt, zielgruppenspezifische Angebote, Sport und Ge- sundheit, Leistungssport und Deutsches Sportabzeichen zuzuordnen.

2.3 Die gesundheitswissenschaftliche Betrachtungsweise der Betrieblichen Gesundheitsf ö rderung

Die BGF soll die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter erhalten, Potenzia- le in der Gesundheit stärken und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz fördern. Diese Vorgehensweise der BGF erfolgt unter der salutogenetischen Annahme, dass Men- schen in der Lage sind, sich selbst aktiv gesund zuhalten und zwecks Zielerreichung auf verschiedene Ressourcen zurückgreifen können (vgl. Huber, 2010, S.68). Unter Verwendung dieser Annahme ist es Ziel des folgenden Kapitels die Entstehung von Gesundheit anhand des salutogenetischen Ansatzes von Antonovsky darzustellen.

2.3.1 Entstehung von Gesundheit (Salutogenese)

Antonovskys (1979, 1987) Studien knüpfen an die Überlegungen an, dass Menschen umso gesünder sind, je größer ihre Fähigkeit ist sich entgegen negativen Belastungen (bspw. Stress, Lärm, Fehlhaltungen, ungesunde Ernährung, etc.) einen Gleichge- wichtszustand zu erhalten (vgl. Hurrelmann, 1994, S.132). Seine Untersuchungen be- ziehen sich folglich nicht nur auf pathogenetische Fragestellungen, also wie Krankhei- ten und Fehlentwicklungen entstehen, sondern darüber hinaus „wie es Individuen schaffen, gesund zu bleiben und keine Auffälligkeiten oder Krankheiten zu zeigen“ (vgl. ebenda).

Die Definition von Gesundheit in Kapitel 2.2.1 hat bereits gezeigt, dass kaum Aussa- gen über das subjektive Gesundheitsempfinden von Menschen getroffen werden kön- nen. In der Literatur werden Gesundheit und Krankheit daher häufig als Kontinuum be- schrieben, zwischen deren Extremen (Gesundheit und Krankheit) sich der Mensch be- wegt. Nach Antonovsky wird dabei die Position auf dem Kontinuum einerseits von „zahlreichen belastenden und entlastenden, bzw. schützenden und unterstützenden Faktoren“ (vgl. ebenda) beeinflusst. Diese Risikofaktoren (auch Stressoren genannt) können sowohl innerhalb, als auch außerhalb des Menschen liegen und von Person zu Person, in Abhängigkeit der persönlichen Lebensgeschichte, einen unterschiedlichen Einfluss auf die Position auf dem Kontinuum haben. Andererseits ist die Position auf dem Kontinuum von mehreren Dimensionen abhängig: „Eine davon ist der subjektiv empfundene Schmerz, eine weitere Dimension sind die funktionalen Einschränkungen von Sinnen und Bewegungen, eine Dritte bezieht sich auf die Handlungsimplikationen für ein Individuum“ (vgl. ebenda, S.133).

Die Auseinandersetzung mit internen und externen Belastungen bestimmt, wie beschrieben, die Position auf dem Kontinuum. Allerdings wird die Art der Auseinandersetzung mit Belastungen auch von der Positionierung auf dem GesundheitKrankheitskontinuum beeinflusst (vgl. ebenda, S.132).

Im Wesentlichen geht Antonovskys salutogenetisches Modell davon aus, dass die Menschen, sowohl in ihrer Freizeit, als auch in ihrem Berufsleben, Stressoren und Ri- sikofaktoren ausgesetzt sind. Je nach Ausprägung der Ressourcen des Widerstands, sind die Menschen dazu in der Lage mit den Belastungen (Stressoren) zu Recht zu kommen und die Ausprägung von „Symptomen von Beeinträchtigung des Wohlbefin- dens“ abzuschwächen (vgl. ebenda, S.133).

Für die Bekämpfung krankmachender Stressoren rechnet Antonovsky die folgenden Faktoren zu den Widerstandsressourcen (vgl. Hurrelmann, S.133):

- physikalische und biomechanische Faktoren, bspw. das Potential des Immunsys- tems
- materielle Faktoren, bspw. Geld als physische Sicherheit
- kognitive und emotionale Faktoren, bspw. die Flexibilität und Rationalität den eigenen Lebensstil anzupassen
- einstellungsmäßige und soziale Faktoren, bspw. soziale Netzwerke als Unterstützung in verschiedenen Dimensionen
- makrostrukturelle Faktoren, bspw. Geachtetheit und Sinnhaftigkeit der eigenen Position in einer Gesellschaft/einem Unternehmen.

Nach Antonovsky sind die aufgeführten Widerstandsressourcen am effektivsten, wenn sie auf eine positive Lebensgeschichte und auf einen starken ‚Kohärenzsinn‘ treffen (vgl. ebenda, S.134). Die folgende Abbildung verdeutlicht sämtliche Faktoren, die nach Antonovsky gegen potentielle Stressoren wirken können:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6: Das salutogenetische Modell von Antonovsky (vereinfachte Darstellung) Quelle: Eigene Darstellung nach Antonovsky 1979, S. 185

„Unter Kohärenzsinn versteht Antonovsky (1979, S.123) eine globale Orientierung, die zum Ausdruck bringt, in welchem Umfang eine Person ein generalisiertes, überdau- erndes und dynamisches Gefühl des Vertrauens besitzt, dass die eigene innere und äußere Umwelt vorhersagbar ist und dass mit großer Wahrscheinlichkeit die Dinge sich so entwickeln werden, wie man es vernünftigerweise erwarten kann“ (vgl. ebenda, S.134). Es lässt sich festhalten, dass der Kohärenzsinn eines Menschen von drei Fak- toren geprägt ist:

1) Verstehbarkeit: Die relevanten Dinge sind strukturiert erklärbar und vorhersehbar.
2) Handhabbarkeit/ Bewältigbarkeit: Den Anforderungen kann mit gegebenen Res- sourcen begegnet werden.
3) Sinnhaftigkeit: Die Anforderungen sind lohnenswert und bedürfen daher Anstren- gungen.
Abbildung 7 zeigt das Zusammenspiel zwischen den drei Faktoren und deren Bedeutung für den Kohärenzsinn:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 7: Zusammenspiel der drei Faktoren des Kohärenzsinn Quelle: Eigene Darstellung

Je stärker der Kohärenzsinn ausgeprägt ist, desto eher können negative Stressoren bewältigt werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es Ziel sämtlicher BGF- Maßnahmen sein sollte, sowohl die Widerstandsressourcen der Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern, als auch den Kohärenzsinn der Arbeitnehmer zu unterstüt- zen.

2.4 Die soziologische Betrachtungsweise der Betrieblichen Gesundheitsf ö rderung

Das vorangegangene Kapitel hat gezeigt, dass die Widerstandsressourcen einen we- sentlichen Einfluss auf die Begegnung/Bekämpfung von Risikofaktoren haben. Es wur- de dabei u.a. auf den sozialen Faktor als Ressource des Widerstands verwiesen. In der soziologischen Betrachtungsweise der BGF wird der soziale Faktor als Sozialkapi- tal bezeichnet. Bevor in den folgenden Kapiteln auf Bourdieus Sozialkapitaltheorie und den Bielefelder Sozialkapitalansatz eingegangen wird, soll zunächst anhand Luhmanns Systemtheorie geklärt werden, ob Institutionen des organisierten Sports Aufgaben des Systems Betrieb übernehmen können.

2.4.1 System Betrieb und System Sport

Um Luhmanns Systemtheorie, zu verstehen, muss zunächst geklärt werden, was unter dem Begriff ‚System‘ zu verstehen ist. Ein System ist eine „Gesamtheit von Objekten, die sich in einem ganzheitlichen Zusammenhang befinden und durch die Wechselbe- ziehungen untereinander gegenüber ihrer Umgebung abzugrenzen sind.“ (vgl. Duden, Schlagwort: das System). Luhmann (1984) nimmt an, dass „die moderne Gesellschaft (…) in verschiedene Teilsysteme gegliedert (ist), die sich jeweils primär an einer be- stimmten Funktion orientieren“ (vgl. Thiel/ Seiberth/ Meyer, 2013, S.20), d.h. in den Teilsysteme (z.B. Politik, Familie, Sport) wird nach eigenen Entscheidungsprämissen und unabhängig von anderen Systemen gehandelt (vgl. Riedl/ Cachay, 2002, S.20ff.). Als alternativen Begriff für das Handeln der einzelnen Teilsysteme bringt Luhmann die Kommunikation ein. Die Systemtheorie bietet Erklärungsansätze über Kommunikati- onszusammenhänge in und zwischen den Systemen, bei denen Luhmann (1981, S.35) betont: „Ausdifferenziert werden können nur Kommunikationszusammenhänge, nicht Menschen.“ Es wird ersichtlich, dass für Luhmann Systeme nicht aus Menschen oder Handlungen bestehen, sondern aus Kommunikationen (vgl. Luhmann, 1986, S.269). Wie beschrieben kommt jedem gesellschaftlichen Teilsystem eine spezifische Aufgabe zu (vgl. Riedl und Cachay, 2002, S.20ff.). Während der Anspruch des Systems Betrieb darin besteht „eine ökonomische, technische, soziale und umweltbezogene Einheit mit der Aufgabe der Bedarfsdeckung mit selbstständigen Entscheidungen und eigenen Ri- siken“ (vgl. Schweitzer, 2009, S.28) zu sein, ist es Ziel des Systems Sport den Sport zu fördern und die einzelnen Subjekte des Sports (Sporttreibende, Vereine, Verbände und Sportbünde) zu unterstützen (vgl. DOSB Sportentwicklung/ Breitensport, Kurzprofil). Zur individuellen Zielerreichung agieren die Teilsysteme unabhängig und selbstständig voneinander. Über die bereits beschrieben Kommunikationszusammenhänge sind die Teilsysteme dazu in der Lage, Informationen aus anderen Teilsystemen aufzunehmen und zu verarbeiten. Luhmann umschreibt dieses Phänomen in seinem Konzept „Ge- schlossenheit der Systeme“: Systeme sind geschlossen, können aber mittels Kommu- nikation sich gegenüber anderen Systemen öffnen und Informationen miteinander aus- zutauschen. Alle Systeme sind ähnlich strukturiert und können Subsysteme bilden.

Luhmann (1997, S.613ff) fasst die Bildung von Subsystemen in Teilsystemen unter dem Begriff der Systemdifferenzierung zusammen und sieht darin den Vorteil einer Reduktion von Komplexität der Gesellschaft. Das Systeme Sport kann bspw. in Brei- tensport, Spitzensport, Trendsport, etc. differenziert werden (vgl. Thiel et al, 2013, S.21). Das System Betrieb kann nach Größen (kleine Betriebe, mittlere Betriebe, große Betriebe), nach Art der Betriebe (produzierende Betriebe, Dienstleistungsbetriebe, etc.) unterschieden werden.

Luhmann (1997) unterscheidet in drei verschiedene Formen der Differenzierung von Systemen:

1. segmentäre Differenzierung: In der segmentären Differenzierung sind alle Teilsys- teme einer Gesellschaft gleichartig und haben den gleichen Rang innerhalb der Gesellschaft. Das Ausmaß an Komplexität in der segmentären Differenzierung ist gering ausgeprägt.
2. stratifikatorische Differenzierung: In der stratifikatorischen Differenzierung sind die Teilsysteme einer Gesellschaft ungleichartig. Hierarchische Beziehungen (z.B. Ständegesellschaft, Klassen) sind Merkmale dieser Differenzierung. Die Unter- scheidung in hierarchische Beziehungen bringt eine erhöhte Komplexität mit sich.
3. Funktionale Differenzierung: In der funktionalen Differenzierung sind die Teilsyste- me ungleichartig. Sie sind allerdings gleichrangig. Dabei werden alle Teilsysteme als gleichwertig betrachtet und keines der Teilsysteme über ein anderes gestellt.

Die funktionale Differenzierung stellt die primäre Differenzierungsform dar, da Luh- mann in dieser Differenzierungsform berücksichtigt, dass nicht alle Teilsysteme von der gleichen Beschaffenheit sind und die funktionale Differenzierung sich nicht anmaßt das Teilsystem hierarchisch zu ordnen. Nachteilig an der funktionalen Differenzierung von Teilsystemen in Subsysteme ist die steigende Komplexität des Systems Gesellschaft. Nach Luhmann werden Systeme anhand ihrer Komplexität in drei Typen unterschieden (vgl. Schimank, 2000, S.139f.):

- Systeme der Mikroebene: Interaktionsystem, auf dem Sinngrenzen und gemeinsame Themen entstehen
- Systeme der Mesoebene: Systeme werden über Mitgliedschaften, bzw. Zugehörig- keiten zu Organisationen gebildet. Es werden formale Regeln des Verhaltens er- zeugt.
- Systeme der Makroebene: System der Gesellschaft, welche eine Art Überbau für alle anderen, untergeordneten Systeme bildet.

Allen Systemen ist laut Luhmann gemeinsam, dass sie sich auf sich selbst beziehen (sie sind selbstreferentiell). Außerdem stellen sie sich, Elemente aus denen sie bestehen und die Regeln nach denen sie handeln, selbst her (sie sind autopoietisch). Der Vorgang der Reproduktion, bzw. Autopoiesis wird von Luhmann als Operation bezeichnet. Ein möglicher Weg von Operationen erfolgt dabei wiederum über Kommunikation (Schimank, 2000, S.148).

Entscheidend für die Frage, ob Sportvereine Aufgaben der Betrieblichen Gesundheits- förderung von Betrieben übernehmen können, ist das Zusammenspiel zwischen einem Teilsystem und seiner Umwelt. Berghaus (2004, S.42) hält dazu fest, dass Umwelt die Differenz zum System selbst und somit die Außenseite des Systems darstellt. Systeme erkennen die Außenseite durch Sicht auf sich selbst, daher nimmt jedes System Um- welt anders wahr. Das Teilsystem Betrieb sieht folglich Sport als Umwelt seiner selbst an. Teilsystemen ergeben sich drei Möglichkeiten aus der System-Umwelt-Differenz (vgl. Luhmann, 1997, S.757):

1. Das Gesamtsystem, dem das Teilsystem angehört, wird beobachtet (Fremdrefe- renz),
2. Es werden andere Teilsysteme beobachtet (Fremdreferenz),
3. Das Teilsystem beobachtet sich selbst (Selbstreferenz).

Bei der Kombination aus Fremdreferenz und Selbstreferenz werden System-Umwelt- Differenzen in das Innere des Systems kopiert und dort als Hilfestellung für zukünftige Referenzen und Operationen genutzt, um sich mit entsprechenden, selbst zu wählen- den Operationen zu verändern, bzw. zu erhalten (Berghaus 2004, S.44, Luhmann 1997, S.45).

2.4.2 Sozialkapital

In seinen Arbeiten zur Entstehung von sozialen Klassen hat Bourdieu Konzepte zum kulturellen Kapital, ökonomischen Kapital, symbolischen Kapital und zum Sozialkapital entwickelt. Charakteristisch für Bourdieus Studien ist die Prägung des Begriffs ‚Habi- tus‘, sowie der Annahme, dass das menschliche Verhalten vom Habitus (lat. für Geha- be) beeinflusst ist (Bourdieu, 1986a). Er bezeichnet Habitus als „Werte, Einstellungen und soziale Normen, Gewohnheiten und alltägliche Routinen, die Menschen annahmen und mit denen sie sich gegenüber anderen abgrenzen“ (vgl. Faller, 2012, S.115). Der Habitus ist einerseits „Ergebnis der Sozialisation“, andererseits bildet er die Grundlage für Vorstellungen und Handlungen (vgl. ebenda).

Innerhalb der zahlreichen sozialen Milieus gestalten die Menschen ihre eigenen, dem eigenen sozialen Milieu entsprechenden, Handlungsspielräume. Diese werden vom sozialen Raum und den genannten Kapitalformen begrenzt (vgl. ebenda). Das Sozialkapital besteht „aus Möglichkeiten, andere um Hilfe, Rat oder Information zu bitten sowie aus den mit Gruppenzugehörigkeiten verbundenen Chancen, sich durch- zusetzen. Substrat dieser Kapitalsorte ist das Netz der sozialen Beziehungen (Freund- schaften, Vertrauensbeziehungen, Bekanntschaftsbeziehungen, Geschäftsverbindun- gen) die man eingegangen ist, sowie die Mitgliedschaften in Gruppen, Organisationen, Berufsverbänden, Klubs“ (vgl. Fuchs-Heinritz/König, 2012, S.168). Fuchs-Heinritz und König (2012, S.168f.) konstatieren, dass Sozialkapital einer „zeitin- tensiven und aufwändigen Beziehungsarbeit“ bedarf. Diese (z.B. Weihnachtsgrüße, Einladungen, etc.) ist umso erfolgreicher „je länger und je selbstloser diese (...) betrie- ben worden ist“ (vgl. ebenda, S.169). Der beschriebene Erfolg drückt sich darin aus, ob im Falle des Bedarfs auf das gebildete Netzwerk als Ressource zurückgegriffen wer- den kann. Nach Albrecht (2002, S.205f) muss angemerkt werden, dass Bourdieu vor- rangig das von Gruppen und Organisationen ausgehende Sozialkapital untersuchte und weniger das Sozialkapital, das aus Beziehungen zwischen Individuen entsteht (vgl. Fuchs-Heinritz/ König, 2012, S.170). Bourdieu (1986b, S.248) vertritt die Meinung, dass „die Dichte und die Dauer von Beziehungen einen wesentlichen Aspekt von Sozi- alkapital“ darstellen, da durch sie ein „Zugang zu exklusiven und zum Teil knappen Ressourcen gewährt werden kann (vgl. Faller, 2012, S.116). Ferner vertrat Bourdieu die Auffassung, dass ökonomisches Kapital die Grundlage für alle anderen Kapitalfor- men bildet (vgl. ebenda).

Studien zeigen, dass Menschen mit einem ausgeprägten Maß an Sozialkapital glücklicher und gesünder sind als Menschen mit geringem Sozialkapital (vgl. Chaskin et al., 2006; Poortinga 2006, etc.):

Faller (2012, S.119) führt die gesundheitsfördernde Wirkung von Sozialkapital für Arbeitnehmer nicht nur darauf zurück, dass „sich andere Menschen für ihre Tätigkeiten interessieren und sie in ihren Handlungen unterstützen, was eine größere Produktivität nahelegt“ sondern auch darauf, „dass Menschen mit tragfähigen sozialen Beziehungen ein sehr viel geringeres Erkrankungsrisiko aufweisen als Personen mit wenig sozialen Kontakten (House et al. 1988).“

Zurückzuführen sind diese empirischen Befunden auf das Vertrauen, das gegenseitige Wohlwollen und die Reziprozität der sozialen Beziehungen in selbst geschaffenen Netzwerken. Durch diese Strukturen erhalten die Akteure sozialer Netzwerke (bzw. die Arbeitnehmer) die Möglichkeit Interessen zu verwirklichen deren Realisierung ohne Sozialkapital unmöglich gewesen wäre. Der Zugang zu implizitem Wissen steigert so- mit die Produktivität jedes einzelnen Mitarbeiters, sowie seine Kenntnisse darüber, wie in bestimmten Situationen gehandelt werden muss (vgl. ebenda). Zu den Kenntnissen über spezifische Handlungen kann dabei durchaus auch das Wissen über gesundheits- fördernde Arbeitsweisen, z.B. den Rücken schonendes Heben, Sitzen, etc. gezählt werden.

Die Ausführungen haben gezeigt, dass Unternehmen, in denen Wert auf Wohlwollen und Wohlbefinden gelegt wird produktiver, als Unternehmen die ihre Schwerpunkte anders gesetzt haben, sind. Es bleibt kritisch zu hinterfragen, ob die steigende Produktivität auf das Werteverhalten im Unternehmen, z.B. deren Kommunikationsabläufe zurückzuführen ist, oder ob sich Menschen in produktiven (und damit krisenresistenten) Unternehmen wohler fühlen (vgl. Faller, 2012, S.118f).

2006 und 2007 wurde im Zusammenhang mit Studien des Soziologen Badura an der Universität Bielefeld der Bielefelder Sozialkapitalansatz entwickelt. „Das Ergebnis be- stätigte die positive Wirkung von Sozialkapital auf das physische und psychische Wohlbefinden von Mitarbeiter/innen in Unternehmen (vgl. Faller, 2012, S.118). Der Bielefelder Ansatz schreibt dies den folgenden drei Ebenen zu (vgl. ebenda):

- Netzwerkkapital: Qualität der sozialen Beziehungen auf der gleichen Ebene (z.B. innerhalb einer Abteilung oder Arbeitsgruppe), bspw. der Zusammenhalt oder die Art von Konflikten
- Führungskapital: Qualität der sozialen Beziehungen zwischen Mitarbeitern und Führungskräften, bspw. der Grad der Anerkennung und Unterstützung durch Vor- gesetzte
- Wertekapital: Überzeugungs- und Wertekapital das in Unternehmen vorhanden ist. Sofern die Wertevorstellungen von den Mitarbeitern mitgetragen und im Arbeitsalttag umgesetzt werden, multipliziert sich die Wirkung von Sozialkapital.

Badura et al. (2008) haben mit ihren Studien gezeigt, dass die genannten drei Kapital- ebenen „indirekt über Arbeitsbedingungen und der Qualität der Arbeit einen positiven Effekt auf die Gesundheit der Mitarbeiter zeigen und dass das Wertekapital und die Qualität der Arbeit einen direkten positiven Effekt auf die Gesundheit ausüben“ (vgl. Faller, 2012, S.118).

2.5 Nutzen und Bedeutung der Betrieblichen Gesundheitsf ö rderung und deren praktische Umsetzung im Sport

In den vorangegangenen Kapiteln wurde auf die theoretischen Grundlagen der BGF eingegangen. In den folgenden Kapiteln soll zunächst der gesundheitliche und ökono- mische Nutzen von BGF, sowie die sportpolitische Bedeutung für Sportvereine, sofern sie als Kooperationspartner in der BGF agieren, dargestellt werden. Abschließend werden BGF-Programme des DOSB und des Württembergischen Landessport- bund e.V. vorgestellt, um Möglichkeiten von Kooperationen zwischen Sportvereinen und Unternehmen zu skizzieren.

2.5.1 Nutzen und Bedeutung

Die Wirksamkeit von Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung wurde von der Initiative Gesundheit & Arbeit im Rahmen einer Literaturstudie festgestellt (vgl. Kreis/ Bödeker, 2003). Die Initiative hat als Erkenntnis festgehalten, dass durch Maß- nahmen der BGF bei den teilnehmenden Arbeitnehmern eines Unternehmens Ge- sundheitsrisiken verringert wurden. Kreis/ Bödeker (2003, S.34) halten fest, dass die Wirksamkeit von BGF-Maßnahmen sich sowohl auf Raucherentwöhnungskurse, Ge- wichtskontrolle, eine bessere Fitness der teilnehmenden Arbeitnehmer als auch eine Verbesserung des Ernährungsverhaltens bezieht. Darüber hinaus wurde in der Litera- turstudie nachgewiesen, dass sich durch BGF die Krankheitskosten für Unternehmen und Arbeitnehmer senken lassen. Die Senkung der Krankheitskosten erfolgt durch- schnittlich innerhalb von drei bis vier Jahren nach Einführung der BGF im Unterneh- men (vgl. ebenda. S.35). In Kapitel 2.1 wurde auf die krankheitsbedingten Fehlzeiten von Arbeitnehmern verwiesen. Die Initiative Gesundheit & Arbeit konnte aufzeigen, dass der Absentismus (die Fehlzeiten) der Arbeitnehmer durch BGF verringert werden kann (vgl. ebenda, S.35).

Der demografische Wandel wirkt sich auch auf den organisierten Sport aus. Die Mitgliederzahlen sind seit einigen Jahren rückläufig und besonders in den Altersklassen zwischen 27-40 und 41-60 Jahren (nach der offiziellen Altersklasseneinteilung des DOSB). Laut dem Sportentwicklungsbericht für das Jahr 2013 lag der Anteil der 27-40 Jährigen Vereinsmitgliedern in Deutschland bei 28,51% (Männer) und 18,49% (Frauen) und bei den 41-60 Jährigen Vereinsmitgliedern bei 30,02% (Männer) und 20,39% (Frauen). Ein ähnliches Bild zeichnen die Organisationsgrade des Landessportbundes Niedersachsen für das Jahr 2012 in Abbildung 8:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 8: Organisationsgrad 2012 im LandesSportBund Niedersachsen (in Klammern: Veränderung zu 2000 in Prozentpunkten)

Quelle: Eigene Darstellung nach Daten des LSB Niedersachsen

Es wird deutlich, dass es für die Sportvereine gilt, sich auf die Anforderungen der Al- tersgruppe der über 60-Jährigen einzustellen, daneben ist aber auch ein klarer Hand- lungsbedarf in der Altersgruppe der 27-40 Jährigen und 41-60 Jährigen, die sich in den letzten 12 Jahren um sieben, bzw. sechs Prozentpunkt verringert haben, zuerkennen. Signifikant für diese Altersgruppen sind die Berufstätigkeit und die familiären Verände- rungen in diesen Altersklassen, auf die der Rückgang im Mitgliedsverhalten zurückzu- führen ist.

Somit gilt es, mit einem attraktiven Sportangebot die rückläufigen Altersgruppen der 27-40 Jährigen und 41-60 Jährigen an die Sportvereine zu binden, bzw. neu für die Sportvereine zu gewinnen. In diesem Zusammenhang sollte eine Ausweitung der ge- sundheitsorientierten Sportangebote der Vereine im Fokus stehen, da die Zielgruppen bereits durch Ausbildung, Studium, Berufserfahrung, etc. für das Thema sensibilisiert sind. Steigende Anforderungen und Belastungen in der Arbeitswelt in Bezug auf Ar- beitszeiten, Mobilität am Arbeitsplatz und Produktivität resultieren in einem erhöhten Bedarf und einer erhöhten Nachfrage nach gesundheitsorientierten Sportangeboten. Laut Sportentwicklungsbericht für das Jahr 2013 bieten derzeit rund 35% der nieder- sächsischen Sportvereine gesundheitsorientierte Sportangebote an. Dabei haben Sportverhaltensstudien des Instituts für Kooperative Planung und Sportentwicklung (ikps) gezeigt, dass 95% der Befragten Gesundheit, Wohlbefinden, Fitness und Ent- spannung als Motive für Sport und körperliche Aktivität angeben. 85% der Befragten wünschen sich zudem einen Ausbau von gesundheitsorientierten Angeboten in den Sportvereinen (vgl. Bauer e al., 2012, S. 8 nach Eckl & Wetterich, 2007). Für die Sport- vereine kann es folglich nur lohnenswert sein, mit solchen Angeboten Zugang zu den beschrieben Altersgruppen zu erlangen und dadurch die Perspektive zu erhalten, die Mitgliederzahlen in den relevanten Altersgruppen der 27-40 Jährigen und 41-60 Jähri- gen zu erhöhen.

2.5.2 ‚ Bewegt im Betrieb ‘ der DOSB

Anfang 2014 wurde vom DOSB das Projekt ‚Bewegt im Betrieb. Ein 4-Wochen-Plan mit 30 mehr Wohlbefinden und Gesundheit‘ gestartet. Das Projekt beinhaltet die Bausteine: Bewegte Pause, Gymnastik-Übungen am Arbeitsplatz und mehr Bewegung im Be- triebsalltag. Ziel des Projektes ist über in der Begleitbroschüre aufgezeigte Übungen Anreize für eine über die vier Wochen hinaus andauerndes bewussteres und gesundes Bewegungsverhalten für den Arbeitsalltag, aber auch für die Freizeit zu erreichen (vgl. DOSB, 2014, o.S.). Der niederschwellige Zugang zum Projekt wird über die angespro- chene Begleitbroschüre hergestellt. Der Arbeitnehmer erhält in der Broschüre einen Bewegungsplan in Form von beispielhaften Übungen, bspw. Schulterkreisen, Spazier- gänge, etc. Der Arbeitnehmer kann, entsprechen eines vom DOSB aufgestellten Punk- tesystems, Punkte für durchgeführte Aktivitäten sammeln, bspw. fünf Punkte für einen Mittagsspaziergang, zwei Punkte für durchgeführte Job-Fit-Übungen (fünf Job-Fit- Übungen liegen der Broschüre bei), einen bis drei Zusatzpunkte für mehr individuelle Bewegung im Arbeitsalltag. Der Arbeitnehmer soll nach Möglichkeit jede Woche eine vorgegebene Punktezahl erreichen (mindestens 50 Punkte pro Woche), um diese ab- schließend mit einem persönlich vorher festgelegten Preis zu belohnen, bspw. einer Massage oder einem bestimmten Geldbetrag.

2.5.3 ‚ G.U.T. im Beruf ‘ des Württembergischen LSB e.V.

Das Programm ‚G.U.T im Beruf (gesund und trainiert)‘ wurde 2013 in Zusammenarbeit des Württembergischen Landessportbund (WLSB) und der Unternehmensberatung ‚Meisterleistung‘ initiiert. Vorangegangen war dem Projektstart eine dreijährige Entwick- lungs- und Testphase. Ziel des Programms ist die Erreichung KMU mittels eines „(teil-)standardisierten Maßnahmenblock (...), der sowohl Vereinen als auch Unterneh- men, die noch über wenig Erfahrung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung verfü- gen, den Einstieg in die Thematik erleichtern soll.“ (vgl. Württembergischer Lan- dessportbund e.V., 2013). „Die Einführung in die Handlungsfelder Bewegung, Ernäh- rung und Entspannung erfolgt über Expertenworkshops, im Anschluss folgen Kursein- heiten mit den Schwerpunkten Kraft, Ausdauer und Entspannung“ (vgl. ebenda). Hauptaufgabe des WSLB ist die Vernetzung mit den Vereinen, in Beratungsdienstleis- tungen zum Thema Betriebliche Gesundheitsförderung, in der Bereitstellung von In- formationsmaterialien sowie in der Durchführung vereinzelter Dienstleistungen. Zur er- folgreichen Implementierung von BGF in KMU sieht das Programm ‚G.U.T. im Beruf‘ einen Sechs-Stufen-Plan vor. Im ersten Schritt berät der WLSB die interessierten Sportvereine zum Thema BGF, damit diese im nachfolgenden Schritt die Unternehmen beraten können. In der dritten Stufe kommt es zur Planung der Maßnahme. Hierfür werden Rahmendaten und -Bedingungen des Unternehmens erhoben, damit im vierten

[...]


1 In dieser Arbeit wird lediglich die männliche Form zur Geschlechterbeschreibung verwendet. Dies erfolgt aufgrund des vorgegebenen Umfangs der Arbeit sowie für die Vereinfachung der Lesbarkeit und soll keine Diskriminierung des weiblichen Geschlechts oder sozialer Geschlechter bedeuten.

2 Vgl. Merkblatt KMU-Definition der EU www.ilb.de/media/dokumente/Merkblatt_KMU_Definition_der_EU.pdf

3 vgl. Kernziele für den Gesundheitssport, Deutscher Olympischer Sportbund, www.dosb/de/index.php?id=14015

Ende der Leseprobe aus 247 Seiten

Details

Titel
Sportvereine als Kooperationspartner in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
Untertitel
Eine kritische Betrachtung der Chancen und Herausforderungen anhand empirischer Untersuchungen
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Sportwissenschaftliches Institut)
Veranstaltung
Sport und Lebensstil
Note
1,35
Autor
Jahr
2015
Seiten
247
Katalognummer
V311400
ISBN (eBook)
9783668103689
Dateigröße
2134 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
173 Seiten Anhang!
Schlagworte
sportvereine, kooperationspartner, betrieblichen, gesundheitsförderung, eine, betrachtung, chancen, herausforderungen, untersuchungen
Arbeit zitieren
Stefanie Kosik (Autor:in), 2015, Sportvereine als Kooperationspartner in der Betrieblichen Gesundheitsförderung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/311400

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