Die Konkordanzdemokratie nach Gerhard Lehmbruch. Worin unterscheidet sie sich von der „consociational democracy“ und der Konsensdemokratie nach Lijphart?


Term Paper, 2015

19 Pages, Grade: 1,7


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Konkordanzdemokratie

3. Konsensdemokratie

4. Das politische System der Schweiz

5. Schlussfolgerungen

6. Literaturverzeichnis

Abstract: Wie werden in modernen Demokratien Konflikte gelöst und wer entscheidet letztendlich darüber? In den sozial sehr homogenen, anglo-amerikanischen Gesellschaften ist das die Mehrheit der Staatsbürger. In den religiös und kulturell stark fragmentierten kontinentaleuropäischen Gesellschaften haben sich stattdessen Verhandlungs-und Konkordanzdemokratien als eine besondere Form der Konfliktbewältigung herausgebildet. Die Forschung zu diesem Demokratie-Typ hat sich in zwei Lager, nämlich der entwicklungs-historischen und der quantitativ-institutionellen Perspektive, aufgeteilt. Ziel dieser Arbeit ist es, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Forschungsstränge herauszuarbeiten und festzustellen, worin sich die bekannten Vertreter der beiden Strömungen, Gerhard Lehmbruch und Arend Lijphart, in ihren Forschungsansätzen unterscheiden. Anhand des Fallbeispiels, der Schweizer Konkordanzdemokratie mit ihren direktdemokratischen Verfahren, sollen die Ergebnisse anschließend näher untersucht werden. Es hat sich gezeigt, dass die Entwicklung der Konkordanzdemokratie in der Schweiz kein bewusster, sondern vielmehr ein notwendiger Schritt war. Für neu entstehende Demokratien bieten sich konkordanzdemokratische Verfahren durchaus als Alternative zur gängigen Form der Mehrheitsdemokratie an.

1. Einleitung

In modernen, pluralistischen Demokratien hat man sich darauf geeinigt, gesellschaftliche Konflikte möglichst friedvoll und dauerhaft zu bewältigen. Dazu gehören insbesondere das Aushalten und die Akzeptanz von anderen Meinungen. Doch das war nicht immer so, gerade zu Beginn des 20.Jahrhunderts herrschten große Unterschiede in der ideologischen und religiösen Weltauffassung. Die große soziale Heterogenität in den europäischen Gesellschaften drängte die Frage in den Vordergrund, wie allgemein gültige demokratische Entscheidungen herbeigeführt werden können und wer diese entscheidet. Nach anglo-amerikanischem Demokratieverständnis lautet die Antwort auf dieser Frage ganz klar: die Mehrheit, wobei die „Verlierer“ der Entscheidung außer Acht gelassen werden und jene Entscheidung „aushalten“ müssen. Gerade in den kleinen kontinentaleuropäischen Kleinstaaten wie der Schweiz, Luxembourg oder den Benelux-Staaten hat sich ein anderes Verständnis von demokratischer Konfliktlösung herausgebildet. In Abgrenzung zu der anglo-amerikanischen Konkurrenz-oder Mehrheitsdemokratie, spricht man hier von Verhandlungs-und Konkordanzdemokratien, deren Anspruch es ist, möglichst alle gesellschaftlich relevanten Gruppen an einer dauerhaften Konfliktlösung zu beteiligen.

Die beiden Politikwissenschaftler Gerhard Lehmbruch und Arend Lijphart haben sich bei der Erforschung dieser beiden Demokratietypen stark hervorgetan. Während Lehmbruch aus qualitativ-vergleichender und institutioneller Perspektive die Entwicklungsgeschichte der Konkordanzdemokratie untersucht (Schmidt 2013) entwickelt Lijphart seine zunächst sehr ähnliche Theorie, der „consociational democracy“, weiter zu seinem bekannten Werk „Patterns of Democracy“, in welchem er die institutionellen Merkmale und Unterschiede von Mehrheits-und Konsensdemokratien herausarbeitet (Lijphart 2012).

Diese Arbeit geht der Forschungsfrage nach, worin sich die Theorie der Konkordanzdemokratie- nach Lehmbruch- von den Theorien der „consociational democracy“ und der Konsensdemokratie- nach Lijphart- unterscheidet? Von der Beantwortung dieser Frage lässt sich ein besseres Verständnis über die Entwicklung von konkordanzdemokratischen Verfahren erwarten. Möglicherweise können so auch Aussagen über stabilisierende Faktoren für gerade junge Demokratien gemacht werden. Der Aufbau der Arbeitet gestaltet sich wie folgt: Das erste Kapitel widmet sich der Theorie der Konkordanzdemokratie und den beiden theoretischen Ansätzen von Lehmbruch und Lijphart. Im Anschluss daran soll in Abgrenzung dazu die Konsensdemokratie von Lijphart vorgestellt werden. Die theoretischen Erkenntnisse werden anschließend am Fallbeispiel der Schweiz, der wohl bekanntesten Konkordanzdemokratie, untersucht. Abschließend werden die Ergebnisse in den Schlussfolgerungen diskutiert.

2. Konkordanzdemokratie

Der Begriff Konkordanzdemokratie setzt sich aus dem lateinischen Wort „concordantia“ (Übereinkunft) und den griechischen Wörtern „demos“ (Volk) und „kratein“ (herrschen) zusammen. Wörtlich übersetzt bedeutet er somit Übereinstimmungsdemokratie, gemeinhin spricht man aber in dem Zusammenhang von Verhandlungsdemokratie (Schmidt 2010). Besonderes Merkmal dieses Demokratietyps sind die Kompromisstechniken, durch welche Konflikte beigelegt werden. „Demokratie, in der Konflikte hauptsächlich unter Anwendung von charakteristischer Kompromisstechniken geregelt wird“ (Schmidt 2010). Darin unterscheidet sie sich auch von dem gängigen Typ der Mehrheitsdemokratie. „Sinngemäß ist jedoch eine Verhandlungsdemokratie gemeint, in der- an Stelle des Mehrheitsprinzips- auf dem Weg der Verhandlung bestimmte Kompromisstechniken zur Herbeiführung eines Konsenses über strittige Angelegenheiten angewandt werden“ (Schmidt 2008).

In den Fokus der Forschung kam die Verhandlungsdemokratie oder „consociational democracy“ Ende der 1960er Jahre. Bis dato galt vor allem in den angelsächsischen Länderfamilien die Auffassung, dass die Mehrheits- oder Konkurrenzdemokratie nach britischem Vorbild („Westminster-Modell“) das „Rom der Demokratie“ sei und dort die Entwicklung der Demokratie friedlich verlaufen ist und sich frühzeitig faire Regeln für Kampf um Wählerstimmen und deren Umsetzung in Mandate entwickelt haben. Dieses System hat nach Auffassung der Befürworter nicht nur Stabilität während den beiden Weltkriegen geboten, sondern auch Leistungsfähigkeit durch die reellen Machterwerbschancen der Opposition. An dieser Stelle sei in aller Kürze darauf hingewiesen, dass es bei den dargestellten Argumenten durchaus Kritikpunkte gibt, die aber nicht Teil dieser Arbeit sein können. Es stellt sich beispielsweise die Frage, wie es um das Mitspracherecht der indigenen Bevölkerung in den eroberten, britischen Kolonien stand. Weiteren Einfluss auf den akademischen Diskurs hatten die Modernisierungstheorie nach Parson und die Pluralismustheorie nach Almond. Beide Ansätze etablierten eine Denkweise, die davon ausging, dass je homogener und säkularer eine Gesellschaft ist, desto stabil und leistungsfähiger auch die Performanz des politischen Systems sein wird. In diesem Sinne wird die Instabilität der Nationalstaaten auf dem europäischen Festland mit der hohen Fragmentierung der Gesellschaft erklärt. Diese Heterogenität der politischen Kultur entsteht durch die Aufteilung nach Weltanschauungen in verfeindeten Lagern. Das weit verbreitete Verhältniswahlrecht führt darüber hinaus zu einer verfestigten Zersplitterung des Parteiensystems, so die Befürworter des „Westminster-Modells“ (Lehmbruch 2012).

Hier nähern wir uns dem zentralen Thema, nämlich der Frage, auf welche Weise Konflikte in einer Gesellschaft bewältigt werden können. Die Konkurrenzdemokratie regelt Konflikte nach dem Mehrheitsprinzip, die Mehrheit entscheidet beziehungsweise der Abgeordnete, mit der Mehrheit der Stimmen entscheidet. Die Konkordanzdemokratie beantwortet die Frage mit Verweis auf die Kompromisstechnik des „Gütlichen Einvernehmens“. Diese Form der Konfliktregelung stammt aus der Zeit des schweizerischen Religionsfriedens im 16.Jahrhundert und lehnt sich an die Kompromisstechniken der Religionsfriedensschlüsse („amicabilis compositio“) an. Zentraler Bestandteil war die Aushandlung von Kompromissen nach den Entscheidungsmaximen des gütlichen Einvernehmens. Damals wurde die Reichsverfassung so modifiziert, dass keine Konfession mehr die andere dominieren konnte. Beispielsweise wurden das Reichskammergericht und die Ämter der Reichsstände paritätisch, das heißt ausgeglichen, besetzt und somit durch die de facto Abschaffung des Mehrheitsprinzips verhindert, dass eine Religion die anderen bevormunden konnte. Als Ergebnis waren die Konfessionen gezwungen eine gemeinsame Position zu erarbeiten (Lehmbruch 1992).

Zu den wesentlichen Merkmalen der Konkordanzdemokratie zählt erstens die Aufteilung der Macht anhand von gemeinschaftlicher Beteiligung von allen oder möglichst vielen an den Entscheidungs-und Willensbildungsprozessen. Erstens werden beispielsweise möglichst viele Repräsentanten an einer großen Regierungskoalition beteiligt. Zweitens gilt für jeden Bereich die größtmögliche Autonomie, das heißt deren Mitglieder können unabhängig von anderen Bereichen, zum Beispiel anderer Regierungsressorts, handeln und Entscheidungen treffen. Die Autonomie kann auch regional verortet werden, so können die einzelnen Ländern eines Föderalstaats mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet sein („Subsidiarität“). Drittens ist eine bestimmte Proportionalität bei der Besetzung von politischen Ämtern oder Beamtenstellen festgelegt. Dabei ist es auch möglich, dass öffentliche Ämter oder staatlich kontrollierte Wirtschaftssektoren, zum Beispiel das Rundfunkwesen, den Kompromissverfahren nach formellen Proporz- oder Paritätsregeln unterliegen. Und schließlich viertens können die vitalen Interessen der Akteure durch besonders ausgehandelte Vetorechte geschützt und geregelt werden. Vorzufinden ist die Konkordanz-oder Verhandlungsdemokratie vornehmlich in vergleichsweise kleinen, kontinentaleuropäischen Ländern, deren Gesellschaften über einen längeren Zeitraum hinweg konfessionell oder kulturell gespalten waren. Als Beispiele lassen sich hier die Schweiz, Österreich, Belgien, Luxembourg und die Niederlande anführen. Ein weiteres nicht-europäisches Beispiel ist der Libanon, der es vor dem Bürgerkrieg geschafft hat, die verschiedenen konfessionellen Gruppen zu vereinen. Auch die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland kennt konkordanzdemokratische Elemente, so zum Beispiel die freiwillige Selbstkoordination der Bundesländer im Bildungswesen, die paritäre Besetzung der obersten Gerichte und der Rundfunkanstalten oder die erforderliche Zweidrittelmehrheit für Verfassungsänderungen. Durch die Europäische Union wurden konkordanzdemokratische Verfahren auf supranationale Ebene gehoben. Dort werden wichtige, vitale Entscheidungen nach dem Einstimmigkeitsprinzip entschieden, dennoch gelten Ende des 20.Jahrhundert nur noch Luxembourg und die Schweiz als reine Konkordanzdemokratien (Lehmbruch 1992).

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Details

Title
Die Konkordanzdemokratie nach Gerhard Lehmbruch. Worin unterscheidet sie sich von der „consociational democracy“ und der Konsensdemokratie nach Lijphart?
College
University of Heidelberg  (Institut für Politikwissenschaft)
Course
Schlüsseltexte der normativ-analytischen und der empirisch-analytischen
Grade
1,7
Author
Year
2015
Pages
19
Catalog Number
V314379
ISBN (eBook)
9783668146501
ISBN (Book)
9783668146518
File size
660 KB
Language
German
Keywords
konkordanzdemokratie, gerhard, lehmbruch, worin, konsensdemokratie, lijphart
Quote paper
Carsten Müller (Author), 2015, Die Konkordanzdemokratie nach Gerhard Lehmbruch. Worin unterscheidet sie sich von der „consociational democracy“ und der Konsensdemokratie nach Lijphart?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/314379

Comments

  • guest on 9/19/2017

    Die Arbeit ist nett geschrieben.
    Sie ist des Weiteren auch frei von belastenden wissenschaftlichen Standards wie der Angabe von nachvollziehbaren Quellen (Das bisschen was vorkommt stört nicht da die Angaben nicht hilfreich sind das wesentliche fehlt).
    Sofern man eine leichte Lektüre sucht ist man hier genau richtig.

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Title: Die Konkordanzdemokratie nach Gerhard Lehmbruch. Worin unterscheidet sie sich von der „consociational democracy“ und der Konsensdemokratie nach Lijphart?



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