Digital Game-Based Learning. Strukturelle und inhaltliche Potentiale für den Geschichtsunterricht


Bachelorarbeit, 2012

57 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhalt

1 Einleitung

2 Digital Game-Based Learning in Schule und Unterricht
2.1 Aufbau
2.2 Definition
2.3 Grundannahmen
2.4 Merkmale digitaler Videospiele
2.5 Implementierung im Unterricht
2.5.1 Probleme beim Einsatz von DGBL in der Schule
2.5.2 An Individualized Inventory for Integrating Instructional Innovations (i5)
2.5.3 Instruktion für den Einsatz von kommerziellen Spielen im Unterricht
2.6 IT-Ausstattung in deutschen Haushalten und Schulen
2.6.1 Videospiele und Computer als Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen
2.6.2 Medienausstattung an deutschen Schulen

3 Lernprozesse und Digital Game-Based Learning
3.1 Aufbau
3.2 Lernzieltaxonomie
3.2.1 Kognitive Lernziele
3.2.2 Affektive Lernziele
3.2.3 Psychomotorische Lernziele
3.3 Kolbs Theorie des Erfahrungslernen
3.4 Experiential gaming model
3.5 Anchored Instruction Ansatz
3.6 Geschichtsbewusstsein und DGBL

4 Strukturelle und inhaltliche Potentiale des DGBL für den Geschichtsunterricht
4.1 Aufbau
4.2 Verknüpfung von DGBL mit methodisch-didaktischen Konzepten der Geschichtswissenschaft
4.3 Unterrichtsmodelle im Fach Geschichte
4.3.1 DGBL im handlungsorientierten Geschichtsunterricht
4.3.2 DGBL im problemorientierten Geschichtsunterricht

5 Fazit

6 Anhang

7 Literatur- und Quellenverzeichnis

Verzeichnis der Abbildungen

Abbildung 1: Conditions for classroom technology innovations

Abbildung 2: A Framework for Addressing Challenges to Classroom Technology Use

Abbildung 3: Geräte-Ausstattung im Haushalt 2011

Abbildung 4: Gerätebesitz Jugendlicher 2011

Abbildung 5: Gerätebesitz der Kinder 2010

Abbildung 6: Wichtigkeit der Medien 2011

Abbildung 7: Dataset-IT-Ausstattung der Schulen 2008

Abbildung 8: Bildungsstudie: Digitale Medien in der Schule 2011

Abbildung 9: Zyklus des Erfahrungslernen nach Kolb

Abbildung 10: Experiential gaming model

Abbildung 11: Dimensionen des Geschichtsbewusstseins nach Pandel

1 Einleitung

Den ersten Kontakt mit Digital Game-Based Learning hatte ich während einem Workshop, der Teil der Veranstaltung „Einführung in die schulische Medienpädagogik“ des Wintersemesters 2010/2011 an der Universität Mainz war. Damals hat mich die Idee interessiert, dass Videospiele unter bestimmten Bedingungen formelle Bildungsinhalte vermitteln können. In der Gruppe entwickelten wir ein mögliches Szenario, bei dem Inhalte aus dem Geschichtsunterricht durch Videospiele vermittelt werden konnten, ohne jedoch ein konkretes didaktisches Modell als Grundlage zu nutzen. Wir stellten uns einen abenteuerlichen Journalisten vor, der mit Kolumbus auf Entdeckungsreise geht, Newton bei der Arbeit über die Schulter schaut und die französische Revolution hautnah miterlebt. Natürlich sollten alle diese Spielwelten so realistisch wie möglich aussehen und sich auch so anfühlen. Die Schüler sollten unter Eigenregie die Spielwelt erkunden, Erfahrungen mit Indigenen machen und all diese Eindrücke in einem Blog sammeln. Digital Game-Based Learning konnte alles verwirklichen, was wir uns vorstellen konnten, Digital Game-Based Learning erschien als das helle Licht am Ende des dunklen und verstaubten Tunnels des Frontalunterrichts...

Aufgrund meiner eigenen Sozialisation, die maßgeblich von den digitalen Spielwelten beeinflusst wurde, aber auch die ständige Kritik von Eltern, Schule und Medien gegenüber meinem Hobby, wollte ich feststellen, ob Videospiele einen Platz im Schulunterricht finden konnten. Als Lehramtsstudent im Fach Geschichte und begeisterter Computerspieler von Strategiespielen, habe ich meinem Hobby schon immer unterstellt, besonders wichtige Inhalte vermitteln zu können. Schließlich musste ich als Feldherr unzählige Schlachten planen und durchführen, strategische Entscheidungen treffen und soziale Kompetenz in Onlinespielen entwickeln, um mit meinem Clan erfolgreich im Ligensystem der Electronic Sports League zu bestehen.

Dabei hat mich besonders eine Frage zum Erstellen dieser Arbeit bewogen: Bieten Videospiele eine spezielle Struktur, die man im Geschichtsunterricht nutzen kann? Und falls diese Struktur vorhanden ist, nach welchen Prinzipien muss der Geschichtsunterricht organisiert sein?

Diese beiden Fragen werde ich anhand meiner Kenntnisse aus dem Fach Bildungswissenschaften versuchen zu beantworten. Dabei werde ich Inhalte aus der Psychologie (Lerntheorien und Lernzieltaxonomien), der Geschichtswissenschaft (Geschichtsbewusstsein und Unterrichtsmodelle) und der Medienpädagogik (u.a. Digital Game-Based Learning, Computer- und Internetnutzung und Experiential gaming model) in Verbindung zueinander stellen und so die strukturellen und inhaltlichen Potentiale des Digital Game-Based Learning für den Geschichtsunterricht herausarbeiten. Zu Beginn dieser Arbeit stelle ich das Digital Game-Based Learning nach Prensky vor und erläutere die Merkmale von digitalen Videospielen. Weiterhin beschreibe ich, wie Videospiele in den Unterricht implementiert werden können und welche Hindernisse zu erwarten sind. Um die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen besser einschätzen zu können, werden sie u.a. mit der aktuellen KIM-Studie (2010) und JIM-Studie (2010) fassbar gemacht. Im Verlauf der Arbeit werde ich die Frage klären, welche theoretischen Grundlagen im Digital Game-Based Learning zu finden sind. Denn auch wenn es der Umfang der Publikationen zu diesem Thema vermuten lässt, eine vollwertige Theorie ist es bislang noch nicht. Diese Kapitel liefern die (theoretischen) Grundlagen für die Unterrichtsmodelle aus der Geschichtswissenschaft, welche dadurch mit dem Digital Game-Based Learning verbunden werden können. Das Fazit stellt die Erkenntnisse der Arbeit abschließend zusammen und greift die hier gestellten Fragen nochmals auf.

2 Digital Game-Based Learning in Schule und Unterricht

2.1 Aufbau

Zu Beginn dieses zweiten Kapitels wird eine Definition des Begriffs „Digital Game-Based Learning“ vorgestellt, um darauf das Konzept nach Prensky (2001) aufzubauen. Darauf folgt eine Betrachtung der Merkmale von digitalen Spielen und die Implementierung von DGBL im Unterricht. Dieser Abschnitt unterteilt sich anfangs mit den Problemen des DGBL bei einem Einsatz in der Schule und wird, differenziert in fünf Ebenen, durch Studien von Baek (2008) und Klopfer et al. (2009) und Wagner & Mitgutsch (2010) herausgearbeitet. Mittels des i5-Programms von Groff & Mouza (2008) können diese Widerstände analysiert und Lösungsvorschläge entwickelt werden. Danach stelle ich drei „instuctional activities“ für den Einsatz von kommerziellen Spielen im Unterricht nach Charsky und Mims (2008) vor. Abgeschlossen wird das Kapitel 2 mit einer Analyse der IT-Ausstattung in deutschen Haushalten und Schulen, um die Lebenswelt von Schülerinnen und Schüler (SuS) erfassen zu können.

2.2 Definition

Der Begriff „Digital Game-Based Learning“ (DGBL) wurde 2001 durch das gleichnamige Buch von Marc Prensky geprägt. Obwohl es eine Vielzahl von Definitionen von DGBL gibt (vgl. Ritterfeld 2009, S. 3ff.) ist die ursprünglich von Prensky gemachte Aussage, dass DGBL „any marriage of educational content and computer games (Prensky 2001, S. 145) sei, die bis heute weit verbreitetste. Das verbindende Element bildet der Spaß am Spiel selbst, der Spielwelt und der Geschichte (Story). Daneben können noch andere Eigenschaften wie z.B. die Charakterentwicklung die Motivation aufrecht erhalten. Weil eine direkte Verbindung zwischen dem Lernprozess und der Motivation des Lernenden besteht, folgert Prensky, dass das DGBL eine Verbindung zwischen didaktischen Inhalten und anspruchsvollen Spielumgebungen durch den Einsatz von digitalen Medien gewährleisten kann (vgl. Prensky 2001, S. 145ff.). Er verweist auf positive Ergebnisse aus der Wirkungsforschung, welche jedoch als Gesamtbild eher uneinheitlich ausfallen und deshalb mit Vorbehalt zu genießen sind (vgl. Gunter, Kenny & Vick, 2008). Jene Definition werde ich dennoch im weiteren Verlauf dieser Arbeit verwenden, weil sie einerseits offen gehalten ist und andererseits einen sinnvollen Rahmen für das Verständnis von Lernspielen bietet. Sie schließt den Einsatz von commercial-off-the-shelf (COTS = kommerzielle Videospiele) Anwendungen nicht aus und bietet einer Vielzahl von pädagogischen Methoden eine geeignet Basis.

Darüber hinaus wird ein umfangreicher Lernbegriff eingefordert, der Verhaltens- und Einstellungsänderungen, einen Wissenszuwachs und Persönlichkeitsentwicklung beinhaltet (vgl. Breuer 2010, S. 14f.). Mit diesem weiten Lernbegriff können die Potentiale des DGBL in Verbindung mit den Dimensionen des Geschichtsbewusstsein (Kapitel 3.6) und den didaktischen Unterrichtsmodellen im Fach Geschichte (Kapitel 4.3) hervorgehoben und umgesetzt werden.

2.3 Grundannahmen

Prensky (2001) konstruiert das DGBL anhand von zwei Grundannahmen: „ learners have changed in some fundamentally important ways “ und „these „under-40“ individuals are of a generation that when growing up deeply experienced, for the first time in history, a radically new form of play – computer and video games “ (vgl. Prensky 2001, S. 16, Hervorhebungen im Original). Er geht davon aus, dass sich durch die Entwicklung im IT-Sektor, die Lebenswelt der Jugendlichen und Heranwachsenden grundlegend geändert hat (vgl. Prensky 2001, S. 35f.). Neben Videospielen hat auch die Verbreitung des Internets, tragbaren Mobiltelefonen und MP3-Geräte eine Veränderung des Freizeitverhaltens hervorgerufen. Zusammenfassend steht für Prenksy fest, dass durch die digitalen Medien eine völlig andere Generation von Lernern im Unterricht sitzt, die sogar Informationen anders verarbeiten (vgl. Prenksy 2001, S. 40).

Obwohl ich der Meinung bin, dass die modernen Technologien einen großen Einfluss auf unsere Art und Weise hat, wie wir Lernstoff selektieren und aufbereiten können und sich meiner Ansicht nach auch unser Sozialverhalten verändert hat, sehe ich diese Aussage kritisch. Um seine Annahme zu untermauern stellt er verschieden Studien vor, die allerdings stark infrage gestellt werden. Im Zuge meiner Recherche bin ich auf keine Hinweise gestoßen, die zeigen konnten, dass sich die Verarbeitungsprozesse unseres Gehirns erst durch digitale Medien verändert hat. Die zweite Annahme ist etwas spezifischer und stellt die Bedeutung von Videospielen für die Jugendlichen heraus. Durch die speziellen Merkmale von digitalen Videospielen (näheres im nächsten Kapitel) hat sich das Verhalten der „Games Generation“ in verschiedenen Bereichen geändert (vgl. Prensky 2001, S. 51f.). Von besonderem Interesse für die strukturellen Potentiale des DGBL im (Geschichts-)Unterricht sind dabei das beobachtete „parallel processing“ und ein Verhaltensmerkmal, dass Prensky als „Active“ bezeichnet. Videospiele verlangen von dem Spieler eine Vielzahl von Eingaben (via Maus, Tastatur oder Controller), welche in sekundenschnelle, durch die Reflektierung der Situation erfolgen muss. Entscheidungsvariablen können je nach Spielgenre die Lebenspunkteanzeige (health bar), der Munitionsvorrat, andere Mitspieler oder taktische Aspekte sein. Diese parallele Verarbeitung von Informationen, in tausenden von Stunden geübt, führt nach Prensky dazu, dass die Lernenden auch in ihrem Alltag ein solches Nutzerverhalten erkennen lassen (vgl. Prensky 2001, S. 53f.). Darüber hinaus führt diese Art von Medienkonsum zu einer aktiven Auseinanderzerrung mit Problemen und neuen Inhalten. Prensky beschreibt das Verhalten folgendermaßen „They'll just play with the software, hitting every key if necessary, until they figure it out.“ (vgl. Prensky 2001, S. 59). Daran kann man eine Bereitschaft zum problemlösenden und forschenden Lernen erkennen, was meiner Ansicht nach, durch spezielle methodisch-didaktische Konzepte für den Unterricht genutzt werden kann.

Der zentrale Kern von Digital Game-Based Learning wird durch diese Veränderung im Verhalten der Games Generation abgeleitet. DGBL funktioniert nach Prensky wenn 1. das Interesse des Lernenden über den Spielspaß aktiviert wird, 2. ein interaktiver Lernprozess zum Einsatz kommt und 3. beide Elemente auf den Kontext, in dem sie genutzt werden, angepasst werden (vgl. Prensky 2001, S. 147ff.). Darüber hinaus gibt Prensky einen Einblick in seine Vorstellung, wie Lernen im DGBL aussehen soll: Nicht durch einseitige Vermittlung sondern „It must be learned by them, through questions, discovery, construction, interaction, and above all, fun.“ (vgl. Prensky 2001, S.17, Hervorhebungen im Original).

Als Konsequenz für den Schulunterricht können wir festhalten, dass DGBL- Szenarien dann funktionieren, wenn der Spielspaß des Videospiels die SuS zum problemorientierten oder forschenden Lernen motiviert, weil diese Formen eine interaktive Auseinandersetzung mit dem Lernstoff nötig machen. Wie die Merkmale digitaler Videospiele konkret aussehen und welche Bedeutung sie für das DGBL haben, ist Inhalt des nächsten Kapitels.

2.4 Merkmale digitaler Videospiele

Die zentralen Merkmale von Videospielen nach Breuer (2010), welche das DGBL zur Vermittlung von formalen Lernzielen nutzt, sind aufgrund ihrer Einzigartigkeit und Kombinierbarkeit für den Einsatz in der Schule von besonderem Interesse (vgl. Breuer 2010, S. 15f.). Interaktivität, Multimedialität, Involvement, Herausforderung, Belohnung und soziales Erlebnis bieten eine große Auswahl an Potentialen, speziell für den Geschichtsunterricht, welcher vor allem unter dem Vorwurf der Langeweile und Faktenzentriertheit leidet (vgl. Zin, Jaafar & Yue 2009, S. 323). Die Interaktivität der digitalen Spiele, sorgt für kontinuierliches Feedback über den Lernprozess, gewährleistet eine direkte Interaktion mit dem Lerngegenstand und sorgt für die Aktivität der Lernenden. Durch eine Vielfalt der Lerninhalte und verschiedene Lernmodi kann die Multimedialität, dezidiert historische Szenarios verbindlichen und durch eine Kombination von Textquellen und audiovisueller Darstellung, Geschichte lebendig erscheinen lassen (vgl. Breuer 2010, S. 16). Eine spannende Story und faszinierende Spielwelt tragen zum Involvement der Lernenden bei. Der Fokus ist auf das Spiel gerichtet und eine mögliche Ablenkungsgefahr ist minimiert. Darüber hinaus belohnen digitale Spiele durch Highscores, Gegenstände und die Freude am Spielen den Lernenden und haben somit einen direkten Einfluss auf seine intrinsische Motivation. Breuer verweist bei diesem Aspekt auf die Arbeit von Rieber (1996) und arbeitet heraus, dass die Spieler die Herausforderungen annehmen anstatt diesen auszuweichen (vgl. ebd, S. 15). Dieses Potential sollte besondere Beachtung finden, da die Aufrechterhaltung der Motivation eher ein Problem des klassischen Unterrichts ist. Herausforderungen sind stetig gegeben und werden an das Können der Spieler angepasst, somit kann im Idealfall eine Anpassung an die individuelle Lerngeschwindigkeit erfolgen.[1] Neben der üblichen Hilfestellungen wie integrierte Tutorials (eng = Gebrauchsanleitung, hier in interaktiver Form) kann bei dem Einsatz von DGBL- Szenarien auch der Lehrer als Ansprechperson fungieren. Weil digitale Spiele auch eine soziale Dimension haben, fördert das DGBL kooperativen Lernformen, das vernetzte Lernen und bietet eine gemeinsame Kommunikationsplattform. (vgl. Prensky 2001, S. 123).

2.5 Implementierung im Unterricht

Wie Van Eck (2006) in einer Studie über die Wirksamkeit von DGBL zeigt, gibt es drei Zugänge für den Einsatz von Videospielen im Unterricht: Entweder die SuS programmieren selbstständig ein Spiel, professionelle Programmierer bzw. Lehrer entwickeln ein Videospiel um damit zu unterrichten oder man integriert commercial off-the-shelf (COTS) Spiele in den Unterricht (vgl. Van Eck 2006, S. 6). Bezogen auf den eingeschränkten zeitlichen Rahmen des Geschichtsunterricht und den vertiefenden Kenntnissen in Programmiersprachen, die dafür nötig sind, erscheint es als sinnvoll, sich mit den bereits veröffentlichten Spielen zu beschäftigen. Neben Prensky (2001) und Van Eck (2006) ist auch meiner Ansicht nach, die professionelle Entwicklung von DGBL- Szenarien (für jedes Schulfach und Thema) zu bevorzugen, weil dadurch die Inhalte der Lehrpläne integriert werden können, allerdings müssen sich diese Anwendungen mit den finanziellen Mitteln der kommerziellen Spieltitel messen. Vergleicht man die Qualität der Videospiele mit expliziten Lerninhalten mit denen der COTS, sind große Mängel vorzufinden (vgl. Shen, Wang & Ritterfeld 2009, S. 57). Solange die Budgets der so genannten Serious Games eher limitiert sind, können Modifikationen (Mod) von Open- Source- Software ( frei zugänglicher Software) oder COTS- Spiele als Alternativen genutzt werden. Ein Beispiel hierfür stellt das Serious Game „Revolution: A Historical Simulation of Colonial America“ (2004), entwickelt am MIT Comparative Media Studies Lab dar. Es basiert auf dem Computerspiel „Neverwinter Nights“ (2002) von Atari. Obwohl diese Entwicklung vereinzelt Früchte trägt, sollte von Seiten der Fachwissenschaften mehr Unterstützung angeboten werden. Dazu gehören neben der Evaluierung meiner Ansicht nach auch der wissenschaftliche Austausch zwischen den verschiedenen Fachbereichen an den Universitäten.[2]

Der dritte Zugang beschäftigt sich mit der Implementierung von COTS-Spielen im Unterricht und wird aktuell am meisten diskutiert (vgl. Van Eck 2006; Charsky & Mims 2008; Klopfer, Osterweil, & Salen 2009). Weil die COTS nicht explizit für den Einsatz im Unterricht konzipiert wurden, bedarf es nach Meinung einiger Forscher neben einer dezidierten Vor- und Nachbereitung der Stunde für den Lehrer, auch konkrete Aufgaben für die Schüler (vgl. Charsky & Mims 2008, S. 40ff.). Bezogen auf die Thematik dieser Arbeit und den zahlreichen historischen COTS- Spielen, bietet es sich an, die verschiedenen Problemfelder des DGBL im Unterricht näher zu betrachten.

2.5.1 Probleme beim Einsatz von DGBL in der Schule

Welche Probleme beim Einsatz von DGBL in der Schule auftreten, kann man einerseits anhand des Projektberichts von Wagner & Mitgutsch verdeutlichen, welches von Oktober 2007 bis September 2008 an ausgewählten österreichischen Schulen durchgeführt wurde[3], aber auch durch Studien vom Baek (2008) und Klopfer et al. (2009) auf die ich am Ende des Abschnittes eingehen werde.

Zusammengefasst haben Wagner & Mitgutsch drei Hauptprobleme (für die LehrerInnen) auskristallisiert: Der hohe Zeitaufwand, Schwierigkeiten bei der Anbindung der Spiele an den Lerninhalt des gewohnten Unterrichts und der strikte Lehrplan (vgl. Wagner & Mitgutsch 2010, S. 30). Eine kurze Analyse dieser (praktischen) Erkenntnisse empfiehlt sich meiner Meinung nach aufgrund der Tatsache, dass die große Mehrteil der teilnehmenden LehrerInnen einen Einsatz von digitalen Videospielen offen gegenüber stand und freiwillig an dem Projekt teilgenommen haben.

Zum einen wird der hohe, nötige Zeitaufwand bemängelt, welcher bei der Recherche von geeigneten Inhalten anfängt und bei der Umsetzung im Unterricht aufhört.

Auf Seiten der Lehrer ist neben der Auswahl des digitalen Spiels auch eine Beschäftigung mit dem Spielsystem notwendig, vor allem wenn es sich dabei um ein COTS handelt, die zwar meist Tutorials bieten, die aber oft komplex sind und anfangs auch überfordern können. Weil dieser Forschungsbereich noch relativ jung ist, gibt es auch wenige vorgefertigte und ausreichend evaluierte Unterrichtsmaterialien. Eine erste Orientierungshilfe liefert (für das Fach Gemeinschaftskunde/Geschichte) die Dissertation von Kurt Squire (2004), welcher einen Überblick für den zeitlichen Rahmen seines Projekts gegeben hat. Auch das Schulprojekt „Napoleon Buonadigitale oder Was lernen Schüler in historischen Computerspielen?“ von Fileccia & Hohnstein (2010) mit dem COTS „Napoleon: Total War“ bietet eine möglich Strukturierung von DGBL im Schulunterricht.

Überleitend stellt sich die Frage des Zeitproblems auch für die Schüler, weil diese die Spielmechanik ebenfalls erlernen müssen. Falls einzelne Episoden aus einem Spiel aufgegriffen werden sollen, muss es vorher eine Einführung in das Spiel geben. Dies darf man auf keinen Fall unterschätzen, da der Lernerfolg zu einem großen Teil davon abhängt, wie gut man mit der Steuerung und der Mechanik des Spiels zurecht kommt. Die Autoren der Anfangs genannten Umfrage gaben in ihrem Abschlussbericht an, dass der Zeitaufwand (14-17 Stunden) für 58 % der Schüler als zu hoch eingestuft wurde (vgl. Wagner & Mitgutsch 2010, S. 31).

Das Problem der Anbindung an Lerninhalten aus dem Unterricht wurde in dem vorgestellten Projekt zwar durch eine moodle- Lernplattform und verschiedene Handreichung eingegrenzt aber die LehrerInnen wünschten sich als abschließendes Fazit mehr „[...]didaktische Hinweise, wie das Spiel im Unterricht eingesetzt werden könnte[...]“ (Wagner & Mitgutsch 2010, S. 29). Dieser Forderung kamen Wagner & Gabriel (2011) für die Fächer Geschichte, Geographie, Wirtschaft, Naturwissenschaft, Gesellschaftspolitik, Sprachen und Religion nach, indem sie didaktische Möglichkeiten, Lernziele und einen möglichen Unterrichtsablauf für verschiedene Spiele vorschlugen. Solche Arbeiten fördern den Gebrauch von DGBL in Schulen ungemein, weil man davon ausgehen muss, dass LehrerInnen sich weder in ihrer Ausbildung noch privat mit Lernspielen auseinandersetzen. Wie diese erste Hilfestellung in eine vollständige Methodik des Geschichtsunterricht integriert werden kann, wird Kapitel 4 zeigen.

Die Integration der Videospiele in dem vorhandenem Lehrplan stellt in allen Studien ein Problem für das Kollegium dar. Weil viele Spiele aus den kommerziellen Bereichen kommen, ist eine detaillierte didaktische Analyse nicht vorhanden. Leider sind auch nur wenige Spiele wie z.B. „Civilization 3“ ausreichend evaluiert und stehen anfangs somit ohne didaktische Rahmung dar. Obwohl Lehrpläne, wie die in Rheinland-Pfalz, für das Fach Geschichte etwas breiter aufgestellt sind, ist eine eindeutige Zuordnung von Lehrplaninhalten und Spieleinhalten zu Beginn nur bedingt möglich. Es wird somit deutlich, dass die Evaluierung von COTS - und speziellen DGBL- Spielen noch im großen Maße lückenhaft ist.

Neben Wagner und Mitgutsch, fand Baek (2008) bei der Befragung südkoreanischer LehrerInnen vier weitere Faktoren heraus, die ebenfalls den Einsatz von Computerspielen im Unterricht erschweren. Darunter fallen befürchtete negative Effekte des Spielens, unvorbereitete Schüler, Mangel an Anleitungen, zusätzliche Lernmaterialien und begrenzte Schulbudgets ( vgl. Baek 2008, S. 667f.). Ergänzt man diese Aussagen mit den Ergebnissen von Klopfer et al. (2009), lassen sich daraus fünf Ebenen differenzieren, auf denen sich Widerstände gegen den Einsatz von DGBL ergeben können: Auf der ersten Ebene kann es zu Vorbehalten gegenüber Videospielen auf Seite der LehrerInnen, aufgrund von mangelnder eigener Erfahrung kommen. Die zweite Ebene wird von den SuS eingenommen und manifestiert sich u.a. in einer Abneigung zu Labels wie „Lernspiel“ oder unterschiedlichen Vorlieben. Auch auf institutionellen Ebene findet man Widerstände durch starre Lehrpläne und Zeitvorgaben, sowie veraltete Computertechnik oder begrenzte Budgets. Auch Vorbehalte von Kollegen und Eltern können ein Hemmnis darstellen (vgl. Breuer 2010, S. 30). Abschließend stellt die letzte Ebene jedoch das, meiner Meinung nach schwerwiegendste Problem des DGBL im Schulunterricht dar: Die fragwürdige Qualität der Lernspiele (vgl. Jankte , 2007; Shen, Wang & Ritterfeld 2009). Vergleicht man die von Prensky geforderten Gestaltungskriterien des DGBL mit der Realität von Lernspielen, können bis jetzt nur COTS- Spiele den Anspruch an Spielspaß und Immersion gerecht werden. Betrachtet man die Videospiele, welche in Schul- und Forschungsprojekten (zum Thema Geschichte) genutzt werden, nehmen die COTS den größten Raum ein (vgl. Squire 2003; Fileccia & Hohnstein 2010; Wagner & Mitgutsch 2010; Schröder 2012). Ein, unter professioneller Anleitung programmiertes Videospiel, das explizit für formale Bildungseinrichtungen konzipiert wurde, kann evaluiert nur Jenkins (2007) vorweisen.

Im nächsten Abschnitt stelle ich das i5-Programm von Groff & Mouza (2008), welches sich aus meiner Perspektive als hilfreicher Ansatz anbietet, um den Einsatz von DGBL- Projekten in der Schule zu planen und mögliche Störfaktoren einschätzen zu können.

2.5.2 An Individualized Inventory for Integrating Instructional Innovations (i5)

Obwohl es in den letzten Jahren vermehrt Informationsveranstaltungen an Schulen und Universitäten bezüglich der Vorbehalte auf Lehrer - und Elternseite gegeben hat und spezielle LAN-Partys organisiert worden sind,[4] blieb das i5-Programm von Groff & Mouza (2008), welches sich mit der Integrierung von medienbasierten Lehrformen im Unterricht beschäftigt, noch weitestgehend unbeachtet. Dabei bietet es einen hilfreichen Ansatz, um herauszufinden, welche strukturellen Probleme z.B. einem Einsatz von DGBL im Weg stehen könnten. Es folgt eine kurze Vorstellung der Idee hinter dem i5-Programm und eine Analyse der Kernfaktoren. Aufgrund der Struktur und eingeschränktem Umfang dieser Arbeit konnte ich das i5-Programm nicht in der Praxis testen und weil es noch keine Evaluierung zu Groff & Mouzas Arbeit gibt, ist seine Wirksamkeit noch zu überprüfen. Jedoch sticht dieses Analysewerkzeug durch seine Übersicht und strukturierte Vorgehensweise gegenüber plakativen Vorschlägen aus Projektberichten hervor.

Die Grundlage des i5-Programms von Groff & Mouza (2008) liefert Zhao et al. (2002), der drei Faktoren bei der Integration von technologischen Hilfsmitteln im Unterricht in seiner Studie ausfindig machen konnte. Der erste Faktor, welche Einfluss auf den Erfolg bei der Integration hat, ist der „Innovator“, die zweite „Innovation“ und die dritte der „Context“ (vgl. Zhao et al. 2002, S. 482). Unter „Innovator“ versteht er in erster Linie den Lehrer, welcher durch sein technisches Verständnis (technology proficiency), seinen eigenen pädagogischen Vorstellungen (pedagogical compatibility) und seinen Kenntnissen über sozialen Strukturen der Schule (social awareness) ein Projekt maßgeblich beeinflussen kann (vgl. ebd., S. 489ff.).[5] Daneben bildet die „Innovation“, also das Medium oder Projekt den zweiten wichtigen Faktor. Er unterscheidet zwischen zwei Kategorien, der „Distance“ und der „Dependence“. Ein Projekt bzw. Medium ist demnach dann erfolgreich, wenn seine Distanz zu der vorhanden Schulkultur eher als gering einzuschätzen ist, die nötige technologische Ausstattung für das Projekt vorhanden (vgl. ebd., S. 496) und man bei der Planung/Durchführung nicht von Institutionen oder Personen von außerhalb abhängig ist (vgl. edb., S. 500). Als dritter und letzter wichtiger Faktor bei Zhao steht der „Context“. Neben der Unterstützung durch interne Computerfachleute (human infrastructure) und der technologischen Infrastruktur (technological infrastructure) der Schule ist auch die Unterstützung im sozialen Umfeld wichtig (social support) (vgl. ebd., S. 502ff.). Im Modell von Zhao et al. (2002) interagieren nun alle drei Faktoren miteinander und bestimmen die erfolgreiche Implementation von technologischen Projekten im Unterricht (vgl. Abb. 1). Eine Schwäche dieses Modells liegt allerdings darin, dass es keine Auskunft darüber gibt, ob sich bestimmte Faktoren gegenseitig verstärken oder auch egalisieren können. Dies sollte Gegenstand weiterer Forschungsarbeiten werden.

[...]


[1] Nur wenige digitale Spiele wie z.B. Dark Souls (2011) vom japanischen Entwickler „From Software“ verzichten auf einen ansteigenden Schwierigkeitsgrad um potentielle Kundschaft nicht abzuschrecken.

[2] Ein Ansatz wäre ein interdisziplinäres DFG-Projekt zwischen den Fachbereichen Informatik, Medienpädagogik und den einzelnen Fachdidaktiken.

[3] In Auftrag gab dieses Projekt das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur .

[4] Vgl. http://www.lehrer-online.de/lan-party.php und http://www1.bpb.de/veranstaltungen/5OSRWT .

[5] Die Begriffe aus den Arbeiten von Zhao et al. (2002) und Groff & Mouza (2008) wurden von mir übersetzt, da ich bis jetzt noch keine wissenschaftliche Übersetzung zu diesem Artikel gefunden habe.

Ende der Leseprobe aus 57 Seiten

Details

Titel
Digital Game-Based Learning. Strukturelle und inhaltliche Potentiale für den Geschichtsunterricht
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Erziehungswissenschaft)
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
57
Katalognummer
V312542
ISBN (eBook)
9783668115057
ISBN (Buch)
9783668115064
Dateigröße
1804 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geschichtsunterricht, DGBL, Bildungswissenschaft, Videospiele, Digital game-based learning, Lernprozesse
Arbeit zitieren
Sebastian Malorny (Autor:in), 2012, Digital Game-Based Learning. Strukturelle und inhaltliche Potentiale für den Geschichtsunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/312542

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