Die Computertechnologie Virtual Reality (VR) steht kurz vor ihrer Kommerzialisierung und verspricht die alltägliche Verfügbarkeit einer neuartigen Medienerfahrung, die es erlaubt, sich mithilfe neuer Displaytechnik und der sensorischen Verfolgung von Nutzerbewegungen auf realistische Weise in einer virtuellen Umgebung zu bewegen. In diesem Zusammenhang erfahren in jüngster Zeit kommerzielle Datenbrillen bzw. VR-Brillen (Head-Mounted Display, kurz: HMD) öffentliche Aufmerksamkeit.
Mediengeschichtlich betrachtet, handelt es sich um die Einführung einer neuen Mediengattung, deren global-gesellschaftlichen Auswirkungen zwar theoretisch von verschiedenen Wissenschaftlern beschworen werden (vgl. Bühl, 2000; Faßler, 2008), aber empirisch erst noch explizit erforscht werden müssen. Theoretisch ist beispielsweise die Rede davon, dass sich in den kommenden Jahren durch VR-Technologie der „technologische Kern unserer Gesellschaft“ (Bühl, 2000: 17) erneut verändern wird.
Im Allgemeinen wird in dieser Abschlussarbeit ein Teil dieses sich anbahnenden sozialen Wandels durch die gesellschaftliche Institutionalisierung von Virtual Reality-Technologie als potenzielles Massenmedium aus der Perspektive der Medien- und Kommunikationswissenschaft untersucht. Genauer leistet die Abschlussarbeit einen ersten, an zeitgenössischer Erfahrung orientierten Beitrag dazu, diese neue Medienform anhand ihrer gegenwärtig öffentlich bzw. kommerziell verfügbaren Medieninhalte zu untersuchen und davon ausgehend mögliche Ausgestaltungen der weiterführenden Etablierung dieser Medientechnologie aufzeigen.
Dazu werden veröffentlichte Inhalte in Form von Softwareangeboten für die Oculus Rift VR, eine der ersten kommerziellen VR-Brillen, untersucht. Genauer sollen anhand veröffentlichter Inhalte die Möglichkeiten und Grenzen des Erzählens, der Narrativität, kommerzieller VR-Technik erforscht und Rückschlüsse auf Virtual Reality als potenzielles Unterhaltungsmedium ermöglicht werden. Im Besonderen werden hier die noch nicht konventionalisierten inhaltlichen und gestalterischen Spezifikationen aus einer erzähltheoretischen Perspektive untersucht, welche sich mit einer, der Gegenstandsangemessenheit geschuldeten, transdisziplinären Theorieauswahl bedient.
Eine explorative Online-Befragung zur Nutzung und Rezeption von VR-Inhalten für die Oculus Rift (DK2) bildet dabei eine empirische Grundlage der am Medieninhalt orientierten Studie.
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Aufbau der Abschlussarbeit
1.2. Virtuelle Realität als Desiderat der Medien- und Kommunikationswissenschaft
1.3. Definition und thematische Einordnung von Virtual Reality
1.4. Institutionalisierung von Virtual Reality durch die Unterhaltungsindustrie
2. Die Wirklichkeit kommerzieller Head-Mounted Displays
2.1. Von First-Person Games zu Virtual Reality
2.2. Aktuelle VR-Technik am Beispiel der Oculus Rift als Platform und VR-Display
2.2.1. Die Hardware des Oculus Rift VR Developer Kit 2
2.2.2. Motion Sickness als Einschränkung für VR-Inhalte
2.3. Explorative Online-Befragung zur Nutzung der Oculus Rift
2.4. Explorative Online-Befragung zur Software-Entwicklung für die Oculus Rift
3. Narratologie und Virtual Reality
3.1. VR-Spezifische Erzähltheorien mit Blick auf Interactive Storytelling
3.2. Erzähltheorie im Kontext der Computerspielforschung
3.3.1. Computerspiele aus der Perspektive intratextueller Erzähltheorie
3.3.2. Computerspiele aus der Perspektive transmedialer Erzähltheorie
4. Narratologische Computerspielanalyse nach Markus Engelns
4.1. Computerspiele als Software mit unterschiedlichen Steuerungsmöglichkeiten
4.2. Die Rolle des Spielers
4.3. Narrativität als Konstrukt im Schnittbereich zwischen Spiel und Spieler
4.4. Differenzierung der Elemente des Computerspiels mit Realisierungsebenen
4.5. Vermittlungsdreieck – Interaktion von Einzelelementen zwischen den Realisierungsebenen
4.6. Elemente narrativer Rezeptionsangebote zur Realisierung von Narrativität
5. Analyse: Narrative Typisierung von Asunder als Computerspiel
5.1. Begründung der Auswahl des Untersuchungsgegenstands
5.2. Lineare Beschreibung des Spielverlaufs
5.3. Anwendung des analytischen Fragebogens von Markus Engelns
5.4. Figuration der Typologie
5.5. Analysefazit
6. Elemente narrativer Rezeptionsangebote als VR-Inhalt im Verhältnis von Narration, Simulation und Interaktion
7. Fazit
8. Ausblick
Computerspieleverzeichnis
Literaturverzeichnis
Sonstige Quellen
Anhang
Eigenständigkeitserklärung
Felix Hanser Matrikelnummer 1354405
Ich versichere, dass ich die Masterarbeit mit dem Titel „ Game Studies im Paradigma Virtueller Realität – Eine narratologische Exploration experimenteller Virtual-Reality-Inhalte im Kontext der Oculus Rift Entwicklergemeinschaft“ selbstständig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus Veröffentlichungen in schriftlicher oder elektronischer Form entnommen sind, habe ich als solche unter Angabe der Quelle kenntlich gemacht.
Mir ist bekannt, dass im Falle einer falschen Versicherung die Arbeit mit ‚nicht ausreichend‘ bewertet wird. Ich bin ferner damit einverstanden, dass meine Arbeit zum Zwecke eines Plagiatsabgleichs in elektronischer Form verarbeitet, versendet und gespeichert werden kann.
Mannheim den 21.04.2015 – Unterschrift
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei allen bedanken, die mich bei der Anfertigung dieser Arbeit unterstützt haben.
Besonderer Dank geht an Prof. Dr. Jens Eder für die freundliche Betreuung und die Freiheit, sich eigene Themen erschließen zu können, Prof. Dr. Matthias Kohring für die spontane Begutachtung dieser Abschlussarbeit, Dr. Markus Engelns für das ausführliche Feedback, Alexander Hutzel und Lena Geiger für geduldiges Lesen, viele Hinweise und gute Ratschläge, sowie meiner Familie für Rückhalt und moralische Unterstützung.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: First-Person Perspektive des Adventure Games Gone Home (The Fullbright Company, 2014).
Abbildung 2: Typische Ego-Shooter Perspektive mit der Gleichsetzung des Blickmittelpunkts mit dem Trefferpunkt. Screenshot aus Advanced Warfare (Sledgehammer Games, 2014).
Abbildung 3: Stereoskopisch subjektive Perspektive mit der Oculus Rift VR. Eigener Screenshot aus Windlands (Ilja Kivikangas, 2014).
Abbildung 4: Oculus Rift VR Developer Kit 2 mit Kamera zur sensorischen Verfolgung der Kopfbewegung.
Abbildung 5: Desorientierung zum Spielbeginn von Half Life 2: Episode 2. Eigener Screenshot.
Abbildung 6: Modell der versteckten Geschichte als Pfadstruktur nach Marie-Laure Ryan (2001: 253).
Abbildung 7: Modellierung des Schnittbereichs zwischen Rezipient und Computerspiel nach Markus Engelns (2014: 156).
Abbildung 8: Modellierung von Refereinzialisierungsebenen nach Markus Engelns (2014: 133).
Abbildung 9: Interaktion der Realisierungsebenen durch Vermittlung nach Markus Engelns (2014: 137).
Abbildung 10: Interaktion der Vermittlungsebenen nach Markus Engelns (2014: 152).
Abbildung 11: Zusammengefasstes Modell zur Analyse von Computerspielen nach Markus Engelns (2014: 156).
Abbildung 12: Achse der Handlung nach Markus Engelns (2014: 278).
Abbildung 13: Narrativer Ursprung im Zentrum der Typologie nach Markus Engelns (2014: 278).
Abbildung 14: Innerspielweltliche Text-Box in Asunder: Earthbound (Aldin Dynamics, 2014).
Abbildung 15: Verschiedene Textelemente im Rezeptionsverlauf von Asunder: Earthbound (Aldin Dynamics, 2014).
Abbildung 16: Vorgeschichtlicher Hinweis auf eine spätere Konfrontation.
Abbildung 17: Asunder als Hommage an Bioshock. Eigener Screenshot des Prologs von Bioshock (2K, 2007).
Abbildung 18: Syntagmatische Figurationen von Asunder nach Markus Engelns (2014: 333).
Abbildung 19: Rein pragmatische Figuration von Asunder als Kontrast zwischen topischem Pool und Isotopien nach Markus Engelns (2014: 335).
Abbildung 20: Asunder als unvollständige Auflösungsfiguration (vgl. Engelns, 2014: 336 ff.).
Tabellenverzeichnis
Table 1: Vergleichstabelle verschiedener narrativer Formen nach Aylett & Louchart (2003: 4).
1. Einleitung
Die Computertechnologie Virtual Reality (VR) steht kurz vor ihrer Kommerzialisierung[1] und verspricht die alltägliche Verfügbarkeit einer neuartigen Medienerfahrung, die es erlaubt, sich mithilfe neuer Displaytechnik und der sensorischen Verfolgung von Nutzerbewegungen auf realistische Weise in einer virtuellen Umgebung zu bewegen. In diesem Zusammenhang erfahren in jüngster Zeit kommerzielle Datenbrillen bzw. VR-Brillen (Head-Mounted Display, kurz: HMD) öffentliche Aufmerksamkeit. Mediengeschichtlich betrachtet, handelt es sich um die Einführung einer neuen Mediengattung, deren global-gesellschaftlichen Auswirkungen zwar theoretisch von verschiedenen Wissenschaftlern beschworen werden (vgl. Bühl, 2000; Faßler, 2008), aber empirisch erst noch explizit erforscht werden müssen.
Theoretisch ist beispielsweise die Rede davon, dass sich in den kommenden Jahren durch VR-Technologie der „technologische Kern unserer Gesellschaft“ (Bühl, 2000: 17) erneut verändern wird. VR schafft als Computertechnologie die Möglichkeit virtueller Räume, welche die gesellschaftlichen Strukturen der Industriegesellschaft revolutionieren können, da sie eine weiterführende Entgrenzung und Entzeitlichung in qualitativ neuem Maß ermöglicht. Virtual Reality unterscheidet sich von den bisher etablierten Technologien der Industriegesellschaft nicht nur durch ihre Eigenschaft, ein Werkzeug zu sein, das sich in den unterschiedlichsten Lebensbereichen einsetzen lässt, sondern manifestiert als „Megatechnologie der Zukunft […] die Dominanz des virtuellen Raumes; als Schlüsseltechnologie der virtuellen Gesellschaft realisiert Virtual Reality erstmals die Eigenschaft des digitalen Rechners, ‚Universalmaschine‘ zu sein“ (Bühl, 2000: 17).
Im Allgemeinen wird in dieser Abschlussarbeit ein Teil dieses sich anbahnenden sozialen Wandels durch die gesellschaftliche Institutionalisierung von Virtual Reality-Technologie als potenzielles Massenmedium aus der Perspektive der Medien- und Kommunikationswissenschaft untersucht. Genauer leistet die Abschlussarbeit einen ersten, an zeitgenössischer Erfahrung orientierten Beitrag dazu, diese neue Medienform anhand ihrer gegenwärtig öffentlich bzw. kommerziell verfügbaren Medieninhalte[2] zu untersuchen und davon ausgehend mögliche Ausgestaltungen der weiterführenden Etablierung dieser Medientechnologie aufzeigen.
Fachhistorisch betrachtet steht die Abschlussarbeit damit in der Tradition klassisch medienwissenschaftlicher Forschung, die lange Zeit den Gegenstand ihres Faches allein in der Struktur und Wirkung der Medien inhalte auf die Rezipienten verortet hat (vgl. Bonfadelli, 2002: 12). Auf diese Weise wurde jedoch in den meisten Studien die Rolle des „Transmitters“, der Medien form, aus der Betrachtung weitgehend ausgeklammert (vgl. Schelhowe, 1997: 70). Demgegenüber hat bereits Marshall McLuhan die Eigenschaften des Mediums als zentrale Wirkdimension problematisiert (vgl. McLuhan, 1962; Bühl, 2000: 110f.), was heute unter dem Begriff der Medialität diskutiert wird (vgl. Krämer, 1998; Krämer, 2004; Krämer, 2008; Meitz, 2011; Meyrowitz, 1985; Meyrowitz 2009). Im Gegensatz dazu wurde die Erforschung von Virtual Reality als eine neue computergestützte Technologie jedoch hauptsächlich auf ihre technischen Eigenschaften hin und die damit verbundenen psychologischen Wirkungszusammenhänge erforscht. Diese Abschlussarbeit soll nun sozusagen komplementär dazu einen ersten Schritt unternehmen, sich der Untersuchung von Medieninhalten dieser neuen Medienform zu widmen, um auf lange Sicht die spezifischen, kommunikativen Eigenschaften von Virtual Reality im Spannungsverhältnis zwischen Form und Inhalt zu erforschen.
Dazu werden veröffentlichte Inhalte in Form von Softwareangeboten für die Oculus Rift VR, eine der ersten kommerziellen VR-Brillen, untersucht. Genauer sollen anhand veröffentlichter Inhalte die Möglichkeiten und Grenzen des Erzählens, der Narrativität, kommerzieller VR-Technik erforscht und Rückschlüsse auf Virtual Reality als potenzielles Unterhaltungsmedium ermöglicht werden. Im Besonderen werden hier die noch nicht konventionalisierten inhaltlichen und gestalterischen Spezifikationen aus einer erzähltheoretischen Perspektive untersucht, welche sich mit einer, der Gegenstandsangemessenheit geschuldeten, transdisziplinären Theorieauswahl bedient.
Der kommerzielle Charakter der Technologie und ihrer inhaltlichen Angebote ist dabei wichtig, da zur Einschränkung vieler Studien das Bewusstsein zählte, dass die technologischen Eigenschaften lediglich Idealkriterien darstellen, „[…] die zur Zeit nur von sehr komplexen Entwicklungsumgebungen, und dies auch nur ansatzweise, erfüllt werden“ (Bühl, 2000: 121). In dieser Abschlussarbeit soll nun – sozusagen zur Erhöhung der Repräsentativität – diesen Idealkriterien mit der (nach bestem Wissen des Autors) ersten Untersuchung von Medieninhalten einer auf ein Massenpublikum ausgerichteten VR-Brille begegnet werden. Die Forschungsfrage lautet damit wie folgt: Welche Möglichkeiten des Erzählens bietet zeitgenössische, kommerziell ausgerichtete Virtual Reality-Technologie am Beispiel der Oculus Rift VR?
Das Ziel dieser explorativen Abschlussarbeit ist es vorläufige Hypothesen zu generieren, welche weiterführende Untersuchung von VR-Inhalten anregen und unterstützen sollen. Wissenschaftstheoretisch betrachtet, handelt es sich damit bei der Abschlussarbeit um eine grundlegende Fallstudie („in-depth case study“, vgl. Creswell, 2009: 126 ff.), in welcher objektspezifische Analysekategorien für einen Forschungsgegenstand, unter Einbeziehung ihres Kontextes und unter Verwendung verschiedener Datenquellen, expliziert werden (vgl. Hussy, Schreier, & Echterhoff, 2010: 193), für den bis dato keine hinreichend erklärenden Theorien vorliegen.
1.1. Aufbau der Abschlussarbeit
Die Abschlussarbeit orientiert sich an den neuesten Entwicklungen kommerzieller VR-Technologie. Um sich dem Thema im ersten Kapitel zu nähern, wird zunächst der Forschungsbereich im Kontext der Medien- und Kommunikationswissenschaft umschrieben (Kapitel 1.2.) und der Forschungsgegenstand spezifiziert (Kapitel 1.3.), bevor diese aktuellen Entwicklungen zur Kommerzialisierung von VR-Technologie am Beispiel der prototypischen VR-Brille namens Oculus Rift VR genauer erläutert werden (Kapitel 1.4.).
Daraufhin werden im zweiten Kapitel die empirischen Grundlagen und der soziale Kontext für die weiteren Untersuchungen dargelegt. Zuerst wird in einem Vergleich zwischen der First-Person bzw. Ego-Perspektive von Computerspielen und der stereoskopisch-subjektiven Perspektive von VR-Brillen die besondere Qualität zeitgenössischer VR-Technologie erläutert (Kapitel 2.1.). Danach werden die technischen Eigenschaften und Rezeptionsbedingungen der Oculus Rift VR-Brille erläutert (Kapitel 2.2.). Der soziale Kontext dieser prototypischen VR-Technologie wurde schließlich in zwei explorativen Online-Befragungen innerhalb der Entwicklergemeinschaft der Oculus Rift Online-Community untersucht. Deren Ergebnisse zur individuellen Nutzung der VR-Brille und der allgemeinen Rezeption von VR-Inhalten (Kapitel 2.3.), sowie der Software-Entwicklung für die prototypische VR-Hardware (2.4.) werden als Grundlage für die weitere Untersuchung dargestellt.
Das dritte Kapitel führt vor diesem Hintergrund in die Erzählforschung (Narratologie) im Kontext von Virtual Reality ein. Zunächst werden speziell für VR entwickelte Erzähltheorien exemplarisch erläutert und deren mangelnde Übertragbarkeit auf den Anwendungsfall zeitgenössischer VR-Brillen, als Erweiterung eines bestehenden Computerbildschirms, begründet (Kapitel 3.1.). Demgegenüber werden in der Computerspielforschung (Game Studies) etablierte Erzähltheorien auf ihre Anwendbarkeit für die spezifische Rezeptionssituation zeitgenössischer VR-Brillen untersucht (Kapitel 3.2.). Die Anwendung klassischer Erzähltheorien zur Untersuchung von Computerspielen wird problematisiert (Kapitel 3.2.1.). Dagegen versprechen transmediale Erzähltheorien der Komplexität von Computerspielen gerecht zu werden, weshalb diese im Weiteren als vorläufige Grundlage für die Untersuchung von VR-Inhalten herangezogen werden (Kapitel 3.2.2.).
Im vierten Kapitel wird das transmediale Analysemodell von Markus Engelns (2014) zur narratologischen Untersuchung von Computerspielen vorgestellt, welches im fünften Kapitel in Form eines analytischen Fragebogens für die exemplarische Untersuchung eines als besonders narrativ beworbenen ‚VR-Spiels‘ eingesetzt wird. Dabei werden nach der ausführlichen Begründung des Analysegegenstands (Kapitel 5.1.) und der linearen Beschreibung des Rezeptions- bzw. Spielverlaufs (Kapitel 5.2.) die einzelnen narrativen Elemente des VR-Inhalts schrittweise identifiziert und dessen narrative Rezeptionsangebote diskutiert.
Das sechste Kapitel befasst sich anschließend mit der Reflexion dieser narrativen Elemente des Analysegegenstands im Spannungsverhältnis zwischen Narration, Simulation und Interaktion in Anbetracht der spezifischen Rezeptionssituation von VR-Brillen.
Abschließend fasst das siebte Kapitel die Untersuchungsergebnisse zusammen und das achte Kapitel gibt einen kurzen Ausblick auf allgemeine theoretische Implikationen und mögliche Ansatzpunkte für die weitere medien- und kommunikationswissenschaftliche Erforschung zeitgenössischer VR-Technologie.
1.2. Virtuelle Realität als Desiderat der Medien- und Kommunikationswissenschaft
Die Idee einer virtuellen Realität reicht in der Menschheitsgeschichte zurück bis zu Platons Höhlengleichnis und findet in der jüngeren Geschichte eine erste Erwähnung 1938 bei Antonin Artraud, einem französischen Theaterschriftsteller, der sich theoretisch mit der Verbindung von alchemistischen Prinzipien mit denen des Theaters auseinandersetzt (vgl. Hillis, 2014: 510): “[He was] asserting that theater can create a virtual reality […] that transforms matter from spirit or mind and in which characters, images, and objects ‘take on the phantasmagoric force of alchemy’s visionary internal dramas’” (Hillis, 2014: 510, nach Davis, 1998: 190).[3]
Die Medien- und Kommunikationswissenschaft hat es bisher jedoch versäumt sich ausführlich mit Virtual Reality als Technologie und potenzielles Massenmedium zu beschäftigen. In Anbetracht der vielmals beschworenen, neuen Qualität von VR als Medienerfahrung und ihrer gesellschaftlich-kommunikativen Relevanz zur Erweiterung der Möglichkeiten einer oftmals permanenten Onlinekommunikation (vgl. Vorderer & Kohring, 2013) ist also eine stärkere Thematisierung in den Medien- und Kommunikationswissenschaften überfällig.
Gegenwärtig wurde VR neben den technischen Voraussetzungen in der Informatik hauptsächlich im Bereich psychophysiologischer Grundlagenforschung in der Wahrnehmungs- und Kognitionspsychologie untersucht[4], der Anwendung für klinische Interventionen im Paradigma der positiven Psychologie (vgl. Riva, Waterworth, & Murray, 2014: 123 ff.; Wiederhold, Riva, & Wiederhold, 2014), der medienpsychologisch ausgerichteten Präsenzforschung (vgl. Wirth, Hofer, & Schramm, 2012)[5] und der kommunikationswissenschaftlichen Rezeptionsforschung (vgl. Christoph Klimmt, Hartmann, & Vorderer, 2005).
Darüber hinaus wurde der besondere Rezeptionszustand in VR auch für verschiedene Rezeptionssituationen ohne virtuelle Umgebung untersucht. Medienpsychologische und kommunikationswissenschaftliche Studien zu sogenannten Präsenz-Zuständen finden so einerseits im Bereich der Rezeptionsforschung klassischer Medien statt, beispielsweise in Verbindung mit dem Lesen von Text (vgl. Schubert & Crusius, 2002; Wirth, Böcking, & In-Albon, 2006), sowie bei der Film- und Fernsehrezeption (vgl. Bracken, 2005). Zum anderen wird dieses Präsenzerleben mit unterschiedlichen Medienwirkungen in Zusammenhang gebracht, etwa mit Unterhaltungserleben (vgl. Hartmann, Klimmt, & Vorderer, 2010; Mögerle, Böcking, Wirth, & Schramm, 2006), persuasiven und potenziell manipulativen Effekten (vgl. Biocca, 1997; Heineken & Schulte, 2007; Lombard, Ditton, & Weinstein, 2009) oder der Aggressionssteigerung nach der Nutzung gewalthaltiger Medieninhalte (vgl. Skalski, Denny, & Shelton, 2010).
Die Allgemeinheit wissenschaftlicher Publikationen zu VR fokussierten sich dementsprechend, nach wie vor, auf folgende Themen der Technik und Wahrnehmung: Simulation, Interaktivität, Künstlichkeit, Immersion, Präsenzerleben, projiziert-holografische Raum-Erweiterung (Virtuelle Umgebung ohne Head-Mounted Display) und Online-Kommunikation (vgl. Heim, 1993 nach Hillis, 2014: 513). Außerdem wird VR in der kulturwissenschaftlich ausgerichteten Medienwissenschaft meistens nur als theoretisches Zukunftskonzept am Rande historischer Digitalisierungsdiskurse erwähnt (vgl. Manovich, 2007: 101 ff.) oder unterliegt in Studien zur Medientransformation mit Fokus auf Laborstudien und individuellen Medienkunst-Projekten stets der Einschränkung mangelnder Repräsentativität (vgl. Missomelius, 2006: 176 ff.). Auch kulturwissenschaftlich prospektive Studien sind die Ausnahme (vgl. Enderlein, 2003).
Was also bisher in einer gewünschten Breite an Studien fehlt, ist der Bezug zwischen technischer Form und ihrer Inhalte, also den Inhalten der untersuchten virtuellen Realitäten. Dieser Umstand verweist deutlich auf einen Mangel an explorativen Untersuchungen von Medieninhalten sowie der allgemeinen, medienkulturellen Differenzierung von VR. Zwar beziehen sich Studien zu Computerspielen teilweise auf das Konzept ‚virtueller Umgebungen‘, um die Erfahrung des Computerspielens zu beschreiben (vgl. Thon, 2014: 270). Aber ausschließlich auf Virtual Reality ausgerichtete, empirische Studien stellen in der Medien- und Kommunikationswissenschaft eine Forschungslücke dar, von Untersuchungen inhaltlicher Ausprägungen und Strukturen ganz zu schweigen.
Es gibt jedoch einige wenige Studien, die sich der besonderen Rezeptionssituation von VR mit speziell narratologischem Interesse nähern. Diese Studien haben aber, wie bereits erwähnt, die Form kausallogischer Laborstudien in psychologischem Kontext (vgl. Balakrishnan & Sundar, 2011) oder nähern sich dem Thema rein deduktiv (vgl. Biocca, 2002; Murray, 1997). Vor diesem Hintergrund soll die Abschlussarbeit die Forschungslücke qualitativ und induktiv vorgehender Untersuchungen[6], mit Blick auf die Inhalte dieser spezifischen Rezeptionssituationen, schließen.
Diese Abschlussarbeit widmet sich in Anbetracht dieser Forschungslücke speziell der Frage, wie die einzeln präsentierten Ereignisse und Interaktionen in Virtual Reality in ihrer Gesamtheit als Narration konstruiert werden und wie sich diese von Erzählungen in Computerspielen als vergleichbare interaktive Medienform unterscheiden.
Um der Frage nachzugehen, werden zeitgenössische VR-Inhalte (von Nutzern auch „VR-Games“ bezeichnet) untersucht. Zunächst sollen dafür die technisch-empirischen Grundlagen und Besonderheiten gegenwärtig verfügbarer VR-Brillen und VR-Inhalte beispielhaft erläutert werden, bevor ausführlich auf die erzähltheoretische Untersuchung von VR-Inhalten eingegangen wird.
1.3. Definition und thematische Einordnung von Virtual Reality
Virtual Reality (VR) bezeichnet eine spezifische Konfiguration von Computer- und Bildschirmtechnik, die es (a) ermöglicht eine dreidimensionale Umgebung zu simulieren, mit der (b) ein Rezipient relativ realistisch interagieren kann, was (c) mittels spezieller, elektronischer Geräte ermöglicht wird, wie zum Beispiel mit einem Helm, mit integriertem Bildschirm bzw. Display (Head-mounted Display, kurz: HMD) oder mit speziellen Handschuhen, die mit Bewegungssensoren ausgestattet sind[7]. Als Display-Technologie dient VR speziell dazu, ein Maximum an Immersion zu erzeugen, was auch mit dem Begriff Presence bzw. Präsenzerleben spezifiziert wird. Beide Konzepte werden oft nicht trennscharf verwendet.
Immersion bezeichnet einen Erlebniszustand der bei der Nutzung digitaler Medien auftritt und zeitweise die Illusion einer unvermittelten Mediennutzung (Illusion der Nichtmediation) erzeugt, durch die vollständige Vereinnahmung der Sinne von medial vermittelten Reizen, „[damit] wir Bilder nicht nur anschauen, sondern in den Bildraum auch eintreten und auf die Bildumgebung ohne (wahrnehmbare) Zeitverzögerung einwirken können“ (Krämer, 1998: 13). Hierbei wird Als eine Wirkungsdimension digitaler Medien wird hierbei von einer interaktiven Rezeptionshaltung ausgegangen: „Along with surface versus depth, the opposition between information and 'immersion' can be thought of as particular expression of the more general opposition characteristic of new media: between action and representation“ (Manovich, 2007: 192). In früherer Literatur wurde Immersion zudem ausdrücklich auf virtuelle Umgebungen bezogen:
„Immersive is a term that refers to the degree to which a virtual environment submerges the perceptual system of the user in computer-generated stimuli. The more the system capivates the senses and blocks out stimuli from the physical world, the more the system is considered immersive“ (Biocca & Delaney, 1995: 57).
Demgegenüber bezeichnet Präsenzerleben (engl: Presence)[8] den speziellen Eindruck, sich körperlich bzw. räumlich in einer virtuellen Umgebung verortet zu empfinden (vgl. Haans & Ijsselsteijn, 2012; Heeter, 1992; Wirth et al., 2007) und zirkuliert um die Idee, dass Rezipienten zeitweise die vermittelte Medienwirklichkeit als ihre unvermittelte Realität empfinden (vgl. u.a. Schubert, 2009: 162 f.).
Präsenzerleben beschreibt damit einen wahrnehmungspsychologischen Zustand, der in dieser medial vermittelten Ausprägung speziell Virtual Reality vorbehalten ist. Vereinfacht ausgedrückt, beschreibt Präsenzerleben den Schnittbereich zwischen der Display-Technologie und der visuellen Wahrnehmung des Rezipienten, der diesen Zustand als ein Gefühl des „being there“ in der virtuellen Umgebung erlebt.
Im Vergleich zur spezifischen Zuordnung von Präsenzerleben wird Immersion als ein übergeordnetes, transmediales Konzept dazu verwendet, Medien in Ihrer Möglichkeit, Informationen zu repräsentieren, graduell zu vergleichen (vgl. Thon, 2014: 270). So lassen sich Printmedien (literarische Texte oder Bilder) auf einem Kontinuum als ‚minimal immersiv‘ beschreiben. Denn das Lesen eines Romans kann zwar einen ähnlichen Erlebniszustand erzeugen, der als Narrative Transportation bezeichnet wird und ein ähnliches Eintauchen in eine fiktionale Welt beschreibt (vgl. Gerrig, 1993; Green, Chatham, & Sestir, 2012). Dieser Erlebniszustand basiert jedoch auf reiner Imagination, wird nicht von medientechnisch erzeugten Sinneseindrücken hervorgerufen und erfolgt zudem ohne Interaktivität. Ähnlich verhält es sich mit der Rezeption von Filmen (vgl. Schweinitz, 2006, nach Thon, 2014: 270). Demgegenüber wird die besondere, präsenzerzeugende Erlebnisqualität einer ‚maximalen Immersion‘ VR zugeschrieben, indem solche Display-Konfigurationen auch als voll-immersive Medientechnologie beschrieben werden (vgl. Hillis, 2014: 511f.): „[…] VR‘s formal ability to suggest to users‘ perception that its interface dispenses with a frame, but whereas fully immersive VR implies that the users might become part of its display […]“ (Hillis, 2014: 514). Jedoch herrscht für die spezifische Differenzierung auf VR bezogener Konzepte keine einheitliche Meinung, was insbesondere in Vergleichen von Virtual Reality und Computerspielen deutlich wird:
„Presence ist ein Konzept der Erforschung zu virtuellen Realitäten, in die der Spieler immersiv mit einer Sichtbrille und mit einem Körperinterface selbst eintritt. Demgegenüber bewerten viele Studien virtuelle Realitäten in Computerspielen als nicht-immersiv (Schroeder, 2002: 2), weil der Spieler jederzeit die Vermittlung durch einen Computermonitor sieht und somit das Medium nicht vollends transzendieren kann“ (Engelns, 2014: 117 f.).
Über diese computertechnische Differenzierungen anhand psychologischer Medienwirkungen hinaus, verweist der Begriff der Virtual Reality außerdem auf die individuelle oder kollektive menschliche Erfahrung, sowie die kulturellen Praktiken die mit dieser Erfahrung einhergehen und durch VR als Technologie konstituiert werden (vgl. Hillis, 2014: 512).
Zusammengefasst wird Virtual Reality jedoch im Rahmen dieser Abschlussarbeit als Forschungsgegenstand an der Grenze zwischen Computertechnik und der subjektiv unbewussten (Selbst-)Wahrnehmung körpereigener Bewegungen (Propriorezeption bzw. Propriozeption, vgl. Barsalou, 2008: 618). Indessen stützt sich die Abschlussarbeit auf die Grundannahmen der Perceptual-Symbol - bzw. Embodied-Cognition -Theorien, in denen davon ausgegangen wird, dass Rezipienten Situationsmodelle aufbauen, die in mehreren Erfahrungsdimensionen organisiert sind (vgl. Lakoff & Johnson, 1999; Lakoff, 1987): „Die Repräsentationen enthalten sogenannte perzeptuelle Symbole, d.h. Informationen des visuellen Flussfeldes sowie propriozeptive, motorische und haptische Informationen“ (Batinic & Apell, 2008: 391). Damit wird Virtual Reality in dieser Abschlussarbeit vorläufig als Medium propriozeptiver Raumerfahrung aufgefasst.
1.4. Institutionalisierung von Virtual Reality durch die Unterhaltungsindustrie
In der Wissenschaft und Industrie findet VR-Technologie bereits seit mehreren Jahren ihre Anwendung (vgl. Rollwagen, 2008: 151). Die Etablierung und Integration von VR in den Alltag einer breiten Öffentlichkeit blieb jedoch stets aus. Seit 2011 wird Virtual Reality nun in öffentlichen Diskussionen um aktuelle Zukunftstechnologien wieder verstärkt thematisiert. Ausschlaggebend dafür waren vor allem Impulse innerhalb der Computerspielbranche. 2012 wurde mit der Oculus Rift VR eine auf Konsumentenbedürfnisse zugeschnittene und günstige Version einer VR-Brille präsentiert. Der junge Unternehmer Palmer Luckey bewarb sich zur unterstützenden Finanzierung auf dem Crowdsourcing-Portal (vgl. Speidel, 2014: 104 f.) Kickstarter mit der Botschaft bzw. dem Projektversprechen: „Developer Kit for the Oculus Rift – The first truly immersive virtual reality headset for video games”[9]. In dieser Kickstarter-Kampagne bat Luckey als Unternehmer die Kickstarter-Community um 250.000 Dollar, um die für Computerspiele entwickelte VR-Brille produzieren und für 300 Dollar zum Kauf anbieten zu können. Insgesamt erzielte die Kampagne rund 2,5 Millionen Dollar und in zwei weiteren Finanzierungsrunden wurde das Projekt mit rund 91 Millionen Dollar von Investoren unterstützt[10]. Darüber hinaus erhielt das Projekt öffentliche Unterstützung von zahlreichen bekannten Persönlichkeiten aus der Spielebranche. Bei dem nun seit 2013 über die Unternehmens-Website vertriebenen Produkt handelt es sich um eine noch nicht ausgereifte Entwickler-Version (Developer Kit), die sich an Software-Entwickler und Enthusiasten richtet, welche mit VR-Hardware experimentieren oder ihre Software dafür optimieren möchten. 2014 wurde entsprechend der kontinuierlichen, technischen Weiterentwicklung eine verbesserte Version veröffentlicht (Developer Kit 2). Schließlich wurde das Unternehmen Oculus von Facebook aufgekauft, was das öffentliche Interesse gegenüber einem möglichen VR-Trend noch verstärkte[11].
Andere große Unternehmen wie Sony und Samsung haben 2014 eigene, kommerzielle Projekte der Öffentlichkeit präsentiert und mit dem Samsung Gear VR -Headset wurde bereits ein erstes VR-Produkt veröffentlich, welches ein Smartphone als Display integriert.
Damit ist VR nun erneut auf der gesellschaftlich-technologischen Agenda und Unternehmen sind dabei, Anwendungskontexte zu identifizieren und Produkte zu entwickeln. Aus Perspektive der Theorie zur Diffusion von Innovationen lässt sich folglich behaupten, dass VR Technologie nun käuflich ist, jedoch erst eine relativ kleine Nutzergruppe spezifisch interessierter Enthusiasten (Early Adopters) und Journalisten sich gegenwärtig die Technologie aneignen und als Meinungsführer agieren (Rogers, 1983: 247 ff.; Schenk, 2007: 771). Eine weiterführende Kommerzialisierung mittels spezifisch produzierter Unterhaltungsangebote und einer Aneignung durch ein breites Massenpublikum steht noch aus. Dennoch glauben Marktforscher an einen wachsenden VR-Markt: Laut einer Befragung des Branchenverbands Bitkom können sich 35 Prozent aller deutschen Spieler ab 14 Jahren vorstellen, eine VR-Brille zu kaufen und zwölf Prozent der Spieler haben fest vor eine VR-Brille zu kaufen[12]. Eine andere, europaweite Umfrage ergab, dass rund 30% der Befragten VR-Brillen kaufen möchten[13]. Insgesamt kann somit dieser aktuelle Trend als eine frühe Phase der Institutionalisierung von Virtual Reality als Unterhaltungsmedium bezeichnet werden. Die lange als unumstößlich geltende These „The technology has yet to reach the door of the lab” (Hillis, 2014: 512) muss schließlich verworfen werden. Die gegenwärtig vermarkteten Konsumentenversionen einer VR-Konfiguration beschränken sich noch auf VR-Brillen als Display-Technologie. Als VR-Technologie stellt ein Display in Brillenform das mit geringem Risiko verbundene, minimal zu realisierende Produkt dar (vgl. Junk, 2000: 2), welches nach erfolgreicher Kommerzialisierung weitere VR-Produkte nach sich ziehen dürfte. VR-Brillen werden momentan also noch modular als Displayerweiterung an bestehende Systeme, wie einen Computer oder ein Smartphone, gekoppelt und müssen sich in der Praxis erst noch als Unterhaltungsplattform bewähren.
Allen voran ist die konkrete Ausgestaltung kommerzieller Medieninhalte für diese Technologie noch in der Entstehung begriffen. VR-Inhalte werden dabei gegenwärtig noch als ‚VR-Games‘ bezeichnet, als handele es sich um eine spezifische Form des Computerspielens. Diese VR-Inhalte stehen nun im Zentrum dieser medienwissenschaftlichen Abschlussarbeit, weshalb im Folgenden nun die medienwissenschaftliche Perspektive auf das Thema kommerzieller VR-Brillen erläutert wird.
2. Die Wirklichkeit kommerzieller Head-Mounted Displays
Die besondere, präsenzerzeugende Rezeptionsqualität und Situation von Virtual Reality lässt sich auch als Perspektivenverschiebung zwischen Computerspielen, die aus der ersten Person dargestellt werden – First-Person Games wie Ego-Shooter oder First-Person Adventures – und der Oculus Rift VR-Brille, als ein erster Prototyp kommerzieller Head-Mounted Displays für ein Massenpublikum, verdeutlichen. Dabei wird ersichtlich, dass theoretische Betrachtungen zur Rezeptionsperspektive in First-Person Games bereits Eigenschaften beanspruchen, die im direkten Vergleich zur VR-Perspektive jedoch neu diskutiert werden müssen.
2.1. Von First-Person Games zu Virtual Reality
Abbildung 1: First-Person Perspektive des Adventure Games Gone Home (The Fullbright Company, 2014).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Stephan Günzel (2012) schreibt der Bild-Perspektive aus der ersten Person mehrere Besonderheiten zu. Die primäre Bildansicht des Ego-Shooters könne als subjektiv und realistisch bezeichnet werden. Die Perspektive des Interaktionsbildes aus der ersten Person ist demnach eine originäre, da sie phänomenologisch nicht aus einer anderen abgeleitet werden kann. Daher spricht Stephan Günzel dem Ego-Shooter als Interaktionsbild die Eigenschaft der Ipseität bzw. Selbstheit als originäres Strukturmerkmal der ersten Person zu, in welcher der Spieler sein Ego/Ich an Stelle der Spielfigur wahrnimmt (vgl. Günzel, 2012: 178). Allerdings setzen First-Person Games stets den Blickmittelpunkt mit einem Interaktionsfokus (siehe Abb. 1)[14] oder dem Zielkreuz einer Schusswaffe gleich (siehe Abb. 2)[15].
Abbildung 2: Typische Ego-Shooter Perspektive mit der Gleichsetzung des Blickmittelpunkts mit dem Trefferpunkt. Screenshot aus Advanced Warfare (Sledgehammer Games, 2014).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Günzel bleibt daher in seiner Beschreibung der Ego-Perspektive sehr allgemein und nicht trennscharf genug, wenn er die subjektive Perspektive im Computerspiel als Simulationsbild zur Verortung des Ichs und seinen Handlungen in einer virtuellen Umgebung, vor dem Hintergrund der phänomenologischen Philosophie von Edmund Husserl und Maurice Merleau-Ponty, einer annähernden Übereinstimmung zur real-subjektiven Perspektive des Spielers gleichsetzt (vgl. Günzel, 2012: 185). Im Vergleich zu einer subjektiven Perspektive mittels VR-Brille erscheint diese Behauptung unspezifisch und greift zu kurz. Jedoch liefert Günzel einen zentralen Punkt zum Vergleich von Ego- und VR-Perspektive, indem er auf den Diskurs zur Differenzierung des Konzepts der Immersion in der Computerspielforschung bezüglich der Grenzverwischung der Bildpräsentation verweist. So lässt sich nach Günzel (2012: 73) das Computerspiel von VR in Relation zum Bild unterscheiden in (a) der materiellen Eigenschaft und (b) einem psychischen Zustand:
„Immersion auf der Ebene des Bildträgers liegt etwa in begehbaren Bildsimulationen wie einer CAVE (Cave Automatic Virtual Environment) oder in der Verwendung von Datenbrillen (Head Mounted Display) vor. In beiden Fällen kann der Rahmen als Grenze zwischen Bild und Wirklichkeit nicht mehr selbst gesehen werden“ (Günzel, 2012: 73).
Günzel zitiert indessen den Bildtheoretiker Lambert Wiesing, der in diesem Sinne die voll-immersive Eigenschaft der VR-Perspektive beschreibt:
„Der Besucher eines Cyberspace kann zwar noch wissen, aber nicht mehr wahrnehmen, dass er sich in einer virtuellen Realität befindet. Die Immersion wird im Fall dieser Technologie vollkommen; die Wahrnehmung einer bildlichen Darstellung hat sich ununterscheidbar an die Wahrnehmung der realen Welt angeglichen“ (Wiesing, 2005: 108).
Der grundlegende Unterschied zwischen der Ego-Perspektive von Computerspielen und einer VR-Perspektive besteht damit im Vorhandensein der Bildgrenze: „Spieler können zwar nahe an den Monitor heranrücken oder die Zimmerbeleuchtung ausschalten, aber die Bildbegrenzung lässt sich dadurch allenfalls zurückdrängen, nie aber gänzlich aufheben, wie es etwa bei einem Panoramabild der Fall ist“ (Günzel, 2012: 73). Beim Spielverlauf eines Ego-Shooters handele es sich daher quasi um „erspielte Bilder“ (Bausch & Jörissen, 2005: 347). In der Bildinteraktion (Bild-an-Bild-Reihung) kann so für den Spieler der Eindruck entstehen, er vollziehe eine Bewegung durch die Räume, aber „streng genommen [erfolgt] eine Bewegung des Raumes im Bildrahmen“ (Günzel, 2010: 99).
Dieser Bildrahmen wird also durch Virtual Reality aufgelöst, was Stefan Günzel aber als reine Subjektikonologie auch für den Ego-Shooter annimmt: „Rein ist diese deshalb, weil erst im Computerspiel die Perspektive der ersten Person permanent eingenommen wird“ (Günzel, 2010: 100). Es ist wichtig, zu beachten, dass Günzel sich in seiner bildtheoretischen Differenzierung ausschließlich auf Ego-Shooter bezieht. In der Totalität seiner Annahmen wäre der Bezug auf VR-Games jedoch zutreffender. Denn die Perspektive eines Ego-Shooter als dehumanisierte Sichtweise (vgl. Günzel, 2010: 100), die zwar im Raum beweglich aber in Relation zum Körper des Spielers fixiert als „through-the-gunsight-perspective“ (Jenkins & Squire, 2002: 65), wird von VR abgelöst.
Zudem muss beachtet werden, dass die subjektive Perspektive in Computerspielen stets eine Figurenperspektive beinhaltet, also „[…] eine durch die Wahrnehmung einer diegetischen Figur geleitete Ansicht“ (Beil, 2012: 181) ist und nicht die subjektive Perspektive des Spielers darstellt. In diesem Sinne bedeutet das Verschwinden der Bildgrenze, hin zu einer potenziell totalen Subjektivierung der Spiel-Perspektive mit einer VR-Brille, auch eine Hinwendung der Aufmerksamkeit des Spielers zu den auf den eigenen Körper bezogenen, psycho-physiologisch schematisierten Selbstwahrnehmung (Körperschema). Diese körperlichen Aspekte bezieht Benjamin Beil (2012) in eine zeitgenössisch differenziertere Spezifizierung der subjektiven Perspektive in First-Person Spielen mit ein, indem er diese als Avatar-Bilder beschreibt.
Die First-Person Perspektive in konventionellen Computerspielen beinhaltet also immer die Positionierung des Bildes aus Sicht eines Avatar-Körpers. Im Falle von VR wird dieser Avatar-Körper prinzipiell durch die räumlich schematisierte Eigenwahrnehmung des Spielers ersetzt. Ute Enderlein beschreibt diese Übertragung der Körperbewegung in VR im Detail wie folgt:
„Die erste wesentliche Bewegung, die die virtuelle Umgebung tatsächlich als eine Umgebung erfahrbar macht, ist die Drehung des Kopfes (bzw. die Drehung des ganzen Körpers, damit sich der Nutzer umschauen kann). Die Positionen des Kopfes werden über spezielle Trackingverfahren aufgezeichnet und gelten dem Rechner als Eingabebefehle, das visuelle Image entsprechend zu verändern. Die tatsächliche Eigenbewegung des Nutzers (bzw. seines Kopfes) führt also zu jener Wahrnehmung, die er auch aus nichttechnisierten Wahrnehmungspraxen kennt: Das Sichtfeld verändert sich kontinuierlich und in der Bewegung wird eine Rundumsicht möglich. […] Auf dieser Ebene der Navigation dienen also die quasi natürlichen (nicht auf die Technik hin entwickelten) Körperbewegungen dazu, dem Rechner Befehle zu erteilen und die entsprechenden, als realistisch anzusehenden Wahrnehmungen zu ermöglichen“ (Enderlein, 2002: 167).
Das ist vor allem dann relevant, wenn der Spieler eine subjektive Kamera-Perspektive einnimmt und keinen Avatar-Körper zur innerspielweltlichen Verortung besitzt. Beispielsweise präsentiert das prototypische VR-Spiel Windlands (Ilja Kivikangas, 2014) für die Oculus Rift keinen Avatar-Körper, wodurch die subjektive Perspektive des Spielers im Mittelpunkt steht (siehe Abb. 3)[16]. Demgegenüber ist es mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme von First-Person Spielen, einen Avatar-Körper zur Verortung der Ego-Perspektive zu präsentieren (vgl. Beil, 2012: 189 f.).
Im Rahmen dieser Abschlussarbeit wird nun die Perspektive in Computerspielen mit Ego- bzw. First-Person Perspektive begrifflich von der durch VR-Brillen ermöglichten Perspektive unterschieden. Gegenüber der lebensweltlich real-subjektiven Perspektive des Rezipienten realisieren First-Person Games eine quasi-subjektive und VR-Brillen eine hypersubjektive Perspektive.
Abbildung 3: Stereoskopisch subjektive Perspektive mit der Oculus Rift VR. Eigener Screenshot aus Windlands (Ilja Kivikangas, 2014).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Letztere bezeichnet also die real-subjektive Perspektive des Rezipienten, die mit der vermittelten Perspektive eines Avatars gleichgesetzt wird und schließlich durch propriozeptive Körperwahrnehmung konstituiert wird. Zusammenfassend beschreibt an anderer Stelle Rune Klevjer diese Rezeptionssituation auch als virtuelle Verkörperung: „[…] this kind of virtual embodiment is constituted through a unity of action and perception, in a way that makes it hard to say where ‘graphics’ ends and ‘interactivity’ begins“ (Klevjer, 2012: 243 f.).
Der Vergleich der Rezeptionssituation von First-Person Games und VR-Inhalten ist wichtig um die Neuartigkeit der Erlebnisqualität von VR-Brillen herauszustellen. Für die in der Abschlussarbeit angestrebte narratologische Exploration stellt sich jedoch die Frage, ob damit auch ein Unterschied in den Konfigurationen und Konventionen zur Realisierung narrativer Rezeptionsangebote einhergeht, oder Erzählkonventionen einfach übernommen werden, um VR-Inhalte in diesem Sinne mit VR-Games gleichzusetzen. Vor der eigentlichen narratologischen Untersuchung soll jedoch erst noch die gegenwärtig empirische Ausgangslage für VR-Inhalte am Beispiel der Oculus Rift VR erläutert werden.
2.2. Aktuelle VR-Technik am Beispiel der Oculus Rift als Platform und VR-Display
Die Abschlussarbeit untersucht Medieninhalte auf der technischen Grundlage der Oculus Rift VR -Brille. Die Oculus Rift ist eine prototypische VR-Brille, die also noch nicht als ausgereiftes Produkt für einen Massenmarkt produziert wird. Die VR-Brille wird als Prototyp für Enthusiasten und Softwareentwickler für 350 Dollar über die Firmeneigene Website als sogenannte Entwicklerversion (Developer Kit 2, auch: DK2) verkauft[17]. Die Brille ist damit ein käuflicher Prototyp, dessen Weiterentwicklung, neben firmeninternen und nicht-öffentlichen Prozessen, zu einem gewissen Grad im Dialog mit der Entwicklergemeinschaft über das Onlineforum des Herstellers organisiert wird. Oculus stellt neben der Hardware auch entsprechende Software bereit (Software Developer Kit, kurz: SDK), um Entwickler einerseits bei der grundlegenden Programmierung für die Oculus Rift zu unterstützen und andererseits ihre bestehenden Programme und Computerspiele für die VR-Brille anzupassen. In diesem Sinne agiert das Unternehmen Oculus als Dienstleister mit der Oculus Rift -Hardware als Online-Plattform:
“The term platform is used in digital media and textuality to describe the material and formal construction of a system that enables developers to write applications and users to run them. Platforms of this sort, known as computational platforms, can be hardware systems such as the Commodore 64, software environments such as Adobe Flash, or combinations of the two like Apple iDevices and the iOS operating system” (Montfort & Bogost, 2014: 393).
Der Plattform-Begriff wird hauptsächlich im Kontext digitaler Medien und vor allem für die Softwareentwicklung verwendet (vgl. ebd.; Bogost & Montfort, 2009; Montfort & Bogost, 2007)[18]. Eine Entwickler-Plattform ermöglicht es Computerprogramme (Software) für ein technisch spezifisches Computersystem (Hardware) zu entwickeln. Damit müssen Software-Entwickler die Planung, Struktur und Ausführung ihrer Arbeit dieser Plattform anpassen. Gleichzeitig müssen Nutzer/Rezipienten ebenfalls Zugang zu dieser Plattform haben und wissen, wie sie diese bedienen können. Dementsprechend ermöglichen Plattformen die Software-Entwicklung und Nutzung genauso wie sie diese einschränken. Damit beeinflussen Plattformen, und vor allem Plattformen zur Computerspiel-Entwicklung, die Ästhetik zukünftiger Computerspiele: „The distinct bundles of hardware and software that make up a platform profoundly shape the kinds of games that are (and can be) made for it” (Camper, 2009: 3). Gegenwärtig etabliert sich die Oculus Rift dementsprechend als Plattform und ermöglicht es, in einem prototypischen Status, für diese spezifische VR-Hardware Inhalte zu entwickeln und soll damit auch Experimente mit VR-Technologie allgemein befördern. Damit trägt die Oculus Rift auf Dauer dazu bei, einen Markt für VR-Inhalte zu konsolidieren. Gegenwärtig können Besitzer einer Oculus Rift über die Community-Funktionen der Forumswebseite auf ein von der Entwicklergemeinschaft generiertes Angebot an VR-Inhalten zugreifen und diese teils kostenlos, teils zu günstigen Preisen downloaden[19].
Die technischen Spezifikationen der Oculus Rift (DK2), welche damit die Möglichkeiten und Einschränkungen der Software-Entwickler vorgibt, werden im Folgenden genauer beschrieben[20]. Damit soll die in vielen Studien ausgesparte Auseinandersetzung mit der zwischen Rezipient und Software vermittelnden Hardware (vgl. Kittler, 1998: 119; Engelns, 2014: 150) explizit gemacht werden, um die Ergebnisse der Studie in den Kontext ihrer technischen Möglichkeiten und Einschränkungen zu setzen.
2.2.1. Die Hardware des Oculus Rift VR Developer Kit 2
Im Rahmen dieser Abschlussarbeit spielt die Vermittlung durch spezifische Hardware eine Rolle, da sie durch ihren quasi-experimentellen und in Weiterentwicklung befindlichen Status, in Form von Störungen, den Verlauf und die Qualität der Rezeption beeinflussen kann. In dieser Studie wird die zweite Generation der VR-Brille Oculus Rift, das sogenannte Developer Kit 2 (DK2, 2014) verwendet. Das 440 Gramm schwere Development Kit 2 (DK2) verfügt über ein OLED-Display mit einer Auflösung von insgesamt 1.920 x 1.080 Bildpunkten (980 x 1080 je Auge) bei einer Bildwiederholrate von wahlweise 60, 72 oder 75 Hz. Außer der wesentlich feineren Auflösung verfügt das Oculus Rift über ein Kamera-System, mit dem die Position der Brille und damit die des Spielers im Raum erfasst wird (siehe Abb. 4)[21] [22]. Die räumliche Erfassung funktioniert mithilfe von 40 Infrarotdioden, die in das Gehäuse der VR-Brille integriert sind und deren Daten von einer kleinen Kamera erfasst und verarbeitet werden[23].
Zum Vergleich bietet das Developer Kit 1 aus dem Jahr 2012 eine weit geringere Bildauflösung von 1.280 x 800 Pixel (640 x 80 Bildpunkten pro Auge) auf einem LCD-Display mit weiteren technischen Einschränkungen. Es wird vermutet, dass zukünftige VR-Brillen mit einem extrem hochauflösenden Display, mit mindestens 1920 x 1080 Bildpunkten, ausgestattet sein werden, um bestehende technische und wahrnehmungspsychologische Probleme zu reduzieren, welche im Folgenden genauer erläutert werden. Denn die Form der zuvor beschriebenen körperlich bedingten Eigenperspektive des Rezipienten bringt in ihrer aktuellen technischen Umsetzung noch Irritationspotenziale mit sich. Diese oftmals Übelkeit verursachenden Nebeneffekte der Perspektivübernahme mit VR-Brillen werden auch als Motion Sickness bezeichnet.
Abbildung 4: Oculus Rift VR Developer Kit 2 mit Kamera zur sensorischen Verfolgung der Kopfbewegung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.2.2. Motion Sickness als Einschränkung für VR-Inhalte
Die zuvor beschriebene VR-Konfiguration mit der einfachen Umsetzung einer hypersubjektiven Perspektive verursacht teilweise noch erhebliche Probleme bei der Nutzung. So wird eine längere oder intensive Rezeptionsepisode oft von körperlichen Übelkeitserscheinungen begleitet, was somit als ein zentrales Problem für die Nutzung von VR-Brillen verstanden werden kann. Diese Übelkeit wird auch als Motion Sickness oder Simulator Sickness bezeichnet (vgl. Lawson, 2015: 532) und lässt sich wie folgt als Rezeptionsunfall der VR-Technik verstehen:
„Um die Glaubwürdigkeit der Wahrnehmungssituation zu erhalten, weist der Nutzer den virtuellen, vorrangig visuellen Informationen (den Informationen des Außen) mehr Bedeutung zu als den kinästhetischen, haptischen und propriozeptiven Wahrnehmungen, die an den realen Körper in der realen Welt erinnern. An dieser Stelle kann tatsächlich von einer Verdrängung der auf den eigenen Körper gerichteten Sinnlichkeit gesprochen werden. Allerdings kann die Wahrnehmung virtueller Umgebungen beeinträchtigt oder gar ganz unmöglich werden, wenn sich virtuelle ‚Außenwahrnehmung‘ und reale ‚Innenwahrnehmung‘ zu stark widersprechen oder wenn das Wahrnehmungssystem virtuellen Reizen ausgesetzt ist, die nicht entsprechend aufeinander abgestimmt sind. In der Arbeit [von Ute Enderlein] wurde entsprechend das Simulator Sickness Syndrom als spezifischer Unfall dieser Technik behandelt“ (Enderlein, 2003: 198).
Ähnliche Desorientierungs- und Erschöpfungssymptome lassen sich generell bei der intensiven Nutzung von Computerbildschirmen finden. Im Kontext der Untersuchungen von Lesegewohnheiten mit E-Book Readern im Vergleich zu auf Papier gedrucktem Text werden diese Rezeptionskonflikte auch als Computer Vision Syndrome bezeichnet (vgl. Mangen & Velay, 2014: 75). Hersteller von VR-Brillen warnen entsprechend die Nutzer auf ihrer Website mit einer langen Liste möglicher Symptome, die von der Nutzung der VR-Brille hervorgerufen werden können. Außerdem wird vor jeder Spielsitzung eine Gesundheitswarnung eingeblendet, die den erwähnten Empfehlungen entspricht, welche man auf der Herstellerseite der Oculus Rift findet[24].
Diese gegenwärtig potenziell aversive Rezeptionssituation führt vermutlich dazu, dass Rezeptionsepisoden im Vergleich zu Filmen oder Computerspielen viel kürzer sind. Jedoch ist diese kurze Dauer als variabel einzustufen, da jede Mediennutzung immer ein mit Gewöhnungseffekten angereicherter Lernprozess ist und von individuellen Faktoren abhängt. Die erste Mediennutzung ist meistens problematisch und es ist mit einer gewissen Anpassung im individuellen und kontinuierlichen Nutzungsverlauf zu rechnen. Außerdem macht es einen deutlichen Unterschied, ob die dargebotenen Inhalte einer Achterbahnfahrt oder der Beobachtung eines Sonnenuntergangs nachempfunden sind. Hier ist auf das anschließende Kapitel 2.3 zu verweisen, in dem die deskriptiven Ergebnisse einer Online-Befragung erläutert werden, um eben solche Aspekte aktueller Mediennutzung qualitativ auszuleuchten. Indessen gaben beispielsweise einige Nutzer an, mehrere Stunden mit der VR-Brille zu verbringen, was auf Gewöhnungseffekte hindeutet. Es ist parallel dazu zu vermuten, dass mit zunehmender Verbesserung technischer Bedingungen und der Habituation dazugehöriger Rezeptionsmuster auch eine entsprechende Anpassung an die Nutzung virtueller Umgebungen stattfindet. Zum Vergleich dazu weisen Anekdoten darauf hin, dass Motion Sickness ebenfalls bei der erstmaligen – und kulturell noch ungerahmten – Nutzung des ersten Ego-Shooters Doom (ID Software, 1991) in Form einer Überreaktion bzw. Überreizung der Sinnesorgane auftrat und sich Nutzer zunehmend an die Präsentationsform gewöhnten (vgl. Kushner, 2004: 114 f.)[25]. In diesem Zusammenhang lässt sich erneut darauf verweisen, dass es sich um die erst beginnende Etablierung eines neuen Mediums bzw. einer neuen Form von Computersystem handelt und damit von einer äußerst spezifische Situation noch unausgereifter, explorativer Mediennutzung und Medienaneignung auszugehen ist.
Dieses technisch-kognitive Konfliktpotenzial bedeutet außerdem, dass die Gestaltung von Inhalten für eine VR-Rezeption besonderen Einschränkungen unterliegt. Zur Unterstützung der Softwareentwicklung für die Oculus Rift hat der Hersteller daher einen Leitfaden mit Gestaltungsempfehlungen veröffentlich, welche zwar nur auf der Erfahrung einzelner Software-Entwickler beruht, aber unter Computerspielentwicklern als Best Practice Guide gilt[26].
Zusammengefasst sollte der Inhalt für VR-Brillen den physikalisch realistischen Wahrnehmungsbedingungen des Rezipienten entsprechen. Beispielsweise läuft eine Spielfigur in einem typischen Ego-Shooter mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von sieben Metern pro Sekunde, wohingegen die natürliche Laufgeschwindigkeit ungefähr fünf Meter pro Sekunde beträgt. In diesem Sinne sollte auch die Kamera-Perspektive nie automatisch verändert werden bzw. der Kontrolle des Nutzers entzogen werden, oder computerspieltypische unbedenkliche Kollisionen zwischen der Spielfigur und Gegenständen sollten vermieden werden (zur vollständigen Liste der Gestaltungsempfehlungen siehe Anhang, S. 91 ff.).
In diesem Zusammenhang liegt für die Gestaltung von potenziell narrativen VR-Inhalten die Annahme nahe, dass sich entsprechende Inhalte vorrangig auf eine langsame, vom individuellen Tempo des Nutzers abhängige, freie Exploration der jeweiligen virtuellen Umgebung konzentrieren.
Die hohen Anforderungen zur Nutzerkonformität der VR-Inhalte werden beispielsweise bei der Verwendung einer VR-Brille zum Spielen eines zeitgenössischen Ego-Shooters verdeutlicht.
Das Computerspiel Half-Life 2: Episode 2 (Valve Corporation, 2014 [2004]) bietet wie viele Computerspiele mittlerweile die Möglichkeit, das Spiel in einem für die Oculus Rift VR optimierten VR-Modus zu spielen. Die Diskrepanz dieser additiven Logik zur Integration von VR-Technik für zeitgenössische Computerspiele wird meistens direkt zu Spielbeginn deutlich.
Der Spielstart von Half Life 2: Episode 2 ist besonders geeignet die aktuellen Probleme von spielerischen VR-Anwendungen zu illustrieren. Dabei handelt es sich also um einen klassischen Ego-Shooter, der auf Wunsch per Update auch mit der Oculus Rift in einem VR-Modus spielbar ist. Es handelt sich also um eine direkte Übersetzung klassischer, für die Rezeption mit einem Computerbildschirm entwickelte, Spiel-Konzepte für die Nutzung eines VR-Displays, welches dabei die Steuerung der Perspektive per Mausbewegung nun mit der Kopfbewegung per VR-Technik umsetzt. Der Spieler startet das Spiel in einer verzwickten Lage: Er befindet sich in einem zerstörten Zugabteil eines entgleisten Wagons und muss innerhalb des schräg gestellten Wagons von oben nach unten rutschen und springen, um dem auch noch gleichzeitig umstürzenden Zugabteil zu entkommen (vgl. Abb. 5). Während eine solche in situ Exposition in Ego-Shootern oft eingesetzt wird und auch keinerlei Probleme bereitet, wirkt dieselbe Spielsequenz im nachträglich rekonstruierten VR-Modus äußerst irritierend[27]. Im Desktop-Modus wird der Zugabteil mehr oder weniger auf einen mit anderen physikalischen Regeln ausgestatteten länglichen Raum reduziert, den man nur mit einer entsprechend angepassten Steuerung aber ziemlich schnell überwinden kann.
Abbildung 5: Desorientierung zum Spielbeginn von Half Life 2: Episode 2. Eigener Screenshot.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im VR-Modus dagegen beeindruckt zwar die räumliche Umsicht, da die durch Kopfbewegung mögliche Orientierung im verunglückten Zugabteil den erzählerisch dramatischen Einstieg, mittels Neuorientierung in einer seltsamen Lage, deutlich verstärkt. Es lässt sich behaupten, dass sich im Modus Operandi des 2D-Display ein schnelles Überwinden der Situation einstellt und im Gegensatz dazu im Modus des VR-Displays zunächst eine vergleichsweise langsame Orientierung stattfindet.
Im Moment dieser Orientierung wird nun das Navigieren im Zugabteil, welches in starkem Winkel zum Boden des Außengebiets geneigt ist und entsprechend eine physikalisch korrekt simulierte Bewegungsbeschleunigung nach unten mit sich bringt, in Kombination mit der schnellen Bewegungsgeschwindigkeit der Spielfigur zur kognitiven Herausforderung. Als Folge davon stellt sich Übelkeit ein. Darüber hinaus ist festzustellen, dass im VR-Modus die Neigung besteht, sich wiederholt und schnell umzuschauen, um sich kurz zu orientieren und erst dann den nächsten Schritt zu machen. Es steht hierbei, wenn man so will, ein durch VR suggeriertes, bedächtigeres Bewegen und Navigieren im Konflikt zu den Mechanismen des räumlich und kognitiv distanzierten Spielprinzips schnell und hektisch zu navigierender Ego-Shooter.
Um die aktuelle Situation von VR-Inhalten und ihre Orientierung an Nutzerbedürfnissen weiter auszuleuchten, sollen im Folgenden die bisher dargelegten Aspekte der VR-Entwicklung um die Perspektive der Rezipienten und Entwickler von VR-Inhalten ergänzt werden. Ziel ist es ein möglichst umfassendes Bild zu gegenwärtiger VR-Inhalte zu erhalten, damit eine anschließende Medienanalyse in ein möglichst empirisch grundiertes Verhältnis zu ihrem sozialen Kontext gesetzt werden kann. Um einen Eindruck der gegenwärtigen Nutzungssituation von VR am Beispiel der Oculus Rift zu erhalten, wurde eine qualitative Online-Befragung in der Oculus Rift Community durchgeführt.
2.3. Explorative Online-Befragung zur Nutzung der Oculus Rift
Das Ziel dieser Abschlussarbeit ist eine narratologisch umfassende Exploration zeitgenössischer VR-Inhalte. Da es nach bestem Wissen des Autors aber allgemein keine (empirischen) Studien zu kommerziellen VR-Inhalten und deren Rezeption gibt, soll vor der eigentlich inhaltlichen Analyse dieser neuen Medienform schließlich auch noch der soziale Kontext beleuchtet werden. Denn es stellt sich in Anbetracht der Neuartigkeit des Phänomens die Frage, wie die vermittelten Inhalte von Rezipienten genutzt und wahrgenommen werden und welche Perspektive Entwickler auf die Gestaltung von VR-Inhalten haben. Demnach ist es relevant festzustellen, ob das Thema bzw. Motiv des Erzählens und der Narrativität von VR-Inhalten zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die aktuell veröffentlichten Inhalte überhaupt kommunikativ verhandelt wird und ob diesen Inhalten hierfür auch eine neuartige Qualität zugeschrieben wird.
In diesem Sinne wurde eine Online-Befragung zur Erhebung der allgemeinen Bedingungen der Nutzung, Rezeption und Entwicklung als Kontextinformationen von VR-Inhalten durchgeführt. Damit soll neben der gesellschaftlichen Kontextualisierung der Abschlussarbeit vor allem eine empirische Grundlage zur Entwicklung grundständiger Hypothesen für die weitergehende narratologische Erforschung zeitgenössischer Virtual Reality-Angebote erarbeitet werden.
Die Umfrage wurde aufgrund der international ausgerichteten Entwicklergemeinschaft als Online-Befragung konzipiert und mit SoSci Survey durchgeführt[28]. Der Umfragezeitraum war 08.01.2015-06.02.2015 und der Link zur Umfrage wurde mehrfach im Online-Forum der Oculus Rift Community gepostet[29]. Außerdem wurde der Link auf Reddit.com, einer der international populärsten Portale für und zum Teilen von News, in die Rubrik „Oculus Rift“ gepostet.
Die Gestaltung des Online-Fragebogens zur Exploration des Kontexts potenziell narrativer VR-Inhalte orientierte sich aufgrund fehlender Theorien und damit einer unvorhersehbarer Bandbreite möglicher Antworten an einem thematisch fokussierten, aber offenen Leitfaden-Interview. Diese Interview-Technik geht davon aus, dass zunächst ein bestimmter Stimulus (ein Film, eine Geschichte u.a.) vorgegeben wird oder dass die Befragten bereits vorher das zu untersuchende Ereignis erfahren haben. Damit sollen schließlich die Reaktionen der Probanden auf das Ereignis bzw. Reizmaterial erforscht werden (vgl. Merton & Kendall, 1979: 171; Diekmann, 2009: 536 ff.). Die Offenheit einer Frage bezeichnet dabei den Spielraum, der dem Antwortenden gelassen wird, wohingegen geschlossene Fragen dem Antwortenden nur vorgefertigte Antworten bzw. Antwortkategorien anbieten (vgl. Atteslander, 2003: 162). Befragte sollen sich also zur Beantwortung offener Fragen möglichst in eigenen Worten ausdrücken und im Prozess der Befragung eine Meinung bilden und diese äußern können (vgl. Scholl, 2009: 161). Als Methode eines explorativen bzw. qualitativen Forschungsvorhabens ist die Befragung also „[…] an der Subjektperspektive, an den ‚Sinndeutungen‘ des Befragten interessiert“ (Diekmann, 2009: 531). Der qualitative Fragebogen dient damit nicht der Messung eines theoretischen Zusammenhangs (vgl. Fowler, 2009: 87), sondern beinhaltet ausschließlich offene Fragen, mit dem Ziel einer „[...] genauen (wörtlichen) Aufzeichnung der frei formulierten Antwort des Befragten und in der nachfolgenden Kategorisierung dieser Antwort durch den Forscher“ (Scholl, 2009: 160). Folglich wurden keine Antworten standardisiert vorgegeben, um eine Kategorisierung der Antworten vorwegzunehmen (vgl. Atteslander, 2003: 160). Da die Befragung aufgrund ihrer Offenheit und dem Ziel, Antworten möglichst nicht vorwegzunehmen, ohne Erinnerungsstützen wie beispielsweise Bilder aufgebaut ist, wurden die Fragen zur thematischen Einschränkung der Antworten möglichst selbstbeschreibend und teilweise mit thematischen Beispielen oder durch balancierte Statements, welche inhaltliche Alternativen anstoßen sollen, ergänzt (vgl. Scholl, 2009: 163).
Der Aufbau des Fragebogens wurde in einem Vortest (Pretest) erprobt und folgt den gängigen wissenschaftlichen Kriterien, eine Konversationslogik einzuhalten, beginnend mit einfachen Fragen, der Bildung thematischer Blöcke und der Erhebung demografischer Daten zum Schluss der Befragung, um Ermüdungseffekte zu berücksichtigen (vgl. Scholl, 2009: 174 ff.). Aufgrund der internationalen Stichprobe wurde die Erhebung in englischer Sprache durchgeführt. Der Fragebogen wurde schließlich in den 30 Tagen der Erhebung 75 Mal aufgerufen. Davon haben 35 Personen an der Online-Befragung teilgenommen und nach Bereinigung der Daten 28 davon die Fragen zumindest teilweise beantwortet. Schließlich haben 23 Personen die inhaltlich relevanten Fragen vollständig bearbeitet (N = 23). Die Bearbeitungsdauer der acht offenen und ergänzenden fünf geschlossenen Fragen lag zwischen drei bis vierzehn Minuten.
Die Teilnehmer wurden zunächst gefragt, ob sie selbst eine Oculus Rift VR-Brille besitzen oder unabhängig davon Erfahrung mit VR-Brillen gemacht haben. Als nächstes wurde gefragt, wofür sie die VR-Brille verwenden, warum sie VR-Technologie allgemein nutzen und wie oft. Daraufhin wurde gefragt, wie sie die VR-Rezeption von anderen Medienerfahrungen unterscheiden würden und ob bei der Nutzung spezieller Inhalte (Demos oder Spiele) besondere Effekte oder Überraschungsmomente erlebt wurden. Anschließend wurde speziell nach den Eindrücken gegenüber narrativen Elementen in VR gefragt. Schließlich wurde noch gefragt, ob bei der Nutzung generell technische oder persönliche Probleme auftreten, wie sich die Teilnehmer die Zukunft von VR-Technologie vorstellen und es wurden noch einige demographische Daten erhoben.
Das Durchschnittsalter der Befragten liegt bei 34 Jahren (SD= 8,3; Min = 18, Max = 45). Es ist zu vermuten, dass ein Großteil der Befragungsteilnehmer (sowie der Oculus Rift Community) männlich ist, denn 17 der Teilnehmer gaben an, männlich zu sein und die restlichen 11 der 28 Teilnehmer machten keine Angaben. Die Teilnehmer kommen vor allem aus den USA (7) und Deutschland (5) und vereinzelt aus England, Dänemark, Portugal, Irland, Finnland und Australien (Nationalität wurde nur 19 Mal angegeben). Insgesamt gaben 22 Befragungsteilnehmer an ein Oculus Rift HMD zu besitzen, was dessen Nutzung impliziert. Sechs Befragungsteilnehmer besitzen persönlich kein Oculus Rift HMD, jedoch berichten vier dieser sechs Teilnehmer über Nutzungserfahrung mit VR-Brillen.
Zur Auswertung des Fragebogens wurden die einzelnen Antworten der Befragungsteilnehmer codiert. Darunter versteht man die Zusammenfassung und Zuordnung einzelner Aussagen zu übergeordneten Kategorien, um die Aussagen in ihrer thematischen Zuordnung vergleichbar zu machen (vgl. Mayring, 2003: 61 ff.). Dieses Vorgehen folgt ferner dem Prinzip der Auswertungsmethode der Themenanalyse (vgl. Froschauer & Lueger, 2003: 89 ff.). Die Ergebnisse werden im Folgenden zusammengefasst (ausführlich siehe Anhang, S. 95 ff.).
Die meisten Teilnehmer gaben an die VR-Brille für Computerspiele, Softwareentwicklung und Demonstration der Technologie zu nutzen. Jedoch wurden auch 3D-Videos und Filme, Flug- und Autosimulatoren, sowie technische Weiterbildung, Entspannung, Kunst, Pornografie und Internetsurfen genannt. Sie nutzen die VR-Brille weil sie neugierig sind auf VR als Zukunftstechnologie, schätzen die gesteigerte Erlebnisqualität mit Präsenzerleben, suchen generell neue Erfahrungen oder haben ein technisches Interesse zur Entwicklung von Software. Die Rezeption mit der VR-Brille unterscheiden die Teilnehmer von anderen Medienerfahrungen mit einer gesteigerten Immersion und einem allgemein gesteigerten Unterhaltungserleben, als insgesamt reichhaltigeren Gesamteindruck, verstärkte Kontrolle über das Geschehen, als überwältigend bis unangenehm. Die Teilnehmer berichten gegenüber originellen VR-Effekten von besonderen Erlebnissen bei der Nutzung, beispielsweise starken automatischen bzw. körperlichen Reaktionen und Reflexen gegenüber Objektbewegungen oder speziell Angstreaktionen, sowie Unbehagen gegenüber computergenerierten Figuren. Auch wurde die Originalität der Inhalte angezweifelt, da viele Inhalte anscheinend mit einfachen, konventionelle Filmtechniken wie ‚Jump-Scares‘ arbeiten. Allgemein wurde von der starken Wirkung von Raumeffekten berichtet. Viele Teilnehmer berichteten außerdem von Übelkeitserscheinungen bei schnell ablaufenden Inhalten, von technischen und ergonomischen Problemen mit der VR-Brille, aber auch, im Gegensatz dazu, dass sie sich durch wiederholte Konfrontation an die Rezeptionssituation gewöhnen, vor allem in inhaltlichen Szenarios, die den Nutzer in einem Cockpit statt in natürlich freier Navigation situieren. Es wird mehrfach erwähnt, dass nach einer Rezeptionsdauer von einer Stunde Übelkeits- oder Müdigkeitserscheinungen eintreten.
Generell betrachten die Teilnehmer VR als eine neue Basistechnologie, mit weitreichenden Konsequenzen für alle gesellschaftlichen Lebensbereiche. Hier wurden beispielsweise Bildung und Tourismus genannt. Die Teilnehmer sehen jedoch potenzielle Chancen ebenso wie Konfliktpotentiale ausgehend von VR als neuer Technologie. Es überwiegt aber die Hoffnung auf eine zunehmende Etablierung von VR als neue Technologie im Alltag.
Für die Abschlussarbeit besonders relevant sind die Aussagen der Teilnehmer zum Eindruck von Narrativität in gegenwärtig verfügbaren VR-Inhalten. Hier unterscheiden sich die Meinungen der Teilnehmer. Berichtet wird von unangenehm unnatürlichen Interaktionen mit computergesteuerten Spielfiguren (Non Player Characters, kurz: NPCs) und dass Interaktionen mit comicartigen Figuren angenehmer wären, sowie dem grundlegenden Mangel an Geschichten in VR-Demos und der generell stärkeren Effekten der Rollenübernahme durch eine gesteigerte Subjektivität in der VR-Perspektive. Demgegenüber wird einerseits deutlich, dass Rezipienten keine eindeutige Definition von Narration bzw. Narrativität haben – man diese also in weiteren Erhebungen unterstützen sollte – und, dass Geschichten in Software-Angeboten für VR-Brillen gegenwärtig noch kein Thema sind.
2.4. Explorative Online-Befragung zur Software-Entwicklung für die Oculus Rift
Zusätzlich wurde ein zweiter Fragebogen speziell zur anonymen Erhebung der Perspektive von VR-Entwicklern erstellt, dessen Ergebnisdarstellung aber aufgrund der geringen Teilnehmerzahl nur kurz ausfällt. Die zehn offenen Fragen zielten komplementär zur Erhebung von Nutzungs- und Rezeptionsaspekten auf die generelle Situation zur Entwicklung von VR-Inhalten ab.
Der Umfragezeitraum war 08.01.2015-09.02.2015, wobei der Umfrage-Link ebenfalls im Online-Forum der Oculus Rift Community und auf Reddit.com in die Rubrik „Oculus Rift“ gepostet wurde. Darüber hinaus wurden individuell Computerspiel-Entwickler per Unternehmens-Emailadresse oder persönlicher Nachricht im Karriere-Netzwerk Linkedin.com kontaktiert, die entweder bereits Inhalte speziell für die Oculus Rift veröffentlicht oder nachträglich optimiert haben. Beispielsweise wurden sämtliche Mitarbeiter des international erfolgreichen, in Washington (US) ansässigen Spiele-Entwicklers Valve Corporation kontaktiert, deren Emailadressen teilweise öffentlich zugänglich sind. Wie zu erwarten, war die Rücklaufquote extrem gering: Nur zwei Personen nahmen an der Befragung teil. Dies mag einerseits mit den hohen Teilnahmeanforderungen aufgrund der tiefgehenden Fragestellungen zu tun haben. Andererseits steht dies im Zusammenhang mit einem gängigen Problem, nicht nur der Medienproduktionsforschung, sondern jeder Art von Forschung ökonomischer Produktion und Vertrieb: Die Kooperation von Gestaltern, Produzenten und Entwicklern bleibt in den meisten Fällen aus.
Verständlich ist diese Distanzierung vor allem im Kontext rechtlich verpflichtender Verschwiegenheitsklauseln, die in jedem größeren Unternehmen zur Normalität gehören. Im Rahmen dieser Abschlussarbeit soll als Beitrag zur umfassenden Exploration von VR-Inhalten dennoch der Versuch unternommen werden, Einblicke in die Organisation der Produktion von Medieninhalten zu gewinnen, um diese als Unterhaltungsangebote gesellschaftlich einordnen zu können. Es ist darüber hinaus anzumerken, dass Themen der Medienökonomie allgemein, sowie Forschung zu den Bedingungen von Medienproduktionen in der Medien- und Kommunikationswissenschaft noch immer als Teildisziplin ausgespart werden und, bis auf eingehende Untersuchungen zu TV-Produktionen, nach wie vor eine Forschungslücke darstellen (vgl. Rimscha & Siegert, 2011; Siegert & Rimscha, 2008; Siegert, 2003: 238).
Die beiden Teilnehmer der Online-Befragung zur Software-Entwicklung für die Oculus Rift sind männlich, 32 und 49 Jahre alt und ersterer gab an, wissenschaftlicher Mitarbeiter zu sein. Beide kommen aus Deutschland und haben einen Master-Titel bzw. ein Diplom. Der Fragebogen wurde jeweils in rund sieben und zwölf Minuten komplett bearbeitet. Die Antworten fallen mit einem entsprechenden Fokus auf technische Details aus und können in ihrer Vollständigkeit dem Anhang dieser Abschlussarbeit (S. 117 ff.) entnommen werden.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Software-Entwickler noch vor vielen technischen Herausforderungen stehen und noch viele Probleme gelöst werden müssen bis reibungslos an der Produktion aufwändiger VR-Inhalte gearbeitet werden kann. Sie problematisieren daher neben der noch eingeschränkt unterstützten Programmierung der VR-Hardware durch sogenannte Software Developer Kits (SDKs) auch die ergonomischen Einschränkungen durch die Technik der Oculus Rift VR (DK2), sowie die Eingabegeräte, die mit einer Tastatur oder einem Controller im Wiederspruch zur gesteigerten Reichhaltigkeit der propriozeptiv-visuellen Erfahrung des VR-Displays stehen. Dennoch konzentrieren sich Interaktionskonzepte noch immer auf Tastatureingaben oder Controller, weshalb die Entwicklung von Interaktionskonzepten entweder spezifisch auf diese Eingabegeräte ausgelegt wird, oder noch so unspezifisch angelegt wird, dass künftig erscheinende Eingabegeräte besser integriert werden können. Außerdem wird berichtet, dass die Regeln zur 3D-Programmierung und –Design geändert werden müssen, da beispielsweise weitflächige Gebiete zwar in Computerspielen gut wirken, in VR dagegen aber kleinere Gebiete und nahe erreichbare Objekte eher interessant wirken. Zum Thema der Narration und Narrativität (hier bezeichnet als „Storytelling“) in der VR-Entwicklung berichten die Teilnehmer unzusammenhängend davon, dass Präsenzerleben die Erlebnisqualität von Geschichten extrem steigern dürfte und verweisen auf das Thema, dass der Nutzer stets das Gefühl der Bewegungskontrolle haben müsse, wodurch filmische Inszenierungen (hier: Cut-Scenes) mit fixierter Kamera zum Problem werden. Abschließend ist festzustellen, dass beide Teilnehmer für ihre VR-Projekte entweder kein Nutzerfeedback erheben und vorrangig der eigenen Intuition vertrauen. Ab und zu sammeln Sie zu Demos und Prototypen Feedback von Freunden und Familienangehörigen.
Vor dem Hintergrund einer narratologischen Untersuchung von VR lässt sich trotz dieser methodischen Einschränkungen insgesamt feststellen, dass sämtliche Befragungsteilnehmer, Nutzer und Entwickler, die gegenwärtig verfügbaren VR-Inhalte nicht als narrativ wahrnehmen.
Diese rezeptionstheoretische Feststellung dient im Weiteren als Grundlage zur Untersuchung von VR-Inhalten. Dafür werden im nächsten Kapitel die dafür notwendigen erzähltheoretischen Grundlagen dargestellt.
Da die aktuelle VR-Technik zunächst vor allem als Display-Erweiterung betrachtet werden kann und die Situation der Mediennutzung ansonsten dem Computerspielen an einem Desktop-PC entspricht, orientiert sich die narratologische Untersuchung von VR-Inhalten insgesamt an den narratologischen Grundlagen der Computerspielforschung. Darauf aufbauend widmet sich die Abschlussarbeit in den folgenden Kapiteln der beispielhaften Analyse eines speziell für die Konfiguration einer zeitgenössischen VR-Brille entwickelten Computerspiels, um aus der Perspektive der Computerspielanalyse ein Vergleichsmoment zu narrativen Rezeptionsangeboten im Modus einer VR-Brille abzuleiten und die Spezifika narrativer Elemente zeitgenössischer VR-Inhalte diskutieren zu können.
3. Narratologie und Virtual Reality
Es liegen einige spezielle Erzähltheorien für VR vor, diese gehen jedoch eher von empirisch noch nicht verwirklichten, räumlich wie körperlich ganzheitlichen VR-Dispositiven aus, wie der Utopie des Holodecks, eines gänzlich real wirkenden, aber virtuellen Fantasieraums (vgl. Murray, 1997). Für eine gegenstandsangemessene Untersuchung zeitgenössischer VR-Inhalte sind diese Theorien nur bedingt hilfreich. Dennoch werden sie im Folgenden exemplarisch erläutert. Schließlich wird das Forschungsfeld theoretisch eingeschränkt, indem der Forschungsstand zur narratologischen Untersuchung von Computerspielen dargestellt wird. Denn viele theoretische Aspekte zur Untersuchung von VR als Erzählmedium werden aufgrund der technisch grundlegend gemeinsamen Ausgangslage als digital-interaktive Medienangebote auch für Computerspiele diskutiert (vgl. Ryan, 2001b).
3.1. VR-Spezifische Erzähltheorien mit Blick auf Interactive Storytelling
Spezifische Erzähltheorien für VR lassen sich allgemein in drei Kategorien einteilen, die entweder als transmediale Texttheorien zu begreifen sind und beispielsweise die Form einer Reflexion und Übertragung von Hypertext-Metaphern auf VR annehmen (vgl. Ryan, 2001b: 225ff.), literaturhistorische Theorien mit Blick auf utopische Konzepte wie das zuvor erwähnte Holodeck (vgl. Murray, 1997), oder computerwissenschaftliche Theorien, die an der technischen Umsetzung zukunftsträchtiger Erzähl-Konzepte interessiert sind, mit Blick auf die virtuelle Umsetzung partizipativer Live-Rollenspiele.
Ein elaborierter und für alle drei Theorieansätze repräsentativer Forschungsansatz bildet die Studie von Ruth Aylett und Sandy Louchart (2003). Die Autoren betrachten eine dynamische Prozessorientierung und partizipatives Erzählen als idealtypische Konzepte zur narratologischen Untersuchung von Virtual Reality. VR wird hier zunächst ohne technische Spezifizierung als ein eigenständiges, narratives Medium neben Literatur, Theater und Film beschrieben (vgl. Aylett & Louchart, 2003: 2; Louchart, 2007: 3). Damit geht der Versuch einher, eine Orientierung an traditionellen Erzähl-Medien zu vermeiden:
“A story is not told or shown in the same way according to the medium in which it is displayed, nor is its content or its intensity the same. The very different nature of media means that a narrative has either to be told or shown in different ways, varying the intensity of different aspects or parts of the content in order to achieve a satisfying effect on the person(s) to whom the narrative is communicated or displayed” (Aylett & Louchart, 2003: 2).
Dementsprechend differenzieren die Autoren die speziellen Eigenschaften traditioneller Medien und deren Verhältnis von Erzählung zu ihrer narrativen Form, dem verwendeten Kommunikationskanal und der Darstellung des Inhalts (vgl. auch Tabelle 1).
Table 2: Vergleichstabelle verschiedener narrativer Formen nach Aylett & Louchart (2003: 4).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Aus dem intermedialen Vergleich schließen die Autoren, dass VR als ein eigenständiges, narratives Medium zu betrachten ist, da es spezifische Eigenschaften besitzt, welche die traditionellen Erzählmedien und ihre narrativen Formen nicht bietet (vgl. ebd.). In Anbetracht einer zeitgenössischen Untersuchung von VR-Inhalten fällt die Studie von Aylett & Louchart (2003) jedoch zu unspezifisch aus. Darüber hinaus verwundert es, dass die Autoren Virtual Reality als Konzept nicht genau definieren und einführend – ohne Belege – behaupten, VR habe sich bereits, über den einfachen Akt technischer Erforschung hinaus, zu einem eigenständigen Unterhaltungsmedium entwickelt (vgl. Aylett & Louchart, 2003: 1). Die Studie steht damit in der Tradition einer historischen Betrachtung von VR, die sich einer zeitgenössischen Verortung verweigert (vgl. Murray, 1997).
Die Autoren vergleichen dabei sämtliche Erzähltheorien und reflektieren die Übertragbarkeit für VR. Sie untersuchen klassische Erzähltheorien ausgehend von Platon und David Bordwell, mit den Kategorien der Diegesis (der erzählten Welt) und Mimesis (Zeigen von Handlungen), die es den Autoren ermöglichen Narration als Repräsentation, Struktur und Prozess zu differenzieren (vgl. Aylett & Louchart, 2003: 4; Bordwell, 1997: 12).
Da der klassisch-aristotelische Theorieansatz ausschließlich den Plot (Handlungsstruktur) fokussiert, schließt dieser Ansatz die Interaktivität als Teil der Erzählung aus. Diese Auffassung eines plot-zentrierten Ansatzes steht zum Widerspruch zwischen der interaktiven Freiheit des Nutzers/Rezipienten, wie nicht zuletzt die lange anhaltende Debatte zur Dichotomie zwischen Ludologie versus Narratologie belegt (vgl. Thon, 2015: 87 ff.). Um dieses Dilemma zu umgehen, halten manche Autoren für VR die Konzipierung einer charakterbasierte Erzählform für sinnvoll. Damit soll die Freiheit des Nutzers garantiert werden, ohne auf eine besondere Nutzungserfahrung zu verzichten (vgl. Aylett & Louchart, 2003: 5).
Eine weitere Eigenschaft zur Einschränkung von Erzähltechniken ist die Kamera-Perspektive, die in einer Filmerzählung ein zentraler Autoren-Mechanismus zur Kontrollierung der Handlung ist. In VR ist die Kamera stets mit dem Nutzer identifiziert und trennt man die Kontrolle des Nutzers von ‚seiner‘ Perspektive schränkt das erneut die technologie-immanente, visuell egozentrische Freiheit ein (vgl. ebd. S. 11). In diesem Punkt sehen Aylett & Louchart (2003) ein zentrales Charakterisitikum von VR, denn VR erweitert bzw. sprengt das Konzept der Mimesis, des (gesteuerten) Zeigens, und ersetzt es durch den Modus der (Selbst-)Erfahrung („experiencing“, vgl. ebd. S. 6). Aus diesem Grund halten die Autoren die Übertragung von Filmtheorien zwar in Bezug auf visuelle Aspekte für nützlich, jedoch aufgrund dieser grundlegenden Unterscheidung im Modus der Kameraperspektive für nur sehr beschränkt möglich (vgl. ebd. S. 11).
Darüber hinaus schließen strukturalistische Erzähltheorien emotionale und kognitive Dimensionen des Rezipienten aus. Die Autoren lassen jedoch die Untersuchung neuerer, kognitivistischer Filmtheorie vermissen (vgl. u.a. Eder, 2003). Die Autoren beziehen sich hauptsächlich auf Literatur aus der Forschungsgemeinschaft für künstliche Intelligenz. Aylett und Louchart (2003) halten demgegenüber Emotionen für einen wichtigen Faktor für die Glaubwürdigkeit einer Geschichte, weshalb eine Erzähltheorie für VR zumindest die emotionalen Zusammenhänge zur Erzeugung von Glaubwürdigkeit abdecken sollte (vgl. Aylett & Louchart, 2003: 6). Hier verweisen die Autoren nach David Bordwell (1986) auf die grundlegenden Arbeiten von Eisenstein mit Blick auf ein expressionistisches Erzählkonzept im Dienste einer zufriedenstellenden Erfahrung für den Nutzer/Rezipienten (vgl. Aylet & Louchart, 2003: 6). Unabhängig von der analytischen Stärke dieser Ansätze, sei es fraglich, ob diese grundlegend mit der Prozessorientierung von VR zusammengehen. Da die Interaktivität wie auch bei Computerspielen der Dreh- und Angelpunkt jeder VR-Anwendung ist, halten die Autoren es für sinnvoll diesen prozessorientierten Ansatz zur Erzähltheorie, basierend auf der Interaktion des Nutzers mit und zwischen Charakteren, für gegenstandsangemessener (vgl. ebd. S. 12). Sie verweisen hierbei auf die Subjekt-Text-Beziehung, in welcher das Subjekt in einem Prozess der Narrativierung durch Repräsentationen im Text positioniert wird und darin in einem konstanten Wechsel von Festlegungen und Einschränkungen ‚bewegt‘ wird.
Aylett und Louchart (2003) stehen damit in der Tradition von Janet Murray (1997), welche partizipative Rollenspiel-Konzepte wie Live-Rollenspiele, historische Re-Inszenierungen und Improvisationstheater mit ihrer Prozessorientierung als historisch konzeptionelle Rekursion zu oralen Live-Erzählungen begreift. Der Ansatz von Aylett und Louchart (2003 u.a.) ist repräsentativ für den Großteil der um Erzähltheorie bemühten Literatur zu Virtual Reality, welche sich aufgrund mangelnder Empirie an einer Utopie realistischer Künstlichkeit orientieren und daraufhin sozial-partizipative Erzählmodelle zur Charakterisierung von VR konstruieren (vgl. Murray 1997; teilweise auch Ryan, 2001b):
„A narrative form where, interactivity as well as user satisfaction, constitute a basis for the construction and unfolding of a narrative, flexible enough in its articulation, to bring maximum satisfaction to the user (i.e. in terms of experience, enjoyment and interest). For this reason, interactive, improvisational theatre or Live Role Playing Games appear to us a reasonable and tangible source of information” (Aylett & Louchart, 2003: 9).
Die Argumentation dieser Autoren zirkuliert oftmals um den Gedanken einer historischen Entwicklung von Erzählformen. Diese implizieren einen literaturtheoretischen Ansatz, den Markus Engelns (2014) ebenso für die Games Studies problematisiert.
Das Problem dieser Argumentationstradition ist, dass sie Computerspiele als Ausprägung einer Genealogie des Erzählens betrachten, die historisch gewachsen ist, während Untersuchungen in dieser Tradition selbst narrativ verfahren, „[…] indem sie eine genealogische Geschichte entwerfen, die es möglich macht, Computerspiele als Geschichten zu verstehen. Beide Studien (Britta Neitzel, 2000; Janet Murray, 1997) verwenden somit narrative Produktionsverfahren als Methodeninstrumentarium, um narrative Gegenstände beschreiben zu können. Daraus entsteht ein durchaus hinterfragbarer Zirkelschluss, der besagt, dass Computerspiele narrativ sind, weil sie ein Teil einer narratologischen Historie sind und sie Teil einer narratologischen Historie sind, weil sie narrativ sind“ (Engelns, 2014: 53)[30].
Darüber hinaus sind diese Konstruktionen einer solch aufwändigen Form der medial vermittelten Schauspiel-Erzählung problematisch. Sie unterstützen zwar die Freiheit und Kontingenz virtueller Umgebungen gegenüber kohärent vordefinierten Handlungssträngen und Wendepunkte der Handlung (Plotpoints), stellen jedoch nach wie vor eine kommerziell kaum umsetzbare Form der Unterhaltung dar. Die Autoren wissen um die schwere Vergleichbarkeit dieser Inszenzierungsformen, halten aber eine Erforschung hinsichtlich des Potenzials einer nutzerzentrierten Perspektive gegenüber VR für lohnenswert (Aylett & Louchart, 2003: 17).
Schließlich argumentieren die Autoren für eine dynamische-systemische Perspektive für eine neue Erzähltheorie für VR, welche Elemente einer abgewandelten Form der als Vorbild dienenden Live-Rollenspiele integriert und eingreifende – menschliche und in Zukunft zu automatisierende – Instanzen voraussetzt. So wird ein Story- oder Drama Manager benötigt, der eine offene Handlung als steuernde Instanz unterstützt, sich aber nicht, wie in Live-Rollenspielen typisch, an vordefinierten Handlungsoptionen orientiert, sondern der lediglich eingreift, um das dramatische Interesse an der Handlung zu regulieren. Der dramatische Handlungsverlauf soll so aufrechterhalten werden, ohne den Nutzer zu sehr zu kontrollieren. Konkrete Funktionen eines solchen Managers wären laut den Autoren das Auslösen externer Ereignisse (z.B. Konflikte und Kämpfe verursachen), das Hinzufügen und Auflösen der von Charakteren der virtuellen Welt sowie deren Aktionsmöglichkeiten (Aylett & Louchart, 2003: 17). Die Autoren führen noch weitere Ansätze aus, die jedoch ebenfalls auf einer eingreifenden Instanz beruhen.
Diese Perspektive setzt eindeutig auf einen engagierten Rezipienten, der sich sozusagen auf keinen Fall in eine passive Rolle als Beobachter versetzen darf. Die Autoren verweisen dabei auf die implizite Grundannahme eines sozialen Realismus, wenn sie behaupten, es sei das Ziel der Nutzungserfahrung Erlebnisse zu erzeugen, die, Anekdoten entsprechend, typische Aussagen befördert wie: „Du hättest dabei sein müssen“ („you had to be there“, vgl. ebd. S. 19). Abschließend lässt sich feststellen, dass diese theoretische Perspektive vielmehr einen Ausblick, einen prospektiven Theorieansatz formuliert, indem sie die soziale Alltagswirklichkeit ausblendet und VR nach wie vor als die Utopie einer ultimativen Erzählmaschine modelliert.
Diese Perspektive einer extrem aufwändigen Generierung von Schauspiel, flexiblem Handlungsverlauf und Koordinierung von Ereignissen sowie Nutzerbedürfnissen wird aktuell auch rund um das Konzept bzw. Forschungsfeld des „Interactive Storytelling“ diskutiert (vgl. Klimmt, Roth, Vermeulen, Vorderer, & Roth, 2012). Interactive Storytelling beschreibt konkret diese Zukunftsvision eines computergestützten Unterhaltungssystems, das es Nutzern ermöglichen soll, sich aktiv in einer bedeutsamen Geschichte zu engagieren, diese durch individuelle Entscheidungen und Vorlieben zu beeinflussen und mit computergenerierten Charakteren in natürlicher Art und Weise umzugehen (vgl. ebd. S. 188). Um diese Vision einer Handlungsgenerierung im Einklang mit dem Verhalten und den Eingaben des Nutzers umzusetzen, müssen künftig verschiedene Technologiezweige integriert werden, beispielsweise räumliche Darstellung und Animation, autonome Agenten sowie künstliche Intelligenz (vgl. ebd.). Interactive Storytelling ist darüber hinaus nicht zu verwechseln mit Interactive Drama, welches einen auf künstlicher Intelligenz basierenden Ansatz bezeichnet. Hier steht die Beteiligung des Nutzers an einem dramatischen Dialog von und mit computergenerierten Figuren im Mittelpunkt (vgl. Magerko, 2014: 287 f.).
Zusammengefasst stellen all diese exemplarisch beschriebenen Forschungsansätze lediglich prospektive Analysen von interaktiven Unterhaltungsangeboten dar, die dem Massenmarkt noch nicht zur Verfügung stehen und damit dem Mangel einer umfassenden, empirisch repräsentativen Basis unterliegen. Um eine, dem Untersuchungsgegenstand zeitgenössischer VR-Inhalte angemessenere, Perspektive zu gewinnen, sollen im Folgenden die narratologischen Ansätze der zeitgenössischen Computerspielforschung erläutert werden.
3.2. Erzähltheorie im Kontext der Computerspielforschung
Die Game Studies bzw. Computerspielforschung zirkulierte mehrere Jahre in einer „polemischen Auseinandersetzung über die Narrativität von Computerspielen“ (Thon, 2015: 84) um das vermeintliche Problem der Gegensätzlichkeit von Narrativität und Interaktivität, was auch als Narration-Interaktions-Dilemma (vgl. Klimmt et al. 2012: 204) oder Interaktivitäts-Paradoxon (vgl. Ryan, 2014: 293) bezeichnet wird. Debatten drehen sich dabei um die unvermeidbare Spannung zwischen der Kohärenz und Bedeutsamkeit von Ereignissen als Geschichte auf der einen Seite und dem dynamischen Einfluss der steuernden Eingaben des Nutzers auf der anderen Seite. Diese dichotome Betrachtung von Computerspielen, entweder als Narration oder als Spiel führte schließlich zur Bildung zweier Lager mit entsprechendem theoretischen Fokus, den Narratologen (vgl. u.a. Neitzel, 2000; Ryan, 2001a) und den Ludologen (vgl. Aarseth, 2001; Eskelinen, 2001; Frasca, 2003; Järvinen, 2003; Juul, 2005). Da diese Gegenüberstellung jedoch die Weiterentwicklung einer Debatte zur gegenstandsangemessenen Untersuchung von Computerspielen unterbindet, findet eine zunehmende Integration beider Perspektiven statt, mit der Grundannahme, dass Computerspiele Spiele sind, die narrative Elemente beinhalten.
Diesen ‚ludo-narratologischen‘ Zugriffen auf das Computerspiel geht es also darum, besser zu verstehen, auf welche Weise Computerspiele narrativ sein können (vgl. Thon, 2015: 88). Zur Klärung, auf welche Weise Computerspiele narrativ sein können, wurden verschiedene narratologische Ansätze bzw. Erzähltheorien herangezogen. Diese lassen sich grob als intratextuelle und transmediale Erzähltheorien unterscheiden.
3.3.1. Computerspiele aus der Perspektive intratextueller Erzähltheorie
Intratextuelle Erzähltheorien sind Theorien, welche textuelle Medien als Grundlage ihres theoretischen wie methodischen Ansatzes machen (vgl. Engelns, 2014: 37). Diese umfassen vor allem strukturalistische Erzähltheorien. Diese Theorien stehen in der Tradition linguistischer und sprachtheoretischer Untersuchungsansätze, ausgehend von der Linearität sprachlicher Bedeutungszuschreibung (vgl. Genette, 1998: 24). Intratextuell operierende Studien zur narratologischen Untersuchung von Computerspielen zirkulierten in den ersten Jahren der Game Studies um die (oft nur implizite) Frage, ob Computerspiele überhaupt als narrativ verstanden werden können oder nicht. Viele Studien versuchen aus dieser Perspektive text- und filmtheoretische Erzählmuster auf Computerspiele zu übertragen (vgl. u.a. Neitzel, 2000).
Durch diesen problematischen Transfer medienspezifischer, theoretischer Konzepte aus bestehenden und grundlegend gegenstandsfremden (Erzähl-)Theorien wird der Akt des Computerspielens zwangsläufig als Narration stilisiert (vgl. Mersch, 2007: 19). Dieser Akt weist demnach klassisch-narrativ Strukturmerkmale auf, wodurch Handlungen im narratologischen Sinne verständlich gemacht werden (vgl. Engelns, 2014: 49). Dementsprechend liegen, aus intratextueller Perspektive, Computerspielen wie Erzählungen die Abfolge von Ereignissen mit Anfang, Mitte und Ende zugrunde, im Rahmen einer klassisch-aristotelischen Dramaturgie mit drei bzw. fünf Akten (vgl. Hertel, 2011: 64 f.).
Einziges Unterscheidungsmerkmal ist hierbei die aktive Rolle des Spielers, der die Handlung als ‚impliziter Autor‘ vorantreibt (vgl. Engelns, 2014: 49). Diese Konzeption der Rolle des Spielers ist allein schon aufgrund einer prädeterminierten Programmierung jeden Computerspiels problematisch, welche es dem Spieler nur ermöglicht vorgegebenen Steuermechanismen und Spielregeln zu folgen, um höchstens zwischen verschiedenen Ereignisvarianten zu wählen: „Dadurch ist der Spieler weniger ein impliziter Autor als vielmehr eine Instanz, die vorgegebene Regeln anzuwenden vermag und den weiteren Spielprozess daraus abgeleitet sehen will“ (Engelns, 2014: 50). Diese Ansätze zur narratologischen Untersuchung von Computerspielen zeichnen sich meist durch Technikvergessenheit aus, indem sie „[…] die tradierten literatur-, kunst-, und filmwissenschaftlichen Verfahren auf Software applizieren“ (Pias, 2000: 1). Aus diesem Blickwinkel kritisiert Joachim Backe beispielsweise Britta Neitzel, indem er ihr Medien- und Textblindheit gegenüber Computerspielen vorwirft (vgl. Backe, 2008: 59 ff.; Engelns, 2014: 50).
Laut Markus Engelns gelingt es intratextuellen Ansätzen im Rahmen dieser Technikvergessenheit zwar dementsprechend narrative Aspekte von Computerspielen zu erfassen, jedoch nur indem simulative, also rein spielfunktionale, Elemente außer Acht gelassen werden. Damit blenden intratextuelle erzähltheoretische Ansätze konstitutive Elemente von Computerspielen aus, da sie dem Komplexitätsgrad des Untersuchungsgegenstands nicht gerecht werden können (vgl. Engelns, 2014: 51). Denn Computerspiele rücken den Spielprozess in den Fokus der Unterhaltung (vgl. ebd.). Daher muss man das narrative ‚Endprodukt‘ und den Spielprozess voneinander trennen.
Für eine konkrete Gegenstandsanalyse heißt das, dass diese Theorieansätze zwangsläufig an Computerspielen scheitern, in denen womöglich zwar eine eindeutige Atmosphäre vorherrscht, jedoch das Spielprinzip im Mittelpunkt steht und inhaltliche Aussagen ausgespart werden. In solchen Spielen erscheinen viele Elemente des Spielverlaufs nach dem Ende des Spiels sogar zusammenhangslos, da es keine klare Struktur von Handlungspunkten gibt. Markus Engelns verweist hinsichtlich dieser theoretischen Diskrepanz beispielsweise auf das kommerziell erfolgreiche, aber kryptische Spiel Limbo (Playdead Studios, 2010). In Limbo lässt sich „[…] eine konkrete Beziehung zwischen dem Spielprozess und dem Ende […] höchstens auf der Ebene von Assoziationen und Spekulationen herleiten“ (Engelns, 2014: 56), was oftmals in Online-Foren zu ausladenden Diskussionen führt und dessen Deutung schließlich von den individuellen Bemühungen des Rezipienten abhängt.
Intratextuelle Erzähltheorien eignen sich demnach nicht dazu, Computerspiele aus narratologischer Perspektive zu untersuchen. Demgegenüber haben sich sogenannte transmediale Erzähltheorien als sinnvolleres Instrument erwiesen. Dieser theoretische Ansatz wird im Folgenden genauer erläutert und wird darüber hinaus als allgemeine Grundlage zur Untersuchung der noch unausgereiften, experimentellen VR-Inhalte dienen.
3.3.2. Computerspiele aus der Perspektive transmedialer Erzähltheorie
Transmediale Erzähltheorie ist nicht an einzelnen Textstrukturen orientiert, sondern geht davon aus, dass Narrativität unabhängig von spezifischen Medieneigenschaften ist und daher in unterschiedlichsten Medien realisiert sein kann (vgl. u.a. Engelns, 2014: 59). Demnach wird auch behauptet, dass Narratologie eine wissenschaftliche Unternehmung ist, die Disziplinen und Medien mit übergeordneten Kategorien wie Sprache, Bilder, Ton, Gestik in jeder Form transzendiert (vgl. Ryan, 2004: 1). Das transmediale Verständnis von Narrativität ist demnach breiter gefasst, als in den intratextuellen Erzähltheorien.
Kriterien für die Narrativität eines Untersuchungsgegenstands sind dabei, dass (1) der Gegenstand eine Welt (Setting) mit Subjekten (Charakteren) und Objekten beinhaltet, (2) die sich durch physische oder menschliche Ereignisse (Plot) verändern kann und (3) es erlaubt, Ziele, Pläne und Kausalitäten zu formulieren (vgl. Ryan, 2004: 8; Ryan, 2001a). Der diesen Kriterien entsprechende Narrativitätsbegriff ist weiterhin unabhängig von der Frage nach der Fiktionalität von Welten sowie von der Erzählbarkeit von Geschichten und nicht zwingend auf Literatur beschränkt (vgl. Ryan, 2001a). Narrativität ist ein Produkt semiotischer Sinnstiftung, die eher vom Rezipienten abhängt als vom gezeichneten Gegenstand und nicht alle Gegenstände bieten sich für eine narrative Interpretation an. Darüber hinaus betrachtet Marie-Laure Ryan den menschlichen Akt des Problemlösens als ein existenzielles Handlungsmuster und damit auch als fundamentales Muster von Narrativität. Schließlich müssen narrative Repräsentationen thematisch vereinheitlicht und logisch kohärent sein, da sie durch Ursache- und Wirkungszusammenhänge über einen zeitlichen und damit bedeutsamen Verlauf referenzierte Subjekte bzw. Charaktere zusammengehalten werden (vgl. ebd.). Grundlegend geht es Studien dieser Tradition darum, „[…] zu erfragen, wie der Eindruck von Narrativität in unterschiedlichsten Kontexten entsteht“ (Engelns, 2014: 60).
Es wird also einerseits ein klassisches Konzept der erzählten Welt vorausgesetzt, andererseits wird die Handlung nicht ausschließlich über Anfang und Ende definiert sondern Prozessualität steht hierbei im Fokus. Das dritte Kriterium integriert schließlich den Rezipienten als Teil dieses narrativen Gesamtprozesses. Das Einbeziehen des Rezipienten ist besonders für die Untersuchung von Computerspielen relevant, da transmediale Erzähltheorien davon ausgehen, dass Narrativität nicht konkret in einem linearen Rezeptionsverlauf bzw. Spielprozess entsteht, „[…] sondern durch die Neuordnung spielprozessualer Elemente während der Rezeption“ (Engelns, 2014: 61). In diesem Sinne geht es also weniger darum, Computerspiele als Erzählungen zu beschreiben, sondern vielmehr darum festzustellen, dass Computerspiele aus einer physischen, weniger narrativen, und einer symbolischen, eher narrativen, Ebene bestehen (vgl. Ryan, 2006: 194). Transmediale Erzähltheorien verschieben damit den inhaltlichen Fokus der Untersuchung vom discourse bzw. von der story, der Erzählform, wie etwas erzählt oder dargestellt wird, hin zur histoire bzw. zum plot, dem Inhalt, was erzählt oder dargestellt wird. Der Fokus auf Ereignisse oder ganze Ereignisfolgen kommt damit dem Problem narratologischer Studien von Computerspielen entgegen, dass Computerspiele oftmals keine festen Ereignisfolgen vorgeben und der Spieler die Verbindungen von Ereignissen oder Spielabschnitten realisiert. Aus diesen Prämissen ergeben sich für Marie-Laure Ryan verschiedene Aufgaben narrativer Studien zu Computerspielen:
„Sie sollen in den Blick nehmen, wie die Aktionen des Spielers narrative Rezeptionseindrücke herstellen und begünstigen, welche Elemente von Narrativität der Spieler einbringt, welche werkseitigen Elemente den Spieler zur Rezeption von Narrativität leiten und welche ‚microstories‘ [ebd. S. 201] im Spiel situiert sind” (Engelns, 2014: 63).
Dadurch ist es möglich, den Kontrast zwischen den symbolischen und den physikalischen, wie regelhaften Elementen von Computerspielen zu fokussieren, imaginative und strategische Funktionen von narrativen Angeboten und Rezeptionen zu klären und Verbindungen zwischen dem Spielprozess und den narrativen Elementen zu suchen (vgl. Ryan, 2006: 202; Engelns, 2014: 63).
Denn für die Textwissenschaften ist die syntagmatischen Verbindung von Sinneinheiten, klassischerweise von einzelnen Wörtern zu ganzen Sätzen, als lineare Organisation von Zeichen, eine idealtypische Voraussetzung, die für Bilder und Computerspiele lediglich eine Möglichkeit darstellt.
Denn das Ordnungsschema eines möglichen Sinnzusammenhangs konkretisiert sich in Computerspielen – wenn überhaupt – im Zuge der Rezeption oder nachträglich. So wird davon ausgegangen, dass die Narrativität von Computerspielen oftmals erst zeitlich dem Spiel nachgeordnet rezipiert wird (vgl. Engelns, 2014: 61; Gee, 2004: 83). Das heißt, die Geschichte wird zwar durch Stimuli und Hinweise vorbereitet, aber schließlich erst im Rezeptionsprozess erzeugt. Marie-Laure Ryan verdeutlicht dieses Erzähl- bzw. Rezeptionsmodell als Netzwerk von Hinweisen, die der Rezipient als eine „Hidden Story“ rekonstruier (Ryan, 2001b: 253; siehe Abb. 6).
Abbildung 6: Modell der versteckten Geschichte als Pfadstruktur nach Marie-Laure Ryan (2001: 253).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Transmediale Erzähltheorie ist demnach für Computerspiele fruchtbar, weil die Entstehung von Narrativität im Zusammenspiel zwischen Rezipient und Gegenstand untersucht wird. Damit einher geht folglich ein graduelles und offeneres Verständnis von Narrativität (vgl. Thon, 2015: 89).
Markus Engelns (2014: 62) betont jedoch, dass die damit einhergehenden offenen Begriffe und Methoden neben den Vorteilen auch die Gefahr bergen, dass die Studien willkürlich wirken, aufgrund zu unspezifischer Begriffe und Methoden im Vergleich zu intratextuellen Ansätzen. Dazu gilt es sich das Problem bewusst zu machen, dass häufig von einem idealen Rezipienten ausgegangen wird, dessen Haltung implizit der Analyseperspektive angepasst wird.
In dieser theoretischen Perspektive geht es also nicht darum, Beschreibungsmodelle aus anderen Theorien abzuleiten, sondern im grundlegendsten Sinne Narrativität zu erforschen und damit die Wechselwirkungen zwischen Rezipient und Gegenstand zu verstehen. Konkret für die Computerspielforschung heißt das, die ludologische Perspektive nachzuvollziehen und für narratologische Studien anzupassen (vgl. ebd.). Beispielsweise hat Henry Jenkins (2004) für diese Integration einen ersten Ansatz unternommen (vgl. Engelns, 2014: 65 f.).
Dabei konzipiert Jenkins mehrere narrative Katorgien, die sich vorrangig an der räumlichen Exploration des Spielers orientieren. Die Spielräume sind dabei so gestaltet, dass sie entweder an bekannte Genretraditionen und narrative Vorerfahrung anschließen. Diese „evocative spaces“ (Jenkins, 2004: 123) ermöglichen es Computerspielen narrativ zu sein, ohne dabei eine komplette Geschichte mit Ereignissen, Erzählern, etc. zu realisieren. Diesen Vorgang nennt er schließlich „environmental storytelling“ (Jenkins, 2004: 123). Jedoch lässt sich mit diesen Begriffen nicht die grundlegende Frage klären, ob die Ereignisdarstellung von Computerspielen wirklich narrativ ist oder nicht. Insgesamt sind für die komplexen Beziehungen von Text und Bild, Ereignisorganisation und Zeitlichkeit, sowie für die Rolle des Spielers in Computerspielen noch viele Fragen ungeklärt.
[...]
[1] Vgl. Jan-Keno Jannsen: „Kommentar – Sechs Gründe, warum Virtual Reality ein Erfolg wird“, 23.08.2014, URL: http://www.heise.de/ct/artikel/Kommentar-Sechs-Gruende-warum-Virtual-Reality-ein-Erfolg-wird-2301190.html [Zugriff am 10.09.2014].
[2] Im Rahmen dieser Masterarbeit wird der neutrale Begriff ‚Inhalt‘ bzw. ‚Virtual Reality Inhalte‘ verwendet, um analoge Beschreibungskategorien aus anderen Medien wie Film oder Computerspielen zu vermeiden und damit den Anspruch einer spezifischen Betrachtungsweise zu verdeutlichen.
[3] Vgl. Ijsselsteijn (2005) für eine umfassende Darstellung der Geschichte von Virtual Reality Technologie und Telepräsenz.
[4] Beispielsweise am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, vgl. URL: http://www.kyb.tuebingen.mpg.de/de/forschung/abt/bu/cybernetics-approach-to-perception-and-action.html [Zugriff am 06.03.2015].
[5] Zur Forschungsgemeinschaft für Präsenzerleben in VR siehe International Society for Presence Research, vgl. URL: http://ispr.info/; sowie die eigens dafür gegründete Fachzeitschrift Presence: Teleoperators and Virtual Environmentsm, vgl. URL: http://www.mitpressjournals.org/loi/pres.
[6] Induktion beschreibt ein logisches Schlussverfahren, bei dem von einzelnen Beobachtungen auf eine allgemeine Erkenntnis geschlossen wird. Es gilt als ein zentrales Merkmal qualitativer Forschung: „Die Forschenden gehen gerade nicht von theoretischen Vorannahmen aus; die Schlussfolgerungen über den Gegenstand ergeben sich vielmehr erst aus den Daten […] und die Theorie steht nicht am Anfang, sondern am Ende der Untersuchung. Dabei greifen Datenerhebung und -auswertung eng ineinander, sodass im Untersuchungsverlauf aus den Daten immer neue Annahmen gebildet und im nächsten Schritt einer Prüfung unterzogen werden“ (Hussy, Schreier, & Echterhoff, 2010: 185).
[7] Vgl. URL: http://www.oxforddictionaries.com/definition/english/virtual-reality [Zugriff am 14.11.2014].
[8] Der Begriff (Tele-)Presence wurde ursprünglich von Marvin Minsky geprägt: „Telepresence emphasizes the importance of high-quality sensory feedback and suggests future instruments that will feel and work so much like our own hands that we won’t notice any significant difference“ (Minsky, 1980: 45).
[9] Vgl. URL: https://www.kickstarter.com/projects/1523379957/oculus-rift-step-into-the-game [Zugriff am 14.02.2015].
[10] Vgl. URL: http://www.zeit.de/digital/games/2014-01/virtual-reality-brille-oculus-rift/seite-2 [Zugriff am 09.12.2014].
[11] Vgl. URL: http://www.golem.de/news/mmo-oculus-rift-soll-eine-milliarde-menschen-vernetzen-1405-106265.html [Zugriff am 24.12.2014].
[12] Vgl. URL: http://www.bitkom.org/de/markt_statistik/77045_80043.aspx [Zugriff am 02.04.2015].
[13] Vgl. URL: http://de.gamesindustry.biz/articles/2015-03-31-der-hype-ist-da-29-percent-der-deutschen-wollen-vr-headsets [Zugriff am 07.04.2015].
[14] Vgl. URL: Quelle: https://thefullbrightcompany.files.wordpress.com/2012/09/grabphoto.png [Zugriff am 12.01.2015].
[15] Vgl. URL: https://www.callofduty.com/de/advancedwarfare/media/biolab-em1 [Zugriff am 12.01.2015].
[16] Vgl. URL: http://guardiansofthewind.com/ [Zugriff am 09.12.2014].
[17] Vgl. URL: https://www.oculus.com/order/.
[18] Vgl. URL: http://platformstudies.com.
[19] Vgl. URL: https://share.oculus.com.
[20] Vgl. URL: https://www.oculus.com/dk2/ [Zugriff am 10.01.2015].
[21] Vgl. URL: http://i.guim.co.uk/static/w-700/h--/q-95/sys-images/Observer/Pix/pictures/2014/12/1/1417434965914/Oculus-Rift-012.jpg [Zugriff am 12.01.2015].
[22] Vgl. URL: https://www.oculus.com/dk2/ [Zugriff am 12.01.2015].
[23] Vgl.: Peter Steinlechner: Oculus Rift - 2. Entwicklerversion. Weniger Übelkeit bei 75 Hertz, vom 19.3.2014, URL: http://www.golem.de/news/oculus-rift-2-entwicklerversion-weniger-uebelkeit-bei-75-hertz-1403-105234.html.
[24] Vgl. Oculus VR: „Immediately discontinue use if anyone using the headset experiences any of the following symptoms: […] drowsiness; fatigue; or any symptoms similar to motion. […] Take at least a 10 to 15 minute break every 30 minutes, even if you don’t think you need it”,URL: http://static.oculus.com/documents/health-and-safety-warnings.pdf [Zugriff am 17.01.2015].
[25] Ein Beispiel für die Gewöhnung an den ersten, populären Egoshooter beschreibt David Kushner: „Dave Taylor, hired to help with supplementary programming, had developed quite a reputation for passing out on the floor. But it wasn’t happening just because he was tired, he said. Doom was having some kind of greater effect on him, some biological effect. The longer he played, the faster he cruised through the streaming corridors, the more his head would spin. After a few minutes, he would have to lay down on the floor to steady himself. Sometimes, he’d just end up falling asleep” (Kushner, 2004[2003]: 150f.).
[26] vgl. URL: http://www.gamasutra.com/view/news/220480/The_dos_and_donts_of_designing_VR_ games.php [Zugriff am 03.01.2015].
[27] Es ist für Computerspiele mehr oder weniger typisch, ein Spiel bzw. Level mit dem Aufwachen der Spielfigur am Startpunkt eines Spielabschnitts zu beginnen, um das filmische Auf- und Abblenden zum Szenenwechsel für den Spieler und seine Figur inhaltlich realistischer zu begründen.
[28] Vgl. URL: www.soscisurvey.de.
[29] Vgl. URL: https://forums.oculus.com.
[30] „Deskriptiv-narratologische Studien sind Zeugnis der Begriffsähnlichkeiten zwischen Computerspielen und narrativen Gegenständen und blenden eine Kritik an den bekannten Kategorien und der damit einhergehenden Kritik an den bekannten Kategorien und der damit einhergehenden Modell- und Theoriebildung aus. Dadurch verwenden sie die Begriffe tendenziell sinnbildlich, das heißt als anschauliches, aber nicht zwingend auch adäquates Bild und schreiben so selbst Geschichten von Computerspielen, die davon handeln, dass Computerspiele Geschichten sind“ (Engelns, 2014: 59). Engelns verweist dabei auf die Ähnlichkeit der Problematik, welche Hayden White für die Geschichtswissenschaften attestiert hat, welche Ereignisse in eine Historie einreihen und damit selbst narrative Verfahrensweisen einsetzen (vgl. White, Hayden (1975): Metahistory. The Historical Imagination in Nineteenth-Century Europe. Baltimore/London: The Johns Hopkins University Press.).
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