Mindestlohngesetz. Gesetzliche Regelung und offene Fragen


Diskussionsbeitrag / Streitschrift, 2015

14 Seiten


Leseprobe


1. Einleitung

2. Mindestlohnhöhe
2.1. Grundsatz
2.2. Anrechenbare Entgeltbestandteile
2.3. Entgeltfortzahlung und Mindestlohn

3. Fälligkeit des Mindestlohns

4. Geltungsbereich des Mindestlohngesetzes

5. Dokumentationspflichten

6. Folgen von Verstößen

1. Einleitung

Nachdem Mindestlohnregelungen nach dem AÜG und dem AEntG nur für einzelne Branchen galten, wurde durch das MiLoG[1] ab 1.1.2015 ein gesetzlicher, flächen­deckender Mindestlohn eingeführt. Das Gesetz lässt aber eine Reihe von Fragen offen.

Seitdem ist knapp ein Jahr verstrichen, so dass ein erstes Resümee erfolgen kann. Es liegen nunmehr einige Urteile und zahlreiche Stellungnahmen in der Literatur vor, daraus resultierend zeichnen sich erste Grundlinien zu den offenen Fragen ab.

2. Mindestlohnhöhe

2.1. Grundsatz

Nach dem Mindestlohngesetz gilt ab dem 1.1.2015 ein gesetzlicher, flächendeckender Mindestlohn i.H.v. 8,50 € pro Stunde (§ 1 I MiLoG). Dieser ist, von einigen Aus­nahmen abgesehen, für alle Arbeitnehmer maßgeblich.

Der Mindestlohn kann auf Vorschlag der Mindestlohnkommission, erstmalig mit Wirkung zum 1.1.2017, alle 2 Jahre per Rechtsverordnung angepasst werden (§§ 1 II, 9 I, 11 MiLoG).

Werden Arbeitsentgelte vereinbart, welche den gesetzlichen Mindestlohn unter­schreiten, so ist die Vereinbarung unwirksam (§ 3 S. 1 MiLoG).

Umstritten ist, welchen Entgeltanspruch der Arbeitnehmer in diesem Fall hat. Einerseits wird vertreten, dass in diesem Fall der Arbeitnehmer Anspruch auf die übliche Vergütung gemäß § 612 II BGB hat.[2] Nach einer anderen Auffassung besteht in diesem Fall lediglich Anspruch auf Entgelt in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns.[3]

Für die letztgenannte Ansicht spricht zunächst der Wortlaut des § 3 MiLoG, wonach „Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten ... insoweit unwirksam“ sind.

Dagegen spricht jedoch, das diese Auffassung zu inkonsistenten Ergebnissen führt. Würde z.B. bei einer üblichen Vergütung von 9,00 € pro Stunde ein Stundenlohn von 8,00 € pro Stunde vereinbart werden, würde dies nach dieser Ansicht einen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn begründen. Haben die Vertragspartner jedoch keinen Lohn vereinbart, besteht nach § 612 II BGB Anspruch auf die übliche Vergütung von 9,00 € pro Stunde. Damit wäre der Arbeitnehmer, mit dem ein gesetzeswidriger Lohn vereinbart wurde schlechter gestellt als derjenige, bei dem keine Vereinbarung getroffen wurde.[4]

Dies widerspricht jedoch dem Schutzzweck des Gesetzes. Somit ist die vorzugs­würdige Ansicht die, nach der dann nicht nur Anspruch auf den Mindestlohn, sondern nach § 612 II BGB auf die übliche Vergütung besteht.

Unwirksam sind auch Ausschlussklauseln oder Verzichtsvereinbarungen, mit Ausnahme eines Verzichts auf Basis eines gerichtlichen Vergleichs (§ 3 S. 2 MiLoG). Der Mindestlohn unterliegt nicht der Verwirkung (§ 3 S. 3 MiLoG), sondern nur der dreijährigen Verjährungs­frist, gerechnet ab dem Ende des Entstehungsjahres (§§ 195, 199 I BGB).[5]

Fordert der Arbeitnehmer seinen gesetzlichen Mindestlohn ein und erhält daraufhin eine Kündigung, liegt eine nach § 612a BGB unzulässige Maßregelung vor, die auch in einem nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterliegendem Kleinbetrieb unwirksam ist.[6] Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer eine dem MiLoG widersprechende Vertragsänderung nicht akzeptiert.[7]

Auch Entgeltvereinbarungen, die über dem gesetzlichen Mindestlohn liegen, können unwirksam sein, da durch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns die Rechtsprechung des BAG zu Sittenwidrigkeit[8] bzw. zum Lohnwucher unberührt bleibt.[9] Von Lohnwucher ist, sofern nicht besondere Umstände hinzutreten, bei Unterschreitung der tarifüblichen Vergütung um mehr als ein Drittel auszugehen.[10] In diesem Fall besteht nach § 612 II BGB Anspruch auf die übliche Vergütung.

Beispiel:

Der Tariflohn für eine bestimmte Tätigkeit beträgt 18 € pro Stunde. In einem Arbeitsvertrag wird Arbeitsentgelt i.H.v. 10 € pro Stunde vereinbart. Die Entgeltvereinbarung ist nach § 138 BGB nichtig, obwohl sie über dem Mindestlohn liegt, da sie deutlich weniger als zwei Drittel der üblichen Vergütung beträgt. Der Arbeitnehmer hat somit nach § 612 II BGB Anspruch auf 18 € pro Stunde.

Der gesetzliche Mindestlohn nach § 1 I, II MiLoG ist als Bruttoentgelt pro Zeitstunde zu ver­stehen. Wird ein Stundenlohn vereinbart, ist die Regelung des § 1 II MiLoG unproblematisch. Sofern die Vergütung jedoch als monatlicher Zeitlohn oder Gehalt gezahlt wird, ergibt sich daraus, dass die zeitliche Bezugsgröße mit zu berücksichtigen ist.[11]

Beispiel:

Vereinbart ist eine tägliche Arbeitszeit von 8 Stunden von Montag bis Freitag bei einer monatlichen Vergütung von 1.450 €. Im Februar 2015 mit 20 Arbeitstagen ergibt sich ein Stundenlohn von 1.450 € : 160 Std. = 9,06 €/ Std., der Mindestlohn ist eingehalten. Im März 2015 mit 22 Arbeitstagen ergibt sich ein Stundenlohn von 1.450 € : 176 Std. = 8,23 €/ Std., der Mindestlohn ist unterschritten.

Nach Auffassung des BAMS[12] ist in diesen Fällen von einem verstetigten Monatseinkommen auszugehen, welches nach § 2 II MiLoG bei einer vereinbarten 40-Stunden-Woche wie im obigen Beispiel dann den gesetzlichen Vorgaben entspricht, wenn monatlich 4 1/3 Wochen (= 52 : 12) a 40 Stunden mit 8,50 €/Stunde vergütet werden. Daraus ergibt sich für die 40-Stunden-Woche eine Mindestvergütung von 1.473,34 € pro Monat.

Ob diese Auffassung einer gerichtlichen Überprüfung standhält, erscheint zumindest zweifelhaft. Für den einzelnen Monat März berechnet würde sich jedenfalls bei 1.473,34 € pro Monat ein Betrag von unter 8,50 €/Stunde ergeben, der nach der hier vertretenen Auf­fassung unzulässig wäre. Naheliegender ist, vom Monat als Bezugsgrundlage auszugehen.[13]

Für geringfügig Beschäftigte („Minijobber“) ergibt sich aus dem Mindestlohn eine mittel­bare Grenze für die monatliche Stundenzahl von 52,9 Stunden (= 450 € : 8,50 €/Stunde).

Noch schwieriger zu beurteilen ist die Frage, ob eine leistungsbezogene Vergütung den Anforderungen des § 1 I, II MiLoG entspricht. Dies ist im Allgemeinen dann anzunehmen, wenn bei „Normalleistung“ der gesetzliche Mindestlohn pro Stunde erreichbar ist.[14] Als Normalleistung ist die Leistung zu verstehen, die der Arbeitnehmer aufgrund seiner individuellen Voraussetzungen dauerhaft erbringen kann, d.h. wenn er „unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeitet“.[15]

Problematisch kann auch die Frage sein, was als Arbeitszeit zählt. Im einfachsten Fall ist auf die Definition des § 2 I S. 1 ArbZG abzustellen. Danach ist Arbeitszeit die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeitszeit ohne die Pausen.

Besonderheiten gelten in Bezug auf Bereitschaftszeiten. Hier ist zwischen Arbeits­bereit­schaft, Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft zu unterscheiden.

Als Arbeitsbereitschaft gelten Zeiten „wacher Achtsamkeit im Zustand der Entspannung“.[16] Der Arbeitnehmer muss sich am Arbeitsplatz aufhalten und im Bedarfsfall die geschuldete Arbeitsleistung erbringen. Arbeitsbereitschaft zählt zur Arbeitszeit.

[...]


[1] Art. 1 Tarifautonomiestärkungsgesetz vom 11. August 2014, BGBl. I, S. 1348.

[2] Bayreuther, NZA 2014, 865 (866); Bayreuther, NZA 2015, 385 (387).

[3] Lembke, NZA 2015, 70 (77), Sittard, RdA 2015, 99 (106).

[4] Ebenso Bayreuther, NZA 2015, 385 (387).

[5] ErfK/ Franzen, Rn. 3 zu § 3 MiLoG; Lakies, ArbRAktuell 2014, 343 (344).

[6] ArbG Berlin, Urteil vom 17. April 2015 – 28 Ca 2405/15.

[7] Sächsisches LAG, Urteil vom 24. Juni 2015 – 2 Sa 156/15.

[8] BAG, Urteil vom 26. April 2006 5 AZR 549/05.

[9] Bayreuther, NZA 2014, 865 (866); ErfK/ Franzen, Rn. 1 zu § 1 MiLoG.

[10] BAG, Urteil vom 22. April 2009 – 5 AZR 436/08.

[11] Bayreuther, NZA 2014, 865 (867).

[12] BMAS, Broschüre „Fragen zum gesetzlichen Mindestlohn“, S. 15 f.

[13] So wohl auch ErfK/ Franzen, Rn. 8 zu § 1 MiLoG; Lakies, ArbRAktuell 2014, 343 (343); Lembke, NZA 2015, 70 (74), Moll/Päßler/Reich, MDR 2015, 125 (126); Schweibert/Leßman, DB 2014, 1866 (1868) Sittard, RdA 2015, 99 (100).

[14] Brors, NZA 2014, 938 (940); ErfK/ Franzen, Rn. 9 zu § 1 MiLoG.

[15] BAG, Urteil vom 11. Dezember 2003 – 2 AZR 667/02 und BAG, Urteil vom 17. Januar 2008 – 2 AZR 536/06.

[16] BAG, Urteil vom17. Juli 2008 – 6 AZR 505/07.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Mindestlohngesetz. Gesetzliche Regelung und offene Fragen
Autor
Jahr
2015
Seiten
14
Katalognummer
V311679
ISBN (eBook)
9783668104136
ISBN (Buch)
9783668104143
Dateigröße
455 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
mindestlohngesetz, gesetzliche, regelung, fragen
Arbeit zitieren
Dipl.-Kfm., LL.M. Lutz Völker (Autor:in), 2015, Mindestlohngesetz. Gesetzliche Regelung und offene Fragen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/311679

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