Goethes „Torquato Tasso“ gilt als erstes Künstlerdrama der Weltliteratur. Nie zuvor ist die Existenz
eines Künstlercharakters als Grundgedanke einer dramatischen Dichtung problematisiert worden. 1
Die neuartige Konzentration auf die Innerlichkeit und die damit einhergehende Armut an äußerer
Handlung rief unter den zeitgenössischen Kritikern bei aller Anerkennung auch tadelnde Töne
hervor. So kommt ein Rezensent der Leipziger „Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften“ im
Jahre 1790, also ein Jahr nach der Drucklegung zu dem Ergebnis, „Torquato Tasso“ sei kein
eigentliches „Drama in Aristoteles’ Sinn“, sondern „nichts weiter [...] als eine dramatische
Schilderung eines Charakters“. 2 Neben der Konzentration auf die Innerlichkeit des Protagonisten ist die zeitliche Situierung des Dramas von zentraler Bedeutung. Es ist, wie Borchmeyer formuliert, „am fiktiven Schnittpunkt zweier Zeitalter angesiedelt.“ Dabei entscheidend ist „die Spannung zwischen der vo m ästhetischen
Autonomieprinzip bestimmten (bürgerlichen) Poesie respektive Dichterexistenz und der (feudal-
)höfischen Welt mit ihren spezifischen Ansprüchen an die Künste und den Küns tler“.3
Schon die ältere Forschung, insbesondere die bedeutende Monographie von Wolfdietrich Rasch
(1954) und die Tasso-Interpretation von Wilkinson (1962), hat Tasso als beispielhafte Dichterfigur
gedeutet. Dabei versteht Rasch die Dichterkrönung als eigentlichen Anstoß der dramatischen
Handlung, die die „rätselvolle, schwer durchschaubare“ Problematik des Künstlers und seine
tragische Existenz veranschauliche.4 Hierbei aber wurde die Bedeutung der höfischen Umwelt mit
ihrer spezifischen Erwartungshaltung nicht ausreichend aufgearbeitet. Die Hofwelt erscheint nur als
Hintergrund und Widerstand.5 Gerhard Kaiser (1977) stellt in seiner Studie erstmals den Konflikt von Dichter und Gesellschaft in den Mittelpunkt. Er greift dabei die von Rasch und Wilkinson vorgebrachten Deutungen Tassos auf,
verfeinert sie aber, indem er Tasso nicht nur als paradigmatischen Dichter, sondern als einen
spezifisch modernen Dichter versteht. [...] 1 Vgl. Borchmeyer (1982) S. 139 f. und (1998) S. 168 f. 2 Rezension der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften (Leipzig, 1790); zit. nach HA (2000) Bd. V, S. 501. 3 Borchmeyer (1982) S. 139 f. 4 Vgl. Hinderer (1997), S. 243. 5 Kaiser (1977), S. 175 f.
Inhalt
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1. Repräsentation und Divertissement - Zum Horizont höfischer Erwartung an den Poeten und sein Werk
2.2. Tasso als ‚moderner’ Dichter
2.2.1. Zum Begriff des Modernen
2.2.2. Moderne und Autonomiestreben in „Torquato Tasso"
2.2.3. Symbolik
I. Lorbeer und Dichterkrönung
II. Die Seidenwurm-Metapher
2.2.4. Der Genie-Gedanke als Signum moderner Dichterexistenz
3. Schluß
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Goethes „Torquato Tasso“ gilt als erstes Künstlerdrama der Weltliteratur. Nie zuvor ist die Existenz eines Künstlercharakters als Grundgedanke einer dramatischen Dichtung problematisiert worden.[1]
Die neuartige Konzentration auf die Innerlichkeit und die damit einhergehende Armut an äußerer Handlung rief unter den zeitgenössischen Kritikern bei aller Anerkennung auch tadelnde Töne hervor. So kommt ein Rezensent der Leipziger „Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften“ im Jahre 1790, also ein Jahr nach der Drucklegung zu dem Ergebnis, „Torquato Tasso“ sei kein eigentliches „Drama in Aristoteles’ Sinn“, sondern „nichts weiter [...] als eine dramatische Schilderung eines Charakters“.[2]
Neben der Konzentration auf die Innerlichkeit des Protagonisten ist die zeitliche Situierung des Dramas von zentraler Bedeutung. Es ist, wie Borchmeyer formuliert, „am fiktiven Schnittpunkt zweier Zeitalter angesiedelt.“ Dabei entscheidend ist „die Spannung zwischen der vom ästhetischen Autonomieprinzip bestimmten (bürgerlichen) Poesie respektive Dichterexistenz und der (feudal-)höfischen Welt mit ihren spezifischen Ansprüchen an die Künste und den Künstler“.[3]
Schon die ältere Forschung, insbesondere die bedeutende Monographie von Wolfdietrich Rasch (1954) und die Tasso-Interpretation von Wilkinson (1962), hat Tasso als beispielhafte Dichterfigur gedeutet. Dabei versteht Rasch die Dichterkrönung als eigentlichen Anstoß der dramatischen Handlung, die die „rätselvolle, schwer durchschaubare“ Problematik des Künstlers und seine tragische Existenz veranschauliche.[4] Hierbei aber wurde die Bedeutung der höfischen Umwelt mit ihrer spezifischen Erwartungshaltung nicht ausreichend aufgearbeitet. Die Hofwelt erscheint nur als Hintergrund und Widerstand.[5]
Gerhard Kaiser (1977) stellt in seiner Studie erstmals den Konflikt von Dichter und Gesellschaft in den Mittelpunkt. Er greift dabei die von Rasch und Wilkinson vorgebrachten Deutungen Tassos auf, verfeinert sie aber, indem er Tasso nicht nur als paradigmatischen Dichter, sondern als einen spezifisch modernen Dichter versteht. Er betont die Unterschiede der Kunstauffassungen und die Zwangsläufigkeit, in der sich unter diesen Voraussetzungen ein Konflikt entzünden müsse.[6] Neue Impulse gab auch die ausführliche Analyse von Gabriele Girschner (1981). Ihr ist vor allem der Hinweis auf die politische Schwäche Ferraras als möglicher Beweggrund des Kunstmäzenatentums zu verdanken.[7]
Seitdem haben die Arbeiten von Vaget (1980), Borchmeyer (1982, 1985 und 1994)[8], Reed (1983)[9] und Hinderer (1992, 1997) den Diskurs bestimmt.[10] Dieter Borchmeyer hat dabei in seinen Einzelstudien und vor allem in seiner vielbeachteten Monographie „Weimarer Klassik“ die Tasso-Deutung vorangebracht und dabei auf den eingangs erwähnten Rang des Schauspiels als „erstes echtes Dichterdrama“ aufmerksam gemacht. Auch die pathologischen Züge im Charakter Tassos werden herausgearbeitet. Borchmeyer bezeichnet das Stück als „Kompendium der Künstlerpathologie“.[11]
Insgesamt ist sich die neueste Forschung darüber einig, daß der Konflikt „zwischen der modernen ästhetischen Autonomie und der Position des Hofdichters“ für das Verständnis des „Tasso“ von zentraler Bedeutung sind.[12]
Im Umfeld dieses Gegensatzes ist die vorliegende Arbeit angesiedelt. Sie untersucht die Problematik des nach Autonomie strebenden Künstlers in der Unfreiheit des feudalen Mäzenatentums. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Gegensätzlichkeit von Dichter und Hof mit der Antinomie von ‚modern’ und ‚vormodern’ korrespondiert. Inwiefern kann Tasso als ein ‚moderner’ Dichter bezeichnet werden? Welche Bedeutung kommt der Unterschiedlichkeit ästhetischer und gesellschaftlicher Auffassungen im Hinblick auf die unglückliche Entwicklung Tassos zu?
Um diese Fragen zu beantworten, soll zunächst die Kunstauffassung des Hofes erschlossen und deren Erwartungshaltung an Dichter und Dichtung dargestellt werden. Der analytische Schwerpunkt soll aber der Figur Tassos und dem ihr zu Grunde liegenden Kunstverständnis zukommen. Der Begriff des ‚Modernen’ wird dazu zunächst theoretisch abgegrenzt, um im folgenden den entwickelten Moderne-Begriff auf das Drama zu applizieren. Die sich anschließenden Kapitel prüfen, inwiefern eine als ‚modern’ oder ‚autonom’ zu bezeichnende Kunstauffassung sich in der Symbolik des Schauspiels manifestiert und welche Rolle dem Genie-Gedanken vor diesem Hintergrund zufällt.
2. Hauptteil
2.1. Repräsentation und Divertissement - Zum Horizont höfischer Erwartung an die Poesie und den Poeten
Ebenso wie Sachsen-Weimar-Eisenach ist das Herzogtum Ferrara ein politisch unbedeutender Kleinstaat. Der ferraresische Hof verspricht sich daher auf kulturellem Gebiet Prestige, das das Duodezfürstentum auf politischer Ebene nicht (oder nicht mehr) zu erreichen vermag. Wenn Ferrara und sein Landesherr nicht im Licht politischer Macht und militärischen Ruhmes erstrahlen können, so soll künstlerisches Schaffen dazu beitragen, den Namen Ferraras in der Geschichte zu verankern.[13]
In diesem Zusammenhang ist Alfons’ Vergleich der künstlerischen mit der militärischen Tat zu verstehen: „Ein Feldherr ohne Heer scheint mir ein Fürst, / Der die Talente nicht um sich versammelt.“ (V. 2846f.) Ein Fürst, der es sich entgehen läßt, als Mäzen aufzutreten, um dadurch seinen Hof zu einem Musenhof zu erheben, ist im Kampf um Ruhm und Anerkennung auf kultureller Ebene ohne Waffen. Diese Denkart funktionalisiert[14] Kunst und Künstler für einen politischen Zweck: Kunst wird zum Objekt feudal-repräsentativer Machtinteressen degradiert, fungiert als Mittel der Rühmung und literarischen Überhöhung dessen, der sie finanziert. Im höfischen Verständnis besitzt Kunst keine Existenzberechtigung aus sich selbst heraus. Kunst gilt als subalternes Betätigungsfeld, kulturelle Leistungen sind ‚höheren’ Zwecken untergeordnet.[15]
Dieses utilitaristische Verständnis von Kunst faßt Antonio zusammen, als er auf Tassos eindringliche Nachfrage, ob der Vatikan die Künste fördere, von Papst Gregor sagt:
„Er ehrt die Wissenschaft, sofern sie nutzt,
Den Staat regieren, Völker kennen lehrt;
Er schätzt die Kunst, sofern sie ziert, sein Rom
Verherrlicht, und Palast und Tempel
Zu Wunderwerken dieser Erde macht. [...]
Was gelten soll, muß wirken und muß dienen.“
(V. 665-671; Hervorhebung vom Verfasser)
Literatur steht hier in einem Dienstverhältnis und hat den Nutzwert der Glorifizierung zu erbringen - andernfalls gilt sie als unnütz und verliert damit ihre Berechtigung.
Die hier dem Papsttum bescheinigte Auffassung kann cum grano salis auch für Ferrara gelten, denn auch Alfons sieht in Tasso „seinen“ Dichter, der zu ihm in einem formalen Dienstverhältnis steht: „Ich bin auf ihn als meinen Diener stolz / Und da ich schon für ihn so viel getan, / So möchte ich ihn nicht ohne Not verlieren“[16] (V. 2851-53) - so begründet Alfons seinen Willen, Tasso nicht ziehen zu lassen.
Hier erscheint die Förderung Tassos als kalkulierte Investition, die sich durch die Fertigstellung des „Gerusalemme Liberata“ auszuzahlen scheint[17] („Und machst mir diesen schönen Tag zum Fest“, V.392), deren weitere Erträge aber durch die mögliche Abwanderung Tassos bedroht sind. Die Sorgen des Herzogs gelten nur in zweiter Linie dem menschlichen Schicksal und dem künstlerischen Werdegang Tassos. Alfons ist vor allem von der Furcht beseelt, daß ein fürstlicher Konkurrent ihm Tasso „entwende“ (V. 2842). Vom Dichter ist wie von einem beliebigen Gegenstand die Rede, der durchaus auch „besessen“ und „benutzt“ werden kann. (V. 2845)
Borchmeyer[18] wendet hierzu ein, daß Besitz- und Prestigedenken von Seiten des Herzogs erst sehr spät formuliert werden, nämlich erst, nachdem Tasso sein Verabschiedungsgesuch vorgebracht hat. Die ersten Dialoge mit dem Herzog, in denen Tasso sich devot und huldigend zeigt, würden beispielsweise von jenem „nicht mit üblicher gnädiger Herablassung entgegengenommen“,[19] vielmehr werde das Lob auf den Dichter zurückgelenkt. Außerdem zeige sich Alfons nachsichtig und geduldig gegenüber den Schwächen seines Zöglings. Es sei, so Borchmeyer, daher „ungerecht“, Alfons lediglich nacktes Kalkül zu unterstellen. Ihm müsse auch zwischenmenschliches und ästhetisches Mitfühlen zugebilligt werden.[20]
Was den Aspekt des Zwischenmenschlichen angeht, so läßt sich die Zusicherung, daß Tasso auch nach der Abreise der Hofgesellschaft nach eigenem Ermessen auf Belriguardo bleiben könne (V/1), als freundschaftliche Geste werten, die auch Rücksicht auf Tassos angegriffenen Gemütszustand nimmt. Auch die im nachfolgenden Dialog mit Tasso (V/2) ausgesprochene Hoffnung, daß dieser „froh und ganz geheilt“ (V. 3005) zurückkehren möge, läßt eine Anteilnahme erkennen, die nicht nur als höfisch-konventionelle Sprachformel interpretiert oder vor dem Hintergrund fürstlichen Eigennutzes gesehen werden sollte.
Dennoch: Wahres ästhetisches Interesse an Tassos Schaffen vermag Alfons nicht aufzubringen. Thema und Inhalt des Werkes sind für ihn unerheblich und bieten nie Anlaß zu einer Auseinandersetzung.[21] Ungeduldig wartet der Mäzen auf die Fertigstellung des Werkes, dennoch zeigt er sich desinteressiert an dessen Inhalt. Somit muß das Interesse Alfons’ an Tassos Werk jenseits des Künstlerischen liegen und wird in Ruhm und Überhöhung zu finden sein. Das Verhältnis Alfons’ zu Tasso bleibt also „auf Leistung und Gegenleistung reduziert.“[22] Der Mäzen sucht eben doch in der Förderung Tassos zunächst seinen eigenen Vorteil.
[...]
[1] Vgl. Borchmeyer (1982) S. 139 f. und (1998) S. 168 f.
[2] Rezension der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften (Leipzig, 1790); zit. nach HA (2000) Bd. V, S. 501.
[3] Borchmeyer (1982) S. 139 f.
[4] Vgl. Hinderer (1997), S. 243.
[5] Kaiser (1977), S. 175 f.
[6] Hinderer (1997), S. 246.
[7] Vgl. Hinderer (1997), S. 243.
[8] Hier in der 2. Aufl. als (1998) zitiert.
[9] Hier als (1989) zitiert.
[10] Vgl. Hinderer (1997), S. 247.
[11] Ebd.
[12] Ebd.
[13] Vgl. Girschner (1984), S. 170.
[14] Bürger (1977 a), S. 141
[15] Bürger (1977 a), S. 148; vgl. hierzu auch Bürger (1977 b) S. 39 ff.
[16] Wie 16.
[17] Girschner (1986), S. 41f.
[18] Borchmeyer (1977), S. 75f.
[19] Ebd.
[20] Ebd.
[21] Girschner (1986), S. 133.
[22] Reed (1989), S. 102.
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