Die Frauenrollen Fontanes. Eine Untersuchung von Lene im Werk "Irrungen, Wirrungen" und dem Grad der Diskrepanz zwischen Realität und Darstellung


Dossier / Travail, 2010

20 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

0) Einführung: Die Frage nach Fontanes: Frauengestalten

1) Realistische Romane und Fontanes Denken darüber

2) Betrachtung des Ehrbegriffs und der Darstellung Lenes im Bezug zu den damaligen Begebenheiten der Gesellschaft
2) 1) Realitätsbezug der Handlung in „Irrungen, Wirrungen“
2) 2) Realitätsbezug in „Irrungen, Wirrungen“ von Bothos Entscheidung
2) 3) Diskrepanz zwischen Realität und Darstellung

3) Ursachensuche bei Fontane

4) Die Realität im Realismus

Literaturverzeichnis

0) Einleitung: Die Frage nach Fontanes Frauengestalten

Theodor Fontane lebte von 1819 bis 1898, bekannt als einer der berühmtesten Autoren des Realismus.„Epochengeschichtlich gesehen zählt Fontane zu den bedeutenden Realisten der europäischen Literatur.“1 Gerade deswegen ist es interessant zu betrachten, weswegen seine Werke solch eine beliebte Stellung einnahmen und heute noch einnehmen. Auffallend ist, „dass er als beinahe einziger männlicher Autor in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts dezidiert mit dem Begriff des >Frauenromans< in Verbindung gebracht wird.“2Fast jedes seiner Werke bezieht sich hauptsächlich auf ein Thema, welches die Frau oder Frauen im Roman besonders hervorheben. In näherer Betrachtung ist festzustellen, dass die weiblichen Hauptprotagonisten in diesen immer einen moralischen Fauxpas begehen. Sei es Effie Briest im gleichnamigen Roman mit ihrer außerehelichen Beziehung, die Flucht Kathinkas in „Vor dem Sturm“ vor der arrangierten Hochzeit oder Lenes unstandesgemäße Liebe in „Irrungen, Wirrungen“. Trotzdem erscheinen diese Frauen durch Fontanes Schilderungen sympathisch; man ist als Leser,trotz damals herrschenden gesellschaftlichen Vorgaben,nicht gewillt, sie zu verstoßen. Welche Umsetzung der Grundzüge der realistischen Literatur liegt hier vor? An dem Beispiel Lenes in „Irrungen, Wirrungen“ soll untersucht werden, inwiefern Fontanes Schilderungen der Frauengestalt mit den damaligen Verhältnissen übereinstimmen. Ist Fontanes Realismus immer realistisch? Und welche Rolle übernimmt hierbei die Rolle der Frau in seinen Romanen?

Um das herauszustellen, wird in der folgenden Arbeit zuerst dargelegt, inwieweit Fontane in seinen Romanen den Mustern des Realismus in Aspekten der Thematik oder der Verklärung folgt. Dann folgt hauptsächlich eine Abhandlung über die Darstellung der Lene in „Irrungen, Wirrungen“ und wie das vermittelte Bild zu den damaligen Zeiten passt. Schließlich wird bei Fontane direkt für Gründe gesucht, welche die Handlungsfolge in „Irrungen, Wirrungen“ erklären und mit der Meinung des Autors in Verbindung bringen soll. Hierbei spielt wieder das auftauchende Frauenbild im Zusammenhang mit Ehre und Moral eine bedeutende Rolle.

1) Realistische Romane und Fontanes Denken darüber

Der Begriff des Realismus ist im alltäglichen Sprachgebrauch etwas anders konnotiert als die Literaturepoche ihn meint. Es ist nicht nur allein die absolute Wiedergabe des Wirklichen an sich, welche den Realismus auszeichnet. Der Aspekt der „Verklärung“3tritt als Merkmal hinzu, d.h. die Wirklichkeit wird unter Vorbehalt des Schlimmen und Hässlichen definiert und geschildert. Sie muss also literaturangepasst verarbeitet werden. Diesen zwei Punkten musste sich auch Theodor Fontane aussetzen.

Der Frage, was wir unter Realismus verstehen, begegnete auch er mit der Antwort:

„Vor allen Dingen verstehen wir nicht darunter das nackte Wiedergeben alltäglichen Lebens, am wenigsten seines Elends und seiner Schattenseiten.“4

Fontane stellt sich also der Aufgabe, die negativen Seiten des Lebens in einer Schilderung desselben nicht darzustellen. Betrachtet man seine Romane, könnten allerdings doch vorkommende Aspekte wie Tod oder Krankheit genau also solche geschildert werden. Auch die unerfüllte Liebe in „Irrungen, Wirrungen“ kann also solche gezählt werden, schließlich hängt zum Beispiel damit der emotionale Zusammenbruch Leneszusammen. Oder anders gesehen, sind selbst die Hauptfiguren des Romans an sich für manchen hässlich. Sie begehen moralisch gesehen eine sanktionsbedürftige Tat. So ist es nicht ganz unverständlich, dass Kritiker Fontane und diesem Werk eine Hässlichkeit unterstellen, seine

„Berliner Romane, so wahr und zeitbildlich sie seien, seien mehr oder weniger unerquicklich, weil die darin geschilderten Personen und Zustände mehr oder weniger hässlich seien. Ich halte dies für grundfalsch; […]Rienäcker und Lene mögen dem einen oder anderen nicht gefallen, aber sie sind nicht „hässlich“, ganz im Gegenteil, ich glaube, sie sind anmutend, herzgewinnend.“5, gibt Fontane jedoch seine Meinung zu verstehen. Schon hier zeigt sich ein Unterschied zwischen seiner Auffassung und der der Gesellschaft in der Umsetzung der Vorstellungen für realistische Literatur bzw. in der Deutung mancher Handlungsstränge. Die Hässlichkeit einer unstandesgemäßen Liebe wird durch seine Darstellung der Personen ausgeglichen. Wie er dies schafft, wird im folgenden Kapitel untersucht.

Mit seinen Romanthemen trifft Fontane jedoch den Kern der Zeit. Der Einzelne wird im Gefüge der Gesellschaft betrachtet.

„[E]rkundet wird die Beziehung unter dem Gesichtspunkt ihres wechselseitig aufeinander Bezogenseins und ihrer gegenseitigen Angewiesenheit. Zur Darstellung gelangen sowohl

Entfaltungsmöglichkeiten wie Störungen […].“6

Auch in „Irrungen, Wirrungen“ wird die Liebe zwischen Lene und Botho mit dem Hintergrund der Standesgesellschaft und ihren ausgesprochenen oder unausgesprochenen Gesetzen im 19. Jahrhundert behandelt. Die Gefühle der Beiden werden im Hinblick auf die Entscheidungen der Menschen aus Staat und Umfeld betrachtet, und zeigen die Macht der Gegebenheiten. „Wie ein Leitmotiv durchzieht der Gegensatz zwischen menschlichem Bedürfnis und gesellschaftlichem Zwang die realistische Literatur […].“7

Die Wünsche und Neigungen des Individuums im Roman erlangen nur in dem Grade Erfüllung, wie die Gesellschaft es zulässt oder man es selbst zulassen darf. Hieran zerbricht schließlich die Liebe in „Irrungen, Wirrungen“.

Mit der Stoffwahl für seine Werke passt sich Fontane also dem Hauptkonsens realistischer Literatur an. Wie Fontane jedoch den Aspekt der Verklärung anders auffasst als seine Kritiker, weicht auch seine Meinung betreffend des Faktes der Spiegelung des Wirklichen ab. Nicht alles muss wirklich so geschildert werden wie es ist bzw. stellt sich dies nicht so einfach dar.

„[…] [D]enn ich binüberzeugt, dass auf jeder Seite etwas Irrtümliches zu finden ist. Und doch bin ich ehrlich bestrebt gewesen das wirkliche Leben zu schildern. Es geht halt nit [sic!]. Man muss schon zufrieden sein, wenn wenigstens der Totaleindruck der ist: „Ja, das ist Leben.“8, äußerte sich Fontane 1888.Man kann also die Geschehnisse und Verhältnisse nicht ohne jegliche Abweichungen darstellen; Fehler sind unvermeidbar. Versucht man schon im Alltag wirklich Vergangenes zu schildern, wird man es nicht genauso wiedergeben können, wie es geschah. Wie soll es dann mit einer Fiktion gelingen? Möglicherweise ist es sogar gar nicht notwendig. Für Fontane ist das Wichtigste an seiner Literatur und seinen Romanen, dass man allein das Gefühl hat, etwaskönnteso gewesen sein. Wie er dabei die Literaturepoche des Realismus mitgestaltet, hängt also von seinem Verständnis über die Funktion eines Romans an sich ab. Gegebenenfalls nimmt dieses sogar einen höheren Stellenwert für ihn ein als jenes über den Realismus.

„[Der Roman] soll zu unserer Fantasie und unserem Herzen sprechen, Anregungen geben, ohne aufzuregen; er soll uns eine Welt der Fiktion auf Augenblicke als eine Welt der Wirklichkeit erscheinen, soll uns weinen und lachen, hoffen und fürchten, am Schluss aber empfinden lassen, teils unter lieben und angenehmen, teils unter charaktervollen und interessanten Menschen gelebt zu haben, deren Umgang uns schöne Stunden bereitete, uns förderte, klärte und belehrte.“9

Für Theodor Fontane also muss ein Roman unterhalten. Er muss Gefühle im Leser wecken können. Vorstellbar ist, dass in „Irrungen, Wirrungen“ schon Ortsbeschreibungen nahe des Zoologischen Gartens, Hauptumgebung des Geschehens, nicht mit der Realität Ende des 19. Jahrhunderts übereinstimmen. Doch dies ist auch nicht notwendig, um die Geschichte um Lene und Botho zu erzählen. Fontane liegt es seinem Ausspruch über die Funktion eines Romans nach näher, die Menschen in seinen Werken so zu gestalten, dass der Rezipient annehmen kann, sie hätten wirklich so gelebt. Diesen Vorstellungen kann auch die Befolgung der realistischen Muster unterliegen.

Man kann natürlich Fontanes Literatur, explizit „Irrungen, Wirrungen“, indiskutabler Weise als welche des Realismus bezeichnen. Schließlich arbeitet er mit der verbreiteten Methode der Ironie. Um zum Beispiel auch die Liebesgeschichte um Botho und Lene nicht zu ernst erscheinen zu lassen, werden Gespräche zwischen ihnen aufgelockert.10 Weiterhin lässt eine Detailgenauigkeiten in seinen Werken nicht fehlen und hält sich an die Grenzen der Möglichkeiten der Geschehnisse. Trotzdem kann man merken, dass er als Autor mit seiner subjektiven Auffassung von der Funktion der Literatur von der allgemein Verbreiteten ein wenig abweicht. Sein Empfinden für etwas Hässliches ist anders bzw. deutet er für sich Dinge etwas differenzierter. Solche unterschiedlichen Ansichten über den Romanstoff in „Irrungen, Wirrungen“ und die Meinung der Gesellschaft lassen sich auch in seiner Schilderungen über die Liebe zwischen Botho und Lene oder auch in manchen Äußerungen über diese Themen erkennen.

[...]


1Aust, Hugo: Theodor Fontane. Ein Studienbuch. Tübingen: 1998. S.21

2Becker, Sabina; Kiefer, Sascha: „Weiber weiblich, Männer männlich?“. Zum Geschlechterdiskurs im Theodor Fontane Roman. Tübingen: 2005. S.9

3Aust, Hugo: Realismus. Lehrbuch Germanistik. Stuttgart, Weimar: 2006. S.11

4Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Hrsg. v. Fuchs, Michael, Paderborn: 1999. S.189f

5Ebd. S.189

6Aust, Hugo (wie Anm. 3), S.20

7Aust, Hugo (wie Anm. 6), S.21

8Fontane, Theodor (wie Anm. 4), S.188f

9Fontane, Theodor (wie Anm. 4), S.191

10vgl. Fontane, Theodor (wie Anm. 4), S. 29

Fin de l'extrait de 20 pages

Résumé des informations

Titre
Die Frauenrollen Fontanes. Eine Untersuchung von Lene im Werk "Irrungen, Wirrungen" und dem Grad der Diskrepanz zwischen Realität und Darstellung
Université
Martin Luther University  (Germanistik)
Cours
Literaturgeschichte 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart
Note
1,7
Auteur
Année
2010
Pages
20
N° de catalogue
V311639
ISBN (ebook)
9783668103290
ISBN (Livre)
9783668103306
Taille d'un fichier
507 KB
Langue
allemand
Mots clés
frauenrollen, fontanes, eine, untersuchung, lene, werk, irrungen, wirrungen, grad, diskrepanz, realität, darstellung
Citation du texte
Anne-Marie Holze (Auteur), 2010, Die Frauenrollen Fontanes. Eine Untersuchung von Lene im Werk "Irrungen, Wirrungen" und dem Grad der Diskrepanz zwischen Realität und Darstellung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/311639

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