Sultan Saladin - zur literarischen Vorlage, dramentechnischen Realisation und Funktion einer Figur in Lessings 'Nathan der Weise'


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2001

17 Pages, Note: sehr gut (1,0)


Extrait


Inhalt

1 Einleitung

2 Die l iterarische Vorlage: Der historische Saladin (1138 – 1193)
2.1 Saladin in den Konflikten seiner Zeit
2.2 Charakter und Merkmale in der Überlieferung
2.3 „Die Tragödie ist keine dialogierte Geschichte“ – Zur Funktion des Rückgriffs auf einen historischen Kontext

3 Dramentechnische Realisation
3.1 Der ‚gemischte Charakter’: „weder ein ganz tugendhafter Mann, noch ein völliger Bösewicht“
3.2 Saladin als ‚gemischter Charakter’
3.2.1 Einführung der Figur in die Handlung
3.2.2 Charakter
3.3 Funktion der Figur

4 Schluss

5 Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Als einzige der drei Hauptfiguren (Nathan, Saladin, Tempelherr) des ‚dramatischen Gedichtes’ entwarf Lessing die Figur des Sultans Saladin in Anlehnung an eine historische Vorlage. Diese Feststellung führt zu der Frage, warum sich Lessing bei der Konzipierung einer historischen Vorlage bediente und warum er Saladin hierfür auswählte.

Die vorliegende Arbeit führt zunächst knapp in den historischen Kontext und die politischen Zusammenhänge des Dritten Kreuzzuges ein. Hierbei wird versucht, die Rolle des Sultans in den politischen und religiösen Auseinandersetzungen seiner Zeit zu umreißen und ferner seine charakterlichen Eigenschaften, wie sie die morgen- und abendländische Geschichtsschreibung tradiert, kritisch darzustellen.

Im folgenden soll Lessings Verständnis von Rückgriffen auf historische Geschehen im Drama untersucht werden, bevor im Anschluss hieran die dramentechnischen Umsetzung der Figur Saladin im ‚Nathan’ analysiert wird: Wie wird die Figur in die Handlung eingeführt? Wie ist Saladin zu charakterisieren, inwiefern entspricht der Charakter der Figur der Konzeption des ‚gemischten Charakters’? Mit welchen Wirkungsabsichten ist diese Konzeption bei Lessing verbunden?

Im letzten Kapitel des Hauptteils soll die Funktion der Figur untersucht werden, wobei auch einige Differenzen zwischen literarischer Umsetzung und historischer Vorlage gegenübergestellt werden.

2. Literarische Vorlage: Der historische Saladin (1138 – 1193)

2.1 Saladin in den Konflikten seiner Zeit

Das politische Geschehen des 12. Jahrhunderts ist geprägt durch die Auseinandersetzung des Abendlandes mit dem Morgenland, des Christentums mit dem Islam. Die Kreuzzüge, in denen sich die Idee des „Heiligen Krieges“ mit der einer Wallfahrtsbewegung verknüpfte, manifestieren dies in weltgeschichtlich gewichtiger Dimension.[1]

Der Erste Kreuzzug[2] führte nicht nur zu der blutigen Eroberung Jerusalems 1099, sondern auch zur Errichtung des Königreiches Jerusalem im darauffolgenden Jahr. Dieses morgenländisch-christliche Reich umfasste die Gebiete des heutigen Israel sowie Teile Jordaniens, Syriens und des Libanons[3] und blieb bis zu seiner endgültigen Eroberung durch die Sarazenen im Jahre 1291 stets Anlass und Stätte kriegerischer Konfrontation.

Um die Bedeutung Saladins (1138-1193) in diesem Kontext nachvollziehbar zu machen, soll ein kurzer Einblick in die wichtigsten Abläufe und Ereignisse seines Lebens geliefert werden:

Saladin[4] wurde im Jahre 1138 als Nachfahre armenischer Kurden in Tikrit[5] am Tigris geboren, wo sein Vater[6] Befehlshaber der Festung im Dienste der Seldschuken[7] von Bagdad war. Saladin schulte sein militärisch-taktisches Verständnis und stellte früh seine Qualitäten als Führungspersönlichkeit unter Beweis, indem er zwischen 1164 und 1169 im Dienste des syrischen Herrschers Nureddin[8] an drei Feldzügen teilnahm. 1169 wurde er Wezir[9] in Ägypten und stürzte dort im September 1171, noch mit Billigung Nureddins, die Fatimiden[10] vom Thron und begründete die Dynastie der Aijubiden. Der rasche Aufstieg und die Kette persönlicher Erfolge beunruhigten Nureddin, der in Saladin, wohl zurecht, einen Konkurrenten heranwachsen sah. Die sich abzeichnende militärische Konfrontation verhinderte der Tod Nureddins am 15. Mai 1174.[11] Saladin zog am 27. Nov. 1174 in Damaskus ein und nahm den Sultanstitel sowie das politische Erbe Nureddins an. Saladin, nun Herrscher über Ägypten und Syrien, verfügte so über eine erhebliche Machtkonzentration. Dennoch strebte er nach weiterer Expansion und nahm den Kampf gegen die Christenherrschaft im Morgenland auf, um den Islam endgültig zu einen. „Er hielt es für sein Lebensziel, die christliche Herrschaft im Morgenlande und noch darüber hinaus zu vernichten. Diesem ordnete er alles andere unter.“[12]

Der neu formierten Herrschaft Saladins stand das christliche Königreich Jerusalem gegenüber, das sich in einer Krise befand und durch inneren Streit geschwächt war. Es mangelte an Geschlossenheit und an einem starken König, der Saladin hätte die Stirn bieten können.[13] Im Anschluss an Scharmützel, die sich über Jahre hin erstreckten, kam es 1187 zum offenen Krieg, der den Zusammenbruch des Ersten Königreiches Jerusalem bedeuten sollte.[14] Erzürnt und in Kenntnis der Uneinigkeit seiner Gegner rief der Sultan zum Djihad[15] auf. Saladins eindrucksvoller Sieg bei Hattin (Juli) löste Panik unter der christlichen Bevölkerung aus und brach den Widerstand der Truppen. Jerusalem, das Ziel der Kriegsführung, öffnete den Truppen Saladins am 2. Oktober 1187 die Tore. Im folgenden Belagerungskrieg fielen ihm fast alle übrigen Festungen des Landes zu.[16]

Der Fall der Heiligen Stadt löste Entsetzen in Europa aus. Papst Gregor VIII. sah sich veranlasst, zur Rückeroberung zu einem Kreuzzug aufzurufen, was am 29.Oktober 1187 in der Enzyklika „Audita tremendi“ geschah. Die drei mächtigsten Monarchen Europas, König Phillip II. von Frankreich, König Richard Löwenherz von England und Kaiser Friedrich Barbarossa sammelten ihre Heere und brachen zum Kreuzzug auf, Barbarossa auf dem Landweg, Philipp und Richard auf dem Seeweg.

Trotz dieses gewaltigen Aufmarsches verfehlte der Kreuzzug sein eigentliches Ziel, die Rückeroberung Jerusalems. Zwar gelang den Kreuzrittern mit der Einnahme der Festung Akko ein anfänglicher Erfolg, aber sie waren zu schwach, um Jerusalem einzunehmen. Das deutsche Kontingent war nach dem Tod Barbarossas[17] nahezu ganz auseinandergefallen, Philipp war bereits nach der Einnahme Akkons umgekehrt. Richard, somit auf sich allein gestellt, schloss 1192 mit Saladin einen Waffenstillstand, der den christlichen Pilgern das Recht einräumte, das Heilige Grab zu besuchen. Die Christen konnten ihr Königreich an der palästinisch-syrischen Küste wieder errichten, Jerusalem blieb aber in den Händen der Muslime. Von diesen großen Auseinandersetzungen entkräftet, starb Saladin am 4.März 1193 in Damaskus.

[...]


[1] Vgl. Jordan, Karl: Investiturstreit und frühe Stauferzeit. Stuttgart 1973. (= Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. Bd. 4.) S. 57.

[2] 1096-1099. Die Einnahme Jerusalems durch die Kreuzfahrer erfolgte am 15. Juli 1099. Vgl. Riley-Smith, Jonathan: Kreuzzüge. In: LexMa V. Sp. 1508-1519.

[3] Vgl. Jerusalem, Königreich. In: Microsoft Encarta 98 Enzyklopädie. 1993-1997.

[4] Eigentlich Salah ad-Din Jusuf ibn Ajub; Vgl. auch Birus, Hendrik: Das Rätsel der Namen in Lessings „Nathan der Weise“. In: Lessings „Nathan der Weise“. Hrsg. von Klaus Bohnen. Darmstadt 1984. S. 324 und Richards, D.S.: Salah al-Din Yusuf Ben Ayyub. In: The Encyclopaedia of Islam. Volume VIII. Ed. by C.E. Bosworth (u.a.). Leiden 1995. S. 910-914.

[5] Im heutigen Irak gelegen.

[6] Nedjm ed-din Ajub

[7] Die Seldschuken sind ein türkisches Herrschergeschlecht des 11. und 12. Jahrhundert, benannt nach ihrem Gründer Seldschuk um das Jahr 1000. Vgl. Hartmann, Johannes: Die Persönlichkeit des Sultans Saladin im Urteil der abendländischen Quellen. Berlin 1933. S. 22.

[8] Gelegentlich auch Nuraddin, eigentlich aber Nur al-Din Mahmud Ben Zanki, aus dem Geschlecht der Zangiden. Regierte 1146 bis 1174. Vgl. Daftary, F.: Nur al-Din Mahmud Ben Zanki. In: Encycloaedia of Islam. Vol. VIII. S. 127-133.

[9] Ministertitel in islamischen Staaten, der während des Kalifats der Abbasiden (750-1258) als Titel für die oberen Beamten der zivilen Verwaltung eingeführt worden war. Aufgabe der Wesire war es, den Kalifen gegenüber dem Volk zu vertreten.

[10] Schiitische Dynastie, die sich auf die Nachfolge von Mohammeds Tochter Fatima beruft. Seit dem 10. Jahrhundert beherrschten die Fatimiden das nordafrikanische Kalifat und standen zumeist in Opposition zum Kalifat in Bagdad.

[11] Nureddins Sohn, noch im Kindesalter, konnte die Usurpation durch Saladin nicht verhindern.

[12] Hartmann, S. 48.

[13] „Das Reich war innerlich morsch und hielt sich blos, weil auch die Feinde schwach waren. Das änderte sich, als Saladin an ihre Spitze trat.“ Cartellieri, Alexander: Phillip II. August. König von Frankreich. Bd. II. Der Kreuzzug (1187-1191). Leipzig, Paris 1906. S. 27.

[14] Ein Überfall der Christen (Rainald von Châtillon) auf eine sarazenische Karawane während eines Waffenstillstandes hatte Saladin Anlass zum Krieg geboten.

[15] Heiliger Krieg für die Sache des Islam, der theoretisch so lange zu führen ist, bis die ganze Welt dem Islam angehört.

[16] Hartmann charakterisiert diesen Feldzug als „Sieg einer starken, alles beherrschenden Persönlichkeit über schwächliche, uneinige Gegner.“ Hartmann, S. 53.

[17] Er ertrank am 10. Juni 1190 im Fluss Saleph (in der heutigen Türkei gelegen).

Fin de l'extrait de 17 pages

Résumé des informations

Titre
Sultan Saladin - zur literarischen Vorlage, dramentechnischen Realisation und Funktion einer Figur in Lessings 'Nathan der Weise'
Université
University of Göttingen  (Seminar für Deutsche Philologie)
Cours
Proseminar: Gotthold Ephraim Lessing (Dramenanalyse)
Note
sehr gut (1,0)
Auteur
Année
2001
Pages
17
N° de catalogue
V31233
ISBN (ebook)
9783638322997
Taille d'un fichier
574 KB
Langue
allemand
Mots clés
Sultan, Saladin, Vorlage, Realisation, Funktion, Figur, Lessings, Nathan, Weise, Proseminar, Gotthold, Ephraim, Lessing
Citation du texte
Tobias Gottwald (Auteur), 2001, Sultan Saladin - zur literarischen Vorlage, dramentechnischen Realisation und Funktion einer Figur in Lessings 'Nathan der Weise', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31233

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