Vom hässlichen Guten und schönen Bösen. Ambiguitäten literarischer Figurenbeschreibungen in Wolframs von Eschenbach "Parzival"


Thèse de Master, 2015

89 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Schönheit und Hässlichkeit im philosophischen Diskurs des Mittelalters

3. Schönheit und Hässlichkeit im literarischen Diskurs des Mittelalters
3.1 Schönheit, Tugend und Adel
3.2 Hässlichkeit, Lasterhaftigkeit und „Unhöfischheit“
3.3 Hässliches Gutes - schönes Böses?

4. Zur Methodik: Erzählstimme und Fokalisierung

5. Parzival - Das schöne Böse?
5.1 Die ambige Konzeption der Figur
5.2 Schönheit, Genealogie und impliziertes Gut-Sein: Parzivals „ art
5.3 Kindheit und Erziehung in Soltane
5.3.1 Tägliche Routinen
5.3.2 Parzivals erster Kontakt mit der höfischen Sphäre
5.4 Parzivals Irrwege
5.4.1 Jeschutes Schändung
5.4.2 Erstes Treffen mit Sigune: Restauration der inneren Idealität
5.4.3 Ithers Ermordung
5.4.4 Höfische Erziehung
5.4.5 Vorläufige Harmonie von Innen und Außen in Pelrapeire
5.4.6 Zusammenbruch des Scheins: Parzivals Frageversäumnis
5.5 Nach dem Frageversäumnis - Klimax der Ambiguitäten
5.5.1 Der Gralsknappe
5.5.2 Sigune und Jeschute: Anklage, Rechtfertigung und Reue
5.5.3 Erzähler vs. Figur oder Absolute Ambiguität
5.5.4 Parzivals Gotteshass
5.6 Entkörperlichung
5.6.1 Dezimierte Schönheitslobe und Stilisierung von Tugenden
5.6.2 „ ich bin ein man der sünde hât “ - Formelle Aufhebung der Ambiguität
5.6.3 Parzivals Erhebung zum Gralskönig als Zeichen innerer Wandlung?

6. Cundrie - Das hässliche Gute?
6.1 „ Die unsüeze und doch diu fiere
6.1.1 Eindimensionalität und Negativierung
6.1.2 Charakterliche Inszenierung
6.2 Exkurs: Malcreatiure, Adam und der Ursprung von Hässlichkeit
6.3 Abnehmende Ambiguität
6.4 Parzivals Patronin und Botschafterin

7. Fazit

8. Bibliographie
8.1 Primärliteratur
8.2 Sekundärliteratur

1. Einleitung

manec wîbes schoene an lobe ist breit:/ist dâdaz herze conterfeit,/die lobe ich als ich solde/daz safer ime golde. “ (vv 3,10-14).1 Mit diesen bildhaften Worten markiert der Erzähler im Prolog des „Parzival“ Wolframs von Eschenbach seine Ansicht über das Verhältnis von Schönheit und Tugendhaftigkeit. Äußerliche Makellosigkeit habe in seinen Augen keine Bedeutung ohne ein edles Herz. Der Narrator löst sich hier nicht nur vom zeitgenössischen Diskurs der Philosophie, welcher von einem harmonischen Verhältnis zwischen Innerem und Äußerem ausgeht.2 Seine Aussage wertet ebenfalls charakterliche gegenüber körperlichen Aspekten auf. Das Erscheinungsbild eines Menschen wird als oberflächlich entlarvt. Es sei keineswegs ein Zeichen seiner Gesinnung. Zwar konzentriert sich diese Einschätzung speziell auf Frauen. Jedoch weist der Erzähler an anderer Stelle darauf hin, dass die Beobachtung für beide Geschlechter gelte.3

Von der germanistischen Forschung wurde die Adaption des Gelehrtendiskurses durch die mittelhochdeutschen Dichter größtenteils ohne Bedenken vorausgesetzt.4 Grund dafür ist zum einen der Bildungsweg vieler Verfasser.5 Selbstaussagen und Motive in verschiedenen Werken lassen etwa darauf schließen, dass Wolfram umfangreiche Kenntnisse in den Bereichen Medizin, Naturkunde und Geographie besaß. Um diese zu erlangen müsste er lateinische und arabische Quellen studiert haben. Aufgrund fehlender historischer Zeugnisse können solche Hypothesen allerdings nicht völlig bestätigt werden.6 Die genaue Verknüpfung zwischen Gelehrten- und Laiendiskurs bleibt also fraglich. Zum anderen gilt die unübersehbare Dominanz schöner, vorbildlicher Figuren in höfischen Romanen als Indiz für die Übernahme der Vorstellung eines Außen-Innen-Konsens. Tatsächlich begegnet dem Rezipienten nur selten eine missgestaltete Person. Auf umgekehrte Weise scheint sich in diesen wenigen Fällen auch wieder das scholastische Prinzip zu bestätigen. Die hässliche Gestalt wird als moralisch verwerflich inszeniert. Man denke nur an den unverschämten Zwerg im „Erec“ oder an den bedrohlich wirkenden Waldmenschen im „Iwein“.7 Mithin verwundert die moderne Auffassung, Gestalten in der mittelalterlichen Literatur seien nicht mehr als Stereotypen, überhaupt nicht. Eine ideale höfische Welt grenzt sich von der schlechten Sphäre des Bäurischen ab. Allerdings vernachlässigt diese Strukturierung all jene Romanfiguren, welche dem Axiom widersprechen. Ganz besonders werden derartige Abweichungen im „Parzival“ ersichtlich. Der Protagonist wird zwar als schönster Mann seit Adams Lebzeiten beschrieben. Sein Verhalten ist aber an vielen Stellen moralisch fragwürdig. Parzival versündigt sich sogar mehrere Male. Eine andere Figur des Romans besitzt Wildschwein ähnliche Zähne sowie schwarzes, stumpfes Haar. Gleichwohl hat die Gralsbotin Cundrie die septem artes liberales studiert und beherrscht drei Sprachen. Die Aufzählung ließe sich mit Orgeluse, Malcreatiure und anderen fortsetzen.

Diese Ambiguitäten der Figurenbeschreibung in Wolframs Erzählung sind eigentlich bekannt.8 Dennoch wurde der Untersuchung des Außen-Innen-Diskurses in der höfischen Literatur bisher zu wenig Beachtung geschenkt. Studien beschäftigen sich entweder mit der äußerlichen oder innerlichen Präsentation von Romangestalten. Dabei ist doch gerade die Auseinandersetzung mit Problemfeldern abseits von vermeintlichen Leitbildern spannend. Wie korreliert die Körperdarstellung mit der charakterlichen Inszenierung? Welchem Faktor wird mehr Bedeutung zugemessen und woran lässt sich dies erkennen? Zur Beantwortung dieser Fragen strebt die vorliegende Masterarbeit eine Mikroanalyse der Parzival- und Cundriegestalt in Wolframs Roman „Parzival“ an. Ziel ist es, die mehrdeutige Konzeption von Figurendarstellungen hinsichtlich der klassischen Dichotomie hässlich/böse und schön/gut aufzuzeigen, indem die unterschiedlichen Ebenen von narrativer Stimme und Wahrnehmungsperspektiven herausgearbeitet werden. Grundlage für den interpretatorischen Teil bildet die Erzähltheorie Genettes. Eindeutigkeit wird der Leser daher hier vergeblich suchen, dafür aber um Einblicke in die Komplexität höfischer Romane am Beispiel des Wolframschen Textes bereichert werden.

2. Schönheit und Hässlichkeit im philosophischen Diskurs des Mittelalters

Schönheit war im Gegensatz zum modernen Verständnis eine objektive Eigenschaft im Mittelalter. Gelehrte gingen also davon aus, Schönheit könne wahrgenommen, aber nicht vom Menschen hervorgebracht werden.1 Alles Sein wurde auf den göttlichen Schöpfer, nämlich das absolut Schöne, zurückgeführt. Schöne Dinge symbolisierten Vollkommenheit, Wahrheit und das Gute. Die Bedeutung von Schönheit ging also weit über einen bloßen ästhetischen Aspekt hinaus.2 Seit der Antike referierten Gelehrte auf das Ideal der Kalokagathia - der Übereinstimmung von äußerlicher Schönheit und innerer Tugendhaftigkeit.3 Durch die Schriften des Neuplatonikers Pseudo-Dionysius Areopagita hielt beispielsweise folgende Definition des Schönen Einzug in die christliche Philosophie: „Das Schöne ist auch Endabschluß von allem und als Zielursache liebenswert (...). Es ist ferner vorbildliche Ursache, weil nach ihm alles bestimmt ist. Deshalb ist auch das Schöne identisch mit dem Guten (...).“.4 Mit anderen Worten war das Schöne maßgebliches Ideal sowohl in einem ästhetischen als auch ethischen Sinn.

Auch für den Kirchenvater Augustinus stellte sich das Schöne als allumfassende Struktur des Seins dar.5 Die Harmonie von Maß, Zahl und Gewicht bestimmte er dabei als Bestandteile körperlicher Schönheit.6 Ungleichgewichten innerhalb dieser Balance oblagen nach augusteinischem Denken ebenfalls einem Zweck. Innerhalb der universalen Ordnung verfolge jedes Objekt eine bestimmte Absicht, selbst wenn der sündige Mensch dies nicht immer erkenne könne.7 Mit diesem Gedanken distanzierte sich Augustinus von der antiken Vorstellung, das äußerlich Unangenehme sei auch Gegenteil des seelisch Guten.8 Schönes könne eben auch in Form des Hässlichen erscheinen. Allerdings gibt er zu, die Bedeutung mancher Wesen sei schlicht unergründlich: „Ich muß aber gestehen, daß ich nicht weiß, weshalb Mäuse und Frösche, Fliegen und Würmer erschaffen wurden. Ich sehe jedoch, daß alle in ihrer eigenen Art schön sind, wenngleich viele uns wegen unserer Sünden widrig erscheinen.“.9 Augustinus wertete damit den seelischen Bereich gegenüber dem Leib enorm auf.10 Ein tugendvoller Charakter setzte in seiner Theorie nicht unbedingt ein ebenmäßiges Erscheinungsbild voraus. Innerliche Schönheit wurde mehr als die äußerliche Ausstrahlung geschätzt.11 Anomalien begriff man im philosophischen Diskurs des Mittelalters somit als Teil der ordo.

Die Existenz eines absolut Bösen und Hässlichen war allerdings nicht vorstellbar, da das Gute und Schöne nicht vollkommen zerstört werden könne.12 Überhaupt darf diese Einordnung nicht über die Hierarchie zwischen „schön“ und „hässlich“ hinwegtäuschen. Schönheit war immer das anvisierte Ideal. Hässlichkeit wurde diesem Konzept untergeordnet, auch bei Augustinus.13 Deformierte Gestalten bedurften stets einer Rechtfertigung in Form von speziellen Bedeutungszuschreibungen.14 „So dient das Übel als Folie des Guten: Es dient zur Bewährung,

Erprobung, Läuterung.“,15 gibt Augustinus zu Bedenken. Entstellte Wesen wurden beispielsweise als Fehlleistung der Natur bewertet. Eine häufige Antwort auf die Frage, wie das Unästhetische in die Welt kam, stellte ferner der sogenannte Adams-Töchter-Mythos dar.16 Demnach haben die Nachkommen Adams während ihrer Schwangerschaft verbotene Kräuter zu sich genommen. Die Kinder jener Frauen erblickten aufgrund dieser Sünde missgestaltet das Licht der Welt.

Mehrmals war bisher die Rede von gut und böse. Ohne einen ausführlichen Exkurs über mittelalterliche Ethik anstreben zu wollen, sei doch auf ein paar grundlegende Sachverhalte hingewiesen. Bis zum 12. Jahrhundert gab es kaum systematische Auseinandersetzungen mit ethischen Fragestellungen innerhalb der Scholastik. Überliefert sind lediglich christlichreligiöse Stellungnahmen, welche etwa die sieben Hauptsünden - Neid, Eitelkeit, Zorn, Trübsinn, Geiz, Völlerei und Unzucht - betreffen.17 Positives Gegenbild bildeten dazu Konzepte wie Glaube, Liebe, Hoffnung, Klugheit, Mäßigung, Tapferkeit und Gerechtigkeit. Wie das anschließende Kapitel zeigen wird, besitzt der Laiendiskurs durchaus ähnliche Vorstellungen von schlechten und tugendhaften Charakterzügen.

Zusammengefasst sei auf einige wichtige Aspekte verwiesen. Einerseits wurde das Schöne innerhalb des philosophischen Diskurses als ein ästhetisches und ethisches Phänomen begriffen. Das Erscheinungsbild galt als Spiegel der inneren Makellosigkeit. Andererseits konnte das Gute auch in einer hässlichen Hülle verborgen sein. In diesem Fall galt es die spezifische Bedeutung jenes Subjekts zu ergründen, denn die einzig wahre Schönheit lag im Inneren eines Wesens verborgen. Äußerlichkeiten stellten dementsprechend nur einen Zusatz dar. Prinzipiell scheint also das hässlich Gute denkbar, wenn auch nicht wünschenswert, gewesen zu sein. Anders verhält es sich offenbar mit dem schönen Bösen. An keiner Stelle ist von der Option des äußerlich Vollkommenen und innerlich Schlechten die Rede. Wie werden diese Momente innerhalb der volkssprachlichen Literatur erörtert?

3. Schönheit und Hässlichkeit im literarischen Diskurs des Mittelalters

3.1 Schönheit, Tugend und Adel

Mittelhochdeutsche Erzählungen müssen sich aufgrund ihres scheinbar schematischen Aufbaus und typisierten Figurenkonstellation oft den Vorwurf der Monotonie gefallen lassen.1 In der Tat beherrschen auf einen flüchtigen Blick hin schöne und moralisch einwandfreie Personen die Handlungen.2 Die männlichen Protagonisten besitzen einen perfekten Körper sowie einen furchtlosen Charakter. Weibliche Figuren sind äußerlich vollkommen und innerlich sittsam. Tervooren konstatiert, dass sowohl im Minnesang als auch im höfischen Roman die descriptio pulchritudinis stets mit einem Tugendlob durch den Narrator verbunden sei.3 Die Schönheitsbeschreibungen folgen dabei einem spezifischen Kanon von Attributen. Vorrangig werden Augen, Mund und Wange skizziert. Oftmals seien diese noch mit Farb- und Lichtelementen versehen. Zu einem ähnlichen Fazit gelangt Teichert. Die Darstellung des Schönen in Antike und Mittelalter sei auch stets künstlerische Präsentation einer ethisch vollkommenen Gesinnung.4 Literarischen Personen fehlen daher individuelle Züge.5 Lediglich ein paar Wissenschaftler widersprechen diesem Paradigma. Unter anderem plädiert Haug mit Verweis auf die Parzivalfigur dafür, Figuren nicht mehr als bloße Rollenträger zu betrachten.6 Kategorisiert wurden die Elemente typischer Schönheitsbeschreibungen von Haupt. Die Schilderung erfolge meist nach dem Verfahren de capite ad calcem.7 Körperdarstellungen umfassen jeweils Komponenten wie Jugend, Natürlichkeit sowie einen höfischen Habitus und Genealogie. Obwohl ihre Einschätzung, Verweise auf Intelligenz und Bildungsstand der Figuren fänden sich selten in mittelhochdeutschen Texten, relativiert werden muss, liefert sie einen nützlichen Hinweis auf den Konnex zwischen Innerem und Äußerem. Äußerlich vollkommene Gestalten sind nicht nur moralisch einwandfrei. Sie sind in erster Linie adlig. Der Körper in mittelhochdeutschen Texten sei „Träger höfischer Repräsentationskultur“.8 Innere und äußere Schönheit war ein dem Adel vorbehaltenes Gut. Es besaß integrierende und zugleich ausgrenzende Funktion.

Angehörigen unterer Gesellschaftsschichten wurden Schönheitsmerkmale prinzipiell verweigert. Dies gilt ebenso für die moralische Gestaltung der Figuren, wie Bumke zeigt. Zwar habe es keine genaue Systematik in höfischen Tugendlehren gegeben. Vermutlich bedienten sich die Dichter jedoch aus einem Fundus geistlicher Quellen. Bumke erklärt auf diese Weise die kontinuierliche Verwendung einer Vielzahl von Tugendprädikaten zur Beschreibung des idealen Ritters, wobei er sich vornehmlich auf Thomasins von Zirklaere „Der welsche Gast“ stützt.10

An erster Stelle habe die Demut gestanden. Damit sei die Demut gegenüber Gott, aber auch Demut im Sinne von Mitleid und Barmherzigkeit gegenüber den Menschen gemeint gewesen. Außerdem waren „ mâze “ und „ staete “ wichtige Begriffe zur Beschreibung des vortrefflichen Adligen. „ staete “ beziehe sich auf die Beständigkeit oder genauer gesagt das Festhalten am Guten.11 Ein maßvolles Verhalten wurde höfischen Männern und Frauen mit dem Gebot der „ mâze “ nähergebracht. Ferner habe Loyalität und die Festigkeit zwischenmenschlicher Bindungen eine bedeutsame Rolle innerhalb höfischer Tugendvorstellungen gespielt. Dafür stand der mittelhochdeutsche Terminus „ triuwe “.12Guot “, „ reine “, „ biderbe “, „ schame “ und „ kiusche “ zählten gleichfalls zu auszeichnenden inneren Merkmalen. Diesen idealen Werten stand die „ dörperheit “ entgegen.13 Auch von einer moralischen Perspektive betrachtet grenzte sich das adlige Personal also von anderen Figuren ab. Dem Adel war darüber hinaus Instrumentenspiel, Gesang und Fremdsprachenkenntnisse vorbehalten. Virtuosen dieser kulturellen Fähigkeiten sowie Personen, welche die aufgeführten Tugenden perfektionieren konnten, waren „ ê re “ und „ hôher muot “ gewiss.14 Jene Tugenden finden sich auch in Wolframs Werk. Zum Beispiel werden im „Titurel“ zwölf Tugendblumen vorgestellt, welche außer den bereits Genannten noch „ gedult “ und „ minne “ einbeziehen.15 Schröder macht darauf aufmerksam, dass die wichtigsten Rittertugenden im Parzivalroman „ schame “, „ triuwe “ und „ staete “ seien. Alle anderen ordnen sich diesen unter oder gehen in ihnen auf.16 Zwei Aspekte müssen betont werden. Erstens besitzt jede einzelne dieser höfischen Termini verschiedene Bedeutungsebenen, welche je nach Kontext variieren können. Gerade aus diesem Grund ist es immens wichtig darauf zu achten, wer etwas sagt und aus welcher Perspektive gesprochen wird. Zweitens sind derartige Anforderungen im konkreten Umfeld des Hofes angesiedelt. Gewiss lassen sich Parallelen zu den weiter oben genannten moralischen Grundsätzen im theologischen Diskurs finden. Dennoch sollten beide Diskurse nicht zu sehr vermischt werden oder wie Kartschoke es treffend auf den Punkt bringt: „Es geht dem Ritter nicht um das Gute schlechthin, sondern um das rechte Verhalten, das als standesgemäß gilt und also unter dem Aspekt einer vorausgesetzten und akzeptierten Ordnung auch gut ist, kurz, es geht ihm um seine Ehre. (...) Was für den ritterlichen Helden gilt, gilt auch für die höfische Frau.“17 Genau unter diesem Gesichtspunkt müssen die Figuren im „Parzival“ primär betrachtet werden. Im Fokus steht die innere Konstitution des Erzählpersonals in einer fiktionalen idealen Erzählwelt unter ritterlich-höfischen Prämissen. Außer Frage steht dabei, dass einige Gestalten sich auch innerhalb eines religiösen Rahmens an den Grenzen der Moral bewegen.18 Mit anderen Worten ist der graduelle Unterschied dieser: Einmal geht es um die Entscheidung zwischen richtig und falsch, das andere Mal zwischen gut und böse.19 An einigen Stellen im „Parzival“ wird diese interessante Differenz zu beachten sein.

3.2 Hässlichkeit, Lasterhaftigkeit und„Unhöfischheit“

Betrachtet man diese Überlegungen zusammenhängend, zeichnet sich ein scheinbar klares Bild ab: Das vollkommene Äußere ist Spiegel des moralisch einwandfreien Inneren. Innerhalb des literarischen Diskurses stellt diese Verbindung ein Symbol adliger Idealität dar. Oftmals erscheint die Inszenierung körperlicher Makellosigkeit in Narrativen sogar gegenüber innerlicher Tugendhaftigkeit protegiert. Allein das Bild des Protagonisten in Ulrichs von Liechtenstein „Frauendienst“, welcher sich aus Minnegründen einer schmerzhaften Operation seiner Hasenscharte unterzieht, spricht für sich.20 Hässlichkeitsbeschreibungen bilden folglich ein Kontrastprogramm zum höfischen Vollkommenheitsanspruch. Aufgrund ihrer Abweichung von der Norm werden sie als sich anbahnenden Durchbruch von Individualität in der mittelhochdeutschen Literatur interpretiert.21

Bisher hat die Forschung sich nicht differenziert genug mit dem Hässlichkeitsphänomen auseinandergesetzt. Die ersten Arbeiten von Seitz und Mennie versuchen Hässlichkeitsbeschreibungen innerhalb der volkssprachlichen Literatur zu systematisieren. Zu stark wurde dabei allerdings auf Traditionsstränge und Vorlagen fokussiert, sodass die Autonomie der mittelhochdeutschen Schriften nicht gewahrt blieb.22 Ferner ist der Begriff „Hässlichkeit“ in den frühen Auseinandersetzungen nicht ausreichend etymologisch reflektiert. Im Unterschied zum Komplex der Schönheit gibt es nämlich keine direkten mittelhochdeutschen Entsprechungen für „hässlich“. Kliche weist darauf hin, dass zwar die Vokabel „ hazlich “ existiert.23 Allerdings wurde der Terminus bis ins 16. Jahrhundert im Sinne von verhasst, feindselig oder hassenswert gebraucht. Zumindest im Lateinischen sind die direkten Äquivalente deformis und turpis zu finden. Bei der Analyse von mittelhochdeutschen Texten muss demzufolge präzise auf sprachliche Markierungen geachtet werden. Gemäß der primären Stellung des Schönheitskonzepts, leiten sich auch Vokabeln zur Darstellung von Hässlichkeit antithetisch vom Schönen ab. „ Undaere “, „ ungevüege “, „ boese “ und „ vreislich “ zeigen unter anderem das abstoßende Äußere einer Figur an. Hässlichkeit wird sprachlich also durch die Negierung von Schönheit sowie der Verbindung von ästhetischem und ethischem Diskurs verdeutlicht. Animalische Eigenschaften und Zuschreibung dunkler Farben können hinzukommen.24

Weiterhin kann die Entstellung eines literarischen Wesens unterschiedliche Intensitäten aufweisen. Genuine Hässlichkeitsbeschreibungen begegnen dem Rezipienten genauso wie temporäre Verunstaltungen aufgrund von Krankheiten oder Kämpfen.25 Man findet etwa in Legenden eine ganz spezielle Funktionalisierung des Hässlichkeitsmotivs, nämlich in der Form der derformitas christi.26

3.3 Hässliches Gutes - schönes Böses?

Bei den eben skizzierten Forschungsperspektiven handelt es sich ausnahmslos um Betrachtungen der ästhetischen Seite. Lediglich Jauß beschäftigt sich explizit mit der innerlichen und äußerlichen Ambiguität von hässlichen Figuren in der mittelalterlichen Dichtung.27 Zu diesem Zweck blickt er unter anderem auf die altfranzösische Heldenepik. Jauß stellt fest, dass beispielsweise Heiden nicht generell als äußerlich abstoßend beschrieben werden.28 Michel entwickelt in Anschluss daran vier Kombinationsmöglichkeiten zwischen dem ästhetischen und ethischen Diskurs in der mittelhochdeutschen Literatur.29 Der erste Typus sei innen und außen gleichermaßen schön. Der Zweite sei äußerlich schön, aber innerlich hässlich. Äußere und innere Entstellung kennzeichne den dritten Typ. Viertens könne eine abstoßende Gestalt auch mit tugendhaften Zügen versehen sein.

Ausgeprägtes wissenschaftliches Interesse fand die letzte Option. Insbesondere die Konzeption der Cundrie im „Parzival“ regte Diskussionen an. Allein Dallapiazza und Gerok-Reiter untersuchten die Gestalt indessen in Bezug auf den Außen-Innen-Diskurs. Die Figur sei Sinnbild eines beginnenden ästhetischen Prozesses, welcher den Zusammenhang von äußerlichen und innerlichen Werten neu verhandle.30 Beiden Beobachtungen fehlt es deren äußerliche Inszenierung. Vgl. CAROLIN OSTER: Die Farben höfischer Körper. Farbattribuierung und höfische Identität in mittelhochdeutschen Artus- und Tristanromanen. Berlin: Akademie Verlag, 2014, S. 112ff.

letztendlich aber an methodischem Instrumentarium, um zu erklären, wie genau die Ambiguität der Gestalt narrativ erzeugt wird. Dallapiazzas Fazit muss sich daher auf die Bemerkung beschränken, Wolfram sei sich nicht über das Ausmaß der Problematik von Schönheit und Hässlichkeit bewusst gewesen. Die Funktionalisierung von Cundrie auf Handlungsebene habe im Vordergrund gestanden.31 Noch prekärer sehen die Resultate für Figuren des zweiten Typus aus. Unzählige Erörterungen beschäftigen sich mit Schuld und Sünden des wunderschönen Parzival.32 Die Diskrepanz zwischen dem schillernden Erscheinungsbild des Protagonisten und dessen moralisch fragwürdigen Handlungen wird bemerkt. Wiederum gibt es allerdings keine Ansätze die ethische und ästhetische Inszenierung detailliert am Text zu untersuchen.33 Eine Besprechung der Wolframschen Figuren im Parzivalroman unter dem Blickwinkel des schönen Bösen und hässlichen Guten ist daher dringend erforderlich. Es geht darum zu zeigen, dass das Erzählpersonal nicht auf Eindeutigkeit angelegt ist und es dem Rezipienten nicht möglich ist, ein allumfassendes Urteil zu fällen. Der Außen-Innen-Diskurs wird im Text Wolframs immer wieder hinterfragt und neu definiert. Nachweisbar ist dieses Arrangement nur, wenn man fragt, wer eigentlich was in den entsprechenden Textausschnitten sagt. Verhält sich der Erzähler distanziert und objektiv? Welche Perspektive wird wiedergegeben? Welche Wirkung wird durch die Figureninszenierung erzeugt? Antworten auf diese Fragen sollen mittels der Erzähltheorie Genettes gefunden werden.

4. Zur Methodik: Erzählstimme und Fokalisierung

Genettes Abhandlung über den Diskurs der Erzählung ist wohl nicht nur eine der anspruchsvollsten, sondern auch kontroversesten Theorien der Literaturwissenschaft. Wie der Herausgeber im Nachwort zur neuesten Auflage nicht müde wird zu betonen, wurden seine Thesen von der germanistischen Forschung lange Zeit ignoriert.1 Kritisiert wurde Genette fürseine fließende und teilweise nicht exakt differenzierbare Terminologie.2 Darüber hinaus hat seine weite Definition von „Erzählung“ Diskussionen angeregt. Kurzum: Wie gegenüber jedem wissenschaftlichen Denkansatz, lassen sich mit Sicherheit berechtigte Bedenken gegen seine Hypothesen hervorbringen. Jedoch bietet Genette im Gegensatz zu anderen Erzähltheorien analytische Modelle, ohne welche die folgende Untersuchung nicht möglich wäre. Dem französischen Strukturalisten gelingt es, ein fundamentales Unterscheidungswerkzeug zu entwickeln. Indem Genette nach der sprechenden Instanz und dem Wahrnehmungswinkel in einer Narration fragt, separiert er Stimme und Perspektive voneinander. „Wer sieht?“ ist eben nicht gleichzusetzen mit „Wer spricht?“. Diese Trennung ist entscheidend für die folgende Auseinandersetzung mit der mehrdeutigen Gestaltung des Erzählpersonals hinsichtlich des Außen-Innen-Diskurses im „Parzival“. Durch die Bestimmung des Sprechenden und des Wahrnehmenden wird die Voraussetzung zum Verständnis der vom Roman behandelten Relation zwischen dem äußeren Erscheinungsbild und dem Charakter geschaffen. Ambiguität kann formell auf spezielle Passagen zurückgeführt werden. Zudem lassen sich Einblicke in die Priorisierung körperlicher und seelischer Aspekte durch den Erzähler gewinnen. Dabei soll nicht der Eindruck erweckt werden, Genettes Theorie bestehe lediglich aus den Kapiteln über den Modus und die Stimme. Auch seine Ausführungen über Erzählordnung sowie narrative Tempi sind relevant.3 Primär geht es allerdings um die folgenden Fragen: Wo liegt das Zentrum der Wahrnehmung? Wer spricht und auf welcher Ebene befindet sich diese Stimme? Zur Klärung der ersten Problemstellung führt der Autor den Begriff „Fokalisierung“ ein.4 Zu unterscheiden seien drei mögliche Dimensionen. Die Ebene der Nullfokalisierung ist die „Übersicht“. Der Narrator als allwissende Größe schildere die Ereignisse von außen, ohne die Perspektive einer Figur einzunehmen.5 Die interne Fokalisierung bezeichnet nach Genette eine an die Figurenwahrnehmung gebundene Wiedergabe des Geschehens. Mit anderen Worten „sehe“ der Rezipient in diesem Moment durch die Augen der jeweiligen Gestalt.6 Komplett Überschriften in der „Parzival“-Überlieferung als Spuren mittelalterlicher Textkultur. In: Text und Text in lateinischer und volkssprachlicher Überlieferung des Mittelalters. Hrsg. von Conrad Eckart Lutz, Berlin: Erich Schmidt, 2006, S. 317ff.

verwirklicht werde dieser Modus in einem inneren Monolog.7 Als letzte Form führt Genette die externe Fokalisierung an. Es handele sich dabei um die „Außensicht“. Der Erzähler vermute zwar die Wahrnehmung einer Figur, könne sie aber nicht genau bestimmen.8 Häufig sei ein Wechsel zwischen diesen Graden innerhalb einer Erzählung zu beobachten. Ferner bestehe die Möglichkeit der Überschneidung zwischen allen drei Perspektiven. So könne die externe Fokalisierung auf eine bestimmte Figur ebenfalls als interne Fokalisierung auf eine andere Gestalt verstanden werden.9 Für die Analyse des Erzählpersonals im „Parzival“ ist das ein entscheidendes Faktum. Es ist nicht ausreichend, Wolframs Stil als „perspektivisches Erzählen“ zu betiteln und simpel zwischen Figuren- sowie Erzählerrede zu differenzieren.10 Das Textverständnis erfährt dadurch einen unnötigen Komplexitätsverlust, da viele Nuancen schlicht übersehen werden.11 Im Kapitel über die Stimme setzt sich Genette mit der Definition der Person und der narrativen Ebene auseinander.12 Prinzipiell könne die Erzählung auf zwei Stufen stattfinden. Entweder erzähle ein Narrator eine Geschichte (extradiegetisch) oder innerhalb dieser ersten Erzählung werde eine Geschichte erzählt (intradiegetisch).13 Ferner könne der Erzähler als Figur in seiner Narration anwesend sein (homodiegetisch) oder eben nicht (heterodiegetisch). „Die Abwesenheit ist absolut, die Anwesenheit hat ihre Grade.“,14 konstatiert Genette. Das heißt, der Narrator kann sowohl als Protagonist als auch in einer Nebenrolle in Erscheinung treten. Die Determination von Ort und Stimme sei dabei nicht zwingend grammatikalisch markiert. Verben in der ersten Konjugation können sowohl auf eine erzählende Figur als auch einen Erzähler,welcher selbst nicht in der Geschichte erscheint, hinweisen.15 In Kombination ergeben sich daraus vier unterschiedliche Arten: extradiegetisch-heterodiegetisch, extradiegetisch- homodiegetisch, intradiegetisch-heterodiegetisch und intradiegetisch-homodiegetisch.16 In einem Nachtrag zum „Diskurs der Erzählung“ hält Genette bezüglich der eben erläuterten Kategorien fest: „Die Stimme des Erzählers ist immer als die einer Person gegeben, mag sie auch anonym sein, aber die fokale Position, wenn es eine gibt, ist nicht immer an einer Person festzumachen.“17 Dieses Fazit zeigt, dass Genettes Theorie äußerst komplex ist und sich nicht schematisch auf einen gesamten Text übertragen lässt. Es bedarf der kleinteiligen Interpretation verschiedener Romanstellen, um narrative Ambiguitäten nachvollziehen zu können.18 Um nur ein Beispiel anzuführen: Für die Bewertung der Parzivalfigur ist es sehr wohl von Bedeutung, ob die Ablehnung seiner Schönheit und die zornige Aufzählung seiner Verfehlungen durch eine extradiegetische-heterodiegetische Erzählerstimme mit Nullfokalisierung stattfindet oder aber die Narration zu diesem Zweck intern auf Cundrie fokalisiert.19 Generalisierende Aussagen wie, der Erzähler präsentiere sich in verschiedenen Rollen, lassen sich dadurch eliminieren.20 Denn die Rolle des Narrators bleibt grundsätzlich gleich, er spricht lediglich mit unterschiedlichen Stimmen und aus sich ändernden Perspektiven. Die Erzähltheorie Genettes bietet aus diesem Grund den höchsten Grad an Heterogenität für die folgende Untersuchung des schönen Bösen und hässlichen Guten in Wolframs von Eschenbach „Parzival“, ganz nach seiner Maxime: „Die Erzählung sagt immer weniger, als sie weiß, aber sie lässt einen oft mehr wissen, als sie sagt.“.21

5. Parzival - Das schöne Böse?

5.1 Die ambige Konzeption der Figur

Bereits die allererste Erwähnung Parzivals vor dem eigentlichen Beginn seiner Geschichte verweist auf die ambige Konstruktion der Figur.1

Er küene, traeclîche wîs

(den helt ich alsus grüeze),

er wîbes ougen süeze,

unt dâbîwîbes herzen suht,

vor missewende ein wâriu fluht. den ich hie zuo hân erkorn, er ist maereshalp noch ungeborn, dem man dirreâventiure giht,

und wunders vil des dran geschiht. “ (vv 4,18-26)

Stilistisch betrachtet, liegt an dieser Stelle eine Nullfokalisierung vor. Sprecher ist der extradiegetische-heterodiegetische Erzähler. Wie in vielen weiteren Stellen des Romans, bricht der Narrator kurzzeitig mit seiner Stimme und wendet sich in Ich-Form implizit an den Rezipienten. Intentionen der erzählenden Instanz sind hier also am greifbarsten. Der Erzähler baut eine besondere Nähe zur Figur auf und gewährt dem Leser respektive Zuhörer Einblicke in dessen Gestaltung. Die Formulierung „ den ich hie zuo hân erkorn “ (v 4,23) zeigt unmissverständlich an, dass die Hauptgestalt einer bewussten Konzeption unterliegt.

Parzivals Schönheit habe viele Frauenherzen brechen lassen.2 Dieses Merkmal findet sein innerliches Äquivalent in der Markierung als „ küene “. Aus allen Kämpfen gehe der Protagonist ruhmreich hervor. Es scheint sich zunächst um die typische Charakterisierung einer höfischen Hauptfigur zu handeln. Die ideale Einheit von Tugend und Schönheit wird bestätigt. Und doch säet der Erzähler Zweifel unter seinem Publikum hinsichtlich der Perfektion seines Helden. Parzivals Verstand werde sich nur sehr allmählich ausbilden, prognostiziert Vers 4,18. Damit wird dem Protagonisten sowohl innere Unvollkommenheit bescheinigt als auch eine mögliche Lesart der Geschichte suggeriert. Das Adverb „ traeclîch “ verweist auf einen Prozess der Reifung, wobei offen bleibt, inwiefern dieser am Ende als abgeschlossen betrachtet werden kann.3 Parzival ist jedenfalls nach Meinung des Erzählers unerfahren. Um welche Art von Naivität es sich handelt, ergibt sich erst aus der Lektüre des gesamten Romans und wird an dieser Stelle nicht näher bestimmt.4

Wie der Erzähler konzediert, wird Parzival stets auf einem schmalen Grad wandern. Die Allegorie „ vor missewende ein wariu fluht “ (v 4,22) deutet darauf hin, dass die Möglichkeit des Umkippens zum Schlechten jederzeit besteht. Parzival wird sozusagen verfolgt von Tadel, Schande und Ehrverlust. Er versucht diesem Makel zu entkommen, doch gelingt ihm das nicht dauerhaft. Es scheint, als ob der Narrator versucht, innerliche Schwächen der Hauptperson zu relativieren und beim Publikum damit um Verständnis zu werben. Der Fluchtgedanke könnte Symbol für ein versehentliches Verschulden Parzivals sein. Zumindest kann er als Appell verstanden werden, Verfehlungen der Hauptperson situativ zu bewerten, denn diese seien im wahrsten Sinne des Wortes keine böse Absicht. Folglich weiß der Erzähler sehr wohl um die innere und äußere Widersprüchlichkeit seines Helden, plädiert aber gleichzeitig dafür, dessen Handlungen keinem vorschnellen Urteil zu unterwerfen.

5.2 Schönheit, Genealogie und impliziertes Gut-Sein: Parzivals „ art “

Bevor es zu einer genaueren Schilderung der charakterlichen Konstitution Parzivals kommt, wird dessen außergewöhnliches Erscheinungsbild ein weiteres Mal im ersten Buch erwähnt: „ sîn varwe an schoene hielt den strît,/unz an zwên die nâch im wuohsen sît,/B êâ curs Lôtes kint/und Parzivâl, die dâniht sint:/die wâren dennoch ungeborn,/und wurden sît für schoene erkorn. “ (vv 39,23-28). Das eigentliche Geschehen des Kampfes zwischen Gahmuret und Kaylet wird an dieser Stelle vom extradiegetischen-heterodiegetischen Erzähler zugunsten des Schönheitsvergleichs pausiert. Diese Verse sind bedeutend, weil sie genealogische Verknüpfungspunkte herstellen. Parzivals Vater ist nämlich ebenfalls ein wunderschöner Mann. So sei Gahmuret zwar schon eine „ bluome an mannes schoene “ (v 39,22) gewesen. Parzival konkurriere jedoch durchaus äußerlich mit seinem Vater. Der Narrator sagt voraus, Parzival und der Bruder Gawans Bêâcurs werden aufgrund ihres schönen Erscheinungsbildes gerühmt. Innerliche Qualitäten spielen hier keine Rolle. Überdies wird wieder nicht erklärt,welche Merkmale den Helden eigentlich so unglaublich vollkommen erscheinen lassen.

Wichtig scheint der gewählte Vergleich nur unter dem Aspekt der erneuten Betonung äußerlicher Idealität Parzivals mit besonderem Fokus auf seine adlige Abstammung. Die Einschätzungen liegen wieder in Nullfokalisierung vor, gehen also direkt vom allwissenden Erzähler aus. Prinzipiell ist die Harmonie zwischen Innerem und Äußerem gegeben. Parzival ist wunderschön und adlig.

Parzival erblickt das Licht der Welt kurz nach dem Tod seines Vaters. Die Umstände seiner Geburt sind bezeichnend: „ dannübr den vierzehenden tac/diu frouwe eins kindelîns gelac,/eins suns, der sölher lide was/daz si vil k û me dran genas. “ (vv 112,5-8). Der extradiegetische- heterodiegetische Erzähler unterstreicht die außergewöhnliche Gesundheit und Größe des Neugeborenen mit dem Verweis auf eine komplizierte Entbindung. Ferner ist dieser Abschnitt in Verbindung mit einem zuvor beschriebenen Albtraum von Parzivals Mutter zu sehen. Herzeloyde träumt von der Niederkunft mit einem Drachen, welcher sich erst an ihren Brüsten nährt und später einfach von ihr wegfliegt. Die interne Fokalisierung auf Herzeloyde ermöglicht es, ihre Empfindungen sowie darauffolgende Verlustängste nachzuvollziehen.5 Der Drache kann durchaus als Metapher für die Parzivalfigur verstanden werden. Auch der Protagonist wird sich erst an seine Mutter klammern und sie dann verlassen. In diesem Sinne ist das Drachenbild negativ konnotiert. Auf der anderen Seite gilt der Drache auch als ein mächtiges, beinah unbesiegbares Wesen und ist somit ein Herrschaftssymbol. Der Traum kündigt das Eintreffen eines bedeutenden Regenten an.6 Die Mehrdeutigkeit der Hauptfigur könnte hier nicht besser in Szene gesetzt sein. Zwar erfüllt Parzival äußerlich gewisse Voraussetzungen eines unschlagbaren, ruhmreichen Ritters. Der Preis dafür ist jedoch hoch und wird dem Rezipienten unmissverständlich verdeutlicht mittels der internen Fokalisierung auf Herzeloyde. Noch immer spricht der Erzähler, aber der Rezipient verfolgt Herzeloydes Traum durch ihre Augen. Man kann nicht umhin ihr Leid zu spüren.

Die Schilderung von Parzivals körperlicher Kraft wird nach seiner Geburt fortgeführt und knüpft an das Symbol des Drachen an: „ si und ander frouwen/begunden in allenthalben shouwen,/zwischen beinn sîn visellîn./er muose vil getriutet sîn,/do er hete manlîchiu lit. “ (vv 112,22-27). Beinah obszön wirkt die Vorstellung aller versammelten Hofdamen und deren Begutachtung von Parzivals Glied. Endgültig erscheint die Beschreibung überspitzt, wenn die Erzählung plötzlich und kaum merklich von der Nullfokalisierung auf eine interne Fokalisierung wechselt. Die abschließende Bemerkung über den erstaunlich männlichen Körperbau des gerade zur Welt gekommenen Jungen ist der Perzeption der anwesenden Frauen zu zuordnen. Der Narrator geht aus dieser Fokalisierungsform erst im folgenden Vers wieder raus, wenn er vorausschauend auf den unermüdlichen Kampfgeist Parzivals blickt.7 Der Rezipient nimmt hier also aus der Perspektive von Herzeloydes Damen die ästhetischen Vorzüge des Protagonisten wahr. Der Blick auf den Helden ist dieses Mal ein ausschließlichWeiblicher.

Dadurch kehrt der Erzähler das gängige Schema literarischer Schönheitsbeschreibungen von Frauen um, welche stets durch einen männlichen Blick dargestellt werden.9 Zugleich wird die Ausnahmeposition Parzivals aufgrund seines Äußeren akzentuiert. Sein Erscheinungsbild erzeugt Sympathie und größte Zuneigung beim Betrachter. Iterativ gibt der extradiegetische-heterodiegetische Erzähler die Küsse Herzeloydes an ihren Sohn sowie deren selbstständiges Stillen wieder.10

Ins Auge fällt ihre Bezeichnung Parzivals als „ Bon fils, cher fils, beau fils! “ (v 113,4). Die wörtliche Markierung der Hauptfigur durch Herzeloyde als schön und gut verwirklicht die anfangs beschriebene ideale Harmonie zwischen Innen und Außen. Nichts ist an dieser Stelle mehr übrig von der im Prolog angedeuteten Ambiguität. Aus der Sicht der Mutter ist ihr eigener Sohn selbstverständlich vollkommen. Der Säugling ist noch ohne Fehl und Tadel. Schönheit, Adel sowie Stärke und Gesundheit sind ihm angeboren. Später im Text erfolgt auch noch der Verweis auf den „ art “, welche er von beiden Elternteilen erbt, genauer gesagt Tapferkeit von Gahmuret und „ triuwe “ von Herzeloyde.11 Ergo deutet alles auf einen mustergültigen Entwurf der Hauptfigur in Wolframs Roman hin - bis der Held zum ersten Mal Rittern begegnet.

[...]


1 Wolfram von Eschenbach: Parzival. Nach der Ausgabe Karl Lachmanns revidiert und kommentiert von Eberhard Nellmann. Übertragen von Dieter Kühn. 2 Bde. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag, 2013.

2 Auf die Verbindung zwischen ästhetischen und ethischen Diskurs verweist unter anderem Assunto mit einer chronologischen Zusammenfassung lateinischer und volkssprachlicher Schriften seit dem 5. Jahrhundert. Vgl. ROSARIO ASSUNTO: Die Theorie des Schönen im Mittelalter. Übersetzt aus dem Italienischen und Lateinischen von Christa Baumgarth, Köln: DuMont, 1996, S. 256ff. Eine komplexere Darstellung der Thematik findet sich bei Eco. Vgl. UMBERTO ECO: Kunst und Schönheit im Mittelalter. Aus dem Italienischen von Günter Memmert. München/Wien: Hanser, 1991, S. 16ff.

3 „dise manger slahte underbint/iedoch niht gar von manne sint./für diu wîp stôze ich disiu zil (...).“ (vv 2,23-25).

4 Bumke behauptet: „Daß die menschliche Schönheit von Gott geschaffen war, konnten die Dichter von den Theologen lernen; und aus derselben Quelle stammte die Vorstellung, daß die Schönheit des Menschen als ein Spiegel seiner inneren Vollkommenheit angesehen werden kann.“ Vgl. JOACHIM BUMKE: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. München: dtv, 2008, S. 423.

5 Um Konstruktion möglicher Verbindungslinien zwischen beiden Diskursen bemüht sich Jaeger, indem er den intellektuellen Werdegang des höfischen Ritters untersucht. Siehe: STEPHEN JAEGER: Die Entstehung höfischer Kultur. Vom höfischen Bischof zum höfischen Ritter. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Sabine HellwigWagnitz. Berlin: Erich Schmidt, 2001, S. 284ff.

6 Vgl. JOACHIM BUMKE: Wolfram von Eschenbach. Weimar: Metzler, 2004, S. 5ff.

7 Vgl. Hartmann von Aue: Erec. Hrsg. von Manfred Günter. Übersetzt von Susanne Held. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag, 2007, vv 44-110. Und außerdem: Hartmann von Aue: Iwein. Hrsg. und übersetzt von Volker Mertens. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag, 2008, vv 418-609.

8 Bumke hält für Wolframs gesamtes Werk fest: „Wolframs Dichtung entzieht sich solchen Erwartungen vor allem dadurch, daß sie nicht auf Eindeutigkeit angelegt zu sein scheint, sondern auf Mehrdeutigkeit.“. Vgl. Bumke, 2004,S. 125. Das Konzept der Ambiguität wird meistens als spezifisches Merkmal moderner Texte gehandelt. Vgl. CHRISTOPH BODE: Ästhetik der Ambiguität: Zu Funktion und Bedeutung von Mehrdeutigkeit in der Literatur der Moderne. Tübingen: Niemeyer, 1988, S. 2ff. Dennoch zeigen neueste Arbeiten, dass sich der Blick auch auf andere Epochen unter diesem Aspekt lohnt. Vgl. MARINA MÜNKLER: Narrative Ambiguität. Die Faustbücher des 16. und 18. Jahrhunderts. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2011, S. 31f.

1 Vgl. Assunto, 1996, S. 18.

2 Mit Vorsicht ist an dieser Stelle der Terminus „Ästhetik“ zu gebrauchen. „Ästhetisch“ wird hier lediglich als Synonym für schön, geschmackvoll, formvollendet verwendet. Es meint nicht in erster Linie die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kunst sowie der Frage nach der Abbildbarkeit des Schönen und Hässlichen. Kontrovers wird bis heute diskutiert, ob man von einer mittelalterlichen Ästhetik sprechen kann oder diese Disziplin erst mit Baumgarten und Rosenkranz im 18. Jahrhundert begründet wurde. Das Lexikon des Mittelalters erklärt rigoros, es gebe keine Ästhetik im Mittelalter. Vgl. PETER PROBST: „Ästhetik, ästhetisch“. In: Lexikon des Mittelalters. Bd. 1, Sp. 1128. Eco verneint diese Beurteilung und versucht nachzuweisen, dass es sehr wohl ein ästhetisches Denken im Mittelalter gab. Siehe: Eco, 1991, S. 222f. Ebenso: Assunto, 1996, S. 17ff.

3 Vgl. Eco, 1991, S. 38ff. Der Terminus ergibt sich aus den Adjektiven kalos (schön) und agathos (gut). Kurze Begriffsgeschichte bei: BERNHARD SOWINSKI: Parzival und Helmbrecht. Höfische Kalokagathie und bäurische Usurpation. In: Von Wyssheit würt der Mensch geert... Festschrift für Manfred Lemmer zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Ingrid Kühn/Gotthard Lerchner, Bern: Peter Lang, 1993, S. 125f.

4 Zitiert nach der Übersetzung bei: Assunto, 1996, S. 164.

5 Vgl. ANDREAS SPEER: „Schöne, das“. In: Lexikon des Mittelalters. Bd. 7, Sp. 1531.

6 Vgl. Eco, 1991, S. 49f. Darüber hinaus steht Schönheit stets im Zusammenhang mit Licht- und Farbmetaphorik. Siehe dazu: UMBERTO ECO: Die Geschichte der Schönheit. Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann/Petra Kaiser/Sigrid Vagt, München: dtv, 2007, S. 102ff.

7 Vgl. PAUL MICHEL: „Formosa Deformitas“. Bewältigungsformen des Hässlichen in mittelalterlicher Literatur. Bonn: Bouvier, 1976, S. 41.

8 Vgl. GERHARD MÜLLER: Bemerkungen zur Rolle des Hässlichen in Poesie und Poetik des klassischen Griechentums. In: Die nicht mehr schönen Künste. Grenzphänomene des Ästhetischen. Hrsg. von Hans Robert Jauß, München: Fink, 1968, S. 13f.

9 Zitiert nach der Übersetzung bei: Assunto, 1996, S. 162.

10 Die Favorisierung der Seele gegenüber dem Körper schreitet besonders im 12. Jahrhundert voran. Im Fokus stand das Leben der Seele nach dem Tod. Der Körper war demgegenüber nichts wert. Vgl. PETER DINZELBACHER/ROLF SPRANDEL: Körper und Seele. Mittelalter. In: Europäische Mentalitätsgeschichte. Hauptthemen in Einzeldarstellungen. Hrsg. von Peter Dinzelbacher, Stuttgart: Alfred Kröner, 2008, S. 183.

11 Zur Diskussion des Leib-Seele-Dualismus bei Augustinus siehe: Michel, 1976, S. 86.

12 Vgl. UMBERTO ECO: Die Geschichte der Hässlichkeit. Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann/Petra Kaiser/Sigrid Vagt, München: dtv, 2010, S. 44.

13 Ansätze zu Überwindung dieser Abhängigkeiten sind erst ab dem 19. Jahrhundert zu finden, beispielsweise bei Rosenkranz. Er spricht vom „Negativschönen“ und versucht das Konzept der Hässlichkeit in der Kunst mit dessen Verbindung zur Komik zu legitimieren. Vgl. KARL ROSENKRANZ: Ästhetik des Häßlichen. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Dieter Kliche. Stuttgart: Reclam, 2015, S. 16ff. Jauß wirft Rosenkranz hingegen vor, weiterhin der klassischen Ästhetik verhaftet zu sein. Einen wirklichen Durchbruch zur Selbstständigkeit von Hässlichkeit in der Kunst habe es erst durch Victor Hugo gegeben. Vgl. HANS ROBERT JAUß: Die klassische und die christliche Rechtfertigung des Hässlichen in mittelalterlicher Literatur. In: Die nicht mehr schönen Künste. Grenzphänomene des Ästhetischen. Hrsg. von Hans Robert Jauß, München: Fink, 1968, S. 145f.

14 So argumentiert Münkler. Sie verweist unter anderem auf die zeichenhafte Bewertung der monstra durch Augustinus. Vgl. MARINA MÜNKLER: Die Wörter und die Fremden: Die monströsen Völker und ihre Lesarten im Mittelalter. In: Hybride Kulturen im mittelalterlichen Europa: Vorträge und Workshops einer internationalen Frühlingsschule. Hrsg. von Michael Borgolte/Juliane Schiel/Bernd Schneidmüller, Berlin: Akademie Verlag, 2010, S. 34f. Siehe außerdem: JACOB TAUBES: Die Rechtfertigung des Hässlichen in urchristlicher Tradition. In: Die nicht mehr schönen Künste. Grenzphänomene des Ästhetischen. Hrsg. von Hans Robert Jauß, München: Fink, 1968, S. 172f. Taubes untersucht anhand Augusteinischer Predigten das Konzept „ sermo humilis “.

15 Michel, 1976, S. 51.

16 Vgl. Ebd., S. 62.

17 Vgl. WALTER JOHANNES SCHRÖDER: Seinsethik und Normethik in Wolframs Parzival. In: Ritterliches Tugendsystem. Hrsg. von Günter Eifler, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1970, S. 346.

1 So zum Beispiel Masser: „Wenn es um die Darstellung des Menschen geht, so ist er - auch der Einzelmensch - nicht als Individuum darzustellen, sondern als Teil der Ordnung und in Ausübung seiner gruppenspezifischen Funktion.“ Siehe: ACHIM MASSER: Menschenbild und Menschendarstellung in der deutschen Literatur des Mittelalters. In: Wirkendes Wort. Deutsche Sprache und Literatur in Forschung und Lehre 42 (1992), S. 191.

2 Noch mal zum Kalokagathia-Prinzip in vormodernen Texten: PAUL MICHEL: Erklärungsmuster für hässliche und entstellte Menschen in der mittelalterlichen Literatur. In: Entstellung und Hässlichkeit. Beiträge aus philosophischer, medizinischer, literatur- und kunsthistorischer sowie sonderpädagogischer Perspektive. Hrsg. von Ursula Hoyningen-Süess/Christine Amrein, Bern/Stuttgart/Wien: Haupt, 1995, S. 61f.

3 Vgl. HELMUT TERVOOREN: Schönheitsbeschreibungen und Gattungsethik in der mittelhochdeutschen Epik. In: Schöne Frauen - Schöne Männer. Literarische Schönheitsbeschreibungen. Forschungsstelle für Europäische Lyrik des Mittelalters an der Universität Mannheim. Hrsg. von Theo Stemmler, Tübingen: Narr, 1988, S. 172.

4 Vgl. DIETER TEICHERT: Entstellung als ästhetischer Begriff. In: Entstellung und Hässlichkeit. Beiträge aus philosophischer, medizinischer, literatur- und kunsthistorischer sowie aus sonderpädagogischer Perspektive. Hrsg. von Ursula Hoyningen-Süess/Christine Amrein, Bern/Stuttgart/Wien: Haupt, 1995, S. 17.

5 Vgl. Tervooren, 1988, S. 174.

6 Vgl. WALTER HAUG: Positivierung von Negativität. Letzte kleine Schriften. Hrsg. von Ulrich Barton,Tübingen: Max Niemeyer, 2008, S. 141ff.

7 Vgl. BARBARA HAUPT: Der schöne Körper in der höfischen Epik. In: Körperinszenierungen in mittelalterlicher Literatur. Kolloquium am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (18. bis 20. März 1999). Hrsg. von Klaus Ridder/Otto Langer, Berlin: Weidler, 2002, S. 48.

8 Haupt, 2002, S. 60.

9 Vgl. RALF MITSCH: Körper als Zeichenträger kultureller Alterität. Zur Wahrnehmung und Darstellung fremder Kulturen in mittelalterlichen Quellen. In: Fremdkörper - fremde Körper - Körperfremde: Kultur- und literaturgeschichtliche Studien zum Körperthema. Hrsg. von Burkhardt Krause, Stuttgart: Helfant, 1992, S. 82ff.

10 Vgl. Bumke, 2008, S. 416ff.

11 Vgl. Ebd., S. 418f.

12 Vgl. Ebd., S. 418.

13 Vgl. Ebd., S. 426.

14 Vgl. Ebd., S. 427.

15 Vgl. Wolfram von Eschenbach: Titurel. Herausgegeben, übersetzt und mit einem Kommentar und Materialien versehen von Helmut Brackert und Stephan Fuchs-Jolie. Berlin: de Gruyter, 2002, vv 1921,1ff.

16 Vgl. Schröder, 1970, S. 358ff.

17 DIETER KARTSCHOKE: Der epische Held auf dem Weg zu seinem Gewissen. In: Wege in die Neuzeit. Hrsg. von Thomas Cramer, München: Fink, 1988, S. 183.

18 Schröder versucht nachzuweisen, dass es eine unmittelbare Verbindung zwischen beiden Normen im „Parzival“ gibt. Ersichtlich werde dies anhand der höfischen Erziehung durch Gurnemanz sowie der religiösen Unterweisung durch Trevrizent. Vgl. Schröder, 1970, S. 348ff.

19 Vgl. Kartschoke, 1988, S. 186.

20 Mittelhochdeutsche Texte werden daher häufig als Medium von Disziplinierung und Sozialisierung des höfischen Publikums bewertet. Diese Betrachtungsweise korreliert mit dem Kunstverständnis seit der Antike, Schönes als Ausdrucksform des Wahren bewirke positive Verhaltensweisen beim Rezipienten. Siehe: Müller, 1968, S. 13. Tervooren analysiert die Gattung des Minnesangs unter diesem Blickwinkel. Vgl. Tervooren, 1988,S. 172.

21 Vgl. ANNETTE GEROK-REITER: Auf der Suche nach der Individualität in der Literatur des Mittelalters. In: Individuum und Individualität im Mittelalter. Hrsg. von Jan Aertsen/Andreas Speer, Berlin: de Gruyter, 1996, S. 748ff.

22 Einen ganzen Katalog an Attributen und Stellennachweisen hat Seitz erarbeitet. Siehe: BARBARA SEITZ: Die Darstellung häßlicher Menschen in mittelhochdeutscher erzählender Literatur von der Wiener Genesis bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts. Diss. Tübingen, 1967, S. 29ff. Und außerdem: DUNCAN MENNIE: Die Personenbeschreibung im höfischen Epos der mhd. Epigonenzeit. Eine Stiluntersuchung. Diss. Kiel, 1933, S. 117ff.

23 Vgl. DIETER KLICHE: Grenzüberschreitungen des Schönen. Versuch einer Begriffsgeschichte des Häßlichen bis zur Mitte des 19. Jahrhundert. In: Ästhetische Grundbegriffe. Studien zu einem historischen Wörterbuch. Hrsg. von Karlheinz Barck/Martin Fontius/Wolfgang Thierse, Berlin: Akademie, 1990, S. 346.

24 Zu typischen Tiermerkmalen hässlicher Gestalten siehe: Seitz, 1967, S. 72. Eine eben erschienene Arbeit widmet sich der Farbmaterie. Oster untersucht Verwendung und Funktion von Farbe in literarischen Figurenbeschreibungen des Mittelalters. Ihr geht es dabei aber um die Identitätskonstitution von Gestalten durch

25 Siehe dazu: TOMAS TOMASEK: Kranke Körper in der mittelhochdeutschen höfischen Literatur. Eine Skizze zur Krankheitsmotivik. In: Körperinszenierungen in mittelalterlicher Literatur. Kolloquium am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (18. bis 20. März 1999). Hrsg. von Klaus Ridder/Otto Langer, Berlin: Weidler, 2002, S. 103ff. Und darüber hinaus: ANTJE SCHELBERG: Die Hässlichkeit des Kranken. Zur psychosozialen Bedeutung mittelalterlicher Schönheitsvorstellungen am Beispiel der Leprakranken. In: Perspicuitas. Internet-Periodicum für mediävistische Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft 1 (2002), S. 6ff.

26 Vgl. WALTER BERSCHIN: Die Schönheit des Heiligen. In: Schöne Frauen - Schöne Männer. Literarische Schönheitsbeschreibungen. Forschungsstelle für Europäische Lyrik des Mittelalters an der Universität Mannheim. Hrsg. von Theo Stemmler, Tübingen: Narr, 1988, S. 71ff.

27 Vgl. Jauß, 1968, S. 148f.

28 Vgl. Ebd., S. 151f.

29 Vgl. Michel, 1976, S. 57f.

30 Vgl. MICHAEL DALLAPIAZZA: Häßlichkeit und Individualität. Ansätze zur Überwindung der Idealität des Schönen in Wolframs von Eschenbach Parzival. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 59 (1985), S. 401. Gerok-Reiter stellt fest: „Das heißt, Cundrie ist zugleich häßlich und gut - und dies nicht nur in einer provisorischen Übergangsphase (Iwein) oder als Qualität des Alters (Sybille in Veldekes ‚Eneide’), sondern als ihre conditio humana.“ Siehe: Gerok-Reiter, 1996, S. 756f.

31 Vgl. Dallapiazza, 1985, S. 418.

32 Zum Einstieg und für weitere Literaturhinweise siehe: MICHAEL DALLAPIAZZA: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Berlin: Erich Schmidt, 2009, S. 85ff.

33 Ackermann etwa spricht generalisierend von einem „Ineinandergreifen von Makellosigkeit/Ganzheitlichkeit und Mangel/Unvollkommenheit“ bei der Darstellung von Wolframs Helden. Cundrie bezeichnet sie einfach als hybride Gestalt. Vgl. CHRISTIANE ACKERMANN: Im Spannungsfeld von Ich und Körper. Subjektivität im „Parzival“ Wolframs von Eschenbach und im „Frauendienst“ Ulrichs von Liechtenstein. Köln/Weimar/Wien: Böhlau, 2009,S. 143ff.

1 Vgl. GÉRARD GENETTE: Die Erzählung. München: UTB, 2010, S. 273. Es sei hinzugefügt, dass dies vor allem für die Mediävistik gilt. Ertragreiche Anwendung seiner Thesen im Kontext der älteren Literatur fand bis jetzt fast nur durch Münkler statt, deren Schriften die vorliegende Arbeit auch ihre methodische Inspiration verdankt. Vgl. Münkler, 2011, S. 38ff. Des Weiteren setzt sich Hübner intensiv mit Fokalisierungen in mittelhochdeutschen Texten auseinander und beobachtet dabei immer wieder Veränderungen im Übergang zur Moderne. Siehe: GERT HÜBNER: Erzählform im höfischen Roman. Studien zur Fokalisierung im „Eneas“, im „Iwein“ und im „Tristan“. Tübingen/Basel: Francke, 2003, S. 406f. Für den Parzivalroman im Besonderen haben Stolz und Viehhauser einen anderen Text Genettes fruchtbar gemacht: MICHAEL STOLZ/GABRIEL VIEHHAUSER: Text und Paratext:

2 Es ist bezeichnend für Genettes unterhaltsamen Schreibstil, dass er diesen Umstand auch mehrmals selbst betont, aber sich nicht unbedingt weiter damit beschäftigt. Dies ist beispielsweise bei der Erklärung expliziter Ellipsen der Fall, welche kaum von Summaries zu unterscheiden seien. Vgl. Genette, 2010, S. 67.

3 Vgl. Ebd., S. 59ff.

4 Vgl. Ebd., S. 121ff.

5 Vgl. Ebd., S. 213. Genette gibt später zu, dass diese Denkweise nicht völlig neu sei. Sein Anliegen sei es aber, klassische Begriffe neu zu systematisieren.

6 Siehe: Ebd., S. 124. Zur Bestimmung einer internen Fokalisierung könne man sich prinzipiell folgender Faustregel bedienen: „Dieses Kriterium besagt, dass es möglich sein muss, das betreffende Segment in der ersten Person wiederzugeben (wenn es nicht ohnehin schon in ihr geschrieben ist), ohne dass ‚diese Änderung eine andere Modifikation der Rede bewirkt als eben den Wechsel der grammatischen Pronomen’ (...).“

7 Der Literaturwissenschaftler verwendet diesen Begriff nur unter Vorbehalt. An anderer Stelle verweist er auf den besser geeigneten Terminus „unmittelbare Rede“. Vgl. Genette, 2010, S. 111.

8 Vgl. Ebd., S. 121. Eine noch detailliertere Erklärung bieten Martinez und Scheffel: „Hier ‚sehen’ wir die Figuren sprechen und handeln, ohne daß ihr Wahrnehmungshorizont durch entsprechende Mitteilungen eines Erzählers deutlich erkennbar überschritten würde, aber auch ohne daß wir jemals einen direkten Einblick in ihr Denken und Fühlen bekämen.“ Siehe: MATIAS MARTINEZ/MICHEAL SCHEFFEL: Einführung in die Erzähltheorie. München: Beck, 2009, S. 67.

9 Vgl. Genette, 2010, S. 122.

10 Vgl. Bumke, 2004, S. 229ff.

11 Hübner unterscheidet in seiner Analyse generell nur zwischen fokalem und unfokalem Erzählen. Vgl. Hübner, 2003, S. 406f. Es ist fraglich, ob diese Reduktion der Genettschen Thesen gewinnbringend ist oder es vielmehr die Gefahr birgt, entscheidende Ebenen von Wahrnehmungsperspektiven zu übersehen. Auch in der folgenden Auseinandersetzung wird darauf zu achten sein. Siehe außerdem zu fokalem Erzählen als Strategie der Wahrheitsbeglaubigung: GERT HÜBNER: evidentia. Erzählformen und ihre Funktionen. In: Historische Narratologie - Mediävistische Perspektiven. Hrsg. von Harald Haferland/Matthias Meyer, Berlin: de Gruyter, 2010, S.119ff.

12 Vgl. Genette, 2010, S. 137f. Daneben geht es Genette auch noch um das „Wann“ der Erzählung. Siehe dazu: Genette, 2010, S. 140.

13 Vgl. Ebd., S. 148. Eine weitere Option ist die metadiegetische Erzählebene, welche aber an dieser Stelle weniger eine Rolle spielt.

14 Ebd., S. 159. Der Vollständigkeit wegen ist anzumerken, dass Martinez und Scheffel später Genettes homodiegetische Kategorie in fünf weitere Optionen untergliedert haben. Vgl. Martinez/Scheffel, 2009, S. 80ff.

15 Vgl. Genette, 2010, S. 158f.

16 Vgl. Ebd., S. 161.

17 Ebd., S. 213.

18 Studien ohne umfassende theoretische Basis bleiben oberflächlich. So etwa die Magisterarbeit Wuthes, welche zwar die Diskrepanz zwischen äußerlicher Schönheit und innerlichen Schwächen zu bemerken scheint, aber letztendlich nicht in der Lage ist, jene am Text zu veranschaulichen. Vgl. ELISABETH HERMINE WUTHE: Die schönen Männer im Parzival. Eine textimmanente Untersuchung von Schönheit, Körperlichkeit, Erotik und Sexualität am Beispiel der männlichen Figuren in Wolframs von Eschenbach Parzival. Magisterarbeit, Wien, 2008,S. 93ff.

19 Laufer verweist explizit in ihrem kurzen Beitrag auf die verschiedenen Funktionen von Fokalisierungen in vormodernen Texten. Fokale Passagen haben nicht nur einen Relativierungs- und Subjektivierungseffekt, sondern dienen insbesondere als literarisches Werkzeug der Sympathiesteuerung. Vgl. ESTHER LAUFER: Anmerkungen zur Fokalisierung in Wolframs Parzival. In: Vielheit und Einheit der Germanistik weltweit. Hrsg. von Franciszek Grucza, Frankfurt am Main: Peter Lang, 2012, S. 221.

20 So bei: JOACHIM BUMKE: Wahrnehmung und Erkenntnis im Parzival Wolframs von Eschenbach. In: Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150-1450. Hrsg. von Ursula Peters, Stuttgart: Metzler, 2001, S. 364.

21 Genette, 2010, S. 127.

1 Eine Aufstellung aller Textstellen, in denen Parzivals Schönheit ausdrücklich erwähnt wird, findet sich bei Johnson. Vgl. LESLIE PETER JOHNSON: Parzival’s Beauty. In: Approaches to Wolfram von Eschenbach. Five Essays. Hrsg. von Dennis Howard Green, Bern: Peter Lang, 1978, S. 295.

2 Haupt konstatiert, männliche und weibliche Schönheitsbeschreibungen gehen oftmals mit Andeutungen über verführerische Ausstrahlung einher. Vgl. Haupt, 2002, S. 55ff.

3 Eine Frage, welche die Forschung ebenfalls seit jeher beschäftigt. Haug behauptet mit Bezug auf Thesen Bumkes, der Parzivalfigur sei ein „subjektives Bewusstsein“ eigen. Letztendlich gehen beide davon aus, dass der Protagonist sich aber nicht entwickelt. Vgl. Haug, 2008, S. 155f. Und ebenfalls: Bumke, Stuttgart: Metzler, 2001,S. 357. Die Überlegungen führen neuerdings sogar bis zur Diskussion, inwiefern Wolframs Werk der Gattung Entwicklungsroman zu zuordnen sei. Vgl. RUTH SASSENHAUSEN: Wolframs von Eschenbach „Parzival“ als Entwicklungsroman. Gattungstheoretischer Ansatz und literaturpsychologische Deutung. Köln: Böhlau, 2007, S. 91ff.

4 Zu den mannigfaltigen Bedeutungsebenen von mittelhochdeutsch „ wîs “ siehe: ALOIS HAAS: Parzivals tumpheit bei Wolfram von Eschenbach. Berlin: Erich Schmidt, 1964, S. 19ff.

5wie sie waere eins wurmes amme,/der sît zerfuorte ir wamme,/und wie ein trache ir brüste süge,/und daz der gâhes von ir flüge,/sôdaz sin nimmer mêr gesach./daz herze err û zem lîbe brach:/die vorhte muose ir ougen sehen. “ (vv 104,11-17).

6 Vgl. ARTHUR THOMAS HATTO: Herzeloyde’s Dragon-Dream. In: German Life and Letters 21 (1968), S. 16ff.

7er wart mit swerten sît ein smit,/vil fiwers er von helmen sluoc:/sîn herze manlîch ellen truoc. “ (vv 112,28-30).

8 Die Interpretation, Wolfram habe ein sexuell verführerische Mutter gezeichnet, welche Parzival später als Ersatz für Gahmuret benutzt, führt zu weit. Der Text liefert außer einer kurzen Beschreibung des Stillens und eines mütterlichen Kusses keine annähernd erotisch aufgeladenen Situationen. Auch die Auslegung der Szene als Freude des Hofes über einen männlichen Erben greift zu kurz. Ginge es hier wirklich um genealogische Bedenken, wäre die Schilderung nicht nur auf die weiblichen Angehörigen des Hofes fokalisiert. Vgl. HELGA MÜLLNERITSCH: Letale Mutterliebe: Szenen einer Mutter-Kind-Beziehung zwischen Traum und Traumata in Wolframs von Eschenbach Parzival. In: Concilium medii aevi. Zeitschrift für Geschichte, Kunst und Kultur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 1 (1998), S. 30f.

9 Vgl. Haupt, 2002, S. 60.

10 Dass selbstständiges Stillen ohne Amme für hohe Adlige äußerst untypisch war, führt Müllneritsch aus. Vgl. Müllneritsch, 1998, S. 31ff.

11 Bumke erkennt eben diesen Sachverhalt: „Parzival ist als ein leeres Gefäß konstruiert, in dem sich nur das befindet, was ihm angeboren ist. Das sind einmal die bona corporis (...) und das ist zweitens der von Vaterseite und Mutterseite angeborene art.“ Siehe: Bumke, Stuttgart: Metzler, 2001, S. 359. Müller bestätigt diese These. Die Parzivalfigur sei zunächst mit Tugendhaftigkeit ausgestattet. Er erörtert in seinem Aufsatz die Problematik, inwiefern eine solche Person Schuld auf sich laden kann. „Ist Ethos vererbbar?“ Siehe: JAN-DIRK MÜLLER: Percevals Fragen - oder ein „Parzival“ ohne Mitleidsfrage? In: Wolframs Parzival-Roman im europäischen Kontext. Hrsg. von Klaus Ridder, Berlin: Erich Schmidt, 2014, S. 43.

Fin de l'extrait de 89 pages

Résumé des informations

Titre
Vom hässlichen Guten und schönen Bösen. Ambiguitäten literarischer Figurenbeschreibungen in Wolframs von Eschenbach "Parzival"
Université
Dresden Technical University
Note
1,3
Auteur
Année
2015
Pages
89
N° de catalogue
V313579
ISBN (ebook)
9783668123656
ISBN (Livre)
9783668123663
Taille d'un fichier
713 KB
Langue
allemand
Mots clés
guten, bösen, ambiguitäten, figurenbeschreibungen, wolframs, eschenbach, parzival
Citation du texte
Diana Walter (Auteur), 2015, Vom hässlichen Guten und schönen Bösen. Ambiguitäten literarischer Figurenbeschreibungen in Wolframs von Eschenbach "Parzival", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/313579

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