Binary Bond. Videotechnische Messung von ästhetischen Merkmalen der digitalen Kinofilmproduktion in "Casino Royale", "Quantum of Solace" und "Skyfall"


Bachelorarbeit, 2013

87 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. PROBLEMSTELLUNG
2.1 Forschungsinteresse und Forschungsfrage
2.2 Forschungsanspruch
2.3 Forschungsgegenstand

3. DIGITALISIERUNG: BEGRIFF UND GESCHICHTE
3.1 Der Begriff „Digitalisierung“
3.2 Geschichtliche Relevanz und Überblick über die technische Entwicklung
3.3 Digitale Aufzeichnung: Ein Überblick von 2000 bis heute

4. DER VERGLEICH VON PHOTOCHEMISCHER UND DIGITALER AUFZEICHNUNG
4.1 Bedeutung und ästhetische Spezifika der Abbildung auf 35 mm-Film
4.2 Filmkorn versus Pixel
4.3 Auswahl von Parametern zum Vergleich

5. DURCHFÜHRUNG
5.1 Stichprobe
5.2 Ablauf
5.3 Instrumente
5.4 Erhebungs-Setup
5.4.1 Hard und Software
5.4.2 Anordnung
5.4.3 Auslesen der Instrumente
5.5 Vorbereitung für die statistische Auswertung 44 Universität Freiburg (Schweiz) Bachelorarbeit: Binary Bond Medien- und Kommunikationswissenschaft Manuel Imboden
5.6 Vorgehen zur statistischen Auswertung
5.7 Datenstrom

6. ERGEBNISSE
6.1 Subjektiver Vergleich
6.1.1 Körnung
6.1.2 Sterilität versus Lebendigkeit
6.1.3 Bewegungsunschärfe
6.2 Objektiver Vergleich
6.2.1 Beschreibung der Stichprobe
6.2.2 Auswertung des Vektorskops
6.2.3 Auswertung des Schnitttempos
6.2.4 Auswertung der Histogramme und der Wellenformmonitore

7. BESPRECHUNG UND BEWERTUNG DER ERKENNTNISSE

8. FAZIT
8.1 Zusammenfassung
8.2 Fazit und Desiderata

9. QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
9.1 Literaturverzeichnis
9.2 Abbildungsverzeichnis
9.3 Tabellenverzeichnis

10. ANHANG
10.1 Tabellen
10.2 Abbildungen

1. Einleitung

James Bond ist eine seit Dekaden bestehende und somit traditionsreiche Filmreihe. Obwohl Bond deutlich weniger lukrativ ist als vor 30 Jahren,1 kann man wegen des Prestiges der Filmreihe davon ausgehen, dass für die Produktion eines James Bond- Filmes keine Kosten und Mühen gescheut werden und nur „state-of-the-art“- Produktionsmittel2 eingesetzt werden. Darum ist ein Bond-Film auch immer ein Stück weit ein Barometer für den aktuellen technischen Stand in Hollywood. Natürlich bietet Bond eine ganze Reihe von Ansatzpunkten für sozial- und filmwissenschaftliche Diskussionen. Beispiele wären die Rolle des Bond-Girls aus einer Gender-Perspektive, die Darstellung von Gewalt aus einer medienwissenschaftlichen Perspektive, die Darstellung von „guten“ und „bösen“ Staaten, Organisationen oder Entitäten aus einer psychologischen oder politikwissenschaftlichen Perspektive, das Storytelling und die Tradition von Clichés aus einer filmwissenschaftlichen Perspektive, etc. Bond bietet einen fast unerschöpflichen Themenfundus, der sicher ein Stück weit zu jedem Moment ein Spiegel der westlichen Gesellschaft ist.

Diese Arbeit widmet sich jedoch einem Thema, das nicht unbedingt Bond-exklusiv ist, sondern eine hochaktuelle Entwicklung betrifft, die der Motor eines tiefgreifenden Wandels in der gesamten Filmindustrie ist: Die Digitalisierung.

Der 2012 erschienene, 25. Teil der James Bond-Reihe, Skyfall, ist der erste Film dieser Reihe, der nicht mehr auf dem traditionsreichen 35 mm-Filmformat, sondern mit einer digitalen Kamera gedreht wurde. Dies kann als starkes Zeichen der Zeit gedeutet werden, da die digitale Aufnahmetechnik offenbar an einem Punkt in ihrer Entwicklung angekommen ist, an dem sie nicht mehr nur eine Alternative zum Film darstellt, sondern plötzlich der „state-of-the-art“ ist.

Was vor wenigen Jahren noch kaum denkbar war, tritt nun also ein: die über 100-jährige Tradition des 35 mm-Filmes scheint sich ihrem Ende zuzuneigen. Es dürfte offensichtlich sein, dass diese lange Tradition der Diskussion der Ästhetik von Filmen ihren Stempel aufgedrückt hat. Die daraus resultierende Frage ist naheliegend: Besteht ein ästhetischer Unterschied zwischen digitaler und analoger Aufzeichnung, und wenn ja, wie sieht er aus? Ist er messbar, definierbar und objektiv belegbar, oder eher subjektiv und diffus?

Dies sind die Fragen, die in dieser Arbeit zuerst genauer definiert, begründet und dann empirisch ergründet werden sollen.

2. Problemstellung

2.1 Forschungsinteresse und Forschungsfrage

Das Ziel dieser Arbeit ist es, zu untersuchen, ob ein wahrnehmbarer subjektiv- bildästhetischer und signifikanter objektiv-videotechnischer Unterschied besteht zwischen dem mit einer digitalen Filmkamera gedrehten Film Skyfall (USA / GB 2012, R: Sam Mendes, K: Roger Deakins),3 der 23. Film aus der James Bond Reihe) und den beiden auf 35 mm-Film gedrehten Filmen Quantum of Solace (USA / GB 2008, R: Marc Forster, K: Roberto Schaefer)4 und Casino Royale (USA / GB 2006, R: Martin Campbell, K: Phil Méheux).5

Der subjektiv-bildästhetische Teil des Vergleiches besteht aus einer Gegenüberstellung von Standbildern aus den drei Filmen, aus denen Emergenzen gedeutet und argumentatorisch verglichen werden sollen. Dieser Teil der Arbeit wird weniger stark gewichtet, da die Subjektivität des Vergleiches hier sehr gross ist und ein hermeneutisches Vorgehen nötig ist, das einen für die Medienwissenschaft unüblich grossen Interpretationsspielraum zulässt und daher eher in den Bereich der Filmwissenschaft führt.

Der titelgebende videotechnische Vergleich der drei Filme beruht hingegen auf einem empirischen Vorgehen: Aus der Grundgesamtheit der Filme wird eine Stichprobe von Einzelbildern definiert, aus denen mit videotechnischen Instrumenten (namentlich Vektorskop, Wellenform-Monitor und Histogramm) verschiedene Parameter ausgelesen, in statistisch vergleichbare Daten überführt und anschliessend mit in der Sozialwissenschaft gängigen statistischen Mitteln verglichen werden. Der Erkenntnisgewinn aus diesem Vorgehen sollen Kennzahlen zu den jeweiligen Filmen sein, anhand derer ein Vergleich der drei Filme möglich ist.

Konkret wird eine Antwort auf die folgende Forschungsfrage gesucht:

„ K ö nnen statistisch signifikante Unterschiede in videotechnischen Merkmalen, wie Farbwiedergabe oder Helligkeitsverteilung, zwischen dem digital gedrehten Film Skyfall und den auf 35 mm-Film gedrehten Filmen Casino Royale und Quantum of Solace festgestellt werden? “

Dieser videotechnische Vergleich ist ein höchst technisches Vorgehen, das auch nicht unbedingt üblich ist für eine Bachelor-Arbeit im Bereich der Sozialwissenschaft. Ausserdem kann ein solcher Vergleich auf sehr viele verschiedene Wege durchgeführt werden, die jeweils mehr oder weniger komplex, aufwändig und kostenintensiv sind. Aus diesem Grund ist es wichtig, an dieser Stelle den Forschungsanspruch dieser Arbeit genauer zu definieren und das gewählte Vorgehen zu begründen.

2.2 Forschungsanspruch

Wie bereits oben erwähnt, situiert sich diese Arbeit trotz der stark technischen Ausrichtung im Bereich der Sozialwissenschaft, was einen ganz anderen Rahmen setzt, als er beispielsweise für eine analoge Arbeit in einem naturwissenschaftlichen Bereich bestehen würde. Um hier eine Abgrenzung des wissenschaftlichen Anspruches, den diese Arbeit stellt, zu definieren, sollen die folgenden fünf Grenzen etabliert werden:

Wissenschaftliche Ausrichtung und Perspektive: Zentral für die Wahl des Vorgehens war die Überlegung, dass primär das Filmerlebnis aus der Perspektive des Rezipienten interessiert. Aus dieser Überlegung resultieren eine Reihe von Implikationen, was die folgenden vier Punkte angeht. Ausserdem verankert die Wahl dieser Perspektive diese Arbeit im sozialwissenschaftlichen Bereich und grenzt sie von einer naturwissenschaftlichen Arbeit ab.

1. Transdisziplinarität: Nichtsdestotrotz sind für die videotechnische Auswertung naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Modelle grundlegend, insbesondere beim Vergleich von Farbanteilen in den Videobildern. Um hier die nötigen Grundkenntnisse zu vermitteln, wäre ein relativ grosser Exkurs in die Farbwissenschaft nötig. Da es nicht die Ambition dieser Arbeit ist, ein Grundlagenwerk der Farbtheorie zu sein, werden nur die nötigen Begriffe und Konzepte allgemein verständlich erklärt und jeweils mit Verweisen zu weiterführender Literatur versehen. So können die naturwissenschaftlichen Überlegungen, falls nötig, nachvollzogen werden, bilden aber keinen Ballast, der den sozialwissenschaftlichen Fokus der Arbeit verdrängen könnte.

2. Verallgemeinerbarkeit: Dieser Punkt gilt insbesondere für die Punkte vier und fünf. Die Kennzahlen und Werte, die für den videotechnischen Vergleich generiert werden, haben nicht den Anspruch, allgemein gültig und ausserhalb dieser Arbeit repräsentativ zu sein. Da das Ziel ein Vergleich der drei Filme ist, müssen sie ausschliesslich in diesem Rahmen reliabel sein und eine hohe interne Validität aufweisen; externe Validität ist jedoch aufgrund der in den nachfolgenden zwei Punkten beschriebenen Umstände nicht erreichbar und wird auch nicht angestrebt.

3. Finanzielle und infrastrukturelle Einschränkungen: Die zuverlässige und genaue Analyse eines Videosignals ist ein Prozess, der spezialisierte Hard- und Software erfordert. Die Instrumente, um eine solche Analyse mit hoher wissenschaftlicher Präzision durchzuführen, existieren, sind aber nicht unbedingt sehr weit verbreitet und auch nicht unbedingt für die Durchführung einer BA-Arbeit zugänglich, da für eine solche Arbeit generell beschränkte Mittel zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund wurde ein sehr kosteneffizienter Workflow erdacht, der einem naturwissenschaftlichen Präzisionsanspruch wahrscheinlich nicht genügen würde, aber trotzdem solide und untereinander vergleichbare Daten liefert.

4. Mathematische Präzision: Aufgrund der oben beschriebenen Einschränkungen war es nicht möglich, diese Erhebung in einem naturwissenschaftlichen Setting durchzuführen. Die Hardware, die benutzt wurde, ist nicht für wissenschaftliches Arbeiten, sondern für die Arbeit der Herstellung von Video-Inhalten gedacht und musste umfunktioniert werden, um verwertbare Daten zu liefern. Da mit dem gearbeitet werden musste, was verfügbar war, ist der Workflow eindeutig suboptimal, was wissenschaftliche Präzision angeht. Um das eingangs beschriebene Ziel dieser Arbeit zu erreichen (der videotechnische Vergleich der drei Filme aus Rezipientensicht), war diese aber auch nur zu einem relativ geringen Grad nötig, da keine verallgemeinerbaren und auf andere Filme portierbaren Aussagen gemacht werden sollen. Aus diesem Grund werden Farbsowie Helligkeitswerte auch nicht in der aus technischer Sicht angebrachten Nomenklatur von 0-255 für ein 8-Bit-Signal, sondern im einfacher lesbaren Zahlenbereich von 0.0 bis 100.0 angegeben.

Diese vier Punkte markieren die Rahmenbedingungen und die wissenschaftlichen Grenzen dieser Arbeit und situieren sie als eine sozialwissenschaftliche Arbeit, die sich naturwissenschaftlicher Mittel zum Erkenntnisgewinn bedient.

Selbstverständlich wäre die Durchführung einer naturwissenschaftlich präziseren und verallgemeinerbaren Untersuchung dieser Art eine sehr interessante und wünschenswerte Option für eine Arbeit mit grösserem Umfang. Denkbar wäre im Rahmen eines höheren Forschungsanspruches neben dem technischen Ausbau des videotechnischen Vergleiches auch eine wahrnehmungspsychologische Versuchsreihe für den subjektiv-bildästhetischen Vergleich, um auch dort reliable und valide Daten gewinnen zu können. In diesem Moment gehören solche Überlegungen aber noch den Desiderata an.

2.3 Forschungsgegenstand

Das Quellmaterial zur videotechnischen Auswertung bildeten die drei Blu-ray- Fassungen von Casino Royale,6 Quantum of Solace7 und Skyfall.8 Das Ziel war es, das Bildmaterial möglichst nahe an dem, was der Zuschauer im Kino oder zu Hause sieht, mit üblichen videotechnischen Instrumenten auszuwerten. Da es nicht möglich war, eine digitale Distributionskopie der Filme vom Verleiher zu erhalten, war die Wahl von Blu- ray-Material naheliegend. Einerseits ist dieses Videomaterial durch die High Definition Auflösung von 1920 Pixel horizontal mal 1080 Pixel vertikal, was den räumlichen Informationsgehalt angeht, relativ nahe an einer digitalen Kino-Distributionskopie (gemäss des 2005 von Disney, Fox, MGM, Paramount, Sony, Universal und Warner Bros. im Rahmen der DCI9 verabschiedeten Standards beträgt die Auflösung einer Distributionskopie für die digitale Vorführung mindestens 2048 mal 1080 Pixel, umgangssprachlich 2K genannt).10 Was die Farbtiefe angeht, ist Blu-ray durch den für HD-Inhalte üblichen, mit 8 Bit Genauigkeit berechneten BT.709 Farbraum,11 eingeschränkter gegenüber einer digitalen Kinokopie, die nach DCI-Standard12 den X‘Y‘Z‘-Farbraum13 benutzt und mit 12 Bit Genauigkeit quantifiziert wird14 (das bedeutet 4096 mögliche Werte pro Farbkanal, anstatt 265 Werte bei einem 8-Bit-Signal). Ähnlich verhält es sich mit dem Codec und der Bitrate des Videodatenstromes: Die offizielle Spezifikation für eine Video-Blu-ray ist 54 Mbit/s15 im H.264 Codec (der nicht nur innerhalb des Bildes, sondern auch zwischen Bildern komprimiert),16 während es für eine digitale Kinokopie 250 Mbit/s in JPEG 2000 (ein Codec, der nur innerhalb des Bildes komprimiert)17 sind.18 Diese bedeutet einen offensichtlichen Unterschied zwischen den Informationsmenge der Bilder einer Blu-ray-Kopie und einer digitalen Vorführkopie, und damit ist die mathematische Präzision bei der Auswertung einer Blu- ray-Kopie eingeschränkt. Aus den in der Einleitung zu dieser Arbeit genannten Gründen ist eine hohe naturwissenschaftliche Präzision jedoch gar nicht unbedingt nötig, um signifikante Unterschiede zwischen den Filmen bestimmen zu können. Ausserdem würde die Analyse einer DCP-Vorführkopie mit hoher Präzision eines ganz anderen, komplexeren Instrumentariums bedürfen, welches, wie eingangs auch beschrieben wurde, für diese Arbeit nicht zu Verfügung stand. Aus diesen Gründen wurden Blu-ray- Kopien als Optimum für den Anspruch und die Möglichkeiten dieser Arbeit erkannt und als Material zur Untersuchung festgelegt.

3. Digitalisierung: Begriff und Geschichte

3.1 Der Begriff „Digitalisierung“

Digitalisierung ist ein weiter Begriff, der in sehr vielen Bereichen verwendet wird. Aus diesem Grund ist zuerst eine begriffliche Definition, und dann eine Eingrenzung auf den für diese Arbeit relevanten Interessensbereich nötig.

Im Brockhaus wird Digitalisierung folgendermassen definiert:

„ Digitalisierung, die Umwandlung analoger Signale in digitale Daten, die mit einem Computer weiterverarbeitet werden k ö nnen. “ 19

Diese Definition beschreibt den sehr grundlegenden Vorgang der Umwandlung eines analogen Signals in digitale Daten. Wenn man in einem medienwissenschaftlichen Grundlagenwerk nachschaut erhält, man folgende Definition:

„ Digitalisierung, Bezeichnung f ü r die Umstellung von Kommunikationstechnologien von analog auf digital. Bei digitaler Kommunikation werden alle Informationen in genau definierte Werte codiert, ü blicherweise in einem bin ä ren 0-1-Code. Das Gegenteil ist die analoge Kommunikation, bei der ein Wert innerhalb eines Bereichs unendlich viele Zwischenwerte annehmen kann. “ 20

Im Gegensatz zur ersten, allgemeinen Definition, nimmt diese zweite Definition schon konkret Bezug auf die Umstellung, die die Verbreitung von Computern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die Kommunikationstechnologien bedeutete. Somit wird ersichtlich, dass es bei dem Begriff Digitalisierung im Bereich der Medien und Kommunikation insbesondere um einen Wandel in der Herstellung, Verarbeitung und Verbreitung von Signalen geht: Vor dem Zeitalter der Computer geschah dies durch analoge Signale auf analogen Datenträgern. Durch den Prozess der Digitalisierung werden im Laufe dieser Kette die Signale an einem Punkt in Bits umgewandelt, die dann durch einen Computer lesbar und verarbeitbar sind.

Was dies für die Industrie der Medien bedeutet, oder in einer grossen Perspektive, für die Menschheit, ist ein gewaltiger Themenkomplex. Eine schier endlose Zahl an Berufen, Geräten, Industriezweigen, Arbeitsabläufen et cetera haben sich durch diesen Prozess fundamental gewandelt, oder sind sogar erst entstanden. Einen Überblick über diese ganze Entwicklung zu geben ist nicht das Ziel dieser Arbeit; darum muss der begriffliche Bezugsrahmen, der im weiteren Verlauf dann den Forschungsrahmen definiert, noch etwas weiter eingeschränkt werden.

Im Bezug auf die Filmindustrie kann der Begriff der Digitalisierung ebenfalls auf die drei Etappen der Herstellung, Verarbeitung und Verbreitung von Signalen angewendet werden. Da die Herstellung eines Filmes meistens eine sehr vielschichtige Angelegenheit ist, die Kollaboration von mehreren Individuen erfordert, ist es nötig, diese drei Etappen noch etwas genauer zu beschreiben. Diese Erörterung soll gleich mit einer geschichtlichen Einführung und einem Überblick zur technischen Entwicklung gekoppelt werden.

3.2 Geschichtliche Relevanz und Überblick über die technische Entwicklung

Für diesen Abschnitt wird generell auf das Buch „Die Digitalisierung Hollywoods“ von Mathias J. Ringler Bezug genommen, sofern keine anderen Quellen angeben sind.21 Ringler liefert in seinem Werk einen sehr gut nachvollziehbaren und kompakten Überblick über die Anfänge der Digitalisierung in Hollywood und bespricht das Thema anhand der Firmengeschichte von Industrial Light and Magic (ILM), die eine tragende Rolle in der Entwicklung von visuellen Effekten, und damit auch in der Etablierung digitaler Produktionstechnologien in Hollywood, hatte und noch bis heute hat.

Als gegen Ende der 1950er Jahre das etablierte Studiosystem wegen rückläufiger Kinobesucherzahlen (das Aufkommen des Fernsehens spielte dabei sicher eine Rolle) in eine Krise zu trudeln begann, setzte eine umfassende ökonomische und organisatorische Restrukturierung ein: Als erstes mussten die riesigen Studiokomplexe, die von der Drehbuchentwicklung bis zur Vorführung alles unter ihren Fittichen hatten, verkleinert werden, um weiterhin geschäftstätig bleiben zu können. Im Zuge dieser Restrukturierung wurden kostenintensive Departements, die als nicht unbedingt notwendig erachtet wurden, geschlossen. Dies traf unter anderem auch alle Effektabteilungen der Studios. Des Weiteren wurde auch inhaltlich ein Kurswechsel eingeschlagen: Junge Regisseure, die sich an bisher unangetastete sozialkritische Themen wagten und mit ungewohnten Erzählformen experimentierten,22 kamen zum Zug und fanden grossen Anklang bei den Kritikern, waren aber finanziell nicht genug starke Zugpferde, um die Studios aus dem Stand wieder raus aus den tiefroten Zahlen zu den sagenhaften Gewinnspannen des goldenen Zeitalters des klassischen Hollywoods zu katapultieren. Auf der strategischen Seite wurde erkannt, das es nötig ist, das finanzielle Risiko zu verteilen. Anstatt alle Produktionsschritte auf dem riesigen Areal eines Studios vereinen zu wollen, wurde begonnen, einzelne Aspekte der Produktion an externe Firmen auszulagern. Beschleunigt wurde diese horizontale Integration dadurch, dass einige Studios von branchenfremden Konzernen aufgekauft wurden und dann als kleines Rädchen im Getriebe eines Konzerns gezwungen waren, mit grösster ökonomischer Effizienz zu arbeiten. Auf diese Weise war Hollywood Anfang der 70er Jahre zwar nicht mehr in der akuten Gefahr, in der es noch eine Dekade früher war, aber es befand sich auch nicht mehr in einer goldenen Phase, wie vor den 50er Jahren.

In dieser Zeit des Umbruchs und in dieser Atmosphäre der Veränderung war der Nährboden ideal für einen Akteur, der die Entwicklung beobachtet hatte und genau dort einsetzen konnte, wo ein Markt entstand: George Lucas. Mit seinem 1971 gegründeten Unternehmen Lucasfilm Ltd. und dem 1975 gegründeten Subunternehmen Industrial Light and Magic23 gelang es ihm, mit nur einem Film das filmische Mittel der visuellen Effekte wieder ganz nach oben auf die Prioritätenliste der Studios zu setzen24 und eine äusserst lukrative Franchise zu starten, die Lucasfilm und ILM eine sehr erfolgreiche Firmengeschichte bescherte. Durch geschicktes Wirtschaften25, einer schier unglaubliche technologischen Innovationskraft und dem Generieren von Skalenerträgen durch den Verkauf von Lizenzrechten und Merchandising hat sich George Lucas mit Lucasfilm als ein Grösse in der Filmindustrie etabliert und einen starken Einfluss auf die technologische Entwicklung des Filmemachens genommen.

In dieser Zeit sind somit auch die Anfänge der Digitalisierung zu verorten: ILM hat 1977 für den ersten Teil der „Star Wars“-Reihe zum ersten Mal einen Computer im Produktionsprozess eines Filmes eingesetzt: Für viele der komplexen Miniatur- Effektaufnahmen war es nötig, dass eine Kamerabewegung mehrmals genau gleich wiederholt werden konnte. Dazu kam ein computergesteuerter Arm zum Einsatz, an dem die Kamera befestigt war (diese Technik ist heute als Motion Control bekannt). Diese Form einer ersten digitalen Anwendung führte zwar nicht dazu, dass digitale Daten direkt im Filmbild sichtbar waren, aber die betreffende Aufnahmen in Star Wars wären ohne diese digitale Technologie nicht möglich gewesen. Einige Jahre später, 1982, gelang es ILM mit Star Trek II: The Wrath of Khan (USA 1982, R: Nicholas Meyer) als erste Firma, eine komplett am Computer generierte Sequenz in einem Kinofilm zu implementieren26 (bekannt als die „Genesis-Sequenz“). Von da an entwickelte sich die Integration von digitalen Effekten in Filmen stetig weiter: Erst entstanden digitale Veränderungen von analog gefilmten Figuren, dann komplette computergenerierte Figuren, dann Interaktion zwischen menschlichen Darstellern und computergenerierten Figuren.27 Wichtig ist hier anzumerken, dass diese Filme, für die ILM Effektaufnahmen herstellte, nicht ausschliesslich Projekte von Lucasfilm, sondern grossenteils Aufträge von anderen Studios waren. Damit konnte sich ILM als eines der ersten auf Post- Production spezialisierten Unternehmen etablieren.

An dieser Stelle muss auf das hervorragende Essay „The ILM Version. Recent Digital Effects and the Aesthetics of 1970s Cinematography“ von Julie Turnock hingewiesen werden. Mit viel Scharfsinn untersucht Turnock in ihrer Arbeit, auf welche Weise die Ästhetik der visuellen Effekte von ILM nicht nur populär, sondern zu einem visuellen Standard wurden, der bis heute einen Einfluss darauf hat, was als photorealistisch in einem Film gilt:

„ Rather than duplicating a transhistorical notion of ‚ perceptual realism ’ based on the phenomenal world, contemporary digital imaging imitates the look of photography - specifically, the look of 1970s cinema- tography. This is largely due to the historical dominance of one special effects company, Industrial Light and Magic (ILM), which developed a photorealistic special effects aesthetic to match the live action photography of the originaol [sic!] Star Wars trilogy. Over time, that particular aesthetic hardened into a powerfully convincing house style. Given the prominence of ILM in the film industry, denaturalizing the ILM aesthetic is crucial to understanding how digital images evoke ‚ authenticity ’ or ‚ veracity ’ . „ 28

In den 1980er Jahre forschte ILM intensiv an einem digitalen Schnittsystem, dass das Schneiden von Film erheblich vereinfachen und beschleunigen sollte. Das System wurde zwar 1984 fertiggestellt; es dauerte jedoch noch einige Jahre, bis diese Entwicklung wirklich zum Tragen kommen sollte, da es ILM erst 1990 mit dem CCD Input Scanner gelang, ein Gerät zu entwickeln, das Filmbilder in hoher Qualität digitalisieren konnte und für die Weiterverarbeitung am Computer verfügbar machte.29 Mit diesem Gerät war ein weiterer grosser Schritt hin zur kompletten Digitalisierung des Produktionsprozesses gemacht.

Die 1990er Jahre waren dann geprägt von der Präsenz von digital erzeugten, visuellen Effekten (kurz CGI, computer-generated imagery30 ) in Kinofilmen, die durch die Innovationen im Bereich der Informatik und die rapide steigenden Kapazitäten von Computersystemen eine ebenso rasante Entwicklung erfuhren. Hierbei entstand eine Vielzahl von Unternehmen, die sich in dieser Branche betätigten; ILM konnte ihre Sonderstellung jedoch weiterhin behaupten, da sie nicht nur auf dem Gebiet der CGI eine industrieführende Rolle innehatte, sondern auch in anderen Gebieten sehr schlau wirtschaftete und die Innovationskraft durch Patente und Lizenzen vermarkten konnte. So beruht beispielsweise die weltweit verwendete Bildbearbeitungssoftware Adobe Photoshop auf einer Entwicklung von ILM.31

An dieser Stelle muss nun der Forschungsbereich dieser Arbeit genauer von der Betrachtung der generellen Entwicklung abgegrenzt werden: Was für diese Arbeit relevant ist, ist die Digitalisierung des Aufnahmeprozesses, konkret also der Einsatz von Kameras, die Bildinformation nicht auf Filmmaterial speichern, sondern die (anstatt Film) einen Bildsensor benutzen, der das auftreffende Licht in ein Muster von elektrischen Ladungen umzuwandeln und diese digitalen Information dann speichert. Die Entwicklung solcher Kameras hat parallel zur Digitalisierung des übrigen Hollywoods stattgefunden. Zur praktischen Anwendung kamen sie aber erst nach der Jahrtausendwende, wie im nächsten Kapitel besprochen werden soll.

3.3 Digitale Aufzeichnung: Ein Überblick von 2000 bis heute

Die Geschichte der digitalen Filmkamera, die, treffender gesagt, eine Videokamera ist, die bestrebt ist, ein für die Kinoprojektion taugliches Bild aufzuzeichnen, begann schon in der 1980er Jahren mit ersten Vorstössen von Sony, die digitale Aufzeichnung im professionellen Filmemachen zu etablieren. Sony war ein Vorreiter in der Entwicklung von digitalen Bildsensoren, seit 1969 der CCD-Sensor von den Bell Telephone Laboratories in New Jersey erfunden wurde (eine Erfindung, die fundamental war für die weitere Entwicklung aller Videoaufzeichnung).32 Sony hat das Potential dieser Technologie sofort erkannt, adaptiert und begonnen, Kameras für ENG und den Konsumentenmarkt zu entwickeln. Die Videoaufzeichnung konnte sich in Hollywood während der 80er Jahre in keiner Weise etablieren. Im Verlauf der 1990er Jahre machte die Videotechnik grosse Fortschritte, die vor allem für die professionelle Anwendung im Bereich der ENG und für den Konsumentenmarkt mit dem benutzerfreundlichen Format MiniDV interessant waren.33 Insbesondere MiniDV wurde auch für Filmproduktionen verwendet, aber nie von Hollywood als professionelles Format anerkannt, und deshalb vor allem in Independent-, Low-Budget- und Nischenproduktionen wie den Filmen des Dogma 95 benutzt.34 Einige dieser Produktionen waren ökonomisch durchaus erfolgreich und haben bis heute ihren Platz in der Filmgeschichte; ein Beispiel wäre 28 Days Later (GB 2002, R: Danny Boyle),35 und als interessanter Querverweis zu den Anfängen des viralen Marketings würde sich der ebenfalls teilweise auf Video gedrehte

The Blair Witch Project anbieten (USA 1999, R: Daniel Myrick / Eduardo Sánchez).36 Auch in dieser Phase, in der es Kinofilme gab, die mit Videokameras gedreht wurden, war es kaum denkbar, dass die Videokamera eine ernsthafte Konkurrenz für die 35 mm- Filmkamera sein würden. Trotz einiger erfolgreicher Gegenbeispiele, kann davon ausgegangen werden, dass die meisten Kinoproduktionen im Hollywood der 90er-Jahre auf 35 mm-Film gedreht wurden. Aus diesem Grund wird die MiniDV-Technik im Rahmen dieser Arbeit nicht als Format für die digitale Aufzeichnung von Kinofilmen erachtet und nicht weiter exploriert. 1999 stellte Sony die Kameras der HDCAM-Serie vor, die als erste Geräte dazu fähig waren, in einer Auflösung von 1920 Pixel Breite mal 1080 Pixel Höhe 24 Vollbilder pro Sekunde (im Gegensatz zu den Halbbilder von Video-Standards wie PAL oder NTSC) aufzuzeichnen, was in Punkto Bildrate und Seitenverhältnis dem 35 mm-Film gleichkommt.37

Diese Technologie erweckte natürlich das Interesse von George Lucas: 2002 produzierte er Star Wars Episode II: Attack of the Clones (USA 2002, R: George Lucas)38 grossenteils mit einer Sony HDW-F90039 Mit dieser Kamera wurden zwischen 2002 und 2010 ein gutes Dutzend weitere grössere Produktionen gefilmt; bekannte Vertreter sind beispielsweise Once Upon a Time in Mexico (USA 2003, R: Robert Rodriguez), Collateral (USA 2004, R: Michael Mann) und Spy Kids 2 (USA 2002, R: Robert Rodriguez).40 Obwohl somit die digitale Filmkamera in der Produktionswelt angekommen war, wurde der grösste Teil der Filmproduktionen Hollywoods in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends immer noch auf 35 mm-Film gedreht. Da dies eine sehr junge Entwicklung ist, ist die Literaturlage zum Verlauf des Einzugs digitaler Filmkameras in Hollywood noch nicht sehr ergiebig. So konnten beispielsweise keine verlässlichen Zahlen gefunden werden zum Anteil digital gedrehter Filme in der ersten Dekade und darum stützen sich die folgenden Ausführungen vor allem auf Presseberichten.

Fest steht, dass etablierte Videokamerahersteller wie Sony, Panasonic und Canon ihr Angebot an auf die professionelle Kinofilmproduktion ausgerichteten Kameras in der Zeit erheblich ausbauten. Ebenso kamen neue Akteure auf den Kameramarkt, wie beispielsweise Thomson mit der Viper oder Silicon Imaging mit der SI-2K, die die digitale Aufzeichnung Schritt für Schritt verbesserten. Etablierte Filmkamerahersteller, wie Panavision mit der Genesis und Arri mit der D-21, versuchten Schritt zu halten; die Dominanz von Sony blieb aber in der ersten Hälfte der Dekade relativ unangetastet. Ausserdem war der digitale Produktionsablauf immer noch eher eine Seltenheit und in den meisten Fällen teurer als dieselbe Produktion auf 35 mm-Film.41

Eine erste grosse Wende wurde durch RED Digital Cinema eingeläutet. Die Firma, die vom Besitzer der Sonnenbrillenmarke Oakley, Jim Jannard, 1999 gegründet wurde, kündigte ihre erste Kamera, die RED One, 2006 an und lieferte sie 2007 aus. In den acht Jahren Entwicklung arbeitete RED an einem Bildsensor, der dem 35 mm-Film ebenbürtig sein sollte:

„ That required several years of engineering, mostly related to the semiconductor chip that is the heart of any digital camera and converts photons into electrons. The Red team came up with a chip that was the same physical size as a frame of 35-mm film, the Hollywood standard, and produced an image that was virtually indistinguishable, albeit digital. “ 42

Nicht nur lieferte RED eine Kamera aus, die in Aspekten wie dem Tonwertumfang oder der Tiefenschärfe Resultate lieferte, die einem Filmbild ähnlich sind, sondern war auch die Auflösung des Sensors rund vier mal so gross wie bei dem bis dahin üblichen HD 1080 Standard. Neben diesen eindrücklichen technischen Errungenschaften war es auch der Preis der RED One, die sie zu einem grossen kommerziellen Erfolg machte: mit 45‘000 - 60‘000 USD Neupreis kostete sie etwa einen Viertel dessen, was man für eine 35 mm-Filmkamera bezahlte43 und war ausserdem auch deutlich unter dem Preis für eine digitale Kinokamera-Lösung von Sony. Weitere Modelle von RED folgten in den Jahren darauf und setzten die Erfolgsgeschichte fort. Zwei der bekanntesten Nutzer von

RED-Kameras sind die Regisseure Peter Jackson, der insbesondere durch die Herr der Ringe Trilogie Bekanntheit erreichte,44 und Ridley Scott, der Teile von Prometheus (USA 2012, R: Ridley Scott) auf der neusten Generation von RED-Kameras drehte.45

Fast gleichzeitig zum Markteintreten von RED fand eine weitere Entwicklung statt, die hier nur am Rande Erwähnung finden soll: Auf Wunsch von AP und Reuters baute der Kamerahersteller Canon einen Video-Modus in den Nachfolger der weit verbreiteten Fotojournalisten-Kamera EOS 5D, die EOS 5D Mk II ein, die 2008 auf den Markt kam. In Kreisen der Low-Budget und Independent-Filmer ist das Erscheinen dieser Kamera als Beginn der DSLR-Revolution bekannt, da es diese Kamera ermöglichte, Video in HD- Qualität auf einem Vollformat CMOS-Sensor aufzuzeichnen, was Filmbild-ähnliche Qualitäten mit sich brachte (beispielswiese die Möglichkeit zu geringer Tiefenschärfe). Die Kamera machte im Alleingang MiniDV für Low-Budget-Produktionen obsolet und finde seit 2008 Verwendung in einer grossen Zahl von Produktionen aller Art. Bekannteste Beispiele wären 127 Hours (USA / UK 2010, R: Danny Boyle)46 und der fünffach Oskar-nominierte Black Swan (USA 2010, R: Darren Aronofsky).47 Ebenfalls wurde das Finale der fünften Staffel der US-TV-Serie Dr. House, die zuvor auf Film gedreht wurde, komplett mit der Canon 5D Mk II gedreht.48 Ein Beispiel einer der unzähligen Low-Budget Produktionen, die mit der 5D Mk II gedreht, ist Waschgang (CH 2011, R: Philipp Andonie).49 Um diese Kamera entwickelte sich schnell eine aktive Community mit einigen Protagonisten wie beispielsweise dem britischen Kameramann Philp Bloom. Bloom wurde 2009 offenbar von George Lucas zu Lucasfilm eingeladen, um an Lucas‘ Herzprojekt Red Tails (USA 2012, R: Anthony Hemingway)50 mitzuwirken, womit sich ein sehr weiter Bogen schloss.

Einer namhafter Kamerahersteller, der sich anfangs vollständig vom digitalen Markt ferngehalten hatte, ist das französische Unternehmen Aaton. Dieses war insbesondere durch Filmkameras für dokumentarisches Filmen seit den 1970er Jahren bekannt. Erst 2010, nach rückläufigen Verkaufszahlen für Filmkameras, begann Aaton mit der Entwicklung der Penelope Delta, einer technologisch sehr ambitionierten Kamera, die 2012 hätte Marktreife erreichen sollen.51 Aktuellste Entwicklungen haben jedoch gezeigt, dass Aaton zu spät war mit dem Versuch der Digitalisierung: Das Unternehmen musste am 3. Mai 2013 Konkurs anmelden, da es zu unlösbaren Problemen in der Massenproduktion des sehr anspruchsvollen Dalsa-Sensors gekommen ist:

„ H é las, la fabrication en s é rie s ’ est heurt é e aux d é fauts du contr ô leur de capteur Dalsa, puis aux performances in é gales des capteurs eux-m ê mes dont la qualit é n ’é tait pas à hauteur de celle des prototypes.

Dans l ’ impossibilit é de livrer les nombreuses cam é ras command é es et d é j à fabriqu é es, Aaton s ’ est trouv é à court de liquidit é s et a d û recourir à la proc é dure de redressement judiciaire pour permettre son rachat par un repreneur. “ 52

Ein anderer grosser Kamerahersteller, der erst relativ spät mit einer komplett auf die digitale Produktion ausgerichteten Kamera auf den Markt kam, ist Arri: Die 2010 vorgestellte Arri Alexa war die erste Kamera von Arri, die von Grund auf für die digitale Produktion konstruiert wurde (die 2005 bzw. 2008 lancierten Kameras Arriflex-D20 und -D21 basierten noch stark auf 35mm-Kameradesign von Arri). Einer der ersten Filme, die mit der Alexa gedreht wurden, war In Time (USA 2011, R: Andrew Niccol, K: Roger Deakins).53 Deakins äusserte sich in einem Interview folgendermassen über die Alexa:

„ This moment has been coming for a long time, really, but with the Alexa I believe digital has finally surpassed film in terms of quality. What is quality? It ’ s really in the eye of the viewer, but to me, the Alexa ’ s tonal range, color space and latitude exceed the capabilities of film. This is not to say that I don ’ t still love film — I do. I love its texture and grain, but in terms of speed, resolution and clarity of image, there is no question in my mind that the Alexa produces a better image. “ 54

„ [T]his camera has brought us to a point where digital is simply better. In my opinion, there are now more advantages than disadvantages to digital cinematography. “ 55

Seit dem Moment ihres Markteintritts 2010 wird die Arri Alexa in einer zunehmenden Anzahl von Hollywoodproduktionen verwendet. Leider konnten keine zuverlässigen statistischen Daten zu dieser Entwicklung gefunden werden.

Genau diese Kamera ist es auch, die Roger Deakins für Skyfall gewählt hat, der im Zentrum des Forschungsinteresses dieser Arbeit steht. Zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Arbeit, im Frühjahr 2013, sieht das Angebot auf dem Markt der für digitale Kinofilmproduktionen verwendeten Kameras folgendermassen aus:56 Im High-End- Segment (zwischen 60‘000 und 80‘000 USD) bietet Arri die weitverbreitete Alexa in verschiedenen Konfigurationen an. Sony ist mit der F65 und F23 vertreten. Das breite mittlere Preissegment zwischen 18‘000 bis 60‘000 wird am unteren Ende von RED mit der EPIC und SCARLET bedient und ist ansonsten vor allem von Sony mit diversen Modellen abgedeckt. Besonders erwähnenswert ist die erst seit kurzem erhältliche Sony F55, die mit Oblivion (USA 2013, R: Joseph Kosinski)57 ein erfolgreiches Debut auf der grossen Leinwand feierte. Canon bietet in diesem Segment ihr Flaggschiff, die C500 an. Das untere Preissegment zwischen 5‘000 USD bis 18‘000 ist von Canon mit der C100 und C300 abgedeckt und von Sony wiederum mit diversen Modellen wie der F5 (das etwas weniger leistungsfähige Pendant zur F55) und der FS700.

[...]


1 The Numbers (Hrsg.) (2013): James Bond Franchise Box Office History. URL: http://www.the- numbers.com/movies/franchise/James-Bond, abegrufen am 15.05.2013.

2 Walte, Maurice (2012): Oxford Paperback Thesaurus. 4th Edition. URL: http://www.oxfordreference.com/view/10.1093/acref/9780199640959.001.0001/t-engb- msthes-00019-0013078?rskey=FDkvm5&result=2&q=state-of-the-art, abgerufen am 17.05.2013.

3 The Internet Movie Database (Hrsg.): James Bond 007 - Skyfall. URL: http://www.imdb.com/title/tt1074638/, abgerufen am 15.05.2013.

4 The Internet Movie Database (Hrsg.): James Bond 007 - Ein Quantum Trost. URL: http://www.imdb.com/title/tt0830515/, abgerufen am 15.05.2013.

5 The Internet Movie Database (Hrsg.): James Bond 007 - Casino Royale. URL: http://www.imdb.com/title/tt0381061/, abgerufen am 15.05.2013.

6 EAN-Code: 4045167012332, Laufzeit: 144 Minuten. Erscheinungsjahr des Filmes: 2006, Erscheinungsdatum der Blu-ray: 03.03.2013.

7 EAN-Code: 4045167012325, Laufzeit: 106 Minuten, Erscheinungsjahr des Filmes: 2008, Erscheinungsdatum der Blu-ray: 03.03.2013.

8 EAN-Code: 8712626997115, Laufzeit: 143 Minuten, Erscheinungsjahr des Filmes: 2012, Erscheinungsdatum der Blu-ray: 14.02.2013

9 Digital Cinema Initiatives, LLC, siehe Pank, Bob (2010): The Digital Fact Book. Converged media, 20th anniversary edition, S. 54.

10 Europa Distribution (Hrsg.) (2010): Glossary on Digital Cinema, URL: http://www.europa- distribution.org/files/Digital%20Cinema%20Glossary7.pdf, S. 1, abgerufen am 14.03.2013.

11 International Telecommunications Union (Hrsg.) (2009): BT.709 : Parameter values for the HDTV standards for production and international programme exchange. URL: http://www.itu.int/dmspubrec/itu-r/rec/bt/R-REC-BT.709-5-200204-I!!PDF-E.pdf, S. 12, abgerufen am 14.05.2013.

12 Pank, Bob (2010). S. 54.

13 der X‘Y‘Z‘-Farbraum hat den XYZ-Farbraum zur Grundlage, der Ende der 1920er Jahre entwickelt und 1931 von der Commision International de l‘Eclairage (kurz CIE) etabliert wurden, siehe dazu Smith, Thomas / Guild, John (1931): The C.I.E. colorimetric standards and their use. In: Transactions of the Optical Society, Nummer 33, S. 73-134.

14 Digital Cinema Initiatives (Hrsg.) (2012): Digital Cinema System Specification. Version 1.2 with Errata as of 30 August 2012 Incorporated. URL: http://dcimovies.com/specification/DCIDCSSv12witherrata2012-1010.pdf, abgerufen am 15.5.2013, S. 32.

15 Blu-ray Disc Assoc. (Hrsg.): Blu-ray Disc for Video. URL: http://www.blu- raydisc.com/en/Technical/FAQs/Blu-rayDiscforVideo.aspx, abgerufen am 15.5.2013.

16 Vgl. International Telecommunications Union (Hrsg.) (2013): H.264: Advanced video coding for generic audiovisual services. URL: http://www.itu.int/rec/T-REC-H.264-201304-P/en, abgerufen am 14.05.2013.

17 International Organization for Standardization (2009): ISO/IEC 15444-1:2004 Information technology -- JPEG 2000 image coding system: Core coding system. URL: http://www.iso.org/iso/home/store/catalogueics/cataloguedetailics.htm?csnumber=37674, abgerufen am 16.05.2013.

18 Digital Cinema Initiatives (Hrsg.) (2012): S. 34.

19 F. A. Brockhaus (Hrsg.) (2010): Die Brockhaus Enzyklopädie Online. Digitalisierung. URL: https://test2.brockhaus-wissensservice.com/sites/brockhaus- wissensservice.com/files/pdfpermlink/efcc113d48c58cd5cf9b9f63de357602.pdf, abgerufen am 15.05.2013.

20 Kleinstüber, Hans J. (2013): Digitalisierung. In: Bentele et al. (Hrsg.) (2013): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Wiesbaden, Springer VS. S. 62.

21 Ringler, Matthias (2009): Die Digitalisierung Hollywoods. UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz. S. 58-92.

22 Geeignete Beispiele wären hier Easy Rider (USA 1969, R: Dennis Hopper) oder Zabriskie Point (USA 1970, R: Michelangelo Antonioni)

23 Ringler (2009): S. 75.

24 Wie intentional dies geschah ist jedoch fraglich, da Lucas im Interview mit dem Cinefex Magazin angibt, ursprünglich gar nie vorgehabt zu haben, eine Effektefirma zu gründen. Vgl. Ringer (2010): S. 94

25 „In large part due to the economic success of its product combined with shrewd business practices, ILM has been in a position to promote its own in- house style as the most powerful and influential in the special effects business[...]“, Turnock, Julie (2012): The ILM Version. Recent Digital Effects and the Aesthetics of 1970s Cinematography. In: Film History. An International Journal, Ausgabe 24, Nummer 2, 2012, S. 158-168. Indiana University Press, Indiana. S. 159.

26 Ringler (2009): S. 91.

27 Idem.

28 Turnock (2012). S. 168.

29 Idem, S. 87.

30 Kuhn, A. / Westwell, G. (2012): CGI. In: Ofxord. A Dictionary of Film Studies. Oxford University Press. URL: http://www.oxfordreference.com/view/10.1093/acref/9780199587261.001.0001/acref- 9780199587261-e-0100, abgerufen am 16.05.2013.

31 Ringler (2009): S. 87.

32 Kenneally, Christopher (Regie) (2012): Side By Side. 0:14:45-0:15:45.

33 Idem.

34 Idem.

35 Shotonwhat (Hrsg.): 28 Days Later. URL: http://shotonwhat.com/28-days-later-2002.html, abegrufen am 16.05.2013.

36 The Internet Movie Database (Hrsg.): The Blair Witch Project. URL: http://www.imdb.com/title/tt0185937/?ref=ttspecspectt, abgerufen am 16.05.2013.

37 Gierke, Christian (2000): Der Digitale Film. Filmökonomie und Filmästhetik unter dem Einfluss der digitalen Technik. Plan 9, Hamburg. S. 73.

38 The Internet Movie Database (Hrsg.): Star Wars: Episode II - Attack of the Clones. URL: http://www.imdb.com/title/tt0121765/?ref=fnaltt6, abgerufen am 15.05.2013.

39 Flückiger, Barbara (2003): Das digitale Kino. Eine Momentaufnahme. S. 29.

40 Shotonwhat (Hrsg.): Sony HDW-F900 Camera. URL: http://shotonwhat.com/camera/sony- hdw-f900-camera, abegrufen am 16.05.2013.

41 Vgl. Becker (2013): S. 112.

42 Gomes, Lee (2001): Red. The Camera That Changed Hollywood. In: MIT Technology Review, 19.12.2011. URL: http://www.technologyreview.com/news/426387/red-the-camera-that- changed-hollywood/, abgerufen am 16.05.2013.

43 Idem.

44 Idem.

45 Shotonwhat (Hrsg.): Prometheus. URL: http://shotonwhat.com prometheus-2012.html, abegrufen am 16.05.2013.

46 The Internet Movie Database (Hrsg.): 127 Hours. URL: http://www.imdb.com/title/tt1542344/?ref=fnaltt1, abgerufen am 15.05.2013.

47 The Internet Movie Database (Hrsg.): Black Swan. URL: http://www.imdb.com/title/tt0947798/?ref=sr1, abgerufen am 15.05.2013.

48 Digital Photography Review (2010): 'House' season finale filmed with Canon 5D Mark II. URL: http://www.dpreview.com/news/2010/5/4/canon5dIhouse, abgerufen am 16.05.2013.

49 The Internet Movie Database (Hrsg.): Waschgang. URL: http://www.imdb.com/title/tt2041547/, abgerufen am 15.05.2013.

50 The Internet Movie Database (Hrsg.): Red Tails. URL: http://www.imdb.com/title/tt0485985/?ref=fnaltt1, abgerufen am 15.05.2013.

51 Salon (Hrsg.) (2011): R.I.P., the movie camera: 1888-2011. URL: http://www.salon.com/2011/10/13/ripthemoviecamera18882011/singleton/, abgerufen am 16.05.2013.

52 Association Française des directeurs de la photographie Cinématographique (Hrsg.) (2013): Recours à la procédure de redressement judiciaire pour Aaton. URL: http://www.afcinema.com/Recours-a-la-procedure-de-redressement-judiciaire-pour- Aaton.html?lang=fr, abgerufen am 15.05.2013.

53 The Internet Movie Database (Hrsg.): In Time. URL: http://www.imdb.com/title/tt1637688/?ref=fnaltt1, abgerufen am 15.05.2013.

54 Holben, Jay (2011): Roger Deakins, ASC, BSC adopts digital capture on the sci-fi thriller In Time. In: The American Society of Cinematographers, November 2011. URL: http://www.theasc.com/acmagazine/November2011/InTime/page1.php#, abegrufen am 15.05.2013.

55 Idem.

56 Alle Angaben in diesem Absatz beziehen sich auf Herstellerangaben von den jeweiligen Internetseiten. Preisangaben beziehen sich auf die jeweils günstigsten Online-Vertriebspartner der Hersteller und gelten in der Regel für eine Kamera ohne Zubehör oder Objektive. Siehe Arri Group (Hrsg): Digital Cameras. ULR: http://www.arri.com/camera, abgerufen am 17.05.2013. Canon (Hrsg.): Canon Cinema EOS. URL: http://cinemaeos.usa.canon.com, abgerufen am 17.05.2013. Sony (Hrsg.): Digital Motion Picture Cameras. URL: http://pro.sony.com/bbsc/ssr/show-highend/, abgerufen am 17.05.2013. RED Digital Cinema Inc. (Hrsg.): RED Digital Cinema Cameras, URL: http://www.red.com/products, abgerufen am 17.05.2013.

57 The Internet Movie Database (Hrsg.): Oblivion. URL: http://www.imdb.com/title/tt1483013/?ref=sr1, abgerufen am 15.05.2013.

Ende der Leseprobe aus 87 Seiten

Details

Titel
Binary Bond. Videotechnische Messung von ästhetischen Merkmalen der digitalen Kinofilmproduktion in "Casino Royale", "Quantum of Solace" und "Skyfall"
Hochschule
Université de Fribourg - Universität Freiburg (Schweiz)  (Departement für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung)
Veranstaltung
Bachelor-Thesis
Note
1.0
Autor
Jahr
2013
Seiten
87
Katalognummer
V314199
ISBN (eBook)
9783668134379
ISBN (Buch)
9783668134386
Dateigröße
83106 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kommentar des Dozenten: Hervorragende, technisch höchst anspruchsvolle Arbeit.
Schlagworte
Bond, James Bond, Arri, Alexa, RED, Kamera, Film, Kino, Digitalisierung, Spielfilm, Kinofilm, 35mm, Ästhetik, Film Look, Digital, Filmmaking, DOP, Camera, Skyfall, Sam Mendes, Daniel Craig, Roger Deakins, Grain, Korn, Rauschen, ISO, Empfindlichkeit, Stil, style, Produktion, digitalen, digitale, Quantum of Solace, Casino Royale, videotechnik, Video, HD, 4K, h264, h265, rec, 709, BT.2020, DCI-P3, Blu-ray, Blu, ray, JPEG2000, Black Magic, Digital Cinema, Industrial Light and Magic, ILM, Hollywood, Geschichte, Star Wars, VFX, CGI, Star Trek, cinematography, HDCAM, HDW-F900, Panavision, Genesis, D-21
Arbeit zitieren
B.A. Manuel Imboden (Autor:in), 2013, Binary Bond. Videotechnische Messung von ästhetischen Merkmalen der digitalen Kinofilmproduktion in "Casino Royale", "Quantum of Solace" und "Skyfall", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/314199

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