Staatliches Außenpolitikverhalten wird durch viele verschiedene Faktoren beeinflusst. Sowohl systemische Faktoren (Struktur des Internationalen Systems) als auch subsystemische, innerstaatliche Faktoren können auf die Außenpolitik eines Staates ihre Wirkung entfalten. Diese Arbeit soll die wesentlichen Variablen aufzeigen, die für die deutsche Chinapolitik der Regierung Schröder ausschlaggebend sind und gegenwärtig als Hauptursache das deutsche Außenpolitikverhalten gegenüber der Volksrepublik bestimmen.
Der Fokus dieser Außenpolitikanalyse wird auf den Interessen wichtiger gesellschaftlicher Akteure innerhalb Deutschlands liegen, die als innerstaatliche Faktoren („domestic factors“) die deutsche Außenpolitik beeinflussen. Dazu scheint der Außenpolitikansatz des akteursbasierten Liberalismus – der von A. Moravcsik wieder auf die Agenda der Außenpolitikforschung gesetzt wurde1- im konkreten Fall der rot-grünen Chinapolitik das fruchtbarste Konzept zu sein, um die Zielsetzung und das strategische Verhalten der Bundesregierung gegenüber China erklären zu können: Gesellschaftliche Akteure versuchen ihre Interessen in China über die deutsche Regierung mit Hilfe der staatlichen Außenpolitik durchzusetzen und sind folglich bedeutende Faktoren, die auf das Außenpolitikverhalten eines Staates wirken. Im Falle der deutschen Chinapolitik sind diese internen Faktoren vor allen anderen Einflussvariablen sogar als die wichtigsten Ursachen für das außenpolitische Handeln Deutschlands anzusehen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Fragestellung
1.2. Theorien der Außenpolitikanalyse
1.3. Methodische Aspekte
1.4. Deutsch-chinesische Beziehungen
2. Außenpolitikanalyse: Der Liberalismus und die internen Faktoren der Außenpolitik (Theorie)
2.1. Grundlegende Aussagen des Liberalismus
2.2. Gesellschaftliche Akteure und deren Interessen
2.3. Staatliche Institutionen als Transmissionsriemen
2.4. Nationales Interesse als Zielvorstellung
2.5. Durchsetzungsfähigkeit von gesellschaftlichen Interessen
3. Deutsche gesellschaftliche Interessen in Bezug zu China (Empirie)
3.1. Gesellschaftliche Interessengruppen I: BINGOs
3.1.1. Unternehmen: das Beispiel Siemens
3.1.2. Wirtschaftsverbände: BDI, DIHK, OAV
3.1.3. Asien-Pazifik-Ausschuss der deutschen Wirtschaft
3.2. Gesellschaftliche Interessengruppen II: NGOs
3.2.1. Menschenrechtsorganisationen: Amnesty International
3.2.2. Umweltorganisationen: Greenpeace
3.2.3. Entwicklungspolitische Stiftungen: Friedrich-Ebert-Stiftung
3.3. Zwischenfazit: Interessenkollisionen und Interessenergänzungen
4. Dominante gesellschaftliche Interessen und deutsche Chinapolitik (Auswertung)
4.1. Dominante gesellschaftliche Interessen
4.2. Deutsches Nationales Interesse und deutsche Chinapolitik
4.3. Rangordnung der gesellschaftlichen Interessen in der deutschen Chinapolitik
4.4. Strategien der deutschen Chinapolitik
4.4.1. Wandel durch Handel
4.4.2. Staatsbesuche
4.4.3. Rechtszusammenarbeit
5. Fazit (Bewertung)
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Übersicht und Zuordnung der Außenpolitiktheorien (vgl. Carlsnaes 2002, S. 336)
Abbildung 2:
Gesellschaftliche Akteure mit ihren Grundinteressen und außenpolitischen Interessen/Präferenzen
(vgl. Bienen/Freund/Rittberger 1999, S. 19)
Abbildung 3:
Interessenkollisionen und –ergänzungen
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Deutsche Chinapolitik:
Gesellschaftliche Interessen und deren Wirkung auf die deutsche Außenpolitik
1. Einleitung
Staatliches Außenpolitikverhalten wird durch viele verschiedene Faktoren beeinflusst. Sowohl systemische Faktoren (Struktur des Internationalen Systems) als auch subsystemische, innerstaatliche Faktoren können auf die Außenpolitik eines Staates ihre Wirkung entfalten. Diese Arbeit soll die wesentlichen Variablen aufzeigen, die für die deutsche Chinapolitik der Regierung Schröder ausschlaggebend sind und gegenwärtig als Hauptursache das deutsche Außenpolitikverhalten gegenüber der Volksrepublik bestimmen.
Der Fokus dieser Außenpolitikanalyse wird auf den Interessen wichtiger gesellschaftlicher Akteure innerhalb Deutschlands liegen, die als innerstaatliche Faktoren („domestic factors“) die deutsche Außenpolitik beeinflussen. Dazu scheint der Außenpolitikansatz des akteursbasierten Liberalismus – der von A. Moravcsik wieder auf die Agenda der Außenpolitikforschung gesetzt wurde[1] - im konkreten Fall der rot-grünen Chinapolitik das fruchtbarste Konzept zu sein, um die Zielsetzung und das strategische Verhalten der Bundesregierung gegenüber China erklären zu können: Gesellschaftliche Akteure versuchen ihre Interessen in China über die deutsche Regierung mit Hilfe der staatlichen Außenpolitik durchzusetzen und sind folglich bedeutende Faktoren, die auf das Außenpolitikverhalten eines Staates wirken. Im Falle der deutschen Chinapolitik sind diese internen Faktoren vor allen anderen Einflussvariablen sogar als die wichtigsten Ursachen für das außenpolitische Handeln Deutschlands anzusehen.
1.1. Fragestellung
Aufgabe dieser Analyse ist es, die Liberalismustheorie auf die deutsche Chinapolitik der Regierung Schröder anzuwenden. Kann der Liberalismus das außenpolitische Verhalten Deutschlands in Bezug zu China erklären?
Es stehen somit drei Fragen im Mittelpunkt dieser Arbeit:
1. Welche gesellschaftlichen Akteure mit ihren spezifischen China-Interessen existieren innerhalb der deutschen Gesellschaft überhaupt?
2. Welche dieser gesellschaftlichen Akteure sind innerhalb Deutschlands die durchsetzungsfähigsten und warum?
3. Beeinflussen diese dominanten Interessen auch wirklich die deutsche Chinapolitik der rot-grünen Bundesregierung (wie es der Liberalismus behauptet)?
Als Ergebnis soll der dominante (gesellschaftliche) Einflussfaktor ermittelt werden, der sowohl die Zielsetzung als auch die Strategien der deutschen Chinapolitik prägt.
1.2. Theorien der Außenpolitikanalyse
Jede Außenpolitikanalyse bedarf einer theoretischen Fundierung. Die empirischen Daten und Ergebnisse, die in dieser Ausarbeitung dargestellt werden, können nur sinnvoll gedeutet und interpretiert werden, wenn sie durch den Filter bzw. die Brille einer anerkannten Theorie gesehen werden. In diesem Abschnitt wird deshalb auf die wichtigsten Theorien zur Außenpolitikanalyse eingegangen und der aktuelle Forschungsstand der Wissenschaft aufgezeigt.
Zum gegenwärtigen Forschungsstand der Außenpolitikanalyse lässt sich folgendes sagen:
Die Fixierung der Außenpolitikforschung bis 1989 – mit den beiden Ansätzen des Neorealismus und des Neoinstitutionalismus - auf systemische Faktoren hatte in der Vergangenheit zu einer Vernachlässigung jener Kräfte auf der innerstaatlichen Ebene geführt, die den Epochenwechsel 1989 herbeigeführt haben. In den 1990er Jahren kam es deshalb zu einer „interpretativen Wende“, und es entstanden neue Konzepte zur Analyse von Außenpolitik bzw. alte Ansätze wurden deutlich weiterentwickelt und verbessert. Nun, zu Beginn des 21. Jahrhunderts können die entstandenen Theorien der Außenpolitikforschung in rationalistische („Objektivismus“) und in post-rationalistische („Interpretativismus“) Konzepte eingeteilt werden[2].
Die rationalistischen bzw. objektivistischen Konzepte sind die traditionellen Ansätze, mit denen menschliches Verhalten in den Sozialwissenschaften erklärt wird. Sie gehen von rationalen und eigennutzorientierten Akteuren aus. Die Rationalitätsannahme besagt dabei, dass ein Akteur in der Lage ist, zweckdienliche Schritte zur Erreichung eines Ziels zu unternehmen. Er wählt aus allen objektiv zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen diejenige aus, die seinen Nutzen maximiert. Als Modell hierfür dient der „homo oeconomicus“ aus den Wirtschaftswissenschaften, der mit dem geringsten Aufwand seinen Nutzen maximiert. Allerdings wird dieses Modell in der Politikwissenschaft mit einem erweiterten Nutzenbegriff ausgestattet. Neben materiellen Gewinnen werden auch immaterielle Faktoren wie z.B. Macht einbezogen. Politisch handelnde Akteure streben demnach sowohl nach Einkommen, also materiellen Gewinnen, als auch nach Kompetenzen, also immateriellen Gewinnen[3].
Diese rationalistischen Konzepte gehören dabei dem Wissenschaftsparadigma des Positivismus an, der von einer objektiven Realität ausgeht und wie in den Naturwissenschaften Kausalzusammenhänge aufzeigen will. Objektivismus bedeutet dabei, dass die menschlichen Akteure und ihr Handeln von einem außenstehenden Beobachter analysiert und erklärt und nicht wie beim Interpretativismus nur von „innen“ analysiert werden können. Nach Max Webers klassischer Unterscheidung zwischen Erklären und Verstehen sind diese rationalistisch-objektivistischen Ansätze dem Bereich des „Erklärens“ zuzuordnen, geformt nach dem Modell der Naturwissenschaften[4].
Die rationalistischen Konzepte teilen sich wiederum in zwei Gruppen auf: Die erste Gruppe analysiert Außenpolitik aus der strukturellen Perspektive. Das Grundmuster staatlichen Verhaltens in der internationalen Politik leitet sich hier aus der Struktur des internationalen Systems ab. Dieses wird aufgrund seiner anarchischen Struktur auch als dezentrales Selbsthilfesystem charakterisiert[5]. Zu den strukturellen Ansätzen gehören etwa der Neorealismus und der (neoliberale) Institutionalismus[6].
Die zweite Gruppe der rationalen Konzepte analysiert Außenpolitik aus der akteursbasierten Perspektive. Hier stehen die Einflüsse und Wirkungen von innerstaatlichen Akteuren auf das Außenpolitikverhalten eines Staates im Mittelpunkt der Analyse. Die zentralen Akteure können dabei Individuen bzw. gesellschaftliche Gruppen sein, die versuchen, ihre eigenen Interessen durchzusetzen und auch in der Außenpolitik zu platzieren. Oder es sind organisationale Spieler innerhalb der Bürokratie eines Staates, die ihre jeweiligen Verwaltungsinteressen vertreten und in komplizierten Verhandlungsprozessen untereinander Kompromisse bilden, die dann auf das Außenpolitikverhalten wirken. Zu diesen akteursbasierten Konzepten gehören etwa der Liberalismus, der Bürokratische-Politik-Ansatz und einige Kognitiv-Psychologische Ansätze[7].
Neben diesen rationalistischen Konzepten haben auch post-rationalistische Ansätze („Interpretativismus“) Eingang in die Außenpolitikanalyse gefunden. Diese Ansätze gehen davon aus, dass Akteure und Strukturen nicht unabhängig von sozialen Kontexten verstanden werden können. Es wird die Existenz eines eigenen sozialen Bereiches vorausgesetzt, der von sozialen Regeln und einer intersubjektiven Bedeutung gekennzeichnet ist. Hier befindet man sich in Webers Bereich des „Verstehens“: Es wird davon ausgegangen, dass die Sozialwissenschaften das interpretative Verständnis von sozialem Verhalten untersuchen. Dies bedeutet, dass menschliches Verhalten immer nur von „innen“ verstanden werden kann. Ein außenstehender Beobachter kann gar nicht die Bedeutung des gesehenen Verhaltens verstehen. Der Forscher muss die sozialen Regeln, Konventionen und den Kontext kennen, denn nur so versteht er die Intentionen der sozialen Akteure[8].
Diese postrationalen Konzepte haben vielfach erst in den 1990er Jahren ihren Einzug in die Außenpolitikforschung gefunden und kommen aus der Psychologie und Soziologie. Demnach streben sie eigentlich keine explizite Außenpolitikforschung an. Sie können aber gut als Ergänzung zu den rationalistischen Ansätzen dienen, indem sie etwa außenpolitische Entscheidungsprozesse der politischen Elite analysieren (bsp. Group-Think-Phänomene) oder aber die soziale Konstruktion von Interessen bei den politischen Entscheidungsträgern mit Hilfe von Theorien der kognitiven Evolution, der Sozialisierung und des sozialen Lernens untersuchen[9].
Gute Beispiele für diese interpretativen Konzepte sind der Sozial-Konstruktivismus, der auf einer sozial-institutionelle Perspektive basiert, diskursive Ansätze, die die Rolle der Sprache untersuchen, und die (sozial-) psychologischen Ansätze, die die Einstellungen und Intentionen auf der individuellen Ebene analysieren.
Abbildung 1 gibt nun eine zusammenfassende Übersicht der vorgestellten Ansätze der Außenpolitikanalyse und ordnet sie den verschiedenen Bereichen zu.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Übersicht und Zuordnung der Außenpolitiktheorien (vgl. Carlsnaes 2002, S.336)
Welche Theorie ist nun am besten geeignet, um das Außenpolitikverhalten von Staaten zu analysieren? Eine umfassende Außenpolitikanalyse muss auf jeden Fall integrativ vorgehen, d.h. diese verschiedenen dargestellten Außenpolitiktheorien und -konzepte können alle einen Teil im außenpolitischen Entscheidungs- und Umsetzungsprozess eines Staates erklären. Als Kombination fügen sich dann die einzelnen Teile zu einem Gesamtbild und multikausalen Erklärungsmodell der staatlichen Außenpolitik zusammen: „A multicausal synthesis, one that treats these theories not as substitutes but as complements, is required“[10]. Dabei sollten die Konzepte jeweils analytisch autonom behandelt, aber anschließend in Verbindung miteinander gesetzt werden[11]. Diese Vorgehensweise ermöglicht es dann, eine umfassende Beschreibung und Erklärung für das Außenpolitikverhalten eines Staates zu finden und auch die Interdependenzen zwischen den bestehenden Strukturen und den handelnden menschlichen Akteuren aufzuzeigen.
Diese Ausarbeitung wird eine Analyse der deutschen Chinapolitik mit Hilfe des Liberalismus durchführen. Durch ihn kann ein wichtiger Teilbereich des deutschen Außenpolitikverhaltens bezüglich Chinas – nämlich der durch innerstaatliche Faktoren geprägte - erklärt werden. Gesellschaftliche Akteure innerhalb des Staates sind dabei eine wichtige Quelle für die Erklärung von staatlichem Außenpolitikverhalten: „[…] human beings, acting individually or in collectivities, are the source of much behavior and most change in international politics. […] The actor-specific theory produced through foreign policy analysis has enormous theoretical, methodological, and policy potential: a potential that is only starting to be recognized as researchers work to develop theories that facilitate our understanding of why certain foreign policy decisions are made”[12].
Die subsystemischen, innerstaatlichen Faktoren, die Deutschlands Interessenfindung bezüglich Chinas prägen, werden somit hier analysiert und als Erklärung für die konkrete deutsche Chinapolitik der Regierung Schröder seit 1998 herangezogen. Gesellschaftliche Akteure, ihre Interessen und ihre innergesellschaftliche Durchsetzungsfähigkeit stehen damit im Mittelpunkt dieser Ausarbeitung.
1.3. Methodische Aspekte
Es wird in methodischer Hinsicht darum gehen, die deutsche Chinapolitik mit Hilfe der Liberalismustheorie zu erklären. Die Haupthypothese, die der Liberalismus aufstellt, lautet dabei: Gesellschaftliche Akteure mit ihren Interessen (unabhängige Variable) beeinflussen und prägen das außenpolitische Verhalten eines Staates bzw. dessen Regierung (abhängige Variable). Diesen Kausalzusammenhang gilt es zu überprüfen, ob er in der Chinapolitik der Bundesrepublik Deutschland bestätigt werden kann und so die Ursachen für das konkrete Außenpolitikverhalten der Regierung Schröder gefunden werden können. Um dies zu leisten, werden erst einmal die Liberalismustheorie und ihre Aussagen zu den internen (innerstaatlichen) Faktoren der Außenpolitik erläutert (siehe Kapitel 2). Danach findet die empirische Analyse statt (siehe Kapitel 3). Mit Hilfe des theoretischen Konzeptes sollen dann die empirischen Daten ausgewertet werden (siehe Kapitel 4).
Um die Hypothesen des Liberalismus an der deutschen Chinapolitik zu operationalisieren, werden folgende Schritte unternommen:
- Es werden die gesellschaftlichen Akteure aus Deutschland herausgefiltert, die offensichtlich Interessen in China verfolgen. Dies kann geschehen, indem man analysiert, ob sie z.B. in China aktiv sind oder konkrete Interessen in Bezug zu China haben und artikulieren (siehe Kapitel 3).
- Die Interessen und Präferenzen der Akteure werden dann sowohl theoretisch-deduktiv (Ableitung vom Grundinteresse des Akteurs) als auch empirisch-induktiv (Beobachtungen, Äußerungen, Dokumente der Akteure; sowie Expertenmeinungen) ermittelt (siehe 3.1 und 3.2.).
- Anschließend wird durch die Analyse der Durchsetzungsfähigkeit der Akteure und ihrer Interessen beurteilt, welche gesellschaftlichen Akteure mit ihren spezifischen China-Interessen innerhalb Deutschlands dominieren können (siehe 4.1.).
- Danach geht es darum, festzustellen, ob diese dominierenden Interessen auch maßgeblich die Chinapolitik der Bundesregierung prägen. Indikatoren für eine erfolgreiche Prägung der staatlichen Außenpolitik sind beispielsweise die Vertreter bestimmter Akteure in relevanten (Beratungs-) Gremien oder Ausschüssen, die die staatliche Außenpolitik bezüglich Chinas beeinflussen oder die Tatsache, dass bestimmte Akteure regelmäßig bei der Planung und Ausführung der Chinapolitik miteinbezogen und gehört werden.
Die Beurteilung, ob bestimmte gesellschaftliche Akteure wirklich auf die staatliche Außenpolitik wirken, kann dann sowohl durch die Beobachtung des konkreten außenpolitischen Verhaltens der Bundesregierung bezüglich Chinas geschehen als auch durch die Analyse und das Einbeziehen von Expertenmeinungen zur deutschen Chinapolitik erfolgen (siehe 4.2-4.4.).
1.4. Deutsch-chinesische Beziehungen im Überblick
Zum heutigen Stand der deutsch-chinesischen Beziehungen lässt sich folgendes sagen:
Da die chinesische Staatsführung weiterhin ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem Multilateralismus insbesondere in Sicherheits- und Souveränitätsfragen hegt, bleiben bilaterale Beziehungen die wichtigste Ebene des politischen Austauschs mit China[13]. Insbesondere die bilateralen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und China entwickeln sich seit mehreren Jahren sehr positiv. Auch 2003 gab es wieder hohe Steigerungsraten beim deutschen Export nach China sowie beim Import chinesischer Waren. China ist inzwischen zu Deutschlands zehnt größtem Handelspartner weltweit geworden und Deutschland zu Chinas sechst größtem. In Asien ist die VR China mittlerweile der wichtigste Handelspartner für Deutschland noch vor Japan![14]. Von der starken chinesischen Nachfrage nach ausländischen Gütern konnten deutsche Hersteller stark profitieren, und die VR hat auch für deutsche Direktinvestitionen weiter an Bedeutung gewonnen. Insbesondere seit dem WTO-Beitritt Chinas im Jahr 2001 sehen viele deutsche Unternehmen einen hohen Nutzen darin in China zu investieren[15].
Des Weiteren führen Deutschland und China seit einigen Jahren eine bilaterale Rechtszusammenarbeit, seit 2000 auch einen Rechtsstaatsdialog. Besonders hervorzuheben sind hierbei die Aus- und Weiterbildung von chinesischem Justizpersonal durch deutsche Rechtsexperten[16]. Abgerundet wird das bilaterale Verhältnis durch eine umfangreiche Entwicklungs-zusammenarbeit (dient teils auch der Exportförderung) und eine wissenschaftlich-technologische Zusammenarbeit[17].
Im Gegensatz zu vielen anderen bilateralen Beziehungen sind die deutsch-chinesischen Beziehungen nach Heilmann kaum durch historische Hypotheken belastet: Deutschlands Reputation in China sei nicht geprägt durch die Verbrechen der nationalsozialistischen Herrschaft, sondern überwiegend durch die kulturellen, technischen und wirtschaftlichen Leistungen der Zeit vor und nach dem zweiten Weltkrieg[18]. Spannungen und Störungen des bilateralen Verhältnisses entstehen in erster Linie bei massiven Menschenrechtsverletzungen in China wie beispielsweise nach der Militäraktion auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989[19].
2. Außenpolitikanalyse: Der Liberalismus und die internen Faktoren der Außenpolitik (Theorie)
Da in dieser Arbeit mit Hilfe der Liberalismustheorie eine Außenpolitikanalyse durchgeführt wird, ist es notwendig, sich zuerst einmal zu verdeutlichen, was unter dem Begriff Außenpolitik überhaupt verstanden wird. Außenpolitik wird hier definiert als die Interessenswahrnehmung der im (National-) Staat organisierten Gesellschaft gegenüber ihrem internationalem Umfeld[20]. Die Einwirkung auf diese Umwelt wird dabei von inhaltlichen Interessen bestimmt, die als Zielvorstellungen für das Außenpolitikverhalten der Staatsregierung dienen. Generiert werden diese außenpolitischen Interessen bzw. Zielvorstellungen im internen Willensbildungsprozess der staatlich organisierten Gesellschaft[21].
Der Liberalismus beschäftigt sich nun mit den innerhalb der staatlich organisierten Gesellschaft bestehenden, gesellschaftlichen Interessen, die zu den Zielvorstellungen der staatlichen Außenpolitik werden konnten, indem sie sich gegen andere, konfligierende Interessen durchsetzten. Er kann einen wichtigen Beitrag leisten, wenn das Außenpolitikverhalten von Staaten analysiert wird, die über offene und pluralistische Gesellschaftsstrukturen verfügen und in denen gesellschaftliche Akteure mit ihren spezifischen Interessen eine Chance haben, auf die Zielvorstellungen und damit auch auf die Strategien der staatlichen Außenpolitik einzuwirken. Somit kann der akteursbasierte Liberalismus auch für die Analyse der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland angewendet werden, da hier seit vielen Jahren ein politisches System besteht, dessen Strukturen offen für Einflüsse von „pressure groups“ sind[22].
In diesem Kapitel wird nun der Liberalismus als Außenpolitiktheorie mit seinen Hauptaussagen vorgestellt. Dabei wird folgendermaßen vorgegangen:
Nachdem in 2.1 die grundlegenden Aussagen des Liberalismus erläutert werden, soll in den nachfolgenden Abschnitten auf wichtige Aspekte der Theorie eingegangen werden. So wird in 2.2 dargestellt, welche gesellschaftlichen Akteure mit welchen spezifischen Interessen innerhalb eines pluralistisch-demokratischen Staates bestehen. Anschließend werden in 2.3 die staatlichen Institutionen (in Bezug auf Deutschland) vorgestellt, die als Transmissionsriemen für die gesellschaftlichen Interessen dienen. In 2.4 wird danach auf das Nationale Interesse des Staates (aus der Sicht des Liberalismus) eingegangen, welches als Zielvorstellung das Außenpolitikverhalten steuert. Und in 2.5 wird schließlich über die Durchsetzungsfähigkeit der gesellschaftlichen Akteure und ihrer Interessen berichtet. Sie entscheidet letztendlich darüber, welche spezifischen Interessen innerhalb der Gesellschaft dominieren können und somit die größte Chance haben, dass Nationale Interesse und das konkrete Außenpolitikverhalten eines Staates zu prägen.
2.1. Grundlegende Aussagen des Liberalismus
Der Liberalismus bzw. die liberalen Ansätze der internationalen Politik untersuchen die Interessen und das Handeln von Individuen und privaten Gruppen innerhalb des demokratischen und pluralistischen Staates und deren Auswirkungen auf die staatliche Außenpolitik: „Liberalism explains state’s foreign policy behaviour on the basis of domestic factors“[23]. Somit wird der Staat nicht als einheitlicher Akteur mit einem immerwährenden einheitlichen Interesse angesehen, sondern als Zusammensetzung von vielen verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren, die alle ihre eigenen Interessen vertreten. Aufgrund der demokratischen Strukturen ist auch in der Außenpolitik eine gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeit gegeben und die aus der Gesellschaft kommenden Interessen bestimmen letztendlich über das außenpolitische Verhalten des Staates.
Staatliches Außenverhalten wird also auf innerstaatliche Faktoren zurückgeführt. Der Liberalismus geht davon aus, dass innerhalb des Staates konfligierende Interessen bestehen und sowohl die gesellschaftlichen Interessenvermittlungsstrukturen als auch die jeweilige Akteursmacht darüber bestimmen, welche gesellschaftlichen Interessen sich durchsetzen können und damit zum zentralen Bestimmungsfaktor der Außenpolitik eines Staates werden[24]. Der Liberalismus erklärt also außenpolitische Verhaltensweisen mit einem „bottom-up-view of politics“ als Ergebnis subsystemischer Einflußgrößen[25]. Die Haupthypothese des akteursbasierten Liberalismus besagt dabei, dass das Außenpolitikverhalten eines Staates hauptsächlich durch gesellschaftliche Akteure geprägt wird, die rational und eigennutzorientiert handeln und nur ihre spezifischen Interessen verfolgen[26]: „The fundamental actors in international politics are individuals and private groups, who are on the average rational and risk-averse and who organize exchange and collective action to promote differentiated interests under constraints imposed by material scarcity, conflicting values, and variations in societal influence“[27].
Wesentlich für diese gesellschaftlichen Akteure ist, dass ihr Anreiz zu handeln umso stärker ist, je größer der erwartete (materielle oder immaterielle) Nutzen zu sein scheint. Außerdem unterscheiden sich die gesellschaftlichen Akteure anhand ihrer Einflussmacht und ihrer Durchsetzungsfähigkeit innerhalb des Staates. Je nach situativer Durchsetzungsfähigkeit dominieren bestimmte gesellschaftliche Akteure mit ihren spezifischen Interessen (Policybezogen) und beeinflussen dann auch die staatliche Außenpolitik in diesem Bereich. Es werden also die Interessen derjenigen gesellschaftlichen Akteure, die sich im politischen (innergesellschaftlichen) Interessensvermittlungsprozess durchsetzen können, zum zentralen Bestimmungsfaktor von außenpolitischem Verhalten und bei der Festlegung des Nationalen Interesses[28].
Von der Art dieser dominierenden Partikularinteressen hängt es schließlich ab, ob die Außenpolitik eines Staates friedlich und kooperativ oder eher unkooperativ und gewaltbereit ist[29]. Letztendlich kann man aus einer liberalen Sicht Veränderungen des außenpolitischen Verhaltens eines Staates auf zwei Ursachen zurückführen: Entweder ändert ein dominanter gesellschaftlicher Akteur seine (außenpolitischen) Interessen bzw. Präferenzen oder die Zusammensetzung der mächtigen Akteure innerhalb des Staates ändert sich[30].
Eine wichtige Variante des Liberalismus ist der kommerzielle Liberalismus, der die ökonomischen Interessen von gesellschaftlichen Akteuren (nationale und transnationale) in den Mittelpunkt stellt und als ausschlaggebend für das Außenpolitikverhalten eines Staates ansieht: Je größer der erwartete ökonomische Profit eines (Wirtschafts-) Akteurs ist, desto stärker ist sein Anreiz, die Regierung zu einem ihn unterstützenden außenpolitischen Verhalten zu drängen[31]. Richard Rosecrance hat hierfür den Begriff des „neuen Handelsstaats“ geschaffen. Der Handelsstaat ist als Idealtyp (im Max Weberschen Sinne) zu verstehen, der einen Staat beschreibt, auf den die Theorievariante des kommerziellen Liberalismus zutrifft[32]. Handelsstaaten wollen die materiellen Gewinne ihrer mächtigen, gesellschaftlichen Akteure maximieren. Dementsprechend streben Handelsstaaten nach absoluten (materiellen) Gewinnen und akzeptieren auch gegenseitige Abhängigkeiten, um dieses Ziel zu erreichen. Der Handelsstaat setzt dabei meist auf kooperative Strategien zum gegenseitigen Nutzen statt auf konfrontative und zwangsmittelbestimmte Politik. Auch die BR Deutschland als liberal-demokratischer Wohlfahrtsstaat mit starker Weltmarktintegration wird dieser Kategorie zugeordnet[33].
Die Handelsstaaten nutzen im Wesentlichen ökonomische Instrumente zur Förderung ihrer außenpolitischen Ziele. Die zunehmende Ökonomisierung der Außenpolitik ist dabei für viele Staaten innerhalb der OECD-Welt typisch. Bestimmende Strukturvoraussetzungen der Außenpolitiken bleiben für alle Handelsstaaten die des Freihandels und der Marktwirtschaft[34]. Der Liberalismus in dieser ökonomischen Variante geht also davon aus, dass wirtschaftliche Akteure und ihre ökonomischen Interessen die dominierende Rolle in der (Außen-) Politik dieser Handelsstaaten spielen.
Abschließend kann man sagen, dass der Liberalismus als Außenpolitiktheorie gerade für die Analyse der Außenpolitiken der demokratisch-pluralistischen Staaten sinnvoll zu sein scheint. Denn in einem internationalen System, das von liberalen Gesellschaften und demokratischen Verfassungsstaaten geprägt wird und in dem komplexe Interdependenz das grundlegende Strukturmerkmal darstellt, bedarf es meiner Meinung nach des Liberalismus-Modells, um das Verhalten von Staaten in den internationalen Beziehungen besser erklären zu können.
2.2. Gesellschaftliche Akteure und deren Interessen
Wenden wir uns nun den innerstaatlichen Akteuren zu, die entscheidend für die Generierung der gesellschaftlichen Interessen innerhalb des Staates sind.
Akteursbasierte Analyseansätze wie der Liberalismus messen den Interessen der gesellschaftlichen Akteure die maßgebliche Erklärungskraft für das außenpolitische Verhalten von Staaten zu: „The fundamental actors in international politics are individuals and private groups“[35]. Strukturen und Prozesse der Interessensvermittlung im Staat beeinflussen hierbei die Möglichkeiten von Akteuren, ihre politischen Präferenzen im Politikentwicklungsprozess durchzusetzen. Repräsentative, staatliche Institutionen übersetzen dann nur noch die gesellschaftlichen Interessen, die sich durchsetzen konnten, in die staatliche Außenpolitik.
Die verschiedenen, gesellschaftlichen Akteure/Interessengruppen spielen im Liberalismus also die Hauptrolle. Im Sinne der „bottom-up-view of politics“ bilden sie von unten, d.h. aus der Gesellschaft heraus, ihre (außenpolitischen) Interessen. Welche gesellschaftlichen Akteure gibt es aber nun innerhalb eines pluralistischen Staates?
Gesellschaftliche Akteure (BINGOs und NGOs):
Die gesellschaftlichen Akteure werden einerseits in wirtschaftliche und andererseits in soziale und politische Akteure unterteilt. Die wirtschaftlichen Akteure bezeichnet man als BINGOs (Business [international] non-governmental organizations). Sie generieren soziale Macht in erster Linie durch wirtschaftliche Aktivitäten wie Warenproduktion und Handel. Die Bedeutung der BINGOs beruht vor allem auf ihrer Fähigkeit das materielle Wohlfahrtsniveau eines Staates zu sichern und zu steigern[36]. Obwohl die BINGOs bei den gesellschaftlichen Akteuren von der Anzahl her deutlich dominieren, gibt es auch andere wichtige und einflussreiche, gesellschaftliche Akteure: die sozialen und politischen Akteure. Man bezeichnet sie als NGOs (Non-governmental organizations). Bei ihnen entsteht soziale Macht durch freiwillige Verhaltenskoordination auf der Grundlage gemeinsamer Überzeugungen und Interessen von Individuen. Beispiele für NGOs sind etwa Greenpeace, Amnesty International und private Stiftungen. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt in den Bereichen Umwelt, Menschenrechte, Medizin und Wissenschaft. Die Durchsetzungsfähigkeit mancher dieser Organisationen ist beträchtlich, obwohl sie eigentlich nur auf der Fähigkeit beruht, für gemeinsame Zielvorstellungen zu mobilisieren[37].
[...]
[1] vgl. Moravcsik 1997, S. 513-553
[2] vgl. Harnisch 2002, S. 8
[3] vgl. Bienen/Freund/Rittberger 1999, S. 4-5
[4] vgl. Carlsnaes 2002, S. 335
[5] vgl. Rittberger 1999, S. 85
[6] vgl. Carlsnaes 2002, S. 336-337
[7] vgl. Carlsnaes 2002, S. 337-339
[8] vgl. Carlsnaes 2002, S. 335
[9] vgl. Harnisch 2002, S. 22
[10] Moravcsik 1997, S. 542
[11] vgl. Carlsnaes 2002, S. 343
[12] Hudson/Vore 1995, S. 209, 229
[13] vgl. Heilmann 2002, S. 3
[14] vgl. AA 2004, S. 1-2 und Deutsche Botschaft Peking 2004, S. 1 und 7
[15] vgl. China aktuell 2003, S. 836 und China aktuell 2003a, S. 1332
[16] vgl. Heilmann 1999, S. 8
[17] vgl. AA 2003, S. 3 und Heilmann 2002, S.5
[18] vgl. Heilmann 2002, S.1-2
[19] vgl. Heilmann 2002, S. 1-2
[20] vgl. Seidelmann 2000, S. 1
[21] vgl. Link 1978, S. 487
[22] vgl. Risse-Kappen 1991, S. 507
[23] Freund/Rittberger 2001, S. 68
[24] vgl. Harnisch 2002, S. 16 und Bienen/Freund/Rittberger 1999, S. 4
[25] vgl. Moravcsik 1997, S. 517
[26] vgl. Freund/Rittberger 2001, S. 69-70
[27] Moravcsik 1007, S. 516
[28] vgl. Bienen/Freund/Rittberger 1999, S. 4
[29] vgl. Moravcsik 1997, S. 524
[30] vgl. Freund/Rittberger 2001, S. 99
[31] vgl. Moravcsik 1997, S. 528
[32] vgl. Rittberger 1999, S. 87,90 und Rosecrance 1986
[33] vgl. Rittberger 1999, S. 87-88
[34] vgl. Bühl 1995, S. 179, 182
[35] Moravcsik 1997, S. 516
[36] vgl. Maull 2000, S. 369, 376-378
[37] vgl. Maull 2000, S. 378-379
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