Technikstrukturen, Globalisierung und sozialer Wandel


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2004

25 Pages, Note: sehr gut


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Technologischer Wandel
Von der industriellen zur informationstechnischen Revolution
Das Informationszeitalter – Ein Paradigmenwechsel?

Ökonomischer Wandel
Theorie zur Entstehung des Kapitalismus
Vom Kapitalismus zu einer neuen globalen Wirtschaftsform

Sozialer Wandel
Auswirkungen der informationstechnologischen Revolution auf die Gesellschaft
Bedrohung der Demokratie

Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

I. Einleitung

The machine is antisocial. It tends,

by reason of its progressive character,

to the most acute forms of human exploitation

Lewis Mumford[1]

Um die Komplexität der gegenwärtigen Gesellschaft zu verstehen, ist es notwendig, einen Blick auf die revolutionären technologischen Veränderungen zu werfen, als auch deren Einfluss auf den ökonomischen Wandel – und umgekehrt – mit zu berücksichtigen. Zusammengenommen ergeben sich daraus auch Transformationen in der Gesellschaft und auf kultureller Ebene. Wie Douglas Kellner in seinem Aufsatz „Theorizing Globalization“ feststellt, neigen Gesellschaftskritiker bei ihren Analysen dazu, einseitig und deterministisch zu argumentieren. Kellner kritisiert diese verkürzende Sichtweise. Sein Standpunkt lässt sich wie folgt zusammenfassen:

„The key to understanding globalization is theorizing it as at once a product of technological revolution and the global restructuring of capitalism in which economic, technological, political, and cultural features are interwined. From this perspecive, one should avoid both technological and economic determinism and all one-sided optics of globalization in favor of a view that theorizes globalization as a highly complex, contradictory, and thus ambiguous set of institutions and social relations, as well as one involving flows of goods, services, ideas, technologies, culutral forms, and people.”[2]

Dieser Aufsatz soll einen kurzen Überblick der gegenwärtigen Prozesse des Wandels in der Sozialstruktur geben, wobei nicht der Anspruch auf Vollständigkeit im Vordergrund steht (dieser wäre schon angesichts der vielen Attribute, mit denen unsere westliche Gesellschaft umschrieben wird - postindustriell, säkularisiert, multioptional, individualisiert, reflexiv usw. – wohl kaum auf wenigen Seiten adäquat zu erfüllen), sondern die Vermeidung einer zu einseitigen Darstellung des gesellschaftlichen Wandels. Dieser Wandel, von dem heute die meisten Teile der Welt betroffen sind, soll in den nachfolgenden Kapiteln von drei Perspektiven – der Technologischen, der Ökonomischen und der Sozialen – aus beleuchtet werden, wobei diese natürlich in wechselseitiger Abhängigkeit zueinander stehen und nicht als voneinander isoliert zu betrachten sind.

II. Technologischer Wandel

Das erste Kranzbergsche Gesetz lautet wie folgt:

Die Technologie ist weder gut noch schlecht,

und sie ist auch nicht neutral.

Michael Kranzberg[3]

Wie Arnold Gehlen feststellt, ist die Technik so alt wie der Mensch, denn mit Sicherheit können wir aus Fossilfunden erst dann schließen, dass es sich um Menschen handelt, wenn wir auch Spuren bearbeiteter Werkzeuge finden. Bereits in den Anfängen der Menschheit und somit auch der Technik, stellen sich Widersprüchlichkeiten in Bezug auf ihre Nutzung ein, denn „schon der roheste Faustkeil aus Feuerstein trägt dieselbe Zweideutigkeit in sich, die heute der Atomenergie zukommt: er war ein brauchbares Werkzeug und zugleich eine tödliche Waffe.“[4]

Über das Verhältnis des Menschen zur Technik ist seither viel geschrieben worden. Durch das zerstörerische Potential der Technik wurde der Ruf nach einer allgemein verbindlichen Ethik laut. Das grundsätzliche Problem, dass sich jedoch für eine ethische Theorie ergibt, ist, dass mit dem Wandel zu Hochtechnologien ein Niemandsland betreten wird. Was der Mensch heute tun kann, das hat nicht seinesgleichen in vergangener Erfahrung, weshalb nun auch Dimensionen der Verantwortung eröffnet werden, die es früher nicht gegeben hat.[5] Doch ist es tatsächlich das ‚zerstörerische Potenzial der Technik’ das uns beunruhigen sollte, oder verbirgt sich dahinter nicht etwas anderes?

Viele Menschen, nicht zuletzt auch die Wissenschaftler selbst, weisen auf die Vielzahl der wissenschaftlichen Entdeckungen hin und fragen, was sie uns den gebracht hätten? Fabriken, in denen Menschen unter großen psychischen wie physischen Belastungen ausgebeutet werden; Großstädte, wo die Reizüberflutung ähnliche Auswirkungen hat wie der Shell Schock auf Soldaten, die im 2. Weltkrieg unter Dauerbeschuss standen, nicht fähig Umweltreize noch zu ordnen und zu verarbeiten; Atombomben, sowie andere Schrecken der technischen Kriegsführung. Bei dieser Argumentation kann man unzweideutig feststellen, dass das „Phantasiedenken“ - wie Norbert Elias es nennt - im Bereich der Gesellschaft noch immer tief verwurzelt ist.[6] Erinnern wir uns an die Maschinenstürmer, die zwischen 1811 und 1812 die Maschinen bei ihrer Einführung in die Produktionsgänge wegen der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zerstört haben, so fungiert auch heute noch die Technik als eine Art Fetisch, auf den man seine Furcht projizieren kann. Unzweideutig ist doch nicht die Atombombe an sich ein Gegenstand der Bedrohung, sondern erst durch die zerstörerische Kraft von Menschen wird sie zu dieser.

Ähnlich verhält es sich mit der Klage, dass wir „Sklaven der Maschinen“ oder der Technik geworden sind. Doch allen Science-Fiction-Visionen zum Trotz haben Maschinen keinen eigenen Willen, mit dessen Hilfe sie sich selbst reproduzieren und uns in ihre Dienste zwingen. Die Bedrohungen und Zwänge, die wir den Maschinen oder der Technik generell zuschreiben, sind, genau betrachtet, immer Bedrohungen und Zwänge eines wechselseitig voneinander abhängigen Menschengeflechts.[7]

Der Umstand, dass nie das technische Ding an sich schlecht ist, „sondern [...] sein Gebrauch und Einsatz durch Menschen im gesellschaftlichen Gefüge, der die Zwänge auf Menschen, das Unbehagen von Menschen daran erklärt“[8] scheint mir wichtig festzuhalten.

Als abschließende Bemerkung, bevor ich zur Beschreibung des technologischen Wandels komme, möchte ich noch einmal auf die oben angesprochene Verantwortung und die ethische Komponente des Umgangs mit moderner Technologie zurückkommen. Mit unseren Technologien sind wir zwar in unserer äußeren Welt in ein neues Zeitalter eingetreten, unsere geistig-psychische Struktur dagegen ist kaum mitgewachsen.[9] Ein Planungsdenken über 50 oder gar 100 Jahre hinaus scheint uns als absurde Zumutung, weswegen Warnungen durch Technik-Folgen-Abschätzer bezüglich zu erwartender Probleme die Umwelt betreffend oft wegen kurzfristiger wirtschaftlicher Interessen überhört werden.

i. Von der industriellen zur informationstechnischen Revolution

Für jede soziologische Theorie ist es notwendig, das qualitativ Neue herauszuarbeiten, welches sich beispielsweise auf den Begriff „informationstechnische Revolution“ bezieht. Es stellt sich die grundlegende Frage, ob man mit diesem Begriff in der Lage ist, Veränderungsbewegungen und die daraus resultierenden Konsequenzen adäquat zu beschreiben, oder ob eine solche Unterordnung von gesellschaftlichen Phänomenen unter einen derartigen Begriff nicht andere wichtige Aspekte vorschnell zuschüttet und die zweifellos nicht homogenen Veränderungsbewegungen bruchlos auf einen Kern zurückführt. Der Kern wäre in diesem Fall die „Informationsgesellschaft“, welche sich durch die informationstechnische Revolution etabliert hat. Der Frage nach dem Neuen in unserer Gesellschaft, und ob dieses es erlaubt, die Gesellschaft unter einem einheitlichen Begriff zu subsumieren, möchte ich im Folgenden nachgehen.

Manuel Castells stellt sich die Frage, ob die Abhängigkeit von Wissen und Information – die Schlüsselelemente für die neue informationstechnische Revolution – nicht auch charakteristisch für die früheren technologischen Revolutionen war. Diese Einwände gegen das qualitativ Neue eines informationstechnologischen Paradigmas sind durchaus berechtigt, wenn man bedenkt, dass ja auch die erste industrielle Revolution auf der extensiven Nutzung von Information sowie der Anwendung und Weiterentwicklung von Wissen basiert. Während der zweiten industriellen Revolution nach 1850 spielte die Wissenschaft dann eine entscheidende Rolle bei der Anregung von Innovationen.[10] Sind diese Einwände berechtigt, wäre eine Theorie, die auf der grundlegenden Wichtigkeit von Informationstechnologien für die moderne Sozialstruktur aufbaut, wohl verwässert und müsste überarbeitet oder gar verworfen werden.

Wenn man sich die Charakteristika der industriellen Revolution jedoch genauer anschaut, und diese mit dem vermeintlich neuen Paradigma vergleicht (Castells macht dies) kristallisieren sich schnell wichtige Unterschiede heraus.

Die erste industrielle Revolution begann im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts und war hauptsächlich gekennzeichnet durch die Erfindung der Dampfmaschine, des automatischen Webstuhls. Ganz allgemein erfolgte die Ersetzung von Hand-Werkzeugen durch Maschinen. 100 Jahre später, in der zweiten Revolution, spielten die Entwicklung der Elektrizität, der Verbrennungsmotor, sowie die Erfindung des Telefons, das die Anfänge der Kommunikationstechnologie markiert, eine wichtige Rolle.[11] Der Begriff Revolution ist hier durchaus angemessen, da in diesen Zeiten eine plötzlich auftretende Welle technologischer Anwendungen die Prozesse der Produktion und Verteilung grundlegend veränderte. Eine Flut neuer Produkte wurde geschaffen und die Orte von Reichtum und Macht auf dem Planeten verschoben sich.

Hierbei ist zu betonen, dass diese Revolution auf den Westen beschränkt blieb, wobei dort auch nur auf eine Hand voll Länder in Westeuropa und Nordamerika. So gründete der historische Aufstieg dieser Länder auf der technologischen Überlegenheit, die das Ergebnis der beiden Revolutionen war. Ein wichtiges Charakteristikum der zwei industriellen Revolutionen ist nun, dass “zwar [...] beide eine ganze Flut von neuen Technologien hervorgebracht [haben]; aber in ihrem Kern ging es um grundlegende Innovationen bei der Erzeugung und Verteilung von Energie.“[12] Die Revolutionen haben also Erfindungen möglich gemacht (Dampfmaschine, Elektrizität usw.), welche die notwendige Energie zum Produzieren, Verteilen und Kommunizieren hervorgebracht haben. Dadurch haben sie sich durch das Wirtschaftsystem ausgebreitet und das gesamte Sozialgefüge durchdrungen.

Das Neue an der informationstechnologischen Revolution wird klar, wenn man diese unter historischen Gesichtspunkten betrachtet. „Der erste programmierbare Computer und der Transistor, Quelle der Mikroelektronik, [sind] das wahre Herz der informations-technologischen Revolution im 20 Jh.“[13] Diese großen technologischen Durchbrüche fanden während des zweiten Weltkrieges statt. Doch trotz dieser Pionierleistungen gelangten die neuen Informationstechnologien erst in den 1970er Jahren zum Durchbruch. Gekennzeichnet war dieser Durchbruch durch folgende Entwicklungen:

- 1971 kam es zum Eindringen der Mikroelektronik in alle Maschinen. Die stetige Miniaturisierung von Mikroprozessoren machte es möglich, diese in jede Maschine unseres Alltagslebens einzubauen – vom Geschirrspüler bis zum Auto. Die Elektronik dieser Geräte war in den 1990er Jahren bereits wertvoller als der verwendete Stahl.[14]
- Die große Verbreitung des Mikrocomputers wurde durch die Entwicklung einer neuen PC-Software ermöglicht, die Mitte der 1970er Jahre von Bill Gates und Paul Allen hervorgebracht wurde. Weiters führte die zunehmende Leistungsfähigkeit der Chips zu dramatischen Steigerungen der Nutzungsmöglichkeiten des Mikrocomputers.[15]
- Im Bereich der Telekommunikation gab es wesentliche Fortschritte im Bereich der gebündelten Digitalübertragung, wodurch sich die Übertragungskapazitäten der Leitungen dramatisch vervielfacht haben.[16]

Bei all diesen technologischen Neuerungen ist auffallend, dass sich bei ihrer Etablierung auch die Möglichkeiten benachbarter Informationstechnologien vervielfacht haben. So haben die oben aufgezeigten Innovationen zum wohl revolutionärsten technologischen Medium des „Informationszeitalters“ geführt – dem Internet[17].

[...]


[1] Lews Mumford, zitiert nach Jaques Ellul: The technological society. New York 1954, S. 5.

[2] Douglas Kellner: Theorizing Globalization. In: Sociological Theory. vol. 20, nr. 3. Bosten, USA and Oxford, UK, S. 286.

[3] Michael Kranzberg, zitiert nach Manuel Castells: Das Informationszeitalter I. Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft. Hemsbach 2003, S. 82

[4] Arnold Gehlen: Die Seele im technischen Zeitalter. Sozialpsychologische Probleme in der industriellen Gesellschaft. Hamburg 1957, S. 7

[5] Hans Jonas: Das Prinzip der Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt am Main 1984, S. 7

[6] Elias weist auf die Diskrepanz zwischen dem relativ hohen Vermögen, Probleme des außermenschlichen Naturgeschehens rationalistisch und sachgerecht zu bearbeiten, und dem vergleichsweise geringem Vermögen, Probleme des menschlich-gesellschaftlichen Zusammenlebens mit gleichen Mitteln zu bewältigen. Die Erhöhung unseres Wohlstandes und die Verbesserungen im Gesundheitswesen, wären wohl ohne das Zurückdrängen gefühls- und phantasiegeladener sowie mythisch-magischer Elemente durch ein hohes Maß an Sach- oder Wirklichkeitsorientierung nicht möglich gewesen. Norbert Elias: Was ist Soziologie. Weinheim; München 1996, S 21f.

[7] Laut Elias bilden viele einzelne Menschen Kraft ihrer Angewiesenheit aufeinander und ihrer Abhängigkeit voneinander ein „Interdependenzgeflecht“. ebd. S. 12.

[8] ebd. S 23.

[9] Arno Bammé, Peter Baumgartner, Wilhelm Berger, Ernst Kotzmann: Technologische Zivilisation. Eine Einführung. In: Technologische Zivilisation. München, 1987, S. 36.

[10] Vgl. Manuel Castells: Das Informationszeitalter I. S. 33f.

[11] ebd. S. 37.

[12] ebd. S. 41.

[13] ebd. S. 43.

[14] ebd. S. 45.

[15] ebd. S. 47f.

[16] ebd. S. 48f.

[17] Der Zweck der Entwicklung des Internets bestand in der Konstruktion eines Kommunikationssystems, das gegenüber nuklearen Angriffen unempfindlich sein sollte. Das später daraus ein Netzwerk für eine globale Kommunikation entstehen sollte ist ein Beispiel für „blinde Variation“. Die Wirkung dieser „blinden Variationen“, oder unintendierten Ergebnisse kann man am besten so zusammenfassen: „So intendiert und strategisch geplant auch jede einzelne Aktion [...] sein mag, so ist die Variation des Technisierungsprojektes wegen der Vielfalt der wirkenden Filter und der Unvorhersehbarkeit ihrer Wirkungen nach- und nebeneinander auf der globalen Ebene und auf lange Sicht als ‚blind’ zu kennzeichnen.“ Werner Rammert: Regeln der technikgenetischen Methode. Die soziale Konstruktion der Technik und ihre evolutionäre Dynamik. In: Technik und Gesellschaft. Jahrbuch 8. Frankfurt am Main 1995, S. 24.

Fin de l'extrait de 25 pages

Résumé des informations

Titre
Technikstrukturen, Globalisierung und sozialer Wandel
Université
University of Graz  (Soziologie)
Cours
Soziologische Theorien II
Note
sehr gut
Auteur
Année
2004
Pages
25
N° de catalogue
V31428
ISBN (ebook)
9783638324410
Taille d'un fichier
625 KB
Langue
allemand
Annotations
Dieser Aufsatz soll einen Überblick der gegenwärtigen Prozesse des Wandels in der Sozialstruktur geben.
Mots clés
Technikstrukturen, Globalisierung, Wandel, Soziologische, Theorien
Citation du texte
Thomas Tripold (Auteur), 2004, Technikstrukturen, Globalisierung und sozialer Wandel, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31428

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